Arnold Grohl – Farbbegriffe indigener Kulturen

Nr. 18    Juni 2011 TRANS: Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften


Section | Sektion: Colours and Culture | Kulturfarben – Farbkulturen |
Couleurs des cultures – cultures des couleurs

Farbbegriffe indigener Kulturen

Arnold Groh (Technische Universität Berlin, Deutschland) [BIO]

Email: a.groh@berlin.de


 Konferenzdokumentation |  Conference publication


 

Zusammenfassung;

Das von Berlin & Kay (1969) vorgelegte Konzept, dem zufolge es in indigenen Sprachen keine Farbbegriffe gebe, wurde in einer Untersuchungsreihe überprüft. Die Erhebungen fanden bei indigenen Kulturen in Südostasien, Indien und Afrika statt. Die dort jeweils präsentierten Standardfarben wurden von den indigenen Sprechern in ihrer jeweiligen Sprache benannt. Dabei wurde deutlich, dass charakteristischerweise diese Benen­nungen den in europäischen Sprachen üblichen Expertenbegriffen entsprechen, welche ein hohe Präzision mittels metonymischer, auf Referenzobjekte bezogene Bezeichnungen erreichen.

 

1. Einleitung

Berlin & Kay (1969) stellten ein Stufenkonzept vor, dem zufolge indigene Kulturen in ihrer jeweiligen Sprache zunächst nur zwischen Schwarz und Weiß unterscheiden könnten. Erst im Laufe einer angenommenen Entwicklung tauchten Farbbegriffe auf, bis dass auf der siebten und höchsten Stufe, der sie sich selbst als US-Amerikaner zuordneten, Farbbezeichnungen in großem Umfang vorlägen.

 

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Abb. 1:   Die „Stufen“, nach denen eine „Evolution“ von Farbbegriffen erfolgen
(nach Kay, 1975, p. 261)

Dieses Konzept bildete zusammen mit einem weiteren Konzept die Grundlage für eine Reihe von Studien in den 1970er Jahren (Heider, 1971, 1972; Heider & Olivier, 1972), die Eingang in psychologische, kognitions- und kommunikationswissenschaft­liche Lehrmeinungen fanden. Das zweite Konzept ist das sogenannte Linguistische Relativitätsprinzip, dem zufolge nur das gedacht werden könne, wofür es sprachliche Begriffe gibt.(1)

Vereint man diese beiden Ideen, so ergibt sich das Postulat, dass Indigene keine Farbe denken könnten, da sie keine Worte dafür besäßen. Die Studien, die auf dem Zusammenspiel der beiden Konzepte beruhten, erfolgten nach einem Grundschema, bei dem den Indigenen zunächst einige farbige Chips gezeigt wurden. Diese Chips wurden dann wieder fortgenommen und danach zusammen mit vielen weiteren Chips, die andersfarbig waren, gezeigt. Träfen beide Konzepte zu, so dürften die Indigenen die zuvor gezeigten Chips nicht zwischen den anderen Chips wieder­erkennen können, da sie ja deren Farbe nicht denken könnten. Entgegen der Erwartung waren die Indigenen in jenen Studien jedoch durchaus in der Lage, die anfänglich präsentierten Chips zwischen den anderen zu benennen.

Konsequenterweise hätte man nun gezielt überprüfen müssen, welches der zugrunde liegenden Konzepte unzutreffend sei. In der damaligen Forschunglinie wurde das Konzept von Berlin & Kay aber weitgehend unhinterfragt akzeptiert, und die betref­fenden Forscher wagten in der Diskussion ihrer Ergebnisse lediglich zu vermuten, dass das Linguistische Relativitätsprinzip möglicherweise nicht vollumfänglich zutreffe.

 

2. Überprüfung indigener Farbbezeichnungen

In einer Untersuchungsreihe, die sich von 1997 bis 2009 erstreckte, haben wir mittels eines speziell auf die Fragestellung des Vorliegens indigener Farbbezeichungen aus­gerichteten Designs Daten in indigenen Kulturen erhoben (Groh, 2011). Hierbei war das grundsätzliche Vorgehen folgendermaßen: Zunächst wurden Tests zur Überprüfung der Farbsehtüchtigkeit – mittels Pflügerhaken-Test von Velhagen (1980) und Ishihara-Tafeln 11 und 14 (Ishihara, 1917) – durchgeführt, um sicherzustellen, dass die anschlie­ßend präsentierten Farben tatsächlich wahrgenomen werden konnten. Es wurden so­dann standardisierte Farbtäfelchen präsentiert, und die Befragten wurden gebeten, sie in ihrer Sprache zu benennen. Diese Benennungen wurden aufgezeichnet. Schließ­lich wurden Muttersprachler der jeweiligen Sprachen, die zugleich eine europäische Sprache beherrschten, gebeten, die aufgezeichneten Begriffe zu übersetzen.

 

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Abb. 2: Test auf Farbenblindheit mit einer der 16 Tafeln des Pflügerhaken-Tests (Velhagen, 1980)(2)

 

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Abb. 3 a, b: Tafeln 11 und 14 des Ishihara-Tests (Ishihara, 1917)

 

Die erste dieser Untersuchungen erfolgte bei den Dani auf Neuguinea, da dies die Kultur ist, bei der jene Studien erfolgten, die ab den 1970er Jahren starken Einfluss auf den wissenschaftlichen Diskurs hatten. Weitere Daten erhoben wir in Nigeria, Benin, Togo, Kamerun, Südafrika und Indien. Die präsentierten Farben waren: Gelb, Rot, Blau, Grün, Orange, Braun, Schwarz, Weiß, Violett, Türkis.(3)

 

3. Ergebnisse

Es zeigte sich zwar durchaus ein Zusammenhang zwischen traditioneller Lebens­weise und Art der Farbbegriffe, jedoch ist dieser Zusammenhang von völlig anderer Art, als dies die Studien im Umfeld des Konzepts von Berlin & Kay (1969) sugge­rieren.

Zunächst ist deutlich zu machen, dass Indigene Farben bezeichnen können, und dass die von ihnen benutzten Farbbezeichnungen in der Regel präziser sind als die abstrak­ten Farbbegriffe europäischer Sprachen. „Rot“, „Grün“ oder andere Farbworte, die nach Berlin & Kay (1969) als “basic color terms“ zu bezeichnen wären, sagen nämlich noch längst nicht aus, was für ein Rot, was für ein Grün etc. im Einzelfall gemeint ist. Erst im Expertenjargon unserer Sprachen wird die Farbbezeichung näher präzisiert, indem beispielsweise ein Grün als Mint, Lind oder Oliv benannt wird. Die Präzision wird dabei durch Verweis auf ein Objekt erzielt.

In indigenen Sprachen werden in vielen Fällen von vornherein derartige metonymi­sche, auf Referenzobjekte bezogene Farbbezeichungen verwandt. In den von uns untersuchten Kulturen ist dies bei denjenigen, die sehr traditionell leben, etwa bei den Bagyeli-Pygmäen, hinsichtlich der meisten von uns erfragten Farben der Fall, so dass nur vereinzelt Farbbegriffe vorliegen, die nicht auf ein Objekt verweisen. Wir fanden jedoch eine größere Häufigkeit von abstrakten Farbbegriffen dort, wo nicht mehr traditionell gesammelt und gejagt wird, sondern eine stärkere Funktionalisie­rung vorliegt, wie bei den südafrikanischen Venda. Es ist darauf hinzuweisen, dass das Auftreten nichtmetonymischer Farbbegriffe nicht der von Berlin & Kay (1969) postulierten Stufenabfolge entspricht.

Die in unserer Untersuchungsreihe gefundenen Daten lassen sich als ein linguistisches Phänomen des Kulturwandels erklären. Die hohe Präzision der Farbbezeichnung in den Sprachen traditioneller indigener Kulturen geht mit einer allgemeinen hohen sprachlichen Präzision einher, bei der in der Regel auch eine höhere grammatische Komplexität vorhanden ist. Wenn derartige Kulturen einander überlagern, so tritt das auf, was als Foreigner-Talk bezeichnet wird. Die soziolinguistische Funktion dieser Vereinfachung besteht darin, dass sie die Kommunikation zwischen Menschen unter­schiedlicher Sprachherkunft gewährleistet. Im historischen Verlauf der Kultursynthese fallen dann Endungen und Artikel weg. Kulturen, die aus der Synthese zweier oder mehrerer Vorläuferkulturen hervorgegangen sind, können wiederum einander über­lagern und miteinander in Synthese treten usw. Ein Beispiel einer Sprache, die aus besonders vielen Überlagerungen hervorgegangen ist, stellt das Englische dar, in dem die früheren Flexionen, so wie vieles Weitere, nicht mehr existieren. Die sprach­liche Vereinfachung findet im Kontext von Wandlungsprozessen statt, die aus den kulturellen Überlagerungssituationen resultieren und mit stärkerer Funktionalisierung der Gesellschaft einhergehen. So lassen sich Kulturen in einem Spektrum verorten, dessen eines Ende traditionelle und archaische Kulturen repräsentiert, und an dessen anderem Ende sich die global vernetzte Industriekultur befindet (Groh, 2005).

 

Beispiele metonymischer Farbbezeichnungen

Kultur/Sprache Begriff Farbbedeutung Objektbezug Dani mep Rot Blut Ibo/Igbo uhie Rot Blut Bagyeli/Gyele mbiliashye Schwarz Holzkohle Venda/Tshivenda muridiri Rot bestimmte Baumwurzel; Textilart Venda/Tshivenda dala Grün Laub Soliga arishina Gelb Kurkuma (Gewürz)

Tabelle 1

Beispiele nichtmetonymischer Farbbezeichnungen

Kultur/Sprache Begriff Farbbedeutung Dani loge Braun Ibo/Igbo akwukwo ndu Grün Venda/Tshivenda dzivhalamtada Gelb Venda/Tshivenda lufhafhalwandadzi Violett Venda/Tshivenda tshitopana Orange

Tabelle 2

 

4. Schlussbetrachtungen

Der Diskurs über die Fähigkeiten der Indigenen, Farben zu bezeichenen, ist auch ein psychologisches Phänomen. Die Zeit, in der er stattfand, war noch stark von der Epoche der Kolonialherrschaft geprägt. So kam es zu akademischen Publikationen, aus deren Perspektive traditionelle außereuropäische Kulturen primitiv im Sinne von generell inkompetent erschienen. Indigene, die Farben so differenziert bezeichnen, wie dies im europäischen Sprachraum (zu dem auch die von Europäern besiedelten Regionen der Neuen Welt zählen) Experten tun, passten nicht in dieses Bild. Es klingt in den damaligen Fachartikeln nicht nur ein herablassender Tonfall in Bezug auf die Indigenen hindurch, sondern es werden auch Befunde verzerrt, um sie passend zu machen. So wurden die Dani-Worte mola und mili kurzerhand als hell und dunkel wiedergegeben. Allerdings bezeichet mola die grelleren und mili die gedämpfteren Farben. Damit stehen den Dani in ihrer Sprache differenziertere Worte zur Verfügung, um etwas als bunt oder farbig zu bezeichnen. Diese als hell und dunkel wiederzugeben, war jedoch besser mit dem Konzept vereinbar, dem zufolge Kulturen auf der postulierten „Stufe I“ lediglich Begriffe für Schwarz und Weiß besäßen. An dieser Stelle lässt sich anmerken, dass das Englische nicht einmal einen “basic term“ für „bunt“ besitzt; um dies auszu­drücken, muss eine Umschreibung mit der Bedeutung „farbenvoll“ bemüht werden.

Die damaligen Missverständnisse hätten durch integrative, minimal-invasive For­schungsmethoden vermieden werden können. So hätte man auch zu jener Zeit schon die Indigenen erklären lassen können, wie sie Farben bezeichenen. Es scheint leider so, als seien die Befragten während der damiligen Untersuchungen eher als unmündige Wilde betrachtet worden, denen man kaum etwas Sinnvolles zutraute.

Das Einhalten minimal-invasiver Methoden wird auch in Zukunft von Bedeutung sein, da der Feldforschung weiterhin eine wichtige Rolle zukommen wird. Denn um bei Fragestellungen, die menschliches Verhalten betreffen, anthropologische Konstanten von kulturspezifischen Merkmalen zu trennen, sind kulturvergleichende Untersuchungen notwendig. Allerdings kann in der Feldforschung vieles misslingen, wenn die adäquaten Methoden nicht konsequent umgesetzt werden. Um überhaupt brauchbare Aussagen im Rahmen einer kulturvergleichenden Studie treffen zu können, müssen die Kulturen, die miteinander verglichen werden, wirklich unterschiedlich sein. Eine wichtige Voraus­setzung für die Gewinnung valider Daten besteht darin, dass die besuchte Kultur, die ja eine entscheidende Rolle hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes spielt, so wenig wie möglich beeinflusst wird. Ein Physiker, der die Temperatur eines Raumes messen will, würde sicherlich keinen Heizkörper aufstellen, bevor er die Messung vornimmt. Ebenso sollte das eigene Auftreten bei Untersuchungen in indigenen Kontexten so gestaltet sein, dass der Einfluss auf die andere Kultur weitgehend reduziert wird. Im Übrigen wäre eine Maßnahme, die den Effekt einer Destabilisierung der besuchten indigenen Kultur hat, ein Verstoß gegen internationales Recht, da seit 2007 die UN-Indigenenrechtserklärung in Kraft ist.(4)

Unter Berücksichtigung dieser methodischen Aspekte kann Feldforschung jedoch erheblich zum Verständnis sowohl des kulturübergreifend menschlichen, als auch kulturspezifischen Verhaltens, ebenso wie auch inter- und transkultureller Phänomene beitragen. In diesem Sinne wären von weiteren Studien, die in analoger Weise kognitive Kategorisierungen in anderen Wahrnehmungs- und Kommunikationsbereichen unter­suchen, wertvolle Ergebnisse zu erwarten. Denn nachdem wir den Zusammenhang von Kultur und Farbbezeichnungen betrachtet haben, könnten wir Vergleichbares im Hinblick auf Düfte, Klänge oder die Haptik tun.

 

Literatur:

  • Berlin, B. & Kay, P. (1969). Basic color terms. Berkeley: University of California Press.
  • Groh, A. (2005). Globalisation and indigenous identity. Psychopathologie africaine, 33, 1, 33-47.
  • Groh, A. (2011). Indigene Farbbezeichnungen. In: Groh, A. (Hrsg.): Was ist Farbe? Berlin: Weidler (im Druck)
  • Heider, E. Rosch (1971). ”Focal“ color areas and the development of color names. Developmental Psychology, 4, 3, 447-455.
  • Heider, E. Rosch (1972). Universals in color naming and memory. Journal of Experimental Psychology, 93, 1, 10-20.
  • Heider, E. Rosch & Olivier, D. C. (1972). The structure of the color space in naming and memory for two languages. Cognitive Psychology, 3, 337-354.
  • Ishihara, S. (1917). Test for colour-blindness. Tokyo: Handaya.
  • Kay, P. (1975). Synchronic variability and diachronic change in basic color terms. Language and Society, 4, 257-270.
  • Kay, P. & McDaniel, C. K. (1978). The linguistic significance of the meaning of basic color terms. Language, 54, 3, 610-646.
  • Lehmann, B. (1998). ROT ist nicht »rot« ist nicht [rot]. Eine Bilanz und Neuinterpretation der linguistischen Relativitätstheorie. Tübingen: Narr.
  • Velhagen, K. (1980). Pflügerhaken-Tafeln zur Prüfung des Farbensinnes. Leipzig: Thieme.

Anmerkungen:

1 Das Linguistische Relativitätsprinzip wird üblicherweise Edward Sapir und Benjamin Lee Whorf zugeschrieben. Wie Lehmann (1998) zeigt, hat aber weder Sapir noch Whorf dieses Konzept in dieser Radikalität formuliert. 2 Foto: Arnold Groh 3    Im ersten Teil der Untersuchung war dies ein HKS-Folienfächer, danach wurden NCS-Farben benutzt. 4 Vgl. Art. 8, 2a der United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples.


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For quotation purposes:
Arnold Grohl: Farbbegriffe indigener Kulturen –
In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 18/2011.
WWW: http://www.inst.at/trans/18Nr/II_11/groh18.htm

Webmeister: Gerald Mach     last change: 2011-06-14