Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 5. Nr. Juli 1998

Internet und internationale Kommunikation

Andrea Rosenauer (Wien)
[BIO]

1. Kommunizieren

Die Definitionen von Kommunikation sind ebenso zahlreich wie die Möglichkeiten kommunikativer Akte. Sie reichen von relativ simplen Stimulus-Response-Modellen bis hin zu hochkomplexen Ansätzen, die das Umfeld des Kommunikationsprozesses und seine Auswirkungen miteinbeziehen. (1) Ich verwende als Ausgangsdefinition für den vorliegenden Beitrag jene, die auch Kurt Luger  seinem Aufsatz zu interkultureller Kommunikation und kultureller Identität im globalen Zeitalter zugrundegelegt hat (2). Luger, Leiter der Abteilung Internationale und interkulturelle Kommunikation am Salzburger Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft, legt zunächst fest:

In diesem Artikel wird eine Definition von Kommunikation verwendet, wonach von einer solchen erst gesprochen werden kann, wenn ein wechselseitig stattfindender Prozeß von Bedeutungsübermittlung erfolgt. Erst wenn zwei Individuen ihr jeweiliges kommunikatives Handeln erfolgreich aufeinander gerichtet haben, hat Kommunikation stattgefunden. (3)

Luger legt der so definierten Kommunikation die Intentionen der Verständigung und der Durchsetzung von Interessen zugrunde.

Kommunikation läuft immer medial ab, Vermittlungsinstanzen sind - noch vor der Zuhilfenahme von technischen Medien - Sprache, Zeichen, Gesten und Symbole. Erst wenn die KommunikationspartnerInnen über ein gemeinsames Symbolsystem verfügen, ist die Grundlage für eine erfolgreiche Kommunikation vorhanden.
Je nach kulturellem Hintergrund der Kommunizierenden sind daher auch die Chancen für Mißverständnisse unterschiedlich groß. Die kulturell verankerten Zeichen- und Symbolsysteme können sich voneinander unterscheiden, ebenso die Modelle für „richtiges" Verhalten, das in jeder Kultur etwas anderes bedeuten kann. Jede(r), die/der öfters auf Reisen war, wird das bestätigen können; in Reiseführern sind ebenso wie in Handbüchern für internationale geschäftliche Kontakte nicht nur Kurzdolmetscher für die wichtigsten Redewendungen, sondern in zunehmendem Maße auch Richtlinien angeführt, wie man einander begrüßt, was bei Tisch üblich ist, u.v.m. Je weniger die KommunikationspartnerInnen von der Kultur der anderen wissen, desto größer ist die Chance, einen Fauxpas zu begehen, aber auch eine kommunikative Handlung des Gegenübers falsch zu interpretieren, sich beleidigt, angegriffen zu fühlen. Durch das Einbringen anderer Codes, Konventionen, Einstellungen, Verhaltensnormen etc. wird die kulturelle Systemhaftigkeit durch das Überschreiten eben dieser Systemgrenzen erfahren - im interkulturellen Modell eher als Irritation denn als Bereicherung. Luger spricht denn auch von interkultureller Kommunikationswissenschaft als „Analyse einer >>perfekten Völkermißverständigung<<". (4)
Als Transkulturalität ist hingegen ein Prozeß zu verstehen,

bei dem die neuen Lebens- und Kulturformen die >>alten<< Kulturen, die als abgegrenzte, unverwechselbare Kulturen eines Volkes gedacht wurden, längst durchdrungen haben. Alle heutigen Kulturen sind multikulturell und multiethnisch, sind stark differenziert nach Milieus und ausgeprägten Lebensstilen. (5)

Wolfgang Welsch, auf den sich Luger hier beruft, bezeichnet daher auch den „herkömmlichen Kulturbegriff als „kultur-rassistisch", da er nicht nur der Grenzzziehung dient, von einem „irrealen Bild der säuberlichen Trennung zwischen den Kulturen" ausgeht. (6)
Es erscheint daher auch sinnvoller, Kultur nicht als ein festgeschriebenes, sondern als ein veränderbares Modell von Verhalten zu begreifen.

Nach dieser Sichtweise benutzen Menschen Kultur, um ihre Aktivitäten zu organisieren und zu normalisieren. Elemente von Kultur werden benutzt, modifiziert und verworfen, je nachdem, wie nützlich sie bei der Organisation von Realität sind. (7)

Leider entspricht diese Sichtweise nicht dem noch immer in Europa tradierten Bild von Kultur, das meistens Kultur als Nationalkultur versteht. In vielen Fällen (man denke nur an Finanzierungsstrukturen, „multikulturelle" Festivals etc.) wird Kultur eher als Wettkampfelement (woher kommt das „bessere" Theater, wo sind welche Schriftsteller besonders „gut") benutzt. Ein Denken in derartigen "kunstnationalen Mustern" erscheint als "Ausdruck der Kriegsgeschichte", als einer der Grundpfeiler eines Nationalstolzes, als Legitimation nationaler Eigeninteressen.(8)

In Einklang mit zahlreichen Gegenentwürfen zu einer derartigen Vereinnahmung von Kultur, der nicht zuletzt durch nationalistisch geprägte wissenschaftliche Interpretationen Vorschub geleistet wurde, soll für das zu behandelnde Thema als wünschenswerter Ansatz festgehalten werden, daß erfolgversprechende, d.h. auf das Erzielen von Verständigung ausgerichtete internationale Kommunikation transkulturelle Komunikation sein muß, die vor dem Hintergrund des Verständnisses einer Wandelbarkeit von Kultur (deren Ausprägungen sich, wenn überhaupt, geographisch, nicht aber national zuordnen lassen) stattfindet.
 

2. Kommunizieren via Internet

Das Internet erscheint als jener Ort, der wie geschaffen ist dafür, daß in ihm transkulturelle Begegnungen stattfinden. In zahllosen Newsgroups, den schwarzen Brettern und Mailinglisten, den Diskussionsforen des Internet, scheinen sich Menschen anders als national zu gruppieren.

2.1 Netiquette, Flames und Emotionen online

Schnell entpuppt sich das Internet, ja seine einzelnen Dienste als eigener kultureller Raum, wo ebenso wie in anderen Kulturen das Zusammenleben durch Normen geregelt wird.
Dies können relativ einfache Regeln sein, wie jene, die Thomas Mandel und Gerard Van der Leun als „Die Zwölf Gebote des Cyberspace" (9) zusammengestellt haben. Ich nenne hier einige davon, um zu illustrieren, daß sich in den Jahren, seit das Internet als Kommunikationsraum genutzt wird, einige Konventionen entwickelt haben, die NeueinsteigerInnen als Orientierungshilfe dienen können und sollen, und die m.E. auch durchaus als Erscheinungsbild einer "Netzkultur" bezeichnet werden können (in eckigen Klammern befinden sich Erklärungen aus dem zitierten Text und Anmerkungen der Autorin):

Ebensolche und noch mehr Gebote können Sie in den Archiven der Electronic Frontier Foundation und an vielen anderen Orten im weltumspannenden Netzwerk finden, downloaden und ausdrucken. Die Regeln, nach denen kommuniziert wird, heißen Netiquette und reichen von der Mitteilung von Konventionen (wie jener, daß Großschreibung in E-Mails Schreien bedeutet, was von Netizens, den „kulturalisierten" Internet-NutzerInnen als sehr unangenehm und unhöflich empfunden wird) bis hin zu Regelungen, wie lang eine Signature (die Schlußzeilen einer E-Mail, die eine Art elektronische Visitenkarte darstellen) noch sein darf, ohne störend zu wirken. Verstöße gegen die Netiquette werden, wenn der oder die Unbedarfte nicht eindeutig als „Newbie" zu erkennen ist, zumeist mit „flames" bestraft.

3. Kommunizieren im Zeitalter des Internet

3.1 Sprachliche und kulturelle Voraussetzungen

Spätestens mein eben gesagter Satz zeigt auch deutlich, daß eine Nutzung des Mediums neben einer Ahnung von Netiquette auch einige Vokabelkenntnisse voraussetzt. Und dies betrifft eigentlich nicht mehr nur die Nutzung selbst. Wenn wir davon ausgehen, daß sich zumindest in weiten Teilen Europas und den USA das Internet als Kommunikationsmittel immer weiter ausbreitet, ist es nicht unverständlich, daß sich auch in der Alltagssprache Ausdrücke wie Newbie für NeueinsteigerIn oder flame für Beleidigung durchsetzen werden, zum Teil bereits durchgesetzt sind.

In vielen Fällen aber wird auch außerhalb dieses Kommunikationsmediums mit allen mit dem Internet zusammenhängenden Ausdrücken nahezu inflationär umgegangen. Die Leserin, der Leser einer Tageszeitung braucht "Computer Literacy" eigentlich bereits dann, wenn sie/er die „Neue Medien"-Seite ihrer/seiner Tageszeitung mit Gewinn studieren will. Ein Dschungel aus Worten wie Web-Präsenz, Web-Sites, -Seiten, Homepages, Browser-Typen, u.v.m. macht es für nicht ständig mit dem Thema befaßte zunehmend schwierig, sich zu orientieren. Hinzu kommt ein Kauderwelsch aus englischen und deutschen Worten (11), in dem sich nicht unterscheiden läßt, welche Worte als Fachbezeichnungen gebraucht werden und welche einfach aus modischen Gründen in Artikel eingestreut wurden. Abkürzungen ohne Entschlüsselungen runden das Bild ab und erwecken - auch in Gesprächen - häufig den Eindruck, daß hier eine Welt der Eingeweihten konstruiert wird; die Barriere für „Computeranalphabeten" wird trotz zunehmender BenutzerInnenfreundlichkeit der für den Zugang erforderlichen Programme nicht gerade leichter überbrückbar. Nun ist hier aber nicht gegen die Einführung und Nutzung einer Fachsprache für den Bereich des Internet zu sprechen, problematisch erscheint mir vielmehr, daß eine ganze Reihe von Begriffen verwendet wird, um eben Computer Literacy oder Zeitgeistigkeit vorzuspiegeln. Und nicht selten zeigt die Anwendung dieser Begriffe, daß die Anwendenden selbst sich über deren Bedeutung keineswegs im Klaren sind. Eines der hervorstechendsten Beispiele ist die Verwendung des Wortes „Internet" selbst als Synonym für „World Wide Web". (World Wide Web ist nur einer der vielen Bereiche des Internet, jener, der wegen seiner bunten, häufig graphisch recht ansprechenden Seiten, die mit sog. Web-Browsern betrachtet werden können, besonders gern in den Printmedien - und zwar häufig als Gesamtheit des  „Internet" - dargestellt wird.)
Vor weitere Probleme werden viele AnwenderInnen und Anwender einer „postmodernen" Sprache durch die Worte „virtuell" und "Virtualität" gestellt.(12)
Die Sprache, die für alles, was mit Internet (in der ganzen Fülle seiner Dienste) - oder zumindest mit dessen populärsten Services, E-Mail und WWW, - zu tun hat, muß nicht nur von den AnwenderInnen erlernt werden, sie ist eine wichtige Voraussetzung auch für jene, die zur Zeit vielleicht nur Informationen über das neue Medium erhalten wollen, um sich zu orientieren oder vielleicht auch, weil sie noch keine Möglichkeit haben, on-line zu kommunizieren, sich aber auf diese Möglichkeit vorbereiten wollen
.
Die Sprache einer „Cyberkultur" ist allerdings auch wieder eine Form der Gruppenbildung, eine Sprache, die Grenzen zieht, Unkundige bis zu einem gewissen Grad ausgrenzt. Nur richtige Insider wissen, wie man eine Cyber-Rose (13) verschickt, was gemeint ist, wenn jemand auf eine Anfrage "RTFM" antwortet  oder eine komische Aussage mit "ROTFL" oder "ROFL" kommentiert (14). Auch enthält das Verzeichnis, das die Autorin zu dieser Aufzählung benützt hat, deren liebste Abkürzung nicht, wodurch jene, die anhand des Kursbuchs Internet meine E-Mails „decodieren" wollen, nicht wissen werden, was ich bei unpassend scheinenden überflüssigen Bemerkungen oder Klatsch mit SCNR (15) gemeint habe. Dies ist nur bedingt mit der Unvollständigkeit dieses Verzeichnisses zu begründen, zeigt vielmehr m.E. auch die Wandlungen, denen die „Kultursprache" der „Netizens" ebenso wie jede andere Sprache unterworfen ist.
Dieser Jargon wird vor allem in Chats (on-line- "Plaudereien"), zum Zeitsparen - aber möglicherweise auch zur Abgrenzung gegen „unerwünschte" (nicht zur Gruppe passende) Eindringlinge verwendet. Dieser Jargon vereint beispielsweise eine Reihe von System Operators in IRC-Foren (16), wo sie mit Sysops aus dem Rest der Welt Informationen über technische Probleme und deren Lösungen, Connectivity-Probleme u.v.a.m. austauschen. Diese Art von Online-Kommunikationsforen bilden eine Art virtuelles Großraumbüro: Neben den oben beschriebenen offiziellen, dienstlichen Mitteilungen geben Chat-Protokolle (so sie angefertigt werden und angefertigt werden dürfen) auch Aufschluß, wer sich gerade in welcher Stimmung befindet, weil sie/er nicht ausgeschlafen oder verliebt ist, Ärger im Büro oder zu Hause hat, gerade besonders glücklich ist, eben all jene Bemerkungen, die üblicherweise nebenbei zu Kollegen an den Nachbarschreibtisch weitergegeben werden.
D.h. aber auch wieder, das jene Sprache, die manch andere ausgrenzt, eine andere Gruppe zusammenhält: eine gemeinsame Sprache schafft neben Grenzen auch Identität, sie signalisiert: "wir" (VerwenderInnen des gleichen Codes) gehören zusammen.
Ebenso wie in anderen Kommunikationssituationen sind auch im WWW Codes und Normen vorhanden, die trennen oder verbinden - ebenso wie auf Parties, Konferenzen, usw. bilden sich Gruppen, mit dem Unterschied, daß im Internet in vielen Fällen die Nationalität der Teilnehmenden von sekundärer Bedeutung ist.

Howard Rheingold, Journalist, der zahlreiche Bücher zum Thema Internet verfaßt hat, sieht den Vorteil von Kommunikation via Internet zum Beispiel darin, daß Menschen, die aufgrund ihrer Arbeit, ihres geographischen Standorts, einer Behinderung oder anderer Ursachen nicht die Art von (zwischenmenschlichem aber auch fachlichem) Kontakt haben, wie dies üblicherwies bei Menschen der Fall ist, die in einem Büro, einer Fabrik, einer Universität arbeiten, die Möglichkeit haben, via Modem und Datenleitung ihrer Isolation zu entrinnen. Er ist auch der Meinung, daß das Internet für Personen, die nicht in der Lage sind, in ihrer geographischen Umgebung Menschen zu finden, die gewisse Eigenschaften oder Interessen mit ihnen teilen, eine große Chance darstellt.(17) Die meisten Nachteile des Mediums, wie mangelnde sprachliche Nuancierungsmöglichkeiten (da Tonfall, Mimik und Gestik wegfallen), werden bereits teilweise durch Codes ausgeglichen. Tonfälle, Stimmenmodulationen u.ä. können bereits teilweise durch die sog. Smilies (18) in die Kommunikation eingebracht werden.
 

3.2 Internet und politische Nutzungskonzepte

Oliver Marchart kritisiert in seinem Aufsatz "Mit dem Fiaker auf der Infobahn" nicht nur die Mitteleuropa-Idee der 80er Jahre, eine Idee konservativer Intellektueller, die dem europäischen „kulturellen Erbe" - zumeist in den Grenzen der ehemaligen Habsburgermonarchie - wieder eine „zentrale Rolle [...] erstreiten" wollen. Er konstatiert auch auf der Ebene des Internet einen „Techno-Eurozentrismus Bangemannscher Prägung [...] im historischen Kostüm des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs":

Und tatsächlich wurde in Österreich Mitte der 90er Jahre auf Regierungsanstoß ein „National Host" etabliert, der sich u.a. zum Ziel gesetzt hat, die elektronische Integration Mitteleuropas zu erleichtern. Hauptaufgabe des Austrian National Host ist die Stärkung von Kooperationen zwischen Mittel- und Osteuropäischen Ländern durch ihre Verlinkung mit „Mainland Europe". [...]Als ein Mitglied der „Central and Eastern European Networking association" (CEEnet) errichtete das österreichische akademische Breitbandnetzwerk ACOnet seinerzeit Gates zu den meisten mittel- und osteuropäischen Staaten, die in der Mehrzahl der Fälle mit vormaligen Teilen des Habsburgerreichs zusammenfallen.(19)

Marcharts Abschnitt „Electronic Curtain vs. Iron Frontier" folge ich ins World Wide Web, wo sich Herbert Hrachovec, Lehrender der Philosophie in Wien, mit Austro-Hungarian Disconnections auseinandersetzt.(20) Er beschreibt einen Versuch, ungarische Webseiten zu explorieren, der zunächst ins Leere und dann über US-amerikanische, russische und deutsche Webserver läuft. „After 30 minutes of browsing I had not connected to a single hungarian Web-site." Nun wäre diese Aussage doch zu hinterfragen: Was macht denn eine ungarische Web-Seite zu einer ungarischen Seite? Tatsächlich ihre Plazierung auf einem ungarischen Server? Oder nicht doch eher der Inhalt? Auch die Feststellung, "Network routing defines a new matrix of „neighbourhoods". Vienna, as well as Budapest, are „closer" to any city in the US than to each other."(21), ist ein Widerspruch zu den von Hrachovec selbst angegebenen traceroots (den Möglichkeiten, den Weg, den eine Information von Server zu Server genommen hat - also deren Routing - nachzuvollziehen): Der erste Verbindungsversuch verlief zwar im Sand, aber direkt von Wien nach Budapest. Was der Verfasser - der meine Beobachtungen im Verlauf seines Artikels dann doch auch selbst einfügt - zu Recht kritisch einbringt, ist allerdings, daß im weltumspannenden Netzwerk eine neue Topologie der Macht herrscht, manifestiert in „simple, yet decisive facts like our common use of the English language"(22). Und daß ein Bauen von Brücken  - gerade via WWW - in zunehmend geringerem Maße davon abhängig ist, ob es sich tasächlich um Nachbarländer handelt oder nicht. Wenn wir die „Enquete zur Weltausstellung", aus der die österreichisch-ungarische WWW-Routing-Kooperation - ihre "philosophischen" Grundlagen zu beziehen scheint, genauer betrachten, gibt jedoch im Hinblick auf den Sprachgebrauch wieder sehr zu denken, daß die Brücken, die in dieser Enquete beispielgebend für Europa gebaut werden sollen, „virtuelle Brücken" sein sollen.

Wenn wir hier von dem Wort "virtuell" (und seinem seit der Existenz des Internet nahezu inflationärem Gebrauch) absehen, über das sehr ausführlich gesprochen werden könnte, fällt anhand der gegebenen Beispiele auf, daß politische Konzepte zur Nutzung des Internet wiederum auf nationalen Gesichtspunkten aufzubauen scheinen.

4. Nationalkulturen, Identitätsbildungen, Kommunikation und die Aufgabe der Kulturwissenschaften

Hier kehre ich wieder zu Luger zurück, der bemerkt:

Der Rückgriff auf die >>verlorene Zeit<<, auf die Größe der österreichischen Monarchie etwa im Vergleich zum heutigen zentraleuropäischen Kleinstaat, betont das rückschrittliche, anachronistische Element in der nationalen Kultur Österreichs.(23)

Es gibt allerdings auch andere Modelle. Ich zitiere weiter:

Einer konservativen Identitätssuche, die lediglich in der Vergangenheit aufgebaute Machtpositionen verteidigt und eine mit Mythen überfrachtete Vergangenheit pflegen möchte [...] steht eine emanzipative Suche nach Identität gegenüber, die gegen paternalistische, nationale und konformistische Strukturen Widerstand leistet. (24)

Üblicherweise steht nationale Identität für einen Grundkonsens, eine kulturelle Homogenisierung etwa durch eine Nationalsprache, Religion u.v.a.m. Nationalkulturen streben Deckungsgleichheit für Kultur und Staatswesen an. Nationalkulturen versuchen, auch verschiedenartigste Mitglieder einer Gemeinschaft als Angehörige desselben Kulturkreises zu präsentieren, um eben diese Deckungsgleichheit zu erreichen. Und gerade hier liegt das Problem, die Gefahr einer Grenzziehung durch Kultur, einer Ausgrenzung des Fremden.

Die Aufgabe der Kulturwissenschaften muß es nun sein, diese nationalen Kulturgrenzen ebenso aufzuzeigen wie jene, die Cybrarians von ganz pragmatischen WWW-NutzerInnen abgrenzen. Machtstrukturen und Widerstandspotentiale müssen ebenso sichtbar gemacht werden, wie es erforderlich ist, Kultur und Kommunikation in einem Gesamtzusammenhang zu beschreiben, zu interpretieren, in einen Kontext zu stellen.
Herauszufinden, wie individuelle Lebenswelten von globalen Einflüssen bestimmt werden, wird mit Sicherheit eine weitere Aufgabe sein: zu beobachten, wie Fremdes in einen Aneignungsprozeß übernommen wird und werden kann, wie es mit eigenem in Verbindung gebracht wird.

Und auch beim Schaffen einer der Grundlagen für die Beobachtungen einer weltweit vernetzten Kommunikationsinfrastruktur sollten es sich insbesonder Kulturwissenschafterinnen und Kulturwissenschafter angelegen sein lassen, im Rahmen derartiger Themen nie auf den Hinweis zu vergessen, daß das sogenannte weltumspannende Netzwerk noch lange nicht die Welt umspannt, daß viele nicht aus Angst vor Neuem "draußen" bleiben, sondern einfach deswegen, weil weder entsprechende Computer noch Glasfaserkabel vorhanden sind. Daß also gerade bei einem auch immer wieder als demokratisch bezeichneten Medium nicht nur Barrieren durch „nationalkulturelle" Strukturen geschaffen werden, sondern durchaus auch durch pekuniäre. Daß somit das Gelingen transkultureller internationaler Kommunikation einer Verschiebung der Einstellungen bedarf, das Gelingen dieser Kommunikation via Internet aber noch ein wenig zusätzlichen Aufwand erfordern wird.

© Andrea Rosenauer (Wien)

home.gif (2030 Byte)buinst.gif (1751 Byte)        Inhalt: Nr. 5


Anmerkungen:

(1) vgl. u.a.: Frieder Naschold: Kommunikationstheorien. In: Wolfgang R. Langenbucher (Hg.): Publizistik- und Komunikationswissenschaft. Ein Textbuch zur Einführung in ihre Teildisziplinen. Wien: Braumüller, 1986. S. 40-81.

(2) Kurt Luger: Interkulturelle Kommunikation und kulturelle Identität im globalen Zeitalter. In: Rudi Renger, Gabriele Siegert (Hgg.): Kommunikationswelten. Wissenschaftliche Perspektiven zur Medien- und Informationsgesellschaft. Innsbruck; Wien: Studien-Verlag, 1997 (=Beiträge zur Medien- und Kommunikationsgesellschaf, Bd.1). S.317-345.

(3)  ebd., S.318.

(4) ebd., S.318ff, insbes. S.322.

(5) ebd., S.323, mit Bezug auf Wolfgang Welsch, s.u.

(6) Wolfgang Welsch: Transkulturalität. Lebensformen nach der Auflösung der Moderne. In: Kurt Luger und Rudi Renger (Hgg.): Dialog der Kulturen. Die multikulturelle Gesellschaft und die Medien. Wien; St. Johann, 1994. S.147-169.

(7) Luger, a.a.O. S. 323.

(8)  Vgl. hiezu Wolfgang Holzinger: "Nationalstile" - ein Konstrukt und seine Funktionen. Konturen einer politischen Soziologoe der Kunst. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie. 22.Jg.(1997)3. S. 54-85, insbes. S.66ff.

(9) Thomas Mandel und Gerard Van der Leun: Die zwölf Gebote des Cyberspace. In: Stefan Bollmann und Christiane Heibach (Hgg.): Kursbuch Internet. Anschlüsse an Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur. Mannheim: Bollmann, 1996. S.247-254.

(10) Ich möchte diese Gelegenheit nützen, mich bei Alois Deutsch zu bedanken, der mich von 1995-1997 als Sysop des ÖFPZ Arsenal nicht nur bei Problemen unterstützt, sondern auch durch seine Tips und Hinweise die Grundlagen für viele meiner Kenntnisse gelegt hat.

(11) Vgl.: Gerlinde Ulm Sanford: Amerikanismen in der deutschen Sprache der Gegenwart. In: Trans 3/1998. WWW: http://www.inst.at/trans/3Nr/sanford.htm. Zugriff am 1998-07-01

(12) Vgl. Benjamin Woolley: Die Wirklichkeit der virtuellen Welten. Basel (u.a.): Birkhäuser, 1994. S.67ff

(13) Lt. Roswitha Casimir und Roger Harrison: Partnersuche im Internet. In: Kursbuch Internet. a.a.O. S.275-298. Hier: S. 298, sieht diese folgendermaßen aus: @))-->-->-- .

(14) Vgl. ebd. S.297: RTFM = Read The Fucking Manual; RO(T)FL = Rolling On (The) Floor, Laughing

(15) SCNR = Sorry, Could Not Resist. Interessanterweise ist dieses mir wohlbekannte Akronym weder in: Acronyms Used in the Computer Community. WWW: http://www.freewarehof.org/acronyms.html. Zugriff am 1998-07-02, noch in: A Brief Net Primer. Acronyms. WWW: http://www.magicpub.com/netprimer/acronyms.html. Zugriff am 1998-07-02, enthalten.

(16) IRC=Internet Relay Chat. Eine der Möglichkeiten, sich on-line zu unterhalten. Alle Teilnehmenden sind on-line, Beiträge zur Unterhaltung werden in ein Fenster eingegeben und können sofort nach dem Absenden von allen anderen TeilnehmerInnen gelesen und beantwortet werden.

(17) "Lernen, damit umzugehen". Howard Rheingold im Gespräch. In: Kursbuch Internet (a.a.O.). S. 255-262. Hier: S.255ff

(18) Ein Standard-Smilie ist das lachende: :-) (für: Freude, Scherz); wenn eine Äußerung scherzhaft gemeint ist, kann das durch ein Zwinkern ;-) klargemacht werden; etc. Vgl. Casimir/Harrison: Partnersuche im Internet. a.a.O. S. 297f sowie A Brief Net Primer. Smilely [sic!] Dictionary. WWW:  http://www.magicpub.com/netprimer/smilies.html. Zugriff am 1998-07-02.

(19) Oliver Marchart: Mit dem Fiaker auf der Infobahn. In: ders.: Die Verkabelung von Mitteleuropa. Medienguerila - Netzkritik - Technopolitik. Wien: edition selene, 1988. S.13f.

(20) Herbert Hrachovec: Austro-Hungarian Disconnections. WWW: http://hhobel.phl.univie.ac.at/~herbert/disconnections/disconnections.html [und folgende]. Zugriff am: 1998-03-24.

(21) Ders.: A Detour [Teil von "Austro-Hungarian Disconnections"]. WWW: http://hhobel.phl.univie.ac.at/~herbert/disconnections/node1.html. Zugriff am 1998-03-24.

(22) ebd.

(23) Luger: Interkulturelle Kommunikation und kulturelle Identität im globalen Zeitalter. a.a.O. S. 338f.

(24) ebd.


Webmeister: Peter R. Horn
last change 24.11.1999