Aus dem Schatten des Französischen ins rechte Licht des Standardarabischen?
Zum Einsatz des Standardarabischen als Vermittlersprache im DaF-Unterricht in Algerien

ABDELFETTAH Ahcène
HAMI Nadjia
Université Alger 2

Abstract

 [Out of the Darkness of French Into the Light of Standard Arabic: Teaching German through Standard Arabic in Algeria]

This article aims to give a general overview of the methods used in teaching Foreign languages, and in particular, German, in Algeria. For this end, we first need to understand what teaching and learning German as a foreign language mean in a country whose official language is Arabic alongside Amazigh. In 1962, that is about two generations ago, Algeria emerged from a long night of colonial rule which lasted a little over a century and during which “indigenes” were taught French as a mother language and Arabic as a foreign one. The ensuing trauma was hardly healed in the immediate years after the independence: foreign languages were still²taught through French which was kept as the first language in most schools. By the end of the 1970’s, however, Standard Arabic replaced French, a colonial legacy, as the first language in the Algerian education system, as the language of the future Algerian elite.

In the present contribution, we shall not concern ourselves, or very little so, with the processes of arabization and algerianization. We shall rather look at the ways in which the shift to Arabic has opened up new prospects and opportunities for the teaching and the learning of German in Algeria. It appears, that exposure to German through Arabic has increased motivation in students eager to point out similarities between the two languages. Besides Standard Arabic has made then sharply aware of not only the cultural content vehicled by German but also of that permeating their own language.1

1. Einführung

Den Prozess der Einpflanzung eines Erziehungssystems auf fremdem algerischem Boden rekonstruieren wollen, bedeutet auf eine Reihe von Fragen zu antworten versuchen, u.a.:

In welcher(n) Sprache(n) soll der Kolonialherr mit den Kolonisierten kommunizieren? In welcher(n) Sprache(n) soll er denn die Einheimischen verwalten? Geht es eigentlich darum, die eroberten Völker zu „französieren“? Oder soll er sich arabisieren bzw. gar berberisieren? Welchen Status für welche Vernakulärsprache? Das Problem wird noch komplexer, wenn man die Bevölkerungen aus Nachbarländern Frankreichs wie Italien und Spanien berücksichtigt, die selbst zu den Eroberern gehören, aber auch gezwungen wurden, sich zu assimilieren, indem sie sich französierten.

Wie soll unter solchen außerordentlichen historischen Umständen zwischen Muttersprache und Fremdsprache überhaupt getrennt werden? Wer ist befugt, zu definieren, was eine Fremdsprache eigentlich ist und warum? Wie soll eine überzeugende Hierarchisierung unter den vorhandenen Sprachen vorgenommen werden?

Lange Rede, kurzer Sinn, die neuen Machthaber sprachen sich für das Arabische als die erste Fremdsprache aus. Somit sind sowohl Spanisch als auch Italienisch de facto außer Gefecht. Doch für wen denn ist Arabisch « fremd », für die Einheimischen etwa, oder für die Neuankömmlinge jenseits des Mittelmeers, die (noch) keine Franzosen sind? Gleichzeitig ist Französisch zur Nationalsprache außerhalb Frankreichs, d.h. auf nordafrikanischem Terrain auserkoren worden? Französisch als Nationalsprache, außerhalb Frankreichs für die Franzosen aus der Metropole, aber auch für die Franzosen in spe, die aus den Mittelmeerländern und aus Deutschland einströmten.

Kurswechsel nach 1962: Französisch wird als Erstsprache durch Arabisch abgelöst. Denn wenn auch in den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit das Französische als Vermittlersprache im Fremdsprachenlernen fungierte, wurde dieses bereits Ende der 1970er Jahre durch das Standardarabische abgelöst. Die Berücksichtigung der Erstsprache Arabisch allein, soviel soll bereits an dieser Stelle vorweg genommen werden, fördert die Motivation der Lernenden, v.a. wenn diese feststellen, dass zwischen dem Deutschen und dem Arabischen nicht nur Unterschiede, sondern auch Gemeinsamkeiten anzutreffen sind.

Im Folgenden soll deswegen erst einmal ein kurzer Einblick in die Praxis des DaF-Unterrichts, in Algerien gegeben werden. Es gilt als Erstes festzustellen, was es bedeutet, Deutsch zu lehren und zu lernen in einem Land mit arabischer (neben berberischer) offizieller Nationalsprache, das erst vor zwei Generationen aus einer hundertjährigen Kolonialnacht erwachte. Warum denn Kolonialzeit überhaupt? In der Kolonialzeit, wie bereits erwähnt, lernten Einheimische Arabisch als Fremdsprache und Französisch als Erstsprache. Das linguistische Trauma, das dadurch entstanden war und teilweise immer noch sein Unwesen treibt, wurde unmittelbar nach der Unabhängigkeit bekämpft, und zwar dadurch, dass das Arabische nun als Erstsprache hochstilisiert wurde, während Französischkünftig seine dominante Stellung verlor, und somit den Status einer Fremdsprache zugewiesen bekommen hat. Denn letztere Sprache symbolisierte in den Augen der Algerier, und symbolisiert immer noch, wen wundert es, eben das Kolonialsystem.

Doch vorher soll zunächst einmal ein kurzer historischer Überblick über die Herausbildung des DaF-Unterrichts in Algerien sowohl in der Kolonialzeit als auch nach der Unabhängigkeit gegeben werden. Denn dieser kleine Umweg wird uns zeigen, worin genau das koloniale Erbe in Sachen FSU besteht, welche Konsequenzen dieser Umstand auf das algerische Erziehungssystem nach 1962 hatte, und welche Veränderungen seitdem daran angebracht wurden und mit welchem Erfolg. Unter den wichtigsten Neuerungen ist zweifelsohne die Ablösung des Französischen durch das Standardarabische als Vermittlersprache im DaF-Unterricht zu nennen.


2.
Zur Geschichte des DaF-Unterrichts in Algerien bis 1962

Die Praxis des DaF-Unterrichts in Algerien entspringt, wie gesagt, einer Tradition, die auf das koloniale Erbe zurückgeht. In der Tat stammten nicht alle Kolonialherren aus dem französischen  Mutterland, sondern aus quasi allen mediterranen Ländern, und sogar aus Deutschland und der Schweiz2. Wenn auch alle Kinder dieser Communitys Französisch als Erstsprache in der Schule gelernt haben, kann man davon ausgehen, dass in der familiären Umgebung, zumindest in den ersten Jahren, die Muttersprache weiterhin gesprochen wurde. Dies gilt erst recht für die algerischen Einheimischen, die vorerst sehr selten zur französischen Schule fanden. 

Der Deutschunterricht blickt auf eine lange Tradition zurück, und genau auf das Schuljahr 1850-1851, als das koloniale französische Erziehungssystem diese Sprache in das damals einzige Gymnasium Algeriens, das Lycée d’Alger, eingeführt hat3. Damit ist die deutsche Sprache, die erste europäische Sprache, die als Fremdsprache im modernen Algerien unterrichtet wurde. Parallel zu der Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts im kolonialen Mutterland sollte der Deutschunterricht in den ersten Jahrzehnten seiner Einführung in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts die Anwärter auf die militärischen Eliteschulen Frankreichs vorbereiten.

Deshalb war die Anzahl der Deutschlerner im damals einzigen Gymnasium sehr gering. Der Fremdsprachenunterricht hielt in Frankreich bereits in den 1890er Jahren des 19. Jh.s Einzug in die Universität, in der algerischen Universität, hingegen, die offiziell im Jahre 1909 gegründet wurde, konnte der Deutschunterricht erst nach dem Ersten Weltkrieg Fuß fassen. Zur Information: Rund 100 Jahre nach seiner Einführung in das algerische Erziehungssystem konnte sage und schreibe EIN einziger algerischer Einheimischer seinen Abschluss im DaF-Unterricht machen. Die Bilanz in Sachen DaF-Ausbildung im kolonisierten Algerien ist somit verheerend. Frage: Wie hat sich der DaF-Unterricht denn nach der Unabhängigkeit entwickelt?

3. Zur Entwicklung des DaF-Unterrichts nach 1962

Erste Feststellung: Die öffentliche Schule des unabhängigen Algerien sowie die Universität setzten zunächst einmal das vererbte Modell des kolonialen Systems noch einige Jahre fort. Französisch fungierte weiterhin als Unterrichtssprache im Erziehungssystem und im Hochschulwesen. Französisch war nicht nur die Erstsprache, sondern hatte sogar den Status einer Muttersprache, denn man lernte sie bereits mit sechs Jahren, d.h. vom ersten Schuljahr an.

Algerien hatte damit nicht nur Französisch geerbt, es führte außerdem die französische Unterrichtstradition weiter. So konnte man neben anderen Fremdsprachen wie Englisch, Spanisch, Italienisch oder Russisch auch Deutsch lernen, und zwar ab der neunten Klasse. Von der Kolonialzeit hat Algerien ebenfalls die Unterrichtsmethoden des Fremdsprachenlernens geerbt.

Zu dieser Zeit wurden dieselben Lehrbücher wie im ehemaligen Mutterland übernommen. Das bedeutet konkret, dass französische Lehrwerke von französischen  und deutschen Autoren konzipiert, und die von französischer und deutscher Realität handelten, eingesetzt wurden, um algerischen Lernenden Deutsch beizubringen. Zusätzliche Erklärungen im Unterricht erfolgten ausschließlich auf Französisch. Somit hatte das unabhängige Algerien das von der Kolonialmacht geerbte System bis Ende der siebziger Jahre weitergeführt.

Der Hochschulbereich  seinerseits funktionierte nach dem geerbten Kolonialsystem bis 1970. So konnte man nach drei Jahren das Germanistik-Studium mit der Licence ès-Lettres absolvieren, dabei wurde der Unterricht in französischer Sprache gehalten. Im Jahre 1971 trat die erste Universitätsreform in Kraft, die zu einer wesentlichen Veränderung der Licence im Fach Deutsch führte. Das zu dieser Zeit vorhandene Ausbildungssystem wurde durch ein neues ersetzt, das zum ersten Mal Deutsch als Unterrichtssprache im DaF-Unterricht durchsetzte, das das bis dahin alles herrschende Französische ablöste.

Diese als Wende zu bezeichnende Veränderung kann allgemein als Übergangsphase betrachtet werden, und zwar deshalb, weil bald darauf die sogenannte Arabisierungs- bzw. Algerianisierungspolitik folgen sollte, die weitere Perspektiven für den DaF-Unterricht eröffnete, aber auch neue Probleme mit sich brachte. Das Arabische eröffnete damit zwar neue Wege zur Selbstfindung, aber das Problem war, dass zu dieser Zeit weder die Lehrkräfte noch die Deutschlernenden des Standardarabischen mächtig waren. Es ist auch der Grund, aus dem Algerien tausende von Arabischlehrern vorwiegend aus Ägypten, dem Irak und Syrien kommen lassen musste. Diese Gastlehrer, die z.T. Jahre in Algerien verweilten, trugen sehr zur Arabisierung des algerischen Erziehungssystems bei. Die erste Folge davon ist, dass ab 1976 Französisch in der Grundschule erst ab der vierten Klasse gelernt wurde und somit den Status der ersten Fremdsprache erhielt. Als Fremdsprache konnte Französisch nicht mehr als Unterrichtssprache bzw. Vermittlersprache im DaF-Unterricht dienen.

Das Arabische seinerseits konnte diese Rolle noch nicht übernehmen. Deshalb die offizielle Entscheidung, im Fremdsprachenunterricht ausschließlich die jeweilige Fremdsprache zu verwenden. Doch diese „Lösung“ zeigte bald ihre Grenzen, und zwar, weil die Lernenden sich nicht mehr auf eine Vermittlersprache stützen konnten. Hinzu kommt, dass die deutschsprachige Welt, deren Sprache und Kultur man lernt, von der eigenen täglichen Realität viel zu weit entfernt liegt. Niemand kann die Wichtigkeit des einsprachigen Unterrichts leugnen, jedoch ist es in der Realität schwierig, dies in die Praxis umzusetzen.

An dieser Stelle darf man an die immer noch aktuelle Frage der Einbeziehung der Muttersprache bzw. Erstsprache in den Lernprozess des Fremdsprachenlernens erinnern. Es geht darum, ob der Einsatz der Muttersprache bzw. Erstsprache für das Fremdsprachenlernen förderlich oder hinderlich ist. Für die Gegner des Einsatzes wird dieser eher als eine Beeinträchtigung angesehen, denn in einem Land wie Algerien, stellt der Unterrichtsraum die einzige Lern- und Übungsstätte für den Fremdsprachenlerner dar.

Die Befürworter, hingegen, führen als Argument aus, dass die Muttersprache nicht nur der Lernmotivation und der Lernorientierung dienlich sein kann, sondern den Lernprozess auch aktiv unterstützen kann.4

Welche Konsequenzen hat das konkret für den DaF-Unterricht in Algerien?

Tatsache ist, dass eine Unterrichtssprache gegen eine andere ausgetauscht wurde. Man darf nicht vergessen, dass 1977, das heißt ganze fünfzehn Jahre nach der Unabhängigkeit, nicht davon ausgegangen werden konnte, dass die damals erreichten Arabischkenntnisse ausreichten, um als Stütze beim Erlernen einer zweiten Fremdsprache wie der deutschen gebraucht zu werden.

Welche Rolle spielt die Erstsprache im Allgemeinen?

Es wird heute allgemein angenommen, dass beim Fremdsprachenlernen niemals bei null angefangen wird, denn das Vorwissen aus der Erstsprache kann immer wieder eingesetzt werden, wenn es darum geht, das Fremdsprachenlernen zu erleichtern. Das als erstes angeeignete Sprachsystem der Erstsprache des Lernenden stellt eine solide Grundlage für das Erlernen weiterer Sprachen dar, wenn man bedenkt, dass der Lernende im Lernprozess sich durchaus auf die erstere stützen kann 5.

Dieser Umstand ist unter dem Begriff des „impliziten Lernens“ bekannt, der dem Fremdsprachenlernenden die Möglichkeit verleiht, Vergleiche zwischen seiner Erstsprache und der neu zu lernenden Sprache anzustellen, auch wenn dies nicht immer bewusst geschieht. Die Fremdsprache, die dem Lernenden auf Grund ihrer Phonetik, ihrer Syntax und ihrer kulturellen Symbolik kommt ihm, wenn diese durch den Filter der Erstsprache vermittelt werden, auf einmal näher vor, gleichzeitig werden seine eigene Sprache und Kultur aufgewertet.

Diese Tatsache fördert sowohl die Motivation des Lernenden als auch seine Bereitschaft, sich dieser vermeintlich fremden Welt, die eben nun nicht mehr so fremd ist, unvoreingenommen zu öffnen. Tatsache ist, dass der Lernende Informationen besser speichert, wenn er diese im Vorfeld verstanden hat. Und bekanntlich wird das Erschließen von Informationen am besten durch den Einsatz der Erstsprache gewährleistet.

Deswegen ist es unabdingbar, dass die Erstsprache bestens erlernt wird, denn je vollständiger und erfolgreicher dieses Erlernen ist, desto leichter fällt das Aneignen von Fremdsprachen. Das Problem ist, dass in Algerien die Muttersprachen nicht mit der Erstsprache identisch sind, denn diese werden nicht im institutionellen Rahmen unterrichtet, oder der Prozess ist erst vor einigen Jahren eingeleitet worden.

4. Zur soziolinguistischen Situation in Algerien

Ausgehend von der realen Situation des DaF-Unterrichts in Algerien, stellt sich die Frage, inwiefern es sinnvoll ist, die einheimischen Sprachen, d.h. algerisches jeweiliges Regionalarabisch bzw. einen der Berberdialekte, oder lediglich die arabische Standardsprache in den Lehr- und Lernprozess einzusetzen. Es liegt auf der Hand, dass angesichts der jetzigen Situation des algerischen Unterrichtssystems nicht möglich ist, schon aus praktischen Gründen, irgendeine Varietät des algerischen Arabisch, geschweige denn des Berberischen in den DaF-Unterricht mit einzubeziehen.

Das Standardarabische wird hingegen systematisch ab der ersten Klasse von allen algerischen Schülern gelernt, auch wenn hie und da diese Sprache für manche wie eine quasi Fremdsprache gelernt wird. Der Vorteil dabei bleibt die Tatsache, dass die algerischen Deutschlernenden über eine gemeinsame arabische Standardsprache verfügen, die durchaus als Grundlage für das Fremdsprachenlernen dienen kann. Doch dies heißt keineswegs, dass auf die Kenntnisse der einheimischen Sprachen beim Erlernen der Fremdsprachen verzichtet werden soll, schon gar nicht auf die in anderen Fremdsprachen, wenn vorhanden (französisch oder englisch), im Gegenteil: es ist bereits nachgewiesen worden, dass die Mehrsprachigkeit, unter der Bedingung, dass diese auch bewusst und zielgerichtet eingesetzt wird, sehr förderlich für das Erlernen der Fremdsprachen sein kann.

Ausgehend von der soziolinguistischen Situation haben wir an der Universität Algier 2 in den letzten Jahren versucht, in ausgewählte Unterrichtseinheiten die systematische Einbeziehung der erstsprachigen Vorkenntnisse des Standardarabischen in den DaF-Lernprozess zu integrieren. Somit verstehen sich folgende Ausführungen lediglich als explorativ und dürfen keineswegs verallgemeinert werden.

Das Experiment setzte mit der Phonetik/Phonologie ein, weil die algerischen Lerner der letzten Generationen erhebliche Schwierigkeiten bei der Aussprache von manchen Lauten aufwiesen, die ihren Vorgängern absolut unbekannt waren. Dabei waren und sind die Deutschlernenden der beiden Generationen zu hundert Prozent Einheimische. Was ist inzwischen geschehen? Die Anzahl der jungen Algerier, die Französisch als Erstsprache in der Schule gelernt haben, ist seit Ende der 1970er Jahre drastisch zurückgegangen, so dass bestimmte Phoneme, die beim Erlernen des Französischen in den Kinderjahrenerworben werdenkonnten, nicht im phonologischen System des Standardarabischen vorhanden sind. Woher stammen denn solche Aussprachefehler?

Bekanntlich hört der Lernende das phonetische System seiner Muttersprache in dem System der Fremdsprache und versucht beim Sprechen das, was er gehört hat, zu reproduzieren. So lange die Laute in beiden Sprachen identisch sind, stellt das kein Problem der Verständigung dar. Doch sobald es an phonetischen korrespondierenden Lauten in der Muttersprache fehlt, die Aussprachefehler sind nicht zu vermeiden auf Grund der systematischen Substitution des fremden Lautes durch den Laut der eigenen Muttersprache. Das Problem ist noch komplexer, wenn es sich um algerische Lerner handelt, und dies auf Grund der diglossischen Situation im Arabischen, aber auch des Berberischen als Vernakulärsprache, bei der die Schrift noch nicht systematisch die gesprochene Sprache begleitet. Soviel zur Phonetik/Phonologie, nun zur Grammatikvermittlung, bei der die Einbeziehung der Erstsprache sich als nützlich erwiesen hat.

Über welche Möglichkeiten verfügt der Lehrende, um einen grammatischen Stoff zu vermitteln? Als erstes kann er normative Regeln der deutschen Sprache übermitteln. Sollte dies aber nicht zufriedenstellend sein, d.h. dem Lernenden begegnen immer noch Erkennungsschwierigkeiten grammatikalischer Kategorien 6, so kann der Lehrende auf die Erstsprache zurückgreifen, indem er grammatische Fachbegriffe unterschiedlicher Kategorien im Standardarabischen gibt. Gerade in der Grammatik ist der Einsatz der Erstsprache zur Vermittlung grammatikalischer Phänomene eines der effektivsten Mittel (Transitiv, Konnektoren, Apposition ….)7.

Der Lehrende kann darüber hinaus mittels Sprachvergleiche sowohl unterschiedliche als auch ähnliche Aspekte zwischen dem Standardarabischen und dem Deutschen auf verschiedenen sprachlichen Ebenen festmachen.8 Sogar in Fällen erheblicher struktureller Unterschiede zwischen der Erstsprache und der Fremdsprache, wie zum Beispiel das Nichtvorhandensein grammatikalischer Kategorien, sollte das nicht davon abhalten, Sprachvergleiche herzustellen, um diese zu erklären (Modalverben, Funktionsverbgefüge…). 

Ein konkretes Beispiel, das im Fokus unseres Interesses steht, ist der grammatische Kasus im Deutschen, der den algerischen Deutschlernenden große Schwierigkeiten bereitet. Auf der einen Seite kennt das Arabische nur drei Kasus, die vier Kasus im Deutschen gegenüberstehen. Darüber hinaus stellen die zahlreichen Kasusmarkierungen im Deutschen große Probleme dar, da diese den Lernenden stets verunsichern. Durch den Hinweis auf die Existenz ähnlicher grammatischer Phänomene in angewandelter Form in der Erstsprache wird den Lernenden nahegelegt, dass sie mit der Frage der grammatischen Kasus nicht unbedingt ein völlig neues Terrain betreten. Die Kasus sind auch im Arabischen vorhanden, wenn auch deren Markierung nicht hauptsächlich am Artikel festzumachen ist, sondern vielmehr am Nomen bzw. am Adjektiv und am Adverb. Sollte der Lernstoff oder die Regel zusätzlicher Erklärungen bedürfen, die sich zum Beispiel zur Verdeutlichung solcher oder anderer grammatischer Phänomene oder Strukturenals nötig erweisen, dann kann der Lehrer jederzeit auf das Arabische zurückgreifen. Diese Herangehensweise soll die Lernenden zum selbständigen Nachdenken anregen, aber auch das Verständnis erleichtern.

Von den ausgewählten einzelnen grammatischen Phänomenen abgesehen, kann auch die gezielte Einbeziehung der Kontrastiven Linguistik mit Standardarabisch als Ausgangssprache als Unterrichtseinheit erwähnt werden. So wird dank der sprachlichen Gegenüberstellung die Aufmerksamkeit der Lernenden auf morpho-syntaktische Strukturen gelenkt. Eines der Ziele ist die permanente Sensibilisierung der Lernenden für beide Sprachen und deren Strukturen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Standardarabische in Algerien inzwischen eine Phase erreicht hat, um als Grundlage für das Erlernen von Fremdsprachen fungieren zu können. Eine erste Bilanz kann auf der Basis der bearbeiteten Materialien und Erfahrungen durchaus gezogen werden, doch wäre es verfrüht, wollte man diese für allgemeingültig halten.

Die Einbeziehung des Standardarabischen hat gezeigt, dass zumindest manche Sprachebenen vorerst sich besser aneignen als andere. Ob dies an den angewandten methodischen Lehransätzen alleine liegt, kann erst auf der Basis einer breit angelegten Untersuchung eruiert werden. Neben Standardarabisch kann bald Tamazight (Berberisch) in den DaF-Unterricht einbezogen werden, sobald diese Sprache den Status einer realen Nationalsprache schlechthin erreicht haben wird. Dann würden selbst dem Arabischen unbekannte Phoneme wie /p/, /v/ und /ç/ eine Selbstverständlichkeit für die algerischen Deutschlernenden.

5. Literaturverzeichnis

ABDELFETTAH, Ahcène (2012), „L’enseignement de l’allemand en Algérie, histoire d’une discipline (1850-1962) », in Abdelfettah, A., Messaoudi A, Nordmann D. (Hrsg.), Savoirs d’Allemagne en Afrique du Nord XVIIIe-XXe siècle , Saint-Denis, Bouchène, 221-233.

ABDELFETTAH, Ahcène (2018), « Langues vivantes, Langues étrangères dans l’Algérie coloniale », in, Tradec, Revue Traduction & Langues, N° 18 (Janvier 2018), 17-23.

BRETHOME, Jacques (1996), Les professeurs d’allemand des lycées en France de 1850 à 1880,Thèse daxtylographiée, Nantes, 1996.

BRETHOME, Jacques (2004), La langue de l’autre : Histoire des professeurs d’allemand des lycées, 1850-1880, Grenoble , ELLUG.

GUTKNECHT, Christoph (2009), Lauter böhmische Dörfer: wie die Wörter zu ihrer Bedeutung kamen, München: Beck.

HAYANE, Omar (1989), L’enseignement de la langue anglaise en Algérie depuis 1962, Alger, OPU

NIEMEIER, Susanne (2008): „Bilingualismus und „bilinguale“ Bildungsgänge aus kognitiv-linguistischer Sicht“, in: Bach, G. / Niemeier, S. (Hrsg.): Bilingualer Unterricht: Grundlagen, Methoden, Praxis, Perspektiven. 4. Auflage. Frankfurt a. M. [u.a.]: Lang, 23-47.

TANG, Jinlan (2002), “ Using L1 in the English Classroom“, English Teaching Forum Online, Jg-40(1), 36-43.

VOLGGER, Marie- Luise (2007), Mehrsprachigkeitsdidaktik zwischen Ablehnung und Akzeptanz. Zur Einstellung österreichischer Französischlehrer (innen) gegenüber mehrsprachigkeitsdidaktischen Konzepten, Diplomarbeit, Universität Wien.


1 Der vorliegende Beitrag ist eine leicht veränderte Version unseres Vortrags, den wir in Kairo, am 10.06.2019 (alMena٣ Sprachkontaktsituation Arabisch-Deutsch im Fokus 10.-12. Juni 2019) gehalten haben.

2 Am 1. Januar 1842 beträgt die koloniale Bevölkerung in Algier und Umgebung nach dem Ministère de la Guerre rund 10.000 Franzosen, 7000 Spanier, 1600 Anglo-Malteser, etwas mehr als 1500 Italiener und an die 1000 Deutsche (vgl. Tableau de la situation des établissements français dans l’Algérie en 1842-1843, Paris, Impr. Royale, mars 1844, S.74-75)

3 AN/F 17/7678, Lycée d’Alger. Année scolaire 1849-1850 ; 1849-1850 ; 1850-1851 ; 1851-1852 ; 1852-1853

4 Vgl. tellvertretend Chr. Gutknecht (2009)

5Vgl. S. Niemeier (2008, 28)

6 Vgl. J. Tang (2002,38)

7 Vgl. M.-L. Volgger, 2007, 82)

8 Ebd., 87.