Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 4. Nr. September 2002


Das mittelalterliche Endzeitdrama in seiner Beziehung zu den Juden

Elisabeth Campagner (Wien)

 

 

1.  EINLEITUNG

1.1.  ZITIERUNGEN UND ABKÜRZUNGEN IM TEXT

2.  DER RÖMERBRIEF IX-XI

3.  DER ANTICHRIST

3.1.  DER ANTICHRIST BEI PSEUDO-METHODIUS, PSEUDO-EPRAIM UND DEN SIBYLLEN

3.1.1.  Pseudo-Methodius
3.1.2.  Ephraem Syrus
3.1.3.  Sibylla Tiburtina
3.1.4.  Cumaeische Sibylle

3.2.  LIBELLUS DE ORTU ET DE TEMPORE ANTICHRISTI (ADSO)

4.  DAS MITTELALTERLICHE DRAMA

5.  VORLÄUFER - MUSPILLI?

6.  DER LUDUS UND SEINE ZEIT

6.1.  BEKEHRUNG, HEIDENTUM UND KETZEREI
6.2.  KIRCHE, KLÖSTER UND KLERUS
6.3.  PILGER UND KREUZZÜGE

7.  DER LUDUS DE ANTICHRISTI

7.1.  ENTSTEHUNGSZEIT, AUTOR, FORM

8.  LUDUS - INHALT (KURZFASSUNG)

9.  DER LUDUS UND SEINE "FIGUREN"

9.1.  DER APOSTOLICUS
9.2.  DIE ANTICHRISTI MINISTRI
9.3.  DIE HEIDEN
9.4.  DIE KÖNIGE
9.5.  DER KAISER
9.6  DER ANTICHRIST
9.7  ECCLESIA
9.8  ENGEL
9.9  SYNAGOGE UND JUDEN
9.10  PROPHETEN

10.  BESONDERHEITEN

11.  EXKURS - DIE JUDEN UND DAS DEUTSCHE RECHT IM 12. JAHRHUNDERT

12.  DIE ZEITGENOSSEN DES LUDUS

12.1.  PETRUS VENERABILIS (1094-1156)
12.2.  BERNHARD VON CLAIRVAUX (1091-1153)
12.3.  RUPERT VON DEUTZ "VATER DES DEUTSCHEN SYMBOLISMUS" (UM 1070 - 1135)
12.4.  HONORIUS AUGUSTODUNIENSIS "POPULARISATOR DES SYMBOLISMUS" (UM 1080 - 1137?)
12.5.  GERHOCH VON REICHERSBERG (1092, 1093 - 1169)
12.6.  OTTO VON FREISING,"HISTORIKER DES DEUTSCHEN SYMBOLISMUS" (UM 1111/1114 BIS 1158)
12.7.  HILDEGARD VON BINGEN (1098 BIS 1179)
12.8.  WALTHER VON DER VOGELWEIDE (1160/1170 BIS 1228?)

13.  DAS BENEDIKTBEURER WEIHNACHTSSPIEL

13.1.  DIE ZITATE AUS DEM LUDUS DE ANTICHRISTO

14.  ANTICHRISTSPIELE UND -SCHRIFTEN

14.1.  LINZER ENTEKRIST - EIN "ZEITGENOSSE" DES LUDUS
14.2.  MEISTER LUCIDARIUS

15.  DER ANTICHRIST UND DIE BEKEHRUNG DER JUDEN IM 20. JAHRHUNDERT

16.  ZUSAMMENFASSUNG

17.  LITERATURVERZEICHNIS

 

 

conclusit enim Deus omnia    
in incredulitatem    
ut omnium misereatur    

Rm 11,32   

 

1.  Einleitung

Simon Dubnow bezeichnet den Römerbrief des Apostel Paulus' als dessen nach Stil und Kraft der Argumentation hervorragendstes Werk(1). In den Kapiteln 9-11 finden sich Aussagen über das Verhältnis zum Judentum, die bis heute grundlegend sind.

Das Judentums-Bild der mittelalterlichen Christen wurde durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflußt. Die umfangreiche Literatur zu diesem Thema ist sich - trotz großer Divergenzen in Bezug auf die Gründe - darin einig, daß es zur Zeit der Kreuzzüge zu einer Verschlechterung in den Beziehungen zwischen Christen und Juden in Mitteleuropa gekommen ist. Nun ist uns aus der Zeit zwischen dem zweiten und dritten Kreuzzug das Werk eines anonymen Dichters erhalten, das dem Zeittrend entgegen die Gedanken des Apostel Paulus in reiner Form widerspiegelt, der sogenannte "Ludus de Antichristo", auch "Tegernseer Weihnachtsspiel" (in der Folge mit "Ludus" zitiert) genannt.

Dieses Drama, in dem zwei traditionelle Endzeitüberlieferungen (Endkaiser und Antichrist) verbunden werden, ist nur in einer unvollständigen Abschrift vorhanden; einige Zitate davon finden sich auch in einem Sammelwerk der Zeit, den "Carmina Burana". Ein Einfluß des "Ludus" auf spätere Dramen mit ähnlicher Thematik scheint nicht zu bestehen.

Ich habe mir nun zur Aufgabe gestellt, die Parallelen zum Text der Kapitel 9-11 des Römerbriefes im Ludus selbst aufzuzeigen und daneben einerseits Vergleiche zwischen der im "Ludus" dargestellten Auffassung und der Auffassung, die in anderen Quellen dieser Epoche zu Tage tritt, und andererseits einige der Gründe, die zu einer veränderten Auslegung der angesprochenen Kapitel des Römerbriefes geführt haben, herauszuarbeiten. Wegen des Stoffumfanges mußte ich bedeutende Einschränkungen zu Ungunsten des ersten Abschnittes des Ludus (Kaiserdrama) vornehmen und mich auch bei der Darstellung der historischen Begleitumstände auf das Wesentliche beschränken. Ich bin lediglich auf rechtshistorische Gegebenheiten näher eingegangen, weil diese in der Literatur, die sich mit dem Antichristspiel beschäftigt, m.E. zum Nachteil des Gesamtbildes vernachlässigt werden. Daher habe ich die grundlegenden diesbezüglichen Forschungsergebnisse (Stobbe, Kisch und Dasberg) in meine Arbeit einbezogen.

 

1.1.  Zitierungen und Abkürzungen im Text

Lateinische Bibelstellen werden nach der Vulgata, Biblia sacra iuxta vulgatam versionem, Stuttgart 19944 , ohne weitere Quellenangabe zitiert.

Zitate aus dem "Ludus de Antichristo" sind der Ausgabe "Der Antichrist. Der staufische Ludus de Antichristo. Kommentiert von Gerhard Günther. Hamburg 1970" entnommen. Sie werden im Text mit (Vers/Nummer) und großteils in der lateinischen Originalfassung zitiert.

 

2.  Der Römerbrief IX-XI

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Paulus hatte mit seiner Missionstätigkeit bei den Juden nicht den durchschlagenden Erfolg, den er sich erwartet hatte. Es wäre möglich, daß diese Enttäuschung auch ihren Niederschlag in seinen Schriften fand.(2) Trotzdem will er selbst für seine Brüder einstehen: optabam enim ipse ego anathema esse a Christo pro fratribus meis qui sunt cognati mei secundum carnem (Rm 9,3). Er vergleicht das Judentum mit dem Ölbaum, in dem das Heidenchristentum eingepfropft wurde (Rm 11,17). Israel wird gerettet werden: dico ergo numquid reppulit Deus populum suum absit nam et ego Israhelita sum ex semine Abraham tribu Beniamin (Rm 11,1); das Bekenntnis zu Christus ist aber notwendig: quia si confitearis in ore tuo Dominum Iesum et in corde tuo credideris quod Deus illum excitavit ex mortuis salvus eris (Rm 10,9). Am Ende der Zeiten wird auch ganz Israel bekehrt werden: et sic omnis Israel salvus fieret sicut scriptum est veniet ex Sion qui eripiat avertet impietas ab Iacob (Rm 11,26). Diese wichtigen Stellen sind (nach den in den Evangelien überlieferten Christusworten) Hauptstützen in der Stellung Christentum - Judentum, mit deren Auslegung man bis heute m.E. Schwierigkeiten hat.

Hinter der Feindschaft, die Paulus "vor die höchsten Behörden seines Volkes und schließlich nach Rom" bringen sollte, "verbarg sich die Lebensfrage des Judentums als Religion und Volk". Der Apostel versprach den Heiden die Auserwählung durch den Glauben, ohne eine Bindung an "das Gesetz", dadurch bedrohte er das Selbstbewußtsein des jüdischen Volkes, das sich als auserwählt betrachtete. Diese Entwicklung war tragisch, "denn sie zerspaltete die gemeinsame Ausgangsbasis und projizierte den Konflikt voraus in die Jahrhunderte der christlichen Zukunft".(3)

Ich möchte hier kurz einige Ansichten religiöser Autoritäten zum Römerbrief anführen, weil sie auf das Weltbild der Entstehungszeit des "Ludus" maßgeblichen Einfluß hatten.

Ambrosius schreibt zu Rm 11,22: "Das jüdische Volk ist per Gesetz vom Körper der Kirche getrennt, damit das Gift der Ungläubigkeit nicht die Kirche anstecke; im Gegensatz dazu hat das Volk der Heiden die Güte Gottes erhalten und macht sich durch die Gabe des Gehorchens würdig."(4) Er verneint auch den Glauben an eine Wiederkehr des Elias: "Die Juden und die judaisierenden Häretiker denken, daß Elias vor ihrem Messias kommen wird [...]".(5) Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß sich Ambrosius zu seiner Teilnahme an Exzessen gegen Synagogen bekennt: Habes praesentem, habes confitentem reum. Proclamo quod ego synagogam incenderim, certe quod ego illis mandaverim, ne esset locus, in quo Christus negaretur etc. (6)

Kein Autor - außer Origenes - stützt sich auf den buchstäblichen Text des Kapitels 11 des Römerbriefes. Kein Kirchenvater nimmt die Möglichkeit einer Rückkehr des jüdischen Volkes an, was ein "Versprechen" wäre und ein Privilegium gegenüber den Heiden. So schreibt Eusebius von Cesarea: "Gott hat nicht das zukünftige Heil bei der Wiederkehr Christi der ganzen jüdischen Nation versprochen, sondern nur wenigen unter ihnen und den sehr wenigen, die an unseren Erlöser und Herrn geglaubt haben".(7) Er tendiert, die Kirche mit dem Römischen Reich Konstantins zu assimilieren, und schließt dabei die Juden aus, die er mehr als "Nation" oder "Rasse", denn als eine religiöse Gemeinschaft betrachtet.(8) Mit Eusebius gleitet die Tendenz der Diskriminierung auf die politische Ebene. Seine Schriften waren im Mittelalter weit verbreitet. Das jüdische Volk wurde "als eine der Kirche fremde Einheit betrachtet". Ab dem fünften Jahrhundert gibt es keine jüdisch-christliche Kirche mehr, die Kirche wird "dejudaisiert".(9)

Erwähnenswert ist auch Hippolyt von Rom, der als Erster die Idee äußert, daß sich Israel erst am Ende der Welt bekehren werde, nachdem der Antichrist das Königtum der Juden wiederhergestellt habe. Das jüdische Volk ist "unter die Herrschaft des bösen Geistes gefallen". Jedoch werden Henoch und Elias wiederkehren, um "die zukünftige Bekehrung des jüdischen Volkes anzukündigen".(10) Hippolyt "beugte die ursprüngliche christliche Tradition, die die sofortige (und gemeinsam mit den Heiden erfolgende) Bekehrung der Juden voraussah". Von den Juden wird nur "ein kleiner Rest" gerettet werden. Das ist nach Judant die allgemeine Meinung der Kirchenväter.(11) Hippolyt und Origenes, beide heidnischer Herkunft, hätten "des relents de l'antisémitisme paien" in christliche Gedanken hinein geschmuggelt.(12) Noch im 9. Jahrhundert scheint keine Einigkeit in den Anschauungen zu herrschen. Als Beispiele: Amalaire de Metz (um 775 - 852 oder 853) glaubt an eine Bekehrung: "Si la Synagogue n'est pas encore jointe au Christ, elle le sera quand la plénitude des peuples sera entrée."(13) Paschase Radbert (? - 865) dagegen:

La vraie Judée dont Jérémie (XXIII,5) annonce qu'elle sera sauvée, c'est l'Eglise, et elle fut sauvée aux jours de Jésus quand elle confessa qu'il était venu en chair. Les autres (Juifs), ainsi que le dit l'évangéliste Jean, ne sont pas Juifs, comme ils le prétendent mensongèrement, mais il forment la synagogue de Satan.(14)

Die Werke Augustinus' waren im Mittelalter "ein Schatzhaus von einzelnen Gehalten und Formulierungen".(15) Immer wieder zitiert wird dieser Ausspruch in der Literatur: "Numquid illi inimici, qui in suis inimicitiis perierunt et adversantes Christo de gente ipsa adhuc pereunt, ipsi sunt electi atque dilecti? Abist: quis hoc vel stultissimus dixerit?"(16) In seinem "Gottesstaat" meint Augustinus, genau zu wissen, was Gott mit den Juden vorhat (4. Buch, 34)(17) und daß Gott "mit vollstem Recht" die Juden dem Ruhm der Römer geopfert hat (5. Buch, 18).(18) Daß Christus auch aus dem Munde der "irrenden" Juden gelobt wird (16. Buch, 37 )(19), geht natürlich unter, wenn man im 17. Buch, Kapitel 18, zu Vier Psalmen, die Tod und Auferstehung des Herrn weissagen (Wiedergabe von Ps 40,9f.) liest:

"Du aber, Herrr, erbarm dich meiner und richte mich Gebeugten wieder auf, damit ich ihnen das vergelten kann". Wer würde das schon leugnen, der die völlige Entwurzelung der Juden durch kriegerische Niederlage und Ausrottung nach dem Leiden und der Auferstehung Christi sieht? Der von ihnen Getötete ist nämlich auferstanden und hat ihnen fürs erste mit zeitlicher Züchtigung vergolten, abgesehen von dem, was er sich für die Unverbesserlichen vorbehält, wenn er einmal die Lebenden und Toten richten wird. (20)

Abschließend zitiere ich aus den Aussagen Augustinus' zum Römerbrief: im 18. Buch, 46 zu Rm 11,11:

Bewiesen also hat Gott der Kirche in ihren jüdischen Feinden die Gnade seines Erbarmens, da ja, wie der Apostel sagt, durch "ihre Sünde das Heil zu den Heiden gekommen ist" (Rom 11,11). Und deshalb hat er sie nicht getötet, das heißt, er hat in ihnen das, was sie zu Juden machte, nicht vernichtet, obwohl sie von den Römern besiegt und unterdrückt wurden, damit sie nicht, wenn sie das Gesetz Gottes vergäßen, zu dem Zeugnis, von dem wir hier sprechen, untauglich würden [...] Denn wenn sie mit diesem Zeugnis der Schriften nicht überall, sondern nur in ihrem Lande aufgetreten wären, könnte die Kirche, die überall ist, sie nicht als Zeugen bei allen Völkern für die Weissagungen anführen, die über Christus ergangen sind.(21)

Im 20. Buch, 29, schreibt Augustinus, daß Elias in der letzten Zeit vor dem Gericht durch seine Auslegung des Gesetzes die Juden zum Glauben an den wahren Gesalbten bekehren werde. Dann werde sich das Herz der Väter zu den Söhnen kehren. Die Söhne, nämlich die Juden, werden dann das Gesetz so verstehen wie ihre Väter - nämlich die Propheten - es verstanden haben.(22) Aber (trotz aller Liebe) wird im 20. Buch vorhergesagt, daß auch die Juden, die den Geist der Gnade und des Erbarmens empfangen werden, Reue empfinden werden - weil nämlich ihre Vorfahren Christus verspottet haben.

Aber so wie wir heute zu den Juden sagen: Ihr habt Christus getötet, obwohl es ihre Vorfahren taten, ebenso werden sie trauern, weil sie in gewissem Sinne etwas getan haben, was eigentlich die taten, aus deren Stamm sie sind. Gläubig geworden nach dem Empfang des Geistes der Gnade und des Erbarmens, sollen sie also nicht mit ihren gottlosen Vorfahren verdammt werden, aber trauern werden sie trotzdem, als ob sie selbst getan hätten, was von jenen getan worden ist.(23)

Augustinus selbst scheint sich bei dieser Argumentation nicht wohl zu fühlen, daher schließt er: "Sie trauern also nicht aus Reue über das Verbrechen, sondern aus frommer Gesinnung".(24)

 

3.  Der Antichrist

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Der jüdische "Antichrist" ist ursprünglich ein Heidenkönig, der gegen Gott und Israel kämpft und vernichtet wird (Sanherib, König von Babel, Caligula usw.). Diese Vorstellung wandelte sich mit dem Christentum. Es gibt auch eine jüdische Antimessias-Legende, und zwar die von Armillus (wahrscheinlich Romulus), Sinnbild des christlichen Roms und Sohn des Teufels, der sich für den Messias ausgibt. Nur die Juden bleiben dem wahren Gott treu; dafür werden sie verfolgt. Armillus besiegt den Messias aus dem Stamm Josef, um schließlich vom Messias aus dem Stamm David vernichtet zu werden. (25)

Über den "christlichen Antimessias", das ist der "Antichrist", steht das Wesentliche bereits in den Johannesbriefen (I Io 2,18-23; 4,3 und II Io 7). Weitere grundlegende Aussagen finden sich bei Paulus (II Th 2,3 -12). Diese Aussagen werden später politisch gefärbt. Ab dem 3. Jahrhundert hat sich das Bild des Antichristen als "Weltverführer" verfestigt, ein Jahrhundert später kommt noch das Motiv des "Endkaisers" dazu, das Kommen des "Endechrist" wird an den Verfall des römischen Imperiums gebunden. Aus der Aussage, nach der ein jeder, der Christus leugnet, Antichrist ist, wird dann durch die Zusammenfassung verschiedener Motive und Überlieferungen eine Art von "Chiffre für konkretere widergöttliche Mächte und Gestalten". (26)

In den Test der XII Patriarchen wird geschrieben, daß der Stamm Dan sich wider Gott stellt, indem er Levi provoziert und gegen Juda kämpft (Test. Dan 5,4). In 5,6-7 behauptet der Schreiber, daß der Prinz des Stammes Dan der Satan ist (Mitte des 1. Jahrhunderts v.Chr.). R.H. Charles ist der Meinung, dies ist 'the most ancient authority we at present possess for the view which connected the tribe of Dan with the Antichrist'.(27) Da man den Stamm Dan in Babylon vermutete, wurde Babylon zum Geburtsort des Antichrist.(28) Daneben gibt es Parallelen zur Simon Magus-Legende. Dieser "Sohn Satans" verführt viele Christen, läßt sich als Gott verehren, wirkt Scheinwunder und versucht eine Totenauferweckung, die aber nur teilweise gelingt. Christus sendet gegen ihn Petrus.(29) Der Antichrist gewinnt in den Zeiten des Investiturstreites, des Angriffs der Türken auf Palästina und in den Kreuzzügen an Bedeutung. Man glaubte, daß die Türken seine Vorboten seien. So setzte man sich schließlich mit einer realen Persönlichkeit auseinander. Die entscheidende Wendung sollte sich dann durch Joachim v. Fiore (gest. 1202) vollziehen: Zwei Antichristen, einer im Inneren der Kirche, der "Sittenverfall und Dekadenz hervorrief", und einer, der eigentliche, "der mit geringen Veränderungen die Züge des traditionellen Antichrist bewahrte". (30)

Die beiden Deutungsstränge - eine historisch-realistische und eine spiritualistische - entwickelten sich in der Folge weiter. Der Gattungsbegriff (I Io 2,22) wurde durch Tychonius populär. In dessen Apokalypsenkommentar wird das corpus diaboli dem corpus Domini gegenübergestellt. Diese Auffassung, die auch Augustinus (Zweistaatentheorie) anregte, wurde im Mittelalter u.a. durch Ambrosius Autpertus (gest.784) und durch Beda den Ehrwürdigen verbreitet. Der Letztere teilte die Welt in zwei Reiche: das Reich Christi und das Reich des Antichrist.(31)

Schon bald werden die Juden zum Corpus Antichristi und der Antichrist selbst zum Juden. Irenaeus von Lyon (gest.202) ist der erste kirchliche Schriftsteller, der sich in seinen Ausführungen über die Apokalypse des Johannes in diesem Zusammenhang äußert. Er gelangt zur Feststellung, daß die von Daniel geweissagte 'amominatio desolationis' (Dn 9,27) nur auf das Sitzen des Antichrist 'in templo Dei' bezogen werden könne (Adversus haereses, XXV,4). Hippolyt (gest.ca. 235) liefert eine umfassende Darstellung des Werdeganges des Antichrist, "von der einzelne Motive in späterer Zeit gleichsam kanonisches Ansehen erreichten", wie z.B. die Herkunft aus Dan, die Geburt in Babylon, die Predigten der Propheten Henoch und Elias usw. Das jüdische Volk wird sich dem Antichrist unterwerfen, und zwar als Strafe, daß es einst Christus nicht als Sohn Gottes anerkennen wollte. "Tendenziös" wirkt Hippolytus in seiner Ankündigung, die Juden werden 'libellos in omnes partes adversus sanctos' senden, damit 'qui eum colere et quasi Deum venerari noluerint' getötet werden. Trotz dieser neuerlichen Verblendung wird aber das jüdische Volk am Ende zu Christus bekehrt werden.(32) Hieronymus schildert den Antichrist als den jüdischen Pseudo-Messias aus Babylon. Die Juden sind die ersten, "quia perditioni sunt praeparati".

Es existierte seitdem eine Anschauung vom Judentum als Pars diaboli , die bis in die stagnierenden Gründe gefühlsmäßigen Vorurteils, ja religiösen Hasses reichte; wogegen sogar die Mahnung des Apostels, nicht ganz Israel sei verworfen, zuweilen in Vergessenheit geriet. (33)

Bonitus (gest. 705), der ein paar Jahre Bischof von Clermont war, berichtet in seiner Vita vom Auftreten einer Häresie, die er mit dem baldigen Erscheinen des Antichrist verbindet. Im Sinne dieser Auffassung gelten die Völker Gog und Magog als Personifizierung der Häretiker. Zu Beginn des 9.Jahrhunderts benutzte Bischof Agobard von Lyon (816-840) die Antichrist-Erwartung, um gegen die Juden am Hof vorzugehen. In einem Brief an Ludwig den Frommen bezeichnete er die Juden als Antichristen. Seine Beweisführung stützt sich vor allem auf den 1.Johannesbrief : "Ex quibus verbis evidentissimae declaratur non solum mendaces sed et Antichristos esse Judaeos, qui cum negent Filium, frustra confitentur Patrem [...]" Sein Bemühen war vergeblich, was ihn - laut Konrad - zu "einer recht pessimistischen Analyse seiner Zeit" veranlaßte. Die Merkmale der Endzeit seien bereits sichtbar. Nun habe man nur mehr auf den Antichrist zu warten. Am Schluß seines Briefes fordert Agobard den König auf, alles Wissenswerte über den Antichrist sammeln zu lassen.(34) Erzbischof Hinkmar von Reims (845-882) hat die Antichrist-Überlieferungen in seinem Werk "De praedestinatione dissertatio posterior", das aber kaum verwertet wurde, zusammengefaßt. Auch die Bibelkommentare des Haimo von Auxerre sind von großer Bedeutung. Schon im 7. oder 8. Jahrhundert findet sich die Kanzleiformel: "appropinquante mundi termino" (Formelsammlung des Markulf). Das Ganze gipfelt in einem "geistlichen Ausrutscher": Auf der Synode zu Reims 991 bezeichnete Bischof Arnulf von Orleans Papst Johannes XV als den leibhaftigen Antichrist, der im Tempel Gottes sitzt. Günther hingegen schreibt, daß die Zeitgenossen Heinrich IV als "neuen Nero" bezeichneten, während wiederum Gregor VII. "der erste als Antichrist bezeichnete Papst" ist.(35)

Eine andere Sage erzählt, daß "der Teufel schon zu Theodosius Zeiten den Juden in der Gestalt Mosis erschienen sei, und ihnen verheissen habe, sie würden trockenen Fusses durch's Meer dahin gelangen". Gottfried von Viterbo:

Per mare transite, sicco pede (dixit) abite
atque Hierosolymam me praeveniente redite.

Die Verführten ertranken, wenige Gerettete haben sich taufen lassen. Der Antichrist liebt das jüdische Volk. Philippus Solitarius schreibt, daß er die Juden allen Anderen vorzieht und sie zuerst gewinnen werde. "Ein grosser König ist in Herusalem aufgestanden, wird es heissen". (36)

Der Liber Pontificalis berichtet von einem 1106 in Florenz gehaltenen Konzil, das auch vom Papst besucht wurde, bei dem ein kirchlich-offizielles Urteil über die Existenz des Antichrist gefällt werden sollte. Anlass zu dieser Diskussion war die von Rainer, Bischof von Florenz, verkündete Meinung, der Antichrist sei schon geboren. Das Volk, das sich vor dem Tagungsgebäude versammelt hatte, protestierte gegen die Auffassung, daß es keinen "lebenden Antichrist" gebe; man "konnte den Gedanken an eine Verschiebung des eschatologischen Heilsstaates in eine weite, ungreifbare Zukunft nicht ertragen." (37)

 

3.1.  Der Antichrist bei Pseudo-Methodius, Pseudo-Epraim und den Sibyllen

Ich möchte hier kurz auf die Quellenwerke des Ludus eingehen, wobei ich mich nur auf die Stellung des Antichrist zu den Juden sowie auf die Bekehrung derselben beschränken muß.

 

3.1.1.  Pseudo-Methodius

Der "Sancti Methodii Episcopi Paterensis Sermo de Regnum Cantium etc." ist wahrscheinlich in Syrien entstanden und wurde aus dem Griechischen in das fränkische Vulgärlatein der Merovingerperiode (8. Jh.) übersetzt. Sackur nimmt an, daß diese Weissagungen von Syrern, die in Handelsgeschäften nach Gallien kamen, dorthin gebracht wurden. Die Schrift "wurde mit Gier verschlungen". Daneben fand eine pseudo-ephremische Predigt über das Ende der Welt, die zum Teil auf der lateinischen Übersetzung des Methodius beruhte, in Gallien Verbreitung.(38) Die Schrift wird auf 676-678 datiert und hat zeitgeschichtliche Bezüge. Die Eröffner der Endzeit sind die 'filii Ismahel'; gegen sie erhebt sich der Endkaiser, der sie vernichten wird. Noch um 1100 betrachtete man die Mohammedaner als Verehrer falscher Götter, die "mit magischen Absichten die Idole des Heidentums pflegen"; der Islam wird als Polytheismus mit den heidnischen Göttern zusammengeworfen. (39)

Die im Zusammenhang mit dem "Ludus" wichtigsten Stellen daraus sind: Der Antichrist wird "filius perditionis" genannt, in Chorozaim geboren, wächst in Bethsaida auf und regiert in Chaparnaum. Dies in Bezug auf Lc.10,13(40) "Ve tibi Corozaim, ve tibi Bethsaida et tibi Chaparnaum, si usque in celum exaltaveris, usque ad infernum discendes", was eine Neueinführung ist, die auch Adso benutzen wird. Mit dem Erscheinen des Sohns der Verderbnis legt der König der Römer auf Golgotha seine Krone auf das Kreuz und gibt das Christenreich Gott zurück. Dann stirbt er.(41) Der Sohn der Verderbnis tritt ans Licht. Er ist vom Stamme Dan nach der Prophezeiung Jakobs "Dan serpens in via et accubans in semita momordens calcaneum equi et cadet ascensor retrorsum". Er zieht in Jerusalem ein und sitzt im Tempel des Herrn "als wäre er Gott", obwohl er ein Mensch ist. Hier wird er dann vom Autor mit Judas Iscarioth verglichen.(42) Zur Rettung des Menschengeschlechtes sendet Gott Henoch und Elias (suos famulos sincerissimusque carissimus); diese bekehren die Verführten.(43) Außer der Bemerkung über die Abstammung des "filius perditionis" und seinen Werdegang ist also von den Juden keine Rede. Wie sich das Bild verändert, sieht man aus einer Pseudo-Methodius-Handschrift aus dem 13. Jahrhundert, wo die Juden vom Antichrist, der jetzt schon diesen Namen trägt, als erste verführt werden, allerdings auch von Elias und Henoch bekehrt werden:

 

3.1.2.  Ephraem Syrus

Die Ephraem Syrus und Isidor von Sevilla zugeschriebene Predigt über die letzten Zeiten, den Antichrist und das Ende der Welt findet sich in zwei Handschriften aus dem 8. Jahrhundert - in einem "sehr verdorbenen Text". Einzelne Stücke scheinen aus dem 4. Jahrhundert zu stammen. Der Autor ist wahrscheinlich keiner der beiden Genannten.(44) Auch hier erscheint nach der "Discessio" der Antichrist - ebenfalls aus dem Stamme Dan. An die Regierung gekommen, befiehlt er den Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem. Er läßt sich wie Gott im Tempel nieder und befiehlt, daß ihn alle Völker anbeten. Dieser Antichrist ist ein "Mischwesen" aus Fleisch und verwerflichem Geist. Unter seiner Herrschaft müssen sich die Männer beschneiden lassen; die Juden sind darüber hoch erfreut, da er die Anwendung des "Gesetzes" wieder in Kraft setzt - und alle (Juden) strömen ihm zu.(45) Auch hier sendet Gott schließlich die "famulos suos", Henoch und Elias. Von den Juden ist dann keine Rede mehr.

 

3.1.3.  Sibylla Tiburtina

Augustus als Pontifex Maximus ließ alle Wahrsagebücher, die ohne Gewähr kursierten, verbrennen, nur die offiziellen sibyllinischen Bücher wurden aufbewahrt. Bis Varro gab es schon zehn Sibyllen, genannt nach ihren Heinmatsländern, darunter die von Tibur. Diese taucht im 11. Jahrhundert plötzlich in der Lombardei auf.(46) Sackur nimmt an, daß diese Sibylle in der Zeit nach dem Tode des Konstantius verfaßt wurde; der Verfasser sei in den Kreisen der Katholiken, "denen die Unterstützung der Arianer durch Konstantius ein Greuel war", gewesen. Der letzte messianische König wird Konstans genannt (katholischer Bruder des arianischen Konstantius, 350 ermordet). Einen wesentlichen Raum nimmt die Verbreitung des Christentums ein. Das paßt in das Zeitalter des Konstantius, denn "daß, wer nicht anbetet, mit dem Tode bestraft wird, findet sein Pendant in einzelnen drakonischen Gesetzes des Selbstherrschers". Hier finden wir schon eine Diskussion der Sibylle mit den Juden; aus diesem interpolierten Text, der aus der Zeit des "Ludus" stammen dürfte, ersieht man deutlich die Verschlechterung des Bildes der Juden. Auch das "Essigmotiv" ist schon vorhanden.

In der Aufzählung von Herrschern ist im Zusammenhang mit dem I.Teil des Ludus, dem "Kaiserdrama", ein "alius rex C. nomine" interessant, auf den - als Einschübe - ein "rex Salicus de Francia de K nomine" und schließlich ein "Salicus de Francia B nomine" folgen. Darauf folgt Constans, König der Griechen und Römer. Er zerstört alle heidnischen Länder und alle heidnischen Götzen, er läßt alle Heiden taufen und christianisiert alle Tempel. Wer sich widersetzt, kommt durch das Schwert um. "[...] et cum completi fuerint centum et viginti anni, Iudei convertentur ad Dominum, et erit ab omnibus sepulcrum eius gloriosum. In diebus illis salvabitur Iuda et Israhel habitabit confidenter". In dieser Zeit erscheint der Fürst des Verderbnis aus dem Stamm Dan, Antichrist genannt, der "filius perditionis" etc. Danach kommen Gog und Magog hervor, die vom Römischen König besiegt werden, der danach nach Jerusalem kommt. Dort legt er sein Diadem und die königlichen Insignien ab und gibt sie Gott Vater und Sohn zurück. Nun endet das Römische Reich, der Antichrist wird manifest und nimmt seinen Sitz im Tempel Gottes in Jerusalem ein. Elias und Henoch, die dann erscheinen, werden vom Antichrist getötet, die aber post dies tres a Domino resuscitabuntur. Nach einer riesigen Verfolgung wird der Antichrist auf dem Ölberg vom Erzengel Michael durch die Macht Gottes getötet (virtute Domini Antichristus a Mikaele arcangelo in monte Oliveti).(47) Es folgt das Jüngste Gericht. Auch hier ist nach der Bekehrung der Juden von ihnen keine Rede mehr. Die tendenziösen Aussagen finden sich vielmehr in den Einschüben im Diskurs der Sibylle mit den Juden.

 

3.1.4. Cumaeische Sibylle

Eine Neubearbeitung der Tiburtinischen Sibylle ist die Cumaeische Sibylle aus einer Handschrift des späten 11. oder frühen 12. Jahrhunderts, deren Erzählung erst mit dem 10. anfängt. Da auch der Kampf um die Simonie vorkommt, muß der Verfasser zur reformpäpstlichen Partei gehört haben. In dieser Erzählung werden die Ereignisse gekürzt, Heinrich IV. wird zum letzten Kaiser vor der Endzeit. Der rex Salicus de Francia in der Tiburtina wird in der Cumaea zu einem rex Salicus de Baiowaria. Der Autor sah in den Unruhen seines Zeitalters also schon die Vorboten der Endzeit. (48)

 

3.2.  Libellus de ortu et de tempore Antichristi (Adso)

Adso von Montier-en-Der (910 - 992), Anhänger der Gorzer Reform, kam 935 nach Montier-en-Der, wo er Abt wurde. 992 wollte er eine Pilgerfahrt nach Jerusalem unternehmen. Er starb aber auf der Reise dorthin auf dem Schiff und wurde auf der Insel Astilia (Astropalia = Stampalia?) begraben. (49)

Königin Gerberga von Frankreich, die Schwester Kaiser Ottos des Großen, und Gattin Ludwig IV., forderte Adso auf, ein Buch über den Antichrist zu schreiben. Der Traktat "Epistola Adsonis ad Gerbergam Reginam de ortu et tempore Antichristi" wurde zwischen 949 und 954 verfaßt. Der Antichriststoff wird hier erstmalig in Vitenform dargestellt. Es werden drei Themenkreise behandelt: Antichrist - Weltreichlehre - Endkaiser.(50) Nach Sackur und Konrad besteht eine gewisse Abhängigkeit vom Haimo von Halberstadt zugeschriebenen Kommentar zum 2. Thessalonikerbrief. Nach Rauh schreibt Adso diese Exegese "beinahe wörtlich" aus.(51) Die Weltreichlehre behandelt Adso nur als "Exkurs" (scimus). Nach Konrad hat Adso als Quelle die Chronik des Hieronymus, die "Grundlage der mittelalterlichen Weltgeschichtsschreibung", benutzt. Adso verband die Endkaisersage mit der von der freiwilligen Herrschaftsniederlegung des letzten Königs. Das Auftreten dieses Motivs bei Adso um die Mitte des 10. Jahrhunderts ist von zentraler Bedeutung, Adso leitet als erster die abendländische Überlieferung dieser byzantinischen Sage ein.(52) Der Ort der Herrschaftsniederlegung ist der Ölberg; Adsos Neufassung entsprach auch der religiösen Vorstellungswelt seiner Zeit. Die Quellenzusammenhänge werden als "unlösbar" bezeichnet; es bestehen Parallelen zu Pseudeo-Methodius und zu Pseudo-Ephraim, die "wahrscheinlich aus einer verlorengegangenen älteren Quelle geschöpft haben." (53)

Adso liefert eine Art von Begriffsbestimmung für den Antichrist: Er kommt aus dem Stamm Dan und aus einer menschlichen Verbindung. Er wird in Babylon geboren und wächst in Bethsaida und Corozaim auf. In Jerusalem verfolgt er alle Christen, die sich nicht zu ihm bekehren und bereitet seinen Sitz im Tempel vor. Er restauriert den Tempel Salomons, beschneidet sich und gibt sich als Sohn Gottes aus.(54) Er "bekehrt" Könige und Fürsten und durch sie andere Völker. Er sagt zu den Juden, daß er ihr versprochener "Christus" sei, worauf ihm die Juden zuströmen, die aber schließlich durch Henoch und Elias bekehrt werden.(55) Die zwei Propheten und "ceteros fideles" werden zu Märtyrern. Erst jetzt erhalten die "Gläubigen" des Antichrist sein Zeichen auf der Stirn. Das Ende des Antichrist erfolgt auf dem Ölberg durch "dominus Iesus interficiet spiritu oris sui". Adso schließt mit der Beruhigung, daß nach dem Tode des Antichrist nicht sofort das Jüngste Gericht abgehalten werde, und daß die Reuigen, vom Antichrist verführten, noch Zeit zur Buße haben werden.(56) Der "Sohn des Verderbens" ist bei Adso weder Heide noch Christ, sondern Jude. Denn er bekämpft "omne quod dicitur Deus", also den Polytheismus mit seinen falschen Göttern, und er bekämpft "omne quod colitur", nach christlicher Etymologie von "cultus" den wahren Gott, die Trinität. So bleibt nur übrig, in ihm den jüdischen Pseudomessias zu sehen. Der Gegensatz zu Christus wird besonders intensiv entwickelt. Was der Traktat bietet, ist ein nahezu fertiger Kanon: die Antichrist-Vorstellung erweist sich bis ins Detail hinein verfestigt und hat sich im Mittelalter kaum mehr verändert. (57)

Der Hamburger Erzbischof Willehad hatte 850 als Erster über die translatio in seiner "Vita" geschrieben; er war der Ansicht, daß 800 die kaiserliche potestas auf das Dominium Francorum übergegangen sei. Adso glaubte, daß der Letzte der reges Francorum das römische Reich ex integro besitzen werde und durch die discessio auf dem Ölberg das Ende aller Reiche besiegeln werde. Tatsache ist aber, daß die Franken nicht das neue Reichsvolk wurden. Auch Karl der Große erstrebte nur eine Gleichstellung mit Byzanz. 911 wurde der Franke Konrad im Ostreich gewählt. Jetzt nahm Karl der Einfältige (898-923) den Titel "rex Francorum" an. Ludwig IV (936-954) nannte sich zunächst nur rex. Erst seit ca. 943 überwiegt der Titel rex Francorum.(58) Seit dem 12. Jahrhundert bürgerte sich der Begriff Franci für Franzosen ein. Im Sprachgebrauch der Folgezeit mußten also die Ausführungen Adsos einen nationalen Unterton gewinnen. Der Libellus wurde von französischer Seite als Urkunde ihrer älteren Ansprüche auf das Reich benutzt, und wurde daher von deutscher Seite als ernste Herausforderung empfunden. Seit dem Entstehen des Kreuzzugsgedankens war das französische Selbstbewußtsein gestärkt worden. So wurde Ludwig VII. (1137-1180) die Eroberung des Morgenlandes und seine Verwandlung in Constans, den Vollender der Weltgeschicke, prophezeit. Sofort erhob sich auf deutscher Seite scharfer Widerspruch. Otto von Freising wandte sich entschieden gegen derartige "Prophezeiungen" und schrieb ihre Entstehung der "gallischen Leichtgläubigkeit" zu. (59)

Der Traktat hatte "ungeheuere Breitenwirkung". Ob und inwieweit ein Einfluß auf den Ludus besteht, ist in der Literatur nicht eindeutig beantwortet worden. Konrad meint, daß Fragen offen bleiben, "welche den Wandel des Geschichtsbildes vom 10. zum 12. Jahrhundert betreffen". Vielleicht diente die Feststellung Adsos "omnes populorum nationes Romanis subjacebant et serviebant eis sub tributo" dem Dichter des Ludus als Stoffgrundlage; auch die Herrschaftsniederlegung gehe auf Adso zurück. Wie bei Adso tritt sofort danach der Antichrist auf. Günther meint, daß der Traktat "die unmittelbare Vorlage für die Dichtung des Spiels vom Antichrist" ist, der Weg der Überlieferung von Augustin an jedoch nicht nachvollziehbar sei - es gab auch eine mündliche Tradition. Jenschke zitiert die "fast einhellige Meinung der germanistischen und mittellateinischen Forschung", daß der Dichter des 'Ludus' Adso als Quelle verwendet habe. (60)

 


4.  Das mittelalterliche Drama

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Schon die Kirchenväter versuchten, das weiter vererbte antike Theatergut durch christliche Schauspiele zu ersetzen. So forderte Tertullian dazu auf, ihre "voluptas" nicht an heidnischen Theateraufführungen zu befriedigen, sondern sich "spectacula christiania" zuzuwenden. Die Kirche begann mit der Ausformung der Liturgie, beginnend mit der Karfreitagsliturgie. Notker von St. Gallen (gest.912) gestaltete den gregorianischen Gesang aus, sein Zeit- und Klostergenosse Tuotilo ist der Erfinder der dramatischen Tropen. Durch Aufnahme des Gestus, der Situation, des Kostüms entstand schließlich eine Form des Theaters. Die Szene der Marien am Grabe stellt das älteste kirchliche Drama dar. Alle Darsteller waren Kleriker, die ursprünglich stumm handelten und nur pantomimisch den Chor begleiteten. Diese Aufführungen wurden erstmals von Bischof Ethelwold in der Benediktinerregel von Winchester, der "Regularis Concordia" (965-975) beschrieben. (61)

Die allegorische Darstellung von Begriffen wurde auf das Theater übertragen, wobei auch Symbolformen der damaligen Gegenwart schon früh auch in Allegorie-Szenen übernommen wurden;(62) ein Beispiel hiefür sind die Gestalten der "Synagoge" und der "Kirche", die zum erstenmal im "Ludus(63) de Antichristo" auf die Bühne gestellt wurden. Daneben bestanden auch lateinische Komödiendichtungen weiter, z.B. die Komödien der Hrosvitha von Gandersheim (Schüleraufführungen, vor 984), Declamationen von Comoediae elegiacae usw. Aus dem "Sermo", der Bekehrungszwecken diente und in der Liturgie der Weihnachtswoche seinen Platz hatte, entwickelte sich der Ordo Prophetarum, das Prophetenspiel; in ihm ging es um die Wahrheit über Christus. (64)

Solange die Spiele in den Kirchen verblieben, ereignete sich das Geschehen vor Altären und Seitenaltären. Eine Erinnerung daran findet sich heute noch in den "Heiligen Gräbern" oder in den Krippen, die in Kirchen aufgestellt werden. Bei Aufführungen im Freien, die später notwendig wurden (Innozenz III. verbot 1210 die Aufführung dramatischer Spiele in den Kirchen), gab es keine Bühne im heutigen Sinne und keinen Kulissenwechsel. Es wurden im Halbkreis Tribünen aus Holz aufgestellt. Es wanderte nicht die Szene, sondern das Auge des Zuschauers, der den ganzen Raum des Geschehens stets vor sich hatte, von Tribüne zu Tribüne. Die Darsteller - lange Zeit ausschließlich Kleriker - stellten sich mit einem Eingangslied dem Publikum vor. Ein "hinter der Szene" gab es nicht. In den Regieanweisungen, auch Dirigierrollen genannt, wird deutlich zwischen Rede ("dicere") und Gesang ("cantare") unterschieden.(65) Auf die Schüleraufführungen gewannen die "Goliarden" und Spielleute zuerst Einfluß, den sie später auch auf die kirchlichen Spiele ausdehnten. In der Folge entfernten sich die Spiele von ihrem ritualen Ursprung und Zweck und gelangten schließlich - wie die Schauspieler selbst, die bald als "ehrlos" galten - in Verruf. Interessant in diesem Zusammenhang erscheinen auch die clerici vagantes, Geistliche, die kein ständiges Kirchenamt innehatten und deshalb unstät herumzogen, was das Mißfallen der Kirche hervorrief, die schließlich die ordinatio vaga verbot. Diese Vaganten, die im 12. Jahrhundert zu einer "Synagoge Satans" erklärt wurden, gerieten mit den Spielleuten in Berührung, woraus die lateinische Vaganten-Lyrik entstand (Sammlung: Carmina Burana). Diese Spielleute ihrerseits rekrutierten sich aus den Klöstern, aus den Reihen der Geistlichen; ihr Hauptvertreter - und ein Zeitgenosse des Dichters des "Ludus de Antichristo" - war der Archipoeta Walther. Schon zur Zeit Friedrich I. muß es eine nicht unbedeutende dramatische Literatur gegeben haben. Man nimmt an, daß sie vorwiegend ein Produkt der Muße gebildeter Kleriker war. Der Domscholar Gerhoch von Reichersberg (gewählt 1133) erklärte schließlich die "spectacula theatrica" für Teufelswerk und klagte über die Entweihung der Kirchen durch ihre Aufführung. Erst im 14. Jahrhundert gingen die Rollen von Klerikern auf Laien über, gleichzeitig wird von Latein auf Deutsch als Sprache gewechselt. (66)

Was die Thematik anbelangt, so kam schon früh neben dem Weltuntergang das Motiv des Antichrist auf. Grund hiefür waren u.a. kirchenpolitische Kämpfe, das Vordringen des Islam, die Zunahme der Ketzerei, was als Zeichen für das nahende Weltende aufgefaßt wurde. Hier sind als Vorläufer des Ludus "De tempore Antichristi" (Theodulf von Orleans, um 800) und das rheinfränkische Fragment "Christ und Antichrist" (Ende des 11. Jahrhunderts) zu nennen. (67)

 


5.  Vorläufer - Muspilli?

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Im altbayrischen Gedichtfragment "Muspilli" kämpft der Antichrist mit Elias.(68) Der Antichrist, der hier neben dem Teufel, dem altfîante, dem Altfeinde, wider Elias kämpfen und besiegt werden soll, wird Z.38 der warch, d.i. der Wolf genannt.(69) Es handelt sich um ein Fragment aus dem 1. Drittel des 9. Jahrhunderts, das auf die leeren Blätter einer Handschrift geschrieben wurde, die Erzbischof Adalram von Salzburg Ludwig dem Deutschen überreichte.(70) Der Verfasser ist ein Christ, der das Weltende so schildert, wie in der Edda. Er hatte durch "gelehrte männer (weroltrehtwîsê) kunde von dieser erzählung genommen, es schweben ihm aber auch noch bilder des heidnischen weltunterganges vor, wenn muspilli herannaht". Der Antichrist erscheint als teuflischer Heuchler.(71) In dieser ersten volkssprachlichen Behandlung des Themas schildert der Verfasser in Vers 37-49 den Kampf des Elias mit dem Antichrist. Henoch tritt nicht auf.(72) Die Juden kommen nicht vor.

Daz hort ih rahhon dia
daz sculi der antichristo
der warch is kiwafanit:
khenfun sint so kreftic,
Elias stritit
wili den rehtkernon
pidiu scal imo helfan
der antichristo
stet pi demo Satanase,
pidiu scal er in deru wicsteti
enti in demo sinde
doh wanit des vilo gotmanno,
daz Elias in demo wige
so daz Eliases pluot
so inprinnant die perga,
enihc in erdu,
muor varswilhit sih,
mano vallit,
sten ni kistentit.
verit mit diu vuiru
dar ni mac denne mak andremo
denne daz preita wasal
enti vuir enti luft
war ist denne diu marha,
diu marha ist farprunnan,
niweiz mit wiu puaze,
weroltrehtwison,
mit Eliase pagan.
denne wirdit untar in wic arhapan.
diu kosa ist so mihhil.
pi den ewigon lip,
daz rihhi kistarkan:
der himiles kiwaltit.
stet pi demo altfiante,
der inan varsenkan scal.
wunt pivallan
sigalo werdan.

arwartit werde.
in erda kitriufit,
poum ni kistenti
aha artruknent,
svilizot lougiu der himil,
prinnit mittilagart.
verit denne stuatago in lant.
viriho wison.
helfan vora demo muspille.
allaz varprinnit
iz allaz arfurpit,
dar man eo mit sinen magen piehc?
diu sela stet pidungan.
so verit si za wize.
(73)

 


6.  Der Ludus und seine Zeit

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6.1.  Bekehrung, Heidentum und Ketzerei

Im 12. Jahrhundert war die Zeit der Massenbekehrungen noch nicht lange vorbei. Die Germanen waren zum Großteil dadurch christianisiert worden, daß mit der Bekehrung der Fürsten und Sippenoberhäupter auch die gesamt Gefolgschaft den "neuen Gott" annahm. Dies erfolgt auch im Ludus.(74) Gegen diesen (rein äußerlichen) Erfolg sollte sich der Mißerfolg in der Judenmission umsomehr abheben. Ein weiteres Problem ergab sich daraus, daß die Christianisierung natürlich nur oberflächlich war. Die heidnischen Vorstellungen wirkten (wahrscheinlich bis heute!) unter der dünnen Schicht evangelischer Symbole weiter. (75)

Als Beispiel dient das altniederdeutsche (altsächsische) Epos "Heliand", dessen Verfasser, ein sächsischer Geistlicher, nicht nur die heidnischen Vorstellungen schonte,(76) sondern auch eigene Anschauungen gegen den Sinn der Quelle einfügte, die in den Darstellungen der Synagoge im 12. Jahrhundert wiederkehren sollten. Diese umschreibende Übersetzung der lateinischen Evangelienharmonie entstand unter Ludwig den Frommen (um 830). In diesem "Gemisch aus Geschichte, Mythenbildung und kindlicher Verweltlichung"(77) liest man in der Szene des Hauptmannes zu Kapharnaum:

[...] wenn der Juden viel,
Dieses Reiches Söhne,
Und teillos der Ehre
In dem alleruntersten
Heulen hören
Und ihren Zorn
Denn da ist grimmiger Geist
Harter Höllenzwang,
Ewig schwarze Nacht
Den Werken der Bosheit,
Sich erlösen zu lassen,
Von dieser Welt sich wendet
[...](78)

beraubt sein werden
und sollen in düstern Tälern,
Abgrund liegen.
mag man die Helden da
mit den Zähnen zerbeißen.
und gieriges Feuer,
heiß und düster,
der Sünde zum Lohn,
dem, der nicht willens ist,
ehe er dies Licht verläßt,

Die Auslegung des Essigschwammes als Grausamkeit wird bereits volkssprachlich "ausgeschmückt":

"Mich dürstet", rief er.
Die wütgen Widersacher:
Wo sie ihm Bitteres
Bald hatten unsüßen
Gemischt die Meintäter,
Ein schuldiger Schächer,
Und angestiftet:
Das leidigste Getränk,
Von Rohr gesteckt,
Dem mächtigen, zum Munde.
Fühlte die Falschheit
So Bittres nicht kosten.
(79)
Die Rotte säumte nicht,
ihr Wille war gut,
herbei mochten bringen.
Essig mit Galle
und ein Mann stand bereit,
dazu beschieden
der nahm in einen Schwamm
an langen Schaft
reicht' er ihn dem Gottessohn,
Der erkannte die Meintat,
und wollte ferner

Ich zitiere diese Stellen als Beispiel dafür, welches Bild Menschen, die kaum je einen Juden zu Gesicht bekommen hatten, eingeprägt wurde. Wenn Blumenkranz erwähnt, daß man in einer Bibel aus flämischen Gebiet von etwa 1160 "den Schwammträger mit Judenmütze" findet und meint, daß die Darstellung auf einer durch Augustin begründeten Erklärung fuße,(80) so mag das wohl richtig sein, im Bewußtsein des einfachen Volkes, für das diese Dichtung bestimmt war, mußten derartige Auslegungen allerdings früh eingedrungen sein, denn der Autor des Heliand stammte aus Sachsen, einem Gebiet, das erst sehr kurz davor (zwangsweise)"christianisiert" worden war.

Bischof Claudius von Turin beschwerte sich: "Sie haben den Götzendienst nicht aufgegeben, sie haben nur die Namen geändert." Die Kirche mußte feststellen, daß bekehrte Bauern immer noch gewisse Quellen, Brunnen, Bäume und Steine verehrten, sie hielt es für angebracht, diese Gegenstände für den christlichen Gebrauch zu segnen, eine tolerante Anpassung an das Heidentum.(81) Die Sitte, anstelle von Bußübungen eine Geldbuße zu setzen, stammte aus dem germanischen Recht, das dem Täter erlaubte, Verbrechen durch ein "Wehrgeld" zu sühnen. Es ist zu bezweifeln, ob die kirchliche Unterscheidung zwischen irdischer und himmlischer Buße vom Volk verstanden wurde.(82) "Die Städte sind voller falscher Propheten", erklärt ein Bischof 1190; allein in Mailand gab es 17 neue Religionen.(83) Als im 12. Jahrhundert die Ketzerei um sich griff, bildete sich die Meinung, dem Kirchenbann solle die Einkerkerung durch den Staat folgen; mit der Wiedergeburt des römischen Rechtes in Bologna, ebenfalls zu dieser Zeit, entstand der Gedanke einer religiösen Inquisition: Das kanonische Ketzergesetz wurde Wort für Wort dem fünften Gesetz des Abschnittes De haereticis des justinianischen Gesetzbuches nachgebildet. Die Kirche übernahm dann die Ketzergesetze von Friedrich II.(84) Die Frage scheint erlaubt: Wieviele Christen waren wirklich Christen? Wahrscheinlich wird die "mittelalterliche Frömmigkeit" überschätzt.

 

6.2.  Kirche, Klöster und Klerus

In der Mitte des 12. Jahrhunderts war das Verhältnis zwischen Kirche und Kaiser bereits stabilisiert. Gegen die Investitur der Bischöfe durch den König hatte sich schon im 10./11. Jahrhundert das Reformmönchtum erhoben, worauf es zum "Investiturstreit" und zur Simoniebekämpfung kam.(85) Die Frage nach dem Recht, die führenden geistlichen Ämter zu besetzen, war Ursache dafür. Die Bischöfe waren Reichsfürsten, auf deren Gehorsam der Kaiser angewiesen war; ihr Besitz an Land und Einkünften ruhte auf dieser Stellung. Der "Wormer Konkordat" von 1122, die erste Beurkundung einer Trennung von Kirche und Staat, war ein Kompromiß, der im folgenden Jahr vom Lateran Konzil bestätigt wurde.(86) Das revolutionäre Reformpapsttum siegte im Gefolge des Investiturstreites und es entstand ein klerikales Reich unter päpstlicher Leitung, das die geistlichen Belange monopolisierte. Andererseits waren die neuen territorialen Staaten, die sich im 12. Jahrhundert zu entwickeln begannen, betont weltlich. Modell des weltlichen Gesetzes war aber ein "säkularisiertes kanonisches Recht". (87)

Der Glaube an die Dauer des Reiches in finem saeculi galt als gesicherte Tatsache. Der Kampf gegen den Antichrist, der knapp davor erwartet wurde, verlieh dem christlichen Reich eine eschatologische Funktion, die derjenigen der kämpfenden Kirche verwandt war. "Mit der Heraufkunft Christi begann das Römische Reich das Reich Christi zu werden", schrieb Bartolus, und deshalb "ist es richtig zu behaupten, daß alles dem Römischen Reich gehört, das jetzt das Reich Christi ist". Bartolus wollte nur die weltweite Jurisdiktion des Kaisers beweisen bzw. den Satz, daß "die Ordnung der ganzen Welt im Kaiser liegt", aber die Folgerung, daß das irdische Römische Reich Christi bis zum Ende der Tage bestehen würde, lag nahe. (88)

In der Bewegung der neuen Orden der Zisterzienser und Praemonstratenser war Bernhard von Clairvaux "geistiger Mittelpunkt". 1123 entstand das erste Zisterzienserkloster auf deutschem Boden, um die Jahrhundertmitte gab es schon 60 Niederlassungen. Unter diesen Reformklöstern nimmt Hirsau eine führende Stellung ein, dessen Einfluß auch in dem konservativen benediktinischen Reichskloster von Tegernsee spürbar wurde.(89) Auch noch nach Gregor VII. sind Priesterehe und Konkubinat überliefert. Der niedere Klerus verfügte selten über große Bildung, das Studium war teuer und Bücher selten, man mußte nur Brevier und Meßbuch lesen können.(90) Anlaß für die Gottesfriedensbewegung (Konzil von Charroux 989) waren die ständigen Fehden, unter denen die Bevölkerung zu leiden hatte. Das Reformmönchtum machte Propaganda für eine "heilige Ritterschaft".(91) Die Schichten, die durch die Trennung vom Waffenhandwerk als schutzlos gekennzeichnet waren, so Dasberg, wurden unter den Schutz der Kirche gestellt. Durch die "Treuga dei" wurde die Fehde auf Montag bis Mittwoch beschränkt. Die Friedensversammlungen der Ezbischöfe und Bischöfe wurden "zu den Schauplätzen der ersten religiösen Massenbewegung des Abendlandes". Dadurch konnte die Kirche auch "kämpfende Macht im genauen Sinne des Wortes" sein,(92) denn man konnte den Frieden nicht ohne Gewalt verteidigen. Der Höhepunkt der eschatologischen Mission der ecclesia militans war ihr Verschwinden am Tag des Gerichts, an dem sie mit der ecclesia triumphans verschmolz. Dieser Glaube an die Kontinuität der Kirche bis zum Jüngsten Tag beeinflußte auch das kanonisches Recht. Die dogmatische Ewigkeit der kämpfenden Kirche findet ihr juristisches Gegenstück in dem Satz Ecclesia nunquam moritur.(93) Um 1000 begannen viele Vermächtnisse an die Kirche mit den Worten adventante mundi vespero (unveräußerlicher Besitz).(94) Im 12. Jahrhundert etablierte sich die Kirche, einschließlich der klerikalen Bürokratie, als der "mystische Leib Christi"; der weltliche Sektor erklärte sich dagegen zum "heiligen Reich".(95) Kurz vor Entstehung des Ludus gab es durch die päpstliche Doppelwahl von 1130 Anaclet II. gegen Innocenz II. ein päpstliches Schisma.(96) Das formale Recht scheint auf Seiten von Anaclet II. gewesen zu sein. Auf die Problematik, wie man mit einem Papst jüdischer Herkunft (nicht) zurechtkam, kann ich jedoch leider hier nicht näher eingehen. Jedenfalls hatte Innocenz II. die Geistlichkeit hinter sich; er zog nach Frankreich und erhob damit dieses wie zur Zeit Urbans II. vor den Augen der gesamten Christenheit zur Schutz- und Schirmmacht der verfolgten Kirche. (97)

 

6.3.  Pilger und Kreuzzüge

Wallfahrten nach Jerusalem wurden vielfach als Bußübungen auferlegt, und zwar u.a. für Mord, Sodomiterei und Simonie, später auch für den Bruch des Gottesfriedens. Es gab eine kleine oder große Fahrt, die sich nicht selten auf Lebenszeit erstreckte.(98) Mansur al Hakim (Kalif von Ägypten 996-1020) ließ 1009/10 die Grabeskirche in Jerusalem verwüsten. Im Zusammenhang mit diesen Nachrichten kam es zu einer ernsten Judenverfolgung, zuerst in Frankreich; die Juden sollen daran schuld gewesen sein (siehe Bericht des Rodulf Glaber zum Jahre 1010). (99)

Rodulf Glaber berichtet auch von einer Pilgerfahrt des Jahres 1033, an dem Angehörige aller Stände teilnahmen. Nach dem Grund befragt, sollen sie die Ankunft des Antichrist angegeben haben.(100) 1054 sammelte sich eine Schar von 3000 Pilgern; aus Furcht vor dem jüngsten Tage zogen 1065 unter dem Erzbischof von Mainz 7.000, nach anderen Angaben 13.000 Menschen nach Jerusalem, die an der Spitze stehenden Prälaten in ritterlicher Rüstung. Nur 2.000 davon sollen wieder heimgekehrt sein.(101) In der Vita Altmanni (dieser Bischof nahm teil) wird geschrieben, es seien deshalb "so viele adlige Leute auf die Reise gegeangen, weil sie das bevorstehnde Ende der Welt erwarteten und dieses Ereignis an heiliger Stelle erleben wollten."(102) Es handelte sich bei diesen Pilgerfahrten um eine "förmlichen Völkerwanderung" "zum angeblichen Schauplatz der bevorstehenden Endkatastrophe", an der Leute aller Stände, auch Frauen teilnahmen.(103)

Erst im 11. Jahrhundert war die Kirche bereit, zwei Grundsätze preiszugeben: die Ablehnung von Feldzeichen sowie Schlachtrufen und des Kriegshandwerks. Letzteres Problem bestand schon seit der Christianisierung der kriegsverherrlichenden Germanen.

Aber wenn auch schon damals, sofort und mit gutem Erfolg, der Kriegsgott Wodan von der Kirche zu einem christlichen Kriegsheiligen - wie zB. zum Hl. Martin - umgeprägt worden war, so hatte dessen Biograph ihm doch noch diese Worte in den Mund gelegt: "Ich bin ein Krieger Christi, ich darf nicht kämpfen." Mit diesen Worten verlässt der Heilige die Armee.(104)

Die Einführung der Fahne in die Welt der christlichen Vorstellungen hat vielleicht der Bildgruppe "Kirche und Synagoge" zur Popularität verholfen. Um die Jahrtausendwende wird auch der Gegensatz zwischen der militia Christi und der militia saecularis von der Kirche überbrückt.(105) Schon auf einer Synode 1078 hatte Gregor VII. das Verbot "arma non sumat nisi contra paganos" durch die Bestimmung "arma deponat ultriusque non ferat nisi consilio religiosorum episcoporum pro defenda iustitia" gemildert. Die von Urban II. in Clermont ausgerufene bewaffnete Pilgerfahrt war eine contradictio in terminis, denn Wallfahrten waren immer unbewaffnet. Dadurch, so meint Dasberg, wurden in den "niederen Volksschichten alte mystische Vorstellungen" wachgerufen, wie die Erwartung des Antichrist und seines Kampfes mit dem Endkaiser, die "Idee der Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden".(106) In der eschatologischen Auffassung des Kreuzzuges sei "der Zusammenhang zwischen Kreuzzug und Judenverfolgung zu finden". (107)

Den Ritter, der im Dienst der Kirche und für die Sache Gottes sein Leben opferte, hatte man schon vor den Kreuzzügen glorifiziert. Mit den Kreuzzügen dehnte sich das Vorrecht, ein Märtyrersoldat zu werden, auf Klassen aus, die normalerweise nie in den Kampf gezogen wären. Diese Märtyrer waren nach allgemeinen Glauben berechtigt, sofort in das himmlische Paradies einzuziehen und als Lohn für die Opferung des Lebens die Märtyrerkrone zu empfangen. (108)

Nach dem Fall von Edessa 1141 war 1146 auch Antiochia in Gefahr. Das Mißlingen der Züge von 1101 war schon vergessen.(109) 1145 erging eine Bulle von Eugen III. an Ludwig VII. von Frankreich (seine Frau Eleonore war die Nichte des Fürsten von Antiochia).(110) Bei Vezelay in Burgund versammelte sich um Ostern 1146 eine große Masse; im freien Felde war eine Bühne erbaut worden, welche Bernhard von Clairvaux und der König bestiegen. Der Abt teilte unter unermeßlichem Jubel das päpstliche Schreiben mit. Die mitgebrachten Kreuze waren so schnell verteilt, daß er aus seinen eigenen Kleidern Kreuze schneiden mußte. (111)

Petrus Venerabilis riet Ludwig VII. zu einem Überfall auf die Juden Frankreichs, doch Abt Suger von St.Denis protestierte gegen diese Auffassung von Christentum und der König begnügte sich mit Vermögensabgaben, die er von reichen Juden einzog.(112) Am Grab eines gewissen Theuderich in Würzburg (eines Kreuzfahrers, den angeblich die Juden getötet hatten) sollen sich Wunder ereignet haben;(113) trotz der Einwände des Bischofs Embicho wurden dort 20 Menschen ermordet; viele andere, die Verletzungen erlitten, wurden von Christen in Pflege genommen (1147), der Bischof ließ die Toten in seinem Garten bestatten.(114) Ein französischer Mönch, Rodolphe, verließ ohne Genehmigung sein Kloster, um im Rheinland einen Hetzfeldzug gegen die Juden durchzuführen. In Köln wurde Simon (der Fromme) ermordet und verstümmelt; in Speyer wurde eine Frau auf die Folterbank gespannt, um sie zur Bekehrung zum Christentum zu bewegen. Wiederum unternahmen die Weltgeistlichen alles, was in ihrer Macht stand, um die Juden zu beschützen. Bischof Arnold von Köln gab ihnen eine Burg als Zufluchtsort und gestattete ihnen, Waffen zu tragen; die Kreuzfahrer griffen zwar die Burg nicht an, ermordeten aber jeden nichtgetauften Juden, der ihnen "in die Klauen" fiel. Erzbischof Heinrich von Mainz nahm einige vom Mob verfolgte Juden bei sich auf; die Menge stürmte das Haus und ermordete sie vor seinen Augen. Der Erzbischof rief Bernhard von Clairvaux an, den einflußreichsten Christen seiner Zeit; dieser erwiderte ihm mit einer heftigen Anklagerede gegen Rodolphe und forderte die sofortige Einstellung der Gewalttätigkeiten gegen die Juden. Als Rodolphe seine Aufwiegelungen fortsetzte, kam Bernhard im November 1146 nach Deutschland und zwang den Mönch zur Rückkehr in sein Kloster.(115) Von Deutschland aus kehrte der Gedanke, man sollte den Kreuzzug bei sich daheim beginnen, nach Frankreich zurück, und Juden wurden in Carentan, Rameru und Sully massakriert. In Böhmen wurden 150 Juden von Kreuzfahrern ermordet. (116)

Möglich ist es, daß damals bereits sehr stark das Motiv mitspielte, durch die Ermordung der Juden von lästigen Gläubigern befreit zu werden.(117) In der Bulle Eugen's III. aus 1146, in welcher er einen Zinsenerlaß verkündigt, und die an das französische Volk gerichtet ist, heißt es:

quicunque vero ere premuntur alieno et tam sanctum iter pro corde inceperit, de preterito usuras non solvant (- daß die Juden die Gläubiger seien, wird nicht gesagt -) et si ipsi vel alii pro eis occasione usurarum constricti sunt sacramento vel fide apostolica eos auctoritate absolvimus.

In einer anderen, "wohl an die Deutschen gerichteten Bulle" wird nur die Sündenvergebung als Belohnung für die Beteiligung am Kreuzzuge in Aussicht gestellt. Bernhard v. Clairvaux schreibt in demselben Jahre 1146 an den Klerus und das Volk von Ostfranken und Baiern: "Attamen exigendum ab eis juxta tenorem apostolici mandati, ut omnes, qui crucis signum susceperint, ab usurarum exactione liberos omnino dimittant". (118)

Neben Männern, die sich in wilder Extase das Zeichen des Kreuzes selber in die Haut gebrannt hatten und dann erklärten, die Hand Gottes habe dies getan, sah man Diebe und liederliche Dirnen in Masse.(119) Jeder Teilnehmer hoffte zwar auf den Himmels als sichern Lohn seiner Anstrengung, aber Beute war doch das nächste, das man erwartete. An diesem Punkt setzte denn auch die große Enttäuschung ein.(120) "Nichts hat den Völkerhaß größeren Vorschub geleistet als die Kreuzzüge, die als ein gemeinsames Unternehmen der gesamten Christenheit vor sich gingen."(121) Dazu Dasberg:

Das Eindringen des Judenhasses in den Kreuzzugsgedanken hat darum, unserer Ansicht nach, eine seiner Wurzeln zweifellos in dieser antiköniglichen und gegen das Reich gerichteten Tendenz, und wenn die Kirche später unablässig - freilich vergebens - versuchte, den Judenhasse vom Kreuzzug zu trennen, so hatte sie doch selbst die antikönigliche und reichsfeindliche Stimmung nicht nur im Investiturstreit, sondern auch mit ihrer Kreuzzugspropaganda, bestärkt.(122)

Schon im Jahre 1065 wurde ein Kreuzzug , der von Franzosen gegen die Mauren in Spanien unternommen wurde, mit der Ermordung aller Juden, welche auf dem Wege angetroffen wurden, eröffnet. Vicomte Berengar von Narbonne schützte die Juden in seinem Land und erhielt deswegen von Papst Alexander II. (? - 1073) ein Belobigungsschreiben.(123) In seiner "Lettre (mandement) aux évêques d'Espagne (et de Gaule [Narbonnaise])"schrieb dieser Papst Worte, die m.E. bis in die heutige Zeit gelten:

C'est l'ignorance - à moins que ce ne soit la cupidité - qui fait rechercher la mort de ceux que l'économie divine a réservés pour être sauvés. Le pape rappelle l'exemple de Grégoir le Grand qui protégea pareillement les Juifs contre certains qui voulaient les persécuter et même contre un évêque qui voulait détruire une de leurs synagogues. Il a, ajoute-t-il, une différence profonde entre les Sarrasins et les Juifs. Il est licite de faire la guerre à ceux-là qui poursuivent les Chrétiens et les chassent des cités, mais non pas à ceux-ci qui partout sont prêts à servir.(124)

Bernhard traf Konrad III. in Frankfurt und warb ihn für den Kreuzzug. Der deutsche König als Träger der Kaisertradition und Vogt der Kirche mußte teilnehmen.(125) Konrad III. und Ludwig VII. kehrten 1148 bzw. 1149 erfolglos zurück. Die Ritterheere sind fast vollständig vernichtet, die Christen in die Defensive zurückgedrängt.(126) Europa war verblüfft über den Zusammenbruch des 2. Kreuzzuges. Man begann sich zu fragen, wieso Gott es zuließ, daß seine Verfechter so sehr gedemütigt wurden; Kritiker bestürmten Bernhard von Clairvaux, der entgegnete, des Allmächtigen Wege entzögen sich menschlichem Verständnis, und die Katastrophe müsse eine Strafe für die christliche Sündhaftigkeit gewesen sein.(127) Freilich kann auch erst der Mißerfolg des Kreuzzuges die Chronisten rückwirkend zu negativen Kritiken gebracht haben. Aus einer Aufzeichnung der Jahrbücher von Würzburg 1147:

Es erhoben sich gewisse Lügenpropheten, Söhne des Antichrist. Diese verführten die Christen mit eitlen Worten und trieben durch ihre unsinnige Predigt alle Welt an, zur Befreiung Jerusalems gegen die Sarazenen zu Feld zu ziehen [...] Nicht nur der gemeine Mann glaubte damit Gott zu gehorchen, sondern auch die Könige, Herzöge [...] Ihrem Irrtum schlossen sich obendrein die Bischöfe und Erzbischöfe an, und der Papst gab dazu Ablaß und sonstige Privilegien. Es strömte also alles voll Unbedacht herbei [...] (128)

Bei den Zeichen und Wundern, die in den Jahren 1146 und 1147 vorgekommen sein sollten, könne nur als zweifelhaft betrachtet werden, wer damals täuschte, ob der Wundertäter oder der Gegenstand des Wunders; gewiß sei jedenfalls die Täuschung, da Blinde und Lahme zwar in der Stunde gläubiger Erregung den Schein der Besserung gezeigt hätten, darnach aber wieder in ihr Leiden zurückgefallen seien. Und die Pilger selber hätten aus sehr verschiedenartigen Absichten das Kreuz genommen:

denn die einen gingen aus Wißbegier ins Morgenland; die andern, die daheim in drückender Dürftigkeit gelebt hatten, wollten, sei es gegen Feinde oder Freunde des Christennamens, nur kämpfen, um ihre Armut zu heben; noch andere flohen vor ihren Schulden, vor Diensten, zu denen sie verpflichtet waren, vor Strafen, die für Verbrechen ihrer warteten. Nur wenige fand man, die ihr Knie nicht vor Baal beugten, sondern die eine fromme Absicht lenkte. (129)

Lowenthal schreibt dazu, daß

in the case of the Crusades, the Church, despite Canossa, was saving itself from lay revolt, the kings were saving themselves from a recalcitrant feudalism, the knights from boredom and debts, and the masses from starvation [...] they were lulled, it must be said, partly by as prevalent hope in the coming of the Messiah. His advent had been calculated for the end of the 250th cycle of the moon, between the years 1096 and 1104.(130)

 


7.  Der Ludus de Antichristi

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7.1.  Entstehungszeit, Autor, Form

Der Ludus de Antichristi (in der Folge mit "Ludus" bezeichnet) liegt - nach den Fehlern und Lücken darin zu urteilen - in seiner ältesten Fassung in einer Abschrift (MS München Staatsbibliothek MS lat. 19411, pp.6-16) vor, die um 1178 nachweislich im Benediktinerkloster Tegernsee angefertigt wurde; vielleicht wurde dort auch der Ludus vervielfältigt. Diese HS wird auch als das "Tegernseer Antichrist-Spiel" bezeichnet. Das Manuskript hat keine Überschrift, es fehlt auch der Name des Verfassers. Man nimmt an, daß diese Abschrift einige Jahrzehnte nach der Entstehung des Werks angefertigt wurde. Ob das Drama auch in Tegernsee entstanden ist, kann nicht bewiesen werden. Zu dieser Abschrift kommt noch die aus der Mitte des 13. Jahrhunderts stammende HS der "Carmina Burana": in dem "Benediktbeurer Weihnachtsspiel" sind am Schluß 24 Verse aus dem Ludus eingefügt; der Text scheint dort besser überliefert zu sein als in der Haupt-Handschrift. (131)

Die Besitzungen von Tegernsee reichten bis nach Südtirol. Friedrich Barbarossa, der dem Kloster Schutzbriefe verlieh, schrieb an Abt Rupert, der seit 1155 Abt von Tegernsee war: "Wir haben gehört, daß in Deinem Kloster gute Schreiber sind." Ruperts Vorgänger, Abt Konrad, neigte zur Richtung der Reformklöster, von denen in Süddeutschland Hirsau das einflußreichste war. Tegernsee stand nicht eindeutig auf kaiserlicher Seite, auch innerhalb des Klosters gab es verschiedene Gruppen. (132)

Der Zeitraum der Entstehung wird in der Literatur um 1160 festgelegt, als Kaiser Friedrich I.(133) schon Kaiser, der deutsche Königsthron jedoch noch unbesetzt war (zwischen 1155 und 1169; 1169 wurde der Sohn Friedrichs, Heinrich, zum König gewählt). Zu dieser Zeit war das Verhältnis zu Frankreich prekär; es konnte ständig mit dem Ausbruch eines Krieges gerechnet werden.(134) Ein christliches Königreich Jerusalem bestand zwischen 1099 und 1187. Der Dramatiker gestaltet die Idee des "dominium mundi" wie der Archipoeta: das Stauferreich gilt beiden als Rechtsnachfolger des römischen Imperiums. Die Rezeption römischen Rechts begann um 1156. Der Begriff des Sacrum Imperium (Allegorie für den Endkaiser) begegnet zum ersten Mal 1157. (135)

Der unbekannte Autor wird dem Schriftstellerkreis um Friedrich I., der z.B. Otto von Freising, den Archipoeta oder Gunther von Pairis, umfaßt,(136) zugerechnet. Vielleicht war es auch ein zisterziensisch eingestellter Tegernseer Mönch. Es könnte sich auch um eine Auftragsarbeit, um auf den Kaiser im Sinne einer Machtpolitik einzuwirken oder ihn für die Idee des Kreuzzuges zu begeistern, gehandelt haben. Bauerreiß ist der Meinung, daß Metellus, der Dicher der "Quirinalia" auch der Dichter des Ludus sei. Auf jeden Fall besaß der Autor hohe theologische Bildung (110 biblische Zitate) und war warscheinlich ein Geistlicher. (137)

Der erste Herausgeber Pez hat den Ludus mit dem Titel "Ludus Paschalis" versehen (Augsburg 1721-1729).(138) Von Zezschwitz bezeichnet den Ludus ebenfalls als ein Osterspiel, da die Wiederkunft Christi zu Ostern erwartet wurde.(139) Aichele scheint sich nicht im klaren, da er einerseits einen "typologischen Zusammenhang mit der Leidens- und Auferstehungsgeschichte" annimmt,(140) andererseits feststellt, daß "Antichrist und Weltgericht [...] im Verlauf des Kirchenjahres ihren Platz in der Adventszeit" haben. Der adventus Antichristi sei eng mit dem ersten adventus Christi verbunden. Der einzige Antichristtext in der Liturgie werde am vierten Quatembersamstag gelesen. Auch in den mittelalterlichen Sermonen- und Homiliensammlungen habe der Antichrist seinen Platz in der Adventszeit.(141) Die Aufführungen dürften, vielleicht in Anwesenheit des Kaisers, vor der Abteikirche in Tegernsee (manche Forscher glauben in der Kirche) stattgefunden haben. Gedacht war dabei an ein Publikum aus dem Klerus und der Ritterschaft.(142) Es besteht auch die Vermutung, daß der Ludus am kaiserlichen Hof aufgeführt wurde.(143) Die Annahme Fronings, daß das Drama unmittelbar vor dem Kreuzzug Barbarossas (3. Kreuzzug) verfaßt wurde und in einem Zusammenhang mit dem Reichstag zu Mainz zu Ostern 1188 steht,(144) scheint heute überholt, da schon die Abschrift nachweislich aus 1178 stammt.

Der Dichter des Ludus ist der erste, der Ecclesia und Synagoge auf die Bühne bringt, zwei bis drei Generationen vor der Entstehung der Plastiken in Bamberg und Straßburg. In symbolischen Handlungen werden das Lehensreich, die Schutzherrschaft des Kaisers über die Kirche und der Sieg der Kreuzzüge dargestellt, auch rivalisierende religiöse Gedanken. Ecclesia, die nach der festen Überzeugung aller Zuhörer recht hat, wiederholt den Urteilsspruch des Jüngsten Gerichtes gegen die Andersgläubigen (Ecclesia triumphans). (145)

Langosch nimmt an, daß das ganze Spiel durchkomponiert war und alles gesungen wurde.(146) Der Gesang wäre dann dem gregorianischen Sprechgesang verwandt, der auch in den Chören einstimmig war.(147) Der als Conductus bezeichnete Hymnus der Christenheit, von der Ecclesia gesungen (Szene 7), ist nicht im Text überliefert. Nur die vierzeilige Antwortstrophe der Christenheit ist erhalten. Neben Zitaten aus der Liturgie finden sich im Text des Ludus zwei Vergil-Zitate, die im Schulgebrauch bekannt waren. Die Wendung "furor teutonicus" ist dem Kreuzzugsbericht des Ekkehard von Aura entnommen. Die meisten biblischen Zitate werden dem Antichrist und seinen Begleitern Hypocrisi und Haeresis und den Hypokriten in den Mund gelegt. Das Wort, mit dem der Antichrist auftritt, und sein letztes Wort vor seinem Sturz sind ebenfalls biblische Zitate. (148)

Zusammen mit den Antichrist-Vorstellungen werden auch Vorstellungen von der "Herrlichkeit des Reiches und des Kaisertums" verbunden. "Es geht da um einen gewaltigen theatralischen Aufruf zugunsten des staufischen Reichsgedankens, der in das Ringen um eine Weltherrschaft des ' wahren Gottes' und eine Entlarvung des Antichrist vor den Herrschern der Völker miteingebaut ist".(149) Die "Welt" ist die Domäne des Kaisers, der Antichrist wird als Gegen-Kaiser dargestellt. In auffälliger Übereinstimmung mit dem Archipoeta führt der Dichter den Verfall der Reichsgewalt vor Friedrich I. bzw. vor dem letzten Kaiser auf die Trägheit der Vorgänger zurück.(150) Die Aufforderung des Antichrist ad coronam vocat suos deus deorum wird wie folgt gedeutet: Corona ist terminus technicus für die Schlußfigur des Schwerttanzspiels; das Stück sieht also hier eine Art militärischer Parade der Paladine des Antichrist vor.(151) Dieses Schlachtaufführungsspiel, das aus "chorisch vorgeführten Fecht- und Waffentänzen herrührt", die bereits vor dem geistlichen Schauspiel geschaffen wurden, ist im Ludus das umfangreichste und wertvollste. Der Antichrist gibt sich selbst das Stichwort für seinen Fall: "Pax et securitas". Diejenigen, die nicht an die Wiederkunft Christi glauben, fallen dem Verderben heim, sobald sie diese Worte gebrauchen. (152)

Es werden mehrmals zwei Szenen nebeneinander gespielt und dann nur die eine mit Worten, die andere stumm. Zu den Doppelszenen kommen stumme Szenen, die ganz für sich stehen. Kämpfe werden stets wortlos abgewickelt. Oft hat die Gebärde auch das Wort zu unterstützen und zu vervollständigen. Wichtig unter den vielen stummen Szenen sind die vier Schlachtaufführungen.(153) Der Zeitraum des Spiels umfaßt einen Weltentag.(154) Die ursprüngliche Verszählung ist nicht mehr rekonstruierbar, so hat W.Meyer 414 (so auch Günther), K.Young 417, R.Froning 438, G.v.Zezschwitz 635 Verse.(155)

Aichele bezieht sich auf "die einzige Dissertation, die bisher unserer Dichtung gewidmet wurde", und die von Paul Steigleder (aus 1938) stammt. Diese beginne mit dem Satz: "Dichtung im Mittelalter ist Ausdruck eines völkischen Glaubens." Aichele kritisiert nicht nur den Anfangssatz, sondern auch den Versuch eines Vergleiches mit Walther von der Vogelweide, "dem Propheten einer neuen Zeit", der dazu gedient habe,

die Unterschiede zwischen beiden Dichtern in dieser Zeit des Übergangs zu verwischen. indessen ist sie wiederum als geschichtliches Spiegelbild aufschlußreich und zeigt die Gefahr, das eigene Geschichtsverständnis allzu unkritisch in die Vergangenheit hinein zu interpretieren.(156)

Wenn man aber die Dissertation von Steigleder aufmerksam durchliest, fällt es auf, daß der Autor bei der Behandlung der Synagoge und der Judenheit keineswegs ein NS-Geschichtsverständnis vertritt, sondern das Gegenteil. So könnte also m.E. im Gegensatz zu Aichele der Anfangssatz und einige andere Sätze, die zwar nationalistisch gefärbt sind, keinesfalls aber judenfeindlich, als eine Art Etikettenschwindel gedient haben. Man sieht also, daß auch Aichele gegen das eigene "Geschichtsverständnis" nicht gefeit ist.

Abschließend möchte ich Friedrich Heer zitieren:

Es ist der reiche und herrschaftlich lebende staufische Hochklerus, der gegen französische Scholastik, italienisch-revolutionärem Antiklerikalismus und gregorianisch-päpstliche Sondermachtsbestrebungen die alte, karolingische Einheit von regnum und sacerdotium in der Christenheit, im Imperium des heiligen Kaiser, verteidigt.(157)

 


8.  Ludus - Inhalt (Kurzfassung)

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1. Vorspiel:

Der Tempel Gottes und sieben Königsthrone sind in einem Halbkreis aufgestellt. Im Osten befindet sich der Tempel; neben ihm befinden sich die Sitze des Königs von Jerusalem und der Synagoge. Im Westen befindet sich der Thron des römischen Kaisers; daneben die Sitze des deutschen und französischen Königs. Gegen Südenwesten ("austrum")(158) der Sitz des Königs der Griechen und gegen Süden ("ad meridiem") der Sitz des Königs von Babylonien und der Gentilitas. Der Norden bleibt frei, wahrscheinlich für die Zuschauersitze. Im Mittelraum findet das Spiel statt. Es sind also die in der Zeit des Autors realen Weltmächte sowie die drei großen Weltreligionen (der Islam wird als "Heidentum" bezeichnet bzw. mit diesem vermischt) vertreten. Kirche und Papst haben keine eigenen Sitze, die Gentilitas teilt sich den Sitz mit dem König von Babylonien.

In einem Auftrittslied (conductus) stellt die Gentilitas den zentralen Gedanken des Polytheismus mit rationalen Argumenten vor (V. 1-32). Danach bezieht sie ihren Sitz. Auch die Synagoge und die Juden vertreten in ihrem Auftrittslied ihr Gottesbild, in dem der Glaube an Christus abgelehnt wird und die Hoffnung weiterhin an den verheißenen "Emmanuel" geknüpft wird (V. 33-44). Nachdem auch die Synagoge mit den Juden auf ihren Thron gestiegen ist, erscheint Ecclesia in Frauenkleidern mit Brustpanzer und Krone (als "ecclesia militans"), begleitet an der rechten Seite von Misericordia mit dem Ölkrug und Justitia mit Waage und Schwert zur linken. Ihnen folgt der Apostolicus, zur Rechten vom Klerus, zur Linken vom römischen Kaiser samt seiner Militia begleitet. Diese ganze Gruppe besteigt nach dem Auftrittslied der Ecclesia den Thron des Kaisers. Von dem "conductus" der Ecclesia sind nur die Worte "Alto consilio" erhalten. Der Refrain des "Chorus" (V. 45-48) bestätigt die Macht des Christentums und verdammt jeden anderen Glauben. Danach treten die Könige der Franken, Griechen und der König von Jerusalem mit ihren Heeren ("militia") auf und nehmen auf ihren Thronen Platz. Der Tempel und einer der Throne (der des deutschen Königs) bleiben leer.

I.Teil - Kaiserspiel, auch "Spiel vom römischen Endkaiser" und ähnlich genannt:

Nun beginnt die eigentliche Handlung. Der Kaiser sendet Boten zu den einzelnen Königen aus, beginnend mit dem Frankenkönig. Er will die imperiale Macht durch Tributpflicht oder Lehenseid wiederherstellen. Der König der Franken weigert sich und beruft sich auf einen älteren Rechtsanspruch auf das Imperium (69-74). Der Kaiser besiegt den Frankenkönig mit Waffen und führt ihn gefangen zu seinem Sitz, um ihn schließlich als Lehensmann aufzunehmen (V. 93-94). In formal parallelen Auftritten weden die Könige von Griechenland (V. 101-114c) und von Jerusalem (V. 114d-116b) dem römischen Imperium tributpflichtig gemacht. Beide leisten keinen Widerstand. Damit ist die Einigung vollzogen. Nun beginnt der König von Babylon einen Glaubenkrieg der Heidenschaft gegen das Christentum und belagert Jerusalem, wo dieses seinen Ursprung genommen hatte. Der König von Jerusalem schickt Boten an den Kaiser, dem "Defensor ecclesie", mit der Bitte um Hilfe (V. 125-134). Während der Kaiser sein Heer zusammenstellt, erscheint der Engel des Herrn und verheißt die Rettung für "Judea und Jerusalem" (V. 143-146). Der Kaiser besiegt den König von Babylon, dieser flieht. Nun betritt der Kaiser den Tempel, betet Gott an und deponiert die Abzeichen seiner Herrschaft (Krone, Szepter und "imperio", wahrscheinlich der Reichsapfel) auf dem Altar. Damit gibt er Gott die weltliche Herrschaft zurück (V. 149-150). Danach nimmt er auf den Thron des deutschen Königs Platz ("revertitur in sedem antiqui segni sui"), während die Ecclesia, die mit ihm aus Jerusalem kam, im Tempel verbleibt (Szene 38).

2. Vorspiel:

Es ist nur die Regieanweisung vorhanden, nach der Ecclesia, Gentilitas und Synagoga (in dieser Reihenfolge) ihre Auftrittslieder singen "ut supra". Der Kaiser ist aus dem Gefolge der Ecclesia ausgeschieden. Während die Auftrittslieder gesungen werden, schleichen die Heuchler ("Ypocrite") schweigend herum, sie "buckeln" überall hin, um die Gunst der Laien zu erwerben. Dann versammeln sie sich vor der Kirche und dem Thron des Königs von Jerusalem, der sie ehrenvoll aufnimmt und sich ihrem Rat unterwirft (Szene 39).

II. Teil - Eigentliches "Antichristspiel": Nun erscheint der Antichrist, er trägt ein weißes Obergewand und darunter einen Panzer. Auch er hat eine Gefolgschaft - rechts die Ypocrisi(s), und links die Heresi(s), allegorische Gestalten (wie auch Misericordia und Iustitia). Auch er hat einen "conductus" - sein Weg ist frei geworden: "Mei regni venit hora" (V. 151). Zuerst entwirft er sein "politisches Programm": mit Hilfe seiner Begleiterinnen will er die weltliche und geistliche Herrschaft erringen. Das Andenken an Christus soll vernichtet werden, der Antichrist will dessen Herrlichkeit usurpieren (V. 151-162). Die Aufgaben werden verteilt: Ypocrisi soll die Laien verführen, Heresi den Klerus. Ypocrisi flüstert den Heuchlern die Ankunft des Antichrist zu, sofort laufen diese ihm zu (Szene 42). Sie berichten ihm vom Zustand der "sacra religio" und fordern ihn auf, die Herrschaft zu übernehmen (V. 171-176). Nun zeigt der Antichrist sein wahres Gesicht - ohne Obergewand, die Heuchler mit blanken Schwertern - der König von Jerusalem wird gestürzt und der Antichrist gekrönt. Der abgesetzte König von Jerusalem flüchtet sich zum deutschen König und beklagt sich, daß der Kaiser mit der discessio das Unglück der "lex superstitionis" hervorgerufen habe (V. 187-194). Der Antichrist wird im Tempel installiert, die Ecclesia davongejagt - sie flüchtet zum Papst (Szene 48). Analog zu Teil I errichtet nun der Antichrist sein Reich: Seine Boten sind die Heuchler. Der griechische König wird durch Drohungen gewonnen (V. 201-210). Der Antichrist zeichnet ihn und seinen Anhang mit seinem Zeichen (der erste Buchstabe seines Namens) auf der Stirn und der König empfängt die Belehnung durch den Antichrist, wie im Teil I durch den Kaiser. Der König der Franken wird durch Geschenke verführt und vom Antichrist geküßt (Szene 58); danach empfängt er Zeichnung und Belehnung. Beim deutschen König nützen weder Geschenke noch Gewalt. Er besiegt den Antichrist und sein Heer, in dem Griechen und Franken vertreten sind (Szene 68). Daher versucht es der Antichrist mit Scheinwundern. Diese werden mit stummen Handlungen vorgeführt. Die "Auferweckung" eines scheinbar Gefallenen (simulans se in prelio occisum) überzeugt schließlich den deutschen König. Er huldigt dem Antichrist als Kaiser (V. 284a), womit ein erster Höhepunkt erreicht ist. Auch der deutsche König und die Seinen werden gezeichnet und belehnt (Szene 74). Nun besiegt er im Auftrag des Antichrist die widerstrebenden Heiden; der König von Babylon unterwirft sich dem Antichrist und wird von ihm ebenfalls gezeichnet (Szene 80). Schließlich wird auch noch die Synagoge durch die Heuchler, die ihr weismachen, daß der Messias jetzt erschienen sei, überzeugt (305-318). Auch sie wird vom Antichrist gezeichnet (Szene 86). Der Antichrist hat den Gipfelpunkt der Macht erreicht; sein Reich ist weltumfassend. Aber sofort danach erscheinen Henoch und Elias, und machen die Synagoge nicht nur dem Antichristen abwendig, sondern bekehren sie - nachdem sie ihr den Schleier abnehmen - auch zu Christus. Er, der sich als Messias ausgab, sei in Wirklichkeit der "homo perditionis", "non est Christus" (V. 357 und 359). Die Synagoge stimmt einen Lobpreis auf die Trinität an: "personarum trinitas" (V. 365-368). Die Hypocriten berichten dem Antichrist davon, der Propheten und Synagoge vor sein Gericht ruft (V. 380). Der Antichrist läßt die Propheten und die bekennende Synagoge hinrichten (Szene 99). In der Zwischenzeit singt Ecclesia einen Vers aus dem Hohelied. Noch einmal versammelt der Antichrist die Könige - vergebens - seine Ankündigung der universalen "pax et sicuritas" (V. 414) bedeutet auch sein Ende. Ein Donner über seinem Kopf stürzt ihn zu Boden, seine Anhänger (omnibus suis) fliehen. Die Ecclesia nimmt die Reuigen wieder auf, und es wird ein Tedeum angestimmt (laudem dicite deo nostro, Szene 104).

 


9.  Der Ludus und seine "Figuren"

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Nach der von Tyconius entwickelten Lehre vom Corpus Antichristi ist der Antichrist in Gestalt der Heuchler (falsi fratres) und Pseudo-Priester in der Kirche bereits gegenwärtig. Der mittelalterliche Symbolismus als Methode fußt großteils auf seinen Liber Regularum; in diesem Apokalypse-Kommentar hat Tyconius seine neue Hermeneutik erprobt; von hier nahm eine ganze exegetische "Schule" ihren Ausgang.(159) Tyconius war auch einer der Anreger des Contemptus mundi. Die deutschen Symbolisten übernahmen das von Tyconius geschaffene "mystische" Antichrist-Bild.(160) Die Schriften des "Popularisators des Symbolismus", Honorius Augustodunensis, sind noch heute "das eigentliche Lehrbuch der romanischen Ikonographie". Als Vermittler des symbolischen Gedankengutes finden sich bei ihm die Figuren des Ludus: Die Synagoge, der die spiritualis intelligentia verschleiert ist, und die Ecclesia, "als Königin des himmlischen Kaisers", von hier kann man den Ausgangspunkt von Doppelstatuen annehmen.(161)

Zwischen 1140 und 1144 erneuerte Abt Suger von St.Denis seine Abteikirche. In den Glasgemälden wurde die Harmonie "der beiden Teile der christlichen Bibel" betont, wobei der Grundgedanke war, daß das, was Moses verhüllt hat, von der Lehre Christi aufgedeckt wurde. Dies wird durch Fortnahme des Schleiers ausgedrückt, der auf dem Gesicht des Gesetzgebers Moses liegt. Den mittleren Raum erfüllte die Ecclesia, die die Seelen der Menschen rettet und auf Erden die Gottesstadt im Kampfe der personifizierten Laster gegen die ebenfalls personifizierten Tugenden verteidigt. Die Systematik der Bilder war heilsgeschichtlich angeordnet. Die Kirche wollte ihr Recht als einzige Trägerin des Gotteswillens beweisen, indem sie die Wandlung vom "Alten Testament" als Vorbild zum "Neuen Testament" in den Vordergrund stellte. Das hatte wieder "das Bewußtsein von der Verwerfung und Entheiligung des alten Offenbarungsträgers zur Voraussetzung". (162)

Der Kaiser und die Könige, der Antichrist, Ecclesia, Synagoga und Gentilitas sind "Typen"(163) oder "figurae". Die Handlung erinnert an Prozessionen mit "dramatischer repraesentatio an den einzelnen Stationen".(164) Neben Symbolhaftem, wie z.B. Krone und Harnisch der Ecclesia, ist auch Allegorisches vertreten, wie z.B. Misericordia und Iustitia. Henoch und Elias sind Charaktertypen der Endzeit. Im Ludus kommt nur eine übernatürliche Erscheinung vor, der Engel, der Jerusalem tröstet.(165) Die Herrschaft des Antichrist, der als oberster Lehensherr gezeichnet ist, ist ein Gegenstück zum Sacrum Imperium. Rauh nennt dies die "aktuellste Antichrist-Darstellung des Deutschen Symbolismus". Die Realität des 12. Jahrhunderts rage aber durch zeitgenössische Anspielungen in das Drama hinein, wie z.B. die Rivalität des Rex Francorum mit dem Kaiser, und sei auch als solche von den Zuschauern empfunden worden. Der "offizielle Charakter" des Stückes sowie die in ihm enthaltene "kaiserliche Propaganda" sei "nicht zu übersehen." (166)

 

9.1.  Der Apostolicus

Der Papst gehört nicht nur zur Kirche und zur Christenheit, sondern war zur Zeit der Dichtung eine reale politische Macht, obwohl er keinen eigenen Thron hat, sondern am Thron des Kaisers Aufstellung nimmt. In den Quellen wird diese Figur nirgends erwähnt. Über das Große Schisma von 1054 ist der Dichter hinweggegangen. Manche Autoren, wie v. Zezschwitz und mit ihm Günther, stellen die Frage, ob der Papst mit seiner stummen Rolle absichtlich zurückstellt wird, bzw. vermuten eine Kritik, wenn der Papst noch immer schweigt, auch als die Ecclesia sich zu ihm flüchtet.(167) Obwohl der Papst als "Heiler, Bekehrer und Belehrer" die überlegene Gestalt ist, führt der Kaiser das Schwert im Auftrag der Kirche zum Schutz der Christenheit. Während die Kirche Unrecht vergeben kann, ist es Aufgabe des Kaisers, Unrecht zu sühnen; daher ist dem Papst die Misericordia, dem Kaiser die Iustitia zugeordnet.(168) Nach der Regieanweisung sind Misericoria und Iustitia der Ecclesia zugeordnet; der Kaiser hat nur seine Militia (Szene 6); jedoch befindet sich der Kaiser hinter der Iustitia und der Papst hinter der Misericordia. Die Regieanweisung (Ecclesia) "redibit ad sedem Apostolici" (Szene 48) würde vermuten lassen, daß er einen Thron hat.

9.2.  Die Antichristi ministri

Die "ministri, discipuli, socii, filii Antichristi" haben eine lange Tradition. Gegner des Reichs, des Glaubens, Juden, Häretiker, Ketzer und Schismatiker etc. wurden je nach dem Bild der Zeit zu fautores Antichristi. Während des Investiturstreites machte eine Partei die andere zu membra diaboli. Sie sind, wie Pseudo-Methodius schreibt, "infedeles, cupidi pecuniae, elati, superbi, habentes speciem quidem pietatis, obientes justitiam et amantes falsitatem". Im Ludus: "procedant ypocritae sub silentio et specie humilitatis inclinantes circumquaque et captantes favorem laicorum ad ultimum omnes conveniant" (Szene 39). Sie waren schon auf der Bühne ("procedant"), das heißt, sie waren schon zu Beginn des Spieles auf der Welt. "Aktiv und im Vollbewußtsein ihres Tuns treten sie auf, sie wissen, wem sie dienen, und wissen, wen es zu verfolgen gilt. Ihre Klugheit ist die Klugheit der Kinder dieser Welt".(169) Der Benediktiner Romuald Bauerreiß sieht das Vorbild der Hypocriten in der Reformbewegung Hirsauer Prägung. Er vermutet in deren Gebärdensprache einen Seitenhieb auf die Zeichensprache, die der Abt Wilhelm den Mönchen zur Verständigung während der Schweigestunden empfohlen "und bis zur Karikatur ausgebaut" hat. Bauerreiß ist der Meinung, daß eine solche Zeichnung der Hypocriten durch einen konservativ gesinnten Tegernseer Kleriker denkbar wäre. Ekkehard von Aura seinerseits schildert "Hypocriten", die sich unter das Heer des 2. Kreuzzuges mischten und "sub specie religionis" als "falsche Propheten und Wölfe in Schafskleidern scheinheilig die Herden Gottes verwirrten"; durch derartige Gestalten seien die Kreuzfahrer in den Ruf gekommen, "Schmarotzer und Lügner zu sein, die durch erdichtete Abenteuer Mitleid zu erregen suchten." (170)

Steigleder fragt sich, ob die Hypokriten bei den Hospitalitern, Templern oder syrischen Baronen zu suchen seien.(171) Zetzschwitz sieht in den Heuchlern die "Armen von Lyon", die aber erst am Konzil vom 4.11.1184 im Dom von Verona in Acht und Bann getan wurden (Friedrich I. und Lucius III.). Er stellt einen Bezug zu seiner Zeit her, wenn er aus dem "Naheverhältnis des Antichristen zu den "pauperes" eine Art "Weissagung auf die Rolle, die der Socialismus zu aller Zeit im Umsturz der staatlichen Ordnung spielen wird und gespielt hat"(172) sieht. Es spricht für den Dichter, daß im Ludus nicht die Juden dem Antichrist freudig entgegenlaufen, sondern die Hypokriten. "Non diligit Deus seculares praelatos" (V. 174) ist ein charakteristisches Stichwort, das sich gegen den Aufwand der Prälaten wendet; Günther zieht daraus den Schluß, daß damit "auf die schwärmerischen Armutsbewegungen der Zeit hingewiesen" werde.(173) "Falerati" (V. 173) sei ein Ausdruck der Albigenser und Waldenser gewesen,

mit dem man die prunkvolle Geistlichkeit im Gegensatz zur apostolischen Einfachheit bezeichnete. [...] So sind jene Verse aus der Szene 42 denn auch als eine politisch-theologische Verurteilung der Armutsbeweugng und eine strikte Parteinahme des Autors "für die feudale Herrschaftsschicht der deutschen Reichskirche" ausgelegt worden.(174)

Die Sozialkritik an der Kirche verbindet sich mit dem Zweifel an der Gültigkeit ihrer Lehre, und die Hypocriten weisen darauf hin, daß die Glaubwürdigkeit der Verkündigung "schon seit langem erschüttert ist". Die Heuchelei ist das Fundament der Herrschaft des Antichrist (V. 163), ihr Wachstum ist der Ketzerei anvertraut (V.165). Mit diesen Gestalten und dem Antichrist dringt "das radikal Böse, die vollkommene Eigenliebe und Herrschsucht unter der Maske des Guten in die Welt ein, als Maßnahme der Menschlichkeit zur Herstellung von Frieden und Sicherheit getarnt" (Szene 102). In den Szenen 40 und 41 hatte die Haeresis die besondere Aufgabe bekommen, die Lehre des Klerus zu zerstören und zu erreichen, daß dieser Christus verleugnet; von diesem Versuch ist später nicht mehr die Rede (Szene 44). Der Antichrist tritt nicht an die Kirche heran.

9.3.  Die Heiden

Die "Heiden" kommen schon in früher Tradition (Sibyllen) vor. In Szene 78 fällt auf, daß die Heidenschaft, die so ausdrücklich die Vielheit der Götter betont, an ihrem Sitz nur ein einziges Idol hat. In diesem einen Standbild stürzt der Bote des Antichrist alle Götzenbilder.(175) (Der deutsche Kaiser hatte das Götzenbild nicht zerstört, d.h. die Heiden nicht zum Christentum bekehrt.) Im Benediktbeurer Weihnachtsspiel hat die Heidenschaft mehrere Götzenbilder, die durch das Christentum zerstört werden. Der Antichrist verleibt die Heiden seinem Reich ein. Babylon gilt als der Ort, wo sich alle Kräfte des Widerstandes gegen Christus sammeln, das war die sarazenische Macht im Osten.(176) Es handelt sich also um einen Glaubenskrieg, in dem die christliche Lehre ausgetilgt und an ihrer Wurzel Jerusalem ausgerottet werden soll. Im 12. Jahrhundert, zur Zeit des Ludus bestand größte Gefahr für die lateinischen Besitzungen.(177)

9.4.  Die Könige

Der "Nationalcharakter" der Könige wird betont. Am Frankenkönig fällt u.a. die Bevorzugung durch den Antichrist auf. In Szene 58 küßt der Antichrist den Frankenkönig. Dieser Kuß ist nicht nur der "brüderliche Kuß" des Paulus (Rm 16,16), sondern besiegelt auch die enge Verbundenheit des Antichrist mit den Franzosen.(178) Der König von Griechenland ist eine "schwache" Figur, er ist ebenso ohnmächtig wie der König von Jerusalem, beide gehorchen dem Kaiser auf eine bloße Aufforderung, aber ebenso leicht dem Antichrist.(179) Der Antichrist wird als erklärter Feind der Deutschen, als "hostis patriae" dargestellt; diese sind der Kern des Gottesvolkes, der sich ihm zuletzt ergibt. Diese "politische Eschatologie" ist im Deutschen Symbolismus einmalig. (180)

An der Bewertung der Figur des deutschen Königs und seines Anhangs in der Literatur spiegelt sich die Zeit der Autoren. Günther beurteilt ihn als "Gutgläubigen", der durch die falschen Wunder des Antichrist verführt worden ist; er streicht aber auch den "blinden Gehorsam" heraus, in dem der Deutsche den vom Antichrist geforderten Kreuzzug gegen den König von Babylon unternimmt.(181) Steigleder macht in seiner Dissertation (1938) eine Konzession an den damaligen Zeitgeist, wenn er schreibt: "Da spürt man die ganze Unschuld und reine Klarheit der deutschen Seele, wenn sie vor den Wundern wankend wird."(182) V. Zezschwitz urteilt zur Zeit des deutschen "Kulturkampfes", daß die Deutschen im Ludus dumm seien, denn "Wer wie ein Heide ist und ohne Bildung, den ködert sicherlich ein Wunder". (183)

Die Gegner tadeln an den Deutschen den "furor teutonicus", die rohe Macht; in Szene 63 werden die Deutschen als "Volk der Verderbnis" (gentem perditionis - V. 257) und ihre Grundeigenschaft als superbia (V. 259) geschildert. Nachdem der deutsche König das Heer des Antichrist geschlagen hat, stimmt er ein Siegeslied an. In diesem Lied bricht das Nationalbewußtsein mit "elementarer Wucht" durch. Europa beginnt, sich in Nationen aufzuspalten.

Es sprechen hier die Kräfte, die die kommende nationalstaatliche Gliederung Europas bestimmten und das Bewußtsein von der Einheit des Reiches als der Einheit der Christenheit ablösen. Der König spricht seine Überzeugung aus, daß der Feind nur durch die Kraft des Vaterlandes besiegt werden [kann].(184)

Dieses

grimmige Heer- und Siegeslied [...], in dem mit Blut, Ehre, Vaterland und Sieg das ganze Vokabular nationalstaatlicher Geschichte vorweggenommen wird, gehört zu den beklemmend vorausschauenden Visionen dieser Dichtung.(185)

9.5.  Der Kaiser

Die kaiserliche Aufgabe besteht im Schutz aller Christen als Schirmherr der Kirche. Als solcher kommt er auch dem bedrohten Jerusalem mit einem "Kreuzzug" zu Hilfe. Man könnte natürlich auch einen politischen Weltherrschaftsplan hinter der Unterwerfung der christlichen Könige sehen, wenn nicht der Kaiser als "Endkaiser" seine Herrschaft in Jerusalem niederlegen würde. Konrad, der möglicherweise die "konkrete Entstehungsursache" des Ludus in einer Auseinandersetzung mit Adso sieht, ist der Ansicht, daß das Imperium im Ludus als "rechtmäßiger Besitz der Deutschen" erwiesen werden sollte. Bei Pseudo-Methodius stirbt der Kaiser nach der discessio, im Ludus setzt er sich auf den bis dahin leer gebliebenen Thron als "rex Teutonicorum".(186) Die byzantinische Methodiusweissagung, von Adso auf das fränkische Königtum angewendet, wird im Ludus "zum erstenmal in national-deutscher Richtung gedeutet".(187)

Sowohl der deutsche als auch der französische König erstrebten die Nachfolge Karls des Großen. Im Gegensatz zu den französischen Königen war den deutschen Königen eine Reichserweiterung gelungen. Otto der Große (936-973) war der mächtigste Herrscher Europas.(188) Hrotsuita von Gandersheim nannte Otto den Großen "regnator imperii Caesariani". Dieser führte erst gegen Ende seiner Regierung den Titel Romanorum Imperator Augustus, der sich nach ihm einbürgerte. Seit Konrad II. kamen die Titel Romanorum imperium und regnum auf. Im 11.Jahrhundert zählt man die deutschen Kaiser schon als Nachfolger der römischen; die Theorie von der Übertragung des Imperiums auf die Franken und von den Franken auf die Deutschen beginnt sich zu verbreiten.(189)

Seit dem 12.Jahrhundert lebte aber die westfränkisch-französische Auffassung wieder auf, daß Frankreich Deutschland von Rechts wegen übergeordnet sei, "eine politische Iddee, die Jahrhunderte hindurch praktisch-politisch bleibt".(190)

Friedrich I., in dessen Regierungszeit der Ludus geschrieben wurde, hatte viele politische Gegner. Der persönliche Haß gegen ihn zeigt sich in dem Urteil von Kardinal Boso, einem Freund von Papst Alexander: "seine Natura war von Kindheit an zum Bösen geneigt und scheint sich immer mehr zu verschlimmern."(191) Der Kaiser soll Schuld am Schisma (Alexander III. gegen Victor IV.) sein.(192) Nach Hadrians IV Tod (1154-1159) wählte die Mehrheit des Kardinalskollegiums Alexander III. (1159-1181), die Minderheit Viktor IV. Auf der Synode von Pavia 1160 erkannte der Kaiser Viktor als Papst an, worauf Alexander III. den Kirchenbann gegen ihn aussprach, seine Untertanen aus ihrem Treueid entließ und den Aufstand der Lombardei unterstütze, der mit dem Sieg des Lombardischen Städtebundes bei Legnano 1176 und dem Frieden von Venedig 1177/1178 endete. Der Kaiser mußte wieder "päpstliche Füße" küssen,(193) und Italien war in Guelfen und Ghibellinen gespalten.

Walther von Châtillon bezeichnet in einem (apokalyptischen) Gedicht Friedrich I. als Vorläufer des Antichrist; auch andere Gestalten des Ludus finden sich hier:

Schlimmer werden die Verworfenen, verderbt werden die Guten.
Die Praelaten samt ihren Untergebenen zum Irrtum hinabgleitend,
sind Vorläufer deiner Menschwerdung.
Das Haupt der Welt siehst du durch das Schisma geschwächt,
du siehst auch vielfach den Papst abgewichen.
Den Kaiser Friedrich kennst du am besten,
jenen, durch den du den Samen des Schismas ausgesät hast,
daher hast du ihn als Schismatiker dem Volke zum Herrscher gesetzt,
wer könnte besser Vorläufer des Antichrist werden?
(194)

Eine wichtige Gestalt dieser Zeit ist der Kanzler Barbarossas, Reinald von Dassel. Er soll (nach Günther war es Kardinal-Legat Roland, der spätere Papst Alexander III.)(195) am Reichstag von Besancon Oktober 1157 das in einem päpstlichen Sendschreiben vorkommende Wort beneficia vor der Versammlung nicht mit "Wohltaten", sondern mit "Lehen" übersetzt haben: eine Auslegung, die den Papst als Lehensherrn des Kaiser erscheinen lassen mußte und empörten Widerspruch auslöste. Dies konnte auch durch die Richtigstellung Hadrians IV. nicht bereinigt werden. Am Reichstag zu Würzburg 1165 überredete der Kanzler den Kaiser und die anwesenden Fürsten, sich eidlich zu verpflichten, an Paschalis(196) festzuhalten und niemals Alesander III. anzuerkennen. Die Würzburger Eide, die auch von den auf dem Reichstag nicht anwesenden geistlichen und weltlichen Herren des Reiches bei Verlust von Amt und Lehen geleistet werden mußten, bargen "den Keim des Verhängnisses in sich". Den Gipfelpunkt dieser Maßnahmen zur Erneuerung des Imperiums stellte die Heiligsprechung Karl des Großen, die der Gegenpapst Paschalis III. im Dezember 1165 in Aachen auf Anregung des Kanzlers vornahm, dar. Die außenpolitische Stimmung wird durch eine Äußerung des Johannes von Salisbury beleuchtet:

Ich habe bis jetzt noch niemanden gehört, der soviel Unrecht billigte. Wer hat die Deutschen zu Richtern über die Nationen gestellt? Wer gab diesen derben, jähen Menschen das Recht, ein Haupt über die Häupter der Menschensöhne zu setzen? Ihr Ungestüm hat das freilich oft versucht, aber ebensooft ist der Übermut an Gottes Fügung zu Schanden geworden.(197)

Nach der Zerstörung Mailands im März 1162 schlug Reinald im Mai 1167 bei Tusculum ein zahlenmäßig weit überlegenes italienisches Heer. Kaiser und Kanzler zogen in Rom ein und Barbarossa ließ sich in der Peterskirche zum zweitenmal, jetzt vom Gegenpapst Paschalis III., zum Kaiser krönen. Wenige Wochen später brach eine Seuche im kaiserlichen Heer aus, der am 14.8. auch Reinald von Dassel erlag. Man hat seine Leiche nach Köln gebracht und dort im Dom beigesetzt. Diese Katastrophe galt den Gegner der kaiserlichen Politik als Gottesgericht. Der Kaiser mußte in Verkleidung über die Alpen fliehen. (198)

Wie schon bei Pseudo-Ephraem "et Christianorum imperium traditur Deo et Patri" legt der letzte römische Kaiser, der "Endkaiser" seine Herrschaft in die Hände Gottes zurück.(199) Das bedeutet die Wende, die durch einen symbolischen Akt vollzogen wird, durch die Niederlegung von Krone und Zepter auf den Altar des Tempels in Jerusalem durch den Kaiser (Szene 37). Er gibt damit jene Macht auf, die bisher dem Erscheinen des Antichrist hinderte. Krone und Szepter sind in diesem Verständnis nicht "bloße Zeichen" der Herrschaft, sondern mit dieser identisch. Auch Gottfried von Bouillon soll sich geweigert haben, als er zum König von Jerusalem gewählt worden war, dort eine Krone zu tragen,wo Christus die Dornenkrone getragen hatte.(200)

Bischof Benzo von Alba beschreibt nach 1084 in seinem Werk Ad Heinricum Heinrich IV als den Endkaiser, der zum heiligen Grab zieht. Der Autor sieht als Ziel nicht die Auflösung des Römischen Reiches durch den Beginn des Gottesreiches, sondern ein Kriegsunternehmen zur Wiederherstellung des Christenreiches! Der Endkaiser wird in Jerusalem zum zweiten Male gekrönt. Anläßlich des 2. Kreuzzuges wurde Ludwig VII. von vielen als der Endkaiser betrachtet. (201)

Vom Frühlingsfest in Mainz 1184 kennt man das kaiserliche Ornat und die Reichsinsignien genau. Im Ludus sind nur Krone und Szepter genannt. Der Stab mit dem Szepter war schon seit Otto I. (936) in Gebrauch.(202) In der Literatur zum Ludus wird angenommen, daß auch der Reichsapfel als Reichsinsignien im Spiel dargebracht wurde. Günther meint 1970: "Ihr ursprünglicher Sinn war vielfach in Vergessenheit geraten; man nahm an, daß die Kugel mit Staub gefüllt sei, und daß der Kaiser mit diesem Symbol sich stets an die Vergänglichkeit aller Macht erinnere."(203) Weiß schreibt dagegen 1864, daß der Reichsapfel, welchen man im Grabe Friedrichs II. vorfand, ohne Kreuz und mit Erde gefüllt war, was von Gottfried von Viterbo, Kaplan Friedrich I., mit "Intus habet plenum terrestri pondere fundum" erklärt worden war. (204)

9.6.  Der Antichrist

Auch der Antichrist gehört zur Welt, er hat ein eigenes Auftrittslied. Mit Hilfe von Ketzerei und Heuchelei gelangt er zur Herrschaft. Die Societas des Satan gehört zur Welt, wie die Heuchler als die Träger und stillen Vorbereiter des antichristlichen Geistes. Als er sein weißes Obergewand abstreift, wird das Zeichen seiner Gewaltherrschaft, der Panzer, sichtbar. Der Antichrist ist nicht möglich ohne die Heuchelei, das Dasein der Heuchler sinnlos und zum Absterben verdammt ohne die Gestaltung ihres Geistes durch den Antichristen: Quem sub ecclesiae gremio concepistis [...] longis conatibus me tandem genuistis (V. 183).(205) Der Dichter hält sich nicht an die Tradition seiner Zeitgenossen. Weder ist er Jude, noch laufen ihm die Juden als Erste zu. Günther schreibt, daß der Antichrist des Ludus ein "abgefallener Christ" sei.(206) Meiner Meinung nach ist eher der Ansicht von Rigaux zu folgen, der im Zusammenhang mit dem homo inquinitatis des Paulus sagt:

Bref, un juif et même un chrétien, tout renégat et tout impie pourraient mériter les épithètes dont l'Apôtre se sert pour décrire l'homme du péché [...] être individuel, personnage eschatologique, orgueilleux, impie et séducteur, faux thaumaturge, Anti-Dieu et Anti-Christ tel est l'homme du péché décrit par saint Paul.(207)

Bemerkenswert ist auch, daß der Antichrist nicht den Versuch unternimmt, den Papst oder die Ecclesia zu verführen. An ihrer Stelle tritt die Synagoge die Nachfolge Christi an. Nach der Ermordung der Synagoge samt ihren Begleitern und der Propheten, ruft der Antichrist "seine Völker" zusammen (Szene 100). Mit den Worten "a gloria regnorum" (V. 494) weist der Dichter auf die Versuchung Christi hin, dem der Satan alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit verspricht (Mt 4,8). Bei der kurzen Ankündigung seines Weltplanes bleibt der Antichrist bei seinem Stil: "mei predicatores", "mei nominis" mea gloria, mecum.

Es ist das "Ich" des Menschen, der sich selbst vergottet hat [...] er hat die Scheidung vollzogen, die im Evangelium dem Herrn vorbehalten ist: Er hat die "Bösen" gerichet und will die belohnen, die sich um ihn verdient gemacht haben (V. 412).(208)

Die Sünde des Antichrist ist die "Superbia", "quoniam initium peccati omnis superbia" (Sir 10,15), mit der der "Verlust der Einheit mit Gott und der Schöpfung (pax Dei)" einhergeht; die Eigenliebe ist das Hauptmerkmal des Antichrist. "Me mundus adoret et non alium" (V. 244). Nicht Christus, sondern er soll verehrt werden: En christum gentes honorant [...] eius ergo delete memoriam. in me terrae transferentes gloriam (V. 159-162). Ecce noster dominus, et deus deorum (V. 412), ego sum messias, schließlich hat er die ganze Welt 'befriedet', und sich dabei Gott gleichgesetzt - der Gipfel der Rede, der auch den Untergang des Antichrist darstellt, bilden die Worte 'pax et securitas' (V. 414). Auch Paulus hatte diese Worte als Zeichen des Endes angegeben (I Th 5,3 -'cum enim dixerit pax et securitas tunc repentinus eis superveniet interitus'); Paulus wollte damit 'die Sorglosigkeit der Civitas mundi bezeichnen, über die jäh das Gericht hereinbricht'".(209) Irdisches Leben in Frieden und Wonne hat in christlicher Tradition eine negative Wertung; so haben die Anhänger des Antichrist ein "trügerisches Wohlleben".(210)

Das Ursymbol "himmlichen" Zorns beendet das Spiel (Szene 103). Donner ertönt über dem Antichrist, dieser stürzt zu Boden. Dazu Paulus II. Th 2,8: et tunc revelabitur ille iniquus quem Dominus Iesus interficiet spiritu oris sui. Die Vernichtung erfolgt durch den Hauch aus dem Munde Christi. Die "Seinen" (des Antichrist) ergreifen die Flucht.

9.7.  Ecclesia

Die Kirche erscheint und handelt selbständig, eine weibliche Figur, mit Krone und Harnisch bekleidet, und von den zwei symbolischen Figuren der Gerechtigkeit mit der Waage und der Barmherzigkeit mit dem Ölkrug begleitet. Das Öl soll die Wunden der Menschheit heilen, und geschöpft wird es aus der Ölquelle, die am Tage der Geburt Christi in der Stadt Rom entsprungen sein soll. Die mittelalterlichen Chroniken sind voll von diesem Wunder. (211)

Die Ecclesia hat wie der Papst keinen eigenen Thron, sondern ihren Platz am Thron des Kaisers. Außer ihrem Auftrittslied, von dem nur der Refrain erhalten ist, greift sie erst am Schluß des Geschehens ein. Das Auffinden des ursprünglichen Conductus ist der literarischen Forschung bisher nicht gelungen, weshalb man zu willkürlichen Ergänzungen gegriffen hat. Der Text muß derart bekannt gewesen sein, daß man in der Abschrift verzichtet hat, ihn wiederzugeben. Es erscheint daher auch nicht gerechtfertigt, nur den Refrain mit dem für unser heutiges Gefühl abstoßenden "dampnamus" als im Ludus dargestellte Ansicht des Autors anzunehmen. Ob dies - wie Günther annimmt - seine kritische Absicht war, bleibt bei Fehlen des Conductus dahingestellt. Günther stützt sich nämlich nur auf diesen Refrain, und schließt daraus:

Gewiß gehört es zu den Aufgaben der Kirche, zwischen echter Lehre und Haeresie zu unterscheiden. aber das Urteil zur ewigen Verdammnis zu sprechen, steht nicht ihr sondern Gott allein zu. So ist dieses Wort Bestandteil einer bewußten Komposition und zugleich eine Warnung, die unser Drama an die Christenheit aller Zeiten weitergibt. (212)

Dieser Ansicht war schon Zezschwitz, wenn er feststellt, daß in den Reden des Heidentums und des Judentums die Gegensätze zum Christentum breit ausgeführt werden und das, was die Kirche dagegen einwendet, auffallend davon absticht. Es fehle "eklatant" an Glaubensbegeisterung, an Liebes- und Barmherzigkeitsbeweisen. Wozu der Ölkrug der Barmherzigkeit? Die Kirche trete nur behauptend und verdammend auf, und als die Propheten Elias und Henoch sie vertreten, geschehe es mit dem "legal orthodoxen" Bekenntnis. Die Kirche läßt den Kaiser und den Himmel für sich streiten. Sie kanonisiert nur die Siege dieser, absolviert die Sünder und verdammt die Gegner. Alle diese Züge erweckten den Eindruck, daß zwischen den Zeilen dieses geistlichen Dramas eine scharfe Kritik über die Kirche geäußert wird. Zuerst hat die Kirche allein das Feld, freilich nur in Vertretung durch das heilige Römische Reich. Ihr Verdammungsspruch bringt vorläufig alles zum Schweigen; die kaiserlichen Heere geben den erwünschten Nachdruck. Der Sieg und die Macht dieses "Reiches von Heiligen" bewirkt den Antichrist, seine ganze Kraft zu einem entscheidenden Gegenstoß zusammenzufassen - "in geschicktester Motivierung gegen das heilige Land selbst gerichtet."(213)

Ecclesia hat weder den Abfall ihrer Gläubigen, noch den Tod der Propheten verhindern können. Als die Synagoge und die Propheten hingerichtet werden, erhebt sie ihre Stimme. Mit den Versen, die die Kirche jetzt anstimmt, tritt das Spiel in die letzte eschatologische Phase. Sie singt "Fasciculus mirre dilectus meus mihi" (V. 402a, Ct. 1,12). Die christlichen Ausleger haben schon früh im Hohelied einen Hinweis auf die Hochzeit des himmlischen Bräutigams mit der Kirche erblickt. Nach Günther stimmt die Ecclesia "in diesem Augenblick ihr Lied an, weil sie in der Bekehrung Israels zu Christus das Zeichen erkennt, daß die Ankunft des Bräutigams bevorsteht". Er bezieht sich auf den Kommentar Berhard von Clairvaux' zum Hohelied:

Die Myrrhe, ein bitteres Ding, bedeutet das Harte und Rauhe der Drangsale. Sie (die Braut, die Kirche) sieht voraus, daß solches ihr des Geliebten wegen droht; sich beglückwünschend sagt sie dies, zuversichtlich, daß sie alles mannhaft auf sich nehmen werde.(214)

Gegen Ende des Spiels stimmt Ecclesia mit "ecce homo qui non posuit deum adiutorem suun" einen Psalm an (Ps 51,9.10, Szene 103: "ecce vir qui non posuit Deum fortitudinem suam"). Der 1. Vers beinhaltet das Urteil über den Antichrist als den Hochmütigen, der sich auf Reichtum und Macht verließ und nicht der Hilfe Gottes zu bedürfen glaubte. Nach Günther bezieht sich der Psalm auf Saul: "So ist er das Urbild des Tyrannen geworden, dessen Sturz der Dichter mit dem des Antichrist vergleicht. Der Ölbaum steht als Bild für den Erwählten und die erwählte Kirche". Der feierliche Schlußvers des Psalms (in saecula saeculorum) hat nach Günther liturgischen Charakter.(215)

9.8.  Engel

Die Nachricht vom Herannahmen des christlichen Heeres wird der Stadt Jerusalem durch einen plötzlich erscheinenden Engel mitgeteilt. Diese übernatürliche Figur war nicht am Schauplatz anwesend. Das Zitat "O Iuda et Hierusalem nolite timere" stammt aus II Par 20,17 und zeigt die Geschichtsschau des Mittelalters. So wie damals, so auch heute. Diese Strophen sind als einzige mit Namen versehen.(216)

9.9. Synagoge und Juden

Da in Szene 90 der Schleier von ihren Augen genommen wird, der vorher nicht erwähnt wird, trägt die Synagoge diesen schon bei Beginn des Spiels. Ähnlich wie der Papst in die Machtwandlungen nicht einbezogen ist, steht die Synagoge unbewegt an ihrem Ort, aber sie hat im 2. Hauptteil die entscheidende Rolle. Im Unterschied zum Eingreifen des Heidentums im 1.Hauptteil wird die Mittelstellung des Judentums dahin verwertet, daß dieses beide Rollen zugleich in sich vereinigt: die, den Antichristsieg zu krönen, und dann die andere, durch ihre Bekehrung den Eintritt der Synthese zu ermöglichen. Der Gedanke, daß die Juden "blind" seien, sich der re-velatio verschlössen, ist im Sprachgebrauch des Evangeliums vorgebildet. In den Korintherbriefen hatte das "Spiel des Schleiers begonnen".(217) Das Symbol der Blindheit taucht schon in der Mitte des 5. Jahrhunderts bei Pseudo-Leo dem Großen auf:

l'emploi de synagoga pour désigner les Juifs, la comparaison entre Juifs et païens, enfin, le reproche habituel de cécité: corde caeca Iudaeorum turba [...]; tenebras dico Iudaeos, qui dum diem Christum negauerunt, lumen quod acceperant perdiderunt.(218)

Es ist unsicher, wann diese "Blindheit" im Symbol der Augenbinde anschaulich gemacht wurde. Nach Seiferth könnte dieses Motiv - von der Bühne aus (Ludus) - in die bildende Kunst eingedrungen sein. Während zahlreiche Belege aus dem frühen Mittelalter das Judentum als fast ebenbürtigen Gegner zeigen, begegnet man zu Beginn des 12. Jahrhunderts im Liber Floridus des Lambertus aus St. Omer einen neuen Typ der Synagoge, ohne Krone, mit zerbrochenem Banner; ihre einzige Hoffnung ist die Fahrt zur Hölle.(219) Gleichzeitig werden ihr die Werkzeuge des Todes Christi in die Hand gegeben: Speer, Schwamm, Essigkug und Dornenkrone; durch diese Beigaben wird die Synagoge der Mittäterschaft am Tode Christi angeklagt.(220) Ein anderes Dokument aus der Zeit der Entstehung des Ludus (um 1160): Auf einer silbernen Patene aus dem Stift Wilten in Tirol befindet sich die Darstellung der Kreuzigung mit Maria und Johannes und den vier Evangelistensymbolen. Auf dem flachen Rand der Schale befindet sich eine Zeichnung,

wie Christus die Patriarchen aus der Vorhölle befreit, während von der anderen Seite eine Gruppe von neun Juden auf das von Flammen umloderte Höllentor zugeht. Der vorderste trägt ein Schriftband mit dem Namen SINAGOGA; der letzte schaut nachdenklich zurück zu der geschlossenen Paradiesespforte, die von Engeln bewacht wird. Die den Rand umlaufende Inschrift lautet: Que reprobat Christum / Synagoga meretur abissum. Ecclesie fidei / dat gratia gaudia celi. Die Inschrift auf dem Kelch besagt: In Testamento veteri / quasi sub tegumento / Clausa latet nova lex / novus in cruce quam reserat rex.(221)

Mt 25,41 ("... discedite a me maledicti in ignem aeternum qui paratus est diabolo et angelis eius") wird schon früh auf die Synagoge bezogen(222) Der "Hortus deliciarum", eine Zusammenstellung von Exzerpten über die biblische Geschichte, sozusagen eine "Enzyklopädie für den Unterricht der Nonnen" der Herrad von Landsberg hat stark auf die mittelalterliche Ikonographie eingewirkt. Herrad war seit 1167 Äbtissin des Odilienklosters in dem ehemaligen Schlosse Hohenburg im Elsaß, und starb 1195. Sie lebte also zur Zeit der Entstehung des Ludus. In diesem Werk werden die Juden in der Hölle gezeigt, wo sie im ersten Kessel sieden.(223)

In Szene 82 sendet der Antichrist seine Heuchler zur Synagoge. Er bezeichnet sich als den von den Propheten verheissenen Messias. Schon bezahlen ihm die Heiden Zins; damit bestätigt er der Synagoge, daß sie mit Recht in der Ablehnung Christi verharrt hat. Die Hypokriten richten den Auftrag derart aus, daß die Synagoge an die Erfüllung der Weissagungen glauben muß. Sie wird an die Versprechungen Gottes an sein Volk (I Pt 2,9 "... gens sancta populus adquisitionis") erinnert. Die Thora ist der kostbarste Besitz des Judentums, für den es in die Verbannung gegangen ist. Daß die Juden die Taufe verweigerten, deuten die Hypokriten "als Treue gegen den alten Bund". Nun wird ihnen als Dank dafür ihr Erbe zurückgegeben. Die "iucunda novitas" ist die Verkündigung, daß der Messias jetzt erschienen ist; sie entstammt der Weihnachtsliturgie und wird blasphemisch verwendet. Die Rückkehr in das Land der Verheißung ist die Hoffnung, die die jüdischen Gemeinden in dem Sabbatgebet aussprechen: "Dieses Jahr noch in der Fremde, das nächste Jahr in Jerusalem."Das mitgeteilte "Geheimnis" (I Cor 15,51 "ecce mysterium vobis dico") ist die Ankunft des Emanuel, an die die Synagoge schon in ihrem Eingangslied (Szene 4) als an den ihr verheissenen Erlöser (Is 7,14) glaubt. Daß dieser die Demütigen aufrichtet und die Stolzen büssen läßt, ist eine ironische Verwendung des Lobpreises der Maria (Lc 1,15). Der Mächtige, der alles seinen Füssen unterwirft, ist jetzt gekommen (I Cor 15,27). (224)

Die Gesandten appellieren nicht umsonst an das Traditionsbewußtsein, die Glaubenstreue und an die Leiden der Juden, denen sie als der "gens regalis" schmeicheln, für die das Ende des Exils gekommen ist. Wenn der Antichrist als Zeichen seiner Legitimation die frohe Botschaft sendet, er habe den Tribut der Heiden angenommen, so spielt dies auf eine Weissagung des Isaias (Is 60,5-10) an; die Grußworte der Heuchler an die Juden wiederholen den Ruf des Propheten: "surge, Jerusalem, illuminare" (Is 60,1). Der Erlöser, den sie schildern, ist ein siegreicher König, der Israel aus der Zerstreuung sammeln und aus der Knechtschaft erheben wird, um ihm nach der Verheißung die Weltherrschaft zu bringen. Der Antichrist erscheint als neuer Cyrus, der die Juden aus der babylonischen Gefangenschaft befreit, wie es einst Isaias feierte (Is 45,1-13). Die "confusio" bezieht sich auf die Sprachverwirrung, die beim Turmbau von Babel entstand (Gn 11,9). Die Schlußverse von der Erhöhung Israels über die Heidenvölker greifen wiederum einen Topos aus Isaias (60,3-4) auf. Der Tenor dieser Szene, die nicht mehr im Strahlkreis des Sacrum Imperium steht, aber von der Tradition gefordert war, ist konventioneller als sonst, die entscheidende Topik rein biblisch. "Die politische Theologie, die in der Konfiguration von Kaiser und Antichrist so eindrucksvoll zutage trat, ist hier verflüchtigt, da die Bekehrung der Juden keine Beziehung zur Botschaft des Ludus hat."(225) In tiefster Verhöhnung des Christentums erhebt der Antichrist das Judentum zur herrschenden Form seiner Theokratie. Der Stolz und Trotz des jüdischen Selbstbewußtseins fordert für diesen Moment einen neuen szenischen Ausdruck. Israel, das er als "Hebel der Weltverwirrung" benutzen wollte, wird für ihn selbst zum Eckstein des Anstosses, an dem er strauchelt.(226)

Die Synagoge gebraucht in Szene 84 die Worte salvator und redemptor (V. 319-322), dem Ehre zu geben "würdig" sei. Diese beiden Bezeichnungen des Messias erinnern an die Titel Christi, das Wort "würdig" an die Praefation des Altarsakraments und an Apc. 4,11 ("dignus est Domine et Deus noster accipere gloriam et honorem et virtutem "). Aber die eigentümliche Doppeldeutigkeit dieser Stelle, bei der die Synagoge ahnungslos dem Antichrist entgegengehen will, während sie sich in Wirklichkeit auf den Weg macht, um im Martyrium dem wahren Christus zu begegnen, wird betont durch ihre Worte "eamus obviam salvatori". Dieses Wort weist auf das Gleichnis von den 10 Jungfrauen hin, die dem Bräutigam entgegengehen (Mt 25,I), was von jeher als das bekannteste Sinnbild für den Weg auf das jüngste Gericht zu galt.(227) Die Synagoge surgit (Szene 85: "tunc Synagoga surgens"). Das Wort verweist auf Vers 317 und damit wieder auf Is 60,1 sowie auf die Heilungswunder Christi. Dies ist die erste Bewegung der Synagoge. Jetzt begibt sie sich zum Tempel. Sie spricht den dort thronenden Antichrist (II Th 2,4; Mt 24,15) mit "Emanuel" an (V. 323 f.) und bringt ihm ihre Verehrung dar. Die Charakterisierung des Endfeinds als des falschen Messias der Juden gehört zum "ältesten Bestand der außerbiblichen Überlieferung".(228) Nach Rauh scheint der Dichter diese Tradition nur in der reduzierten Form kennengelernt zu haben. Die Zurückkhaltung des Ludus in dieser Hinsicht fällt auf. Der Ludus verzichtet auf jene Motive, die auch bei Adso den "Judaismus des Antichrist" ausmalen; nicht einmal vom Wiederaufbau des Tempels ist die Rede. Ihm liegt allein an der geschichtstheologischen Typologie.

Die Synagoge erhält das Zeichen des Antichrist auf der Stirn (Szene 86). Dieser beginnt seine Rede mit "per me" wie sein Eintritttslied "mea hora" (Ausdruck der superbia). Zum Beweis, daß er der echte Messias ist, kündigt er der Synagoge die Rückgabe der terra promissionis an. Diese von Israel nie aufgegebene Hoffnung soll jetzt in Erfüllung gehen. Ein stärkeres Zeugnis für die messianische Sendung als die Ankündigung der Rückgabe des Landes ist für die Synagoge nicht denkbar. Die Herrlichkeit der Heimkehr beschreibt er mit dem prophetischen Wort Is 60,3.(229) Mit dieser Verheißung kehrt die Synagoge auf ihren Platz zurück; sie trägt noch immer vor ihren Augen die Binde. Jetzt ist der Abfall vollendet. Damit ist auch die Synagoge als der letzte Glaubensstand für den Antichrist gewonnen. Während bei Adso die Juden als Erste dem Antichrist zulaufen, um ihm zu huldigen, ist hier die Synagoge die Letzte, die von ihm verführt wird. Rauh bemerkt, daß auf dem Höhepunkt der Macht des Antichrist in "drei Erdteilen drei Weltreligionen ihn als ihren Herrn verehren". Nun ist Ecclesia nur vertrieben, aber nicht bekehrt worden; auch der Papst und sein Gefolge tragen nicht das Zeichen des Antichrist. Diese Figuren bleiben also vor der Verführung bewahrt.

Nun erscheinen die beiden Propheten (Apc 11,3 "et dabo duobus testibus meis [...]"). Entgegen der Schilderung Adsos, der die zwei Zeugen vor dem Antichrist auftreten läßt, "folgt der Dramatiker offenbar Otto von Freising, der sie mit diesem gleichzeitig predigen läßt".(230) Ihre Predigt ist ausschließlich an die Juden gerichtet.
V.354 [...] Messias
Qui iam venit
per nos primum

et adhuc est venturus,
Israel redempturus

Die Synagoge fragt: Ubi nam sunt? (Dt 32,26, Szene 88.) Sie weiß noch nicht, daß die beiden vor ihr stehenden Männer die beiden Propheten sind. In der zitierten Bibelstelle fragt Gott: "Wo sind sie denn?", und meint damit das ungehorsame Volk, das er verstoßen hat, aber in seiner Barmherzigkeit wieder aufnehmen will. Als Beispiel ihrer Predigt hat der Dichter eine Versparaphrase des Credo gewählt, in deren Mittelpunkt die Christologie steht. Zugleich verkünden die Propheten der Synagoge die baldige Ankunft des Herrn zum Gericht, nach sibyllinischer Tradition mit dem Weltbrand gleichgesetzt. Zum Schluß bezeugen beide das Gesagte, indem sie sich mit ihren Namen vorstellen.
V.349
V.353
Vere scitis,
Iste Enoch
quid scripture loquatur
et ego sum Helias

Elias wird den Schleier lösen und die Synagoge wieder in die Gemeinschaft der göttlichen Gnade aufnehmen. Hier möchte ich Seiferth wörtlich zitieren:

Der Dichter bereitet der Synagoge den Märtyrertod für Christus am Ende der Tage. Er führt das Schisma, das im Glauben an den einen Gott ausgebrochen war, zu Ende. Er bringt die ehrwürdige Concordia Veteris et Novi Testamenti wieder zu Ehren. Er erfüllt die paulinische Erwartung von der schließlichen Bekehrung der Juden (Röm 11,25-26). (231)

Die Propheten nehmen in Szene 90 der Synagoge die Augenbinde ab. Die entscheidende Wendung des Dramas erfolgt also nicht durch Worte, sondern durch eine sinnbildliche Handlung.

In diesem Bild ist das Geschichtsverständis des Apostels Paulus beschlossen. Es gibt wenige so unmittelbar ergreifende Zeugnisse für die Geschichtserfahrung wie jenes, das Paulus im Römerbrief Kap.9-11 niederlegt; die Liebe zu seinem Volk, dem die Verheissungen Gottes gegeben wurden und das sich ihnen verschlossen hat, eröffnet ihm den Blick für "das Geheimnis". (232)

"Quia caecitas ex parte contigit in Israel donec plenitudo gentium intraret" (Rm.11,25). Paulus schreibt diese Verheissungen "quoniam tristitia est mihi magna et continuus dolor cordi meo" (Rm 9,2). In der Spannung zwischen der Liebe zu seinem Volk, das sein Gesetz verehrt, und der Gewißheit, daß Christus das Ende des Gesetzes ist, reift in ihm die Einsicht in das Verhältnis zwischen der Gnade Gottes und der Mühe des Menschen um die Erfüllung seiner Gebote. Der doppelte Aspekt alles menschlichen Tuns wird hier ausgedrückt. Schon darum sind diese Gedanken seither Gegenstand und Thema theologischer und philosophischer Überlegungen geworden.(233) In II Cor 3,14-16 (II Cor 14 "sed obtusi sunt sensu eorum ..." 15 "... velamen est positum super cor eorum", 16 "cum autem conversus fueerit ad Deum aufertur velamen") beschreibt Paulus den Zustand des jüdischen Volkes. Die Synagoge - nun sehend - bezeichnet sich als vom Antichrist verführt. Darin liegt auch der Hinweis auf die falschen Lehrer, die ihr schon früher die Wahrheit verhüllt haben. Der letzte der Verführer ist der Antichrist (Szene 86). Synagoge glaubt Henoch und Elias (Vers 363, Rm 8,21 "quia et ipsa creatura liberabitur a servitute corruptionis). Ihren Dank an den Herrn, den sie jetzt mit Adonai anredet, verbindet sie mit einem sorgfältig formulierten Bekenntnis zur Trinität. Die Kämpfe um die Lehre, die das 12. Jahrhundert beschäftigten, kreisten um das rechte Verständnis der Trinität. Der Dichter hat in dem trinitarischen Bekenntnis den Mittelpunkt des christlichen Glaubens erkannt. (234)

Bei ihrer Bekehrung nennt die Synagoge den Namen des Antichrist und enthüllt damit den schrecklichen Sinn jenes rätselhaften Buchstabens A auf den Stirnen seiner Anhänger; und bricht so den Bann des Antichrist.(235) Ecclesia verfolgt die Vorgänge stumm (Szene 95), die Hypocriten sind bewaffnet, die Synagoge wird zwangsweise dem Antichrist vorgeführt. Sie bleibt bei ihrem Bekenntnis zum Christentum und stirbt mit den Propheten und der Judenschaft den Märtyrertod. Die Juden sind die Letzten, die sich dem Antichrist anschließen und die einzigen, die für ihren Glauben an Jesus Christus den Märtyrertod sterben. Der Dichter ist völlig frei von antijüdischen Ressentiments, sondern gibt der Synagoge sogar eine heroische Bekennerrolle. (236)

Er erhebt die Bedeutung der Synagoge über die primitiven Vorstellungen einer Zeit, die während der Kreuzzüge in ganz Europa die Judenverfolgungen und Zwangsbekehrungen hervorrief, weil sie den Juden die alleinige Schuld am Tode Christi zuschob. Der Dichter demonstriert die Einheit der biblischen Überlieferung und läßt sie in der Vision des Jüngsten Gerichtes gipfeln, wenn die Gnade Gottes den Schleier lösen wird. Er sieht die Schuld anders begründet; er sieht in "Heuchelei" und "Ketzerei" die zersetzenden Mächte, die in Staat und Kirche wirksam sind.(237)

Die auffällig positive Sicht der Synagoge hat man mit bernhardinischem Einfluß erklärt, und zwar mit der Tätigkeit des Abtes von Clairvaux im Rheinland während des 2. Kreuzzuges.(238) Das allegorische Motiv von Synagoge und Ecclesia im Ludus schließt nach Aichele "einen Einfluß der Altercatio völlig aus", denn das Schema des Agons zwischen Synagoge und Kirche mit dem abschließenden Triumph der Kirche, das die Altercatio bestimmt, fehlt im Ludus völlig.(239) Nun erscheint aber gerade diese Altercatio im Benedikteurer Weihnachtsspiel, das wenige Zeit später als der Ludus geschaffen wurde, und in dessen Anhang sich nicht nur Zitate aus dem Ludus befinden, sondern auch Figuren daraus (Hypokriten, Antichrist, König von Babylon), weshalb ich kurz auf dieses Motiv eingehen möchte. Pseudo-Augustin (vor 476) scheint als Erster in seinem Werk "De altercatione Synagogae et Ecclesiae dialogus" das Motiv aufs Tapet gebracht hatte. Hier spricht die Synagoge zu den Barbaren und bezieht sich auf "son ancienneté dans l'Empire Romain". Der Einfluß dieses Traktates war beachtlich. Blumenkranz führt gerade das Benedikteurer Weihnachtsspiel darauf zurück. Note 5: "Il s'agist du jeu de Noël de Benediktbeuern; cf. K. Young, The Drame of the Medieval Church, Oxford 1933, I, 192 sq."; darauf seien die bildhaften Darstellungen von Synagoge und Ecclesia zurückzuführen: "c'est lui, enfin, qui servit de modèle littéraire à la représentation picturale ou sculpturale des Ecclesiae et Synagogae dans l'iconographie du Moyen Age chrétien." (240)

Die Altercatio des Pseudo-Augustin findet vor einem Gericht statt und endet damit, daß die Synagoge, schließlich überzeugt ausruft: "Nunc recolo, nunc recognosco! Sed quid diceretur ante nesciui, quia prophetas istos negligenter audiui."(241) Seiferth meint zu diesem Werk, daß es bedeutsam sei, daß es

im 9.Jahrhundert in einigen Diözesen des fränkischen Reiches dem Gottesdienst der Osterwoche eingegliedert wurde und diese autoritative Stellung während des ganzen Mittelalters beibehielt. Wir haben es hier offenbar mit einem Einbruch politischer und sozialer Kräfte zu tun, durch den die Ursprünglichkeit und Wahrheit der Lehre gefährdet erscheint. Gleichzeitig mit der altercatio in der Liturgie, tauchen Ecclesia und Synagoge in der kirchlichen Kleinkunst auf. Dieser Zusammenhang kann nicht übersehen werden. (242)

Schon allein dadurch, daß der Dichter den Antichrist nicht aus einem jüdischen Stamm Dan hervorgehen läßt, ist zu erkennen, daß er der Synagoge anders gegenübersteht als viele seiner Zeitgenossen, die ich in der Folge kurz vorstellen werde. Der Autor weicht sowohl von der kirchlichen Tradition wie von den herrschenden Vorstellungen seines Zeitalters ab. Auch vermeidet er jede Beleidigung und Verspottung der Synagoge und der Juden, wie sie in den aus späterer Zeit überlieferten Antichrist-Spielen vorkommt.

Sie bezeugt seine theologische Bildung, die sich besonders auf sein Verständnis der paulinischen Briefe gründet. Auch kann diese Haltung auf eine Verbindung mit der Auffassung des kaiserlichen Regiments hinweisen, das seine überlieferte Aufgabe als Schutzherrschaft der Judenschaft kannte. (243)

Diese Meinung ist eine gewisse Parallele zu jener von Liebeschütz, der der Ansicht ist, daß es kein Zufall sei, daß

dieses Spiel jenen Jahrzehnten und jenem Kulturkreis entstammt, in dem nach dem großen Fehlschlag des 2. Kreuzzuges die kichlich-religiösen Antriebe für eine gewisse Zeit abgeflaut waren und sich in eine ritterlich-höfische Gesinnung abgewandelt hatten.(244)

Der Autor enthält sich aller theologischen Polemik, an der es selbst Rupert von Deutz nicht hatte fehlen lassen.(245) Günther meint dazu, daß man keinen Grund habe, anzunehmen, daß der Autor die Rolle der Juden anders angesehen haben sollte, als er es aus den Evangelien und der kirchlichen Anschauung kannte.

Wenn er die Rolle der Synagoge als die der letzten Märtyrerin für Christus enden läßt, so tritt darin überaus deutlich hervor, daß der Grundzug seiner Komposition von der Eschatologie her bestimmt ist. Doch könnte auch die Vermutung, daß der Dichter zu der staufischen Herrschaft Beziehungen hatte, durch die Art seiner Darstellung der Synagoge gestützt werden. Denn die Juden standen traditionell seit der Zeit der römischen Kaiser in einem gewissen Schutzverhältnis zu den Herrschern dieses Reiches. (246)

Die obigen Aussagen von Günther und Liebeschütz decken sich in etwa mit den Forschungsergebnissen der Rechtshistoriker Stobbe, Kisch und Dasberg, die die Entwertung des Status der Juden in rechtlicher und gesellschaftlicher Hinsicht - grob gesprochen - auf die Entmachtung der deutsch-römischen Kaiser zurückführen. Die Hypothese, daß sich der Autor des Ludus entgegen der Ansicht der Literaturhistoriker nicht - oder nicht nur - auf den Paulusbrief, sondern gemäß seiner politischen Einstellung, die jener der kaiserlichen Partei entsprach, leiten ließ, geht natürlich über das Thema dieser Arbeit hinaus.

9.10.  Propheten

Nach der Offenbarung Johannis sollen zuletzt zwei Zeugen der Wahrheit gegen den Antichrist auftreten. Das sind im Ludus Henoch und Elias. Sie bringen die Synagoge nicht bloß aus dem antichristlichen Abfall zurück, sondern bekehren sie zugleich zu Christus und dem Bekenntnis des dreieinigen Gottes; "wovon unser Drama Anlass nimmt, dem Elias einen vollständigen zweiten Artikel des apostolischen Glaubensbekenntnisses in den Mund zu legen". Daß der Antichrist sie den Märtyrertod sterben läßt, entspricht der Offenbarung Johannis.(247) Die beiden Propheten gehören in das Reich des Unsichtbaren und Unvergänglichen, wie auch der Engel des Spiels, "subito apparens". Wenn diese Gestalten auftreten (V. 352) ist klar, daß die Endzeit gekommen ist. Henoch und Elias sind die einzigen Gestalten, von denen die Heilige Schrift berichtet, daß sie nicht gestorben sind, sondern "entrückt" wurden. Sie müssen zurückkehren, um in der letzten Zeit den Tod zu erleiden (wie alle Menschen seit Adam und Eva) und dadurch für die Wahrheit zu zeugen.(248) Von ihrer Rückkehr sagt die Esra-Apokalypse (IV Esr 6,26): "Et videbunt qui recepti sunt homines, qui mortem non gustaverunt a nativitate sua, et mutabitur cor inhabitantium et convertetur in sensum alium".

Im Ludus gelten ihre Worte allein der Synagoge. Sie sprechen zu ihr von Christus, und zwar von den in Ihm vereinten, aber nicht vermischten göttlichen und menschlichen Naturen. Denn die Synagoge hat nur seine menschliche Erscheinung, aber nicht die "göttliche Wesenheit" erkannt. Deshalb wird auch der Hinweis auf die Geburt des Gottessohnes aus der Jungfrau hineingenommen (Vers 330). Daß er dem Tode nicht unterlag, sondern ihn besiegte (Vers 337) , zeigt der Synagoge, daß er nach dem Tode auf dem Weg durch die Gehenna, in der Er die gläubigen Seelen befreite, auferstanden ist. Elias ist der Wortführer, weil er in der Bibel meistens als Vorläufer des Messias bezeichnet wird. Zitat aus I Cor 10,11 - Paulus verweist auf das Schicksal des murrenden, abtrünnigen Volkes Israel, das in der Wüste umkam (Deut 14,35.36; Hbr 3,17). Der, der jetzt gekommen ist, ist der "Sohn des Verderbens" (II Th 2,3), dessen Entlarvung bevorsteht. Mit Babylon, dessen Mauern er vollenden will (Vers 358), ist nicht der Sitz der Heidenschaft, sondern das Babylon der Apokalypse gemeint (Apc 18,2).(249) Mit einem Halbvers weisen die Propheten auf den Antichrist hin: Non est Christus (Vers 359). Hier hat die Handschrift eine Lücke von etwa 1 ½ Zeilen. Die Propheten beschimpfen den Antichrist mit diesen Worten:
V.389 Tu blasphemus
radix mali,
Antichristus,
vere mendax
auctor iniquitatis
turbator veritatis,
seductor pietatis,
sub forma deitatis.

Günther schreibt, daß die Propheten den Antichrist zum ersten Mal mit seinem Namen "Antichrist" anreden,(250) aber schon die Synagoge hatte ihn mit ihrem "Seducti fuimus vere per Antichristum!" (V.361) entlarvt. Der Dichter hatte sich dies wohl absichtlich aufgespart.(251) Aber die Zeugen sind die Ersten, die den Antichrist in seinem innersten Wesen erkennen und bezeichnen:
V. 357 Ecce venit homo perditionis

Der Ludus hat den "naiven Litteralsinn" zugunsten eines Spiritualismus abgestreift, der ihm durch Augustin oder Otto von Freising vertraut war. Sein Babylon ist nicht mehr die orientalische Großstadt, sondern das Sinnbild der Unheilsgeschichte schlechthin, jener Confusio, die in biblischer Vorzeit begann und im Antichrist gipfelt; auch die Heuchler der Gegenwart zählen dazu.

 


10.  Besonderheiten

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Rauh bezeichnet den Ludus als formal hochstilisierte "politische Parabel", halb Drama, halb Turnier. Dieser "Fürsten- und Tyrannenspiegel" setze die "Neuerer" mit dem corpus Antichristi der Heuchler gleich; er stellt sich gegen die "nova iura" und die Kirchenreformer. Der Kreuzzug falle in die Kompetenz des Kaisers, die Deutschen werden als "Kern des Gottesvolkes" dargestellt. (252)

Zusammenfassend kann man feststellen, daß gegenüber anderen Antichristspielen folgende Besonderheiten im Ludus bestehen:

 


11.  Exkurs - Die Juden und das deutsche Recht im 12. Jahrhundert

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Die Kirche war im frühen Mittelalter - wie auch die weltliche Gewalt - von dem einzigen Gedanken besessen: die gesamte, damals noch sehr zahlreiche heidnische Bevölkerung zu taufen. Um so schärfer hob sich die religiöse Standhaftigkeit der Juden ab. Das enge Zusammenleben der Juden mit den Massen der neubekehrten, im christlichen Glauben noch nicht unbeirrbaren Heiden mußte dem katholischen Klerus gefährlich erscheinen.(253) Es ergab sich somit die Notwendigkeit einer neuen Schriftinterpretation, die die Juden als "Volk des Bundes mit Gott" enteignete. Das "wahre Israel" sind die Christen, die Juden sind "ihrem eigenen Schriftverständnis untreu geworden". Die Angriffe sind zugleich eine Abwertung.(254) Die Prinzipien der Judenpolitik Gregors waren: Das Judentum ist ein Stück Vergangenheit, das "in einem Winkel der Gegenwart" konserviert werden muß, weil seine freiwillige Auflösung zu den gottgewollten Ereignissen der Endzeit gehört. Das entspricht dem theologischen Motiv des Paulus, ins Juristisch-Praktische übersetzt.(255)

Gregors Auffassung von der christlichen Gemeinschaft appellierte an die alte Vorstellung der germanischen Gemeinschaft, obwohl die Reformbewegung der Kirche immer die germanischen Elemente ausmerzen wollte. Dasberg nimmt an, daß die cluniazensiche Bewegung für die Juden erst durch diese Elemente in der gregorianischen Bewegung gefährlich werden konnte, weil sie den "niederen Schichten des Volkes zugänglich" waren. Für die Rechtsposition der Juden waren die römischen und alttestamentlichen Begriffe viel günstiger als die einer germanischen Gemeinschaft, von welcher sie ausgeschlossen bleiben mussten.(256) Nach Stobbe verbrachten die Juden im römischen Reich, bis es "den deutschen Eroberern zu Beute fiel", trotz aller Beschränkungen "ihr goldenes Zeitalter im Verhältnis zu dem Schicksal, welches ihrer wartete". Der römische Rechtszustand blieb in den deutschen Staaten zunächst bestehen. Während im westgotischen Recht "ein bis zum Fanatismus starrer, strenggläubiger Sinn" herrschte, scheinen die Juden bei den Ostgoten eine angesehenere Stellung gehabt zu haben.

Auch scheint das Volk die gehässigen Anschauungen der Geistlichkeit nicht geteilt zu haben; denn die immer von Neuem wiederkehrenden Gebote, daß die Christen sich jeder Gemeinschaft mit den Juden zu enthalten hätten, sind gerade ein Beweis dafür, daß in dem Volke kein wahrer Judenhaß Wurzel geschlagen hatte.(257)

Je straffer irgendwo die römische Rechtstradition auch weiterhin gehandhabt wurde, desto vorteilhafter war dies jedenfalls für die Juden.(258) Auch Papst und Kaiser standen den Juden nicht ungünstig gegenüber. Als Papst Eugen III. 1145 nach Paris kam und sich in vollem Ornat in die Kathedrale begab, die damals im Judenviertel lag, sandten die Juden eine Abordnung zu ihm, die ihm die Tora überreichte; er segnete sie, sie kehrten glückstrahlend heim, und der Papst verzehrte ein Passahlamm mit dem König.(259) Bei der Krönung Heinrichs VI. am 15. April 1191 in Rom wurde folgendes Zeremoniell beobachtet: Nach der Messe folgt der Kaiser mit seinen Begleitern dem Papst. Alle Geistlichen der Stadt singen jeder an seiner Stelle Lobgesänge, "auch die Juden an ihren Orten".(260) Es muß auch gleich zu Beginn hervorgehoben werden, daß die Kirche schon früh den Verbrechen gegen Juden entgegen zu steuern suchte. Regino (de causis synodalibus II.c.94): "Qui odii meditatione vel propter cupiditatem Judaeum vel paganum occiderit, quia non leve vitium committitur, ut homicidam convenit poenitere." (261)

Dasberg gliedert die Neuorientierung in Bezug auf die Juden in drei verschiedene Phasen:

Zuerst eine Neuoritentierung der Kirchenreformer, ein rein geistiger Prozess innerhalb einer intellektuellen Elite, die das tägliche Leben des einfachen Mannes nicht beeinflußte. Dann sei die Neuorientierung der Kirchenreformer hinsichtlich der innerstaatlichen Befugnisse des Herrn der Juden, des Königs, gekommen, womit die Kirche in die Politik eintrat. Mit dem Investiturstreit wurde auch die königliche Gewalt bezüglich der Juden, soweit sie sich auf geistliches Gebiet bezog, zum Streitfall. Dies war jedoch eine Angelegenheit, die in viel breiteren Kreisen Interesse erregte. Schließlich erfolgte in der dritten Phase die Neuorientierung des einfachen Mannes sowohl in seiner Einstellung gegenüber den Juden als auch gegenüber dem König. Dies wurde ausschlaggebend für die Veränderung der Lage der Juden.(262) In der Literatur gibt es keine Einstimmigkeit über die Gründe: - religiöser Gegensatz (älteste Begründung) - wirtschaftliche Kräfte (überholt) - soziologische Gründe (Fremdenstatus - NS-Historikerschule). In Zeiten eines absoluten Wahrheitsbegriffes war dem friedlichen Nebeneinander zweier Weltbetrachtungen, die noch überdies beide den Anspruch auf universales Heil erhoben, keine Möglichkeit gelassen. (263)

Die Gottesfriedensbewegung, die im Interesse der Klöster stand, bot für viele Arme einen Ausweg, da während des fehdefreien Zeitraumes keine Pfändung des Schuldners stattfinden durfte. Cluny brachte "eine neue Würdigung des einfachen Mannes". Es war dem Einfluß Clunys zuzuschreiben, daß z.B. König Robert vorzugsweise Mönche niederer Herkunft auf den Bischofsstuhl erhob. Auch Gregor VII. wird als "vir de plebe" bezeichnet. In den Zeiten der Kreuzzüge waren es nach Dasberg stets die niederen Geistlichen und die ungelehrten Einsiedler und Asketen, aus deren Reihen die fanatischsten Verfolger der Juden kamen, während es öfters gerade die Prälaten waren, die zugunsten dieser eintraten.(264) Die Gruppierung der Parteien ist also deutlich: Kaiser und Kaufleute auf Seiten der Juden, Kreuzzügler und deren Anhänger aus den niederen Volksschichten gegen die Juden. Das Auffallende an alldem ist, dass die Bischöfe, die zusammen mit dem Kaiser und den Kaufleuten versuchten, die Juden zu schützen, während des Investiturstreites auch die Verfechter des nicht-päpstlichen Standpunktes waren. Zu Bernhard von Clairvaux meint Dasberg, daß seine Rundreise "kaum heilsame Wirkung" hatte. Das einfache Volk konnte den Unterschied zwischen der Pflicht zur Verachtung und dem Verbot der Ausrottung nicht fassen. (265)

Wer Reichsbürger sein wollte, konnte in nationaler Hinsicht alles möglich sein: Germane, Kelte, Slave, Magyare usw.; er mußte aber unbedingt getaufter Christ sein. Das galt für alle europäischen Nationalstaaten, die, wenn auch politisch unabhängig, gleichfalls vom Reichsgedanken geprägt waren.(266) Die jüdische Religion "ist sicher nicht Baalsdienst im Sinn der Vergottung eines genius loci." Genau dahin aber tendiert die christliche Reichsideologie, weshalb der Christ als Reichsbürger im Juden "seinen Antipoden wittert" und dazu neigt, ihn zu vertreiben. Sobald er das Schwert ergreift und für ein taugliches Instrument der Glaubensbewährung hält, "fällt sein Blick zuerst auf den Juden als auf seinen nächsten Widersacher". Man kann die Heimat nicht verteidigen ohne sich gegen den zu wenden, der "das lebendige Nein zur irdischen Heimat überhaupt ist."(267) Es sei das Asketentum der Kirche, die das Reich zu ihrem Partner hat, die neben den Mönchsorden auch die Ritterorden kennt, die Kirche der zwei Schwerter, des "In hoc signo vinces!", wo "kein scharfer Unterschied gemacht wird zwischen den Engeln Gottes und den lichten heidnischen Gottheiten", meint Reisner. Das kompromißlose Nein zu allem Heidnischen sei den Juden so sehr in ihr Wesen eingewachsen, daß sie es auch zum Ausdruck bringen müssen, sobald sie überhaupt als Juden hervortreten.

Mit Thomas von Aquin, der die Rationalisierung und Säkularisierung der christlichen Theologie mit allen Kräften vorangetrieben hat, wurde [...] der Antisemitismus in der katholischen Kirche sozusagen kanonisiert und dogmatisiert. Dieser zweifellos große Mann hat selbst gelehrt, daß die christlichen Fürsten das Recht haben, über das Eigentum der von Gott zur Sklaverei verurteilten Juden nach eigenem Gutdünken zu verfügen. (268)

Der König, dem bis zur allgemeinen Feudalisierung das Judenregal ausschließlich zustand, schuf Judenrecht nach eigenen Richtlinien: teils nach römischen Traditionen, teils "durch jüdisches Diktat eingegeben" und teils - soweit es Handelsprivilegien betraf - durch die jeweiligen Handelsbedürfnisse begründet. Wann immer die Kirche Einspruch gegen das königliche Judenrecht erhob, war ihre Begründung, daß die Seelen ihrer christlichen Gläubigen vor dem verderblichen Einfluss derjenigen zu behüten seien, die ihr eigenes Seelenheil bereits verspielt hätten. (269)

Der blosse Umstand, daß in den Gebieten, die den Juden ein Maximum an Entfaltungsmöglichkeiten boten, die meisten Ketzerbewegungen vorkamen, war schon ein Argument, auf jüdische Beeinflussung zu schliessen. Dazu kamen ins Auge fallende Bekehrungen (Bodo-Eleaser, Johannes-Obadja gest. ca. 1120, Vecelinus).(270) Beschuldigungen des Volkes gegen die Kirche, sie sei der Antichrist, der Papst sei der Antichrist, wurden auf die Juden abgewälzt; diese seien das Volk, aus dem der Antichrist hervorgehen werden, wenn auch sein Erscheinen "nicht so konkret gedacht werden müsse". Diese "einschränkende Bedingung war für das Volk zu subtil. Wenn der Antichrist bei den Juden zu finden sei, dann müsse er auch dort angegriffen werden." Auch die messianischen Erwartungen der Juden seien auf das Jahr 1096 gerichtet gewesen.(271) Der einzige Unterschied zur christlichen Erwartung war - Dasberg bezieht sich auf Hrabanus Maurus -

dass die Juden die Kunft des Messias, die Christen seine Wiederkunft erwarteten. "Nec inter Iudaeos et Christianos nullum aliud esse certamen, nisi hoc ut cum illi nosque credamus Christum Dei filium repromissum, et ea quae sunt futura sub Christo a nobis impleta, ab illis explenda dicantur." (272)

Die Angst vor der Missionskraft des Judentums und vor der kaiserlichen Usurpierung der Endzeiterwartungen des Volkes "hat die Kirche vielleicht zur Benutzung der Gestalt des Ewigen Juden veranlasst", denn sie konnte die Wahrheit des Christentums gegen die Ansprüche des Judentums beweisen. Der Ewige Jude erscheint in den Disputationen zum ersten Mal in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts. Später wurde der Ewige Jude in populärer Vorstellung zum Begriff des ganzen jüdischen Volkes. "Und damit sind wir wieder bei der schon von AUGUSTINUS formulierten Auffassung angelangt, das jüdische Volk müsse für seine Missetat leiden, dürfe aber nicht ausgerottet werden, da seine elende Existenz der Beweis sei für die Kreuzigung Jesu und die Wahrheit des Christentums". Was einmal "gelehrte theologische Gedanken" waren, wurde zu Volkserzählungen, "die von dem kleinsten Kind in der schäbigsten Hütte belauscht und verstanden werden konnten!" (273)

Abschließend noch ein kurzer Blick auf das deutsche Recht, das meiner Meinung nach einen nicht unbedeutenden Einfluß auf die unerfreuliche Entwicklung hatte.

In Deutschland fehlten gleichmäßige allgemeine Normen für das ganze Land; die Verhältnisse wurden nach Gutdünken der Stadtgemeinden oder der Fürsten geregelt.(274) Im übrigen herrschte das Gewohnheitsrecht vor. Probst Burchard von Ursberg (etwa 1177-1231) schreibt, es sei ein "mos Teutonicorum", daß sie "sine lege et ratione voluntatem suam pro iure statuunt", daß sie "omnem iustitiam detestantur et odio habent."(275) Die mittelalterlichen Rechtsbücher, so insbesondere der Sachsenspiegel (entstanden zwischen 1215-1235, vielleicht 1221-1224), geben Sätze des zur Zeit ihrer Abfassung geltenden Gewohnheitsrechts wieder und zeigen so jeweils den Abschluß einer Entwicklung, die sich über ca. 120 Jahre erstreckt.(276)

Was die Rechtssätze über die Juden anbelangt, zitiere ich Kisch und Stobbe:

maßgebend waren meist bloß Willkür und Berechnung der Machthaber, Zeit, Ort und besondere Umstände ihrer Veranlassung, der ebenso willkürlich jederzeit eine Aufhebung erteilter Befugnisse nachfolgen konnte. Man hat deshalb das Judenrecht des Mittelalters zutreffend als ein "aus zufälligen und verschiedenartigen Begünstigungen und Beschränkungen zusammengesetztes Privilegienrecht" bezeichnet. Otto Stobbe (1831-1887).(277)

Für die Verleihung von Rechten und für die Begründung von Berechtigungen, die vom allgemeinen Rechtszustand abweichen sollten, bildete im Mittelalter das Privileg die grundsätzliche Rechtsform. Nach der Lehre des Kanonisten Gratian (etwa 1140) ist das Privileg "ein für einzelne erlassenes Sondergesetz, das den damit Beliehenen eine nach dem gemeinen Rechte nicht zustehende Begünstigung gewährt", also ein ius speciale für eine bestimmte Person. Die karolingischen Schutzbriefformulare zugunsten von Juden, die in der unter Ludwig I. (814-40) verfaßten Sammlung der Formulae Imperiales überliefert sind, gehören in diese juristische Kategorie. Damit wurden einzelne Juden unter den besonderen Königsschutz genommen. Dieser Schutz entsprang aus dem Rechtsakt der Kommendation, verlieh gewisse Vorrechte und war nicht auf Juden beschränkt.(278) In den Privilegien für die Juden von Speyer und Worms der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts lag weder sozial noch rechtlich eine Zurücksetzung. Der im Bereich des Stadtrechts geltende Grundsatz "Stadtluft macht frei" hätte daher für die Juden keine Verbesserung, sondern höchstens eine rechtliche Garantie ihrer Rechtsstellung bedeuten können. Der Typus der individuellen Privilegien wurde für eine größere Anzahl von Personen derselben Art erweitert, indem ein Sonderrecht (privilegium generale) festgestellt wurde. Das Landfriedensrecht waren "Reichsgesetze in Vertragsform"; das Strafrecht verschob sich vom privatrechtlichen zum öffentlich-rechtlichen Charakter, die Geldstrafen wurden zu peinlichen Strafen. (279)

Das Waffenrecht beruht auf der öffentlich-rechtlichen Stellung einer Person. Es ist das Ehrenrecht, an bestimmten waffenmäßigen Insitutionen teilzunehmen, von denen es fünf gab: Recht des Waffentragens in Friedenszeiten; Heerfolge; Selbsthilfe; Zweikampf ; Gerüftsfolge (wie gerichtlicher Polizeidienst - gilt auch für waffenunfähige Einwohner des Gerichtsbezirks).(280) Kisch zieht das Fazit, daß die ursprünglich uneingeschränkte Teilnahme der Juden an allen fünf Institutionen durch unzweifelhafte Quellenzeugnisse belegt sei,(281) Stobbe bezweifelt es, was die Heerfolge anbelangt.(282) Erst als sich im Laufe des 12.Jahrhunderts der Bau von Burgen als Wohnsitz der Ritter ausbreitete, wich die allgemeine Wehrpflicht vor dem Aufgebot, das jetzt nur an den Ritterstand erging, zurück. Den übrigen Ständen wurde das Recht, Waffen zu führen, entzogen oder beschränkt. Das alles hat sich rein gewohnheitsrechtlich entwickelt. (283)

Einen ersten Höhepunkt hatte die Rechtunsicherheit der Juden unter Heinrich IV (1056-1106) erreicht. Der privilegiale Schutz der Juden hatte sich als völlig unzureichend erwiesen.(284) Daher nahm Heinrich IV die Juden im Mainzer Reichslandfrieden von 1103 in seinen Schutz. Der Landfriede wurde aecclesiis, clericis, monachis, laicis, mercatoribus, mulieribus ne vi rapiantur, Judeis geschworen. Daraus entwickelte sich nach und nach die allgemeine Auffassung, daß sich die Juden überall im Reichsgebiet im Schutz des Kaisers befänden und ihm dafür zu Abgaben verpflichtet seien. Die Ausbildung derartiger Abhängigkeitsverhältnisse traf auch andere Personenklassen, wie z.B. die freien Bauern.(285) Im Landfrieden Friedrich I. von 1179 waren "iudei, qui ad fiscum imperatoris pertinent", in den Sonderfrieden eingeschlossen.(286) Damit wurde den befriedeten Klassen das aktive und passive Fehderecht abgesprochen. Die zeitgenössischen Berichte über die Aufnahme der Juden in den Türmen und Festungen während des 2. Kreuzzuges erwähnen im Gegensatz zu den Berichten über den 1. Kreuzzug keine Bewaffnung der Juden. (287)

Nach germanischer und mittelalterlich-deutscher Auffassung galt das Waffenverbot für Unfreie und Knechte. Es lage nahe, es auf Mönche und Geistliche als die Gottesknechte, "servi Dei", auszudehnen. Das Waffenverbot für Juden war die Folge ihrer Aufnahme in den Königsschutz und führte sozial und rechtlich zu ungünstigeren Wirkungen.

Die vom Waffenrechte ausgeschlossenen und militärisch nur zu untergeordneten Diensten verwendeten, sozial gesunkenen und rechtlich benachteiligten Juden geradezu als Knechte, als servi zu betrachten und die Herrschaft über sie ihrem Schutzherrn, dem König, zuzuschreiben, ist eine ebenso naheliegende wie logische Schlußfolgerung. Sie ist von der mittelalterlichen Staatspraxis und Rechtslehre in vollem Ausmaß gezogen worden. Die Juden hatten sich aus schutzwürdigen und vollberechtigten Faktoren des Wirtschafts- und Rechtslebens in schutzbedürftige und daher auch rechtsbedürftige Objekte der Wirtschaftspolitik verwandelt. (288)

In der constitutio Moguntina Friedrich II. (Mainzer Reichslandfrieden) von 1235 sucht man vergeblich nach einer judenrechtlichen Bestimmung; seitdem ist der Judenschutz aus der Landfriedens-Gesetzgebung des Heiligen Römischen Reiches und seiner Territorien ausgeschieden. (289)

Wer Abgaben von seiner Person zahlt, ist nicht mehr vollkommen frei.(290) Am frühesten ist eine Abgabe für die Judenschaft Goslars erwähnt, welche dem König Friedrich I. im Jahre 1155 den dritten Teil ihrer Güter ausliefern sollte.(291) Die spätere Sage führte diesen Schutz auf die Zerstörung Jerusalems zurück. Der Verfasser des Sachsenspiegels sagt: diesen Frieden (den Königsfrieden) erwarb den Juden Josephus von König Vespasian, da er seinen Sohn Titus von der Gicht heilte. Diese Mythen waren im 12. und 13. Jahrhundert sehr verbreitet.

Ein weiterer Angriffspunkt war das - von der NS-Literatur so genannte "Hehlerprivileg". Im Gegensatz zum römischen Recht, das den Eigentümer auch gegen einen gutgläubigen Besitzer, der die Sache in redlicher Weise erworben hatte, schützt und wo das Recht des Eigentümers als das absolute Recht vorgeht, wird im Privileg Heinrich IV für die Juden von Speier ausgesprochen:

Wird bei einem Juden eine gestohlene Sache gefunden und behauptet der Jude, sie gekauft zu haben, so darf er mit dem Eide nach seinem Gesetz erhärten, für welche Summe er sie gekauft habe; zahlt ihm dann so viel der Eigentümer, so soll er sie demselben dafür herausgeben. (292)

Dieser Rechtssatz galt aber nicht bloß für die Juden in Deutschland, sondern auch bereits in früher Zeit in Frankreich; denn 1146 beschwerte sich Petrus Venerabilis beim König von Frankreich:

Lex jam vetusta, sed vere diabolica, ab ipsis christianis Principibus processit, ut si res ecclesiastica vel [...] aliquod sacrum vas apud Judaeum repertum fuerit, nec rem sacrilego furto possessam reddere, nec nequam furem Judaeus prodere compellatur. (293)

Stobbe vermutet eine Grundlage für dieses Ausnahmerecht im talmudischen Recht, weist aber in den Bemerkungen darauf hin, daß dieser Rechtssatz auch schon in den germanischen Volksrechten Geltung hatte, z.B. in der Lex Burgundionum und in der Lex Visigothorum, sowie im Baierngesetz, das aus dem Westgotenrecht schöpft. (294)

Die "autonome Judenpolitik" der weltlichen Herrscher stand unter dem ständigen Zwang der Auseinandersetzung mit den Grundsätzen der kirchlichen Judenpolitik. Schon Augustin (354-430) hatte die Juden als Sklaven der Christen im christlichen Staate betrachtet: "Ecce Iudaeus servus est Christiani [...] Et hoc manifestum est et implevit orbem terrarum". Es ist wohl kein Zufall, daß diese Sätze nur wenige Jahre später niedergeschrieben wurden, nachdem die Juden im Römerreich durch Kaiser Honorius von jeglichem Kriegsdienst ausgeschlossen worden waren - "vielleicht eine interessante Parallele zu der historischen Entwicklung, die 800 Jahre später folgt". Die kirchliche Lehre von der servitus Iudeorum gewann aktuelle Bedeutung im Zeitalter des 1. und 2. Kreuzzuges. Sie findet sich u.a. bei Rupert von Deutz, Petrus Venerabilis und bei Bernhard von Clairvaux. Alle Autoren erklären die Juden als Sklaven der christlichen Fürsten: "Iudaei christianis principibus subiecti sunt" (Rupertus Tuitiensis, De Trinitate et Operibus Eius). Diese Knechtschaft wurde ursprünglich in einem rein spirituellen Sinn aufgefaßt. Die Annahme liegt nahe, daß zwischen der christlich-theologischen Lehre und den rechtlichen und politischen Begriffen des Mittelalters eine direkte Verbindung besteht. "Es hat zu keiner Zeit ein so tiefgreifender Gegensatz zwischen positivem Recht und theoretischem Recht bestanden wie im Mittelalter." (295)

Der Ausdruck "perpetua servitus" erscheint in offiziellen Kirchenurkunden zum erstenmal in dem Schreiben von Innozenz III. an den Erzbischof von Sens und den Bischof von Paris vom 15. Juli 1205.(296) Dieses Dekretale fand 1234 Aufnahme in Gregors IX. Dekretalensammlung und damit ins Corpus Juris Canonici.(297) Für Kisch besteht somit der Beweis, daß es zwischen dem Kirchenrecht und dem Privileg Friedrich II. von 1236 und für die Stadt Wien von 1237 einen Zusammenhang gibt. Wenn man aber der Entwicklung der Rechtspraxis nachgeht, findet man - dieser Ansicht ist auch Dasberg - den Zeitpunkt des Umschwunges schon im 11. Jahrhundert.(298) 1236, als die Juden zum erstenmals als servi nostri bezeichnet werden, entstand eine neue Rechtseinrichtung, die Kammerknechtschaft. Die vorangegangene Entwicklung war schon 1235 durch die Ausschaltung des Judenschutzes aus dem Mainzer Landfrieden zum Abschluß gekommen.(299)

Das Judenprivilegium Friedrich II. von 1236 stellt einen Rückschritt zur Rechtsform des Privilegiums dar. Der Judenschutz ist zum ius singulare der Juden geworden. Dieses steht nicht nur im Gegensatz zum ius generale, sondern verdrängt auch seine primäre Geltungskraft für die Juden. Es ist echtes "Judenrecht" im spezifischen Sinne des Wortes, welches zugleich eine Schwäche in der Rechtsstellung der Juden einschließt. Friedrich II. Judenprivileg ist daher nicht - wie es bisher geschehen ist - als ein Fortschritt, sondern vielmehr als ein Rückschlag in der Entwicklung der mittelalterlichen Judenschutzrechts aufzufassen. (300)

 


12  Die Zeitgenossen des Ludus

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12.1  Petrus Venerabilis (1094-1156)

Im Sendschreiben des Peter, Abt von Cluny, 1146 an den König von Frankreich, wo eine "Sonderbesteuerung" zugunsten des 2. Kreuzzuges gefordert wird, wird die jüdische Wirtschaft insgesamt verfemt. Man möge die Juden berauben, aber nicht ermorden.(301) "Es ginge nicht an, gegen die Sarazenen zu ziehen, so lange die Juden, die eigentlichen Feinde Christi, in unserer Mitte verschont bleiben." Dieser Ausspruch ist fast ein Slogan geworden. Obwohl in diesem Zusammenhang auch von ihm die traditionelle Auffassung der Kirche, daß die Juden letztlich am Leben gelassen werden müssen, ausgesprochen wurde, läßt sich der "Venerabilis" in seinem Traktat "Adversus Judaeorum inveteratam duritiem" zu Aussagen, wie "Der Jude ist kein Mensch, er ist ein Tier", denn "audiet nec intelliget asinus, audiet nec intelliget Judaeus" hinreissen. Eine Bekehrung der Juden am Ende der Zeiten erwähnt er nicht. "Für alle Ewigkeiten gibt es keine Versöhnung". Die Juden sind schlimmer als Kain, sie sind verflucht, "nachdem sie das Blut Christi vergossen haben, auf der Erde herumzuirren, was schrecklicher ist als der Tod."(302) Hier finden wir bereits den Ewigen Juden.

12.2  Bernhard von Clairvaux (1091-1153)

Bernhards Kreuzzugssschreiben an die deutschen Diözesen behandeln die grundsätzliche Frage der Judengemeinden im christlichen Raum. Er gibt sich dabei als Sprecher für den Apostel Paulus, wenn er Geistlichkeit und Volk von Köln mahnt, sie sollten nicht jedem Geist glauben und zum Eifer das zügelnde Wissen fügen. Im Sinne des Römerbriefs legt er ein Psalmwort (58,12) aus.

'Gott', spricht die Kirche, 'unterweise mich über meine Feinde' [...] 'Zerstreue jene in Deiner Macht, erniedrige sie, Gott, mein Schützer!' So ist es geschehen: Sie sind zerstreut, sie sind erniedrigt, sie erdulden harte Knechtschaft [...] Davon, daß überall, wo sie fehlen, christliche Zinseintreiber das Judengeschäft zu dem unsern machen, will ich schweigen; gesetzt, daß wir solche Leute überhaupt Christen und nicht mit der Taufe versehene Juden nennen wollen. Wenn aber das Judentum vernichtet wird, von woher soll ihnen dann das Heil am Weltende kommen? Woher die künftige Bekehrung? Es ist deutlich, auch die Heiden müßten, wenn sie ebenso unterworfen wären, eher derart erwartet als mit dem Schwert angegriffen werden, wenigstens meiner Meinung nach. Jetzt aber haben die Heiden gegen uns mit Gewalttätigkeit angefangen, und es ist nötig, daß diejenigen, welche nicht ohne Grund das Schwert tragen, Gewalt mit Gewalt vertreiben. Nicht minder aber als die Bändigung des Trotzigen gehört die Schonung des Besiegten zur christlichen Frömmigkeit, zumal, wenn es sich um die handelt, denen Gesetz und Verheißung gehören und die Urväter, und aus deren Mitte Christus im Fleisch hervorgegangen ist, der der Gesegnete Gottes über alle Jahrhunderte ist." (303)

Seiferth führt an, daß die Predigt Bernhards zwar nicht erhalten sei, aber in einem seiner Briefe nachklinge.

Die Juden dürfen nicht verfolgt, nicht niedergemetzelt, nicht einmal vertrieben werden. Befragt die Heilige Schrift. Etwas Neues findet ihr im Psalm [59,12] über die Juden prophezeit: 'Gott läßt mich meine Lust sehen an meinen Feinden. Erwürge sie nicht, daß es mein Volk nicht vergesse'. Uns sind sie wie eine lebende Urkunde, die die Passion des Herrn verzeichnet. Um derentwillen sind sie in alle Regionen verstreut, so daß sie, während sie die gerechte Strafe für eine solche Missetat erdulden, die Zeugen unserer Erlösung sein mögen. Daher auch die Kirche [Ecclesia] in jenem Psalme hinzufügt: 'Zerstreue sie mit deiner Macht, Herr, unser Schild, und stoße sie hinunter' [Vers 12]. So ist es geschehen: sie sind zerstreut, sie sind hinuntergestoßen; sie erdulden harte Gefangenschaft unter den christlichen Fürsten. Aber sie werden zur Abendzeit sich bekehren und dann wir ihnen ihr Lohn nicht fehlen. Und wenn schließlich die Fülle der Heiden eingegangen sein wird, dann wird auch ganz Israel selig werden, wie der Apostel sagt [Röm 11,25-26]. Wer freilich in der Zwischenzeit stibt, verbleibet im Tode". (304)

Als 1119 Hugo von Payens und acht andere Kreuzritter den Templerorden gründeten, schuf Bernhard die Ordensregel (Liber de laude novae militiae ad milites templi), ca. 1120.(305) Darin schreibt er: "Der Christ, der den Ungläubigen im Heiligen Krieg tötet, ist seines Lohnes sicher; noch sicherer, wenn er selbst den Tod findet. Der Christ frohlockt über den Tod des Heiden, denn er gereicht Christus selbst zum Ruhme".(306) Ein Kommentar erscheint mir überflüssig.

12.3  Rupert von Deutz "Vater des Deutschen Symbolismus" (um 1070 - 1135)

Auch für Rupert liefert die Typologie den Beweis, daß das fleischliche Israel dem Corpus diaboli angehört. Rupert unterstellt die Juden dem Verdikt von Apc 16,6: Da die Juden nicht nur das Blut der Heiligen und der Propheten vergossen, sondern Christus selbst getötet haben, sind sie vor allen anderen Völkern würdig, verdammt zu werden. Als verstockte Gegner des Evangeliums sind ihm die Juden der natürliche Anhang des Antichrist. In ihnen habe der luziferische Haß auf den Höchsten, von dem Isaias sprach, durch den Mord an Christus bereits seinen Gipfel erreicht. Durch den Mund des Erlösers klagt Rupert das widersetzliche, unbußfertige Israel der Lüge an und richtet dessen Söhne: "indociles et caeci estis, amici tenebrarum, et rebelles luminis, amantes gloriam mundi". Rupert glaubt, daß die Juden den Antichrist geradezu erwarten. Die verhängnisvolle Rolle, die Pilatus spielt, läßt ihn die Symbolverbindung zwischen "Juden" und "Römern" erkennen. Es war der römische Antichrist, die Bestie aus dem Meer, der die Juden "instinctu diaboli" den Messias überlieferten. So hatte schon Tyconius das Volk, das keinen König als den Cäsar wollte, als Sinnbild der Heuchler verstanden und diese Szene als das Geheimnis des Bösen. In wechselnden Figuren kehrt die Allianz der "Juden" mit "Pilatus", deren Opfer Christus ist, in der Geschichte der Kirche stets wieder. Der Deutzer Abt erweitert die Konfiguration um die Gestalt des Kain, der typologisch zugleich für den Rex Antichristus, für Rom und das jüdische Volk (d.h. die Synagoge) steht: eine unauflösliche Dreiheit der Unheilsgeschichte. Doch sind für Rupert die "filii diaboli" nicht nur die Juden allein, sondern alle Feinde der Wahrheit. Der Symbolist sieht das Corpus Antichristi in allen Völkern der Erde, welche die Annahme des Evangeliums verweigern. Die Sünde des Unglaubens, die geistliche Geburt des Antichrist in der Seele des Menschen, vollzieht sich zu allen Zeiten; sie betrifft die heidnischen Götzendiener ebenso wie die Juden und die Häretiker. (307)

12.4  Honorius Augustoduniensis "Popularisator des Symbolismus" (um 1080 - 1137?)

Der Autor des "Elucidarium" läßt wie den Antichrist in Babylon "de meretrice generis Dan" geboren, im Mutterleib vom Satan besessen und in Corozaim von Zauberern erzogen werden. Honorius hält sich an Isidor, Beda und Haimo, wenn er den Widersacher Christi und seiner Kirche als den Erneuerer des alten Jerusalem sieht, als jüdischen Pseudo-Messias, zu dem das Volk Israel aus aller Welt herbeiströmt. Aber Elias und Henoch bekehren die Juden zum Christentum, "et omnes pene durum martyrium subibunt". Das erinnert an den Ludus. Was zählt, sind ausschließlich Bekehrung und Martyrium Israels. Auf den Judaismus des Antichrist geht Honorius nicht weiter ein. Solange die Gesamtheit der Heiden sich nicht zum Glauben bekehrt hat, ist der "Sohn des Verderbens" noch aufgehalten; in jener Zeit wird auch die Synagoge das Christentum annehmen. In 10 "ordines justorum" tritt das corpus Dei gegen den Bösen an: 5 Schlachtreihen ("acies") stellt die Synagoge, 5 weitere die Kirche. Status 1-5 geht vom Paradies bis Johannes dem Täufer, status 6-10 vom Evangelium bis zum Reich des Antichrist). Der 9. status sind die falsi fratres des Tyconius, ein negatives Symbol der Gegenwart.(308) In einer "Theologie der Versöhnung" werden Juden und Heiden, historische Gegner der Kirche, an denen sie im 9. Status noch leidet, am Ende zu Gliedern Christi (Rm 11,25). Die "increduli" sind nicht verworfen, sondern werden am Ende der universalen Kirche eingereiht. (309)

12.5  Gerhoch von Reichersberg (1092, 1093 - 1169)

In seinem Werk "De investigatione Antichristi" (1161,1162) bezeichnet Gerhoch die Religion des Antichrist - kurz gesagt - als Heuchelei.(310) Die Lösung der Kirche aus dem Feudalismus wird für ihn zum großen Programm der armen und kontemplativen Kirche. In der "Epistula ad Innocentium Papam" formuliert Gerhoch konkrete Aufgabe der innerkirchlichen Reform im Gegensatz von Welt- und Ordensklerus. Der Dichter des Ludus war anderer Meinung; für ihn ist die antifeudale Armutsforderung nur eine "pharisäische Phrase"; der König von Jerusalem hat sich täuschen lassen und hat sein nationales Königreich verloren. Die Ereignisse der Jahre 1140-60, nämlich der mißglückte Kreuzzug, der Aufstand der Römer unter Arnold von Brescia, das neue Schisma unter Alexander III. und Victor, die Erneuerung des römischen Rechts, der Nominalismus Abälards usw., alle diese Ereignisse sind für Gerhoch "Wirkungen des antichristlichen Geistes". Er versteht den Antichrist als geistige Größe. Daß er aus dem Stamme Dan kommt, müsse "geistig verstanden" werden, denn der Antichrist "ist gar keine Person, non talis bestia, qualis vulgo aestimatur, er ist der Zeitgeist und Weltgeist selbst". In den Hypocriten sieht Gerhoch Häretiker, simonistische Kirchenverfolger, Legisten, Sophisten und Dialektiker, Pseudopropheten. Das Reichsgefühl von Joachim von Floris zeichnet sich hier bereits ab.(311)

12.6  Otto von Freising,"Historiker des Deutschen Symbolismus" (um 1111/1114 bis 1158)

Otto war ein Enkel von Heinrich IV., Onkel Friedrich Barbarossas und 5. Sohn des Markgrafen Leopold III. von Österreich. Er nahm am 2. Kreuzzug teil und übernahm nach der Wahl Friedrichs I. zum Kaiser politische Missionen.(312) Nach ihm werden gleichzeitig mit dem Antichrist die beiden Propheten Elias und Henoch predigen, deren Mission den vom Antichrist Verführten, Juden wie Christen, gilt. Obwohl er sich mit Adso auf Rm 9,27 stützt, weicht er in der Sache stark von der Tradition ab. "Es ist, als hätte der Eschatologe vergessen, daß die zwei Zeugen vor allem die Juden bekehren und erst getötet werden, nachdem ihre Mission beendet ist". Wenn der Antichrist als Pseudo-Messias der Juden gezeigt wird, so bleibt dies nur eine Andeutung; der Restaurator des Tempels, der sich selbst beschneidet und das Gesetz erneuert, ist nirgends dargestellt. (313)

12.7  Hildegard von Bingen (1098 bis 1179)

In ihrem Liber Scivias gibt Hildegard (1151) eine ausführliche Beschreibung der Empfängnis und der Geburt des Antichrist, die stark an die Ausschmückungen des Adso erinnern.(314) Bei ihr fährt die Synagoge nicht zur Hölle, sondern Christus wird die Synagoge

am Ende der Zeiten wieder aufnehmen; dann wird sie die Irrtümer ihres Unglaubens aufgeben und zum Licht der Wahrheit zurückkehren. Denn der Teufel hatte die Synagoge in ihrer Blindheit an sich gerissen und sie in vielen Irrtümern dem Unglauben überantwortet; und er wird damit fortfahren, bis der Sohn des Verderbens erscheint. Wenn der Antichrist aber gestürzt ist, wird mein Sohn die Synagoge zum wahren Glauben zurückrufen, wie auch David seine erste Gattin nach dem Tod Sauls wieder aufnahm. Sehen die Menschen in der Endzeit den besiegt, der sie verführt hatte, werden sie eilig auf den Weg des Heils zurücklaufen.(315)

12.8  Walther von der Vogelweide (1160/1170 bis 1228?)

Abschließend möchte ich Walther von der Vogelweide zitieren, weil auch Seiferth auf ihn Bezug nimmt. Seiferth schreibt, daß sich im Gegensatz zum "tragischen Kurzschluß der Jerusalempilger, die ihre Christenpflicht durch die Ermordung der Juden zu erfüllen glaubten", eine neue, wenn auch nur vereinzelte "Duldsamkeit aus tieferen Schichten des religiösen Bewußtseins gegenüber gestellt" habe. Walther von der Vogelweide, der "wie jeder mittelalterliche Christ" nur eine wahre Religion gekannt hat, ließ sich nicht "durch dogmatische Schranken beengen" und habe "die Entscheidung des Gewissens über eine kasuistische Sittenlehre" gestellt.(316) Es erscheint mir in diesem Zusammenhang wichtig, hier das gesamte Gedicht ohne Auslassungen zu präsentieren:

Swer âne vorhte, hêrre got,
wil sprechen dîniu zehen gebot,
und brichet diz, daz ist niht rehtiu minne.
Dich heizet vater maneger vil:
swer mîn ze bruoder niht enwil,
der spricht diu starken wort ûz krankem sinne.
Wir wahsen ûz gelîchem dinge:
spîse frumet uns, diu wirt ringe,
sô si dur den munt gevert.
wer kan den hêrren von dem knehte scheiden,
swa er ir gebeine blôzez fünde,
het er ir joch lebender künde,
sô gewürme dez fleisch verzert?
im dienent kristen juden unde heiden,
der elliu lebenden wundert nert.
(317)

Walther von der Vogelweide schrieb aber auch ein paar Zeilen, die das Zeitgefühl wiedergeben, wo die anscheind geläufige und gebräuchliche Wendung "Christen, Juden und Heiden" ebenfalls gebracht wird:

uns get zuo der tak,
gegen dem angest haben mak
ein ieglich Kristen, Juden unde Heiden.
(318)

Auch Hildegard von Bingen nennt (in anderer Zusammenstellung) "Heiden, Juden und falsche Christen", die den wahren Glauben verleugnen. Obwohl sie von der "himmlischen Kirche" ausgeschlossen sind, unterstehen sie trotzdem der Macht Gottes - Menschen, die "mehr dem Zeitlichen als dem Ewigen nachjagen, wie die Heiden, Juden und falschen Christen." (319)

 


13  Das Benediktbeurer Weihnachtsspiel

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In der Sammlung Carmina Burana findet sich auch eine Handschrift mit dem sogenannten Benediktbeurer Weihnachtsspiel.(320) Die Entstehung wird auf ca. 1225 geschätzt. Der erste Teil, das Prophetenspiel, geht von einer pseudoaugustinischen Predigt des 5. Jahrhunderts aus, die bei den Juden für den christlichen Glauben werben sollte.(321) Gegenstand des Streitgespräches war die jungfräuliche Geburt Jesu; der Streitfall bleibt aber unentschieden, denn "die Juden bestehen auf res neganda, die Propheten auf res miranda." Das Streitgespräch zwischen Heidentum, Judentum und Christentum aus dem Ludus ist als Abschluß angehängt, "obwohl es dabei zu keiner inneren Einheit kommt."(322) Anderer Meinung ist Langosch, der meint, daß man damit das Spiel passend abschließen konnte. (323)

Unter anderen treten auf: Augustin, Propheten, die Sybille, der Archisynagogus et suos Iudeos.(324) Augenscheinlich scheint der Ausdruck "Iudea misera" schon zum Standardsprachschatz gehört haben.
15 O Iudea misera!
Tua cadet unctio,
cum rex regum veniet
ab excelso solido
cum retento floride

[...]
23 Iudea misera
sedens in tenebris
25 repelle maculam
delicti funebris
et leto gaudio
partus tam celebris
erroris minime
30 cedas illecebris!

Veniat Archisynagogus cum magno murmure sui et suorum, quibus dicat Augustinus:
Nunc aures aperi,
100 Iudea misera!

Postea dicat Augustinus cum prophetis omnibus:
(325)
Infelix, propera
crede vel vetera,
268 cur dampnaberis, gens misera!

Eine Parallele zu diesem Sprachgebrauch ergibt sich zu den Worten des Antichrist bei Walther von Châtillon: (326)
Miseranter miseror
Qui verbis et opere se
Expectant, ut veniam
Et rursus restituam
miseros Hebreos,
fatentur meos;
et reducam eos
Judea Judeos.

Im Anhang (oder im 3. Teil) des Benediktbeurer Weihnachtsspiels ist außer einigen anderen Versen in mehrfacher Wiederholung das Eingangslied der Heidenschaft aus dem Ludus eingefügt. Als Vertreter der Heidenschaft fungiert der König von Ägypten. An seinem Sitz befinden sich mehrere Götzenbilder (im Ludus nur eines), die beim Eintritt von Maria und Joseph mit dem Jesuskind niederstürzen. Darauf kommt der König von Babylonien. Auch der Antichrist und die Hypokriten werden erwähnt.

 


14  Antichristspiele und -schriften

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Aichele ist der Meinung, daß der Ludus "nicht die geringste Wirkung auf das spätere Antichristdrama gehabt zu haben" scheint. Er schreibt, daß uns "aus dem 13. Jahrhundert" "keine Antichristspiele erhalten" sind und führt das auf eine wahrscheinlich lückenhafte Überlieferung zurück, erwähnt aber nicht den Linzer Entekrist aus 1170. Aichele stellt auch fest, daß für das späte Mittelalter "ein beinahe völliges Fehlen einer politischen Tendenz" (mit Ausnahme des Zürcher Spiels) charakteristisch ist.(327) Im Gegensatz dazu führt Kindermann an, daß der Versuch einer politischen Publikumswirkung durch aktuelle Bezüge innerhalb zahlreicher Antichrist-Spiele - etwa im Münchner "Entchrist" aus dem 14. Jahrhundert, vor allem aber im "alten grozen spil vom uff- und untergang des Antichrist" (Xanten 1473/1481), in den Antichrist-Spielen von Frankfurt (1468/69), Dortmund (1513) oder von Luzern (1549) unternommen wurde. (328)

In den meisten Antichristdramen sind die Juden in der Regel die ersten, die dem Antichrist zuströmen, und sie beweisen ihren Haß gegen das Christentum in der Verfolgung und Tötung der Propheten Henoch und Elias. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts verschärft sich in den deutschen Antichristspielen die antijüdische Tendenz. Die Juden werden von vornherein als die Anhänger des Antichrist gegeben. Der Märtyrertod des Enoch und Elias findet sich beinahe in jedem mittelalterlichem Antichristdrama, sie sind die "Hauptopfer" des Antichrist.(329) Ob der Traktat Adsos wirklich den Verfassern von Antichristspielen vorgelegen hat, läßt sich nicht feststellen. "Stoffliche Übereinstimmungen beweisen gar nichts, da sich jedes Detail bei Adso auch aus anderen älteren Quellen belegen läßt." (330)

Aus der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts, also der Entstehungszeit des Ludus stammt eine Predigtsammlung "Speculum ecclesiae". Die darin enthaltene bayrische Predigt über den Antichrist geht nach Konrad eindeutig auf den Adso-Traktat zurück. Es erscheint mir interessant, ein Stück davon, nämlich die "Definition des Antichrist" hier wiederzugeben: "Ez sint och leider ze disen ziten uil Antichriste. Swelch laige oder phaffe oder munech wider dem rehte lebent, die sint Antichriste unde scalche des vbelen tieuels."(331) Weiters zu erwähnen wären zwei theoretische Darstellungen, die eine aus dem Orient, die sogen. dioptra (regula) rei christianae von dem Mönche Philippus, gen. Solitarius, der um das Ende des 11. Jahrhunderts lebte, und das Decretum oder Decretorum opus des Bischofs von Chartres I v o , der um 1115 gestorben ist. Im letzteren erscheint die Synagoge "unter den Feinden der Christen als schlimmster", bis "Henoch und Elias auch sie zuletzt bekehren." In der dioptra tritt der Antichrist als "pauperum amans", besonders aber als "genus Hebraeorum omnibus praeferens", auf und gewinnt die Juden zu allererst: "Surrexit, dicent, magnus rex Hierosolymis". (332)

 

14.1  Linzer Entekrist - ein "Zeitgenosse" des Ludus

Eine den Antichrist behandelnde deutsche Dichtung fränkischen Ursprungs, kam von Gleink im Trauntal nach Linz.(333) Um 1170 entstanden, ist dies das älteste deutsche Antichristdrama. Die Handschrift wurde 1834 von Hoffmann von Fallersleben in Linz aufgefunden. Im oberdeutschen Dialekt geschrieben, ist es das Werk eines gelehrten Geistlichen.(334) Es finden sich Zitate aus Bibel und Kirchenvätern, teilweise in Latein. Das Spiel endet mit Ermahnung und Gebet. Anspielungen auf soziale und politische Verhältnisse der Gegenwart fehlen.(335) Das Werk besteht aus drei Teilen:

I. De antichristo, Elia et Enoch (106, 1-126,38)
II. De signis XV. dierum ante diem iudicij (127, 1-129,32)
III. De aduentu christi ad ivdicivm (129,33-134,42)

Elias und Enoch werden als "zwene wissagen alte, herren, die creftigen este in der erwelten schar" beschrieben. Die Juden sind "die erwelten, husgenoze". Der Antichrist wird "der leidige hunt, der hellehunt, der sun divels, der grimme, wutgrimme" genannt.(336)

Der Autor verwendet Stoffmaterial aus Adso; daneben verwertet er noch das Elucidarium und die Apokalypsenkommentare des Ambrosius Autpertus und des Anselm von Laon. Herkunft des Antichrist, der Vergleich Bethlehem-Babylon und der Aufenthalt in Chorozaim und Bethsaida folgen Adso. Im Anschluß an die berühmte Paulus-Stelle über die discessio wird auch die Endkaisersage erzählt. Nach der Herrschaftsniederlegung tritt der Antichrist als Pseudo-Messias der Juden auf.(337) Neu ist, daß dem Kaiser "rome unt Lateran wirt im undertan",(338) was zu den Ereignissen im ersten Drittel der Regierung Barbarossas, zwischen 1152-1166, paßt. Wahrscheinlich sah auch dieser Dichter einen Deutschen als Endkaiser. Der Zug des Endkaisers nach Jerusalem ist im Linzer Entekrist eine "hervart", denn der Kaiser wird das Heilige Grab aus den Händen der Ungläubigen befreien, der Jerusalemzug wird ein Kreuzzug sein. (339)

 

14.2  Meister Lucidarius

Als Beispiel für die Anwendung paulinischer Sichtweisen auch am Ende des Mittelalters und gegen den Zeitgeist möchte ich hier noch zuletzt den "Meister Lucidarius. Von den wunderbaren Dingen der Welt" anführen, der 1491 auf deutsch erschienen ist, dessen Quellen aber aus dem Ende des 12. Jahrhunderts (aus dem Elucidarium des Honorius Augustoduniensis u.a.) stammen.(340)

Der Endechrist wird geboren in dem größern Babylon von einem bösen Weibe und wird schon im Mutterleib mit Leib und Seele von dem Teufel erfüllt. [...] Er baut das alte Jerusalem wieder und gebiete, daß man ihn da anbete wie unsern Herrn Jesum Christum. Dann kommen die Juden von allen Enden der Welt und empfangen ihn mit großen Ehren. Sie werden aber darnach alle Christen durch Henochs und Elias Predigt, und werden dann alle gemartert [...] Darnach regiert er vierthalb Jahre und schlägt sein Gezelt an den Oelberg, damit er anfechte alle Guten und Gerechten; da wird er auch des jähen Todes erschlagen mit dem Worte Gottes.(341)

 


15  Der Antichrist und die Bekehrung der Juden im 20. Jahrhundert

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Ich möchte ich in aller Kürze die Gedanken eines Katholiken und eines Protestanten zur Bekehrung der Juden und damit zum Römerbrief darstellen, um dann in der Zusammenfassung ein Resumée über die Ergebnisse meiner Arbeit zu ziehen. Da wird einmal das Judentum "in seiner heutigen Form" den modernen Messianismen, wie Freimaurerei, Marxismus und Nationsalsozialismus,(342) gleichgestellt.

Nachdem es dem wahren Messias starrsinnig widersprochen und ihn für nichts erachtet hat, ist die Verstocktheit über Israel gekommen, bis die Vollzahl der Heiden ins messianische Reich eingetreten ist.(343)
Kurz gesagt, ist der Antichrist derjenige falsche Messias, den die Juden seit der Verwerfung des einzig wahren Messias und göttlichen Heilandes, Jesus Christus, noch erwarten. Weil sie der Wahrheit nicht Glauben schenkten, werden sie der Täuschung anheimfallen.(344)

Die Juden werden den Antichrist nur anfänglich als Messias anerkennen und sich auf die Predigt des Elias hin "und wegen der Auffindung der Bundeslade" von ihm abwenden. Elias wird danach nocheinmal erscheinen, um die Juden am Weltende zu bekehren, wobei er ihnen klarmacht, daß nicht der Antichrist, sondern Jesus Christus der verheißene Messias ist. Der Patriarch Henoch wird die aus dem Heidentume stammenden Christen in der Verfolgung stärken.(345) Hitler sei ein Vorbild des Antichrist gewesen.(346) Nach den Worten des Paulus sind und bleiben die Juden "Geliebte um der Väter willen" (Rm. 11,28), was für alle Völker, vor allem auch für die "christlichen", bis zur Stunde verbindlich ist. Wer sie antastet, der tastet Gottes Augapfel an.(347) Die Verwerfung Christi durch die Juden geschieht als Tat des Volkes und nicht der Einzelnen, weshalb sie auch als Volk die Verantwortung dafür tragen müssen. Sie verwerfen Christus ja doch, indem sie sich zu ihrem Volkstum bekennen, sich für ihr Volkstum entscheiden. (348)

Man darf darum auch nicht wie der von Juden abstammende Augustinerpater Gregory Baum glauben, das Judentum von seiner Schuld freisprechen zu können, indem man die Verantwortung für den Tod Christi allein den relativ wenigen "Kirchenführern" von Jerusalem, also den Sadduzäern, Schriftgelehrten, Pharisäern usw. anzulasten versucht. Wenn das so einfach wäre, dann könnte sich ja genausogut der Mensch von heute von der Schuld Adams, also von der Ursünde freigesprochen wähnen. Daß er das nicht kann, beweist jedoch seine Todverfallenheit. Geistlich denken heißt nämlich schon nicht historisch denken. Das müßten auch die Väter des Vatikanischen Konzils wissen.(349)

Judentum und Christentum bleiben aber weiterhin trotz aller Widersprüchen eine Gemeinde Gottes, und diese "eine Gemeinde Gottes hat in ihrer Gestalt als Israel der Darstellung des göttlichen Gerichtes, in ihrer Gestalt als Kirche der Darstellung des göttlichen Erbarmens zu dienen".(350) Reisner meint, daß Hitler "die äußerste Konsequenz des Reich-Kaisertums" darstelle; in ihm wachse sich der deutsche Kaiser zum Antichristen aus. Der Antichrist aber lebt nur aus seinem Widerspruch zum Christ.

Wenn einmal vom Antisemitismus die Rede sei, wird sich herausstellen, "daß der tiefste Grund des Antisemitismus eben doch der Christusmord ist, und zwar der Christusmord sowohl der Juden wie auch der Heiden. Christusmörder ist jeder Mensch, der den Messias, das "goldene Zeitalter", die Perfektion, das Paradies in irgendeiner jüdischen oder deutschen Gestalt in der Geschte, statt im futurum aeternum erwartet. [...] Da will man den Nicht-Juden mit allen Mitteln klar machen, was viele Juden auf kulturellem, künstlerischem, wissenschaftlichem, humanitärem Gebiet usw. geleistet haben, und wie ungerecht darum jeder Antisemitismus sei. [...] aber darauf kommt es eben in gar keiner Weise an, weil die bloß humanitären Werte ausnahmslos heidnische Werte sind und als solche vom Judentum wie vom Christentum her mit Fragwürdigkeit belastet sind [...] Juden, Deutsche etc. stehen unter der gleichen Verdammnis und allerdings auch unter der gleichen Gnade.(351)

Damit bin ich wieder zu meinem Motto Rm 11,32 zurückgekehrt.

 


16  Zusammenfassung

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An der im Ludus vom Dichter formulierten Stellungnahme zur Bekehrung derjenigen, die nicht an Christus glauben, sei es Juden oder Heiden, ist mir besonders aufgefallen, daß die Heiden nicht bekehrt werden. Das könnte man mit einer "geschichtlich begründeten Selbstbeschränkung"(352) erklären, oder auch damit, das nach dem Ende des Antichrist nach der Tradition noch Zeit zur Bekehrung bleibt. Dann kann sich die Prophezeiung "donec plenitudo gentium entraret" (Rm 11,25) noch erfüllen. Was das Christentum anbelangt, sticht hervor, daß die traditionelle Verfolgungszeit der Christen im Ludus fehlt. Nur die Ecclesia flieht in Szene 48 "multis contumeliis et verberibus affecta". Das Christentum stellt im Kampf mit dem Antichrist keinen einzigen Märtyrer. Es ist das Judentum, das der Dichter hier - stellvertretend für die Christenheit - das Martyrium für Christus erleiden läßt, und damit die Tradition umwandelt. Diese Sichtweise findet sich auch im Elucidarium des Honorius Augustoduniensis, der in etwa ein Zeitgenosse des Autors war. Daß auch alle Juden hingerichtet werden, ergibt sich daraus, daß in Szene 4 die Juden mit der Synagoge eingezogen waren und auf ihrem Thron Platz genommen haben, sich also auf der Szene, am Schauplatz befinden. In Szene 99 werden sie zwar nicht erwähnt, aber aus den Worten der Synagoga "seducti fuimus" (V.361) und "nos erroris penitent ad fidem convertimur / quicquid nobis inferet persecutor, patimur" (V.400 f.) ist zu erkennen, daß die Synagoge für sich und für ihre Anhänger spricht. Es vollzieht sich demnach im Ludus die endzeitliche Bekehrung aller Juden zu Christus (Rm 11,26) in der Form des Martyriums. Diese Erweiterung des paulinischen Gedankens könnte auch eine "Ehrerbietung" gegenüber dem Judentum darstellen, da die Stellung eines Blutzeugen traditionell höher ist als die eines "auf normalem Wege" Bekehrten. So hat das Judentum im Ludus eine hervorragende Stellung.

Was die sonstigen Inhalte des Ludus de Antichristo anbelangt, gibt es beängstigende Parallelen zur heutigen Zeit. Auch Menschen, denen der Glaube abhanden gekommen ist, haben genau so viel Angst vor der Zukunft und Sehnsucht nach Erlösung wie ihre Vorfahren in Zeiten sogenannter "tiefer Gläubigkeit" hatten. Beweis dafür scheint mir die moderne apokalyptische Trivialliteratur, die Hausse von Endzeit-Filmen und -Videos. Es scheint, daß dieses Thema noch nie so massiv präsent war. Darin gibt es zwar Antichristen in jeder Form, aber keine Juden mehr, die sich, wenn das Ende der Welt naht, zum Christentum bekehren. Der Trend in Europa geht heute wieder zum "Reich", wenn auch unter parlamentarischer Führung, wobei wieder Frankreich und Deutschland um die Hegemonie wetteifern. Positiv sehe ich, daß der Papst heute keine "schweigende Figur" mehr ist, sondern als Akteur auf der politischen Bühne steht, wenn er "linke Messianismen" bekämpfte und sich neuerdings auch gegen den "kapitalistischen Messianismus" (oder das Heidentum in Gestalt des "Goldenen Kalbes") wendet. Besondere Hoffnung birgt auch der Geist der Versöhnung seit Johannes XXIII. Padre Nazareno Fabretti schreibt:

Una volta Paolo VI disse, riferendosi a movimenti e gruppi di persone non credenti ma di grande valore: (Questo è nostro!) Volle sottolineare, lui per primo e da cristiano umile qual era, che dovunque si compie del bene, dove si costruisce l'amore, lì c'è Dio.(353)

Mit diesen Worten drückt er die Hoffnung aus, die auch meine persönliche tiefste Hoffnung ist, nämlich die Hoffnung, die der Apostel Paulus der Menschheit gibt:

conclusit enim Deus omnia
in incredulitatem
ut omnium misereatur.

 

© Elisabeth Campagner

TRANSINST        table of contents: No.4


Fußnoten:

(1)   Vgl. Dubnow, Simon: Weltgeschichte des jüdischen Volkes. 10 Bde. Berlin 1925-1929, 2. Bd., 558.

(2)   Zu diesem Thema: Isaac, Jules: Jésus et Israel. Paris 1948.

(3)   Vgl. Wolfgang Seiferth. Synagoge und Kirche im Mittelalter. München 1964, 43.

(4)   Vgl. Judant, D.: Judaisme et Christianisme. Dossier patristique. Paris 1969, 232 f.

(5)   Vgl. Judant, 237.

(6)   Otto Stobbe. Die Juden in Deutschland während des Mittelalters in politischer, socialer und rechtlicher Beziehung. Braunschweig 1866, 168, Note*: Epist.lib.I.n.40. §.6 seqq. (Ambrosii opera. Venet.1751.fol.Tom. III.p.1018 seqq.).

(7)   Vgl. Judant, 191 (Eusèbe, Démonstration Evangélique, II, 2,3).

(8)   "bien plus comme une [nation] ou une [race] que comme une communauté religieuse".

(9)   Vgl. Judant, 192.

(10)   Vgl. Judant, 220: Note 2: Hippolyte de Rome, De l’Antéchrist, 25 etc. und Note 3: Ibidem, 43.

(11)   Vgl. Judant, 222.

(12)   Vgl. Judant, 227.

(13)   Vgl. Bernhard Blumenkranz. Les auteurs chrétiens latins du moyen age sur le juifs et le judaisme. Paris MCMLXIII, 172 f.

(14)   Blumenkranz, auteurs, 194.

(15)   Vgl. Hans Liebeschütz. Synagoge und Ecclesia. Religionsgeschichtliche Studien über die Auseinandersetzung der Kirche mit dem Judentum im Hochmittelalter. Heidelberg 1983, 37.

(16)   Vgl. Judant, 269, Note 2: Augustinus, De la prédestination des saints, XVI, 33.

(17)   Vgl. Aurelius Augustinus. Der Gottesstaat. In deutscher Sprache von Carl Johann Perl. 3 Bde. Salzburg 1952-1953 (1899), I., 259f.

(18)   Vgl. Augustinus, I., 304f.

(19)   Vgl. Augustinus, III., 73.

(20)   Augustinus, III., 138f.

(21)   Augustinus, III., 235.

(22)   Vgl. Augustinus, III, 403 f.

(23)   Augustinus, III, 408.

(24)   Augustinus, III, 408.

(25)   Vgl. Artikel "Antichrist" in: Encyclopedia Judaica. Berlin 1928.

(26)   Vgl. Artikel "Antichrist" in: Reallexikon für Antike und Christentum. Hg. Von Theodor Klauser. Stuttgart 1950.

(27)   Vgl. D.S. Russel. The Method and Message of Jewish Apocalyptic. London 1964, 279.

(28)   Vgl. Robert Konrad. De ortu et tempore Antichristi. Antichristvorstellungen und Geschichtsbild des Abtes Adso von Mont-en-Der. Kallmünz 1964, 85.

(29)   Vgl. Klaus Aichele. Das Antichristdrama des Mittelalters, der Reformation und Gegenreformation. Den Haag 1974, 9.

(30)   Vgl. Artikel "Antichrist" in: Lexikon des Mittelalters. München und Zürich. 1980.

(31)   Vgl. Konrad, 72 f. und Ernst Wadstein. Die eschatologische Ideengruppe: Antichrist - Weltsabbat - Weltende und Weltgericht, in den Hauptmomenten ihrer christlich-mittelalterlichen Gesamtentwicklung. Leipzig 1896, 127.

(32)   Vgl. Georg Jenschke. Untersuchungen zur Stoffgeschichte, Form und Funktion mittelalterlicher Antichristspiele. Diss. Münster 1972, 18-22.

(33)   Horst Dieter Rauh. Das Bild des Antichrist im Mittelalter: Von Tyconius zum deutschen Symbolismus. Münster 1973, 134.

(34)   Vgl. Konrad, 63-65.

(35)   Der Antichrist. Der staufische Ludus de Antichristo. Kommentiert von Gerhard Günther. Hamburg 1970, 24.

(36)   Vgl. Gerhard von Zezschwitz. Das mittelalterliche Drama vom Ende des römischen Kaisertums deutscher Nation und von der Erscheinung des Antichrist. Leipzig s.a. (1877), 91, Note 137.

(37)   Vgl. Lea Dasberg. Untersuchungen über die Entwertung des Judenstatus im 11. Jahrhundert. Études juives XI. Paris MCMLXV, 169 f.

(38)   Vgl. Ernst Sackur. Sibyllinische Texte und Forschungen. Pseudomethodius, Adso und die tiburtinische Sibylle. Halle a.S. 1898, 42-56.

(39)   Vgl. Jenschke, 42 f.; Liebeschütz, 120, und Hans Prutz. Kulturgeschichte der Kreuzzüge, Berlin 1883, 515.

(40)   [...] et tu Capharnaum usque in caelum exaltata usque ad infernum demergeris [...]

(41)   Sackur, 93.

(42)   "Etiam nam et Iudas Scariothes, traditur Domini, de tribu Dan existebat etc." in Sackur, 95.

(43)   Sackur, 95.

(44)   Vgl. C.P. Caspari. Briefe, Abhandlungen und Predigten aus den letzten zwei Jahrhunderten des kirchlichen Alterthums und dem Anfang des Mittelalters. Christiana 1890, 429-457.

(45)   Caspari, 215-217.

(46)   Vgl. Sackur, 117-125.

(47)   Sackur, 181-186.

(48)   Vgl. Dasberg, 159 f.

(49)   Vgl. Konrad, 16-21.

(50)   Vgl. Paul Steigleder. Das Spiel vom Antichrist. Eine geistesgeschichtliche Untersuchung. Diss. Würzburg 1938, 34, und Konrad, 26 ff.

(51)   Vgl. Konrad, 31, Sackur, 101 f., und Rauh, 161.

(52)   Vgl. Konrad, 34 f.

(53)   Vgl. Konrad, 48-51.

(54)   Vgl. Sackur, 106 f.

(55)   Sackur, 112.

(56)   Sackur 112 f.

(57)   Vgl. Rauh, 161-163.

(58)   Vgl. Konrad, 98-110.

(59)   Vgl. Konrad, 134 f.

(60)   Vgl. Konrad, 15, und 121 f.; Günther, 21; Jenschke, 31.

(61)   Vgl. Heinz Kindermann. Das Theaterpublikum des Mittelalters. Salzburg 1980, 9-14.

(62)   Vgl. Kindermann, 61.

(63)   Die kirchlichen Dramen heissen in Deutschland ludi, in Frankreich misteria, altfrz. mistere, von ministerium, kirchliche Handlung, auch mysteria geschrieben, doch ohne Zusammenhang mit mysterium = Geheimnis.

(64)   Vgl. Seiferth, 66 f.

(65)   Vgl. J.W. Nagl, Jakob Zeidler. Deutsch-Österreichische Literaturgeschichte. Hauptband. Wien 1899, 135.

(66)   Vgl. Nagl-Zeidler, 139; Reallexikon der Deutschen Altertümer. Ein Hand- und Nachschlagebuch der Kulturgeschichte des deutschen Volkes, bearbeitet von Dr. E. Götzinger. Leipzig 18852; R. Froning (Hrsg.). Das Drama des Mittelalters. Erster Teil. Die lateinischen Osterfeiern und ihre Entwicklung in Deutschland. Osterspiele. Passionsspiele. Stuttgart s.a. (1891), 23; Friedrich v. der Leyen (Hrsg.). Deutsche Dichtung des frühen und hohen Mittelalters. Berlin/Darmstadt/Wien 1962, 967.

(67)   Vgl. Wadstein, 82 und 138.

(68)   Vgl. Wadstein, 61.

(69)   Vgl. Karl Simrock. Handbuch der deutschen Mythologie mit Einschluß der nordischen. Bonn 1887, 132.

(70)   Vgl. v. der Leyen, 955.

(71)   Vgl. Jacob Grimm. Deutsche Mythologie. 3 Bde. Graz 1953 (Nachdruck 1835), II., 676 f.

(72)   Vgl. Konrad, 63.

(73)   V. der Leyen, 60 f.: “Das hört ich künden die Gerechten der Welt, daß der Antichrist werde mit Elias kämpfen: der Unhold ist gewaffnet. Dann wird unter ihnen Krieg erhoben. Die Kämpen sind so kräftig, die Sache ist so groß. Elias kämpft für das ewige Leben, er will den Rechtgläubigen das Reich stärken, darum soll ihm der helfen, der des Himmels waltet. Der Antichrist steht bei dem alten Feind, steht bei dem Satan, der ihn versenken wird. Darum soll er auf der Walstatt wund hinfallen und auf dem Platz dort sieglos werden. Doch glauben viele Diener Gottes, daß Elias in dem Streit verletzt werde. Wenn des Elias Blut auf die Erde tropft, so entbrennen die Berge, kein Baum bleibt stehen, keiner auf der Erde, die Wasser vertrocknen, das Moor saugt sich auf, es verschwelt in der Lohe der Himmel, der Mond fällt, es brennt Mittelgard. Kein Stein bleibt stehen. Es fährt der Tag des Gerichts in das Land. Er fährt mit dem Feuer, die Menschen zu strafen. Da kann kein Vetter dem anderen helfen vor dem Weltbrand (Muspilli). Wenn der breite (Flammen)Regen alles verbrennt, und Feuer und Luft alles wegfegt, wo ist dann die Mark, um die man immer mit seinen Vettern stritt? Die Mark ist verbrannt, die Seele steht in Trauer. Sie weiß nicht, wie sie büßen soll, so fährt sie zur Strafe.

(74)   Vgl. Günther, 22f.

(75)   Vgl. Max von Boehn. Die Mode. Menschen und Moden im Mittelalter. München 1963 (1925), 33f.

(76)   Vgl. Dr. Otto Henne am Rhyn. Kulturgeschichte des deutschen Volkes. 2 Bde. Berlin 1897, Band I, 137.

(77)   Vgl. Der Heliand. Nach dem Altsächsichen von Karl Simrock. Leipzig 1959, 8-15.

(78)   Heliand, 82.

(79)   Heliand, 186. Dazu Mc 15,23: Et dabant ei bibere murratum vinum et non accepit; Mc 15,36: [...] spongiam acetum [...] ; Mt 27,34: Et dederunt ei vinum bibere cum felle mixtum / et cum gustasset noluit bibere; Mt 27,48: Et continuo currens unus ex eis / acceptam spongiam implevit aceto / et inposuit harundi et dabat ei bibere.

(80)   Vgl. Bernhard Blumenkranz. Juden und Judentum in der mittelalterlichen Kunst. Stuttgart 1965, 52 f.

(81)   Vgl. Will Durant. Die Geschichte der Zivilisation. 10 Bde. Bern 1952-1969 (New York 1950-1967), IV. Band, 793-795.

(82)   Vgl. Boehn, 33.

(83)   Vgl. Durant, IV. Band, 820f.

(84)   Vgl. Durant, IV. Band, 828.

(85)   Vgl. Gerd Tellenbach. Kaisertum, Papsttum und Europa im hohen Mittelalter; in: Historia Mundi. 10 Bde. Bern 1958, VI., 37.

(86)   Vgl. Henne am Rhyn, 169.

(87)   Vgl. Ernst H. Kantorowics. Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters. München 1990 (1957), 111.

(88)   Vgl. Kantorowics, 296-298.

(89)   Vgl. Günther, 28.

(90)   Vgl. Durant, IV. Band, 807f.

(91)   Vgl. Dasberg, 148.

(92)   Vgl. Liebeschütz, 108, und Dasberg, 147.

(93)   Vgl. Kantorowics, 296.

(94)   Vgl. Durant, IV. Band, 817.

(95)   Vgl. Kantorowics, 209, Note 12.

(96)   Vgl. Tellenbach, 50.

(97)   Vgl. Hans Prutz. Staatengeschichte des Abendlandes im Mittelalter. In: Allgemeine Geschichte in Einzeldarstellungen. Hrsg. von Wilhelm Oncken. 2. Hauptabtheilung. Sechster Theil. Berlin 1885, 441.

(98)   Vgl. Reallexikon der deutschen Altertümer, Spalte 532.

(99)   Vgl. Liebeschütz, 108. Auch H. Graetz. Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. 11 Bde. 2. Auflage. Leipzig s.a., 5. Bd., 544 und Note 22, und Blumenkranz, auteurs, 256-258.

(100)   Vgl. Konrad, 20.

(101)   Vgl. Reallexikon Altertümer, 532.

(102)   Vgl. Liebeschütz, 117.

(103)   Vgl. Wadstein, 21 f.

(104)   Vgl. Wadstein, 21 f.

(105)   Vgl. Dasberg, 146.

(106)   Vgl. Dasberg, 152-154.

(107)   Vgl. Dasberg, 163.

(108)   Kantorowics, 247.

(109)   Vgl. Adolf Waas. Geschichte der Kreuzzüge. 2 Bde. Freiburg 1956, 1.Bd., 162.

(110)   Vgl. Waas, 167.

(111)   Vgl. Bernhard Kugler. Geschichte der Kreuzzüge. In: Allgemeine Geschichte in Einzeldarstellungen. Hrsg. von Wilhelm Oncken. 2. Hauptabtheilung, 5.Theil. Berlin 1880, 134.

(112)   Vgl. Durant, IV., 426.

(113)   Vgl. Rauh, 463.

(114)   Vgl. Waas, 179.

(115)   Vgl. Durant, IV., 426.

(116)   Vgl. Waas, 179.

(117)   Vgl. Stobbe, 184.

(118)   Stobbe, 249, Anmerkung 125 zu Seite 132.

(119)   Vgl. Kugler (Oncken), 22.

(120)   Vgl. Boehn, 63.

(121)   Boehn, 58.

(122)   Dasberg, 149.

(123)   Vgl. Friedrich Wilken. Geschichte der Kreuzzüge. 7 Bde. Leipzig 1807, Bd. 1, 96.

(124)   Blumenkranz, auteurs, 263 f.

(125)   Vgl. Waas, 167 f.

(126)   Vgl. Waas, 179.

(127)   Vgl. Durant, IV. Band, 635-639.

(128)   Kurt Pfister. Die Welt des Mittelalters. Wien 1952, 243.

(129)   Kugler (Oncken), 152 f.

(130)   Marvin Lowenthal. The Jews of Germany. London 1939, 40.

(131)   Vgl. Karl Langosch. Geistliche Spiele. Lateinische Dramen des Mittelalters mit deutschen Versen. Berlin 1957, 267; Aichele, 27; Rauh, 366 f., Günther, 75.

(132)   Vgl. Günther, 76 f.

(133)   Die Reihe der staufischen Könige begann mit Konrad III (1137-1152), auf ihn folgte Friedrich I (1152-1190) Barbarossa. Vgl. Tellenbach, 98.

(134)   Vgl. Günther, 83.

(135)   Vgl. Rauh, 367-370.

(136)   Vgl. Langosch, Spiele, 255 f.

(137)   Vgl. Günther, 79-87.

(138)   Vgl. Günther, 75.

(139)   Vgl. Zezschwitz, 100.

(140)   Vgl. Aichele, 21: "Das Antichristdrama bildet nun zusammen mit Weltgerichtsdramen selbst eschatologische Zyklen, die offenbar gelegentlich an die Stelle von Passionsaufführungen getreten sind und so in der Hauptspielzeit um Ostern und Pfingsten aufgeführt wurden."

(141)   Vgl. Aichele, 16 f.

(142)   Vgl. Kindermann, 62f.

(143)   Vgl. Rauh, 367, und Seiferth, 116.

(144)   Vgl. Rauh, 367, und Seiferth, 116.

(145)   Vgl. Seiferth, 124-127.

(146)   Vgl. Langosch, Spiele, 250.

(147)   Vgl. Günther, 161.

(148)   Vgl. Günther, 85-88.

(149)   Vgl. Kindermann, 62 f.

(150)   Vgl. Langosch, Spiele, 269.

(151)   Vgl. Aichele, 20.

(152)   Vgl. Langosch, Spiele, 250-256.

(153)   Vgl. Langosch, Spiele, 254.

(154)   Vgl. Günther, 9.

(155)   Vgl. Jenschke, 5.

(156)   Vgl. Aichele, 262 f.

(157)   Günther, 79 (Note 22: Friedrich Heer: Die Tragödie, S. 118).

(158)   "Ad austrum" wird in der Literatur fast immer mit "Gegen Süden" übersetzt; Günther verwendet im Gegensatz dazu für "Ad meridiem" - "gegen Mittag"; v. Zezwitsch "im Süden, mehr gegen Westen".

(159)   Vgl. Rauh, 530.

(160)   Vgl. Rauh, 102-121.

(161)   Vgl. Steigleder, 49.

(162)   Vgl. Liebeschütz, 169-173.

(163)   Vgl. Zezschwitz, 95.

(164)   Vgl. Aichele, 111.

(165)   Vgl. Zezschwitz, 96 f.

(166)   Vgl. Rauh, 410-415.

(167)   Vgl. Günther, 176, und Zezschwitz, 28.

(168)   Vgl. Günther, 49 f.

(169)   Vgl. Steigleder, 24-26.

(170)   Vgl. Günther, 183 f.

(171)   Vgl. Steigleder, 69.

(172)   Vgl. Zezschwitz, 111 f. Schon die Abschrift des Ludus stammt aus 1178!!

(173)   Vgl. Günther, 190.

(174)   Günther, 31-33.

(175)   Vgl. Günther, 213.

(176)   Vgl. Günther, 175.

(177)   Vgl. Steigleder, 68.

(178)   Vgl. Günther, 200.

(179)   Vgl. Froning, 203.

(180)   Vgl. Rauh, 537.

(181)   Vgl. Günther, 86.

(182)   Vgl. Steigleder, 35.

(183)   Vgl. Zezschwitz, 120.

(184)   Günther, 208.

(185)   Günther, 169.

(186)   Vgl. Konrad, 135 f.

(187)   Vgl. Wadstein, 145.

(188)   Vgl. Tellenbach, 13.

(189)   Vgl. Tellenbach, 28f.

(190)   Vgl. Tellenbach, 16-18.

(191)   Vgl. Günther, 206-208.

(192)   Vgl. Günther, 37.

(193)   Vgl. Durant, IV. Band, 811, und Tellenbach, 100.

(194)   Günther, 38 f.

(195)   Vgl. Günther, 43.

(196)   Victor IV. starb 1164 und wurde unter Reinalds Einfluß durch einen neuen Gegenpapst, Paschalis III., ersetzt.

(197)   Vgl. Pfister, 112 f.

(198)   Vgl. Pfister, 114.

(199)   Vgl. Wilhelm Bousset. Der Antichrist in der Überlieferung des Judentums, des neuen Testaments und der alten Kirche. Göttingen 1895, 82 f.

(200)   Vgl. Günther, 65 f.

(201)   Vgl. Dasberg, 160 f.

(202)   Vgl. Weiss, Bd. 3, 590.

(203)   Vgl. Günther, 180.

(204)   Vgl. Weiss, Bd.3, 591.

(205)   Vgl. Steigleder, 20-22.

(206)   Vgl. Günther, 193.

(207)   Béda Rigaux. L’Antechrist et l’Opposition au Royaume Messianique dans l’Ancien et le Nouveau Testament. Gembloux/Paris 1932, 290.

(208)   Günther, 234.

(209)   Vgl. Rauh, 410 f.

(210)   Vgl. Aichele, 194.

(211)   Vgl. Zezschwitz, 103.

(212)   Günther, 166 f.

(213)   Vgl. Zezschwitz, 27-30.

(214)   Günther, 231 f.

(215)   Vgl. Günther, 236 f.

(216)   Vgl. Günther, 179.

(217)   Vgl. Seiferth, 50 und 131.

(218)   Blumenkranz, auteurs, 33 f.

(219)   Vgl. Blumenkranz, Kunst, 57 f.

(220)   Vgl. Seiferth, 141.

(221)   Seiferth, 142 f.

(222)   Vgl. Seiferth, 142 f.

(223)   Vgl. Seiferth, 153; Henne am Rhyn, 271 f. " Bei der Beschießung von Straßburg im Jahre 1870 ging das in der dortigen Bibliothek befindliche kostbare Werk leider zu Grunde; doch sind Nachbildungen desselben vorhanden" und Blumenkranz, Kunst, 36.

(224)   Vgl. Günther, 217 f.

(225)   Vgl. Rauh, 406 f.

(226)   Vgl. Zezschwitz, 31.

(227)   Vgl. Günther, 219.

(228)   Vgl. Rauh, 405.

(229)   Vgl. Günther, 220.

(230)   Vgl. Rauh, 407.

(231)   Seiferth, 131 f.

(232)   Vgl. Günther, 225.

(233)   Vgl. Günther, 225.

(234)   Vgl. Günther, 226 f., Note 31 zu Seite 226: Vers 368: Veränderung des Nizänischen Bekenntnisses, daß der heilige Geist vom Vater und dem Sohne filioque ausgehe. Diese Veränderung wurde bei der Kirchenspaltung 1054 von der Ostkirche besonders gerügt.

(235)   Vgl. Seiferth, 130 f.

(236)   Vgl. Aichele, 142.

(237)   Seiferth, 132.

(238)   Vgl. Rauh, 409.

(239)   Vgl. Aichele, 17 f. und 142.

(240)   Vgl. Blumenkranz, auteurs, 39 f.

(241)   Vgl. Blumenkranz, auteurs, 42.

(242)   Seiferth, 57.

(243)   Günther, 88.

(244)   Liebeschütz, 175.

(245)   Vgl. Rauh, 407.

(246)   Günther, 216.

(247)   Vgl. Zezschwitz, 11.

(248)   Vgl. Günther, 222.

(249)   Vgl. Günther, 223 f.

(250)   Vgl. Günther, 229 f.

(251)   Vgl. Rauh, 407 f.

(252)   Vgl. Rauh, 537.

(253)   Vgl. Dubnow, IV. Band, 42f.

(254)   Vgl. Marianne Awerbusch. Christlich-jüdische Begegnung im Zeitalter der Frühscholastik. München 1980, 77-79.

(255)   Vgl. Liebeschütz, 39-41.

(256)   Vgl. Dasberg, 131.

(257)   Stobbe, 3 f.

(258)   Vgl. Dasberg, 28.

(259)   Vgl. Durant, IV. Band, 424.

(260)   Vgl. Alwin Schultz. Das höfische Leben zur Zeit der Minnesinger. 2 Bde. Leipzig 18892, Bd. 1, 658-662.

(261)   Stobbe, 219, Anmerkung.

(262)   Vgl. Dasberg, 116 f.

(263)   Vgl. Dasberg, 16 f.

(264)   Vgl. Dasberg, 119 f.

(265)   Vgl. Dasberg, 139-142.

(266)   Vgl. Erwin Reisner. Die Juden und das deutsche Reich. Erlenbach-Zürich und Stuttgart 1966, 120.

(267)   Vgl. Reisner, 124.

(268)   Reisner, 125.

(269)   Vgl. Dasberg, 124 f.

(270)   Vgl. Dasberg, 176 f.

(271)   Vgl. Dasberg, 183.

(272)   Dasberg, 186, Note 54: "dem [...] Text geht nämlich eine Klage über judaisierende Interpretationen etlicher Christen voran. Über den Jeremia-Vers: Ecce enim dies venient, dicit Dominus, et convertam conversionem populi mei Israel et Juda, ait Dominus Deus; et convertam (sive sedere faciam) in terra quam dedi patribus eorum et possidebunt eam, sagt HRABAN nämlich: Hic locus Jeremiae prophetae repromissiones mysticas continebit, quas Judaei putant et nostri Judaizantes (!) in consummatione mundi esse complendas. Nec dum enim sub Zorobabel possunt expletas convincere: nos autem sequentes auctoritatem apostolorum et evangelistarum, et maxime apostoli Pauli, quidquid populo Israel carnaliter repromittitur, nobis spiritaliter completum esse monstramus, hodieque impleri [...] Dann folgt der im Text zitierte Satz."

(273)   Vgl. Dasberg, 190-193.

(274)   Vgl. Stobbe, 141.

(275)   Vgl. Guido Kisch. Forschungen zur Rechts- und Sozialgeschichte der Juden in Deutschland während des Mittelalters. Zürich 1955, 55-57.

(276)   Vgl. Kisch, 33.

(277)   Kisch, 199 f.

(278)   Vgl. Kisch, 47 f.

(279)   Vgl. Kisch, 54-57.

(280)   Vgl. Kisch, 20 f.

(281)   Vgl. Kisch, 30.

(282)   Stobbe, 197, Anmerkung 2 zu Seite 4: "Von selbst scheint es sich zu verstehen, daß sie von dem Kriegsdienst ausgeschlossen waren; wenigstens ist mir nichts bekannt, woraus zu schließen wäre, daß Juden in dem Heere gedient hätten; es wirkte dabei vielleicht auch die römische Vorschrift mit, welche sie für unfähig zum Kriegsdienst erklärt hatte".

(283)   Vgl. Kisch, 31.

(284)   Vgl.Kisch, 17.

(285)   Vgl. Stobbe, 10, Anmerkung **, und 11.

(286)   Vgl.Kisch, 18.

(287)   Vgl. Kisch, 34.

(288)   Kisch, 42.

(289)   Vgl. Kisch, 43.

(290)   Vgl. Stobbe, 11.

(291)   Vgl. Stobbe, 18.

(292)   Stobbe, 119 f.

(293)   Stobbe, 242, Anmerkung 110 zu Seite 120.

(294)   Vgl. Stobbe, 241, Anmerkung 109 zu Seite 119, und Dasberg, 32.

(295)   Vgl. Kisch, 63-66.

(296)   Vgl. Kisch, 68 f.

(297)   Vgl. Dasberg, 53.

(298)   Vgl. Dasberg, 57.

(299)   Vgl. Kisch, 45 f.

(300)   Vgl. Kisch, 60 f.

(301)   Stobbe, 280, Anmerkung 176 zu Seite 184.

(302)   Vgl. Awerbusch, 177-185.

(303)   Vgl. Liebeschütz, 132 f. Liebeschütz bezieht sich in Note 82 auf: "Abdruck bei Joseph Greven, Die Kölnfahrt Bernhards von Clairvaus, Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 120 (1932) S.44-48, hier S.47."

(304)   Seiferth, 108 f.

(305)   Vgl. Waas, 166.

(306)   Vgl. Durant, IV. Band, 633.

(307)   Vgl. Rauh, 226-230.

(308)   Vgl. Rauh, 252-259.

(309)   Vgl. Rauh, 264 f.

(310)   Vgl. Rauh, 451.

(311)   Vgl. Steigleder, 51-53.

(312)   Vgl. Günther, 27.

(313)   Vgl. Rauh, 358-360.

(314)   Vgl. Hildegard von Bingen. Scivias. Wisse die Wege. Eine Schau von Gott und Mensch in Schöpfung und Zeit. Übersetzt und herausgegeben von Walburga Storch OSB. Augsburg 1997, 565 f.

(315)   Vgl. Hildegard, 90.

(316)   Vgl. Seiferth, 139 f., Note 2: Ausgabe von W. PFEIFFER-BARTSCH, Leipzig 1911, Nr. 87.

(317)   Walther von der Vogelweide. Sprüche.Lieder. Der Leich. Urtext-Prosaübertragung. Hrsg. und übers. von Paul Stapf. Berlin/Darmstadt/Wien 1955/63, 174.

(318)   Wadstein, 27.

(319)   Vgl. Hildegard, 546 f.

(320)   Vgl. Langosch, Spiele, 263.

(321)   Vgl. Langosch, Spiele, 248.

(322)   Vgl. Seiferth, 133-135.

(323)   Vgl. Langosch, Spiele, 249.

(324)   Vgl. Langosch, Spiele, 131.

(325)   Langosch, Spiele, 132-148.

(326)   Rauh, 406.

(327)   Vgl. Aichele, 33.

(328)   Vgl. Kindermann, 63.

(329)   Vgl. Aichele, 147-150.

(330)   Vgl. Aichele, 204.

(331)   Vgl. Konrad, 123 f.

(332)   Vgl. Zezschwitz, 156, Note 63 zu Seite 37.

(333)   Vgl. Zeidler-Nagl, 159.

(334)   Vgl. August Wundrack. Der Linzer Entecrist. Diss. Marburg 1886, 5, 17, 29.

(335)   Vgl. Entecrist, 29.

(336)   Vgl. Entecrist, 36.

(337)   Vgl. Konrad, 122 f.

(338)   Vgl. Entecrist, 40.

(339)   Vgl. Konrad, 137 f.

(340)   Vgl. Karl Simrock. Die deutschen Volksbücher. 13 Bde. in 7 Bde. Hildesheim/New York 1974, Bd.VII, 376.

(341)   Simrock, Volksbücher, VII, 436 f.

(342)   Vgl. Beatus Pedicoller. Hitler in metaphysischer Schau. Zeitgemäße Schrift zur Deutung der Gegenwart und nächsten Zukunft. Wien s.a. (1956), 19.

(343)   Vgl. Pedicoller, 20.

(344)   Pedicoller, 25. Er zitiert hier "aus der kirchlich gutgeheissenen Schrift" von Prof. Spirago „Genaues über den Antichrist“ , Lingen (Ems) 1931.

(345)   Vgl. Pedicoller, 29.

(346)   Vgl. Pedicoller, 35.

(347)   Vgl. Reisner, 15.

(348)   Vgl. Reisner, 54.

(349)   Reisner, 55.

(350)   Vgl. Reisner, 70.

(351)   Reisner, 237 f.

(352)   Vgl. Zezschwitz, 30.

(353)   P. Nazareno Fabretti (Padre Francesco) in: Bella. Anno XLVII, N.1. Milano 5.1.1991, 70.


17  Literaturverzeichnis

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For quotation purposes - Zitierempfehlung:
Elisabeth Campagner: Das mittelalterliche Endzeitdrama in seiner Beziehung zu den Juden
In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 4/2002.
WWW: http://www.inst.at/trans/4Nr/campagner4.htm.

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