Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 7. Nr. August 2000

Zwei Erzählungen aus Kärnten von Pre¾ihov Voranc im Spiegel erlebter Geschichte

Katja Sturm-Schnabl (Wien)
[BIO]

I. Vorwort

II. Die Parabel der Voranc'schen Kurzgeschichten "Wenn die Gail und die Drau zurückfließen ... " und "Das Maria Saaler Feld"

III. Lovro Kuhar - Pre¾ihov Voranc (1893-1950)

IV. Die Botschaft des sprachlichen Kunstwerks: Mythos, Realität und Vision

V. "Èe Zila noj Drava nazaj potaèo ... " / "Wenn die Gail und die Drau zurückfließen ... "

VI. "Gosposvetko polje" - "Das Maria Saaler Feld"

Conclusio


I. Vorwort

Mit dieser hier vorliegenden Collage von literaturwissenschaftlicher Analyse und Mikro History und Erlebter Geschichte möchte ich einen neuen Weg beschreiten, einen Weg, der auch Goethe nicht fremd war, als er sagte: "Jedes Gedicht ist ein Gelegenheitsgedicht", einen Weg, den der französische Schriftsteller und Biograph Henry Troyat in seiner Biographie von Verlaine(1) beschreitet, indem er akribisch alle jene Lebensumstände des Dichters erforscht, die jeweils der Anlaß für seine Gedichte waren.

Ich für meinen Teil möchte hier die Literaturtheorie des Strukturalismus, der u. a. die Wechselwirkung zwischen Sender und Empfänger erforscht und die modernen Theorien von den Mythenbildungen(2) und auch die Erkenntnisse von Julia Kristeva(3) über die Literatursprache als stetes "Übersetzen" neuer Erlebniswerte in eine "neue Sprache" am Beispiel einer Familiensaga und der Rezeption und Perzeption eines Textes umsetzen. Dabei möchte ich ein Beispiel aufzeigen, wie sich ein Kulturmodell innerhalb einer Familie, einer Sprachgemeinschaft aufbauen kann.

Die eigene Erlebniswelt macht den Leser empfänglich für dichterische Botschaften, die aus einem ähnlichen Erleben heraus inspiriert wurden. Diese gemeinsame Erlebniswelt erhöht seine Sensibilität für die moralischen oder spirituellen Werte, die über die dichterische Sprache vermittelt werden. In der Familie besteht grundsätzlich eine Basis an gemeinsamem Erleben, wodurch die Kommunikation zwischen Sender und Empfänger tiefgreifender und impliziter wird. Die Genesis der Kultur innerhalb des kleinsten Gesellschaftsmodells, der Familie, die in ihrer Kommunikation meist an die Sprache ihres übergeordneten Gesellschaftsmodells, ihrer Volks-, oder Sprachgruppe bzw. Nation gebunden und ein Forschungsobjekt mit interdisziplinärer Dimension ist eine Kulturwissenschaft, die zur Befähigung beitragen könnte "aus der Geschichte auch wirklich zu lernen".

Die Deportation(4)

In unserer Familie blieb auch nach der Befreiung und Heimkehr 1945 ein ständiger, unstillbarer Schmerz stets anwesend: Wir konnten über den Tod von Verica nicht hinwegkommen. Verica war von den vier Kindern, die die Nazis bei der Deportierung der Kärntner Slowenen im April 1942 zusammen mit den Eltern und den beiden unverheirateten Schwestern(5) des Vaters in ein Lager nach Deutschland verschleppten, die älteste. Sie war im Jahr 1942 sieben Jahre alt, sie besuchte die erste Klasse der Volksschule, war überdurchschnittlich begabt und konnte bereits nach sechsmonatigem Schulbesuch fließend lesen und fehlerlos schreiben, als ob sie schon die Matura hätte, dabei hatte sie in dieser Zeit zunächst erst die deutsche Sprache erlernen müssen, die in der Familie nicht gesprochen wurde. Ernst und klar hatte sie auch bereits die Entscheidung getroffen, daß sie später Medizin studieren werde. Sie "starb" im März 1943 im "Krankenzimmer" des Lagers Eichstätt in den Armen ihrer Mutter: Der Lagerarzt verabreichte ihr mit den Worten "Wollen wir mal probieren" eine Injektion, in dem Moment fiel ihr Köpfchen zur Seite und die Mutter hielt das tote Kind, die tote Verica im Arm. Als ich einige Zeit nach diesem Ereignis meine Mutter das erste Mal wieder sah -

Im Lager war eine Scharlachepidemie ausgebrochen; da die Stadtverwaltung befürchtete, diese könnte sich auf die Stadt ausbreiten - in der damaligen Zeit vor der Ära der Antibiotika war Scharlach eine gefährliche ansteckende Krankheit - erzwang sie von der Lagerführung, daß weitere erkrankte Kinder in das städtische Krankenhaus gebracht wurden. Dort waren wir Kinder in der Infektionsabteilung und erst nach einigen Wochen bekamen Eltern fallweise die Erlaubnis zum Besuch, sofern sie zur üblichen Zwangsarbeit in der Stadt selbst und nicht auswärts, abkommandiert waren.

ohne aber noch über das Schicksal meiner Schwester Veronika etwas zu wissen - erschien mir meine Mutter völlig fremd, fast konnte ich sie nicht wiedererkennen, sie war ganz verändert. Ich hatte den Eindruck, als würde sie sich durch zu Glas erstarrte Luft auf uns zu bewegen und als ob diese vereiste Luft knirschend an der Silhouette ihres Körpers herabrieseln würde. Und als dann der Vater die schicksalsschweren Worte "Veri je umrla" (Veri ist gestorben) aussprach, da dachte ich: "Jetzt müßte ich ja weinen"; aber angesichts dieser Mutter, die keine Worte hatte und ohne Tränen als ein einziger Fleisch gewordener Schmerz vor uns stand, angesichts dieser Mutter konnte ich meinen Augen keine einzige Träne abringen. An dieses Schreckensbild erinnerte ich mich, als ich las, wie Pre¾ihov Voranc nach der Befreiung aus dem KZ Mauthausen seine Erlebnisse im berüchtigten deutsch-nazistischen Konzentrationslager mit den Worten markierte: "Ich habe mich geschämt, ein Mensch zu sein!"

Die Rückkehr

Mit dem untröstlichen Schmerz "Veri ist gestorben" kehrten wir im Juli 1945 nach Kärnten/Koro¹ka zurück. Die Deutschen - diesmal die Kärntner Deutschen - so genau konnte ich damals noch nicht unterscheiden und das Wort Deutsche beinhaltete für mich eigentlich die Nationalsozialisten, denn nur solche Deutsche hatte ich bis dahin kennengelernt - steckten uns zunächst wieder in ein "Lager", in die Jesuitenkaserne in Klagenfurt/Celovec. -

Dem war ein tragisches Vorspiel vorausgegangen, das ich aber in meinem Freiheitsglauben und meiner Siegerstimmung nicht wirklich bedrohlich empfunden hatte, nämlich: Die englischen Besatzungsbehörden waren von der im Juli 1945 bereits wieder amtierenden Kärntner Landesregierung dahingehend informiert worden, daß es sich bei diesen Rückkehrertransporten um keine Kärntner handle und daß man diese weiterschicken solle, und so standen in Villach, wo der Zug stehen geblieben war, entlang der Waggons englische Soldaten mit Maschinengewehren im Anschlag und wollten uns nicht aussteigen lassen. Wir aber stiegen trotzdem aus und setzten uns auf unser Gepäck und ließen uns nicht einschüchtern. Nach langwierigen Verhandlungen konnte mit den Engländern geklärt werden, daß wir Naziopfer waren, die aus den Lagern in Deutschland auf ihre Bauernhöfe zurückkehrten, und so wurde unsere Freilassung zum zweiten Mal in die Wege geleitet. Ja, damals habe ich diese Angelegenheit eher komisch gefunden, aus heutiger Sicht war sie es aber nicht; heute, nachdem nach und nach an den Tag tritt, daß alle jene Besitzungen, die die Nazis geraubt - "arisiert" - hatten, in Fällen, wo die alten Besitzer nicht heimkehrten, weil sie vergast worden waren oder sonst irgendwie umgebracht wurden, daß all jenes Raubgut den Räubern geblieben ist - dafür gibt es unzählige, heute dokumentierte Beispiele - ja aus dieser Sicht war die Episode am Bahnhof Villach im Juli 1945 nicht so komisch; auf den Bauernhöfen der Kärntner Slowenen saßen nämlich "Optanten" aus Italien, Deutsche also, die im Sinne des Hitler-Mussolini-Paktes "heim ins Reich" gekehrt waren und hier in Kärnten Besitzungen erhalten hatten.

Von unendlichem Glück und tiefster Trauer

Danach konnten wir nach einigen Tagen endlich nach Hause, nach Svinèa vas/Zinsdorf auf unseren geliebten Tomanov dvorec/Tomanhof zurückkehren. Die Sonne schien, wieder erblickte ich die mir märchenhaft schön scheinende heimatliche Landschaft, die weiten Felder, die sich vor meinen Augen ausbreiteten, so weit, daß ich ihr Ende nicht sehen konnte; in der Ferne thronte noch immer der Hochobir und dieselben Berge wie einst begleiteten ihn zur Rechten und zur Linken. Diese Wärme, diese Sonne, diese Schönheit, die Freiheit, unser Haus - zwar ausgeraubt und verwüstet - aber unser einstiges und ewiges Heim, all das war wundersam und wunderschön und wunderbar; ich wollte mich diesen Empfindungen des Glücks, der Freude hingeben, da sagte jemand - ich weiß nicht mehr, war es der Vater, oder die Tante - : "Veri je pa morala umreti" ("Veri aber mußte sterben"). Und sofort brach in meinem Herzen wieder jener Schmerz auf, jener Schmerz, der geboren wurde, als ich damals meine Mutter "im Glas" gesehen habe, als ihr Schmerz so schrecklich gewesen war, daß die Luft um sie zu Eis erstarrt, zu Glas geworden war, das knirschend an ihr herunter rieselte als sie sich auf uns zu bewegt hatte. Und da schämte ich mich, daß ich noch lebte, wo doch "Veri gestorben war".

So vergingen die ersten Wochen der Freiheit zwischen Glück und Schmerz. Verwandte besuchten uns, die Eltern begannen mit großem Eifer Haus und Hof zu restaurieren, für uns Kinder holten sie einen jungen Slowenen - er hieß France Adamiè - als Hauslehrer, der uns unterrichtete, denn als Lagerkinder hatten wir kein Recht auf Bildung gehabt, die war dem deutschen Herrenvolk vorbehalten gewesen. Wir wollten nun bis zum Schulbeginn alles nachholen. So verging der Sommer, jeden Samstag beteten wir gemeinsam den Rosenkranz, am Ende immer ein besonderes Vaterunser "Za Verija" ("für Veri"). Es schien mir, als ob der ganze Rosenkranz nur dazu diente, daß die "Erinnerung an Veronika" auf diese Weise einen feierlichen, überhöhten Rahmen erhielt und so zum Ritual werden konnte.

Der Herbst und das erste Buch nach der Befreiung

Als dann im Herbst die Tage kürzer wurden und die Abende länger, damals brachte eines Tages mein Vater aus Celovec/Klagenfurt ein Buch mit nach Hause und gab es meiner Mutter; dabei sagte er, "zum Trost". Damit meinte er zum Trost für ihre Bücher, die nach der Deportation 1942 im Hause geblieben waren und von denen außer einiger angesengter Seiten bei unserer Rückkehr keines mehr da war, und die sie so sehr vermißte. Dies war das erste Buch, das nach der Befreiung aus dem nationalsozialistischen Lager in unser Haus gekommen war - nach der Befreiung aus dem nationalsozialistischen Lager, in dem wir drei Jahre, drei Monate und drei Tage zugebracht hatten (auch diese Formel wurde zum Ritual). Es war dies ein kleines Büchlein mit dem Titel "Od Kotelj do Belih vod" von Pre¾ihov Voranc, das mein Vater in Celovec/Klagenfurt erstanden hatte.

Dieses Büchlein ist heute in meinem Besitz. Es war in Ljubljana erschienen und trägt das Erscheinungsjahr 1945.

Meine Mutter hat natürlich das Buch sofort durchgelesen, dann lasen es meine beiden Tanten, dann noch der Vater. Und sie begannen über das Buch zu reden, sie machten einander auf das oder jenes im Buch aufmerksam, auf diesen oder jenen Ort, den sie darin vermerkt gefunden hatten. Ich hörte Namen, die ich bereits kannte - Gröblacher, das war ja ein Freund meines Vaters, mit den Vo¹perniks waren wir zusammen im Lager gewesen, aus Kostanje/Köstenberg waren die Kokots, die waren mit uns zusammen im ersten Lager in Rehnitz gewesen, auch den Namen Reichmann kannte ich, und noch viele andere - natürlich waren mir auch viele unbekannt, vor allem die Ortsnamen.

In meiner früheren Kindheit vor dem Kriege war ich nur bis Celovec/Klagenfurt gekommen; dorthin führte mich und meine Schwester Veronika die Mutter auf das erste Eis zum Zuckerbäcker Todor, in Pod Lipo pri Vovbrah/Unterlinden bei Haimburg war ich auf Besuch bei meiner mütterlichen Großmutter gewesen, sogar in Spodnje Vinare/Unternarrach in der Podjuna/im Jauntal bei meiner Taufpatin, der Schwester meines Vaters bei den Polcers am Lazarhof war ich bereits gewesen; ich wußte noch über Ljubljana, Slovenj Gradec und ©o¹tanj Bescheid - in Ljubljana hatten meine Eltern ihr Hochzeitsessen gehabt, aus Slovenj Gradec stammten ursprünglich die Eltern meiner Mutter, in ©o¹tanj war der Bruder meiner Mutter, der Onkel Pavel Pfarrer gewesen; und natürlich kannte ich Gospa Sveta/Maria Saal und die Dörfer unserer Umgebung.

Vertraute Namen von Orten/Personen und Melancholie

Mein Vater, meine Mutter und meine beiden Tanten kamen an den dunklen Herbstabenden immer wieder auf das Buch von Voranc zu sprechen. Irgendwie melancholisch unterhielten sie sich darüber, daß da oder dort vor dem Kriege noch ein slowenischer Priester gewesen war, es sonntags noch slowenische Messen gegeben habe oder gar einen slowenischen Kulturverein. Sie sprachen von Orten wie Domaèale/Damtschach, oder von dem Pfarrer, der noch zur Zeit des Besuches von Pre¾ih im Jahre 1930 nur einmal im Monat eine deutsche Predigt gehalten hatte, also war damals in Domaèale/Damtschach noch das Slowenische in der Kirche geläufig gewesen, oder sie erwähnten Strmec/Sternberg -

Als ich die dritte Klasse des Klagenfurter humanistischen Gymnasiums besuchte, und wir anläßlich des Wandertages nach "Lind ob Velden" (Lipa nad Vrbo) fuhren und dann nach "Sternberg" (Strmec) wanderten und von dort nach "Köstenberg" (Kostanje) und über "Kranzelhofen" (Dvor nad Vrbo) wieder hinunter nach "Velden" (Vrba), hat uns unser Professor natürlich nicht gesagt, daß alle diese Orte auch einen slowenischen Namen hatten; da ich aber die slowenischen Ortsnamen, die mir aus meinem Elternhaus bekannt waren, nicht mit den deutschen Bezeichnungen assoziieren konnte, ging ich durch slowenische Ortschaften und Gegenden, ohne dies zu wissen. So hat uns nach dem Zweiten Weltkrieg die Zweite Republik Österreich um unsere Identität betrogen. Dieselbe Zweite Republik, die ihre Wiedergeburt dem bewaffneten Befreiungskampf der slowenischen Partisanen zu verdanken hatte, denn die Alliierten hatten für die Wiedererrichtung der Republik Österreich als conditio sine qua non den Nachweis eines bewaffneten Kampfes gegen den Nazifaschismus auf österreichischem Territorium gefordert und dieser bewaffnete Kampf hatte in Österreich vor allem in Kärnten stattgefunden, denn hier hatten Kärntner Slowenen zusammen mit jugoslawischen und alliierten Partisanen militärischen Widerstand geleistet. Auf diesen Widerstand konnte sich Österreich berufen, als es darum ging, ob es eine Zweite Republik geben werde oder nicht.

und sie wunderten sich über die Zeugenschaft Pre¾ihs, warum der slowenische Provisor Ojcinger von dort wegversetzt wurde, sie wunderten sich auch über den Pfarrer Fritz in Kranzelhofen/Dvor nad Vrbo, der seine Predigten beharrlich in slowenischer Sprache hielt, denn die "deutschen" Pfarrkinder aus der Filialkirche Velden/Vrba erschienen sowieso nie in der Kirche; mit Hochachtung kommentierten sie den Bericht Pre¾ihs, wie jener Pfarrer Fritz für die Glocken der Filialkirche in Velden auch eine slowenische Inschrift verlangte und wie er von den Veldenern ausgetrickst worden war.

Kostanje/Köstenberg, Dholica/Techelsberg, Poreèe/Pörtschach, Jezerce/Jeserz, Dvor/Kranzelhofen, Vrba/Velden, Lipa/Lind, ®opraèe/Selpritsch ... - das waren Orte, von denen ich damals (natürlich nur in ihrer slowenischen Namensform) erstmals hörte, die den Eltern und meinen beiden Tanten aber offenbar bekannt waren; ebenso schienen ihnen die Familiennamen Draga¹nik, Kakl, Rainer, Fale ... völlig vertraut. Diese Familiennamen und Ortsnamen riefen bei meinen Eltern und den beiden Tanten eine gewisse Melancholie, Trauer, Verwunderung hervor. Damals erahnte ich, daß diesen Menschen und Orten irgendwelche schwerwiegende, schicksalhafte Dinge zugestoßen waren.

So also ist Pre¾ihov Voranc über ein Buch, das bei meinen Eltern und meinen Tanten augenscheinliche Melancholie und Verwunderung bewirkt hatte, in mein Leben getreten.

II. Die Parabel der Voranc'schen Kurzgeschichten "Wenn die Gail und die Drau zurückfließen ... " und "Das Maria Saaler Feld"

Erst viel später wurde mir klar, was meine Eltern so traurig gestimmt hatte; es war die erste kurze Geschichte in diesem Büchlein gewesen, nämlich eine Kurzgeschichte in Form einer Reisereportage mit dem Titel, "Èe Zila noj Drava nazaj potaèo ... " ("Wenn die Gail und die Drau zurückfließen ... "). In dieser verarbeitet Voranc den Verfall des slowenischen Volkstums in Kärnten im Jahrzehnt nach der Kärntner Volksabstimmung und der Abtrennung der Slowenen in Kärnten vom gesamtslowenischen ethnischen Territorium; und dann beunruhigte meine Eltern auch noch die Erzählung "Gosposvetsko polje" ("Das Maria Saaler Feld"(6)), in der Celovec/Klagenfurt und das Gosposvetsko polje/Maria Saaler Feld oder Zollfeld, die Voranc zu seiner literarischen Landschaft macht, eine zentrale Rolle spielen.
Für uns war Celovec/Klagenfurt der administrative und wirtschaftliche Bezugsort, dorthin fuhren meine Eltern jeden Donnerstag, dem Markttag der Stadt; auch sie spannten ihre Pferde im Einkehrgasthaus Trabesinger aus, nach Gospa Sveta/Maria Saal aber gingen wir an bestimmten Sonntagen sogar zu Fuß zur Messe.

In beiden Erzählungen spielt die Fabel gerade in unserem Teil Kärntens, in jenem Teil nämlich, der in der Geschichte des slowenischen Volkes und in seiner Kultur eine so bedeutende Rolle spielt, da er zur Zeit des unabhängigen slowenischen Staates, des Karantanischen Fürstentums dessen geographischen Mittelpunkt bildete und weil die iro-schottische Missionierung der Slowenen mit dem heiligen Modestus in Gospa Sveta/Maria Saal ihr geistliches Zentrum errichtet hatte.

So konnten meine Eltern sozusagen in jeder Zeile etwas finden, was sie betroffen machte, was sie kannten - einen Menschen, einen Ort, ein Ereignis - und so fühlten sie sich auch selbst als Teil dieser Erzählungen. Pre¾ih hatte sie zu Mitakteuren seiner Geschichten gemacht, indem er die Orte, Menschen, Ereignisse literarisch verarbeitete, die auch sie kannten, die auch ihnen bekannt und nahe waren, an denen sie selbst beteiligt gewesen waren. -

In der Zeitschrift Celjski Zbornik 1971-1972 S. 209-271 fand ich eine biographische Abhandlung von Fran Ro¹ unter dem Titel "Sreèko Puncer, njegovo ¾ivljenje, delo in boj." Eine Passage daraus könnte ein Bild der Verhältnisse zur Zeit der Volksabstimmung wiedergeben. Sreèko Puncer aus dem Savinjatal, geboren 1896, trat 1909 ins Gymnasium in Celje ein. Er entwickelte sich zu einem engagierten Wissenschaftler und Dichter. Im Rahmen des neugegründeten Vereins "Kondor" publizierte er historische Artikel und Literaturkritik, er schrieb auch Gedichte - sein Leben endete am 29. April 1919.

Fran Ro¹ schildert den Schicksalstag so:
" ... Vor Vovbre/Haimburg - aus dem Grün der Felder in der leicht gewölbten Umgebung erhoben sich Gestalten, die mit Gewehren und Granaten in Händen dahineilten. Von beiden Seiten krachten Schüsse. Es ratterte ein Maschinengewehr, dazwischen hörte man Rufe. Es waren Soldaten des 3. Mariborer Bataillons, die in einer eher lockeren Reihe in das Dorf vordrangen. Nur noch wenige Schüsse fielen. Am anderen Ende sah man nun eine handvoll fliehender Menschen - es waren Heimwehrleute. Das slowenische Vovbre war wieder unser! Ein hinkender Feldwebel munterte die Soldaten auf, nun nicht stehen zu bleiben, da man den Feind ohne Atempause weiter verfolgen müsse. Die Menschen wagten es noch nicht ihre Häuser zu verlassen, als nach den Kämpfenden ganz erhitzt Sreèko ins Dorf gerannt kam. Er wußte um einen angesehenen slowenischen Bauernhof hier, das Haus der Familie Gril vlg. Mentel. An der Türschwelle begrüßte ihn die Hausfrau, eine kräftige, gute Frau. Sie war froh, daß die Heimwehrleute ohne größeren Widerstand das Dorf verlassen hatten, daß sie nun von der Angst erlöst war. - Ja für immer gerettet, wir haben ja in ganz Kärnten angegriffen und sind im Vormarsch, bestätigte ihr Sreèko, überzeugt, daß es wirklich so war. Vielleicht werden wir schon morgen in Klagenfurt sein. Dann ist der Kampf zu Ende. Jugoslawien hat und wird Kärnten nicht vergessen ...
An diesem Morgen hatte er noch nichts gegessen. Er war froh über die Einladung und trat mit der Hausfrau in die geräumige Küche. Dort auf dem Herd stand ein Topf mit frisch aufgekochter Milch. Diese goß sie ihm in eine Schüssel und stellte einen Teller geschmalzenen Maissterz vor ihn. Das Gewehr lehnte er an die Wand, zog den Mantel aus und legte die Tragtasche ab. Mit großem Appetit machte er sich an das ausgiebige Frühstück. Er sagte noch: "ich habe es eilig, ich muß ihnen nach".
Hier in der Küche hielten sich auch zwei Kinder, ein Sohn und eine Tochter des Hauses, auf. Der Hausherr hatte sich beim Holzfällen das Bein arg verletzt und lag in der Kammer. Die Magd hielt gerade Nachschau beim Vieh. Draußen fielen plötzlich wieder Schüsse und mit ihnen waren Schreie hörbar. Es mußten mehrere Maschinengewehre sein, die da losratterten. Als ob ein schon entferntes Gewitter zurückgekehrt wäre. Sreèko griff nach seinem Gewehr und trat wieder auf die Hausschwelle. Es krachte immer stärker und häufiger und zwar ganz aus der Nähe. In der Küche setzte sich die Frau Gril auf einen Sessel in der Ecke und begann sich erschreckt zu bekreuzigen. Zu ihr an die Wand hockten sich die beiden Kinder. Sreèko sah wie zwei unserer Kämpfer atemlos in die Nähe des Hauses gerannt kamen. Mit der Hand deutete er ihnen, sie sollten stehen bleiben, doch sie gehorchten ihm nicht. Auch von der anderen Seite näherten sich einige der Unsrigen, es waren deren fünf. Hart krachte es und einer von ihnen, ein noch ganz junger Bursche, taumelte, griff sich an die Brust, ging in die Knie und fiel zu Boden. Eine Niederlage? War das möglich? Soll er auch selbst die Flucht ergreifen? Dies wäre eine schreckliche Schande! Die Verstärkungen müssen jederzeit eintreffen! Wo ist nur Stoikoviæ? Und schon waren auch die anderen da! Es waren fünf und noch mehr näherten sich im Eilschritt dem Haus, zwei hatten Granaten in ihren Händen. Hinter ihnen schrien noch andere und schossen hinter den Flüchtenden nach. Die Heimwehrleute hatten Sreèko noch nicht bemerkt. Er trat ins Haus zurück. Er war allein, würde er sie angreifen, würden sie ihn auf der Stelle erschlagen. Er legte sein Gewehr auf den Boden. Sie traten ein - gleich ihrer fünf! Mit bösem Blick schweifte der Unteroffizier durch die Küche - es war wohl der bekannte einheimische Haimburger Führer und verräterische Abtrünnige. Überrascht blieb er vor Sreèko stehen und schleuderte ihm in rohem Deutsch brutal durch die Zähne entgegen: Ha! Du Hund aus Völkermarkt! Ich kenne dich! Du wirst nicht mehr schreiben und schwatzen! - "Ich ergebe mich, ich kann nicht anders", brachte Sreèko hervor und hob die Hände ohne Waffe. Doch ... Ein Schuß aus dem Gewehr durchbohrte seine Brust. Er begann zu röcheln und fiel auf den Rücken. Alles verschwamm vor ihm und entglitt ihm und er entglitt allem. Schatten bedeckten ihn, doch selber spürte und hörte er sie nicht mehr. Für ihn gab es nichts mehr. Am Hals beim Kragen kamen rote Blutstropfen hervor, da er sich noch in Krämpfen wand. Dann aber bohrte sich noch die stählerne Klinge eines Bajonettes durch seinen Mund hindurch tief in den Holzboden der Küche. Auch das Holz wurde vom Blut des noch nicht vierundzwanzigjährigen Lebens eingegossen. Die Kulturflüchter raubten ihm und den anderen vier Kameraden, die hinter dem Dorf gefallen waren alles, was einigen Wert hatte, sogar einen Teil der Kleidung und Wäsche. Die silberne Uhr Sreèkos tickte in ihren Händen weiter. Dann stürmten sie fort, in Richtung Völkermarkt. Noch am selben Nachmittag haben die Bauern aus dem Dorf alle fünf Opfer in einem Gemeinschaftsgrab an der Mauer der alten Haimburger Kirche begraben ..."

Die Grenze der Geschichte durchs eigene Haus

Die Tochter des Hauses - eines der Kinder in der Küche - war meine Mutter. Viele Male hat sie mir von diesem schreckliche Erlebnis erzählt. Wie damals die Front geradewegs durch das Mentelhaus verlaufen war, und daß sie sich im Keller verstecken mußten. Als einmal eine Stille eingetreten war, waren sie heraufgekommen, und es geschah das, was der oben zitierte Bericht schildert. Dieses Bild konnte sie bis zu ihrem Tod nicht vergessen, wie der Heimwehrmann den bereits tödlich getroffenen slowenischen Soldaten mit dem Bajonett an den Boden nagelte und wie sich das Blut auf den Holzboden ergoß und wie noch nach Jahren an dieser Stelle ein dunkler Fleck zu sehen war. Nie aber hat meine Mutter, die damals 14 Jahre alt war (Zofija Sturm, geb. Gril vlg. Mentel, 1905-1978) erfahren, wer dieser so grausam massakrierte Soldat gewesen war. Nach diesem Ereignis hat die Familie das Haus verlassen und ist geflüchtet.
Auch mein Vater (Andrej Sturm vlg. Toman 1895-1978), der zehn Jahre älter war als meine Mutter, hat als Slowene den Zerfall der Habsburgermonarchie, die Entstehung der neuen Staaten, die Zeit der kriegerischen Auseinandersetzungen im vorplebiszitären Kärnten miterlebt. Doch liegt unser Dorf Svinèa vas/Zinsdorf am rechten Ufer des Gurkflusses, so daß es zur Zone B gehörte, in der es zunächst keine Volksabstimmung geben sollte, wo es daher auch keine kriegerischen Handlungen gab, bzw. war hier die jugoslawische Armee nicht einmarschiert. Aber er hat nach der Volksabstimmung, als die Hermagorasgesellschaft von Klagenfurt nach Celje übersiedelte, die Druckereimaschinen gerettet, indem er sie über die Gurk brachte.
Durch diese wenigen Angaben wird bereits viel klarer, warum das Büchlein von Voranc, insbesondere die zwei Erzählungen aus dem nachplebiszitären Kärnten meine Eltern und meine beiden Tanten so sehr berührte, und sie sich so intensiv damit befaßten, daß es sogar einem Kind auffallen mußte.

 

III. Lovro Kuhar - Pre¾ihov Voranc (1893-1950)

Wir können mit Recht behaupten, daß mit Lovro Kuhar, bekannt unter dem Vulgo- und Künstlernamen Pre¾ihov Voranc, die slowenische Literatur einen großen Schriftsteller aus Kärnten erhalten hat, von ihm stammen die schönsten und ergreifendsten Texte über das Schicksal der slowenischen Menschen im Kampf um seine Menschenwürde und im Kampf um sein Überleben. Und wie Maxim Gor'ki(7), Jack London(8) oder Martin Andersen Nexö(9) ist er einer der großen Autodidakten der Literatur. Seine Inspirationen holt er aus seinen persönlichen Erfahrungen während des Ersten Weltkrieges, seines sozial- und nationalpolitischen Kampfes und aus seinen Kindheitserlebnissen.

Voranc war in Kotlje im Me¾icatal geboren, in der Familie eines Pächters fast ohne eigenen Grund und Boden. Diese Keuschler waren neben den Stahlarbeitern in der Fabrik in Ravne eine zweite Sorte von rechtlosem Proletariat in ständiger Not; und die Keuschler waren ebenso Slowenen wie die Fabrikarbeiter. Voranc wuchs in einer Zeit und einem Raum auf, die voll von Antagonismen waren, die die Wirtschaftskrise bis ins Unerträgliche steigerte, indem sie unüberbrückbare Gegensätze zwischen den Klassen schuf: Die Fabriksbesitzer gegen Fabriksarbeiter, die Großgrundbesitzer gegen die landlosen Keuschler, die (meist wohl aus sozialer Not) assimilationswilligen Slowenen gegen jene Slowenen, die sich ihrer eigenen Kultur bewußt waren.

Not, Würde und Kultur

Im Hause der Familie Kuhar vlg. Pre¾ih aber wurde trotz der offenkundigen Not die slowenische Zeitung "Mir" abonniert und es gab die Bücher der Hermagorasgesellschaft, außerdem gab es auch noch den "Domaèi prijatelj". Diese Zeitschrift ließ der tschechische Fabriksbesitzer Vyder zu seinen Kaffee-Ersatzprodukten als kostenlose Reklame herausgeben. Die Zeitschrift erschien in verschiedenen Sprachen in Prag. Von 1904 bis 1914 war die Redakteurin der slowenischen Ausgabe Zofka Kveder,(10) die die erste slowenische Frau war, die sich als Berufsschriftstellerin ihren Lebensunterhalt verdiente.

An Hand dieses Schriftmaterials konnte sich der junge, gescheite und lernbegierige Voranc nach Abschluß der utraquistischen Volksschule weiterbilden; als ältester Sohn mußte er zu Hause bleiben, um den Vater bei der Arbeit zu unterstützen. Mit diesen in slowenischer Sprache geschriebenen Materialien hat sich Voranc trotz der harten Lebensumstände, unter denen seine Familie und die Menschen seines Tales überhaupt leben mußten, autodidaktisch weitergebildet, geformt und hat ein soziales und "nationales" Gefühl entwickelt, das höchste ethische Ansprüche erfüllte. Schon sehr früh brachte er seine Anliegen in literarischer Form zum Ausdruck.
Im April 1909, Voranc war noch keine 16 Jahre alt, erschien in der slowenischen Zeitung "Mir" in Celovec / Klagenfurt seine erste publizierte literarische Skizze "V tujino" ("In die Fremde"). Im August desselben Jahres erschien im "Domaèi prijatelj" in Prag die literarische Skizze "Petkov Cenc" ("Der Petek Cenc").

Zofka Kveder's "kleiner Gorki"

Zofka Kveder erkannte das Talent des jungen Mannes und publizierte von nun an regelmäßig seine Kurzgeschichten. Im Jahre 1912 hielt sie fest: "...und der junge Pferdeknecht aus Kärnten ist fast ein kleiner Gor'ki, obwohl er nie etwas anderes gelesen hat, als die Bücher der Hermagorasgesellschaft."(11)

Im Jahre 1912 bot sich Voranc die Möglichkeit, die Genossenschaftsschule in Ljubljana zu besuchen; dort knüpfte er neue Verbindungen an und begann in der sozialistischen Zeitung "Zarja" und im "Slovenski ilustrirani tednik" zu publizieren; sogar in die renommierte Literaturzeitschrift "Ljubljanski Zvon" drang er mit seiner Erzählung "Tadej pl. Spobljan" vor. Im Jahre 1914 , inzwischen hatte er wieder zu Hause mitgearbeitet, ermöglichte ihm der reformkatholische Priester und Begründer des Genossenschaftswesens für die slowenischen Bauern, Janez Evangelist Krek (1865-1917), den Besuch eines Kurses über das bäuerliche Genossenschaftswesen in Wien, der vom 2. Jänner bis zum 30. April dauerte.

Da er im Juli 1914 bei der Musterung angenommen wurde, mußte er bei Ausbruch des Krieges am 1. August einrücken. Dieser Krieg erschien ihm als Slowenen und Sozialisten völlig sinnlos, und so desertierte er 1916 in Italien.

Er kehrte erst 1919 nach Hause zurück. Im Oktober desselben Jahres erhielt er einen Arbeitsplatz im Stahlwerk Ravne in seinem Heimattal. Als politisch aktiver Mensch übernahm er das Amt des Parteisekretärs der lokalen Sektion der sozialdemokratischen, später kommunistischen Partei Jugoslawiens.(12)

Flucht ins mythische Land

Am 6. Jänner 1929 wurde das damalige Jugoslawien (Königreich SHS) in eine Militärdiktatur umgewandelt. Dieses sogenannte 6.-Januar-Regime begann systematisch alle Kommunisten zu verfolgen. Im Jahre 1930 wurde die kommunistische Organisation im Me¾icatal aufgedeckt und Voranc entging der Verhaftung durch seine Flucht auf die österreichische Seite Kärntens; er nahm Zuflucht bei seiner Tante Mici in Loga vas / Augsdorf am Wörthersee - damals verbrachte er sechs Monate im österreichischen Teil Kärntens.

In dieser Zeit konnte Pre¾ih feststellen, daß sich seine Befürchtungen hinsichtlich des Assimilationsdruckes auf die Slowenen in der Republik Österreich bewahrheiteten: das slowenische nationale Bewußtsein begann schwächer zu werden, der Germanisierungsdruck seitens der deutschen Institutionen hatte schicksalsschwere Folgen.

Pre¾ihov Voranc' Universalität

Hier möchte ich die beiden literarischen Texte von Pre¾ihov Voranc vorstellen, die meine Eltern so sehr berührt hatten und in denen sein künstlerisches Credo vordergründig faßbar wird: Pre¾ihov Voranc stellte in den Mittelpunkt seiner Werke den Menschen zwischen seinen individuellen Hoffnungen und den gesellschaftspolitischen Gegebenheiten, denen er ausgeliefert ist, der aber trotzdem auf sein Recht auf Menschenwürde nicht verzichtet. Die Menschenwürde ist auch das zentrale Thema seines Oeuvres und seiner dichterischen Botschaft.

Menschenwürde versus Nationalstaat

Pre¾ih war also im selben sozio-ökonomischen Ambiente aufgewachsen, wie die slowenischen Kinder der anderen slowenischen Gebiete Kärntens, die damals noch größtenteils eine geschlossene slowenische Besiedlung aufwiesen (das Jauntal/Podjuna, das Klagenfurter Becken/Celov¹ka kotlina, das Zollfeld oder Maria Saaler Feld/Gosposvetsko polje, Die Süd- und Nordabhänge des Wörthersees/Vrbsko jezero, das Rosental/Ro¾ und das Gailtal/Zilja).(13)

Und wie diesen wurden ihm über die Schule die deutsche Sprache und Kultur aufgezwungen und seine slowenische Sprache und Kultur als etwas Minderwertiges/Unnötiges desavouiert. Dies geschah in den sogenannten utraquistischen Schulen(14), die in Wirklichkeit vor allem dazu dienten, den Kindern die deutsche Sprache beizubringen, die danach die einzige Sprache und auch zur einzigen Kultur wurde, die in diesen Schulen unterrichtet wurden.
Im Jahre 1945, nachdem er den Terror des nationalsozialistischen Regimes im KZ überlebt hatte, als er wieder in der Heimat war, gab Pre¾ihov Voranc jenen Erzählband heraus, der auch jene zwei Erzählungen enthält, deren literarische Landschaft in Mittelkärnten angesiedelt ist; in eben jener Region, die zur Zeit seiner Kindheit und Jugend Teil seines Vaterlandes innerhalb der Habsburgermonarchie gewesen war. Der Band trägt den Titel: "Od Kotelj do Belih vod" (Ljubljana 1945 - Es ist eben der Band, den mein Vater meiner Mutter gebracht hatte).
Die Helden dieser Erzählungen kommen aus der Schicht der allerärmsten Bergbauern, Keuschler und Pächter, die zu den Beleidigten und Erniedrigten der letzten Dezennien des Bestandes der Habsburgermonarchie zählten.

Pre¾ih aber verstand es, dieses soziale Drama in seiner ganzen Wirkung aufzuzeigen, indem er zu seinen literarischen Helden Frauen und Kinder macht, die zusätzlich noch im eigenen sozialen Ambiente mitleidslos unterdrückt wurden. Dabei aber zeichnet Pre¾ih keine passiven Helden. Auch wenn sie sich nicht physisch verteidigen können, sie erleben ihre Schmerzen und Erniedrigungen bewußt als Unrecht, gegen das sie sich innerlich empören. Sie entwickeln in ihrem Bewußtsein die Überzeugung, daß sie ein Recht auf Widerstand und ein Recht auf Menschenwürde haben. Und sie realisieren und leben diese Menschenwürde dort, wo es ihnen niemand verbieten kann: im ästhetischen Genuß der Schönheit der Natur und in ihrer Fähigkeit zur Liebe, die die einfache instinktive Liebe übersteigt und sie befähigt, universelle Dimensionen zu erreichen. Das wiederum befähigt sie zu einer Spiritualität, die sie dem Künstler gleichstellt.

IV. Die Botschaft des sprachlichen Kunstwerks: Mythos, Realität und Vision

Im Vordergrund der beiden Erzählungen, "Èe Zila noj Drava nazaj potaèo ... " / "Wenn die Gail und die Drau zurückfließen ... " und "Gosposvetsko polje" / "Das Maria Saaler Feld", stellte Pre¾ih zwei Landschaften Mittelkärntens: einerseits den Wörthersee/Vrbsko jezero mit seinen Abhängen und andererseits das Maria Saaler Feld/Gosposvetsko polje, das einst das historisch-geographische politische Zentrum des Karantanischen Reiches gewesen war; dort befindet sich die Kirche Sancta Maria in sole oder Sancta Maria ad Charantanum, die zur Zeit der Christianisierung der Slowenen im achten Jahrhundert zu ihrem spirituellen Zentrum geworden war. Dieses Maria Saaler Feld/Zollfeld(15) bildet den Nordbogen des Klagenfurter Beckens/Celov¹ka kotlina.

Die Landschaft als Ko-Akteur

Beide Erzählungen handeln von den Spannungen und Existenzproblemen der slowenischen Bevölkerung. Die beiden Landschaften erhalten außer ihrer einfachen ästhetischen Funktion in den Erzählungen noch eine viel tiefere Bedeutung: Sie werden zu Mitakteuren und aktiven Teilnehmern der literarischen Aktion.
Pre¾ih wendet in der Narration, die nur auf den ersten Blick naiv erscheint, ein ganzes Spektrum von subtilen stilistischen Kunstmitteln an, mit denen er die Aktion und seine künstlerische Botschaft intensiviert.

Mittelkärnten wird in diesen beiden Erzählungen zur literarischen Landschaft, die Pre¾ih ganz bewußt ausgewählt hat, um sie in ihrer Rolle zu überhöhen und in seine dichterische Botschaft einzubeziehen, so wie er auch mit den menschlichen Protagonisten verfährt.

V. "Èe Zila noj Drava nazaj potaèo ... " / "Wenn die Gail und die Drau zurückfließen ... "

Diese Erzählung von der Wanderung durch das Land Drabosnjaks ist eine poetische Parabel auf das slowenische Bewußtsein der Bevölkerung unter dem Germanisierungsdruck während des ersten Jahrzehnts nach der politischen Trennung vom ethnischen Territorium.

Land des Sees

Mit der Erzählung "Èe Zila noj Drava nazaj potaèo"(16) schuf Pre¾ihov Voranc ein wunderschönes literarisches Denkmal der Kärntner Slowenen, voller Melancholie und Anmut. Sie waren nach dem Zerfall des Habsburgerreiches von der Gesamtheit der slowenischen Nation abgetrennt und zu einer Minderheit in der Republik Österreich geworden.(17) Während des ersten Dezenniums bereits ging ihre Anzahl wegen des starken Assimilationsdruckes sichtbar zurück.(18)
Pre¾ih beschreibt Ortschaften und Landstriche rund um den Wörthersee/Vrbsko jezero, die damals noch slowenisch waren, wo noch Slowenen lebten.
Die Erzählung ist weder eine Reisebeschreibung noch eine Reportage, sondern eine eigenwillige literarische Schöpfung, die eine große Anzahl von Persönlichkeiten präsentiert, fast wie in einem Roman.

Sie ist im Jahre 1930 angesiedelt, als der Autor (der damals aus Jugoslawien fliehen mußte), der der Ich Erzähler ist, in dieser Region Zuflucht bei einer Verwandten gesucht hatte.

Indem er die Landschaft und die Menschen beschreibt, die er bei seinen Wanderungen vorfindet, macht er historische Exkurse in die Zeiten der Legende, als eine Stadt im See versunken war, in die Zeiten der Römer, die Zeit des slowenischen Fürstentums Karantanien, und so weiter. Zu Beginn personifiziert Pre¾ih den Wörthersee und die ihn umgebende Natur, und macht ihn so zum Protagonisten seiner Erzählung:

... Im Sommer ist der Wörthersee lebhaft, stürmisch; eine Kette von Villen, Hotels rund um sein Ufer verdichtet sich da zu einem dröhnenden Echo von Musik, allerart von Motorengeräusch, dem Jargon kontinentaler Großstädte; Staub, Parfum, Benzin, Asphalt verdichten sich in Vrba (Velden), Poreèe (Pörtschach), Kriva Vrba (Krumpendorf) und auch schon auf dem gegenüber liegenden Ufer in Otok (Maria Wörth) und Ribnica (Reifnitz) in einen wahren Orkan touristischen Treibens, so daß du aufmerksam hinhören mußt, wenn du das Flüstern der Wellen hören willst; und es scheint dir, daß die wenigen Wälder, die noch bis zum See reichen, vom Ufer zurücktraten und sich vorübergehend weit zurückgezogen haben. Und wenn du noch so aufmerksam zuhörst, und sogar wenn du dich auf den Wasserspiegel begibst, du kannst während der Saison das geheimnisvolle Läuten der versunkenen Glocken und das Seufzen jener versunkenen Stadt nicht hören, die in fernen Zeiten von den Wassern des Sees überflutet worden war ...(19)

Von den Glocken, die mit der Sprache verstummten

In der Folge verleiht Pre¾ih diesen Glocken und ihrem Klang eine symbolische Bedeutung: ihr Läuten symbolisiert das slowenische Wort; dort, wo es noch gesprochen wird, hört man auch die Glocken der versunkenen Stadt in dem Maße, in dem die Sprache des Landes noch lebendig ist.
Pre¾ih beschreibt dieses Lautbild in rhythmischer Prosa und bedient sich eines der Stilmittel der Symbolisten indem er die Klangebene der Sprache als Mittel der Perzeption einsetzt , z.B.

... wenn du in dieser angespannten, von Benzin und Parfum gesättigten Atmosphäre die Glocken hören willst, dann mußt du vom See weggehen, in seine Umgebung, in die Hügel, nach Hodi¹e (Keutschach), Loga vas (Augsdorf), Dholica (Techelsberg), oder aber nach Dvor (Kranzelhofen), nach Kostanje (Köstenberg), Strmec (Sternberg) bis nach Domaèale (Damtschach), nach Lipa (Lind) und ®opraèe (Selpritsch) ... Dort scheint es dir, daß du die Glocken hören kannst, manchmal stärker, manchmal schwächer, dann kaum hörbar, abklingend bis sie verstummen ... In Loga vas (Augsdorf) scheint es dir, daß die Glocken dröhnen, als ob am großen Sonntag die Draga¹niks, Ko¹irs, Kakls und Rainers alle Glocken auf einmal läuten würden, und dieses Geläute begleitet dich, wenn du gegen ®opraèe (Selpritsch) gehst, dann wird es schwächer, gegen Lipa (Lind) hört man noch die große Glocke wie sie an das obere Rosental schlägt, aber ihre Stimme ist schon vereinsamt, manchmal wird sie still ... stirbt ab, verstummt - dann wieder schwillt sie an und noch unsicher ertönt sie bis nach Vrba (Velden), wo sie sich in den Föhrenwäldern verliert ...(20)

Pre¾ih verwendet auch das Stilmittel der Antithese, die er in der Art des slowenischen Schriftstellers und Symbolisten Ivan Cankar erweitert. Die Schönheit der Landschaft des slowenischen Kärnten wird der modernen deutschen Technologie entgegengesetzt, wenn er schreibt:

... Der See, die Seen, enge Täler, weiße Flüsse, Hügel, stille Zufluchtsorte, Felder, Wälder, braune Äcker und überall Grün, prächtig ausladende Häuser, bescheidene Keuschen, die hohen Wände der Karawanken, altertümliche Kirchen, Burgruinen, Wegzeichen, Wege und Stege mit der Poesie versunkener Glocken, seufzender Städte, verwünschter Schlösser und der Liebe! ... Das Leben, das dieses Land in seiner Ursprünglichkeit atmet, ist weich, gewellt, wie die Wasserspiegel seiner geheimnisvollen Seen; darüber aber liegt Resignation, ...(21)

Mit dieser Aufzählung faßt Pre¾ih die Schönheiten des Landes zusammen, um gleich darauf die Antithese folgen zu lassen:

... und unter dieser Resignation jubelt der glatte Asphalt, und rattert schon seit Jahrzehnten in den riesigen Strudel übersättigter Energie von Millionenstädten, Krupp'schen Fabriken, unerreichbaren Buchauflagen, der hundertprozentigen Kultur Bismark'scher Quadratschädel, Wesen mit kubischen Gehirnen, verrückt gewordener Dynastien, bewunderter Monarchen, vergessener Liebknechte, der überschäumend an die Karawanken schlägt ...(22)

Wenn Namen sprechen könnten

Mit derselben Absicht verwendet Pre¾ih das Stilmittel der Antonomasie, wenn er verschiedene Namen, die zu realen Persönlichkeiten gehören, aufzählt, die dann aber die ganze Familie, Verwandtschaft, Gruppe, Stamm, d.h. alle Kärntner Slowenen einbeziehen und bedeuten:

... In der Stadt glaubst du den Drabosnjaks, Ahaceljs, Einspielers, Serajniks, Jane¾iè,. Majars und so vielen anderen zu begegnen ... , die einst die Glocken läuteten in der versunkenen Stadt des gekrümmten Sees, der im Glanz der sprühenden Lichter und blinkender Reflexe unter dir liegt ... Das Becken ist voll abendlicher Pracht, Arien, Leben, das fast bis hier herauf reicht und versucht, mit seiner aufgewühlten Oberfläche die letzten Echos der versunkenen, aber doch noch klingenden Glocken, zu erreichen, um sie samt ihren Glöcknern in ewiges Schweigen zu stoßen ... (23)

Und die versunkene Stadt wird zum Symbol für das verlorene Kärnten, wie der Klang der Glocken zum Symbol für die slowenischen Sprache wird.
Pre¾ih macht auch reale Persönlichkeiten, die zu der Zeit noch lebten, zu Protagonisten seiner Erzählung: den Pfarrer von Dvor/Kranzelhofen Jo¾e Fritz (1861-1939), wie er gegen das bischöfliche Ordinariat der Gurker Diözese und die nationalsozialistisch eingestellten Einwohner Veldens kämpfte; oder den Pfarrer von Domaèale/Damtschach, Karl Marasek (1888-1959), der, wie der Ich-Erzähler berichtet, einmal im Monat deutsch zu predigen bereit war.

Passionsspiele des revolutionären Bauerndichters Drabosnjak

Andrej Schuster Drabosnjak (1768-1825), einem der sogenannten "Bukovniki", der slowenischen Kärntner Bauerndichter, widmet Pre¾ih in dieser Erzählung einen Abschnitt, der ein einzigartiges literarisches Zeugnis darstellt. Die Worte Pre¾ihs klingen und werden zum Hohelied der Menschenwürde an sich und der Würde des slowenischen Menschen in Kärnten, der sich der Assimilation und dem deutschen Nationalismus widersetzt. Es heißt:

... Drabosnjak war ein Revolutionär. Er pflügte auf den Drabosnjak'schen Äckern die Furchen und machte "Reime", er schrieb Passionsspiele und richtete sich in der Keusche eine eigene Druckerei ein: Die Druckerei hat ihm die österreichische Polizei mit Keulen zerschlagen und sie verbrannte die Früchte seiner Mühe und Arbeit auf dem Scheiterhaufen, ihn aber steckte sie ins Gefängnis, obwohl seine Reime die Ehre Gottes in der Höhe und den Frieden der Menschen auf Erden priesen. Der Bauernhof ging zugrunde und er starb körperlich und seelisch geschlagen. Aber er war ein Revolutionär, denn er erkühnte sich vor mehr als hundertfünfzig Jahren eine Druckerei einzurichten, eine Untergrund Druckerei, um das slowenische Wort zu schreiben und zu drucken. Drabosnjak ist das Vorzeichen einer neuen Epoche, ein Blitz am Horizont, der aus der Dunkelheit hervorschnellte und ohne Flamme erlosch, erstickt im Meer der österreichischen und deutschen, der deutschen und österreichischen Hofbürokratie, die aus der Kultur ein Archiv kahlköpfiger Schriftgelehrter machen wollte, aus der Freiheit eine Weide für bärtige Ziegenböcke, die jeden Trieb sofort auffressen und unverdaut von sich werfen; auf alles zusammen aber wollte diese Bürokratie ein mindestens tausend Tonnen schweres bronzenes Denkmal mit einer Gruppe von Lindwürmern setzen, die Wasser speien und spritzen ... Deshalb kennt auch der Kärntner Wutte den Drabosnjak nicht, denn auf den bescheidenen Blättern, die von ihm geblieben sind, gibt es keine gehörnten Siegel mit Schlangen, Krallen und Teufeln. Was die Geschichte nicht mit diesen Siegeln verbinden kann, das ist kein Dokument für sie - das ist Revolution, auch für einen Wutte(24). Drabosnjak aber ist trotzdem aufgestanden, hat gesagt was er zu sagen hatte und ist dann in die Wälder von Domaèale (Damtschach) verschwunden ...(25)

Pre¾ih erreicht eine noch größere Bewegtheit und Fülle des Bildes, das er von Kärnten zeichnen will, auch dadurch, daß er zwei Erzähler alternierend einsetzt: einmal ist es der Ich Erzähler, der Dinge erzählt, die er real sieht, hört, erlebt, dann verschwindet dieser wieder, und ein unsichtbarer Erzähler in dritter Person beginnt die Situation in objektiver Weise zu schildern.

Aus den hier aufgezeigten Beispielen wird ersichtlich, daß Pre¾ihov Voranc weit von einem sozialistischen Realismus entfernt war, den die zeitgenössische Literaturkritik in diesen Band von Erzählungen hineininterpretierte. Pre¾ih erreichte mit diesem Text einen sehr hohen Grad an Beherrschung künstlerischer Stilmittel durch die Verwendung von Stilsynkretismen: Mit symbolistischen, realistischen und auch mit den Stilmitteln des sozialen Realismus läßt er ein Kärnten erstehen, das all seinen Zauber und seine Schönheit vor dem Leser ausbreitet, und das den Stolz, die Verzweiflung, die Vitalität und Resignation der Kärntner Slowenen in vielen Schattierungen zu fühlbarem Leben erweckt. In der Antithese dazu stehen der Zynismus und Opportunismus der Institutionen und der militante Deutschnationalismus mit seinen Verbindungen zum Nationalsozialismus. Eine wahrhaft visionäre Erzählung für jene Zeit: Inzwischen sind die Glocken der versunkenen Stadt in diesen Gegenden schon zum Großteil verstummt; eine wahrhaft visionäre Erzählung auch für unsere Zeit, denn auch jene Glocken, deren vollen Klang Voranc noch hören konnte, jene Glocken läuten heute nicht mehr.

VI. "Gosposvetko polje" - "Das Maria Saaler Feld"

Die Erzählung mit dem Titel "Gosposvetko polje" (Das Maria Saaler Feld) ist in zwei zeitlich verschiedene Teile strukturiert: das Jahr 1912 und zwanzig Jahre später das Jahr 1932.

Von der Not einer Kleinbauernfamilie

Im ersten Teil, der im Jahre 1912 spielt, ist der Protagonist der Ich-Erzähler. Er ist das Kind einer Kleinbauernfamilie, den die Not dazu trieb, in der Fremde sein Glück zu versuchen, was ihm aber mißlingt. Ohne Geld schämt er sich, nach Hause zurückzukehren und so verbringt er den Winter in Klagenfurt/Celovec, wo er mit anderen Arbeitslosen und Vagabunden gemeinsam die Tage in der "Wärmestube" verbringt. Diese kommunalen Wärmestuben waren zu jener Zeit, die kein anderes soziales Netz zu bieten hatte, eine Einrichtung für Obdachlose, Arbeitslose, Bettler und andere Ausgestoßene der Gesellschaft, damit sie den Winter in den Städten überleben konnten: Pre¾ih zeichnet subtil die psychologischen Profile dieser Obdachlosen, Arbeitslosen und Bettler im Spiegel ihrer Vergangenheit, ihrer Gewohnheiten oder Obsessionen. Auf diese Weise erhalten wir ein lebendiges und reales Bild der sozialen Bedingungen dieser Unglücklichen, aus dem ersichtlich wird, daß zu jener Zeit Arbeitslose und Vagabunden dasselbe soziale Schicksal teilten: Den Tag konnten sie in der kommunalen Wärmestube verbringen, die Nächte in den verschiedenen Pferdeställen.

Zuerst paßt sich der Ich-Erzähler diesem Leben an. Doch als im Frühjahr die Wärmestube geschlossen wird und die Gruppe der Walzbrüder sich wieder auf ihr Wanderleben vorbereitet und ihn einlädt, sich ihr anzuschließen, da lehnt der Bursche ab, sein Stolz und seine Vorstellung von Menschenwürde halten ihn zurück. Zu fest sind für ihn, den Bauernburschen, die Bindungen an den Heimatort und die familiären Traditionen.

Sprache und Diskriminierung

Er erfährt von einem Posten als Stallknecht im Schlachthof von Klagenfurt/Celovec; stellt sich vor, hat den Posten schon fast erhalten, doch als der Beamte herausfindet, daß er ein Slowene ist, verweigert er ihm die Stelle. Diese neuerliche Erniedrigung bewegt ihn, die Stadt zu verlassen und Zuflucht in der Natur zu suchen. Er erreicht also das Gosposvetsko polje, das Maria Saaler Feld, einen Landstrich, der durch seine große historische Bedeutung für die Slowenen Magie ausstrahlt. Dort kommt ihm der Gedanke in den Sinn, daß hier an diesem Ort die slowenischen Vorfahren einst ihre Fürsten gewählt hatten. Das grandiose Bild der Natur vermischt sich mit der historischen Bedeutung, die dieser Ort ausstrahlt. Die ästhetische Erfahrung der Schönheit, vermischt mit der Ausstrahlung der historischen Tradition, wirken magisch und verleihen ihm die Kraft, nach Hause zurück zu kehren, wenn auch ohne Geld. Alle erlittenen Erniedrigungen konnten seinen Sinn für Menschenwürde nicht zerstören, auf die er ein Recht hat.

Von der Würde der Frau

Der zweite Teil der Erzählung spielt 1932, zwanzig Jahre später. In Èrna, einem Dorf im Me¾icatal in Jugoslawien, versucht eine Frau mit ihren beiden Kindern bei den Behörden einen Reisepaß zu bekommen, um ins österreichische Kärnten zu fahren und ihren Mann zu treffen. Dieser war gezwungen gewesen, ins Exil zu gehen. Doch die Behörden des 6.-Januar-Regimes im ersten Jugoslawien waren nicht bereit, der Frau eines exilierten Kommunisten Reisedokumente auszustellen. Die Frau akzeptiert diesen Affront nicht und beschließt, mit ihren beiden Kindern am Heiligen Abend zu Fuß den Weg über das Gebirge zu nehmen, um die Grenze illegal zu überschreiten und so nach Celovec/Klagenfurt zum Treffen mit ihrem Mann zu gelangen. Pre¾ih schildert diesen Marsch, der vierzehn Stunden dauerte, in einer großartigen und berührenden Weise; der Leser folgt Stunde um Stunde den drei Figuren im Schnee, fühlt mit ihnen die Kälte, Müdigkeit, Erschöpfung, aber auch immer wieder den Mut und den Willen, mit übermenschlicher Kraft diesen Weg zu überwinden.
Es stimmt, daß viele Kritiker die Schönheit der Beschreibung dieses Marsches unterstrichen haben, dieses Marsches über die schneebedeckten Berge. Ksaver Me¹ko, der slowenische Schriftsteller, der selbst in dieser Region lebte, sagte:

... für mich, der ich selbst solche Märsche gemacht habe, auf diesen Wegen und unter Todesgefahr, gehört der Marsch von Voranc' Frau durch den tiefen Schnee mit den Kindern im Arm, um ihren Gatten in Kärnten zu treffen, und Voranc' Beschreibung davon zu den schönsten Kapiteln der slowenischen Literatur.(26)

Auch andere Kritiker haben die Schönheit dieser Beschreibung bemerkt, aber keiner von ihnen hat die Aufmerksamkeit darauf gerichtet, daß für Voranc nicht das berührende Bild der Mutter mit zwei kleinen Kindern im Mittelpunkt steht, sondern die Entschlossenheit und der Wille der drei weiblichen Figuren, mit denen der Autor sie ausgestattet hat, um ihre Emanzipation zum Ausdruck zu bringen.
Die Intention des Schriftstellers ist es, die Frau und die Kinder als individuelle Persönlichkeiten zu beschreiben, die geistig unabhängig sind, einen eigenen Willen und ein eigenes Ziel haben. Und Pre¾ih ist dies ausgezeichnet gelungen. Es ist keine leidende Mutter, auch wenn sie Kälte und Müdigkeit leidet, es sind keine leidenden Kinder, auch wenn sie körperlich leiden, es sind individuelle Persönlichkeiten, die den ungerechten Machthabern trotzen, und die dadurch eine höhere Stufe der Menschenwürde erreichen.
Auf der Ebene der Textanalyse läßt sich dies am besten nachweisen. Es sind Verben der Aktion, aktive Verben und die Dialoge, die klar ausweisen, daß alle drei Personen auf Grund ihres eigenen Willens und ihrer eigenen Entscheidung handeln. Einige Beispiele sollen dies zeigen:

... Alles was Sie gegen ihn haben, geht mich nichts an, ich weiß nur, daß ich als Frau das Recht habe ihm nachzureisen ...(27)

... Darauf entschloß sie sich zum illegalen Grenzübertritt ... selber wäre sie ohne Bedenken gegangen, doch was wird aus den Kindern inmitten eines solchen Winters, inmitten solch schrecklicher, einsamer Berge ... da weckte sie der ausgelassene Ausruf der Mädchen: 'Mutter, morgen werden wir den Vater sehen!' ... Die Frau zuckte zusammen, und sie traf die Entscheidung: alle zusammen werden wir gehen ...(28)

... Nach kurzer Überlegung schlug die Frau die Einladung aus ... Als sie ihre Entschiedenheit sahen, drangen sie nicht weiter in sie ...(29)

... Wegen des hin und her Hebens wachte das Kind auf, rieb sich mit den Händchen die verschlafenen Augen, dann aber stampfte es tapfer mit seinen Füßchen auf und rief: 'Mutter, ich werde allein gehen ...'(30)

... die Begegnung mit dem Greis gab der Mutter neues Vertrauen; tapfer hetzte sie weiter. Auch die beiden Kinder schritten wie neugeboren und voll neuer Kräfte an ihrer Seite ...(31)

Das eindrucksvollste Bild ist am Ende des langen Marsches:

... als sich die Mutter bewußt wird, daß die Kleinen nicht mehr können, sie sich zusammenreißt und sich dann entschließt beide Kinder aufzunehmen und zu tragen. Als die beiden Kleinen die Mutter so erschöpft sehen, rebellieren sie ... Unerwartet wendet sich die ältere Vidica ab und sagt: 'Nein Mutter, ich werde selber gehen' die kleinere, Micej tut dasselbe und sagt: 'Mutter ich auch ...'(32)

Tief ergriffen von dieser Tapferkeit findet dadurch auch die Mutter die Kraft, die letzten Strapazen zu überwinden:

... 'Kinder, wir sind angekommen', sagt die Mutter triumphierend. ... An der Wand erblickt sie eine Uhr. Da entwindet sich ihrer Brust ein röchelnder, schwacher Schrei. 'Vierzehn Stunden ... 'Aus Èrna nach ®elezna Kapla (Eisenkappel) waren sie vierzehn Stunden unterwegs gewesen.(33)

Im nächsten Teil verschwinden diese drei weiblichen Figuren aus der Fabel, die Narration wechselt vom allwissenden Erzähler in der dritten Person zum Ich-Erzähler über. Der Ich-Erzähler, der Gatte, wartet in einem Gasthaus in Celovec/Klagenfurt auf seine Familie; als er von einem Freund die Nachricht erhält, daß seine Familie in einem vierzehnstündigen Marsch das Gebirge überquert hatte und angekommen sei. Als er sich gerade erhebt, um zur Tür zu gehen, da wird er von der Polizei verhaftet.
In der Folge berichtet der Ich Erzähler von seinen Erlebnissen und Erfahrungen im Gefängnis in Celovec/Klagenfurt bis zu seiner gelungenen Flucht. Der Treffpunkt für die vereinbarte heimliche Fahrt nach Wien ist das Gosposvetsko polje/Maria Saaler Feld (Zollfeld).

Magie des Ortes

Als er die Schönheit dieses historischen Ortes wiedersieht, der für ihn eine solche Magie ausstrahlt, da findet er in seinem tiefsten Inneren die Würde und die Kraft, auf eine neue Zukunft zu hoffen. Die Schönheit dieser Kärntner Landschaft, die noch immer seine Heimat ist, hat für ihn einen tieferliegenden Sinn, der die Ästhetik überschreitet und ins Transzendentale reicht. Mit seinen Worten wird dies faßbarer:

... Vor uns lag das weite Gosposvetsko polje (Maria Saaler Feld/Zollfeld) in stillem, unbeweglichem Schlaf, bedeckt von kniehohem Schnee. Aus dieser weißen Weite erhoben sich bewaldete Hügel mit ihren schwarzen Schatten, die sich über die weißen Felder hinweg ihre geheimnisvollen Hände reichten. Da und dort in den Mulden wandelte sich die Weiße des Schnees zu kaum sichtbaren zarten Nebelschwaden. Aus dem Hintergrund auf der rechten Seite erhob sich das Bild von Gospa Sveta (Maria Saal); die mächtigen grauen Mauern des Doms von Gospa Sveta (Maria Saaler Dom) schimmerten lilafarben durch den stillen, durchlässigen Lichtschein, so daß es aus der Ferne schien, als ob ein einsamer Thron auf dem verschleierten Felde stünde. Die Kulisse zu dieser Ansicht bildeten der Ulrichsberg (©entur¹ka gora) und die Hügel von Otmanje (Ottmanach). Dieses ganze, abgerundete Ländchen versank in die prachtvolle Weite der breiten, hellen Landschaft, die die Augen durch diesen Spiegel nicht sehen konnten, die sie aber um so stärker erahnten, nämlich die Celov¹ka kotlina, das Klagenfurter Becken. Es war in seinem weiten Bogen umgeben von hohen weißen Felsenbergen, die wie Grenzmarken ins Licht des vollen Mondes hineinragten und im Süden mit den Karawanken, im Norden mit den Vorgebirgen der Hohen Tauern (Visoke Ture) und im Osten mit den Bergen des Lavanttales (Labotska dolina) sich zum Kreise schlossen.
Alle drei zitterten wir vor Kälte, die an diesem Abend wahrscheinlich minus dreißig Grad erreichte. Meine Seele aber fühlte die bittere Kälte nicht, denn sie war völlig durchflutet von der Schönheit dieses Anblickes. Ich war überzeugt, daß das Bild dieses historischen Ortes nur mir so zu Herzen ging, doch auf einmal seufzte einer meiner Begleiter nachdenklich:
'Teufel - ist das ein wunderbarer Anblick'.
Zum zweiten Mal in meinem Leben stand ich auf dem Gosposvetsko polje, dem Maria Saaler Feld. Wie einst vor zwanzig Jahren, bin ich auch diesmal abgeschlagen, hilflos und um die edelsten Gefühle der Menschenwürde betrogen, hierhergekommen. Beim Anblick dieses Ortes zog sich mein Herz zusammen. Warum verfolgt mich dieses schöne Land, dem ich doch nichts Böses wünsche, dem ich doch nichts anderes sein möchte als ein würdiger Sohn? Es verfolgte mich damals, vor vielen Jahren, als es noch unter dem großen Kaiserreich vereint war und mir nicht einmal die Brotrinde eines Knechtes gönnen wollte; es verfolgt mich jenes Land, das jenseits der weißen Felsenberge der Karawanken liegt, und sich befreite Heimat nennt; es verfolgt mich dieses kleine Stück, das hier unter der weißen winterlichen Decke liegt und ein Teil der sogenannten freien Republik Österreich ist. Und wie damals, als ich bei meiner ersten Begegnung mit diesem Ort neue Kräfte geschöpft hatte und ihn mit neuem Mut für das spätere Leben verlassen hatte, so begann auch jetzt beim Anblick dieser klaren Schönheit mein Widerstand zu wachsen ...
(34)

Pre¾ihov Voranc verleiht der Landschaft eine mythische Dimension, mit der die slowenischen Geschichte schicksalhaft verwoben ist, er läßt sie in ätherischer Schönheit erscheinen, so daß die Protagonisten sie als höhere Wirklichkeit, als höheres Bewußtsein erleben. Aus ihrer Fähigkeit zum ästhetischen Erleben der Schönheit und zum Begreifen der mythischen Dimension der Geschichte, schöpfen Pre¾ihs Helden die Kraft, die gegenwärtigen Hindernisse überwinden und an die Zukunft zu glauben.

Conclusio

Die Erzählungen Pre¾ihs spiegeln die gesellschaftliche Wirklichkeit im Verhalten des Einzelnen wider. Wenn dieser trotz der Repression seine Menschenwürde, seine Sprache und seine Kultur bewahren will, muß er über sich hinauswachsen, sich über die Normalität erheben und überdurchschnittlich mehr Kräfte und Kreativität mobilisieren. Meine Eltern und meine Tanten berührten diese Erzählungen ganz besonders, denn sie waren nach dem Ersten Weltkrieg und nach der Volksabstimmung 1920 als Slowenen solchen Repressionen ausgesetzt gewesen und haben trotzdem ihre Sprache und ihre Kultur bewahrt. Während des zweiten Weltkrieges mußten sie deshalb samt ihren Kindern die Gräuel des "denaturierten" nationalsozialistischen Regimes als Lagerhäftlinge und Zwangsarbeiter erleiden. Mich berühren diese Erzählungen, weil ich selbst ein "Lagerkind" war und weil ich nach der Befreiung und Heimkehr in der zweiten Republik Österreich in der Schule und Gesellschaft vom Opfer zum Täter gemacht wurde und dem Assimilationsdruck "besonderer Art" ausgesetzt war, hinter dem sich auch die unaufgearbeitete nationalsozialistische Vergangenheit dieses Landes verbarg.

Zur Autorin


Der hier publizierte Beitrag erschien erstmals in: erschien erstmals in: Jura Soyfer. Internationale Zeitschrift für Kulturwissenschaften. 9.Jg., Nr.1/2000. S. 6-15.

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Anmerkungen:

(1) Henry Troyat: Verlaine. Paris 1993.

(2) Alenka Goljev¹èek: Mit in slovenska ljudska pesem. Ljubljana 1982; Roland Barthes: Mythologies. Paris 1957.

(3) Julia Kristeva: L'Amour de l'autre langue. In: L'Avenir d'une révolte. Paris 1998, S. 61-85.

(4) Im April 1942 wurden 200 slowenische Bauernfamilien aus Kärnten von den Nationalsozialisten ihres Besitzes beraubt und nach Deutschland deportiert, wo sie in Lagerhaft gehalten und zur Zwangsarbeit gepreßt wurden. Ihre Höfe wurden an deutsche "Optanten", die aus Südtirol und dem italienischen Kanaltal "Heim ins Reich" kehren wollten, übergeben.

(5) Agnes Sturm (1889-1965) und Maria Sturm (1893-1960) waren unverheiratet und lebten am elterlichen Hof als Mitglieder der Großfamilie; sie mußten das Schicksal des Hofbesitzers, ihres Bruders, teilen.

(6) Siehe Anm. 15.

(7) Maksim Gor'ki (recte Aleksej Maksimoviè Pe¹kov) (1868-1936), der Begründer des sozialen Realismus - 1906 auf Capri.

(8) Jack London (recte John Griffit), (1878-1916) Amerikanischer sozialkritischer Schriftsteller.

(9) Martin Andersen Nexö (recte Martin Andersen) (1869-1954), dänischer sozialkritischer Schriftsteller, Sohn eines Steinmetzes.

(10) Zofka Kveder (1876-1926), slowenische Schriftstellerin und Aktivistin der Frauenbewegung. Sie war die erste slowenische Frau, die als Berufsschriftstellerin und Journalistin ihren Lebensunterhalt bestritt. 1904 bis 1924 war sie Redakteurin der slowenischen Ausgabe des "Domaèi prijatelj" in Prag, einer Zeitschrift, die der tschechische Industrielle Vyder in mehreren Sprachen finanzierte und zu Reklamezwecken seinen Kaffe Ersatzprodukten kostenlos beigab. Unter ihrer Redaktion war diese slowenische Ausgabe eine beachtliche Literaturzeitschrift.

(11) Zofka Kveder. In: Agramer Tagblatt 1912.

(12) Am gesamtjugoslawischen Parteikongreß im Jahre 1922 in Vukovar wurde sie in "Kommunistische Partei" umbenannt.

(13) Die offizielle Volkszählung von 1910 hatte im heute sogenannten Zweisprachigen Gebiet Kärntens eine slowenische Bevölkerungszahl von einhundertundzehntausend ausgewiesen.

(14) Diese sogenannten utraquistischen Schulen waren paradoxerweise eine Folge des Reichsgesetzes der Habsburgermonarchie vom Jahre 1867, das den nichtdeutschen Nationen der Habsburgermonarchie die Sprachfreiheit garantieren sollte, das aber dieses Recht durch seine NEGATIV-Definition ad absurdum führte, daß "niemand gezwungen werden dürfe, die Sprache des Nachbarn zu erlernen". In der Durchführung (Reichsschulgesetz 1869) bekamen der Landesschulrat und in der Folge die Gemeinden das Recht, die Unterrichtssprache zu bestimmen. Dort, wo slawische Völker Deutsche zu Nachbarn hatten (z. B. Kärnten, Böhmen) kam es dazu, daß sehr wohl tschechische oder slowenische Kinder in deutsche Schulen gehen mußten, wenn der Gemeinderat auf politischer Ebene entschied, daß die Schule eine deutschsprachige sein müsse. Da aber die slowenischen oder tschechischen Kinder beim Schuleintritt gar nicht deutsch konnten, verfiel man auf die sogenannte utraquistische Schule; das hieß, daß die Lehrer in den ersten drei Klassen die Muttersprache der Kinder mitverwendeten, solange bis die Kinder die deutsche Sprache soweit beherrschten, daß diese dann zur Unterrichts- und allein gültigen Sprache werden konnte; danach verschwand die Muttersprache völlig aus dem Lehrplan. Vgl. dazu: Hannelore Burger: Sprachenrecht und Sprachengerechtigkeit in der Habsburgermonarchie. Wien 1995; Tatjana Feinig: Slowenisch an Kärntner Schulen. Eine soziolinguistische Studie zum Slowenischunterricht als Freifach bzw. als unverbindliche Übung an zwei Kärntner berufsbildenden höheren Schulen. Phil.Diss. Wien 1997. Im sprachpolitisch-historischen Teil (S. 4-67) bringt die Autorin eine umfassende geschichtliche Darstellung der Schulgesetzgebung und Schulpraxis.

(15) Das deutsche Toponym für die Ebene zwischen dem Magdalensbergmassiv und dem Ulrichsbergmassiv ist "das Zollfeld". Das slowenische Toponym ist vom Ortsnamen Gospa Sveta abgeleitet, der im deutschen Namen des Ortes Maria Saal erhalten ist, denn er bezieht sich auf den Maria Saaler Dom, der der Heiligen Mutter Gottes geweiht ist. Die Ortschaft Maria Saal mit ihrem Dom liegt am östlichen Rand der Ebene, während auf der gegenüberliegenden Seite, am Fuße des Ullrichbergmassivs die Ortschaft Karnburg/Krnski grad liegt. Beide Orte bergen historische Ereignisse, die für die slowenische Geschichte und Kultur von schicksalshafter Bedeutung sind: Von Maria Saal aus begann im 8. Jahrhundert der heilige Modestus seine Missionstätigkeit unter den karantanischen Slowenen; auf Bitten des slowenischen karantanischen Fürsten Hotimir/Cheitmar hatte ihn der iroschottische Abtbischof von Salzburg, der heilige Virgil, nach Kärnten gesandt. Krnski grad/Karnburg aber war das politische und administrative Zentrum des unabhängigen karantanischen Fürstentums gewesen, das historisch bis ins 20.Jahrhundert die einzige Epoche darstellt, in der die Slowenen einen eigenen Staat hatten. Dieser ferne historische Staat hat für die slowenische Nation eine mythische Bedeutung. Relikte seiner feudal-demokratischen Staatsordnung, nämlich das Ritual der Wahl des Fürsten durch das Volk, wurde noch lange Zeit von den bayrischen bzw. fränkischen Nachfolgern der slowenischen Fürsten beibehalten. Dieses Ritual, bei dem die Schlüsselworte der Fürstenwahl in ihrer ursprünglichen slowenischen Form bis 1414 verwendet wurden, spielte sich in dieser Landschaft ab: Der "Herzogbauer" aus Bla¾ja vas/Blasendorf zog mit dem Volk nach Krnski grad/Karnburg zum Fürstenstein, darauf sitzend nahm er dem neu zu wählenden Landesfürsten in slowenischer Sprache das Gelöbnis ab, ein gerechter Herrscher zu sein. Danach räumte er seinen Platz dem Fürsten, erhielt dafür ein Rind und ein Pferd, sowie Privilegien und nun zog die ganze Gesellschaft über die Ebene hinüber zum Herzogstuhl, wo der neu gewählte Fürst Recht sprach und Lehen verteilte, danach wiederum zog man hinauf zur Kirche von Gospa Sveta/Maria Saal, wo ein Feierlicher Gottesdienst abgehalten wurde. Diese Zeremonie wird genau beschrieben, zunächst im Schwabenspiegel (St. Gallener und Giesener Handschrift) und dann in mehreren weiteren Schriftdokumenten bis hin zu Piccolomini. Alle Schriftdokumente, die diese Fürsteneinsetzung beschreiben und als Quellen gelten, hat der slowenische Mediävist Bogo Grafenauer mit großer Akribie ediert, mit slowenischen Übersetzungen versehen und mit einem umfassenden textkritischen und historischen Kommentar erschlossen. Vgl. Bogo Grafenauer: Ustolièevanje Koro¹kih vojvod in dr¾ava karantanskih Slovencev (Die Kärntner Herzogseinsetzung und der Staat der Karantanerslawen), Ljubljana 1952, 623 Seiten (mit einer deutschen Zusammenfassung auf S. 559 - 605). Aus dieser für die Slowenen doppelten historischen Bedeutung - Christianisierung und Eigenstaatlichkeit - erklärt sich die Magie des Toponyms Gospa Sveta - Gosposvetsko polje, über die Pre¾ihov Voranc seine dichterische Botschaft vermittelt.

(16) "Wenn die Gail und die Drau zurückfließen".

(17) Als im Zuge des Zerfalls der Habsburgermonarchie die einzelnen Nationalstaaten entstanden, nannte sich der mehrheitlich von Deutschsprechenden besiedelte Teil zunächst Republik Deutsch Österreich. Erst als die Mächte der Entente diesen Namen ausdrücklich verboten, wurde es die Republik Österreich.

(18) Bei der Volkszählung 1910 lebten auf diesem Territorium noch 100.000 Slowenen.

(19) Alle in der Folge nur mit Seitenzahl angegebenen Zitate sind der Erstausgabe, Pre¾ihov Voranc: "Od Kotelj do Belih vod", Ljubljana 1945, entnommen. Die im Text angeführten Übersetzungen stammen von der Autorin. '
S.5: " ... Poleti je Vrbsko jezero tako ¾ivahno, ¹umno, vihravo; veriga vil in hotelov okrog po njegovi obali se strne takrat v glu¹eè odmev godbe, ropotanja vseh vrst motorjev, ¾argona kontinentalnih velemest; prah, parfum, benzin, katran, ki se v Vrbi, v Poreèeh, v Krivi Vrbi, pa ¾e na oni strani, na Otoku in v Ribnici zgosti v pravi orkan letovi¹ènega vrvenja, da mora¹ prisluhniti, ako hoèe¹ sli¹ati ¹epetanje valov, in se ti zdi, da so redki gozdovi, ki ¹e segajo do jezera, odstopili od obale in se zaèasno nekam daleè umaknili. In èe prislu¹kuje¹ ¹e tako pozorno, èe se spusti¹ na gladino jezera, ne more¹ v dobi sezone sli¹ati iz jezera skrivnostnega zvonenja potopljenih zvonov in vzdihovanja pogreznjenega mesta, katero je v davnih èasih zadela kazen, da ga je zalilo jezero ... ".

(20) S.5: " ... ako hoèe¹ v tem napetem, z bencinom in parfumom nasièenem ozraèju sli¹ati te zvonove, mora¹ iti stran od jezera, v okolico, v hribe, proti Hodi¹am, v Logo ves, na Dholico ali pa na Dvor, na Kostanje, na Strmec, do Domaèal, na Lipo in ®opraèe ... Tam se ti zdi, da sli¹i¹ te zvonove, vèasih moèneje, vèasih slabotneje, komaj sli¹no, zamirajoèe ... V Logi vesi se ti zdi, da zvonovi buèé, kakor bi na lepo nedeljo z vsemi zvonili sami Draga¹niki, Ko¹irji, Kaklni in Rainerji, to zvonjenje te spremlja, ko gre¹ proti ®opraèam, potem pojenjujejo, na Lipi se paè ¹e sli¹i vêliki zvon in udari èez gornji Ro¾, ali njegov glas je osamljen, vèasih utihne ... zamre, preneha - potem zopet zakipi in negotovo odmeva nazaj do Vrbe, kjer se izgubi v prvih borovih lesovih ... "

(21)S.7: " ... Jezero, jezera, ozke doline, bele reke, grièi, zati¹ja, polje, lesovi, rjave njive, zelenje, domovi, razko¹ni in ko¹ati, skromne kaj¾ice, visoke stene Kravank, starinske cerkve, razvaline gradi¹è, poljska znamenja, steze in stezice s poezijo potopljenih zvonov, vzdihujoèih mest, zakletih gradov, ljubezni! ... ..®ivljenje, ki diha ta de¾ela v svoji pristnosti, je mehko, valovito, kakor gladina teh skrivnostnih jezer; resignacija poèiva nad njim ... "

(22) S.7f: " ... izpod te resignacije pa vriska gladki asfalt, in ¾e desetletja drèi v ogromni vrtinec prenasièene energije milijonskih mest, Kruppovih tovarn, nedosegljivih knji¾nih naklad, stoodstotne kulture Bismarckovih kvadratnih bitij, kubiènih mo¾ganov, znorelih dinastij, obo¾evanih monarhov, pozabljenih Liebknechtov, ki prekipeva in pljuska do Karavank ... "

(23) S.7: " ... v mestu se ti zdi, da sreèuje¹ Drabosnjake, Ahaclje, Einspielerje, Serajnike, Jane¾ièe, Majarje in toliko drugih ... , ki so zvonili nekoè v potopljenem mestu vijugastega jezera, ki le¾i pod teboj v blesku migljajoèih luèi in ¹vigajoèih odsevov ... Kotlina je polna veèerne razko¹nosti, arij, ¾ivljenja, ki sega skoraj sem gor in sku¹a doseèi s svojo razburkano povr¹ino zadnje odmeve potopljenih, ali vendar ¹e pojoèih zvonov, in jih pogrezniti v veèen molk z njihovimi zvonarji vred ... "

(24) Martin Wutte (1876-1948), Kärntner Historiker, Direktor des Landesarchivs, Berater der Friedensdelegation für St. Germain. Trat nach dem Ersten Weltkrieg für den Verbleib des slowenischsprachigen Teils von Kärnten bei Österreich ein und stellte seine Geschichtsforschung in den Dienst dieses Zieles. Die deutsch-kärntnerische und slowenisch-kärntnerische Historiographie kamen häufig zu diametral entgegengesetzten Resultaten. Wutte brachte in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts die abwegige Meinung auf, die Kärntner Slowenen seien "Windische", indem er diesem deutschen, historisch vielfach belegten Appellativum für Slowenen oder Slawen eine neue Semantik im Sinne des nationalsozialistischen Begriffes vom "gleitenden Volkstum" aufoktroyierte.

(25) S.14: " ... Drabosnjak je bil revolucionar. Kopal je oplaze po njivah drabosnja¹kih in delal "rajme", igral je pasionske igre in napravil tiskarno v kaj¾i: tiskarno mu je razbila s kiji avstrijska policija in mu za¾gala plod njegovega truda in dela na grmadi, njega pa vtaknila v jeèo, èeprav so njegovi rajmi peli slavo bogu na vi¹avah in mir ljudem na zemlji. Posestvo mu je propadlo in umrl je ubit telesno in du¹evno. Ali bil je revolucionar, ker se je drznil pred veè ko sto petdesetimi leti ustanoviti tiskarno, podzemeljsko tiskarno, ter tiskati in pisati slovensko nareèje. Drabosnjak je predznamenje nove dobe, blisk na obzorju, ki je ¹vignil iz teme in ugasnil brez plamena, zadu¹en v morju privilegiranega avstrijskega in nem¹kega, nem¹kega in avstrijskega dvornega birokratizma, ki je hotel iz kulture napraviti arhiv ple¹astih pismoukov, iz svobode pa¹nik bradatih kozlov. Ki sproti pogrizejo vsak poganjek in ga vr¾ejo neprebavljenega od sebe, na vse skupaj pa postaviti najmanj tisoè ton te¾ki bronasti spomenik skupine lintvernov, ki klujejo in bruhajo vodo ... Zato tudi koro¹ki Wutte Drabosnjaka ne pozna, ker na skromnih spominkih, ki so ¹e ostali, ni rogovilastih peèatov s kaèami, kremplji in hudièem. Kar zgodovina ni povezala s temi peèati, ni zgodovina, ni dokument - to je revolucija tudi za Wutteja. Drabosnjak pa je vendar vstal, povedal svoje in izginil v domaèalske lesove."

(26) Ksaver Me¹ko: Pre¾ihov Voranc. In: Pre¾ihov zbornik. Maribor 1957, S.131 (zalo¾ba Obzorja).

(27) S.130: " ... Vse, kar mate proti njemu, mene niè ne briga, vem le, da je moj mo¾ in da imam kot ¾ena pravico, iti za njim ... ."

(28) S.130: " ... Nato se je odloèila za skriven prestop meje ... .; sama bi ¹la brez premisleka, toda kaj bo z ortrokoma sredi take zime, v takih stra¹nih, samotnih goràh ... .Sredi tega malodu¹nega razmi¹ljanja jo je naenkrat vzdramil razposajeni glas deklic: "Mati, jutri bomo videli oèeta !" ®ena se je zganila in odloèila: vsi skupaj bomo ¹li, ... ."

(29) S.140: " ... Po kratekem premisleku pa je ¾ena povabilo zavrnila ... Videè njeno odloènost, kmeta nista veè silila vanjo ... ."

(30) S.144: " ... Zaradi prelaganja pa se je otrok prebudil, si pomencal z rokavièkami zaspane oèi, potem pa pogumno zacepetal z nogami in zaklical: "Mati, jaz bom sama ¹la ... "

(31) S.144: " ... Sreèanje s starcem je mater navdalo z novim zaupanjem; pogumno se je pognala dalje. Tudi otroka sta korakala kakor prerojena in polna novih moèi stopala ob njeni strani ... "

(32) S.148f: " ... kakor vkopana je obstala sredi snega. Otroka sta ¾rtvovala svoje zadnje sile. Poslednji kos poti ju bo morala paè nesti. Ali tudi sama je bila ¾e vsa izèrpana. Toda tudi to zadnjo te¾avo bo zmagala ... . Deklici sta nemo stali pred zaskrbljeno materjo in strmeli v njeno upadlo lice ... . Preteklo je nekaj te¾kih trenutkov. Mati se je ¾e odloèila, da poba¹e otroka in si ju nalo¾i, enega v naroèje, drugega pa na hrbet. Nenadoma pa se je starej¹a Vidica obrnila stran in rekla: "Ne mati - jaz bom sama ¹la ... " Micej je storila ravno tako in rekla: "Mati jaz tudi ... "

(33) S.149f: " ... 'Otroci pri¹li smo ...' Je rekla mati zmagoslavno ... .Na steni je zagledala uro in tedaj se je iz njenih prsi izvil zagrljen, slaboten krik. '©tirinajst ur ... . ' Od Èrne do ®elezne Kaple so hodili ¹tirinajst ur. - ... "

(34) S.160f: " ... Pred nami je le¾alo ¹iroko Gosposvetsko polje v tihem, nepremiènem zimskem spanju. Pokrival ga je èez kolena visok sneg. Iz te bele prostranosti so se dvigali gozdnati holmi s svojimi èrnimi sencami, ki so si èez belo polje podajale svoje skrivnostne roke. Tu in tam po jamah se je sne¾na belina prerajala v komaj vidno, rahlo meglico. Iz ozadja na desni strani se je kazala podoba samih Svaten; mogoèno sivo zidovje svatenske cerkve se je violièasto zrcalilo skozi tiho prosojnost, da se je iz daljave zdelo, ko da stoji osamel prestol na koprenastem polju . Ozadje tega pogleda je zastirala ©entur¹ka gora pa otmanjski hribi. Vsa ta mala zaokro¾ena de¾elica se je pogrezala v velièastno prostranost ¹iroke svetle pokrajine, ki je oèi skozi to zrcalo niso videle, a so jo tem moèneje slutile. To je bila celov¹ka kotlina. Njeno nedrje je bilo v ¹irokem krogu obdano z visokimi, v meseèini se topeèimi belimi mejniki, na jugu z mejniki Karavank, na severu in na zapadu s predgorji Visokih tur, na vzhodu z labo¹kimi gorami. Vsi trije smo se tresli od hudega mraza, ki je ta veèer dosegel morda trideset stopinj. Moja du¹a pa ga ni obèutila, ker je bila vsa zatopljena v lepoto tega pogleda. Bil sem preprièan, da gre podoba tega zgodovinskega kraja le meni k srcu, toda naenkrat je eden izmed mojih spremljevalcev zami¹ljeno vzdihnil: "Zlodej - to je prekrasen pogled ... " Drugiè v svojem ¾ivljenju sem stal na Gosposvetskem polju. Kakor nekdaj pred dvajsetimi leti, sem tudi zdaj pri¹el sem zbit, nebogljen, osleparjen za najplemenitej¹e obèutke èlove¹ke dostojnosti. Podoba tega kraja me je zabolela pri srcu. Zakaj neki me ta lepa de¾ela preganja, ko ji vendar niè slabega ne ¾elim, ko noèem niè drugega, kakor biti njen vredni sin? Preganjala me je takrat, pred leti, ko je bila ¹e vsa zdru¾ena v enem velikem cesarstvu, pa mi ni marala dati niti skorje hlapèevskega kruha; preganja me tista, ki le¾i onstran belih mejnikov, Karavank, in ki se imenuje svobodna domovina; preganja me ta ko¹èek, ki se razprostira tukaj pod to zimsko kopreno in je del tako imenovane svobodne republike.In kakor sem se ob prvem svidenju tega kraja nasrkal novih moèi in sem ga zapustil z novim pogumom za poznej¹e ¾ivljenje, tako je ob pogledu na to presvetlo krasoto tudi zdaj zaèel rasti moj odpor."


Webmeisterin: Angelika Czipin
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