Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 6. Nr. September 1998

Wie eurozentrisch ist die europäische Kultur?

Peter Horn (Kapstadt)
[BIO]

William Butler Yeats beginnt eines seiner Gedichte mit den Zeilen:

When you are old and grey and full of sleep
and nodding by the fire ....
(1)

Diese Zeilen sind eine fast wörtliche Übersetzung eines Gedichtes von Ronsard:

Quand vous serez bien vieille, au soir, à la chantelle,
Assise auprès du feu ...
(2)

Das Ende seines Gedichts ist eine andere Zeile von einem anderen Ronsard-Gedicht, das selbst wieder eine Übersetzung eines Gedichtes von Horaz ins Französische ist, und Horaz’ Gedicht ist eine Übersetzung eines Pindar-Gedichtes ins Lateinische.(3) Das ist keine neue Einsicht, und daß die europäische Kultur in Griechenland verwurzelt ist, eine so hinlänglich bekannte Tatsache, daß darüber kein weiteres Wort zu verlieren wäre, es sei denn der Hinweis, daß das Studium von Literaturen in nationalen Zusammenängen solche transkulturellen Prozesse eher verschleiert als ermöglicht.

Auch die Tatsache, daß weder Jesus noch seine Jünger griechisch gesprochen haben, ist nicht unbekannt. Das Neue Testament, wie es uns in seiner ältesten Form vorliegt, ist eine Übersetzung aus unbekannten aramäischen mündlichen und hebräischen schriftlichen Quellen. Die Neuinterpretation der hebräischen Bibel als Altes Testament, also als die Vorgeschichte des Christentums, hat zwar den Text selbst nicht verändert, aber durch Mißinterpretation und immer erneuetes gelenktes Lesen in ein christliches Dokument verwandelt.(4) Damit haben wir die zweite allgemein bekannte Quelle der christlich-abendländischen Kultur benannt, eine Quelle allerdings, deren nicht-arische Natur einigen Kulturgeschichtlern schon weniger behagte. Daß diese Quelle ihrerseits ein Kompendium von Übersetzungen aus vielerlei vorderasiatischen Quellen war, hat bereits der Urtext zu verschweigen versucht, denn Gott durfte ja nicht zuerst durch sumerische, babylonische, akkadische oder ägyptische Lippen gesprochen haben.

Was wir europäische Kultur nennen, ist ein ziemlich hybrides Gebilde, auch wenn diejenigen, die die "abendländische christliche Kultur" vor dem Ansturm aller anderen Subkulturen zu retten vorgeben, dies immer geleugnet haben. Daß "Gott ... das Heil zuwege gebracht [...] im Mittel der Erden. - Deus operatus est salutem in medio terrae."(5) und daß natürlich Jerusalem oder Rom diese Mitte sei, haben nach Agrippa von Nettesheim z.B. "Lucretius, Lactantius und Augustinus [behauptet], welche die Antipodas beständig negieren, und die, welche geleugnet haben, dass ausser Europa, Asia und Afrika noch eine bewohnte Welt zu finden sei",(6) nur - so kontert Agrippa - das haben "wir aber durch der Spanier und Portugieser Schiffahrten anders erfahren"(7) Was genau schon am "Ursprung" der europäischen Kultur, im Mittelmeerraum der fünf Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung aus dem Süden, Ägypten und Afrika, und dem Osten, Kleinasien, Zentralasien, Indien und sogar China, in diese Mischung eingeflossen ist, ist heute allerdings schwer festzustellen. Gewiß die Schrift, viele religiöse Vorstellungen, auch schon vor dem Christentum, Geometrie, Rechnungswesen, das Rad, und noch vieles mehr. Die simplistische Auffassung, daß die mitteldeutschen Schnurkeramiker des Neolithikums die Indogermanen gewesen seien und daß Mitteldeutschland um dreitausend vor Christus der Nabel der Welt gewesen sei, der Ausgangsort aller geistigen und materiellen Errungenschaften der Menschheit, vertritt heute ja wohl niemand mehr.(8)

Hybride oder nicht, dennoch haben in Europa bei aller Eigentümlichkeit und Verschiedenheit der einzelnen Nationen etwa viertausend Jahre Geschichte "einen auffallend ähnlichen Geist der Sprache, der Verfassungen, Gebräuche und Einrichtungen"(9) hervorgebracht, die Friedrich Schlegel "in vielen übrig gebliebenen Spuren der frühern Zeit, den gleichartigen und gemeinschaftlichen Ursprung ihrer Kultur"(10) verorten zu können glaubte. Weiter argumentiert er:

Dazu kommt noch eine gemeinschaftliche von allen übrigen sehr abweichende Religion. Außerdem ist die Bildung dieser äußerst merkwürdigen Völkermasse so innig verknüpft, so durchgängig zusammenhängend, so beständig in gegenseitigem Einflusse aller einzelnen Teile; sie hat bei aller Verschiedenheit so viele gemeinschaftliche Eigenschaften, strebt so sichtbar nach einem gemeinschaftlichen Ziele, daß sie nicht wohl anders als wie ein Ganzes betrachtet werden kann.(11)

Auch Lange betont in seiner Geschichte des Materialismus eine solche lange gewachsene Gemeinsamkeit der europäischen Geisteswelt:

Wie das Theologenlatein jener Zeit, so bildeten auch die Formeln der Scholastik ein gemeinsames Element geistigen Verkehrs für ganz Europa. Von der formalen Denkübung abgesehen, die auch in der entartetsten Form der aristotelischen Philosophie noch höchst bedeutend und wirksam blieb, war dieselbe Gemeinsamkeit, welche das alte System geschaffen hatte, bald auch ein vorzügliches Medium für die Verbreitung neuer Gedanken. Die Zeit des Wiederauflebens der Wissenschaften fand eine Verbindung unter den Gelehrten Europas vor, wie sie seitdem nie wieder dagewesen ist.(12)

Dagegen setzte Lessing aufklärerisch und kosmopolitisch: "die gelehrte Republik ist überall",(13) und auch Kant bestreitet in den Träumen eines Geistersehers eine etwa durch die geographische Einheit gegebene geistige Einheit gerade Europas:

Es haben aber die Stellen der Geister untereinander nichts mit dem Raume der körperlichen Welt gemein; daher die Seele eines Menschen in Indien mit der eines andern in Europa, was die geistige Lagen betrifft, oft die nächste Nachbaren sein, und dagegen die, so dem Körper nach in einem Hause wohnen, nach jenen Verhältnissen weit gnug voneinander entfernet sein können.(14)

Der Gedanke einer auf der mittelalterlichen Scholastik beruhenden europäischen Geisteseinheit läßt sich sowieso nur dann behaupten, wenn man übersieht, daß gerade die muslimischen Araber viel Eigenes aber auch viel Griechisches ins christliche Europa transplantierten und die Scholastik damit erst anregten. Das sehen bis heute noch nicht alle, und Herder ist da in seinen Briefen zur Beförderung der Humanität eher die Ausnahme:

Unleugbar ist's nämlich, daß die Araber in ihrem weiten Reiche, das sich von China bis Fez, von Mozambique bis fast an die Pyrenäen erstreckte, Sprache und Wissenschaften, Handel und Künste sehr kultiviert hatten.(15)

Francis Bacon zum Beispiel urteilte da ganz anders: er sieht nur drei "Perioden für die Wissenschaften": "die eine geschah bei den Griechen die zweite bei den Römern, die dritte bei uns, d.h. bei den westlichen Völkern Europa's". Für ihn sind die Araber und das christliche Mittelalter gleich dunkle Epochen.(16)

Über den Begriff "europäische Kultur" mag man sich nun streiten, wie man sich darüber streiten kann, ob es etwa eine gemeinsame afrikanische Kultur gibt, die man, über alle Verschiedenheiten hinweg, von der Sahara bis zum Kap aufspüren kann. Möglicherweise liegen solche Gemeinsamkeiten, wenn sie denn existieren, nicht so sehr in oberflächlich auffallenden Merkmalen, wie sie Völker- und Rassenstereotype wahrnehmen, sondern in eher unauffälligen Strukturen des Handelns und Denkens. Letztlich aber sind solche Totalisierungen als Selbstbeschreibungs- und Identifikationsideologien bedeutsamer denn als Versuche wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung.

Wenn man von "Zentrismus" spricht, könnte man meinen, daß der, der im Zentrum steht, anderes ausgrenzen möchte. Solche Versuche, sich selbst als bedeutsamer dadurch darzustellen, indem man andere als Wilde oder Barbaren abwertet, hat es natürlich auch in Europa gegeben, ebenso wie etwa im alten Ägypten oder in China. Selbst Rousseau versteigt sich zu Aussagen wie: "Weder die Neger noch die Lappen können sich an Verstand mit den Europäern messen."(17) Und Ludwig Büchner schreibt ganz ernsthaft: "Wer wüßte nicht, welche angeborene geistige Inferiorität der schwarzen Rasse eigen ist und wie sie den Weißen gegenüber als Kind dasteht und immer dastehen wird. Das Gehirn des Negers ist viel kleiner als das des Europäers, überhaupt tierähnlicher; die Windungen desselben sind weniger zahlreich."(18) Solche Vergleiche, oft auf den oberflächlichsten, anekdotenhaften Beobachtungen beruhend, taugen zu nichts anderem als zur Etablierung von Vorurteilen, die selbst wieder zu bestimmten politischen Zwecken gut verwendet werden können. Elias Canetti warnt vor solchen klassifikatorischen Denkweisen:

Das Urteilen über ‘Gut’ und ‘Schlecht’ ist das uralte Mittel einer dualistischen Klassifikation, die aber nie ganz begrifflich und nie ganz friedlich ist. [...] Es ist die Neigung zur feindlichen Meutenbildung, die diesem Prozeß zugrundeliegt.(19)

Nun sind solche schwarz-weiß-Einteilungen nicht die Eigenart nur des Europäers. Herder zum Beispiel hat schon bemerkt, daß es solche Stereotypen auch bei anderen Völkern den Europäern gegenüber gibt:

»Der Europäer ißt alles«, sagt der Indier, und sein feinerer Geruch hat schon vor den Ausdünstungen desselben einen Abscheu. Er kann ihn nach seinen Begriffen nicht anders als in die verworfne Kaste klassifizieren, der, zur tiefsten Verachtung, alles zu essen erlaubt ward. Auch in vielen Ländern der Mahomedaner heißen die Europäer, und nicht bloß aus Religionshaß, unreine Tiere.(20)

Eurozentrismus hat aber nicht in erster Linie durch Ausschluß des "Anderen" operiert; es sind - wie Deleuze und Guattari zeigen - gerade die sogenannten "primitiven" Gesellschaften, die den Fremden meist als den "Anderen" begreifen.(21) Europa ist ein schwarzes Loch, das alles, was in seinen Bereich kommt, anzieht und sich einverleibt. So sagte schon Georg Forster über den Entdecker Cook:

Auf derjenigen Stufe der Kultur, die der Europäer insbesondere nun einmal erstiegen hat, ist die Kenntniß der eigenthümlichen Beschaffenheit aller Gegenden der Erde so in sein Bedürfniß verwebt, daß eine nähere Untersuchung nothwendig wird, um seiner Betriebsamkeit Luft zu machen.(22)

Für Herder definieren sich die Europäer geradezu durch ihre "tätige Einwirkung auf andre Nationen". Dagegen:

Die Tungusen und Eskimos sitzen ewig in ihren Höhlen und haben sich weder in Liebe noch Leid um entfernte Völker bekümmert. Der Neger hat für die Europäer nichts erfunden; er hat sich nie in den Sinn kommen lassen, Europa weder zu beglücken noch zu bekriegen.(23)

Das spätmittelalterliche Desinteresse an dieser Welt, wie es noch Agrippa von Nettesheim in seiner Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften gegenübereiner ungezügelten Wißbegier propagierte, entspricht schon zu seiner Zeit nicht mehr den geopolitischen Interessen der europäischen Kolonialimperien:

aber indem diese Kunst die ganze Erde und das unerforschliche Meer, die Gelegenheit und Grenze der Insuln und Länder, unzähliger Völker ungewisse Ursprünge, Sitten und Arten uns zu lernen sich unterstehet, so haben wir keinen andern Nutzen davon, als dass wir, indem wir begierig sind, fremde Sachen zu erforschen, uns selbst nicht lernen erkennen.(24)

Und natürlich ist es keineswegs so, daß außereuropäische Völker ein völliges Desinteresse an der Welt jenseits ihres Heimatlandes gehabt hätten. So wußte gegen seine bereits zitierte Meinung schon Herder: "»Die Grönländer haben es gern« [...] »wenn man ihnen etwas von Europa erzählet".(25)

Eurozentrisch ist also nicht so sehr die Nichtwahrnehmung oder etwa die einseitig falsche Wahrnehmung und Verachtung anderer Völker, obwohl es dafür Beispiele genug gibt. Der eurozentrische Rassismus operiert eher mit der Determination von graduellen Abweichungen vom Standard, dem Gesicht des weißen Mannes. Wenn das Standardgesicht das des durchschnittlichen weißen Mannes ist, dann ist die erste Abweichung eine rassenbedingte: der gelbe Mann, der schwarze Mann, der Mann der zweiten und der dritten Kategorie. Diese Kategorien konjugieren sich: "Das ist ein Jude, das ist ein Araber, das ist ein Neger, das ist ein Wahnsinniger". Auf der gemeinsam menschlichen Skala erscheinen dann die anderen, und das sind auch zum Beispiel europäische Bauern oder Arbeiter, irgendwo zwischen Kretin und Genie, zwischen Kind und Erwachsenem, eher selten als eine ganz andere Art. So überlegt sich Ludwig Büchner: "Welcher Unterschied mag zwischen dem Ideenkreis manches europäischen Bauern und dem eines verständigen Tieres sein! Und steht ein Kretine, doch auch ein Mensch, nicht unter dem Tiere? Wie weit entfernt sich der Neger vom Affen?"(26) Von Standpunkt des eurozentrischen Rassismus gibt es kein Außen. Es gibt nur Menschen, die so sein sollten wie wir sind und deren Verbrechen es ist, daß sie nicht so sind.(27) Aber gerade gegen diese Form des Eurozentrismus haben selbst wieder europäische Schriftsteller wie Herder polemisiert:

Am wenigsten kann also unsre europäische Kultur das Maß allgemeiner Menschengüte und Menschenwertes sein; sie ist kein oder ein falscher Maßstab. Europäische Kultur ist ein abgezogener Begriff, ein Name.(28)

Und scharf das Recht auf eine je eigene Entwicklung der Völker der Erde verteidigend wendet er sich gegen die Eigendünkel der Europäer, die andere Nationen "wild oder barbarisch" nennen, denn die seien "im wesentlichen viel menschlicher als ihr":

Alle Schriften, die den an sich schon unerträglichen Stolz der Europäer durch schiefe, unerwiesene oder offenbar unerweisbare Behauptungen nähren - verachtend wirft sie der Genius der Menschheit zurück und spricht: »Ein Unmensch hat sie geschrieben!«(29)

Und scharf ironisch und polemisch schreibt Herder und verweist dabei auf die eigentlich Wurzel der modernen Überheblichkeit der Europäer, den Kolonialismus:

Wo kommen nicht europäische Kolonien hin und werden hinkommen! Überall werden die Wilden, je mehr sie unsern Branntwein und Üppigkeit liebgewinnen, auch unsrer Bekehrung reif! Nähern sich, zumal durch Branntwein und Üppigkeit, überall unsrer Kultur - werden bald, hilf Gott! alle Menschen wie wir sein! gute, starke, glückliche Menschen!(30)

Was die eurozentrische Haltung charakterisiert, ist, daß sie fremde Völkerschaften in ihrer Anthropologie auf einer universellen Zeitskala als nicht "gleichzeitig" einträgt, als Kindformen der Menschheit oder zurückgeblieben in der Entwicklung. Die moralische und politische Komplizenschaft einer solchen Wissenschaft von der Menschheit ist ebenso klar wie die logischen Beziehungen zwischen dem britischen Evolutionismus und der Gründung des britischen Empire.(31) "Gleichzeitigkeit", schreibt der Anthropologe Johannes Fabian, "ist das Problem der Anthropologie mit der Zeit."(32) Erst dort, wo alle Kulturen als "gleichzeitig" anerkannt werden, kann es eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Begriff des Fremden geben. Auch die Herablassung eines Leibnitz ist keineswegs die Anerkennung der Anderen als der Gleichen, wenn er sagt:

Man muß indessen zugeben, daß in wichtigen Stücken die rohen Völker uns überlegen sind, vor allem in Betracht der körperlichen Stärke, und selbst in bezug auf die Seele kann man sagen, daß in gewisser Hinsicht ihre praktische Moral besser ist als die unserige, weil sie weder den Geiz, zusammenzuscharren, noch die Lust zu herrschen, haben.(33)

Georg Forster, immerhin einer der wenigen deutschen Befürworter der französischen Revolution, sieht die Eroberung der Welt durch die Europäer durchaus als Fortschritt, auch wenn er die Selbstzufriedenheit der Kolonisatoren nicht ganz zu teilen scheint. Aber auch er sieht die Afrikaner als Unmündige, die nicht unterdrückt sondern von ihren Vormündern gefördert werden sollten:

Weisser! der du so stolz und selbstzufrieden wahrnimmst, daß wohin du immer drangst, Geist der Ordnung und Gesetzgebung den bürgerlichen Vertrag begründeten, Wissenschaft und Kunst den Bau der Kultur vollführen halfen; der du fühlst, daß überall im weiten volkreichen Afrika die Vernunft des Schwarzen nur die erste Kindheitsstufe ersteigt, und unter deiner Weisheit erliegt. Weisser! du schämst dich nicht am Schwachen deine Kraft zu misbrauchen, ihn tief hinab zu deinen Thieren zu verstossen, bis auf die Spur der Denkkraft in ihm vertilgen zu wollen? Unglücklicher! von allen Pfändern, welche die Natur deiner Pflege anbefohlen hat, ist er das edelste.(34)

Sein Zeitgenosse Herder sieht da die Kolonisatoren schon sehr viel kritischer, auch wenn, er ganz selbstverständlich, den kindlich vertrauenden Charakter der Kolonisierten voraussetzt, und damit wieder ihre Gleichzeitigkeit mit den Kolonisatoren leugnet:

Von den spanischen Grausamkeiten, vom Geiz der Engländer, von der kalten Frechheit der Holländer, von denen man im Taumel des Eroberungswahnes Heldengedichte schrieb, sind in unsrer Zeit Bücher geschrieben, die ihnen so wenig Ehre bringen, daß vielmehr, wenn ein europäischer Gesamtgeist anderswo als in Büchern lebte, wir uns des Verbrechens beleidigter Menschheit fast vor allen Völkern der Erde schämen müßten. Nenne man das Land, wohin Europäer kamen und sich nicht durch Beeinträchtigungen, durch ungerechte Kriege, Geiz, Betrug, Unterdrückung, durch Krankheiten und schädliche Gaben an der unbewehrten, zutrauenden Menschheit, vielleicht auf alle Äonen hinab, versündigt haben!

Immerhin steht bei Herder schon eine grundlegende Kritik an der Selbstwahrnehmung der eurozentrischen Sichtweise:

Nicht der weise, sondern der anmaßende, zudringliche, übervorteilende Teil der Erde muß unser Weltteil heißen; er hat nicht kultiviert, sondern die Keime eigner Kultur der Völker, wo und wie er nur konnte, zerstöret.[242](35)

Und es ist Herder, der schon am Ende des 18. Jahrhundert urteilt:

Wie selten verdiente ein Europäer den Lobspruch der Eingebornen: »Er ist ein vernünftiger Mensch, wie wir sind!«(36)

Eurozentrismus ist bisher fast nicht mehr als ein politisches Schlagwort vor allem der dritten Welt. Als historisches Phänomen der europäischen Geistesgeschichte harrt er noch weitgehend der detaillierten Untersuchung.

© Peter Horn (Kapstadt)

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Anmerkungen:

(1) Yeats

(2) Ronsard

(3) Martin Greenberg, A Defense of Translation. Hilton Kramer and Roger Kimball (Hrsg.), Against the Grain. The New Criterion on art and intellect at the end of the twentieth century. Chicago: Ivan R. Dee 1995: 429.Cf. Willis Barnstone, The Poetics of Translation: History, Theory, Practice. Yale University Press 1993.

(4) Greenberg, A Defense of Translation, 328.

(5) Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. Herausgegeben von Fritz Mauthner, München: Georg Müller, 1913. Bd. 1, S. 108.

(6) Ebd.

(7) Ebd.

(8) Vgl. Richard Pittioni, Der urgeschichtliche Horizont der historischen Zeit. In: Golo Mann und Alfred Heuß, Propyläen Weltgeschichte. Eine Universalgeschichte. Erster Band: Vorgeschichte. Frühe Hochkulturen. Berlin, Frankfurt am Main: Propyläen 1991: 254.

(9) Friedrich-Schlegel: Über das Studium der griechischen Poesie. Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Herausgeben von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner. Erste Abteilung: Kritische Neuausgabe, München, Paderborn, Wien: Schöningh; Zürich: Thomas, 1958 ff. , 1. Abt. Bd. 1, S. 225.

(10) Ebd.

(11) Ebd.

(12) Friedrich Albert Lange: Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart. Herausgegeben und eingeleitet von Alfred Schmidt, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1974 , S. 188.

(13) Gotthold Ephraim Lessing: Der junge Gelehrte. Werke, hg. von Herbert G. Göpfert in Zusammenarbeit mit Karl Eibl, Helmut Göbel, Karl S. Guthke, Gerd Hillen, Albert von Schirmding und Jörg Schönert, München: Carl Hanser, 1970 ff. Bd. 1, S. 318.

(14) Immanuel Kant: Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik. Werke in zwölf Bänden. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977. Bd. 2, S. 977.

(15) Johann Gottfried Herder: Briefe zur Beförderung der Humanität, hg. von Heinz Stolpe in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Kruse und Dietrich Simon, Berlin und Weimar: Aufbau, 1971. Bd. 2, S. 43.

(16) Francis Bacon: Große Erneuerung der Wissenschaften. Franz Baco's Neues Organon. Übersetzt, erläutert und mit einer Lebensbeschreibung des Verfassers versehen von J. H. von Kirchmann, Berlin: L. Heimann, 1870 (Philosophische Bibliothek, Bd. 32). S. 128-129.

(17) Jean-Jacques Rousseau: Emil oder Über die Erziehung. Frei aus dem Französischen übersetzt von Hermann Denhardt. Neue Ausgabe, Band 1 und 2, Leipzig: Philipp Reclam jun., o. J. Bd. 1, S. 48.

(18) Ludwig Büchner: Kraft und Stoff. Mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Wilhelm Bölsche. Neudruck der Urausgabe. Leipzig, Alfred Kröner, o. J. (Kröners Taschenausgabe, Bd. 102). S. 104-105.

(19) Elias Canetti, Masse und Macht. Frankfurt am Main: Fischer 1997: 353.

(20) Johann Gottfried Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Herausgegeben von Heinz Stolpe, Berlin und Weimar: Aufbau, 1965. Bd. 1, S. 287.

(21) Über den Fremden als "Anderen" vgl. André Haudricourt, "Nature et culture dans la civilisation de l’igame: L’origin des clones et des clanes." L’Homme vol.4 no1 (January-April 1964) pp. 98-102; und Robert Jaulin, Gens de soi, gens de l’autre. Paris: Union Générale d’Editions, preface, p.20 und Gilles Deleuze and Félix Guattari, A thousand Plateaus. Capitalism and Schizophrenia. Translation by Brian Massumi. Minneapolis: University of Minnesota Press 1987: 178 Anm. 12.

(22) Georg Forster: Cook, der Entdecker, Werke in vier Bänden, hg. von Gerhard Steiner, Leipzig: Insel, [1971]. Bd. 2, S. 115.

(23) Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, Bd. 1, S. 221.

(24) Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften. Bd. 1, S. 108: "Wie Augustinus in seinen Confessionibus saget: Eunt homines admirari alta montium, et ingentes fluctus maris, et latissimos lapsus fluminum, et Oceani ambitum, et gyros siderum, et relinquunt seipsos. Das ist: Die Menschen verwundern sich über die Höhe der Berge, über die erschrecklichen Meereswellen, über den Abfall der Ströme, über den Umfang des weiten Ozeanischen Meeres und über den Kreis und Umlauf der Gestirne, vergessen aber hierüber ihrer selbsten. Es saget auch Plinius: Insaniam esse metiri terram, quam dum metimur saepissime mensuram egredimur. Das ist: Es sei eine Torheit, die Erde zu messen, weil wir, indem wir sie messen, oftmals das Mass überschreiten." (S. 108f).

(25) Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, Bd. 1, S. 291.

(26) Ludwig Büchner: Kraft und Stoff, S. 185.

(27) Gilles Deleuze and Félix Guattari, A thousand Plateaus. Capitalism and Schizophrenia. Translation by Brian Massumi. Minneapolis: University of Minnesota Press 1987: 178.

(28) Herder: Briefe zur Beförderung der Humanität, S. 263.

(29) Ebd.: S. 251.

(30) Herder: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. (vgl. SuD-Müller Bd. 1, S. 346.

(31) (Fabian 35)

(32) (Fabian 37)

(33) Gottfried Wilhelm Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Ins Deutsche übersetzt, mit Einleitung, Lebensbeschreibung des Verfassers und erläuternden Anmerkungen versehen von C. Schaarschmidt. Zweite Auflage. Leipzig: Dürr, 1904 (Philosophische Bibliothek, Bd. 69) ., S. 65-66.

(34) Georg Forster: Noch etwas über die Menschenraßen. Werke in vier Bänden, hg. von Gerhard Steiner, Bd. 1-4, Leipzig: Insel, [1971]. Bd. 2, S. 100.

(35) Herder: Briefe zur Beförderung der Humanität, Bd. 2, S. 234-235.

(36) Herder: Ideen zur Philosophie, S. 281.


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