Olga Adoevskaya — Deutschlandbilder in den Köpfen der russischen Studierenden: Genderaspekt

Nr. 18    Juni 2011 TRANS: Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften


Section | Sektion: Interkultureller Dialog im Mediendiskurs der Informationsgesellschaft

Deutschlandbilder in den Köpfen der russischen Studierenden: Genderaspekt

Olga Adoevskaya (Staatliche interregionale Akademie für Sozial- und Geisteswissenschaften
Samara, Russland) [BIO]

Email: olgaadoev@gmx.de


 Konferenzdokumentation |  Conference publication


 

Reisen ist tödlich für Vorurteile.
M. Twain

 

Im folgenden Artikel geht es in erster Linie um die Wahrnehmung russischer Studierender der für sie fremden deutschen Kultur, um die Bewertung dieser Kultur, die im Annehmen, in Anpassung oder Abneigung ihren Ausdruck finden kann. Die erhobenen Daten wurden unter dem Genderaspekt analysiert und beschrieben. Unter präziser Betrachtung ist der Einfluss der in russischen Massenmedien verbreiteten Selbstbilder auf die Entstehung der Fremdbilder bei den russischen Studierenden.

Davon ausgehend, werde ich zunächst die Begriffe Stereotyp, Vorurteil und Bild klären und Fremdbilder russischer Studierender untersuchen. Anschließend wird im Artikel Mediendiskurs in den meinungsbildenden russischen Printmedien zu Genderbildern analysiert. Ich möchte die Frage beantworten, ob sich in den russischen Massenmedien und in den Äußerungen russischer Studierender zu Genderbildern Parallelen feststellen lassen, ob die Vorstellung russischer Studierender von den in den Massenmedien verbreiteten Genderbildern abhängt und von denen beeinflusst wird.

Um zu den Fremdbildern zu gelangen, habe ich eine Untersuchung gemacht. Ihr Ziel war, das kollektive Fremdbild, das eine in Bezug auf das Geschlecht heterogene Gruppe über Deutschland und Deutsche hat, durch die Befragung zu erfassen. Sie sollte Hinweise auf bestehende Deutschenbilder weiblicher und männlicher Studierender geben und das inhaltliche Spektrum der Stereotype in Massenmedien beschreiben.

 

Zum Begriff „Stereotyp“

Es leuchtet ein, dass es bei der Vielzahl von Definitionen nicht unser Anliegen ist, dem Begriff Stereotyp eine neue zu geben, aber es ist notwendig, wichtige Merkmale hervorzuheben.

Das Wort Stereotyp wurde zuerst als Fachbegriff der Durckereisprache verwendet, um den Prozess der Stereotypie – d.h. Vervielfältigung – zu beschreiben.(Degtjarova 2007, 52.) Der amerikanische Journalist Lippmann charakterisiert 1922 als erster aus soziologischer Sicht Stereotyp (gr. stereos – starr, hart, fest, typos – Form, Gestalt, Modell) als ein besonders resistentes Phänomen: “Nichts verhält sich der Erziehung und der Kritik gegenüber so unnachgiebig wie das Stereotyp” (zitiert aus Drabowska 1999, 55).

In den Arbeiten, die in letzten Jahrzehnten erschienen sind, werden Stereotype als Orientierungshilfen für ein Individuum verstanden, ohne die man handlungsunfähig wäre. Sie sind  laut E. Orlowa „die Ergebnisse des Denkprozesses“ und Stereotypisierung ist „ein Teil dieses Prozesses“ (Orlowa, 1992, 7, übersetzt vom Autor). Man behauptet, dass Stereotype mit ihrem stabilen und emotionalen Charakter „innerhalb einer sozialen Gruppe ein Gefühl des sozialen Zusammenhangs“ vermitteln (Degtjarova, 2007, 53).

In den modernen sozialpsychologischen Wissenschaften wird zwischen Stereotyp, Vorurteil und Image (oder Bild) unterschieden. Es bleibt zu klären, wie sich diese Begriffe zu einander verhalten. “Ein Stereotyp wird dann als Vorurteil genannt, wenn der affektive Aspekt die Grenze zum Positiven oder zum Negativen hin überschreitet” (Dabrowska, 1999, 78). Diese Grenze wird von dem Individuum selbst festgelegt.

Im Gegensatz zum Stereotyp ist ein Bild die Wahrnehmung des Äuβeren, der Eindruck, den wir von etwas haben. Bild kann von einer Person in der kulturellen Praxis erworben werden und sich aufgrund seiner Flexibilität verändern. Bilder sind also persönlich. Der Stereotyp gehört zum festen Teil unseres öffentlichen Bewusstseins.

 

Genderstereotype in russischen Massenmedien

Genderstereotype widerspiegeln biologische Merkmale, soziale Rollen, Besonderheiten der Psyche und des Verhaltens, die für die Angehörigen eines Geschlechtes im Rahmen einer Kultur typisch sind. Das sind standardisierte Vorstellungen über die Verhaltensregeln, Verhaltensmuster eines Menschen, seine Charaktereigenschaften, die den Begriffen „Maskulinität“ und „Femininität“ entsprechen (näher dazu in: N. Malyscheva 2008).

Genderlinguistik bildete sich als Wissenschaft Ende der 60er, am Anfang der 70er des 20. Jahrhunderts aus. Den Höhepunkt erlebte sie in den 1990er Jahren. In Russland entwickelte sich diese Wissenschaft erst später, weil der Feminismus als sozial-politische Bewegung für die russische Gesellschaft nicht typisch war. Das Ziel der sowjetischen Politik war die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Das fand seinen Ausdruck z.B. im Ergreifen der männlichen Berufe von Frauen. Die Politik der Sowjetunion schwächte im 20. Jahrhundert die Wahrnehmung der Frau als Objekt der Sexualität oder als Subjekt, das die Geburtsfunktion hat, ab. Das Bild der Hausfrau war im Prinzip unserer Gesellschaft fremd. Um die Situation in Europa zu veranschaulichen, muss erwähnt werden, dass die Gleichbehandlungsrichtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen erst 1976 verfasst wurde.

Offensichtlich beeinflusst die Entwicklung der Gesellschaft und des Staates auch die Genderbilder. Man kann in den Massenmedien die Veränderung ihrer Akzentuierung und Dynamik der Entwicklung verfolgen. Laut Malyscheva verbreiten moderne russische Medien 3 Typen von Maskulinität und Femininität: traditionell russische, sowjetische und neue (Malysheva, 2008, 12). Betrachten wir ausführlich diese Typen.

Wenn man über Geschlechter spricht, geht man im russischen Kulturkreis von der Behauptung aus: „Er ist ein echter Mann, sie ist eine typische Frau“. Was versteckt sich dahinter?

Traditionell russische Maskulinität: Man unterscheidet folgende positive Eigenschaften eines Russen: Strapazierfähigkeit, Anspruchslosigkeit im Alltagsleben, Großzügigkeit, Patriotismus, Neigung zu Exessen beim Feiern und Arbeiten, jugendliche Vitalität bis ins hohe Alter, Geduld. Man schreibt dem „echten“ Russen folgende negative Eigenschaften zu: ungestüm, grob, faul, Hang zum Alkohol (siehe Timofejew, 2002). Sehr oft ist er von der Frau unterdrückt, versucht aber ab und zu, sich diesem Einfluss und dieser Kontrolle zu entziehen. Außerdem ist er wie auch die typisch russische Frau der Familie untergeordnet und hat keine Rechte dem Staat gegenüber. Er ist robust, hat große Ausdauer und pflegt sein Äußeres nicht.

Traditionell russische Femininität. Die Besonderheiten bestehen in Leidensfähigkeit, Fürsorglichkeit, Mitgefühl, Fähigkeit sich aufzuopfern, sich in den anderen hineinzuversetzen und leidenschaftlich mitzufühlen (Empathie und Perspektivübernahmefähigkeit). Traditionell besitzt eine Frau solche Eigenschaften, die mit Mutterschaft verbunden sind – eine typische Russin ist eine starke, dominierende Mutter. So eine Rolle der Frau findet ihren Ausdruck nicht nur in den Mutter-Kind-Beziehungen, sondern wird auch auf die Ehefrau und ihre Rolle in der Gesellschaft übertragen. Russische Frauen sind weise, sie opfern sich für ihren Mann, sind religiös, hilfsbereit und besitzen Widerstandsfähigkeit. Zu den negativen Eigenschaften zählt man Unterwürfigkeit, Impulsivität, Überforderung mit Aufgaben (siehe Lomova, 2004). Die Eigenschaften, die das Äußere beschreiben – Schönheit und runde Formen – machen die Vorstellung über die traditionelle russische Frau zum kompletten Bild. Solche Genderbilder sind – wie die Untersuchung von Malysheva zeigt – „im russischen Bildungssystem verbreitet“, Massenmedien „greifen auch immer häufiger zu diesem Bild“ (Malysheva, 2008, 14, übersetzt vom Autor).

Sowjetische Maskulinität ist mit Totalitarität, Brutalität und Gehorsamkeit verbunden. Der Lebensweg eines sowjetischen Mannes ist der Weg eines Soldaten, eines Helden. Als Vorbild dient gewöhnlich das Vaterbild. Er ist dem Staat untergeordnet. Seine psychologischen Eigenschaften wie z.B. Tapferkeit sind von der Verteidigungsfunktion abhängig.

Sowjetische Femininität greift den Schlüsselbegriff „arbeitende Mutter“ auf [Ashgichina, 2000, http://www.femin.ru/ig/ig015.php]. Sie ist stark, autoritär, aktiv, hat Erfolg im Beruf und besetzt die führenden Positionen. Dieses Frauenbild wie auch jenes des Mannes werden vom Staat bestimmt. Das Äußere einer sowjetischen Frau wird in den Medien heute als asexual, physisch und psychisch überfordert dargestellt. Die professionellen Eigenschaften einer sowjetischen Frau verlieren aufgrund des Zwanges an Bedeutung und Wichtigkeit.

Die neue Maskulinität vereinigt in sich traditionelle Eigenschaften beider Geschlechter. Dieses Bild wird durch Kraft, Professionalismus, Wohlstand, Entschlossenheit, Zuversicht, Sexualität, Ironie, Aufmerksamkeit, Geselligkeit, Freundlichkeit, Selbstreflexion, Empathie und Offenheit bestimmt. Moderne Männer sind gute Freunde, verständnisvolle Gatten und fürsorgliche Väter. Interessen solcher Männer sind vielfältig: Modeströmungen, Romantik, Kochkunst, Körperpflege, Autos, Sport, Sex, Frauen, Gesundheit.

Für die neue Femininität sind folgende Eigenschaften charakteristisch: Selbstsicherheit, Hartnäckigkeit, vielseitige Interessen, gute Bildung, Sexualität. „Moderne Frauen kennen ihre Bedürfnisse und den Weg, wie sie diese befriedigen können“ (Malysheva, 2008, 16, übersetzt vom Autor). Dieses Bild der neuen Frau kann als „Superfrau“ bezeichnet werden. Für sie ist beides wichtig: Selbstverwirklichung in der Familie und in der Karriere. Schwierigkeiten überwindet sie durch Fortbildung und Weiterbildung. Sie verändert ihr Äußeres und Benehmen. Solch eine Frau erfüllt problemlos ihre Rollen im Beruf und in der Familie als Mutter und Ehefrau.

Die beschriebenen Typen der Femininität und Maskulinität sind einerseits das objektive Wesen eines Menschen. Andererseits strebt man danach, sie zu besitzen. Das Programm der neuen Femininität wird sowohl von den westlichen als auch von den russischen Massenmedien verbreitet.

 

Die Probanden

Im Laufe der Umfrage wurden 74 russischsprachige StudentInnen befragt: 69 (93,3%) Studentinnen und 5 Studenten (6,7%) der staatlichen interregionalen Akademie für Sozial- und Geisteswissenschaften. Alle Befragten haben in ihrem Land die allgemeinbildende Mittelschule besucht, einige hatten schon Arbeitserfahrung als LehrerInnen (5). Etwas weniger als die Hälfte (38) waren in Deutschland. Die Dauer des Aufenthalts in Deutschland schwankte zum Zeitpunkt der Befragung zwischen 2 und 6 Monaten.

Ich habe aufgrund der Lebenserfahrung und des Lebensalters differenzierte und damit auch nicht stark stereotype Vorstellungen bei den Studierenden erwartet, weil ich von der Annahme ausgehe, dass die Studierenden mit zunehmendem Alter und Lebenserfahrung weitere Merkmale speichern und über ein differenziertes Fremdbild verfügen. In Bezug auf Genderstereotype erwartete ich, dass beide Geschlechter Deutsche aufgrund ihrer Genderrollen unterschiedlich wahrnehmen.

Die Wahrnehmung der deutschen Kultur und die Bilder über Deutsche haben sich bei den russischen Studierenden auf der Basis folgender Faktoren ausgebildet:

  • Themenvorgabe in den Lehrbüchern
  • im Laufe des Studiums besuchte Kurse
  • Vorstellungen, Meinungen, Bilder und Stereotype der Lehrer und Menschen aus der Umgebung
  • Massenmedien
  • eigene Erfahrung, individuelle Sprachlernbiografie, Kulturerfahrenheit.

Die Wahl des Faches Deutsch als Fremdsprache wirkt generell stark auf die Einstellung zu Deutschland. Die Befragten sind positiv eingestellt, haben ein breites Wissensspektrum über Deutschland, haben das Bedürfnis noch mehr zu erfahren und sind bereit, ihre Kenntinne bewusst anwenden.

 

Durchführung der Untersuchung

Zur Realisierung der Untersuchungsabsicht wurde eine Befragung mit Hilfe eines Fragebogens durchgeführt. Dieser Fragebogen ermöglichte eine anonyme Beantwortung und bestand aus offenen(1) und geschlossenen Fragen.Durchschnittlich wurden auf jede Frage 9 Assoziationen gegeben.

Die Befragung dauerte zwischen 15 und 25 Minuten. Die Fragen 1-9 betrеffen die Angaben der Probanden: Alter (Frage 1), Geschlecht (Frage 2), Studium (Fragen 3, 4, 8, 9), Herkunft (Frage 5). Gesucht wurde nach den Assoziationen zu Deutschland (Frage 10) und den Deutschen (Fragen 11 und 12).

Bei der Analyse der Fragebögen wurden die Antworten nach der Ausrichtung Deutschland- und Deutschenbilder unterteilt.

 

Kategorisierung

Unter Kategorisierung wird S. Reiß folgend in dieser Arbeit „die Einordnung eines Gegenstandes oder einer Person in eine Kategorie“ (Reiß, 1997, 20), Gruppe aufgrund gemeinsamer Merkmale verstanden. Ich habe ein Kategoriesystem von M. Grünewald (Grünewald, 2005, 183) übernommen und dieses erweitert. Das Kategoriesystem von M. Grünewald betrifft zentrale gesellschaftliche Bereiche und auch Persönlichkeitseigenschaften und ist deshalb bei der Analyse der Ergebnisse anwendbar. Folgende Begriffe liegen diesem System zugrunde:

Wirtschaft, Politik, Lebensstil, Kultur, Geschichte, Ausbildung, Geographie/Natur/Klima, Sehenswürdigkeiten, Sport, Essen/Trinken, Aussehen, Charaktereigenschaften: positive Eigenschaften, negative Eigenschaften, neutrale Eigenschaften.

Deutschenbilder weiblich

In Bezug auf Deutschenbilder haben die weiblichen Studierenden insgesamt 277 Nennungen gemacht. Die charakteristischen Eigenschaften der Deutschen habe ich in positive, negative und neutrale unterordnet. 59% von den Assoziationen betreffen positive Eigenschaften zu 22 Charakterzügen mit der bekannten Pünktlichkeit auf dem 1. Platz. Auch Ordnungssinn, Höflichkeit und Freundlichkeit wurden mehrfach genannt. Auf die negativen Eigenschaften fallen nur 11% aller Assoziationen. Das sind solche wie geizig, verschlossen, kleinkariert, sachliches Herangehen in Fragen der Liebe etc. Die Anzahl der neutralen Eigenschaften beträgt 6%, z.B. sparsam, direkt, gespannt auf etwas Kommendes. 12 % der Nennungen betreffen den Lebensstil der Deutschen mit ihrem bekannten Terminkalender an der Spitze. Die Deutschen reisen und singen gern, haben ruhige Nachbarn. 11% der Assoziationen fallen auf das Äußere der Deutschen (Trachten, blaue Augen usw.). Genauere Informationen können der Statistik entnommen werden (Abb.1):

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Abb. 1: Deutschenbilder weiblicher Studierender

Insgesamt ist eine positive Einschätzung der Deutschen festzustellen, die ihren Ausdruck im Gebrauch der gefühlsbetonten Lexik findet: gutes Benehmen, gut erzogen, sind guter Laune, rätselhaft, reisen und singen gern.

Deutschenbilder männlich

In Bezug auf Deutschenbilder der männlichen Studierenden wurden insgesamt 25 Nennungen gemacht. Positive Eigenschaften dominieren mit 47% der Nennungen zu 8 Charakterzügen. Positiv angemerkt wurden Freundlichkeit, Verantwortung, Genauigkeit der Deutschen. Im Vergleich zu Bildern der russischen Studentinnen haben männliche Studierende mehr negative Eigenschaften genannt (24% zu 11%). Negativ gesehen ist z.B. die Art der Deutschen zu meckern „über schlechtes Wetter und Geld“.

In der Kategorie ‚Aussehen’ (24%), die für die russischen männlichen Studierenden traditionell als wichtige Kategorie gilt, dominieren negativ bewertende Beschreibungen: kalte Augen, wilde Frisuren, nicht schön.

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Abb. 2: Deutschenbilder männlicher Studierender

Frauenbilder

Schönheit ist die stereotype Eigenschaft, die die Frau in der modernen russischen Gesellschaft besitzen muss. Sie wird nach ihrem Äußeren von den anderen wahrgenommen, eingeschätzt und akzeptiert. Der Kult der Schönheit wird von den Massenmedien wie Fernsehen, Zeitungen und Zeitschriften, Internet etc. stark verbreitet. Aus Tabelle 1 ist ersichtlich, dass die Kategorie „Aussehen, Äußeres“ bei der Beschreibung der deutschen Frauen sowohl für weibliche als auch für männliche Studierende am wichtigsten ist. In dieser Vorstellung sind die negativen Merkmale gebündelt, die sich einer differenzierten Beurteilung versperren.

Tab. 1: Kategorisierung der deutschen Frauen

 

weibliche Studierende

männliche Studierende

deutsche Frauen

Aussehen: nicht schön, legen keinen großen Wert auf das Aussehen, schminken sich nie, tragen selten Röcke und Kleider, hübsche Aussiedlerinnen, sportlich, nett

Aussehen: legen nicht so großen Wert auf Ihr Äußeres, nicht schön

 

Ethik: freundlich, höflich, ruhig Ethik: keine Nennungen Aktivität: sehr emanzipiert, karriereorientiert, zu selbstständig
Aktivität: emanzipiert, können gut kochen, praktisch Intelligenz: klug Intelligenz: keine

Russische männliche und weibliche Studierende sprechen über die deutschen Frauen, indem sie ihr Äußeres betonen: deutsche Frauen legen nicht so großen Wert auf Ihr Äußeres, sie sind nicht schön. Bei der Charakterisierung der deutschen Frauen beziehen sich die Studierenden auf den Autostereotyp „russische Frau“. Sie sind gewohnt, dass die Russinnen „sich stylen und umwerfend schön wie Modells, wie gerade vom Laufsteg gekommen, aussehen“ (Respondent 2, männlich). Die Charakteristika, die man den deutschen Frauen hinsichtlich des Aussehens gibt, beziehen sich nicht auf die Staatsangehörigkeit, sondern auf die fremdartige Wirkung des Äußeren und die andere Art, sich zu pflegen und zu präsentieren. Zudem werden bei solcher Art der Befragungen Bilder hervorgerufen und aktualisiert, die fest im Kopf sitzen und unwillkürlich zum Erscheinen kommen.

Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass die russischen Studierenden bei der Beschreibung der Geschlechter oft psychologische Charakteristika gebrauchen. Beide Geschlechter werden als berufstätig, stark, hochqualifiziert charakterisiert. Bei der Charakterisierung der deutschen Frau tendieren die russischen Studierenden dazu, sie als sicher, erfolgreich, selbstbewusst und karriereorientiert zu bezeichnen – das ist das moderne Verständnis der Frauenrolle. Die jungen Russinnen erfahren die sozialen Aktivitäten der deutschen Frauen als anders im Vergleich zu ihren eigenen Aktivitäten. Sie behaupten, die deutschen Frauen seien sehr emanzipiert, zu selbstständig. Durch den Gebrauch von Partikeln zu und sehr wird die Emanzipation der deutschen Frauen als übertrieben charakterisiert.

Es fällt auf, dass russische männliche Studierende bei der Kategorisierung der deutschen Frauen die Kategorien Ethik und Intelligenz kaum erwähnen. Der Grund dafür könnte in dem traditionell hierarchischen Geschlechterverhältnis in der russischen Gesellschaft liegen.

Männerbilder

Im Zuge der Datenanalyse kristallisierte sich eine Sammlung von Eigenschaften heraus, die bei der Beschreibung der deutschen Männer häufig vorkommen und die in vier Gruppen geteilt werden können: Aussehen, Moral/Ethik, Aktivität und Intelligenz.

Tab. 2: Kategorisierung deutscher Männer

 

weibliche Studierende

männliche Studierende

deutsche Männer

Aussehen: schön, gepflegt, nett, rätselhaft

Aussehen: legen viel Wert auf ihr Äußeres, schön, sportlich, kräftig

Ethik: höflich, freundlich   Aktivität: sitzen gern im Freien, fahren alte, aber gute deutsche Autos, mögen Fußball, trinken Bier am Feierabend Ethik: keine
Aktivitäten: keine Intelligenz: klug Intelligenz: klug Soziale Rollen: gute Ehemänner und Väter, heiraten deutsche Frauen Soziale Rollen: keine

Auffallend an den Ergebnissen der Befragung ist die Verwendung der Kategorie „Schönheit“ bei der Beschreibung der deutschen Männer. Sich stylen ist ein Gendermerkmal und wird in Russland traditionell den Frauen zugeschrieben. Männer, die das machen, „werden als schwul betrachtet“ [Respondent 2, männlich]. Diese Meinung ist besonders unter den russischen Männern verbreitet.

Nicht unbeachtet in der Kategorie „Aktivitäten“ ist das Verhältnis der deutschen Männer zum Alkohol geblieben. Weibliche Studierende merken den Hang der deutschen Männer zum Bier an, was wiederum von dem Rückgriff zum Autostereotyp „traditionelle russische Maskulinität“ zeugt.

Bei der Beschreibung der Männer von russischen weiblichen Studierenden ist die Kategorie „Soziale Rollen und soziales Leben“ stark vertreten. Deutsche Männer sind gute Ehemänner und Väter. Frauen im Durchschnittsalter von 21,5 sind unbewusst auf der Suche nach dem starken Partner, der gut für die Nachwuchsgeneration sorgen wird, der lange bei der Partnerin bleibt. Nicht die letzte Rolle spielt hier meines Erachtens der ständige Drang der Russen nach dem Ideal. Es lässt sich bemerken, dass diese Vorstellung solche russischen Studentinnen besitzen, die keine Deutschlanderfahrung haben.

Abschließend sei festgehalten, dass der Schwerpunkt bei der Kategorisierung von den Deutschen deutlich auf der positiven Seite liegt, was nicht zuletzt von der Idealisierung des Landes abhängt. Russische Studierende geben  den Deutschen im Allgemeinen eine positive gefühlsbetonte Charakteristik. Durchschnittlich fallen 53% der Assoziationen der weiblichen und männlichen Studierenden auf positive Cahraktereigenschaften der Deutschen. Positiv wird ihr Lebensstil bewertet. Negative Konnotation erhalten solche häufig genannten Kategorien wie Aussehen und Charaktereigenschaften.

Werden die russischen Studierenden nach ihrer Wahrnehmung von deutschen Männern und Frauen gefragt, werden festgefrorene Bilder – Stereotype – aktualisiert. Männliche Studierende gehen dabei von den traditionellen russischen Rollenbildern aus, die sehr häufig von den russischen Massenmedien angesprochen werden und sehr stark im Bildungssystem verbreitet sind. Das neue Genderbild hat sich noch in ihren Vorstellungen nicht verfestigt, um sofort abgerufen werden zu können.

Die russischen weiblichen Studierenden gehen von den modernen Rollenbildern aus, die zur Zeit von den Massenmedien sehr stark popularisiert werden, und Männer und Frauen durch die „neue Prisma“ der Maskulinität und Femininität charakterisieren. Dabei sehen sie die deutschen Männer als Vorbild der modernen Maskulinität. Selbständigkeit und Emanzipation der deutschen Frauen nehmen sie als übertrieben und fremd wahr.

Die an der Befragung teilnehmenden Studierenden kamen entweder in der Zeit der Perestrojka oder danach zur Welt. Das Bild der sowjetischen Maskulinität und Femininität hat sie nicht geprägt und wird in ihren Assoziationen nicht aktualisiert.

Zum Schluss dieses Artikels möchte ich darauf hinweisen, dass man im Leben nicht ständig mit den Stereotypen konfrontiert wird. Sie kommen nicht bei jeder interkulturellen Begegnung zum Erscheinen. Vielmehr ist das für das Individuum selbst mit seinen Erfahrungen wichtig.

 

Literatur:

  • Dabrowska, Jarochna: Stereotype und ihr sprachlicher Ausdruck im Polenbild der deutschen Presse. Tübingen: Gunter Narr Verlag, 1999.
  • Degtjarova, Varvara: Russlandbilder im deutschen Fernsehen 2001-2002: Studie zur Konstruktion Russlands bei öffentlich-rechtlichen und privatrechlichen Sendern (ARD, NDR und RTL). Hamburg: Verlag Dr. Kovač, 2007.
  • Grünewald, Matthias: Bilder im Kopf. Eine Longitudinalstudie über die Deutschland- und Deutschenbilder japanischer Deutschlernender. München: Iudicium, 2005.
  • Lomova, Tatjana: Stereotipy v gendernych ustanovkach sovremennoj rossijskoj molodeshi. Vladivostok, 2004.
  • Malysheva, Natalja: Genderny stereotipy v molodeshnych sredstvach massovoj kommunikacii. Moskau, 2008.
  • Loginowa, Eugenia: Funkcionalny potencial stereotipov v kontekste formirovanija dialogisirovannoj sociokulturnoj kompetencii. In: Philologičeskije nauki: voprosy teorii i praktiki. Bd. 1 (3). Moskau, 2009,S. 125–127.
  • Reiß, Sonja: Stereotype und Fremdsprachendidaktik. Hamburg: Kovač, 1997.
  • Timofejew, M.J.: Roman s Rossiej: gendernyj aspekt dekonstrukcii russkosti v proisvedenijah Viktora Erofejewa. In: Gender, jasyk, kultura, kommunikacija. Moskau; MGLU, 2002. S. 285–29.
  • Orlowa, E. Formirovanie i ismenenie socialnych stereotipov v prozesse sozialnogo posnania: Sankt-Petersburg, 1992.
  • Sievers, Walter: Empirische Forschungsmethoden in den Sozialwissenschaften. Band 1: Selbstverlag, Göttingen, 1993.

 


Anmerkungen:

1 Wir vertreten hier die Meinung von Walter Sievers, der von einer offenen Frage spricht, wenn diese „keine Antworten“ vorgibt [Sievers, 1993, 126].


TRANS INST

 Inhalt | Table of Contents Nr. 18


For quotation purposes:
Olga Adoevskaya: Deutschlandbilder in den Köpfen der russischen Studierenden: Genderaspekt –
In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 18/2011.
WWW: http://www.inst.at/trans/18Nr/II-14/adoevskaya18.htm

Webmeister: Gerald Mach     last change: 2011-07-11