Exemplarische Darstellung eines künstlerischen Statements zur konstruktiven Interaktion zwischen Zivilisation und Natur
Karin Pliem
Abstract
Meine künstlerisch formulierte „Weltgesellschaft“ setzt sich aus Lebewesen unterschiedlichster Art und Herkunft zusammen, die mit gleichermaßen weltweit erkundeten kulturellen und zivilisatorischen Artefakten interagieren. Manches davon wurde so, wie hier gemalt, realiter noch nie gesichtet. Im Einzelnen oft konfligierend, ergibt sich im Bildganzen ein letztlich symbiotisches Miteinander all dieser Akteure. Deren gemeinsamer bildnerischer Nenner ist die Sprache der Kunst, ihr ideeller Nenner die Sprache der Natur. Da Homo sapiens als animal rationale letztere Sprache verlernt hat, gehört er meiner Weltgesellschaft nicht direkt zu – er wird vertreten durch einzelne Hervorbringungen kultureller und technischer „Natur“. Als reales Lebewesen obliegt ihm die Rolle des Betrachters meiner – frei nach Lynn Margulis – auch „Symbiotic unions“ genannten Weltgesellschaftsbilder, in deren visuelles Gefüge aus ‚Chaos‘ und Ordnung, Opulenz, Verdichtung und Leere er sich hineinziehen lassen möge, um sich selbst als Bestandteil dieser Szenarien zu erkennen.
Mittels einiger Bildbeispiele erläutere ich die Intention meiner Arbeit und deren Vermittlung im Kunstbetrieb. Abschließend gelangt hier erstmals meine Videoanimation „l’infinito della natura“ zur Aufführung. Ihr Titel rekurriert auf Friedrich Engels‘ Werk Die Dialektik der Natur, wo es heißt: „Wir beherrschen die Natur nicht, sondern wir gehören ihr an, stehen in ihr. […] Schmeicheln wir uns nicht so sehr mit unseren menschlichen Siegen über die Natur …“.
Mein Name ist Karin Pliem, ich lebe und arbeite als bildende Künstlerin in Wien/Österreich und freue mich sehr, zu dieser internationalen Tagung in Oran eingeladen zu sein, um über meine Arbeit zu erzählen sowie mein gerade produziertes Video mit dem Titel L’infinito della natura1 hier erstmals öffentlich zeigen zu dürfen.
Es geht mir in meiner Arbeit um die Zusammengehörigkeit von Natur, Kultur und Zivilisation.
Als Künstlerin bin ich vor allem Malerin – ich werde daher zuerst das Thema, mit dem ich mich beschäftige, anhand einiger Fotos erläutern und erzählen, wie meine Bilder entstehen, die auch meinen Videoanimationen zugrunde liegen.
Dass ich Videos produziere, liegt auch daran, dass ich meine Arbeit und ihren Inhalt über dieses Medium weiträumiger und einem größeren Publikum vermitteln kann als dies durch klassische Ausstellungen in Galerien und Kunstinstitutionen möglich wäre. Auch dazu, also zur Vermittlung, Distribution und zum – ja lebensnotwendigen – Verkauf meiner Kunst werde ich kurz berichten.
Meine Ölbilder bereite ich nach traditioneller Methode vor, das heißt die Leinwand wird auf Holzkeilrahmen aufgezogen, mit Hasenleim bestrichen und danach mit weißen Gesso grundiert. Auf diesem Kreidegrund male ich in Ölfarbe – verdünnt mit Leinöl – mit raschem, großzügigem Strich den Hintergrund des Bildes.
Abb. 1: Frühstadium Concursus naturae IV, 2015, Öl/Leinwand, 200 x 250 cm
Dessen Motiv ist vorzugsweise ein architektonisches Werk, das durch die Zusammenkunft mehrerer kultureller Einflüsse geprägt wurde – wie in diesen beiden Beispielen etwa der mittelalterliche Kreuzgang von Monreale in Sizilien, wo normannische, byzantinische und maurisch-arabische Stile zu einer künstlerisch neuartigen und kunstgeschichtlich bedeutenden Symbiose zusammenfanden.
Abb. 2: Monreale con trota, 2017, Öl auf Leinwand, 110 x 130 cm
Über diese Hintergrundskizze werden dann Schicht für Schicht verschiedenartige Pflanzen gemalt – Blüten und Blätter in unterschiedlichen Stadien ihres Wachstums und Vergehens, Samen und Früchte, aber auch Tiere und menschlich-kulturelle Artefakte wie etwa afrikanische oder ozeanische Masken, manieristische und modernistische Skulpturen. Diese Elemente tauschen sich untereinander aus und verändern sich während eines langwierigen Malprozesses in Form, Größe und Farbe, ziehen sich an oder stoßen sich ab, kreuzen sich zu Hybriden. Oft entstehen dabei auch neue, von mir frei erfundene Blüten, Blätter, Samen oder Tiere …
Wichtig für mich sind zuerst meine Inspirationsquellen. Ich habe eine Sammlung von Pflanzen und Artefakten, die ich auf meinen Reisen quer durch die Welt zusammengetragen habe, außerdem Zeichnungen und Fotos, die ich von Objekten mache, welche ich in meiner Botanikbox nicht ins Studio mitnehmen kann, sowie Bildmaterial, das ich aus Büchern, Zeitschriften und aus dem Internet zusammentrage.
Abb. 3a, b: Pflanzensammlung, Installation im Egon Schiele Art Center Cesky Krumlov, 2016
Die meisten Pflanzen, die ich sammle, haben ähnlich wie die zuvor genannten Architekturen „multikulturelle“ bzw. „multifunktionale“ Hintergründe: sie wurden oder werden vom Menschen als Heilpflanzen, Giftpflanzen, zur Herstellung von Drogen, als Nahrungsmittel oder zum Zweck der Züchtung, Kreuzung beziehungsweise zur „gentechnischen Optimierung“ kultiviert. Sie stehen also meist im Bezug zum Menschen und dessen Gebrauch von der Natur bzw. seines Eingriffs in diese.
Von besonderem Interesse sind für mich auch Neophyten – Pflanzen, die ihren Lebensraum über natürlichen oder vom Menschen ermöglichten Transfer erweitern –, sowie invasive Pflanzen wie zum Beispiel Kudzu (Pueraria montana). Diese Pflanze hat viele positive Eigenschaften, sie gilt als Heilpflanze (z.B. bei Alkoholismus), ihre Wurzeln kann man essen, die Fasern der Stängel lassen sich zu Körben verflechten und vieles mehr, sodass sie wegen ihrer positiven Vielfältigkeit in manche Länder eingeführt wurde, dort aber großräumig die Landschaft überwuchert und heimischen Pflanzen ihren Lebensraum nimmt.
Abb. 4: Ayasofya in conflitto, 2017, Öl/Leinwand, 200 x 250 cm
Es geht in meiner Kunst wie im realen Leben um Leben, Tod, Wandel und Neubeginn, darum, einen großen Bogen zu spannen, um Neues zuzulassen, Altes zu verabschieden und auch dem Emotionalen Raum zu geben. Daher habe ich keine Scheu vor intensiven, sich kontrastierenden Farben oder gar vor wissenschaftlichen „Unkorrektheiten“ – die Wissenschaft ist sehr nützlich für viele Belange unseres Zusammenlebens und zur Erkenntnis und Erforschung von Natur, des Lebens und der Gesellschaft, aber sie bedient sich einer Sprache, die das Emotionale, den Kosmos unserer Empfindungen und Gefühle bestenfalls rational zu beschreiben, nicht aber zu artikulieren vermag. Dafür hat sich der Mensch seit Anbeginn der Künste bedient – der Poesie, der Musik, der Zeichensprache, der Malerei, der Plastik … – um bis heute zu formulieren, was wir mit „reiner Vernunft“ oder geometrisch-mathematischer Beschreibung nicht darstellen und verinnerlichen können.
Hier in Algerien haben wir zum Beispiel mit den Felsmalereien im Tassili wunderbare Beispiele frühester künstlerischer Darstellungen des Zusammenlebens von Mensch und Natur, entstanden zu einer Zeit, in der es weder ein Wort für „Natur“ noch für „Kunst“ gab. Diese Differenzierung kam erst viele Jahrtausende später, wohl erst dann, als wir Menschen uns von der Natur zu entfremden begannen. Obwohl ich bisher leider nicht so wie Herbert Arlt nach Tassili reisen konnte, möchte ich in kommenden Arbeiten gerne auf sein Bildmaterial zurückgreifen, um Teile davon in meine Malerei einzubringen. Denn dort stehen wir bekanntlich an der Wiege jener Zivilisation, die uns die Schrift und damit ein neues Kommunikations- und Speichermedium unserer unterschiedlichen Identitäten und Herkünfte bringen sollte.
Die Blumen, Blätter, Moose … und auch die Tiere, die ich auswähle – Krebse, Tintenfische, Süßwassertiere, dann und wann ein Schweine- oder Fischkopf von einem Markt – stammen immer aus unterschiedlichen Herkunftsländern und Ökosystemen, von Hochgebirgsregionen bis zur Tiefsee. Sie kommen in der Natur also kaum einmal so zusammen wie in meinen Bildern. Manchmal finden dort aber auch einfach nur Pflanzen Platz, die mich ästhetisch attraktieren und zugleich gut in den konzeptuellen Bildaufbau passen.
Der Malprozess geht so lange, bis alles im Bild seinen richtigen Platz gefunden hat und dort eine gleichsam symbiotische Einheit der Vielfalt ergibt. So geht es im Endeffekt immer auch um das Bild, vor dem der Betrachter steht. Das Bild muss sich aus sich selbst erklären können.
Der Mensch, der als Betrachter vor den Bildern steht, wird von mir eingeladen, einzusteigen, sich zu öffnen und sich als Teil der Natur zu fühlen. Denn ich bin der Auffassung, dass der Mensch Teil der Natur, des Universums ist und sich in seinem eigenen Interesse nicht anmaßen sollte, sich davon abzugrenzen, um als Überwesen über alles herrschen zu wollen!
Ich möchte Homo sapiens Anstoß geben, über seinen Platz in der Welt und über seine Verantwortung ihr gegenüber nachzudenken.
Als Künstlerin versuche auf die mir gegebene Möglichkeit das zu vermitteln, was mich berührt und seit vielen Jahren beschäftigt. Am besten kann ich das mittels der Malerei leisten, aber auch über animierte bewegte Bilder in Form von Videos. Hier lassen sich Bilder mit Bewegung und Sound verbinden. Bis jetzt bevorzuge ich als musikalischen Soundtrack eine Form des Modern Jazz, die improvisatorisch live – direkt vor den noch „stumm“ laufenden Videofilmen eingespielt wird. Die Musiker produzieren somit keine „Filmmusik“, die das visuelle Geschehen nachträglich affirmativ interpretiert, sondern sie artikulieren sich parallel zum Bildnerischen auf eine re-aktive, wiederum künstlerisch freie Art.²
Wie schon eingangs gesagt, lässt sich über das digitale Medium Video eine „Botschaft“ weiter und breiter vermitteln als über die Malerei an sich. Das gemalte Original hat immer nur einen Ort für seine Betrachtung, es hat dafür allerdings den Vorzug, ohne Zeitlimit und auch unter unterschiedlichen Raum- oder Licht-Bedingungen wahrgenommen werden zu können.
Nicht zuletzt lassen sich „reale“ (statische) Kunstwerke auch besser verkaufen. Mit dem Wechsel ihrer Besitzer geschieht dann auch ein Wandel ihrer Betrachtung und Interpretation.
Das Ausstellen meiner gemalten Bilder ist mir daher sehr wichtig. Präsentationsmöglichkeiten sind jedoch abhängig von der Wertschätzung der Arbeit durch das Kunstsystem insgesamt. Dieser „Wert“ ist durchaus auch materiell determiniert. Der materielle Wert generiert sich über den Markt, der sich seinerseits an der internationalen Anerkennung, dem „Ranking“ der Institutionen orientiert, in denen Künstler ausstellen. Deshalb gibt es einen starken Konkurrenzkampf innerhalb dieses Systems, sowohl unter Kunstinstitutionen und Galerien als auch unter den Kunstproduzenten.
Diese kapitalistische Triebfeder kann zugleich kontraproduktiv gegenüber dem künstlerischen Impetus wirken: wir Künstler*innen möchten ja mit unserer Arbeit einen konstruktiven, oft kritischen Beitrag zur Gesellschaft leisten und den Blick auf die Welt erweitern, statt in die Fußstapfen des nur auf Gewinn und Wachstum ausgerichteten Mainstreams zu treten!
Und doch müssen wir von unserer Arbeit leben, unsere Produkte also verkaufen. Meiner Erfahrung nach lässt sich beides vereinen, indem wir Künstler*innen unseren Ideen und unserer Arbeit den Vorrang geben und sie konsequent weiter entwickeln und zugleich Möglichkeiten ihrer Kommunikation finden. Durststrecken müssen nicht zwangsläufig zum Tod führen! Irgendwann nämlich wird solche Konsequenz auch vom „System“ erkannt und honoriert.
Bevor wir nun das Video L’infintio della natura sehen und hören, möchte ich eine kurze Einleitung dazu geben:
Die Videoanimation beginnt mit der hier zuerst gezeigten Skizze als Hintergrund, dem Säulengang von Monreale in Sizilien. In dieses Bild werden Pflanzen und andere Elemente, die aus Digitalfotos von etwa 20 gemalten Bildern „ausgeschnitten“ wurden, eingespielt. Sie bewegen sich über und durch das Bild und suchen sich ihren Platz. Dann taucht aus dem Hintergrund eine Skulptur auf, eine liegende Riesin, die im Konzept des manieristischen Gartens von Bomarzo in Umbrien/Italien den Eingang zur Unterwelt markiert und zugleich für die Bedeutung des Ruhens, der kreativen Pause zwischen rational-geschäftigen Aktivitäten steht. Hier gebiert nicht, wie später bei Goya, der Schlaf der Vernunft die Monster von Stumpfsinn und Gewalt, sondern der Schlaf gebiert neue Ideen, relativiert unser äußeres Zeitgefühl, schafft Potenziale der Erkenntnis.
Abb. 5: Screenshot 1a aus L’infinito della natura, 2018
Nicht zuletzt deshalb haben surrealistische Künstler wie Salvador Dalí diesen Skulpturengarten in den 1920er Jahren wiederentdeckt, nachdem er nach dem Tod seines Erschaffers über 400 Jahre hinweg in einen wahren Dornröschenschlaf verfallen war. Diese Figur zieht sich in der Folge zurück, um anderen Tönen zu weichen – denen des mechanisch-technischen Denkens und Agierens, der Grenzziehung und der Ängste vor dem „Fremden“, der Einengung unseres Bewusstseins und unserer Kenntnisse.
Abb. 6: Screenshot 1b aus L’infinito della natura, 2018
Nach dem Einschlag eines zur Rakete mutierten, allgemein bekannten phallusförmigen Hochhauses scheint alles zu Ende zu sein. Aus dem flimmernd rauschenden Schwarz tauchen bald aber wieder Organismen auf, die sich zu neuen Konstellationen formieren.
Abb. 7: Screenshot 1c aus L’infinito della natura, 2018
Meine Werktitel erinnern an musikalische Satzbezeichnungen oder auch an Titel bekannter Musikwerke. „L’infinito della natura“ rekurriert dabei auf Friedrich Engels‘ Werk Die Dialektik der Natur (publ. posthum 1925), wo er schreibt: „Wir beherrschen die Natur nicht, sondern wir gehören ihr an, stehen in ihr. Unser Vorzug als Menschen ist nur, dass wir ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden können. Schmeicheln wir uns indes nicht so sehr mit unseren menschlichen Siegen über die Natur …“
Viel mehr möchte ich dazu jetzt nicht sagen – ich hoffe, dass die Animation sich selbst erklärt und bitte Sie, sich einfach darauf einzulassen, zu schauen und zu hören. Herzlichen Dank!
1 L’infinito della natura, 2018. An animated film by Karin Pliem, 8:08 min., music: Klemens Pliem, Armin Pokorn. Siehe online: https://player.vimeo.com/video/259206669
Passwort/code: VKP1801
2 Komponist und Leiter der jeweiligen Jazz-Formation ist Klemens Pliem, www.klemenspliem.bplaced.net