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Kulturelle Prozesse sind immer grenzüberschreitend.(1) Ihre Grenzen erhalten sie durch Konstrukte, die unterschiedlichen Zielen im Individuellen, Gesellschaftlichen und Staatlichen dienen und dienten.(2) Im 19. und 20. Jahrhundert waren es vor allem die Nationalstaaten, die Kulturen für sich zu instrumentalisieren versuchten.(3) Aber auch staatsgrenzenüberschreitende Ideen können durchaus mit kulturellen Ausgrenzungen und Gewaltstrategien verbunden sein.(4)
Im 20. Jahrhundert begannen aber in vielen Bereichen Umorientierungen, die nicht nur auf Randbereiche gesellschaftlicher Prozesse beschränkt waren.(5) Ausgeprägt haben sich diese Prozesse vor allem in Formen der Transkontinentalisierungen(6) und Globalisierungen.(7) Diese Prozesse werden also nicht nur durch Medien, Internet, Börsen und Finanzströme, Künste, Wissenschaften und Forschungen, Religionen, Tourismus und Handel, Technologien und Textstrukturen geprägt, sondern auch durch Getränke, Speisen, Kleidungen, Wohnungen sowie Formen interstaatlicher Kooperationen bzw. transnationale Verfassungsentwürfe.
In diesen Zeiten der Transformationen begannen die Kulturen im negativen und im positiven Sinne eine immer bedeutendere Rolle zu spielen.(8) Negativ, indem sie dazu verwendet wurden, Menschen zu manipulieren und auszunutzen(9), Feindbilder aufzubauen(10) und Kriege vorzubereiten und zu führen(11). Positiv, indem sie die Grundlage für weltweite Kooperationen wurden.(12) Und in jedem Fall waren sie in sich gespalten, widersprüchlich und vielfältig.(13)
In diesen heutigen Prozessen verbinden sich Kulturvorstellungen in neuer Weise mit weltweiten Prozessen. In der sich entwickelnden Programmatik der UNESCO spielt zum Beispiel die Verbindung mit den Menschenrechten eine zentrale Rolle.(14) Dies hat eine grundlegende Bedeutung, weil seit dem KSZE-Prozeß gerade die Menschenrechte zu einer gemeinsam, weltweit anerkannten Basis wurden, die sich auch in vielen anderen Bereichen als tragfähig erwies, wenn es um den Ausbau von Zivilgesellschaften ging. Kultur wird damit von der UNESCO als zentraler Faktor in Demokratisierungsprozessen angesehen, aber zugleich auch als Faktor der gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung. Menschenrechte, Kreativität, Solidarität, Entwicklung sind in diesem Zusammenhang Schlüsselwörter. Und für die UNESCO ist Kultur auch das Schlüsselelement für Frieden:
"[...] the connection between culture and knowledge made UNESCO central in the quest of achieving peace; the connection between culture and politics made cultural identity crucial to the quest for political independence; the connection between culture and development allowed new countries to build economic power and to assert themselves on the world stage; and the connection between culture and democracy focused attention on intra-state as well as inter-state cultural relations. Now, approaching the twenty-first century, the implicit connection between culture and security may also serve to reinforce the importance of positive intercultural relations as a cornerstone of international peace, with all of the financial and administrative support this priority requires."(15)
In diesen Prozessen könnte das INST-Projekt "Das Verbindende der Kulturen" eine ergänzende Rolle spielen, indem es eine weltweite Plattform zur Verfügung stellt, um Sprachen und Künste in Wechselwirkung mit und als Teil von Geschichte, Gesellschaft, Ökonomie, Politik und anderen Bereichen als verbindende Elemente in diesen komplexen Prozessen zur Geltung zu bringen. Gerade seine offene Struktur als Assoziation, die Erkenntnisprozesse nicht mit (ökonomischen) Abhängigkeitsstrukturen verbindet, sondern nur durch die Ermöglichung des Wissensaustausches zur Geltung kommt, bietet große Chancen.
Auf diese Ermöglichung des offenen Wissensaustausches zielen die Online-Projekte "Enzyklopädie vielsprachiger Kulturwissenschaften", die Online Research Cooperation (ORC) "Internationale Kulturwissenschaften", aber auch ein Projekt wie "Die Namen der Berge", das sowohl virtuell als auch real existiert.
Zentrales Element bleibt aber das Verständnis, daß nur durch persönliche Begegnungen neue Formen des Verständnisses für Kooperationen entstehen können. Und in diesem Sinne sind die INST-Konferenzen 2002 und 2003 auch die zentralen Elemente des Projektes "Das Verbindende der Kulturen" - als transnationale und transdisziplinäre Begegnungen.
(1) Vgl. z.B.das UNESCO-Dokument: Our Creativ Diversity. Report of the World Commission on Culture and Development, 1995. Hier wurden zehn gemeinsame Hauptthemen herausgearbeitet.
(2) Vgl. z.B.: Eric Hobsbawm/Terence Ranger (Hrsg.): The invention of tradition. Cambridge 1983. Und: Eric Hobsbawm: Nations and Nationalism since 1780. Programme, Myth, Reality. Cambridge 1990. Oder: Martin Bernal: Black Athena. The Afroasiatic Roots of Classical Civilization. London 1991.
(3) Im Zusammenhang mit zwischenstaatlichen (kulturellen) Beziehungen vgl. z.B.: Edward W. Said: Orientalism. Western conceptions of the Orient. London 1991.
(4) So ist im Roman "Der Herbst des Patriarchen" von Gabriel García Márquez (Köln 1978) die fünf Generationen währende Schreckensherrschaft des großen Diktators nicht auf einen Staat beschränkt. Aber auch die Verfolgung von Salman Rushdie und seinem künstlerischen Werk beschränkte sich nicht auf ein Land.
(5) Ein Beispiel dazu ist die "Charta der Grundrechte der Europäischen Union" (Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften 2001).
(6) Diese Form der Erweiterungen spielten zunächst in den Strategien der Gorbatschowschen bi- und multilateralen Verhandlungen eine tragende Rolle, als es um grenzüberschreitende Strukturen von Problemlösungen ging: Michail Gorbatschow: Perestroika. Die zweite russische Revolution. Eine neue Politik für Europa und die Welt. München 1987. Bei Huntington (Kampf der Kulturen, München, Wien 1997) taucht diese Strukturvorstellung dann in negativer Form wieder auf - als Begrenzung von (unvermeidbaren) Konfliktfeldern. Dennoch scheint - jenseits der Schlagzeilen - in der Ökonomie, aber auch bei Ansätzen von Konfliktlösungsmodellen die Kontinentalisierung als konfliktvermeidender Integrationsprozeß in letzter Zeit zunehmend eine Rolle zu spielen.
(7) Eine komplexe Analyse findet sich in: "Globale Trends 2002. Fakten, Analysen und Prognosen", Hrsg. Von Ingomar Hauchler, Dirk Messner und Franz Nuscheler, Frankfurt am Main 2001. Hier finden sich vor allem auch eine Vielzahl von Materialien, Statistiken sowie Überlegungen zu "Global Governance".
(8) Vgl.: Edward W. Said: Culture and Imperialism. London 1994. Vor allem scheint für das Buch charakteristisch zu sein, daß auch negative (destruktive) Formen der Opposition und des Widerstandes analysiert werden. Gerade dadurch werden die Darstellungen den widersprüchlichen Verhältnissen gerecht.
(9) Zu unserer heutigen Zeit: Frederic Jameson: Postmodernism, or, The cultural logic of Late Capitalism. London 1991.
(10) Ein ausgezeichneten Beispiel dazu ist das Monumentaldrama von Karl Kraus: Die letzten Tage der Menschheit.
(11) Vgl. dazu: Bertolt Brecht: Kriegsfibel. Berlin 1977.
(12) Kulturelle Elemente wie Schrift und Bilder sind die Basis für den Wissensaustausch, der zur Bereicherung des menschlichen Lebens führt. Und nicht zufällig hat die UNESCO den Begriff "Culture of Peace" propagiert und geprägt - ein Begriff, der auf eben die potentiell produktive Rolle der Kultur verweist.
(13) So kann das Verständnis anderer Kulturen (gewonnen zum Beispiel durch Übersetzungen) nicht nur der Friedenserhaltung dienen, sondern auch der Herrschaftsausübung. Vgl. dazu Anil Bhatti: Zum Verhältnis von Sprache, Übersetzung und Kolonialismus am Beispiel Indiens. In: Horst Turk/Anil Bhatti (Hrsg.): Kulturelle Identität. Deutsch-indische Kulturkontakte in Literatur, Religion und Politik. Berlin 1997, S.3ff. Aber auch: Frantz Fanon: Black Skin, White Masks. New York 1967.
(14) Universal Declaration on Cultural Diversity. Adopted by the 31st Session of UNESCO's General Conference on 2 November 2001.
(15) Katérina Stenou: UNESCO and the Issue of Cultural Diversity. Review and strategy, 1946-2000. Paris 2000.
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