Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 3. Nr. März 1998

Alpenblumen unter der südafrikanischen Sonne -
österreichische Literatur im südafrikanischen Kontext

Kathleen Thorpe (Johannesburg)
[BIO]

Was für Überlebenschancen haben Alpenblumen, sprich die österreichische Literatur, unter der sengenden Sonne Südafrikas? Eher schlechte, wenn man von der jetzigen finanziellen Lage her in die Zukunft blickt. Infolge der andauernden Kürzungen der staatlichen Subvention der südafrikanischen Hochschulen suchen die Administratoren immer nach Möglichkeiten, um zu sparen; und die relativ schwache Position der Fremdsprachen macht sie zum beliebten Ziel des administrativen Fallbeils. Der Rückgang der Studentenzahlen in den fremdsprachigen Instituten kann vor allem auf den Wunsch nach einer berufsorientierten Ausbildung zurückgeführt werden - ein allzu verständlicher Wunsch angesichts des Wettbewerbs um Stellen auf dem Arbeitsmarkt. Wo die Fremdsprachen am wenigsten bedroht sind, ist in der Erteilung von Sprachunterricht - mit anderen Worten, Sprachunterricht für Anfänger, weil nur wenige Schulen, vor allem Staatsschulen, europäische Sprachen anbieten. Das bedeutet aber, daß, wenn die südafrikanische Germanistik nicht zum bloßen Sprachunterricht verkümmern soll, kreative Lösungen gefunden werden müßten, um Literaturunterricht nicht nur zu legitimieren, sondern für die Studenten auch attraktiver zu machen. Wenn solch ein Vorhaben mißlingen sollte, würde das für die ohnehin schrumpfende Anzahl der GermanistInnen an südafrikanischen Hochschulen bedeuten, daß sie als überqualifizierte SprachlehrerInnen ein schizophrenes Dasein fristen müßten, da Lehre und Forschung - abgesehen von der Sprachdidaktik - noch weiter auseinanderklaffen würden. Eine Horrorvision entsteht: unregelmässige Verben bei Tag und Literatur bei Nacht! Wenn so ein kafkaeskes Schicksal abgewendet werden sollte - was tun?

In meiner eigenen Abteilung German Studies innerhalb des Department of Modern Languages and Literatures werden Kurse wie Honours in European Literature für StudentInnen angeboten, die das Grundstudium (Bachelor of Arts) schon vollendet haben. Seminare werden auf Englisch gehalten und die Texte werden in englischer Übersetzung gelesen. Bis jetzt sind die Kurse ganz gut gelaufen, aber die Studentenzahlen bleiben unter den Erwartungen. Leider sind heutzutage StudentInnen nun nicht mehr StudentInnen, sonder FTEs (Fulltime Enrolements), die gegen SLE's (Senior Lecturer Equivalents) abgewogen werden müssen. Die häufigste Frage von potentiellen Studierenden lautet: Was mache ich mit dem Grad auf dem Arbeitsmarkt? Man kann ja auch so überzeugend über Bildung und Kultur im Allgemeinen reden, aber wenn StudentInnen die unmittelbare Relevanz einer Studienrichtung für den Arbeitsmarkt nicht spüren können, belegen sie eben etwas Anderes. Dabei wird übersehen, daß der Umgang mit einer fremden Sprache und Literatur sehr wichtige Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt, wie zum Beispiel, wie man Texte liest und interpretiert, Information verarbeitet und zusammenfaßt, ganz abgesehen von der Anregung zur Flexibilität, "lateral thinking" (Edward de Bono) und Förderung der Toleranz gegenüber fremdem Gedankengut - alles sicher Desiderat auf dem heutigen Arbeitsmarkt.

Die Fremdsprachen in Südafrika kämpfen auch gegen die Vorherrschaft der englischen Sprache, gepaart mit der etwas arroganten Einstellung, daß man sich mit Englisch ja überall durchschlagen kann. Dabei werden die verlorengegangenen Chancen für echte Kommunikation übersehen, die ein Studium der fremden Sprache und Kultur mit sich bringen. Und es ist gerade in der Kommunikation mit anderen, wo die besten Überlebenschancen für die Germanistik in Südafrika angesiedelt sind.

Es ist eine Binsenwahrheit, daß das Erlernen einer Fremdsprache auch die Kultur, die die Sprache bedingt, mit sich bringt. Die kulturellen Belange eines Volkes drücken sich bekanntlich in konzentriertester und interessantester Form in seinen literarischen Produkten aus. In dem Versuch, Literaturunterricht für unsere StudentInnen relevanter zu gestalten, ist es klar, daß auf immer von der herkömmlichen Germanistik europäischer Prägung Abschied genommen werden muß. Es gibt noch einige GermanistInnen im Lande, die vielleicht aufgrund ihrer eigenen Herkunft gerne noch so tun, als ob sie sich in einem Seminarraum in Europa befänden. Aus mehreren Gründen ist solch eine Einstellung m.E. unvertretbar. Auf der einen Seite sind die Rezeptionsbedingungen von denen in Europa völlig verschieden. Auf der anderen Seite könnte sich dies auch sehr negativ auf die Einstellung der Studierenden auswirken, weil sie ständig in die Rolle von Kolonisierten gedrängt werden.

Das Ende der Apartheid in Südafrika und die daraus folgenden Aufrufe zur "Transformation" und "Afrikanisierung" der Hochschulen im Lande setzen Fremdspracheninstitute unter einen besonderen Legitimationszwang angesichts des Schimpfwortes "eurozentrisch" - ein Problem, mit dem German Studies in den USA auch zu kämpfen hat. Das "Mission Statement" (Satzung) vom Department of Modern Languages and Literatures an meiner Universität lautet aber: "Unser Standort ist Afrika, unser Studienobjekt ist Europa". So haben wir uns vor eine Aufgabe gestellt, das Zentrum unseres Interesses im eigenen Land und Kontinent zu verlagern. Dies führt natürlich zu einer Neuüberlegung unseres Lehrangebots. Diese Diskussion wird seit den späten achtziger Jahren in der südafrikanischen Germanistik geführt und Vorschläge sind in den Bänden der Acta Germanica. Jahrbuch des Germanistenverbandes in Südlichen Afrika der letzten Jahre nachzulesen. Im beschränkten Raum dieses Vortrags mache ich lediglich auf das Beiheft 1 vom Jahre 1990, das sich mit diesen Problemen direkt befaßt, aufmerksam.

Indem auf eigene Interessen eingegangen wird, wird sich die südafrikanischen Germanistik in andere Richtungen entwickeln als z.B. die österreichische, auch wenn das Studienobjekt gleich sein sollte. Die spezifische Art der Vergangenheitsbewältigung, die Südafrika gegenwärtig durchmacht, bedeutet, daß z.B. Christoph Ransmayrs Morbus Kitahara nun einmal anders gelesen und gedeutet wird als in Europa. Auch bedeutet das, daß Texte, die im österreichischen Hochschulbereich als besonders altmodisch gelten, für uns eine besondere Aktualität besitzen – wie das Stück Medea von Grillparzer, um nur ein Beispiel zu nennen. Das Bewußtsein der Nationalität ist etwas besonders Relevantes im südafrikanischen Kontext, wo um eine nationale Identität für die sogenannte "Rainbow Nation" (Regenbogen-Nation) (Nelson Mandela) gerungen wird. Familienmord kommt ja auch leider allzu häufig vor in der südafrikanischen Gesellschaft - soziale Probleme bieten einen interessanten Einstieg in Grillparzers Medea, noch besser im Vergleich mit Erich Hackls Erzählung Auroras Anlaß. Bei uns ist Literaturunterricht gleichzeitig Sprachunterricht und alles was zum Gespräch anregt, soll gefördert werden. Kafka ist noch so ein Beispiel, mit der exemplarischen "Heimatlosigkeit", die seine Texte zu demonstrieren scheinen. Ausgerechnet die österreichische Literatur mit ihrer historisch bedingten Multikulturalität bietet viel an, was mit Gewinn im südafrikanischen Kontext diskutiert werden könnte. Also Alpenblumen haben durchaus ihren Platz unter der südafrikanischen Sonne.

Eine Aufgabe, die in unserem Institut noch als "work in progress" Gegenstand der Diskussion ist, ist das Auffinden von literarischen Texten, die Afrika thematisieren. In der Auseinandersetzung mit Afrika bietet sich auch die Aussicht, einen besonderen Beitrag zur internationalen, interkulturellen Germanistik zu leisten. In diesem Zusammenhang könnte die 1996 vom DAAD veröffentlichte Anthologie: Andere Blicke. Habilitationsvorträge afrikanischer Germanisten an der Universität Hannover richtungweisend sein. Obwohl die Beiträge in diesem Band von Westafrikanern geliefert werden, sind die Implikationen, die aus den verschiedenen Beiträgen hervorgehen, für die Entwicklung einer internationalen und multikulturellen Germanistik sicher auch gültig. Die spannende Aufgabe, die aus dieser Anthologie hervorgeht, haut in die gleiche Kerbe wie andere neulich erschienene Veröffentlichungen und Berichte (siehe z. B. Marten: 1996,76 ff.). Die heurige März-Ausgabe der Zeitschrift Fachdienst Germanistik enthält für AuslandsgermanistInnen einen wichtigen Bericht über die Neuorientierung der Tätigkeiten des Goethe-Instituts in Richtung von mehr Kultur und Multikulturalität.

Abschließend ließe sich feststellen, daß sich die Förderung einer internationalen und multikulturellen Germanistik für beide - AuslandsgermanistInnen wie auch die GermanistInnen in den deutschsprachigen Ländern - vorteilhaft auswirken könnte. Für die AuslandsgermanistInnen stünde eine für die Germanistik im eigenen Lande eine größere Relevanz für die eigene gesellschaftliche Situation in der behandelten Literatur in Aussicht - für die binnendeutsche Germanistik gäbe es die Möglichkeit, gängige Vorstellungen vom "Anderen" zu befragen. Ich schließe kommentarlos mit einem Zitat aus dem Geleitwort von Eberhard Lämmert zum schon erwähntem Band Andere Blicke:

"solange ein deutscher Germanist die Zäsur zwischen dem "Eigenen" und dem "Anderen" schlechthin zum Grundmuster des Weiterdenkens erklärt, nimmt er möglicherweise auch wider Willen noch teil an einer späten Metastase des deutschen Idealismus, der einst Fichte dazu verführte, in seiner Wissenschaftslehre nicht nur die Welt in ein personales "Ich" und "Nicht- Ich" aufzuteilen, sondern auch die deutsche Nation zum "Ich" unter den Völkern zu erklären. So bliebe aber die Waagschale zwischen dem "Eigenen" und dem "Anderen" bei der Austarierung einer möglichen interkulturellen Partnerschaft allzu ungleich besetzt, denn sie trüge auf der einen Seite immerfort das unverrückbar Eigene, auf der anderen aber bliebe kaum Platz, um ihn der Vielfalt der anderen Blicke und Kulturen in aller Welt einzuräumen." (Lämmert, DAAB:1996, S.11)

© Kathleen Thorpe (Johannesburg)

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Literatur:

Acta Germanica. Jahrbuch des Germanistenverbandes im Südlichen Afrika. ISBN 3-631-43178-3.

Andere Blicke. Habilitationsvorträge afrikanischer Germanisten an der Universität Hannover mit einem Geleitwort von Eberhard Lämmert. Hrsg. von Leo Kreutzer. Revonnah Verlag, Hannover. 1996. Schriftstücke I.

Fachdienst Germanistik. Sprache und Literatur in der Kritik deutschsprachiger Zeitungen. Jg. 15, Nr.3, März 1997. ISSN 0175-2200 B20371E.

Franz Grillparzer: Medea. Trauerspiel in fünf Aufzügen. UB 4380. Reclam: Stuttgart 1982.

Erich Hackl: Auroras Anlaß. Erzählung. Diogenes: Zürich 1987.

Stephan Marten: "Über Sprache, Sprachunterricht und Bildung". in: Wirkendes Wort. 46, H.1, 1996, S.76-93.

Christoph Ransmayr: Morbus Kitahara. S. Fischer Verlag: Frankfurt am Main 1995.


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Angelika Czipin


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