Olga Kolomiytseva — Die Bezeichnungen für Terroristen im internationalen Vergleich

Nr. 18    Juni 2011 TRANS: Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften


Section | Sektion: Interkultureller Dialog im Mediendiskurs der Informationsgesellschaft

Die Bezeichnungen für Terroristen im internationalen Vergleich
(anhand der BRD-Presse)

Olga Kolomiytseva (Architektur-Universität Samara, Russland) [BIO]

Email: kolomiytseva@yahoo.com

 

Heute eint die Angst vor Terrorismus Russland, den Nahost, die USA und die Länder Europas, deshalb ist heutzutage das Problem des Terrorismus eines der akutesten Probleme für sehr viele Staaten in der Welt. Alle sind sich darin einig, dass der Terrorismus bekämpft werden soll und die Terroristen keine Zuflucht finden dürfen. In unserer Studie haben wir zu diesem Thema in den Online-Zeitungen „Die Zeit“, „Süddeutsche Zeitung“ (im folgenden SDZ) und „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) geforscht. Alle diese Zeitungen gehören zu der sogenannten „Qualitätspresse“. „Qualitätszeitungen“ und „Qualitätszeitschriften“ sind an solche Leser adressiert, deren Informationsbedürfnisse überwiegend mit dem Geschäftsleben und wichtigen Weltereignissen verbunden sind. Deswegen sind für solche Massenmedien analytische Artikel typisch, die relativ objektiv, klar und deutlich geschrieben sind und einen bestimmten Themenbereich umfassen.

Wir haben die Artikel, die dem Thema „Terrorismus“ gewidmet sind, untersucht und sind zu einer bemerkenswerten Schlussfolgerung gekommen. Wie es sich herausstellte – obwohl die Erfahrung lehrt, dass sich der Kampf gegen den Terrorismus heutzutage nur mit internationaler Kooperation und Solidarität gewinnen lässt – verwenden die Journalisten ganz unterschiedliche Nominierungen für die Terroristen, und das hängt damit zusammen, wie sich die Journalisten zu ihnen verhalten. Mit anderen Worten kann die Nominierung die politische Position des Journalisten preisgeben. Sehr oft verwenden die Autoren der Zeitungsartikel keine direkten Nominierungen, sondern Euphemismen oder Disphemismen, auf solche Weise versucht man die direkte Nominierung zu verhüllen.  

Euphemismus ist beschönigende, verhüllende, mildernde Umschreibung für ein anstößiges oder unangenehmes Wort [so Duden 2006].„Der Euphemismus gilt in der Rhetorik als Tropus, als Ersetzung der unmittelbaren, als unerlaubt, unhöflich oder anstößig geltenden Bezeichnung durch eine umschreibende, abschwächende, beschönigende, umbenennende. Linguistisch gesehen tilgt der Euphemismus “aus einer für objektiv geltenden Aussage Seme, die störend oder überflüssig erscheinen und substituiert ihnen neue Seme” mit der pragmatischen Zielsetzung der Vermeidung unangenehmer psychischer Reaktionen. Die negative affektive Konnotation wird neutralisiert oder in eine positive Konnotation umgewandelt“ [so Schröder nach Zöllner 1998-1999:13].Euphemismen werden also häufig in der Mediensprache benutzt, um etwas besser darzustellen, als es in Wirklichkeit ist.

Bisher gibt es keine weltweite Definition von “Terrorismus”. Deshalb fallen manchmal unter Terrorismus auch solche Ereignisse wie spontane Gewaltausübung, Gewaltaktionen der organisierten Kriminalität, Partisanenkämpfe und Guerilla. Und was in einem Land als wirklicher Terror angesehen wird, kann in einem anderen Land ganz anders betrachtet werden – zum Beispiel als ein Befreiungskrieg. Es führt jedoch zur Verwendung von Euphemismen für die Bezeichnung von Terroristen und für die Gewaltaktionen, die von ihnen ausgeübt werden.

Laut unserer Hypothese verwenden deutsche Journalisten Euphemismen, um die Sympathie gegenüber tschetschenischen und anderen in Russland handelnden Terroristen bei den Lesern zu erwecken, da Deutschland die Handlungen Russlands im Nahost verurteilt und die Terroraktionen der Tschetschenen sind quasi Abwehrreaktionen gegen grausamen Operationen und Rachefeldzüge der russischen Armee. So versuchen deutsche Journalisten zu zeigen, dass die Terroristen, die ihre Terrorakte in Russland verüben, gar keine Terroristen sind, während europäische Terroristen „echte“ Terroristen sind. Die direkten  Nominierungen der in Europa handelnden Terroristen werden in der Bundespresse häufig sogar durch Disphemismen ersetzt. Der Disphemismus (der Kakophemismus) zeitigt eine zum Euphemismus entsprechend reziproke Wirkung, das heißt, er verschlechtert die Bedeutung der direkten Nominierung.

Die in Europa und in den USA handelnden Terroristen werden in der Bundespresse häufig Amokläufer, Fanatiker, Verrückte, Serienkiller und Massenmörder genannt. Ganz anders steht es um die Terroristen, die an der Geiselnahme im Moskauer Musical-Theater an der Dubrowka, am Terroranschlag auf eine Schule in Beslan, an mehreren Attentaten auf die Moskauer Metro und an anderen zahlreichen gewaltsamen Angriffen schuldig sind. Diese werden Attentäter, Rebellen, Freiheitskämpfer, Widerständler, Gotteskrieger genannt. Manchmal auch werden direkte Nominierungen verwendet (Terroristen). Wir haben eine lexikographische Analyse durchgeführt und festgelegt, dass die Bedeutung dieses Wortes aus vier Semen besteht:

  1. Anhänger des Terrorismus.
  2. Jemand, der Gewaltakte verübt.
  3. Jemand, der Angst und Schrecken verbreitet.
  4. Jemand, der gegen den Staat (die Regierung), gegen das Recht vorgeht.

Fällt eines oder mehrere dieser Seme aus, ist die Nominierung ein Euphemismus.

An folgenden Beispielen kann man also ganz klar sehen, welche Nominierungen für die in Europa und in den USA handelnden Terroristen in der Bundespresse verwendet werden. Direkte Nominierungen werden verwendet, aber am meisten sind es Disphemismen.

  1. Eine besondere Bedeutung messen die Verfassungsschützer einer neuen Gruppe von Terroristen zu, die der zweiten Einwanderergeneration angehören und in Deutschland aufgewachsen sind. (Die Zeit 19.05.2009)
  2. Zudem wurde er für schuldig befunden, den Al-Qaida-Terroristen Bekkay Harrach, der in Videos mit Anschlägen in Deutschland drohte, angeworben zu haben. (Die Zeit 19.07.2010)
    In den gegebenen Beispielen verwendet man direkte Nominierungen, alle vier Seme sind also da.
  3. Terroristen sind skrupellose Massenmörder, die sich am Ende häufig selbst umbringen, nicht mehr und nicht weniger.(Die Zeit 12.07.2007)
  4. Der Rechtsstaat hat aber bereits jetzt viele Möglichkeiten, um sie zu bekämpfen, Massenmörder müssen die volle Härte des Gesetzes spüren. (Die Zeit 12.07.2007)
  5. Am 5. September 1977 entführt ein Kommando der Roten Armee Fraktion den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer und droht mit dessen Tötung, falls nicht elf RAF-Terroristen aus dem Gefängnis entlassen würden – elf potenzielle Mörder, die in Freiheit sicherlich weitere Anschläge planen und verüben würden.  (SDZ 23.11.2007)
    In den Beispielen verwenden die Journalisten direkte Nominierungen und Disphemismen. Mörder ist nämlich jemand, der einen Mord begangen hat [so Duden 2006]. Massenmörder ist a) jemand, der mehrere Morde begangen hat; b) jmd., der sich an einem Massenmord beteiligt hat [so Duden 2006].
  6. Wie gefährlich al-Qaida in Zukunft sein wird, kann heute niemand sagen – zumal die Terrororganisation offenbar dabei ist, ihre blutige Strategie erneut zu ändern. Denn inzwischen häufen sich die Vorfälle, wo Killer exemplarisch einzelne Familien angreifen und grausam hinrichten.(Die Zeit 01.11.2010)
  7. Auch der Serienkiller von Washington, der in dem Moment auftauchte, als Amerika zum Krieg rüstete, ist ein beliebtes Objekt feuilletonistischer Komparatistik. (Die Zeit 25.05.2005)
    Nominierungen Killerund Serienkillersind auch Disphemismen. Killer ist jemand, der einen anderen ohne Skrupel [gegen Bezahlung] umbringt; bezahlter Mörder [so Duden 2006]. Und Serienkiller ist bezahlter Mörder, der eine Reihe gleichartiger Morde begeht [so Duden 2006].
  8. Aber warum müssen wir unsere Freiheitsrechte aufgeben, nur weil eine kleine Gruppe Schwerstkrimineller pauschal zum Angriff geblasen hat? (Die Zeit 22.04.2007)
    Die genannte Nominierung gehört auch zu den Disphemismen. Schwerstkrimineller ist jemand, der eine schwere Straftat, ein Verbrechen begangen hat [so Duden 2006].
  9. Wenn der einsame Amokläufer eine Heimat findet für seinen Hass und seine Fantasien, für sein Ressentiment, dann ist er nicht mehr allein. Dann hat er Genossen. Und das stärkt ihn. (Die Zeit 31.05.2006)
    In diesem Beispiel wird Disphemismus Amokläufer verwendet. Das Wort bedeutet jemand, der Amok läuft, der in einem Zustand krankhafter Verwirrung umherläuft und blindwütig tötet [so Duden 2006].
  10. Die demokratischen Gesellschaften müssen ihre Freiheiten verteidigen, aber die Antwort auf die Attacken gewalttätiger Fanatiker kann nur mit den Instrumenten der Demokratie erfolgen, mit den Methoden des Rechtsstaats und auf der Basis des Völkerrecht, nicht mit Kreuzzügen.  (Die SDZ 21.09.2009)

Im Gegensatz zu den anderen obergenannten Beispielen wird in Beispiel 10 eine Euphemistische Nominierung verwendet, aber es ist ein seltener Fall.

Also an obengenannten Beispielen kann man sehen, dass man am meisten Disphemismen (50 Prozent) verwendet, wenn man die in Europa und in den USA handelnden Terroristen darstellen will. Diese sind „wirkliche Terroristen“, die kein Mitleid und keine Rechtfertigung bei den Lesern finden sollen. Direkte Nominierungen betragen ungefähr 35 Prozent, während Euphemismen etwa 15 Prozent von der Gesamtzahl der Bezeichnungen von Terroristen betragen. 

Und folgende Beispiele zeigen, welche Nominierungen für die in Russland handelnden Terroristen in der Bundespresse benutzt werden.

  1. Politkowskaja war auf dem Weg nach Beslan, weil dort tschetschenische Aufständische 1300 Schulkinder und ihre Eltern in ihre Gewalt gebracht hatten, um die Aufmerksamkeit der Welt auf einen Konflikt zu lenken, den sie lieber verdrängt. (Die Zeit 17.05.2005)
  2. Präsident Medwedew hatte zuletzt mehrfach zur Tötung der “Banditen” aufgerufen, wie die Rebellen im offiziellen Sprachgebrauch genannt werden. (Die SDZ28.10.2010)
  3. Präsident Wladimir Putin sprach sich unterdessen gegen eine öffentliche Untersuchung des Geiseldramas im Nord-Kaukasus aus. Gleichzeitig lehnte er Verhandlungen mit tschetschenischen Rebellen ab, die nach Ansicht Moskaus für die Tat von Beslan verantwortlich sind.
    In diesen Beispielen werden synonymische Wörter Aufständischeund Rebellenverwendet, die Euphemismen darstellen, da sie Teilnehmer eines Aufstandes bedeuten [so Duden 2006]. Erste drei Seme fallen aus.
  4. Eine mutmaßliche Tschetschenin sprengt sich am Eingang der belebten Moskauer Metro-Station Rischskaja in die Luft. Elf Menschen sterben, darunter die Attentäterin und ihr Komplize, ein seit langem gesuchter Terrorist aus der nordkaukasischen Teilrepublik Karatschai-Tscherkessien. (FAZ 6.11.2009)
    Es ist ein seltenes Beispiel der direkten Nominierung.
  5. Ihm (Doku Umarow) wird eine rund 50 Personen starke Miliz zugerechnet − nach russischer Lesart Terroristen. (Die Zeit 30.03.2010)
    Dieses Beispiel stellt ein besonderes Interesse dar –  Miliz − nach russischer Lesart Terroristen. Es zeigt ganz klar, dass der deutsche Journalist mit „russischer Lesart“ überhaupt nicht einverstanden ist und Umarows Leute nicht für Terroristen hält, sondern für eine Miliz. Doku Umarow und seine terroristische Organisation bekannten sich zu den Anschlägen auf die Moskauer U-Bahn am 29. März 2010, wobei 40 Menschen ums Leben kamen.  
  6. Zwar sind die tschetschenischen Kämpfer seit langem geschwächt und haben nun ihren berüchtigten Anführer und Geldeintreiber verloren. (FAZ 18.02.2009)  
  7. Die für einen unabhängigen Gottesstaat im Nordkaukasus kämpfenden Islamisten hatten zuletzt immer wieder gedroht, den Heiligen Krieg, den Dschihad, ins russische Kernland zu tragen. (SDZ 03.04.2010)  
  8. Staatsfeind Umarow droht Russen mit neuen Attentaten. (SDZ 03.04.2010)
    Drei der obergenannten Beispiele wirken auch euphemistisch, da die Kämpfer und Staatsfeinde nicht unbedingt Anhänger des Terrorismus sind und Angst verbreiten. 
  9. Am Abend stürmen 41 maskierte Männer und Frauen in Tarnanzügen in den Zuschauerraum des Moskauer Musicaltheaters Nord-Ost. (Die Zeit 22.03.2005)
    In dieser Nominierung (41 maskierte Männer und Frauen) fehlen alle vier Seme, die die Bedeutung „Terrorist“ bilden, deswegen ist es auch ein Euphemismus.
    Direkte Nominierungen (Terroristen) werden also relativ selten verwendet, ihre Anzahl beträgt etwa 20 Prozent von der Gesamtzahl der Bezeichnungen. Andere Nominierungen bedeuten, dass es nicht um Terroristen geht, sondern um Aufständische, Kämpfer, irgendwelche Staatsfeinde und so weiter.

Also kommen wir zu folgenden Schlussfolgerungen.

  1. Die Terroristen, die ihre Gewaltaktionen in den USA und in Europa verüben, werden entweder durch direkte Nominierungen genannt oder durch Disphemismen. Davon kann man ableiten, dass deutsche Journalisten für sie keine Rechtfertigung finden.
  2. Es liegt auf der Hand, dass die deutschen Journalisten mit den tschetschenischen Terroristen Mitleid haben und sie in bedeutendem Maße rechtfertigen wollen. Deswegen sind direkte Nominierungen von solchen Terroristen meist durch Euphemismen ersetzt. Es verrät ihre soziale Richtlinie.

Im Großen und Ganzen steht Russland hier abgesondert. Terroristen, die die Gewalt in den Staaten Europas und in den USA ausüben, erzeugen in der Regel allgemeine Unsicherheit und Schrecken, aber die tschetschenischen Terroristen, die ihre Terrorakte in Russland verüben, erzeugen daneben aber auch bei den deutschen Journalisten Sympathie und Unterstützungsbereitschaft. Die Autoren der Artikel über Terrorismus in Russland verwenden Euphemismen statt direkter Nominierungen von Terroristen. 

 

Literaturverzeichnis:

  1. Luchtenberg, Sigrid (1985): Euphemismen im heutigen Deutsch. Frankfurt/Main u.a.: Lang.
  2. Schröder, Hartmut (1998/1999): Euphemismen in der politischen Sprache. Im Rahmen des Hauptseminars. Europa-Unversität Viadrina.
  3. Sornig, Karl (1969): Beobachtungen zu Motivation und Wirkung von Euphemismus, Kakophemismus und ähnlichen Erscheinungen: eine Skizze. Istanbul.
  4. Duden Deutsches Universalwörterbuch / Hrsg. u. bearb. vom wiss. Rat unter Leitung von K. Kunkel-Razum, W. Scholze-Stubenrecht, M. Wermke. – 6., überarbeitete u. erweiterte Auflage. (2006) – Mannheim; Leipzig; Wien; Zürich : Dudenverlag.
  5. Online-Zeitungen:
    1. http://www.zeit.de/index
    2. http://www.faz.net/s/homepage.html
    3. http://sueddeutsche.de/

TRANS INST

 Inhalt | Table of Contents Nr. 18


For quotation purposes:
Olga Kolomiytseva: Die Bezeichnungen für Terroristen im internationalen Vergleich (anhand der BRD-Presse) –
In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 18/2011.
WWW: http://www.inst.at/trans/18Nr/II-14/kolomiytseva18.htm

Webmeister: Gerald Mach     last change: 2011-07-13