Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 5. Nr. Juli 1998

Globalisierung und kulturelle Identität

António Sousa Ribeiro (Coimbra)

In seinen im Jahre 1948 veröffentlichten Notes towards a Definition of Culture kommt T.S. Eliot auf den Begriff einer Weltkultur zu sprechen und bringt sich dabei in ein unauflösbares Dilemma: einerseits hält Eliot den Begriff für unverzichtbar; andererseits weiß er, daß eine Weltkultur in seinem Sinne unmöglich verwirklicht werden kann. Ich zitiere:

A world culture which was simply a uniform culture would be no culture at all. We should have a humanity de-humanised. It would be a nightmare. But on the other hand, we cannot resign the idea of world-culture altogether. […] We are therefore pressed to maintain the idea of a world-culture, while admitting that it is something we cannot imagine. We can only conceive it as the logical term of relations between cultures. […] we must aspire to a common world culture, which will yet not diminish the particularity of the constituent parts. […] We are the more likely to be able to stay loyal to the ideal of the unimaginable world culture, if we recognise all the difficulties, the practical impossibility, of its realisation. (Eliot, 1948: 62-63)

Eliots Problem ist ganz offensichtlich, daß er einem universalistischen Begriff von Kultur nachhängt, zugleich aber (man muß sagen: hellsichtig) sich sehr bewußt ist, daß dieses Abstraktum substanzlos ist und auch nicht als eine regulative Idee faßbar erscheint, sondern nur in der Form einer Beziehung denkbar ist ("the logical term of relations between cultures"). In der Tat hatte er einige Seiten vorher die Bedeutung des Lokalen und des Partikularen für die Definition einer Nationalkultur ausdrücklich hervorgehoben. Wenn ich noch einmal zitieren darf:

To many it has never occurred to reflect that the disappearance of the peripheral cultures of England (to say nothing of the most humble local peculiarities within England itself) might be a calamity. We have not given enough attention to the ecology of cultures. It is probable, I think, that complete uniformity of culture throughout these islands would bring about a lower degree of culture altogether. […] For a national culture, if it is to flourish, should be a constellation of cultures, the constituents of which, benefiting each other, benefit the whole. (ibid.: 58)

Wie Homi Bhabha bemerkt (Bhabha, 1996: 54), ist es sehr bezeichnend, daß Eliot dann mit einigen Bemerkungen über Kolonialismus und Migrationen fortfährt. Trotz seinem grundsätzlich konservativen Ansatz ist ihm die konstitutive Bedeutung von Reibung und Konflikt für die sozialen Prozesse sehr wohl bewußt (er schreibt z.B. über "the vital importance for a society of friction between its parts" und thematisiert das notwendige Vorhandensein von "various and sometimes conflicting loyalties"). Somit stehen Eliots Auffassungen in auffallendem Widerspruch zu den beiden wichtigsten narrativen Entwürfen der Moderne – die vorherrschenden Versionen des Liberalismus und des Marxismus –, die beide das Telos der Geschichte in einer letztendlich universellen Weltkultur verkörpert sehen.

Obwohl er seine Unmöglichkeit klar erkennt, möchte Eliot trotz allem auf einen einheitlichen Begriff von Kultur nicht verzichten. In der Tat wird seine Akzentuierung der Bedeutung des Partikularen, seine Diagnose einer "ökologischen" Vielfalt der Kulturen, von dem Leitgedanken einer letztlichen Einheit getragen – deren Verwirklichung wiederum ihm nur im nationalen Rahmen möglich erscheint. Nur als Nationalkultur kann die "Konstellation der Kulturen" als ein Ganzes gedacht werden; der Nationalstaat bildet also den notwendigen Hintergrund, vor dem die "peripheren Kulturen" erst ihre volle Bedeutung bekommen. Wenn man sich fragt, woraus denn so eine Nationalkultur bestehen soll, dann kann man an Eliots Beispiel die Richtigkeit des Gedankens von Stuart Hall meines Erachtens sehr schön bestätigt sehen, wonach eine Nationalkultur nicht als einen Inhalt, sondern als das Ergebnis einer diskursiven Strategie aufzufassen ist, die es erlaubt, trotz der erkannten inneren Widersprüchlichkeit an einem Begriff von Identität festzuhalten (Hall, 1992: 297).

Eliots Reflexionen bieten eine sehr plastische Illustration von einer Spannung im traditionellen Kulturbegriff, die ich als Ausgangspunkt einiger durchaus unsystematischer Überlegungen über "Globalisierung und kulturelle Identität" nehmen möchte. Gerade die Kulturwissenschaften haben den Kulturbegriff pluralisiert oder sogar pulverisiert. Andererseits aber wollen sie – wenn sie es wollen – keinem einfachen Kulturrelativismus huldigen und an einem Begriff von Kultur als universalmenschliche Eigenschaft festhalten, den sie von den vorherrschenden Nivellierungstendenzen bedroht sehen. Der Gedanke, daß der Begriff einer Weltkultur kein Begriff von Kultur mehr wäre (in Eliots emphatischem Sinne) scheint in der Tat im Zeitalter der Globalisierung sich vollauf zu bestätigen. Denn, wenn wir um uns herumblicken, scheint eine Weltkultur wirklich zustandegekommen zu sein. Aber seine Repräsentanten sind eben nicht die von Eliot anvisierten Dichter und Intellektuellen – statt dessen begegnen wir der vom Soziologen George Ritzer auf den Begriff der "Macdonaldization of Society" gebrachten Homogenisierung durch transnationale wirtschaftliche Verflechtung und weltweit verankerte Konsumrituale (Ritzer, 1995).

Gegen diese tatsächliche oder vermeintliche Homogenisierung wird der Begriff der kulturellen Identität gern ins Feld geführt. Ich bringe ein handfestes Beispiel aus der Tourismusbranche, das ich dem Gastkommentar eines "international tätigen Tourismus-Experten" in der Presse (7.3.98) entnommen habe. Nachdem man darüber belehrt wird, daß "die wachsende allseitige Mobilität der neuen Gäste-Generation größte Aufmerksamkeit fordert", kann man noch folgendes lesen:

Städte und Dörfer der Tourismusregionen kopieren im Wettbewerb bereits trickreich alle möglichen Freizeitattraktionen, obwohl sie damit austauschbar werden. Ihre ursprüngliche Identität und Attraktion gerät in Gefahr, mit aktionistischen internationalen Trends und der Übernahme von Disney-Analogien verloren zu gehen. Denn eine sichtbar breite Internationalisierung des touristischen Angebots bedeutet leider auch Einebnung der Unterschiede und gefährdet klassische Tourismusorte.

Die Chance qualitativ hochwertiger Internationalisierung der Gäste-Nachfrage sollte man durch strikte Beibehaltung der Einzigartigkeit der Attraktionen nützen. Insbesondere im Städte-Tourismus ist ein Abbau der ursprünglichen historischen Substanzen und atmosphärischen Flairs und der Aufbau von international-modernistischen Surrogaten gefährlich. (Huber, 1998)

Der Gebrauch des magischen Wortes "Identität" ("ursprüngliche Identität") läßt aufhorchen; zugleich fällt es natürlich auch auf, daß eine solche Stellungnahme eine explizite Polemik gegen die Moderne und ein Plädoyer für Tradition als scheinbar sicherer Ort von Differenz und Einzigartigkeit beinhaltet. Daß ein solches Plädoyer auf eine starre und fetischisierte Auffassung von Kultur nicht verzichten kann, liegt auf der Hand. Auf eine knappe Formel gebracht, könnte der gesamte Inhalt des soeben zitierten Presse-Gastkommentars auf die schlagkräftige Aussage eines bekannten Werbeslogans der Austrian Airlines zurückgeführt werden: "Alltag raus, Österreich rein – Willkommen im Kulturteil".

Ein solcher Gebrauch der Begriffe von Kultur und Identität zur Hebung des Fremdenverkehrs wird auf den ersten Blick sicherlich harmlos genug erscheinen. Er führt aber zugleich sehr anschaulich vor, in welchem Maße diese Begriffe heute einen strategischen Stellenwert erhalten haben. Daß die Instrumentalisierung eines festgefahrenen Begriffs von kultureller Identität in der Praxis viel weniger harmlose Folgen haben kann, wissen wir leider nur zu gut: nicht umsonst wird heutzutage der anfangs durchweg positiv konnotierte Multikulturalismus-Begriff zunehmend problematisiert und sogar negativ besetzt, wenn er einer starren gegenseitigen Abkapselung der Kulturen und einer Ethnisierung des Kulturbegriffs Vorschub leisten soll. Was die theoretischen Folgen eines solchen Gebrauchs – oder Mißbrauchs – des Identitätsbegriffs sein können, wird von dem von Samuel Huntington in die Diskussion gebrachten, meines Erachtens höchst problematischen Schema des "Clash of Civilisations" vielleicht am eindrucksvollsten belegt. Die "Politisierung des kulturellen Unterschieds" als bloßer "Identitäts-Wahn", um an den Titel des im vorigen Jahr erschienenen Buch von Thomas Meyer zu erinnern (Meyer, 1997), das scheint mir die Tragweite von Huntingtons Thesen treffend zu charakterisieren.

Man sieht, daß sowohl "Globalisierung" als auch "Identität" keine neutralen Begriffe sind, sondern hart umkämpfte Konstrukte, die nicht nur sich gegenseitig bedingen, sondern auch verschiedene Standpunkte definieren und eine Vielzahl von divergierenden Phänomenen benennen können. Wenn man über "Globalisierung und kulturelle Identität" ein paar halbwegs tragfähige Gedanken zusammenbringen will, erscheint es also ratsam, zunächst einmal eine begriffliche Klärung zu versuchen.

"Kultur" ist heutzutage inflationär in Umlauf (man fühlt sich fast dazu verpflichtet, an das Wort von Adorno und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung nachdrücklich zu erinnern, wonach – in forcierter Absetzung von einem verdinglichten Gebrauch des Begriffs – "von Kultur zu reden immer schon gegen die Kultur war"). Diese Inflation des Begriffs ist Symptom einer tiefgreifenden Krise – Krise der Gesellschaft, Krise der Wissenschaften, nicht zuletzt auch Krise der Universitäten und der zentralen Instanzen von Sinn-Produktion. Die unumschränkte Verfügbarkeit des Begriffs führt zu seiner weitgehenden Entleerung; zugleich wird Kultur als Konsumobjekt fetischisiert und ihrer konstitutiven Selbstreflexivität enthoben und kann somit jedem instrumentellen Zweck dienstbar gemacht werden.

Daß Kultur weder zum Konsumobjekt reduziert werden kann noch den Status eines Spezialgebiets (sei es als "Überbau", sei es als irgendein anderes besonderes Reservat) hat, sondern auf allen Ebenen der sozialen Praxis angesiedelt ist, ist eine zentrale Erkenntnis der neueren Kulturwissenschaften. Davon ausgehend können wir die Dekonstruktion des Begriffs von "Kultur" (wie übrigens auch von "Gesellschaft") als eine der Aufgaben der Kulturwissenschaften leicht erkennen. Eine solche Dekonstruktion muß heutzutage notwendig über eine entsprechende Reflexion über den Begriff der Globalisierung führen.

Beim Globalisierungsprozeß handelt es sich zweifellos um ein sehr komplexes Phänomen, dessen Definition umstritten ist und die nur eine transdisziplinäre Sozialtheorie – zusammen mit breitangelegten empirischen Studien –adäquat erfassen können wird. Ich muß mich dementsprechend mit einem sehr allgemeinen Umriß begnügen. Ich würde einfach daran erinnern, daß Globalisierung im Grunde nichts Neues ist: wir meinen damit einen Prozeß, der im sechzehnten Jahrhundert durch das Entstehen eines Welthandels eingeleitet wurde und in der jetzigen vollkommenen Verflechtung der Weltwirtschaft einen Höhepunkt findet. Heute gibt es etwa 37,000 multinationale Konzerne, die verantwortlich sind für vier Fünftel des Welthandels. Etliche dieser Konzerne sind reicher – und mächtiger – als viele nationale Staaten. Sie sind nicht nationalstaatlich gebunden, sie haben keinen fixen Standort und verfügen über die Mittel, sich über viele nationale Gesetzgebungen hinwegzusetzen. Sie sind im wörtlichen Sinne transnational.

Damit ist die Bedeutung des Begriffs von Globalisierung aber bei weitem noch nicht erschöpft. Wir meinen damit auch – vielleicht sogar in erster Linie – die Verwandlung der Welt in das von Marshall McLuhan theoretisierte "globale Dorf" – wenn wir auch jetzt in der Lage sind, zu wissen, daß die von McLuhan mitimplizierte Gemeinschaftsutopie nicht in Sicht ist. Wie Arjun Appadurai schreibt, ist die moderne Welt endgültig und in einem nie vorher gekannten Ausmaß zu einem interaktiven System geworden (Appadurai, 1996: 27). Die wesentliche kulturelle Komponente dieses Prozesses ist mehr als offensichtlich. Die neuen Computer- und Kommunikationstechnologien sind im Begriff, eine neue globale Kultur hervorzubringen, mit den Merkmalen der total integrierten Massenkommunikation und der extremen Komprimierung von Zeit und Raum. Dadurch ist im letzten Jahrzehnt das Phänomen der Globalisierung für alle sichtbar geworden und hat sich in der Alltagserfahrung verankert.

Wenn man den gerade anhand der Entwicklung der Informationstechnologien oft euphorisch konnotierten Begriff der Globalisierung kritisch befragt, muß man aber erkennen, daß der Eindruck der Homogenität trügt. In zum Teil expliziter Abwendung vom Kulturindustrie-Begriff der Frankfurter-Schule als eindimensionale und totale Strategie, hat die Theorie der Massenkultur schon lange erkannt, daß diese nicht undifferenziert vorgeht, sondern sehr wohl versucht, ihre Adressaten individuell anzusprechen und die Verschiedenartigkeit der Nachfrage in Betracht zu ziehen. Auch die Massenkultur hat ein handfestes Interesse an der kulturellen Kontextualisierung ihrer Erzeugnisse; das anzubietende Produkt muß dafür Sorge tragen, daß ihre Rezipienten Bezugspunkte für eine Rekontextualisierung und Reinterpretierung anhand der jeweiligen Erfahrungs- und Erinnerungswelten finden. In dem globalen Markt haben solche Produkte am ehesten eine Chance, die imstande sind, die lokalen Bedürfnisse zu berücksichtigen. Gerade die neuen Technologien, die die virtuell unbegrenzte Manipulierbarkeit von Information erlauben, ermöglichen diese Abstimmung auf eine individuelle Nachfrage und die Berücksichtigung von individuellen Bedürfnissen. Aber darüber hinaus, indem die neuen Medien auch die Möglichkeit einer aktiven Mitgestaltung anbieten, werden sie auch zunehmend zu einem Gebiet, wo die Verschränkung vom Globalen und Lokalen in den verschiedensten Formen stattfinden kann.

Wie Appadurai vorschlägt, ist also Globalisierung als Codewort für einen Prozeß zu betrachten, der nicht uniform, sondern innerlich komplex und widersprüchlich ist:

The new global cultural economy has to be seen as a complex, overlapping, disjunctive order. (Appadurai, 1996: 32)

Heterogenität und Fragmentierung (Axtmann, 1995: 88) sind somit ein notwendigen Teil von Globalisierungsprozessen. Wenn wir die Konsequenzen aus diesen Überlegungen ziehen, würden wir vielleicht sogar zu der Erkenntnis gelangen, daß der Begriff am adäquatesten in der Pluralform zu gebrauchen wäre. Er deckt in der Tat eine Anzahl von Prozessen, die einzeln benannt werden müßten. Das Codewort Globalisierung verdeckt z.B. den Umstand, daß die allumfassende Logik des kapitalistischen Wachstums ausgeprägte Formen der sozialen Ausgrenzung notwendig impliziert, die in der Vertiefung des Nord-Süd-Gefälles einen sichtbaren Ausdruck finden. Eine kritische Betrachtung muß dementsprechend die destruktive Seite der Globalisierung auch thematisieren, die Globalisierungsverlierer benennen. Andererseits ist Globalisierung auch keine Einbahnstrasse: parallel zum anscheinend absoluten Einfluß der multinationalen Konzerne oder der nordamerikanischen Weltmacht, finden wir auch Instanzen einer gegen-hegemonischen Globalisierung – z.B. in der Form der "non-governmental organizations" (NGO), in dem Begriff einer "common heritage of mankind" oder eines "world citizenship". In diesem Prozeß einer antihegemonialen Globalisierung ist eine andere globale Kultur im Entstehen, die eine globale Ethik zur Voraussetzung hat. Es ist diese globale Ethik z.B., die eine multikulturelle Auffassung der Menschenrechte fundieren kann, die diese nicht als abstrakte Idee nimmt, sondern sehr wohl kulturell verankert, ohne damit einem einfachen Wertrelativismus zu huldigen.(1) So gesehen ist Homogenisierung die Fiktion, durch die die hegemoniale Globalisierung jene Unterschiede und Ungleichheiten unsichtbar macht, die von einer antihegemonialen Globalisierung aufgedeckt werden.

Eine der unmittelbarsten Folgen von Globalisierung ist die, daß die Souveränität des Nationalstaats – die herrschende, "selbstverständliche" politische Form der Moderne – zunehmend in Frage gestellt wird bzw. neudefiniert werden muß (dies ist inzwischen auch für den durchschnittlichen Bürger in Europa – auch und gerade in Österreich – z.B. in den Auseinandersetungen um die EU zunehmend präsent). Damit komme ich wieder auf die Frage der kulturellen Identität zu sprechen. Man versteht in diesem Zusammenhang, daß in dem erbittert umkämpften Prozeß der Aushöhlung von nationaler Souveränität gerade einem instrumentellen Begriff von Kultur eine wichtige – oder sogar eine entscheidende – Rolle zukommt. Kultur als Fundierung von nationaler Identität soll eine wesentliche Rolle bei der Positionierung des jeweiligen Nationalstaates in einem Weltsystem, in dem transnationale Strukturen ein zunehmendes Gewicht behaupten, spielen. In den Worten von Wolfgang Kaschuba:

Angesichts der schwieriger werdenden Regulationsaufgaben und des wachsenden Vertrauensschwundes in die Politik werden statt konsensfähiger politischer Werte zunehmend fragwürdige "Kulturwerte" in den Vordergrund geschoben. Wo "Gesellschaft" Fragen aufwirft, Problemlösungen verlangt, scheinen "Nation und Kultur" wieder wirksame Parolen, um Stimmungen zu erzeugen und Stimmen zu sammeln. (Kaschuba, 1995: 95)

Die Neudefinierung und Aufwertung von kultureller Identität ist mit dem Prozeß der Globalisierung untrennbar verbunden. In der Tat, damit bestimmte kulturelle Merkmale als Indices von Identität genommen werden können, müssen sie vor einem globalen Hintergrund gesehen werden. Je globaler bestimmte Phänomene sich ausgeben, umso lokaler werden wiederum andere erscheinen. Daß das Globale nichts mehr als ein globalisierter Lokalismus ist, wird dabei verdrängt und kommt nicht ins Bewußtsein:

Hegemonic globalizations are, in fact, globalized localisms – the new cultural imperialisms. Hegemonic globalization can be defined as the process by which a given local phenomenon – be it the English language, Hollywood or fast food – succeeds in extending its reach over the globe and, by doing so, develops the capacity to designate a rival social phenomenon as local. (Santos, 1998: 102)

Ich gebe ein hoffentlich nicht skurriles Beispiel: kann man die Tatsache, daß laut EU-Vertrag die Worte Marille oder Paradeiser weiterhin im Handel verwendet werden dürfen als einen Beitrag zur österreichischen Identität auffassen? Sicher kann es nur so sein, wenn man die entsprechenden deutschen Bezeichnungen als sozusagen universelle Norm verabsolutiert. Eine solche Argumentation kommt dem Staate zugute, der ein Interesse daran hat, bestimmte Ängste abzubauen und seinen eigenen Gewichtverlust zu kompensieren. Wie ich gelesen habe, ist die Beibehaltung der österreichischen Bezeichnungen dann auch von maßgeblichen politischen Stellen als ein wichtiger Sieg gefeiert worden. Der nationale Rahmen wird dabei zur Sinnquelle, die einen Begriff von Identität überdeterminiert.

Daß bestimmte sprachliche oder kulturelle Eigenschaften nun plötzlich einen besonderen Stellenwert als Paradigmen der Authentizität erhalten sollen, das kann man nur als ein Ergebnis des Globalisierungsdrucks verstehen. Die bis heute stark wirkende Praxis einer Definition der österreichischen Identität durch ein Defizit-Kalkül wird damit unbewußt akzeptiert und verstärkt. Erst durch dieses Kalkül wird Differenz als eine lokale Besonderheit kodifiziert. Entscheidend bleibt dabei, wo die Definitionsmacht liegt und dementsprechend welche Maßstäbe angewendet werden.

Die Tendenz zur Ethnisierung von kultureller Identität ist, wie man weiß, heutzutage eine der Hauptantworten auf den Druck der Globalisierung und wird durch diesen Druck erzeugt. Dies ist auch und gerade dort zu beobachten, wo es sich darum handelt, eine nationale Identität in einem transnationalen Kontext zu behaupten, wie dies bei Ländern, die traditionnel Exporteure von Arbeitskräften sind, zu beobachten ist. So zeigt z. B. Nina Glick Schiller in einem kürzlich erschienenen Aufsatz, wie in Haiti eine ausgesprochene Rhetorik der Blutzugehörigkeit sich verbreitet, die, im Interesse des haitianischen Staates, die haitianische Diaspora unter einem festen Begriff von Nation zusammenschließen soll (Schiller, 1997). In einem entterritorialisierten Zusammenhang müssen wieder "blood lines" als Garant von Identität herhalten.

Damit komme ich zu der Frage, die in meinem Titel anklingt, der Frage des Verhältnisses zwischen den Kulturen als eines Machtverhältnisses. Wenn man sich diese Frage richtig stellen will, dann muß man meines Erachtens mit dem Begriff der "positionality" operieren, wie es im poststrukturalistischen Jargon so schön heißt, d.h. mit der Erkenntnis, daß der Sinn eines Diskurses notwendig mit dem Ort seiner Produktion zusammenhängt. Ich bin schon der Meinung, daß das Schema Zentrum-Peripherie auch auf kulturellem Gebiet weiterhin bedeutungsvoll ist – es sind gerade die Länder, die im Weltsystem eine zentrale Position besetzen, diejenigen, die in der Lage sind, ihre eigenen Lokalismen als "selbstverständliche" universelle oder globale Werte auszugeben. Wenn man vom "Dialog der Kulturen" spricht, muß man sich dessen schon bewußt sein, daß dieser Dialog grundsätzlich unter ungleichen Bedingungen stattfindet. Was natürlich andererseits nicht heißt, zu verkennen, in welchem Maße durch die komprimierten Verhältnisse von Zeit und Raum im digitalen Zeitalter die Möglichkeiten dieses Dialogs exponentiell gewachsen sind. Obwohl dies tendenziell zu einer Dezentrierung des Zentrums und einer Annähherung der Peripherie führen kann, zu einer zunehmenden Interaktion, die die einfachen Hegemoniemodelle in Frage stellt, bleiben - unter welcher Form auch immer - die ungleichen Bedingungen jedoch bestehen.

Eine mögliche – und ich glaube notwendige – Kritik an dem wichtigen Unesco-Dokument Our Creative Diversity wäre gerade, daß die Geopolitik der Macht darin nicht genügend reflektiert wird und daß dementsprechend eine ökumenische Auffassung zu ausgeprägt hervortritt, die dann die Komplexität der Lage notwendigerweise vereinfacht. Übrigens ist auch die Definition von Kultur als "the total and distinctive way of life of a people or society", die am Anfang des ersten Kapitels an exponierter Stelle hervorgehoben wird (Unesco, 1995: 21) zu undifferenziert. Obwohl die nachfolgende Analyse dann behutsamer vorgeht, charakterisiert eine solche Definition Kultur sehr wohl nach außen hin, sie ist jedoch dazu unfähig, die innere Widersprüchlichkeit des Begriffs adäquat zu thematisieren (abgesehen davon, daß meines Erachtens der Ausdruck "way of life" z.B. die wissenschaftliche Kultur nicht einschließt). Auch erscheint das auf Seite 29 des Unesco-Berichts angeführte Zitat von Claude Lévi-Strauss seltsam unpassend, wonach "world-civilization" als "a world-wide coalition of cultures, each of which would preserve its own originality". Ein solcher Begriff von "Originalität" als einem irgendwie unberührt bleibenden "authentischen" Kern einer Kultur scheint mir im Zeitalter einer zunehmenden kulturellen Hybridisierung (Bhabha, 1994) schlicht unannehmbar – Originalität kann schließlich nichts anderes bedeuten als die spezifische Art und Weise eines Interaktionsprozesses, bei welchem die beteiligten Partner notwendig verändert werden. Gerade die Einbeziehung in die Reflexion der Abhängigkeitsverhältnisse, die von der jeweiligen Position in der Dialektik Zentrum-Peripherie strukturiert sind, verbietet den einfachen Gedanken einer "Welt-Koalition" und präzisiert die konkreten, ungleichen Bedingungen unter denen jene Interaktion stattfindet.

Inwieweit diese Ungleichheit sich in einer verzerrten Konstruktion des Anderen widerspiegelt, ist von der Kritik am eurozentrischen Universalismus, wie sie beispielsweise von Edward Saids inzwischen klassisch gewordenen Untersuchungen über Orientalismus (1995) repräsentiert wird, hinreichend dokumentiert worden. Wie schwer es aber immer noch ist, das Andere dialogisch, d.h. in seiner spezifischen Komplexität aufzufassen, und nicht als Projektion der eigenen Wunschvorstellungen, möchte ich, bevor ich einige abschließenden Bemerkungen beisteuere, anhand von zwei Beispielen erläutern. Diese Beispiele beweisen sehr anschaulich, daß in solchen Angelegenheiten, der einfache und ehrliche gute Wille bei weitem nicht ausreicht.

In einem vor knapp über zehn Jahren in der Zeitschrift Social Text veröffentlichten Aufsatz argumentiert Fredric Jameson, daß, während in den zentralen Ländern die Funktion der Intellektuellen im postmodernen Zusammenhang völlig ausgehöhlt erscheint, die Literatur in der Dritten Welt noch dazu fähig wäre, "nationale Allegorien" hervorzubringen. Hier könnte der Schriftsteller noch die Rolle eines "organischen Intellektuellen" spielen, d.h. eine Funktion als Vermittler einer Gemeinschaftsidee und als Schöpfer von nationalen Identifikationsvorlagen ungeachtet des Fragmentierungspotentials der Postmoderne wahrnehmen (Jameson, 1986).

Diese theoretische Konstruktion wurde im übernächsten Heft derselben Zeitschrift vom dem aus Pakistan stammenden Literaturwissenschaftler Aijaz Ahmad (1987) scharf kritisiert – eigentlich ein schönes Fallbeispiel für den Ausdruck "the Empire writes back", der Titel eines wenig später von Bill Ashcroft u.a. herausgegebenen Buches. In den Augen seines Kritikers bedeutet Jameson’s "Rhetorik der Andersartigkeit" eine völlig unzulässige Vereinfachung des Tatbestandes; die Unterstellung, daß das Postmoderne-Paradigma ein kulturelles Phänomen der entwickelten kapitalistischen Gesellschaften darstellen würde, basiert auf einer starren und einfach antithetischen Auffassung des Verhältnis Zentrum-Peripherie, die, wie Ahmads Ausführungen hinreichend demonstrieren, sehr wirklichkeitsfern ist.

Ein zweites Beispiel entnehme ich aus dem 1992 veröffentlichten Essay von Wolf Lepenies mit dem Titel "Aufstieg und Fall der Intellektuellen in Europa" (1992). In diesem Essay drückt Lepenies seinen, seither freilich revidierten, Optimismus über das "triumphale Come-Back der Intellektuellen auf die politische Bühne" in den osteuropäischen Ländern aus. Viel verwickelter, schreibt er weiter, sei die Lage in Deutschland nach der Einigung und auch in Westeuropa im allgemeinen, mit der Ausnahme von solchen Ländern "die erst vor kurzem aus Diktaturen hervorgegangen sind (Portugal, Spanien, Griechenland)".

Nun, nachdem ich letztes Jahr eine großangelegte Untersuchung über das portugiesische intellektuelle Kräftefeld von 1958 bis 1995 abgeschlossen habe, kann ich Lepenies in diesem Punkt nur widersprechen. Was ich konstatieren konnte, ist genau wie im deutschen Fall eine Legitimationskrise des Intellektuellen, die sich besonders in der komplexen Haltung der Schriftsteller zum politischen Veränderungsprozeß ausdrückt. Der Begriff der sozialen Verantwortung ist dabei sehr ausgeprägt; zugleich jedoch werden die Eigensinnigkeit von Literatur und der Umstand, daß der Schriftsteller sich als solcher vorerst legitimieren muß, sehr stark betont. Es findet in diesem Zeitraum eine komplexe Neudefinition der Selbstauffassung des Schriftsteller statt, die sich nicht mehr mit der traditionellen Figur des Intellektuellen als ohne weiteres kompatibel erweist. Was man vorfindet, ist eine beträchtlich ausdifferenzierte Öffentlichkeit, die keinen Raum für einfache Antworten mehr läßt. Die Unterscheidung zwischen "einfachen" und "komplexen" Gesellschaften, die, sei es bewußt oder unbewußt, sowohl bei Jameson als auch bei Lepenies mitspielt, erweist sich als völlig unbrauchbar.

Wie vorsichtig kontextnah man vorgehen muß, wird, glaube ich, von Beispielen wie diesen klar herausgestellt. Sie zeigen, daß auch beim bestem Willen Vereinfachungen und Entstellungen oft unumgänglich sind, die dann der Korrektur durch einen anderen Blick bedürfen. Somit scheint gerade heute sowohl im intrakulturellen als auch im interkulturellen Zusammenhang mehr denn je "tradition" ohne "translation" undenkbar, um in den Worten von Stuart Hall zu sprechen (Hall, 1992: 310).

Mit dem Begriff der Übersetzung will ich denn auch abschließen. Eine positive Folge der Globalisierung ist zweifellos, daß sie uns dazu zwingt, das Verhältnis zwischen dem Lokalen und dem Globalen neu zu überdenken. Der u.a. von Homi Bhabha folgenreich theoretisierte Begriff der kulturellen Hybridation erfordert gerade eine besondere Aufmerksamkeit auf die Schnittstellen, die Interaktionspunkte, die Grenzen. Unter diesem Gesichspunkt muß man erkennen, daß die Metapher der Wurzel auf keinen Fall eine Kultur ausreichend definiert – entscheidend wird der Gedanke, daß die Wurzeln selber Objekte einer Konstruktion sind, d.h. das Ergebnis der jeweils im intrakulturellen wie auch im interkulturellen Wechselverhältnis getroffenen Entscheidungen. Dabei verliert der nationale Rahmen notwendig an Gewicht: kulturelle Identität wird als eine spannungsvolle Konstruktion erkannt, die durch Ambivalenzmomente entscheidend strukturiert ist. Es zeichnet sich hier ein neuer, dynamischer Begriff von Kosmopolitismus ab, als eine Haltung, die weder der Logik einer blinden Globalisierung sich widerspruchlos anpaßt noch sich mit einem einfachen Partikularismus zufriedengibt, als die Fähigkeit nicht nur über die Grenzen hinweg, sondern auch an der Grenze zu denken.

Ein solcher Begriff des Kosmopolitismus hängt mit dem Begriff der Übersetzung notwendig zusammen. Übersetzung erkennt die Verschiedenheit und konstitutive Andersartigkeit, bleibt aber nicht bei dieser Erkenntnis, sondern sucht Wege einer Vermittlung. Diese, wie ich zu zeigen versuchte, geschieht nicht in einem leeren Raum und findet nicht als gleichberechtigter Dialog statt, sondern ist notwendig durch die jeweiligen Positionen vorstrukturiert. Dies bedeutet, daß wir einen kritischen Abstand sowohl von einem undifferenzierten Globalisierungsbegriff als auch von einem starren und widerspruchslosen Begriff von Identität nehmen müssen.

Vor zwei Jahrhunderten konnte Herder schreiben, daß jede Nation den Kern der Seligkeit in sich selber trage. Herders Reaktion gegen die seinerzeitige Übermacht der französischen Sprache und Kultur drückt sich nicht im Namen eines Universalismus aus, sondern versteht sich als Verteidigung der Rechte einer lokalen, in sich selbst ruhenden Identität, die in der Idee der Nation den Kristallisationspunkt findet. Damit wird einer subjektiven Auffassung von Nation entschieden das Wort geredet, auch in dem Sinne, daß das individuelle Glück mit dem Ideal der nationalen Gemeinschaft bruchlos zusammenfällt.

Im Gegensatz zu Herder schlage ich vor, jede Kultur als prinzipiell unabgeschlossen zu betrachten. Das Bewußtsein von dieser Unabgeschlossenheit ist die notwendige Voraussetzung für eine Weltkultur, die – und damit denke ich einfach zu Ende, wovor Eliot noch zurückschreckte – wirklich keinen Inhalt hat oder haben kann, sondern aus nichts anderem als aus der dialogischen Bereitschaft besteht, die Bereitschaft, die Grenzen nicht als Abgrenzungen, sondern als Orte des Übergangs, der Über-Setzung, zu betrachten. Das damit der Begriff der Identität zugleich bestätigt und in Frage gestellt wird, liegt auf der Hand.

© António Sousa Ribeiro (Coimbra)

home.gif (2030 Byte)buinst.gif (1751 Byte)        Inhalt: Nr. 5


Anmerkung:

(1) Ein starrer Begriff von kultureller Identität, wie Jacques Derrida in einem Zeitungsinterview jüngst erinnerte, unterminiert gerade die Möglichkeit einer solchen globalen Ethik.


Zitierte Literatur:

Ahmad, Aijaz (1987), "Jameson’s Rhetoric of Otherness and the ‚National Allegory‘", Social Text 17, 3-25.

Appadurai, Arjun (1996), Modernity at Large. Cultural Dimensions of Globalization, Minneapolis/London, University of Minnesota Press.

Axtmann, Roland (1995), "Kulturelle Globalisierung, kollektive Identität und demokratischer Nationalstaat", Leviathan 23(1), 87-101.

Bhabha, Homi K. (1994), The Location of Culture, London/New York, Sage.

Bhabha, Homi K. (1996), "Culture’s In-Between", in Stuart Hall / Paul du Gay (Hrsg.), Cultural Identity, London, Sage, 53-60.

Eliot, T.S. (1948), Notes towards a Definition of Culture, London, Faber & Faber.

Hall, Stuart (1992), "The Question of Cultural Identity", in St. Hall et al. (Hrsg.), Modernity and its Futures, London, Polity Press, 273-325.

Huber, Kurt (1998), "Nicht nur Berge, auch Städte rufen wieder", Die Presse, 7.3.98.

Jameson, Fredric (1986), "Third World Literature in the Era of Multinational Capitalism", Social Text 15, 65-88.

Kaschuba, Wolfgang (1995), "Kulturalismus: Kultur statt Gesellschaft?", Geschichte und Gesellschaft 21(1), 80-95.

Lepenies, Wolf (1992), Aufstieg und Fall der Intellektuellen in Europa, Frankfurt am Main, Campus.

Meyer, Thomas (1997), Identitäts-Wahn. Die Politisierung des kulturellen Unterschieds, Berlin, Aufbau.

Ritzer, George (1995), The McDonaldization of Society : An Investigation into the Changing Character of Contemporary Social Life, Thousand Oaks, Calif., Pine Forge Press.

Said, Edward (1995), Orientalism. Western Conceptions of the Orient, London, Penguin Books [11978].

Santos, Boaventura de Sousa (1998), "The Fall of the Angelus Novus: Beyond the Modern Game of Roots and Options", Current Sociology 46(2), 1998, 81-118.

Schiller, Nina Glick (1997), "Laços de sangue", Revista Crítica de Ciências Sociais 48.

UNESCO (1995), Our Creative Diversity. Report of the World Commision on Culture and Development, Paris, UNESCO.


Webmeisterin: Angelika Czipin
last change 29.11.1999