Rodica-Cristina Ţurcanu | Oana Mitrea — Sektionsbericht

Nr. 18    Juli 2011 TRANS: Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften


Section | Sektion: Städtische Welten in Industriegebieten – Kulturwandel, (Sprach)Kommunikation, Wissensgesellschaft | Urban Worlds in Industrial Landscapes – Cultural Changes, (Linguistic)Communication, Knowledge Society

Sektionsbericht

Städtische Welten in Industriegebieten
Kulturwandel, (Sprach)Kommunikation, Wissensgesellschaft

Rodica-Cristina Ţurcanu (Universitatea de Nord, Baia Mare, Rumänien) [BIO] |
Oana Mitrea (IFZ, Klagenfurt, Österreich) [BIO]


 Konferenzdokumentation |  Conference publication


 

Im Konzept der Sektion wurden kulturwissenschaftliche, soziologische, sozio-kulturelle, sprach- und kommunikationswissenschaftliche inter-, multi-, transdisziplinäre Forschungsannäherungen an die Stadt im Industriegebiet vorgeschlagen. So zum Beispiel aus der Sicht der Stadtsoziologie: produktive/schöpferische Städte als Knoten, Inkubatoren von Innovationen, ökonomische Ballungsräume, Informationszentren, Anbieter öffentlicher Güter (1) oder Städte als Orte und Quellen von Gegenwartsfragen. Städtische Welten in Industriegebieten sind zugleich produktiv/schöpferisch und herausfordernd (durch soziale und kulturelle Deprivation, Migration und häufiges Mobilitätsverhalten, Vergänglichkeit und Abwanderung, wobei die ursprüngliche Bevölkerung durch Neuankömmlinge ersetzt wird), Nutzungsverhalten gegenüber modernen Technologien. Im Zusammenhang mit diesen Aspekten wurden folgende Fragen gestellt: Welche soziokulturellen Typologien dieser Bereiche können beschrieben werden? (Die Stadt als Basar: “ein Ort des erstaunlichen Reichtums an Aktivitäten und Diversität”, die Stadt als Dschungel: dicht gepackt, kunstvoll miteinander verwoben, ein potentiell gefährlicher Ort, die Stadt als Organismus: ein System von spezialisierten Organen, die für das gemeinsame Wohl des Ganzen da sind, die Stadt als Maschine: die städtische Maschine ist entworfen, um Reichtum nur für bestimmte Menschen zu produzieren.(2) Welche kulturellen Herausforderungen stellen diese Gebiete dar? Welche Veränderungen können identifiziert werden? Wie kommunizieren die Bewohner der Gewerbegebiete miteinander? (Kommunikationsverhalten und Sprache: sozio-, ethno-, xeno-, migrationslinguistische Perspektive auf Sprecher-Sprache-Sprachgemeinschaft, Sprachkontakt, Mehrsprachigkeit, Sprachloyalität, Linguae francae, “alte” und “neue” Zwei- und Mehrsprachigkeit u.s.w., Vermittlung der Kommunikation) Welche Aspekte der Inklusion und Exklusion in der Informations/Wissensgesellschaft (Zugang zur Information, Informationsverarbeitung, Medienkompetenz) können identifiziert werden? Weitere Vorschläge betrafen Themen und Fragen wie Kommunikation und technologische Kultur in der Wissensgesellschaft, Interkulturalität oder Invasion der technologischen Begriffe und Konzepte? Ist die Wiederherstellung regionaler Industrie und Sprachen möglich ?

Räumlich gesehen umfasst die Sektion Beiträge zu Forschungsinteressen stabil etablierter Gesellschaften Mitteleuropas (Österreich) und Osteuropas (Russland) und der sich noch im Zuge der Umwandlungen auf allen Ebenen des sozio-ökonomischen Lebens befindenden Staaten Mittelosteuropas (Ungarn, Slowakei, Rumänien).

Thematisch gesehen sind 2 Forschungsrichtungen (Sprache / Kommunikation und Stadt als Ganzes) mit 4 Schwerpunkten zu unterscheiden. Diese führen von (1) theoretischen Überlegungen (kognitive Semantik) betr. Eigenartigkeit jeder einzelnen Sprachwelt (Sprache wiederspiegelt nicht die reale Welt, sondern ihre mentale Auffassung bzw. Vorstellung, die sich aufgrund der menschlichen Erfahrung und Wahrnehmung bildet (Solodilova)), über Sprachkommunikation in ökonomischen und kulturellen Globalisierungsbedingungen (Kontríková, Biris, Banciu, Jireghie, Dolinska) bis hin zur Notwendigkeit der Anwendung (2) sozio-kulturellen und sprachlichen Wissens in Verstehen, Handhabung, Ver- und Auswertung von Informationen durch ihre ko-operierenden Besitzer (Pomffyova). Forschungsinteressen der Beitragsautoren aus Rumänien und der Slowakei betreffen hauptsächlich die gegenwärtige Problematik mit der sich Individuum und Gesellschaft im Bereich Kommunikation und Arbeit im sozio-ökonomischen Bereich städtischer Welten konfrontieren, nachdem bedeutende politisch-ökonomische und sozio-kulturelle Umwandlungen stattgefunden haben und Schritte in der Informationsgesellschaft als Grundlage der Wissensgesellschaft getan wurden. Andererseits polarisieren Forschungsinteressen zu (3) Werdegang von Städten und städtischen Kulturen, “motion captures” von Übergangsmomenten, Überlieferungen, Wiederbelebung, Umgestaltungen, Umwandlungen ganzer Gemeinschaften in der Diachronie, punktuell in geschichtlichen Kreuzpunkten und in der Synchronie (Dărăbuş, Ţurcanu, Kegyes, Biriş) oder bieten Zukunftsvisionen (4) zu hybriden Systemen zur Vermittlung zwischen Mensch und Umwelt in Städten der Zukunft (Mitrea).

Sprachlich und kooperativ-grenzüberschreitend gesehen: es wurden 8 individuelle (Österreich, Ungarn, Rumänien, Slowakei, Slowakei/Rumänien, Serbien/Rumänien, Russland) und 3 Team-Beiträge (Rumänien, Sloiwakei/Rumänien) präsentiert – davon 1 Beitrag in französischer, 3 Beiträge in englischer und 7 in deutscher Sprache.

1) Theoretisch geht Irina Solodilova (Staatliche Universität Orenburg, Russland) auf Fremdsprache und kognitive Semantik ein. Die Eigenartigkeit der Sprache ist durch die Eigenartigkeit der menschlichen Kognition bedingt, die seinerseits kulturell, sozial, national “programmiert” wird. Der einzig richtige Weg zum erfolgreichen Erlernen einer Fremdsprache besteht im Verstehen bzw. Aneignen der Art und Weise, wie die sprachlichen Formen und Kategorien die sozial-historische Erfahrung der Menschen wiederspiegeln. Übersetzung ist lediglich ein Deutungsakt, erforderlich ist die Dekodierung des Wortes im Kontext seiner Herkunftskultur. Zwei Beispiele aus der Arbeitswelt sind relevant: müde bzw. fleißig sind im Russischen mit schlafen bzw. lernen verbunden, im deutschsprachigen Raum kann man am Morgen müde sein fleißig seine Arbeit erledigen, ohne schlafen zu gehen oder Schüler zu sein.

2) Englisch und Globalisierung rufen neue Spracherscheinungen in Aufnehmesprachen hervor. Iveta Kontríková (Matej-Bel-Universität, Slowakei) und Rodica Teodora Biriş (Vasile- Goldiş-Westuniversität, Arad, Rumänien) beobachten Deutsch und Slowakisch und finden neue Kompositionstypen in beiden Sprachen. Es handelt sich um Übernahmen aus anderen Sprachen, welche unter dem Einfluss internationaler Wortbildungsmodelle entstehen; im Slowakischen wirken sich manche dieser Kompositionstypen sogar auf die Aussprache aus.

  • Zu Hause ist kein nationaler Begriff mehr behaupten Viorica Banciu und Forschungsteam (Universität Oradea/Großwardein, Rumänien); Migration, Erziehung und Sprache interagieren auf komplexe Art und Weise, wobei hauptsächlich Migration tiefe Umwandlungen in Erziehung, Familie, Sprach- und Sprachkontaktgebrauch hervorrufen. Für Rumänien z.B., ist Migration mit einem Intelligenz-Aderlass vergleichbar bzw. mit dem Verlust von Eliten.
  • Für Angela Jireghie und Forschungsteam (Vasile-Goldis-Westuniversität Arad/Universität Oradea) sind Englisch und Wettlauf der sich mit dem Englisch der Globalisierungsära vergleichenden Sprachen ein Forschungsfeld, besonders was Sprache für spezifische und berufliche Zwecke anbelangt; die Sprache der Wissenschaft wird unter ihrer soziolinguistischen Dimension analysiert, welche sowohl Text- als auch lexisch-grammatische Wahl beeinflussen und der wissenschaftlichen Kommunikation symbolischen Wert verleihen. Soziolinguistisch, kulturell und historisch bestimmende Variablen der wissenschaftlichen Kommunikation und das Verhältnis zwischen Rumänisch und Mehrsprachigkeit werden in Betracht genommen. Von individueller oder sozietaler Mehrsprachigkeit sollte, abhängig von Werten und Bedürfnissen im kulturellen Kontext, Gebrauch gemacht werden, obwohl Englisch als lingua franca die meist verwendete Sprache tertiärer Bildung und wissenschaftlicher Veröffentlichungen ist, denn sprachliche Diversität ist genauso erwünschenswert wie kognitive Diversität.
  • Informatische Revolution bedeutet wie Information verstanden wird und aber auch wie mit Information durch ihre Eigentümer/Besitzer in ihrer “Ko-Operation” gehandelt wird. Neue Märkte, neue Dienstleistungen als Produktzusatzwert, Produktionsumstellung auf neue Produktauswahl, abhängig von Nachfrage und Kunde, erfordern Orientierung in Geschäftsbedingungen d.h. aktuelle und verwertbare Information, Flexibilität, Anpassung an das unterschiedliche und wechselhafte ökonomische, gesetzliche, soziale, demographische und kulturelle Umfeld. Zusammenarbeit und Kooperation der Organisationen in dem virtuellen Arbeitsraum über Multimedia-Technologien und Kommunikationsinstrumente ist zwar eine Lösung, erforderlich sind aber sprachliches und multikulturelles kommunikatives Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten im Rahmen unterschiedlicher Aufgaben der Geschäfts- und Wirtschaftspraxis. Die Schaffung einer offenen, optimierten Kommunikationsstruktur als Träger des on-line-Informationsaustausches gestaltet den Entscheidungs- und Managementvorgang flexibler und operativer. (Maria Pomffyova, Matej-Bel-Universität, Banska Bystrica, Slowakei).
  • Eine Lehr-Lernstruktur in einer slowakischen multinationalen Company ist kein Garant implementierter Betriebskultur. Es ist trotzdem der beste Weg zu innovativen Ideen und zur Fundierung der Wissenskultur; dabei dürfte auch die Entdeckung der eigenen Kultur möglich sein. Lernen im Betrieb ist eine Investition in die Zukunft. Solch eine Organisation innerhalb des Betriebs wird zum Bestandteil der Betriebskultur, die Arbeitnehmer akzeptieren sie als gemeinsamen Wert zur Unterstützung der Symbiosis Organisation-Arbeitnehmer. Eine Informantenbefragung ergibt, dass sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber der Bedeutung von Bildung und Selbstbildung im Betriebsrahmen bewusst sind und nennen ähnliche Trends in ähnlichen andertweitigen Organisationen. (Viktoria Dolinska, Matej-Bel-Universität, Banska Bystrica, Slowakei)

3) Städtebilder

  • Baia Mare, Rumänien: Anhaltspunkte im Beitrag sind: Aufstieg, Gedeihen, Umwandlung / Mentalitäts-und Interessenumstellung, Multikulturalität, Mehrsprachigkeit Wirtschafts-, Kommunikations-, Sprach- und Kulturverhältnisse in der ehem. repräsentativen mitteleuropäischen Bergbaustadt; zeit/ ideologiespezifische wie auch ökonomisch gewinnbringende Entwicklungen bis z.Z.; Korrelationen: Sprachgebrauch/kontakt und Arbeits-, Investitions-, Managementsmobilität vor und nach 1989; Auswirkungen der wirtschaftlichen und kulturellen Globalisierung: Verlagerung abendländischer Kapazitäten, Investitionen; neue Mehrsprachigkeit und Multikulturalität; offener europäischer Arbeitsmarkt und -migration (Rodica C. Ţurcanu, Norduniversität Baia Mare);
  • Schemnitz, Slowakei: Mehrsprachige und multikulturelle Tradition der Bergbaustudenten über mehrere Jahrhunderte werden in Lehrwerken, Valetenbüchern und anderen Dokumenten in der Bibliothek der Bergakademie, wie auch in der gegenwärtigen Studentensprache entdeckt. (Erika Kegyes, Univ. Miskolc, Ungarn);
  • Sighet, Rumänien: Die Verstädterung z.Z. der sozialistischen Industrialisierung war ein mit sozialen, ökonomischen, politischen Umwandlungen korrelierter Vorgang; die Spezifik der rumänischen Kultur der Industriestadt wurde von dem politischen Faktor geprägt; doppelte Alienation des Individuums durch allgemeine Urbanitätscharakteristika: die politische Struktur zwang dem Individuum ein Doppelleben auf, ländliche und neue (industrie)städtische Lebensweisen überlappen sich; ersetzt werden rurale Sitte und Brauch durch ideologisch auferlegten Zwang. (Carmen C. Dărăbuş, Universität Novi Sad, Serbien/Norduniversität Baia Mare, Rumänien);
  • Arad, Rumänien: Überlieferung und Umwandlung: deutsches Kulturleben der Stadt, die Rolle des deutschen Staatstheaters und der Medien: Zeitungen, Rundfunk und Fernsehsendungen in deutscher Sprache. Aus- und Ansiedlungen: deutschstämmige Bevölkerung ist ausgewandert, das Personal neuangesiedelter Unternehmen und Lehrer pflegen die deutsche Sprache in Arad. (Rodica T. Biriş, Vasile-Goldiş-Universität, Arad, Rumänien)

4) Zukunftsvisionen über Städte bietet Oana Mitrea (IFZ, Klagenfurt, Österreich) in dem Beitrag zu hybriden Systemen als Vermittler zwischen Mensch und Umwelt in den Städten der Zukunft, zu neuesten “intelligenten” Technologien (dynamic ride-sharing, traveler information systems), wie diese ganze Stadtgebiete neugestalten können und worin die Bedeutung hybrider physischer und virtueller Räume besteht.

Näher wird die kommunikative Mobilität in den hybriden städtischen Gemeinschaften der Zukunft (humans-artificial agents) as distributed agency in various hybrid constellations- betrachtet. Die soziologische Perspektive auf Hybridsysteme trägt zum Verstehen der komplexen Handlungen und ihrer Konsequenzen in der veränderten mit Information und Kommunikation bereicherten Welt der Mobilität bei, welche mit unerwarteten Auswirkungen der eingesetzten Lösungen und dynamischen Interaktion zwischen technischen, menschlichen und sozialen Systemen rechnen muss. Virtuelle Verbindungsmöglichkeiten dürften überraschende Entwicklungen im Kontext intelligenter Kommunikations- und Mobilitätshandlungen erfahren.


Anmerkungen:

1 Harris, John, R. (1984): Economics: Invisible, Productive and Problem Cities; in Cities of the Mind. Images and Themes of the cities in the Social Sciences, edited by Lloyd Rodwin and Robert M. Hollister, New York and London: Plenum Press, pp.37–54 2 Langer, Peter (1984): Sociology – Four Images of Organized Diversity: Bazaar, Jungle, Organism and Machine, in Cities of the Mind. Images and Themes of the cities in the Social Sciences, edited by Lloyd Rodwin and Robert M. Hollister, New York and London: Plenum Press, pp. 97–117


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For quotation purposes:
Rodica-Cristina Ţurcanu | Oana Mitrea: Sektionsbericht: Städtische Welten in Industriegebieten.
Kulturwandel, (Sprach)Kommunikation, Wissensgesellschaft –
In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 18/2011.
WWW: http://www.inst.at/trans/18Nr/I/sektionsbericht_I.htm

Webmeister: Gerald Mach     last change: 2011-07-03