Die „Milione”-n von Marco Polo und ihre literarische Erbschaft

Csilla Kun Roznár
(Westungarische Universität, Szombathely, Ungarn) [Bio]
Email: roznar.csilla@t-online.hu

Der unglaubliche Erfolg des Werks von Marco Polo ist nicht so sehr seinem literarischen Wert zu verdanken sondern eher dem Neubeleben der Legende, die den Fernen Osten besangen und dem erstaunlich langen Fortleben des Mythos des Osten in der Geisteshaltung der westlichen Kulturen und damit natürlich in den literarischen Werken. Die Orientalistik, die immer als sehr bewundertes Forschungsgebiet galt, bekam auch mit diesem Werk ein neues Substrat – da Marco eine Welt voller Aberglauben, Wunder beschrieben hat, die aber zur gleichen Zeit auch unglaublich geworden war als Marco ihre vielfarbige Wirklichkeit detailiert erklären wollte. Das heißt: er wollte – durch Beispiele und konkrete Beschreibungen – eben mit dieser fantastischen Weltanschauung die Wirklichkeit entgegenstellen. Und das zählte natürlich als erstaunliche Neuigkeit für die damaligen Leser.

Das Werk hatte schon in dem XIV. und XV. Jahrhundert mehr als 130 verschiedene Ausgaben und Handschriftsvariationen erlebt, auch wenn seine Vulgarisierung auf unterschiedlichem Niveau stand.

Nehmen wir zuerst die verschiedenen sozialen Klassen, sogar Berufe unter die Lupe, die ein Exemplar von der Milione gerne in die Hand genommen haben.

1., In FrankreichLa divisament dou monde” oder „Livre des merveilles” und ihre mit Miniaturen reich illustrierte anspruchsvolle Varianten dienten als interessante Lektüren der aderlichen Höfe. Außer den Neuigkeiten waren die märchenhaften Einzelheiten, die den Leser überwältigten.

2. In Italien aber – dank einer fehlerhaften Etymologie, die die Milione als ein prachtvoll eingerichtetes Reich deutete, wo Milch und Honig fließt – konnte das Werk mit dem Interesse der Händler und Kaufleute rechnen und auch mit dem der Bürger. Dieselbe soziale Klasse hat großen Wert auch auf die amüsanten Lektüre gelegt, so freuten sie sich über den unterhaltsamen Stil des Buches und stellten es auf ihren Nachtkasten – direkt neben den Decamerone. Die mutige Unternehmungslust des italienischen Wandlerhändlers hatte zweifellos einen großen Endruck auf viele gewagte Händler der Zeit ausgeübt.

3. Zahlreiche lateinische Übersetzungen sind zustande gekommen: die erste – und vielleicht die berühmteste – im Jahre 1320 von Francesco Pipino, und dem folgten noch mehrere andere. Diese Übersetzungen wurden vor allem von denen durchgelesen, die auf ihre religiöse und wissenschaftliche Fragen eine Antwort finden wollten. Gleichzeitig war es aber auch ein sehr praktischer „Reiseführer” für Pilger die nach Osten eine Wallfahrt unternahmen, da sie lauter praktische Kenntnisse für die Vorbereitungen auf die Reise nach Asien enthielten. Nicht zu vergessen: vor Marco schrieb niemand über die märchenhafte Insel, Ciapangu (Japan).

4. Und zum Schluß: wegen seiner ziemlich präziesen Richtungs- ond Ortsbestimmungen diente es als Anhaltspunkt für geographische Landkarten und Atlaszeichner, die den Kontinenten Asien darstellen wollten. Eine der berühmtesten Landkarten der Cinquecento ( XVI. Jh.) war die Arbeit von Jacopo Gastaldi, des Malers, der auf Wunsch des Dogepalastes von Venedig die erste schon wahrheitsgetreue Weltkarte gemalt hatte.

Nach den praktischen Verwendungsmöglichkeiten des Werkes werden die Auswirkungen dargestellt, die die Milione in der Welt- und italienischen Literatur hinterließ. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, erwähnen wir nur einige, aber markante Beispiele in der chronologischen Reihenfolge.

Einige Jahrhunderte nach der Entstehung der inzwischen leider verschwundenen Originalverfassung bearbeitete die Romantik, – als literarischer Stil – mit Vorliebe Geschichten aus dem märchenhaften Osten. So ist nicht zu erstaunen, dass eine der vorzüglichsten Persönlichkeiten der englischen Literatur, Samuel Taylor Coleridge (1772-1834) auch gern die Seiten des Buches von Marco Polo blätterte. Das ist nach dem Lesen der Ballade „Kubla Khan” aus der Sammlung Lyrical Ballads zu folgern. Der Dichter beschreibt detalliert nicht nur die bekannten Tatsachen über den Hof des Großen Khanes sondern wird auch von dem berühmten Episod des Veglio– s inspiriert, als er das Mädchen erwähnt, das sich mithilfe des geheimnisvollen Honigtaus erholt hat…

Über Coleridge’s Leben – da es vielleicht nicht offensichtlich für diejenigen ist, die in der englischen Romantik nicht bewandert – lohnt es sich einige Einzelheiten zu erwähnen, damit seine Sympathie zu den Abenteuern des venezianischen Reisenden viel klarer wird: nach den Studien in Cambridge – die dann ohne Diplom geschlossen wurden – kehrte er mit weitverbreiteten Kenntnissen in seine Vaterstadt zurück. Seine religiöse Überzeugung wurde von der Unitarischen Kirche beeinflusst, seine philosophische Weltanschauung jedoch von dem Materialismus charakterisiert. In der Politik gab er sich radikalen Ansichten. Also ein echter Rebell. In der gleichen Zeit hatte er aber ein briliantes Gehirn, in vielen wissentschaftlichen Bereichen war er begabt. Was seinen literarischen Kenntnisse betrifft, stand er in Korrespondenz mit vielen europäischen Schriftstellern und Dichtern der Zeit, so war er über die zeitgenössische literarische Schreibart auf dem Laufenden. Unter den Ersten wandte er sich an die Errungenschaften der französischen und italienischen Romantik in der englischen Literatur. Seine vielleicht bekannteste Dichtung ist „Die Legende über den alten Seemann”. In dieser Ballade beginnt der Autor mit den Bildern der tageshellen Räume des Königspalastes von Khan Kubilaj zu spielen. Unter dem Palast aber – bei Coleridge – ist ein Irrgarten von eisigen Grotten verborgen, und in der Tiefe der unterirdischen Kluft erscheint bald die Gestalt des klar singenden Mädchens… Das alles spielt sich natürlich weithinaus von der dünnen Grenze zwischen Realität und Irrealem, sowohl für Dichter als auch für Leser. In der dem Gedicht beigelegten Notiz wird von dem Autor die segenbringende Wirkung mancher Opiaten nicht verheimlicht. Kein Wunder, dass Coleridge die von dem „grünen Honig” geschaffenen Traum-visionen ziemlich gut kannte.

Das nächste Beispiel stammt von dem gebürtigen Tschechen, aber in deutscher Sprache schreibenden Autor, Franz Kaffka (1883-1924). In seinem Nachlass wurde eine Erzählungssammlung gefunden unter dem Titel: „Beim Bau der chinesischen Mauer“. In diesem Band wurde an die Erinnerung des Großen Khan eine Geschichte gewidmet: „Eine kaiserliche Botschaft“ in der wieder das Themenfeld des asiatischen Imperators und seines Boten erwähnt wird. Das Werk ist eher eine Beschreibung eines gruselnden Lebensgefühls, von dem ein Bote leiden konnte: die Zeit ist immer zu kurz um alles zu sehen und um alles erzählen zu können.

Wenn wir uns in Zeit und Raum fortbewegen : in der Literatur von Italien finden wir natürlich mehrere und nähere Kontakte und Hinweisungen auf die Milione. Als Erste erwähnen wir Die Tatarenwüste (Reclam, Leipzig 1982. Übers: Stefan Oswald) von Dino Buzzati (1906-1972). In dem Buch wird nicht gerade auf die Geschichte von Marco hingewiesen: die Kampfweise und Einrichtung der Tatarenwelt zählt als Ausgangspunkt der Geschichte.

Verweilen wir aber ein bißchen länger bei dem Roman von Italo Calvino (1923-85) mit dem Titel Die unsichtbare Städte”. (Carl Hanser Verlag, München 1977. Übersetzung von Heinz Riedt) Ohne Übertreibung könnte man ihn als ein postmoderne Bearbeitung von der Milione bezeichnen. Es besteht aus 55 kurzen Texten, Miniaturen in der Form von Prosagedichten, von denen die kürzesten nur eine halbe, die längsten nicht einmal drei Seiten einnehmen, eingebettet in eine Art Rahmenerzählung, die jedoch eher eine Situationsbeschreibung oder Spielanordnung, als eine Erzählung darstellt: Marco Polo berichtet dem alternden Mongolenherrscher Kublai Khan an lauschigen Abenden in seinem Palast zu Kambaluk (= Peking), welche Städte er auf seinen Inspektionsreisen durch das weitläufige Reich durchwanderte. Jeder der 55 Texte skizziert mit knappen Worten eine dieser (fiktiven) Städte, die jeweils eine bestimmte geographische, historische, gesellschaftliche oder allgemein menschliche Situation in ein poetisches Bild fassen und jede mit einem Frauennamen benannt. So stellt Kublai Khan am Ende die Frage, ob nicht „alles vergebens“ sei, „wenn der letzte Anlegeplatz nur die Höllenstadt sein kann und die Strömung uns in einer immer engeren Spirale dort hinunterzieht“. (S. 173.)

Worauf Marco Polo die inzwischen berühmt gewordene Antwort gibt:

Die Hölle der Lebenden ist nicht etwas, das erst noch kommen wird. Wenn es eine gibt, ist es die, die schon da ist, die Hölle, in der wir jeden Tag leben, die wir durch unser Zusammensein bilden. Es gibt zwei Arten, nicht unter ihr zu leiden. Die erste fällt vielen leicht: die Hölle zu akzeptieren und so sehr Teil von ihr zu werden, daß man sie nicht mehr sieht. Die zweite ist riskant und verlangt ständige Aufmerksamkeit und Lernbereitschaft: zu suchen und erkennen zu lernen, wer und was inmitten der Hölle nicht Hölle ist, und ihm Dauer und Raum zu geben. (S.74.)

Die Schreibart und Weise von Italo Calvino ist ziemlich abstrakt und ungewohnt in dieser Prosaform: ein Lebensgefühl wird von jedem Textstück zu dem Leser projiziert, was nicht verborgen die Lebensanschauung des Autors widerspiegelt. Der melankolische Erzählton schaltet bald in Enttäuschung um, und nur die süßen Erinnerungen können ein Hauch von Sonnenschein in die Atmosphäre bringen…

Zuletzt – als zeitalterliches Beispiel – zitieren wir einen Prosatext von dem vielleicht bekanntesten und beliebtesten italienischen Schriftsteller, Umberto Eco (1932- ), der mit seinem unlängst publizierten Werk, Baudolino (Roman, Deutscher Taschenbuchverlag München. 2003, übers. v. Burkhart Kroeber) auch auf die Spuren von Marco Polo verfolgt. Im Jahre des Herren 1204 wurde Byzanz von Kreuzritter geplündert. Die Stadt steht in Flammen, die Einwohner flüchten verzweifelt aus den Ruinen. Die zwei Hauptpersonen des Romans treffen sich eben unter diesen Umständen: Niketas Choniates, der Hauptrichter und Historiograf des byzantinischen Reiches und Baudolino, der aus einer Bauerfamilie stammt und wird dann Ziehsohn und Berater des Kaisers Barbarossa. Baudolino rettet den Geschichtschreiber aus der Hand der Plünderer, und versteckt ihn mit seiner Familie unter seinen Freunden. Niketas hört als Entgegnung Baudolinos ziemlich langer und phantasievoller Lebensgeschichte zu, und auf Wunsch des Titelhelden ist er auch bereit alles zu notieren. So wird der größte Teil des Buches anschließend in Rückblenden erzählt.

Das Buch beginnt aber mit den ersten Seiten des Tagebuches, was der zwölfjährige Baudolino selbst geschrieben hat. Dass ein Kind, und gar ein Bauernsohn, in diesem Alter im 12. Jahrhundert überhaupt schreiben konnte, war schon ungewöhnlich. Baudolino war aber in jeder Hinsicht ein ungewöhnliches Kind. Sprachen kennen bereitete ihm überhaupt keine Probleme. Er musste nur den Menschen einige Zeit zuhören und konnte sich mit ihnen in deren Sprache verständigen.  Also die Sprache, die er benutzte, war in jeder Hinsicht seltsam: eine Mischung zwischen Lateinisch, italienischen Dialekten, Deutsch und noch andere Sprachen – eine schöne Herausforderung für Übersetzer uns Leser – und nicht nur die Sprache sondern auch die Rechtschreibung war seltsam. Das alles aber charakterisiert das kulturelle Niveau von Baudolino und gilt als Ausgangspunkt der Geschichte.

Die Geschichte ist ziemlich kompliziert, aber in großen Züge können wir sie kurz zusammenfassen: Kaiser Friedrich Barbarossa wird von seinem Ziehsohn durch eine kühne Idee überredet, eine Reise nach dem Fernen Osten zu unternehmen, um das Reich des von legendären Priesters Johannes finden zu können. Als Gegenleistung ihrer militärischen Beihilfe wollen sie von dem Priester den teuersten Schatz der christlichen Welt, den Gral abholen. Der Kaiser aber – nach einer Reihe von zahlreichen Abenteuern – stirbt unter ungeklärten Umständen. (Die Todesart von Barbarossa wird natürlich in Frage gestellt: Die Geschichte nach beim Schwimmen ertrunken? Oder, wie im Buch, vielleicht schon in der Nacht davor ermordet? Die Auflösung birgt sehr überraschende Wendungen… ) Baudolino fährt aber weiter mit seinen Freunden in das unbekannte Land hinter den für Europäer im 12. Jahrhundert erschlossenen Gebieten östlich vom Heiligen Land. Bizarre Gestalten bevölkern dieses rätselhafte Gebiet kurz vor dem bewohnten Ende der Welt. Dahinter liegt nur noch der Ozean und dann noch das Paradies. Und hier finden wir die Vorstellungen, die wir von den Seiten des Buches Milione schon kennen: wie sah der Mensch die Tiere und die Einwohner der Erde im 12. Jahrhundert. Da gibt es Wesen, die nur ein Bein in der Mitte mit einem großen Fuß besitzen und sich hüpfend schneller bewegen als die „normalen“ Menschen, oder Wesen mit dem Penis auf der Brust, ungeeignet für den Kampf, da sie gleich beim ersten Rempler „einen in die Eier kriegen“. Und es gibt Gestalten mit so großen Ohren, dass sie diese wie einen Mantel benutzen können.

Auch der Liebesfaden kann nicht fehlen – sogar zwei nacheinander: eine eher platonische Liebe zu Beatrix, der Frau von Barbarossa (siehe den Fall von Lancelot mit der Frau von König Artur), und die andere zu einer außergewöhnlichen Frau, die dann von Baudolino sogar heiratet wurde, aber die schöne Romanze hat aber eine tragische Ende.

Der Geschichte wird von einer dritten, außenstehenden Person zugehört, genauso wie bei Marco Polo. Der Hauptheld erlebt neulich, durch die Erzählung von der Geschehenen die Geschichte. Was aber vielleicht noch wichtiger ist: nicht nur erlebt, sondern wertet auch die Geschichte um, bemerkt neue Aspekte, versteht sogar einige, bis dahin unklare, oder eben trübe Eizelheiten. Das Werk von Eco könnten wir einen Schelmenroman nennen, oder historisches Abenteuer, aber auch die Wurzel der heutigen italienischen Probleme, sogar die Triebfeder eines rätselhaften Mordfalles sind auch im Ecos Buch zu finden. Es ist eine fantastische Erzählung aber auch ihr linguistischer Erfindergeist hat zu dem unglaublichen Erfolg des Werks beigetragen. Die Verschmelzung von Realität und Fantasie ist meisterhaft, dazu die ironische Schreibweise des Schriftstellers und die komischen Szenen steigern noch die Leselust. Interessante Einzelheiten handeln sich von den zeitgenössische bizantinische Küche, oder um die Philosophie von Abelair, um Streitgeschpräche über Teologie und Sprachwissenschaft und auch über die Beurteilung des Begriffs „LÜGE”… Baudolino erkennt seine Schuld als großer Lügner in seinem ganzen Leben an, auch wenn immer von Gutmütigkeit angeführt. Ein einziges Mal war er wahrhaft aufrichtig, da wurde aber seine Liebe Opfer des grausamen Schicksals… Es sind noch andere Szenen im Buch, die den Einfluss der Milione auch klar machen: unter den vielen märchenhaften Tierwesen finden wir die Geschichte mit dem Salamander, der auch dem Feuerbrand erstaunlicherweise entgehen kann, oder die Episode mit dem „grünen Honig” die auf die so oft im Munde geführte Szene von dem Alten des Gebirges (Veglio della Montagna) hinweist. Nicht zu vergessen die Beschreibungen über die Steine mit der Zauberkraft (die Kohle) oder eben die Charakterisierung von Presbiter Johannes.

Wenn wir die Reihe der Schriftsteller oder Dichter die das Buch von Marco Polo als litararische Quelle genutzt haben abschließen würden, würde die Weltliteratur einen großen Schaden erleiden, weil damit alle Interpretierungsmöglichkeiten und Geistesblitze der Zukunft ausgeschlossen werden könnten. Dann würden wir sogar eine Sünde begehen, da so große Persönlichkeiten der Weltliteratur Marco Polos Schrift studiert haben, wie Franz Kaffka, Italo Calvino, oder eben Umberto Eco. Höchste Zeit eine außergewöhnliche Weltanschauung abzustäuben, die in unseren übertriebenen technischen Alltagen schon fast

Beilagematerial No 1., :

Samulel Taylor Coleridge: Kubla Khan

oder eine Traumvision
ein Bruchstück

In Xanadu hat Kubla Khan
stattlich Lustschloß sich erbaut:
wo der heilige Aleph rann
durch Höhlen, unergründlich für jedermann,
in ein Meer, von Nacht umbraut.

Zweimal fünf Meilen fruchtbarer Grund,
umgürtet mit Mauern und Türmen rund.
Da gab‘s lichte Gärten, wie Brüste kühn,
so mancher Baum blühend in Flammen stand
und Wälder warn da, so alt wie das Land,
und Sonnenflecken im Grün.

Romantisch neigte sich tiefe Schlucht
in zedernbestandene Kuhle.
Ein heiliger Hain, so wild und verrucht,
den der schwindende Mond hat heimgesucht
wie das Weib der dämonische Buhle.

Und aus dieser Kluft, in ständigem Schäumen
in schwer atmendem Keuchen und Aufsichbäumen
sah mächtigen Geysir empor man stoßen.
und in seinem Ausbruch, verdreht und verzwirbelt,
tanzten und prallten steinerne Schloßen
wie Spreu vom Dreschflegel aufgewirbelt.
Und zwischen diesen tanzenden Brocken
sah man den heiligen Fluß emporrocken.
Fünf Meilen mäandernd in wirrem Lauf
durch Wälder und Täler der Aleph rann,
floss durch Höhlen, unergründlich für jedermann,
versank strudelnd in leblosem Ozean dann.
Und in diesen Lärm, der nimmer schwieg,
prophezeiten Kublas Vorfahren Krieg!

Des Schlosses Schatten sah ich schwellen
halbwegs über flutende Wellen,
wo das vermischte Gegroll
von Quellen und Höhlen erscholl.

Ein Wunder war’s, das braucht keinen Beweis:
ein sonniges Lustschloss mit Höhlen aus Eis!

Eine Jungfrau mit Hackbrett
in einer Vision einst ich sah,
eine abessinische Maid,
sie spielte gescheit,
besang den Berg Abora.
Könnt‘ ich in mir wiedererwecken
ihren Wohllaut und ihren Gesang,
so tiefe Wonne würd‘ mir das schenken,

dass ich aus diesem wohllautenden Klang
würd‘ baun jenes Schloss in die Luft,
jenes Sonnenschloss, jene Höhlen aus Eis!
Die ihr gehört habt, seid auf der Wacht,
alle solln rufen: Gebt acht! Gebt acht!
Seine blitzenden Augen, sein flutendes Haar!
Dreifachen Kreis um ihn man bau,
Augen in heiliger Furcht man schließ!
Denn er aß vom Honigtau
und trank Milch vom Paradies!“

( Übersetzung von Dietrich Feldhausen) (www.lyrik.ch/lyrik/spur3/coleridg/colerid1 kubla)

Beilagematerial No 2 :

Eine Kaiserliche Botschaft

Der Kaiser – so heißt es – hat dir, dem Einzelnen, dem jämmerlichen Untertanen, dem winzig vor der kaiserlichen Sonne in die fernste Ferne geflüchteten Schatten, gerade dir hat der Kaiser von seinem Sterbebett aus eine Botschaft gesendet. Den Boten hat er beim Bett niederknien lassen und ihm die Botschaft ins Ohr geflüstert; so sehr war ihm an ihr gelegen, daß er sich sie noch ins Ohr wiedersagen ließ. Durch Kopfnicken hat er die Richtigkeit des Gesagten bestätigt.Und vor der ganzen Zuschauerschaft seines Todes – alle hindernden Wände werden niedergebrochen und auf den weit und hoch sich schwingenden Freitreppen stehen im Ring die Großen des Reichs – vor allen diesen hat er den Boten abgefertigt. Der Bote hat sich gleich auf den Weg gemacht; ein kräftiger, ein unermüdlicher Mann; einmal diesen, einmal den andern Arm vorstreckend schafft er sich Bahn durch die Menge; findet er Widerstand, zeigt er auf die Brust, wo das Zeichen der Sonne ist; er kommt auch leicht vorwärts, wie kein anderer. Aber die Menge ist so groß; ihre Wohnstätten nehmen kein Ende. Öffnete sich freies Feld, wie würde er fliegen und bald wohl hörtest du das herrliche Schlagen seiner Fäuste an deiner Tür. Aber statt dessen, wie nutzlos müht er sich ab; immer noch zwängt er sich durch die Gemächer des innersten Palastes; niemals wird er sie überwinden; und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen; die Treppen hinab müßte er sich kämpfen; und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen; die Höfe wären zu durchmessen; und nach den Höfen der zweite umschließende Palast; und wieder Treppen und Höfe; und wieder ein Palast; und so weiter durch Jahrtausende; und stürzte er endlich aus dem äußersten Tor – aber niemals, niemals kann es geschehen -, liegt erst die Residenzstadt vor ihm, die Mitte der Welt, hochgeschüttet voll ihres Bodensatzes. Niemand dringt hier durch und gar mit der Botschaft eines Toten. – Du aber sitzt an deinem Fenster und erträumst sie dir, wenn der Abend kommt.” www.textlog.de/franzkaffka/einekaiserlichebotschaft

Literaturverzeichnis

www.lyrik.ch/lyrik/spur3/coleridg/colerid1 kubla zuletzt besucht am 15.08. 2010

Calvino, Italo (2002): Le città invisibili. Verona, Mondadori

Szénási Ferenc (2002): Italo Calvino. Budapest, Osiris-Századvég

Calvino, Italo (1977): Die unsichtbare Städte. (übersetzung von Heinz Riedt), München, Carl Hanser Verlag

Eco, Umberto (2000): Baudolino. Milano, Bompiani

Eco, Umberto (2003): Baudolino. übers. v. Burkhart Kroeber, München, Deutscher Taschenbuchverlag

Benedetto, Luigi Foscolo (1932): Il libro di Messer Marco Polo, cittadino di Venezia detto Milione, dove si raccontano Le Meraviglie del Mondo. Ricostruzione e traduzione del libro Le Livre de Marco Polo, a cura di G.Pauthier, Paris 1865. Milano-Roma: Bompiani

www.rcs.it/rcslibri/bompiani/_minisiti/eco/html/index_c.htm/ zuletzt besucht am

12-09-2003.

Eco, Umberto (2003): Baudolino. (übers. v. Burkhart Kroeber) München, Deutscher Taschenbuchverlag

Szénási, Ferenc (2002): Italo Calvino. Budapest, Osiris-Századvég

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