Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 2. Nr. November 1997

Wissenschaft und Öffentlichkeit

Anton Mayer (Wien)

Ich betrachte das vorgegebene Thema "Wissenschaft und Öffentlichkeit" unter dem Prätext eines Massen- kommunikationsprozesses, wie er zum festen Bestandteil der Gesellschaft - freilich so gar nicht überall, trotz der vielbeschworenen Globalisierung - und damit Teil unseres Alltags geworden ist. Vielleicht sollte man statt des Begriffes "Öffentlichkeit" lieber den Begriff "Massenkommunikation" im Zusammenhang verwenden.

Doch hier gilt es, noch eine Klarstellung zu tätigen:

Der Begriff "Massenkommunikation" ist die Übernahme des amerikanischen Ausdrucks "mass communication" in die deutsche Sprache. Trotzdem ist aber in diesem Zusammenhang der Wortteil "Masse" nicht mit jenen Bedeutungen von "Masse" gleichzusetzen, die oftmals negativ besetzt sind:

"Massenzeitalter", "Vermassung" oder "Massenmensch". Denn gerade dieser "Massenmensch" ist - wie etwa Burkart schreibt - durch Persönlichkeitsverarmung gekennzeichnet, die u.a. in der Nivellierung seiner Denkweise, seines Geschmacks und Lebensstils sowie im Schwinden von persönlicher Selbständigkeit, Verantwortungsbewußtsein und Initiative bemerkbar wird und die - letztlich - dem "Massenzeitalter" entspricht, in dem die - durch massenmedial verbreitete Propaganda oder Werbung gesteuerte - öffentliche Meinung das Denken und Handeln des Einzelnen bestimmt.

Kommunikationswissenschafter wie Habermas oder Baake haben die Rolle der Massenmedien als Teil eines Systems symetrischer Kommunikationsbeziehungen definiert:

Das Medium darf dem Zuschauer, Hörer, Leser nicht als Zauberkasten, anonyme Macht, als Instrument staatsoffizieller Meinungen, als Ansammlung von Stars und Prominenten erscheinen, als Mythos eines ohnmächtigen Glaubens an die Wahrheit, Wahrhaftigkeit, Allmacht und Offiziosität unseres Kommunikationssystems.

Vielmehr müssen die Medien durch Aufklärung über sich selbst, über ihre Intention, über die Machart ihrer Inhalte etc. ein mündiges Massenpublikum heranbilden, das in der Lage ist, die jeweils vermittelten Aussagen kritisch zu benützen.

Kommunikation wäre also nach dieser Definition ein Mittel der Pädagogik. Per definitionem ist Kommunikation zwar mit Sicherheit ein Mittel der Pädagogik. Für die Massenkommunikation, für die mediale Massenkommunikation, kann das aber nur in sehr eingeschränktem Masse gelten.

Und ich sage das gleich hier an dieser Stelle: wir vom ORF verstehen uns keineswegs - ganz trivial gesagt - als "Oberlehrer der Nation", als "Super-Volksbildner", gleichgültig, welche Inhalte wir zu vermitteln haben - sondern als Kommunikatoren.

Daß aber gerade Fortschritte und Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen oder müssen - darüber sind in Österreich Verantwortliche aus dem Wissenschaftsbereich, aus Politik und Medien einig. Die Gründe dafür sind vielfältig, einige davon reichen stark in den emotionalen Bereich hinein.

Denn Forschung, vor allem naturwissenschaftliche und medizinische, aber genauso auch geisteswissenschaftliche, kann man nicht allein im stillen Kämmerlein betreiben. Früher mag das vielleicht so gewesen sein. Aber heute wird oftmals ein einzelnes Universitäts- oder Forschungsinstitut nicht weit kommen, wenn es nicht beispielsweise an einem Großrechner partizipieren kann.

Der Betrieb von Forschungseinrichtungen, Instituten, die Abhaltung von Kongressen zum Zwecke der Kommunikation ist also teuer und das Geld kommt - bei den Geisteswissenschaften praktisch zu 100 % und bei den Naturwissenschaften und der Medizin zu einem großen Teil - aus Finanzmitteln der öffentlichen Hand, anders gesagt, aus Steuergeldern. Daher hat - so eine oftmals und ohne Rücksicht auf die politische "Farbe" erhobene Forderung - der steuerzahlende Bürger auch das Recht zu erfahren, was mit seinem Geld geschieht.

Ein zweiter, durchaus ins Emotionale reichender Aspekt ist die Technik-Skepsis oder die Wissenschaftsfeindlichkeit. Wir sind hier in einem geisteswissenschaftlichen Symposion - daher ist es natürlich leicht, sich wohlig zurückzulehnen und zu sagen: "Na ja, die Naturwissenschaften". Aber ich möchte hier aus der Sicht des Journalisten eine kleine Parenthese machen : nicht nur, weil sich das Gros der Bevölkerung von den Naturwissenschaften betroffen fühlt, hört man sehr viel von ihnen, sondern weil sie sich auch mehr artikulieren. Aus den geisteswissenschaftlichen Bereichen - ganz allgemein - kommen sehr wenige Meldungen auch in noch so interessierte Redaktionen. Und ich kann den entsprechenden Stellen der Universitäten den Vorwurf nicht ersparen, daß sie sich um den "Verkauf" ihrer Leistungen so gar nicht bemühen. Anderswo auf der Welt, wo Universitäten in einer echten Konkurrenz-Situation stehen, wäre ein solches Schweigen letal.

 

Aber zurück zur Naturwissenschaft als Beispiel:

Ein jüngstes und besonders trauriges Exempel auf dem Gebiet der Wissenschaftsfeindlichkeit ist die Gentechnik. Die jahrelang im Vorfeld und rund um die Beschlußfassung des österreichischen Gentechnik-Gesetzes geführten Diskussionen waren vielfach von einer erschreckenden Unkenntnis der Sachlage gekennzeichnet. Gentechnische Produktions- und Bearbeitungsmethoden wurden und werden ohne Rücksicht auf Sachbereich und Produkt generell als "Pakt mit dem Teufel" gebrandmarkt. Und das, obwohl Anfang Juli 1997 das österreichisch-amerikanische Wissenschaftlerehepaar Matzke für seine gentechnischen Forschungen an Pflanzen mit dem hochdotierten "Wittgenstein-Preis" ausgezeichnet wurde.

Gebrandmarkt wurden diese Forschungsergebnisse, die in Entwicklungsländern voraussichtlich entscheidend zur Bekämpfung der Nahrungsmittel-Knappheit beitragen, von genau denselben Personen, die im Krankheitsfall gentechnisch hergestellte Medikamente einnehmen - und die, wenn sie irgendwo auf Urlaub sind und im Restaurant essen, natürlich nicht nachfragen, ob die Kartoffel oder Tomaten, die sie da serviert bekommen, gentechnisch verändert worden sind.

Geschürt wird - im Einzelfall möglicherweise durchaus von missionarischem Eifer getragen - in der breiten Bevölkerung eine undifferenzierte Angst vor neuen Technologien. Und so hat , vor allem etwa im Vorfeld des österreichischen Gentechnik-Volksbegehrens vom Frühjahr 1997, das eine breite Ablehnung dieser neuen Technologien gebracht hat, Technologie-Skepsis und Wissenschaftsfeindlichkeit vielfach den Optimismus und den Glauben in das Wirken der Forscher ersetzt.

Gerade diese undefinierten Ängste aber haben - so der Rektor der Wiener Universität für Bodenkultur, Leopold März, viel mit der Tatsache zu tun, daß es für den "normalen Menschen" fast unmöglich ist, bestimmte Entwicklungen ausreichend zu verstehen.

Denn Angst, unterlegt mit Wissensdefiziten, kann zum Hebel für politische Manipulation werden und ist es gerade in diesem Fall auch geworden. Was sich zwei Wiener Massen-Zeitungen dabei geleistet haben, dafür ist "Manipulation" meiner Meinung nach noch ein Kosewort.

Und damit wurde, wie März in einem Referat bei einem Symposion zum Thema "Wissenschaft und Öffentlichkeit" im Wiener ORF-Zerntrum auch sagte, wie selten zuvor auch die demokratiepolitische Relevanz und Verantwortung verdeutlicht, die in entscheidenden Fragen auf den Wissensvermittlern lastet - auf den Wissenschaftern genauso wie auf den Journalisten. Und spätestens ab hier muß man die Rolle der Medien nachdenklich und kritisch hinterfragen:

Denn das Spektrum ihrer Möglichkeiten reicht ganz grundsätzlich vom - jetzt einmal ganz wienerisch ausgedrückt -: "Nur nicht anstreifen" bis zum berühmten neudeutschen Slogan "Overnewsed but underinformed".

Beides ist natürlich schlecht. Aber weil das alles immer noch zu einfach ist, wird darüber philosophiert, ob Wissenschaftsinformation eine Bringschuld der Forscher gegenüber den Medien oder eine Holschuld der Medien gegenüber den Forschern ist. Die mit großem Eifer da und dort geführte Diskussion ist müßig, die Wahrheit liegt hier, wie auch sonst meistens, in der Mitte.

Dazu gehört aber ein unverkrampftes Verhältnis der Forscher zu Journalisten auf der einen Seite und ein gewisses Bildungsniveau und Hintergrundwissen der Journalisten auf der anderen Seite. Und es gehört dazu ein unverkrampftes Verhältnis der Wissenschafter untereinander. Auch das muß einmal offen ausgesprochen werden. Und ich sage das aus meiner Praxis als Berichterstatter: solange in der "scientific community" Eitelkeiten, Intrigen und Eifersucht regieren, wird es auch für Journalisten schwierig: denn wenn einem Wissenschafter von Kollegen der Umgang mit Massenmedien und Journalisten als persönliche Eitelkeit oder gar "Mediengeilheit" vorgeworfen wird - wie soll sich da der Krampf lösen?

Könnte es nicht - Gott bewahre ! - sein, daß sich ein Wissenschafter Gedanken gemacht hat, wie er seine Forschungsergebnisse so darstellen kann - ohne komplexe Fachwörter-Schöpfungen -, daß sie womöglich auch Laien noch wenigstens andeutungsweise mitbekommen ? Kein Wunder, daß der/die dann ein begehrter Interviewpartner ist.

Könnte es nicht auch sein, daß man als Wissenschafter auch an seine Aufgaben innerhalb der Gesellschaft denkt, die die Information breiter Kreise über bestimmte Forschungsergebnisse ganz einfach inkludiert ?

Freilich gibt es auch Schattenseiten auf dem Sektor der Medien: denn daß es mancherorts, vor allem, was die Industrieforschung betrifft, ein Junktim zwischen Inseratenauftrag und redaktioneller Berichterstattung gibt, mag zwar vom kommerziellen Standpunkt her vertretbar sein, dient aber der Informations-Sache nicht wirklich.

Der ORF, der österreichische Rundfunk, als öffentlichrechtlicher Radio- und Fernsehsender hat es da leichter und schwerer zugleich: denn das gerade erwähnte Junktim gibt es hier - dank entsprechender gesetzlicher Normen - nicht; erstaunlicherweise immer noch zur Enttäuschung von Marketing-Veranwortlichen und PR-Agenturen, die gegenüber ihren Auftraggebern Erfolge nachweisen müssen - und dazu würden nun einmal redaktionelle Berichte im ORF zählen.

Bevor ich aber auf die Rolle des ORF im Medienumfeld eingehe, möchte ich noch einen Aspekt ansprechen, den der Generaldirektor von Siemens Austria, Albert Hochleitner, beim schon erwähnten Symposion im Wiener ORF-Zentrum hervorgehoben hat: denn er hat Öffentlichkeit in diesem Zusammenhang nicht nur als Medien-Öffentlichkeit verstanden, sondern als – sagen wir - die Öffentlichkeit politischer Entscheidungsträger.

Denn, so Hochleitner, nur die Verankerung von Forschung und Entwicklung im öffentlichen Bewußtsein ermöglicht es auch, die verantwortlichen Entscheidungsträger zu veranlassen, die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Denn nur erfolgreiche Forschung im Anwendungsbereich zieht wirtschaftliche Innovationen nach sich. Über eine florierende Wirtschaft und deren Steuerleistungen sind aber letztlich auch jene Geldmittel zu lukrieren, die dann für die geisteswissenschaftliche Forschung von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt werden können. Aber auch jene Geldmittel, die der Forschung den Anschluß an die Weltspitze gewährleisten und damit die Konkurrenzfähigkeit stärken.

Ein Kreislauf, den ich keinesfalls als "Circulus vitiosus" sehe - ich kenne aber Persönlichkeiten, die da durchaus in Animositäten verharren: Grundlagenforscher gegen angewandte, Naturwissenschafter contra Geisteswissenschafter etc.

Zuletzt möchte ich aber noch auf die Rolle des ORF als medialer Transmissionsriemen von Forschungsergebnissen zurückkommen: Mitarbeiter einer öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehanstalt bewegen sich - auch oder gerade wenn es um Wissenschaftsinformation geht - in der Nähe der Quadratur des Kreises. Sie bewegen sich aber vor allem zwischen der Skylla von oftmals im Sinne des Absenders vorgefertigten Informationen und der Karybdis des im Rundfunkgesetz und dem Informationsstatut des ORF festgeschriebenen Objektivitätsgebotes. Und da gibt es noch den ebenfalls gesetzlich festgeschriebenen Bildungsauftrag .

Es bedarf also eines entsprechenden Hintergrund-Wissens des Journalisten, vereint mit der Fähigkeit, komplexe Materien auf "kurz, bündig und dennoch richtig" umzuarbeiten sowie der handwerklichen Fähigkeit, das alles noch dazu möglichst schnell auf Sendung zu bringen.

Und so hat der Generalintendant unseres Hauses, Gerhard Zeiler, im besagten Symposion betont, es sei dem ORF ein wichtiges Anliegen, Wissenschaft in einer verständlichen Weise einem breiten Publikum nahezubringen.

 

Dazu noch ein kleines "Post scriptum" aus persönlicher Sicht: so wie viele Kulturschaffende eine Abneigung gegen Kulturredakteure haben, so haben manche Wissenschafter eine Abneigung gegen Wissenschaftsredakteure. Am wenigsten betrifft das die wirklichen Stars - sowohl in der Kultur als in der Wissenschaft: die haben sich nämlich neben ihrer fachlichen Spitzenkompetenz zumeist auch ein Repertoire an Kommunikationsfähigkeit und Diplomatie zugelegt.
Und so habe ich die besten Gespräche mit den Besten geführt. Freilich liegt es am Journalisten, Vertrauen zu gewinnen und eine Gesprächskultur zu beherrschen.

© Anton Mayer (Wien)

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