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Das Verbindende der Kulturen

SEKTION:

Das Lachen in Ost und West

Leitung der Sektion/Anmeldung von Referaten bei:
Email: Han-Soon Yim (Seoul)

ABSTRACT: "Im Unterschied zum abendländischen Theater", so konstatiert Otto C. A. zur Nedden, "fehlt" in der alten Theaterkunst Indiens "das Tragische". Hier dürfe der Held nicht untergehen, ein tragischer Ausgang sei sogar verboten. Die aus der Abneigung gegen das Tragische zu erschließende Vorliebe der Inder zum Lustspiel, in der wohl ihre Neigung zum Optimismus zum Vorschein kommt, scheint in gewisser Hinsicht auf ganz Asien übertragbar zu sein. Man nehme etwa das sogenannte "orientalische Lächeln" zusätzlich zum Ausgangspunkt, mit dem gemeint ist, die Asiaten reagierten selbst auf einen ernsthaften Fehler von sich mit Lächeln, der bei Europäern gar ein Entsetzen hervorrufen würde. Unfähig des raschen Wechsels des Gesichtsausdrucks, der die Europäer kennzeichne, dauere das Lächeln der Asiaten auch länger als bei diesen. Viele alte und neue Buddhafiguren in den fernöstlichen Tempeln bestätigen gleichsam dasselbe Phänomen, indem sie mehr oder weniger lächeln, und zwar im Unterschied zu den christlichen Altarbildern, in denen sehr häufig der schmerz- und trauervolle Passionsweg des Gottessohnes im Mittelpunkt dargestellt ist. Es wäre interessant zu untersuchen, ob sich aus diesen Erscheinungen eine tragfähige These der asiatischen Vorliebe zum Lachen und zum Lustspiel herausstellte und sie sich womöglich auch anthropologisch begründen ließe. Ganz im Gegenteil allerdings vermisst man in Korea ein Lächeln, das im Zeitalter der kalten Asphaltkultur zur Erleichterung des menschlichen Zusammenlebens beitragen könnte: Allein im Interesse des Tourismus sollen die Verkäuferinnen der Kaufhäuser, so steht einmal in den Zeitungen zu lesen, zumal im Jahr der Weltmeisterschaft im Fußball 2002 soweit dressiert werden, dass sie wenigstens den ausländischen Kunden gegenüber ebenso freundlich lächeln wie die westlichen.

Die hohe Wertschätzung des Lächelns im Alltag legt nahe, dass das Lachen samt Komik und Komödie zu den Universalien des menschlichen Handelns gehört. Sie berührt nichts Anderes als Bachtins Begriff der "Dialogizität", der in Verbindung mit dem der volkstümlichen "Lachkultur des Karnevals" eine entscheidende Wende im Diskurs über Komik und Komödie herbeigeführt hat. Selbst in dem vermarkten Lächeln ist nämlich ein Moment der Emanzipation enthalten, das über die traditionelle Überlegenheits- oder Kontrasttheorie des Lachens hinausgeht und etwa die verbindende Wirkung des Lessingschen "wahren Lustspiels" bzw. jene von Schiller der Komödie zugesprochene "höchste Freiheit des Gemüts" suggeriert. Denn das Lächeln sucht Kontakte und will somit, ähnlich wie das Lachen mit dem bekannten Ansteckungseffekt, das Sich-Abgrenzen wie die Ausgrenzung des Anderen überwinden. Das universal Verbindende wäre also sowohl im Phänomen des Lachens selbst als auch im letzten Stadium der bisherigen Forschungen zu suchen, um daraus womöglich eine Art für Ost wie für West verbindliche Tiefenstruktur des Lachens zu konzipieren. Ein viel versprechender Ansatzpunkt dafür ist die bekannte Paradoxie, dass sich das Komische in der Komödie zwar an den Intellekt wendet, aber die Aufmerksamkeit auf das Körperliche lenkt. Das Lachen als Ausdruck der intellektuellen Wahrnehmung eines komischen Gegenstandes oder Phänomens wird normalerweise durch bestimmte, ihm eigene Laute, Gesichtsausdrücke und Gesten, also am Körper, realisiert, wie die Realisation des Komischen im vollen Umfang erst im komischen Theater eben durch sinnliche Darbietung stattfindet.

Zu den aktuellsten Themen der Komikforschung gehört die Frage der Vermittlung bzw. der gegenseitigen Durchdringung zweier Grundformen des Komischen, einer "Komik der Herabsetzung, des Verlachens, als intellektuelles Phänomen" einerseits und einer "Komik der Heraufsetzung, des Bejahens von Unterdrücktem und Verdrängtem und damit der Anerkennung des Lustprinzips" (Bernhard Greiner) andererseits. Die Gültigkeit oder Ungültigkeit der Dichotomie der beiden Formen wird ebenso einer gründlichen Überprüfung zu unterziehen sein wie die "medialen Begründungen" bzw. die Einheitstheorien der Komik, die unter anderen von Joachim Ritter angeregt worden sind. Er schrieb: "Was mit dem Lachen ausgespielt und ergriffen wird, ist diese geheime Zugehörigkeit des Nichtigen zum Dasein; sie wird so ergriffen und ausgespielt, nicht in der Weise des ausgrenzenden Ernstes, der es nur als das Nichtige von sich weghalten kann, sondern so, dass es in der es ausgrenzenden Ordnung selbst gleichsam als zu ihr gehörig sichtbar und lautbar wird." Aufschlussreich ist hier der Nachweis, dass im Komischen "die Identität eines Entgegenstehenden und Ausgegrenzten mit dem Ausgrenzenden" hergestellt wird. Mit der Einsicht in die (dialektische) Einheit der ausgrenzenden Vernunft (Norm, Autorität, Ordnung, Idee, Schein, Ideologie) und der von dieser als fremd und nichtig ausgegrenzten Lebensbereiche (Körper, Sexualtrieb, Vitalität, Erscheinung, Realität) tritt die Begrenztheit des vernunftgesteuerten Umgangs mit der Welt zu Tage. Die Vernunft, die "mit der Setzung ihres Seinssinnes Unendliches ausgrenzt", macht, so Ritter, "die Grenze der Vernunft bewußt", wobei sich ihre Begrenztheit darin zeigt, daß sie "abgetrennt ist von der Fülle desjenigen Lebens, das ihr nur als nichtig und nichtseiend unwesentlich begegnen kann". Es wird zu zeigen sein, dass diese Lachtheorie auch zum Verständnis der ‚asiatischen Vorliebe' für das Komische ergiebig sein kann.

Freilich wird noch kritisch zu fragen sein, ob angesichts der Aktualität der neu beleuchteten Anstöße von Freud, Ritter, Bachtin und anderen die noch älteren, bewährten theoretischen Ansätze wie Lessings Kontrastprinzip von Schein und Realität, Bergsons Strukturanalyse des Komischen, Hegels und Marx' Auffassung des anachronistisch Komischen usw. bereits unhaltbar geworden sind. Sie enthalten bleibende Momente, die zum Verständnis der Struktur und Wirkung des Komischen im wesentlichen ungeschmälert anwendbar sind. Zur Formulierung einer Tiefenstruktur des Komischen könnten wir vor allem Henri Bergson, dessen Theorie der Komik die klassische des 20. Jahrhunderts genannt wurde, noch mit großem Gewinn konsultieren. Sein lebensphilosophischer Grundgedanke ist für heute verbindlicher denn je, lässt er sich doch sogar im Sinne der Bachtinschen Lachkultur umdeuten und umfunktionieren. Bei ihm ist es nämlich immer das Mechanische im Lebendigen, das die Komik erzeugt: "Du mécanique plaqué sur de vivant; voilà une croix où il faut s'arrêter, image centrale d'où l'imagination rayonne dans des directions divergentes." Dieses "zentrale Bild" der Komik kann zur Deutung sowohl europäischer als auch asiatischer Beispiele produktiv herangezogen werden, auch wenn man seiner vornehmlich an Molière orientierten Auffassung der Komödie als sozialen Korrektivs nicht in allen Einzelheiten folgen mag. Seine Opposition gegen die Mechanisierung des Lebens, gegen Starrheit, Automatismus und Zerstreutheit als komische Schwächen des Menschen sowie seine Idee des ständig im Fluss befindlichen wirklichen Lebens erinnern z.B. an den Taoismus des alten China, der sich mit analogen Bildern und Metaphern, dem berühmten Wasserbild voran, gegen das als lebensfeindlich empfundene konfuzianische Ordnungsprinzip wandte.

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