Medical Cuisine

„Neues Kochen“: Kulturhistorische Kontexte und aktuelle Entwicklungen

Prolog zum File Book Umami

Herbert Arlt (Wien)
Letzte Version: 26.2.2025

 

Derzeit wird Kochen auch in Europa neu entworfen, organisiert: die Lebensmittel, die Gewürze, die Zubereitungsarten, die Ausbildung, die Kochorganisation, die Technologien, das Essen. Neue Verbindungen zwischen Ernährung und persönlichem Wohlbefinden entstehen. (1) Weltweit ist eine Veränderung notwendig, weil traditionelles Essen insbesondere in Zentraleuropa krank macht. (2) Eine Erkenntnis auch von Spitzenköchen wie Johann Lafer. Fraglich ist, inwieweit die wissenschaftlichen Erkenntnisse für die Regierungsverhandlungen in Österreich 2024/ 2025 berücksichtigt werden. Immerhin steht Gesundheitspolitik im Zentrum der Gespräche, aber ein neues Verständnis von Kultur ist noch nicht absehbar. Bisher dominierten gerade in diesem Bereich Pratikularinteressen, die enorme Schäden anrichteten. Erzählungen wurden an die Stelle von Fakten gesetzt. In diesem Kontext erfolgen auch Wirtshaussterben, Vernichtung von Landschaften. Umami verbleibt im Diskurs an Glutamat gebunden (Bioküche, Österreich 2025, Biorama, Wien 2025, S.22ff.).

Im Rahmen des Buchprojektes Umami wurden umfassende Ansätze entwickelt, um sich in diese Veränderungsprozesse mit Vorschlägen einzubringen. Beachtet werden dabei die Geschichte des Kochens ebenso wie neueste medizinische Erkenntnisse, Produktions- und Konservierungsmöglichkeiten.

Ein Ausgangspunkt ist die klassische französische Küche. Bisher galt Cuisine in vielen Teilen der Welt als ein Begriff, der ausgezeichnete Qualität hervorhob. Das kam nicht zufällig, weil die französische Küche in vielen Teilen der Welt zum Standard wurde, denn sie gab die Standards für die Kochorganisation vor (das ist nicht identisch mit zum Beispiel einer Geschichte der Kochbücher und der Tradierung von Rezepten wie den Salzburger Nockerln, bei denen es um die Zubereitung geht). Die Darstellungen der Kochorganisation reichen vom Petite Larousse über Auguste Escoffier bis zu Paul Bocuse und vielen anderen.

Daher wird der Begriff Cuisine verwendet, um Exzellenz, aber auch Genuss hervorzuheben (Jean Anthelme Brillat-Savarin: La Physiologie du Goût. Sautelet: 1825). Der Titel des umfangreichen Werkes Modernist Cuisine (Nathan Myhrvold mit Maxime Bilet. Taschen Verlag: Köln 2017), in dessen Mittelpunkt Technologien stehen, ist ein Beispiel dafür. Aber auch für Johann Lafer war und ist der Begriff Cuisine wichtig. Es geht in seinen neuesten Büchern nicht nur um Medizin, sondern um Medical Cuisine. Die Bücher erarbeitete er zusammen mit MedizinerInnen, aber für Johann Lafer stand der Genuss im Mittelpunkt seines Beitrages (nicht aber die Kochorganisation, die eigentlich mit dem Begriff Cuisine verbunden ist und zu der er auch einiges beigetragen hat).

Ich stelle die Medical Cuisine deshalb in den Mittelpunkt meines Artikels zum „neuen Kochen“, weil die Medical Cuisine kulturhistorisch sich in eine jahrtausendealte Tradition einfügt, so zu kochen, wie es der Gesundheit zuträglich ist.(3) Freilich fehlt den Büchern von Lafer der kulturhistorische Zugang, weshalb von einer Neuerfindung der gesunden Küche gesprochen und vieles nicht einbezogen wird, was sich in den Jahrtausenden an Erkenntnissen angesammelt hat, obwohl ausgezeichnete Einführungen auch in deutscher Sprache zur Verfügung stehen. Zum Beispiel für die chinesische Küche „Culinaria China“ (Katrin Schlotter, Elke Spielmanns-Rome: Text, Gregor Schmid, Lisa Franz: Fotografien. h.f. ullmann, Tandem Verlag: Königswinter 2009), das wie die Bücher von Lafer auch Darstellungen zur Kochkultur enthält: Küchenausstattung, Schneidetechniken, Marinieren und Panieren, Garmethoden etc. Selbst alte Kochbücher stehen in Deutsch zur Verfügung. Zum Beispiel Das Apicius Kochbuch aus der römischen Kaiserzeit (ins Deutsche übersetzt und bearbeitet von Richard Gollmer. Regionalia Verlag: Reinbach 2015). Im Trend ist das Ersetzen traditioneller Lebensmittel durch Veganes ohne Berücksichtigung der „Medical Cuisine“, woraus sich daher noch keineswegs per se ein gesundes Essen ergibt (z.B.: Julia Bouchachard: Japan Vegan. 2024: Stiebner Verlag München). Schon allein der Eiweißbereich verlangt eine differenzierte Herangehensweise.

Lafer steht nicht allein, wenn es um kulturhistorische Unkenntnis geht. So gibt es zum Beispiel eine Sammlung von über 5.000 historischen Kochbüchern, die wesentliche Entwicklungen in China, Indien, Rom etc. ignoriert, die nicht nur wesentlich älter sind, sondern sich auch auf gesunde Ernährung konzentrieren.

Und es gibt die Beispiele, sich (als Bestseller) in kulturhistorische Traditionen zu stellen, ohne die Traditionen darzustellen: Oxymel. Die besten Rezepte 2023. Wroclaw 2023. Auf der Rückseite des Buchcovers: „Oxymel Rezepte – Sonderausgabe: Die Faszination der Natürlichen Heilkraft auf ihrem Teller“. In Kleinstdruck auf einer Innenseite gegen Ende: „Die Informationen in diesem Buch dienen ausschließlich zu Informationszwecken und sollen nicht als Ersatz zu professionelle medizinische Betreuung, Diagnose und Behandlung dienen.“ Das Programm des Oxymel-Teams, das ohne Namen auskommt: „Uns [fünf engagierte Individuen] verbindet die Überzeugung, dass die Natur uns eine Fülle von Heilmitteln bietet, die wir nützen können, um unser Wohlbefinden zu förderun und unsere Gesundheit zu unterstützen.“ Und ebenfalls auf Seite 9: „Unsere Reise begann mit der faszinierenden Welt des Oxymels, einer alten Mischung aus Honig und Essig, die in verschiedenen Kulturen als Heilmittel und Nahrungsergänzungsmittel verwendet wird.“ Noch abstruser: „Heimische Heilpflanzen. Das zeitlose Wissen der Druiden“ (Diana Freitag: Copyright 2021). Als bekanntester Druide wird Miraculix angeführt. Bekannt ist, dass die Überlieferung des Wissens der Kelten insbesonders zu den Heilpflanzen nicht schriftlich erfolgte. Aber auch römische und christliche Quellen werden nicht angeführt, sondern Erkenntnisse aus unserer Zeit.

Dagegen gibt es Bücher zu neuen medizinischen Erkenntnissen im Kontext von Ernährung, die wesentlich über die jahrtausendealten Erkenntnisse hinausgehen, Erfahrung mit Labor und wissenschaftlichem Instrumentarium verbinden, aber versuchen umgangsprachlich zu bleiben: „Histaminbedingte Beschwerden entstehen in erster Linie nicht durch histaminhaltige Lebensmittel, sondern durch das Histamin, das unser Körper selbst produziert. Denn das Molekül kommt nicht nur in so gut wie allen Nahrungsmitteln vor, sondern steckt auch in unseren eigenen Zellen und Organen, wo es lebenswichtige Funktionen übernimmt. Da der Körper nicht gegen seine eigenen Moleküle intolerant sein kann, ist also bereits der Betriff „Histaminintoleranz“ falsch. Tatsächlich handelt es sich um eine „Histaminose“ – ein Ungleichgewicht, das entsteht, wenn die körpereigene Verstoffwechselung von Histamin aus der Balance gerät.“ (Kyra und Sascha Kauffmann: Histamin Irrtum. Weg von Radikaldiäten und Verbotslisten – die Formel für ein gesundes Leben mit Histamin. Kirchzarten bei Freiburg: VAK Verlag 2023, 6. Auflage, Buchrückseite.)

Nicht einbezogen werden von Lafer aber auch neue Kochtechnologien. Bereits im Brat-Folien Kochbuch (©1977 Robert Pfützner GmbH) heißt es: „Wir stellen heute an die Kunst des guten Kochens etwas andere Ansprüche als früher. Eine Forderung allerdings ist mit Recht über alle Zeiten hinweg gleichgeblieben: [..] Es soll uns köstlich schmecken.“ Als weitere wichtige Aspekte werden genannt: Wir wollen gesünder essen. Eine bessere Kochtechnik soll uns Arbeit abnehmen. Auf Seite 88ff. wird dann explizit auf Ernährung und Diät eingegangen (Brat-Folien Kochbuch. 99 Rezepte, 22 Farbbilder, Gewürz- und Getränkekunde. Druck und Verlag M. Salzer AG, Wien. Verlag Martina Verlagsgesellschaft m.b.H., Linz.). Interessant wird diese Technologie in neuer Weise im Zusammenhang mit der Inverter Zubereitung (zum  Beispiel Spargel in 3 Minuten ohne Auslaugen durch Kochen in Wasser).

Die Medical Cuisine ist aber zumindest keine Heilsküche, die im Sinne der Warenwirtschaft verspricht, etwas Altes neu zu entdecken oder etwas völlig Neues vorzuschlagen, wodurch Gesundheit möglich sei.
Vielfach sind diese meist radikalen Vorschläge – wie im Falle zum Beispiel des Histamins – im Sinne einseitiger Ernährung der Gesundheit abträglich und fragwürdig. Das betrifft nicht nur das Kochen an sich, sondern auch das Vorbringen medizinischer Erkenntnisse im Stile der Warenwirtschaft wie in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit der Darmflora. Kritik ist auch in diesen Fällen angebracht.
Im Gegensatz zum Brat-Folien Kochbuch und auch anderen Kochbüchern mit Vorschlägen zur Verwendung alter (Römertopf) und neuer Technologien sind die medizinischen Erkenntnisse weitgehend auf dem neuesten Stand. Die Medical Cuisine geht von der traditionellen Küche in Deutschland/ Zentraleuropa aus und ersetzt Zutaten so, dass wissenschaftlich-medizinisch nachvollziehbar wird, wodurch Gesundheit ermöglicht wird bzw. Krankheiten vermieden werden können.

Das wird nun in vielfacher Weise versucht. Die Kochbücher von Martin Riegler und Andrea Grossmann sind so ein Beispiel dafür, die via Inseratenmedien vorgestellt werden. Das Thema ist wichtig: der Umgang mit Zucker (ein Thema das im Oxymel Buch nicht diskutiert wird.)

Selbst interessiere ich mich für die Ansätze der Medical Cuisine im Zuge der Erarbeitung meines Projektes Umami (File Book, INST Verlag: Wien 2024), das sich keineswegs auf ein Gewürz (Geschmack der Aminosäure Glutamat) bzw. eine Gewürzmischung oder (pflanzliche) Würzsauce (z.B. Yondu) beschränkt, nicht auf die Festlegungen des Umami Informationszentrums, auch nicht auf Umami im Sinne des Films mit Gérard Depardieu (Der Geschmack der kleinen Dinge, 2022) oder auf das Wissen um den fünften Geschmack (Heiko Antoniewicz: Umami. Tre Torri Verlag: Wiesbaden 2018). Vielmehr wird es mit dieser Publikation um einen kulturwissenschaftlichen Ansatz gehen, in dessen Rahmen Erfahrungen, Quellen, Literatur etc. detailliert dargelegt werden. Umami ist in diesem Sinne für mich nicht nur der zentrale Begriff zur Philosophie des Kochens. Umami ist nach meinem Verständnis ein anderer Begriff für Lebensfreude, die durch einen neuen Umgang mit sich, der sozialen Gemeinschaft im Kontext des Kochens erreicht werden kann. Es geht also keineswegs nur um „neues Kochen“ oder neue Kochorganisation. Umami ist als umfassender Begriff von Lebensfreude, zu der nicht nur neue Lebensmittel, neue Zubereitungen, neues Essen etc. wesentlich beitragen können, sondern insgesamt ein neuer Umgang von Menschen mit sich, miteinander und mit der Natur, ein Neologismus. Das Wort wird verwendet, weil es auf Neues verweist. Das Neue aber bestimmt sich aus meiner Darstellung, die auf kulturhistorische Traditionen zurückgeht, aber im angesicht neuer Erkenntnisse zu Lebensmittel, Medizin, Technologien Neues entwickelt.

Hintergrund der Erarbeitung des Buches Umami sind rund 60 Jahre Kocherfahrungen (die in der Küche meiner Großmutter begannen), kulturwissenschaftliche Projekte, systematische Auseinandersetzung mit der Geschichte des Kochens, mit Kochbüchern von allen Kontinenten, neuen Technologien (vor allem der Quantentechnologie), aber auch persönlichen Erfahrungen und Gesprächen mit vielen bei Kontakten, Projekten in rund 120 Ländern.

Johann Lafer hatte eine Reihe von ausgezeichneten Büchern zum traditionellen Kochen veröffentlicht. Darunter: Der Grosse Lafer. Die Kunst der einfachen Küche (Gräfe und Unzer Verlag: München 2020, 480 Seiten).
Das ist ein erstklassig gemachtes Buch mit vielen Bildern (darunter auch mit Fotoanleitungen, wie sie von Paul Bocuse bekannt sind). Eingeführt wird in Lebensmittel, Töpfe und Pfannen, Messer, Backformen, Küchenhelfer, Küchengeräte. Es folgen 60 beliebte Rezepte („Klassiker“).

Johann Lafer: der Name steht daher nicht nur für Rezepte, sondern insgesamt für Kochen in seiner Komplexität und Darstellung (inklusive Fernsehshows). Erfahrungen hat er auch mit dem asiatischen Kochen gemacht. Nicht einbeziehen konnte er in die Umsetzung seiner Erkenntnisse Schulen, wie das Jamie Oliver gelungen ist, der viel auf Volksbildung ausrichtete, auf die Freude am Kochen.

Ausgezeichnet ist diese umfangreiche Tätigkeit von Lafer erzählt worden von Jan Hofer in dem Buch „Ein Leben für den guten Geschmack“ (Gräfe und Unzer Verlag, München 2022, 192 Seiten). In diesem Fall sind es 50 Rezepte, die in diesem Kontext vorgestellt werden.

Die Medical Cuisine steht aber im Kontrast dazu. Johann Lafer macht eine Erfahrung, die ich das erste Mal in den 1980er Jahren machte. Ausgezeichnetes Kochen kann auch krank machen. Und eine Krankheit ist es, die Johann Lafer dazu veranlasst, mit MedizinerInnen ein anderes Kochen vorzuschlagen, bei dem der Genuss im Mittelpunkt bleibt. 2023 gab er dies als Grund für die Reduktion seines Fleischkonsums an.

Bei mir ging es in den 1980er Jahren um zu viel Cholesterin. Die Vorschläge zu einem anderen Kochen waren radikal und wenig hilfreich. Die medizinische Sichtweise auf Cholesterin begann sich zu differenzieren. Plötzlich hatte ich zu wenig Cholesterin, was ebenfalls gefährlich ist. Johann Lafer dagegen bricht nicht radikal mit seiner Art des Kochens, sondern er schlägt eine Küche vor, die es ermöglicht, Energie und Gesundheit auf neue Weise zu erlangen (Dr. Matthias Riedl | Johann Lafer: Medical Cuisine. Die Neuerfindung der gesunden Küche. Verlag Gräfe und Unzer: München 2021, 264 Seiten). Im Kern geht es um Verwendung anderer Lebensmittel, Gewürze. Fraglich ist in diesem Zusammenhang der Begriff „artgerechte Ernährung“, auch wenn versucht wird, zum Beispiel anhand von Zucker derartiges zu argumentieren.

Auch in diesem Zusammenhang zeigt sich ein Defizit, weil kulturwissenschaftliche Erkenntnisse nicht einbezogen wurden. Der Sprung von der Steinzeit in die Gegenwart macht gerade bei Vergleichen keinen Sinn. Dazu kommen nicht berücksichtigte neue Lebensmittel, die bisherige nachmachen (z.B. Fleisch, Fisch etc. aus Pflanzen). Das zeigt, dass es nicht um eine wirkliche Neuorientierung geht wie in der Makroküche, die neues Essen zu erfinden versucht (und nicht identisch ist mit der makrobiotischen Küche, die sich am Zen Buddhismus orientiert).

Im Gegensatz zu anderen Ansätzen einer „gesunden Küche“ beinhaltet die Medical Cuisine nicht:
– Verbote
– absurde Heilsversprechen
– fragwürdige Zutaten
– Aufforderung zur Selbstdisziplin
– keine Vorgaben zu Handlungen.
Es geht darum, satt und zufrieden zu sein, ohne dass dies negative Folgen für die Gesundheit hat.
Das klingt einfach, ist auch ein praktikabler Ansatz, aber es gäbe schon etliche Einwendungen, die zu machen wären. So ist etliches für nicht wenige nicht zu machen, weil dies für sie ebenfalls negative gesundheitliche Folgen haben könnte: im Falle von Histaminintoleranz, Gicht (Hülsenfrüchte), Schädigung der Leber (Rohgemüse), Magenblutungen (Nüsse), Vergiftungen, gefährlichen Wechselwirkungen mit Medikamenten etc.

Insbesondere ist in diesem Kontext die Rolle der Gewürze zu hinterfragen. Alfons Schubeck (Meine Küche der Gewürze. Verlag Zabert Sandmann: München 2009) geht es noch darum, Gewürze überhaupt bekannt zu machen (ein typischer Ansatz der Warenpropaganda). Dazu gibt es auch sein Warenangebot. Den medizinischen Aspekt bezieht er selbst im Ansatz nicht ein. Es fehlt hier ebenfalls am kulturwissenschaftlichen Verständnis.(4)

Interessant ist weiters zum Beispiel, dass die Zwiebel bei Lafer keine bedeutende Rolle spielt. Pablo Neruda hatte ihr ein Gedicht gewidmet. Auch beim traditionellen Kochen zum Beispiel im Rahmen der österreichischen bzw. zentraleuropäischen Küche spielt sie eine wesentliche Rolle. Und die Kräuterheilkunde [ zum Beispiel Omas Lexikon der Kräuter und Heilpflanzen. Weltbild Buchverlag: Augsburg 2008 ] weiß von vielen positiven Wirkungen, die in der Tradition europäischer Klöster stehen (zum Beispiel: Hildegard von Bingen: Das Pflanzen- und Kräuterbuch. Naumann & Göbel Verlagsgesellschaft: Köln o.J.).

Freilich unterscheidet sich aber die Medical Cuisine radikal von Publikationen wie „Schwein. Von Schopf bis Fuß – eine Reise um die Welt“ (Medieninhaber, Herausgeber und für den Inhalt verantwortlich: EZG Gut Streithof eGen: Herzogenburg 2018, 120 Seiten). Auffallend heißt es im Impressum: „Die Inhalte wurden nach bestem Wissen und Gewissen erstellt, der Medieninhaber übernimmt jedoch keine Haftung oder Gewähr für deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Zuverlässigkeit, insbesondere im Hinblick auf gesundheitliche Folgen oder Verträglichkeiten.“ (S.120.)

Mit dem Buch geht es offenbar darum, die Ware Schwein zu propagieren. So heißt es zum Beispiel: „Manche Teilstücke sind in Vergessenheit geraten oder die Scheu, mit Ripperln, Bauch & Stelze zu kochen, ist groß. Deshalb gibt es hier Rezepte, die großteils relativ schnell und einfach zuzubereiten sind und geschmacklich eine Offenbarung versprechen“ (S.9).

Derartige Publikationen stehen im Kontrast zum Antientzündungskochbuch von Riedl und Lafer (Verlag Gräfe und Unzer: München 2022). Erkenntnisse, die es zum Teil schon Jahrtausende gibt. Im Kern geht es Riedl und Lafer um folgendes: „[Die Medical Cuisine] hebt den Widerspruch zwischen Gesundheit und Genuss auf – über Rezepte für Gerichte, die lecker und antientzündlich zugleich sind.“ (S.9.)

Es gibt noch weitere derartige Bücher. Aber beim heutigen Umbruch geht es nicht nur um Lebensmittel, Gewürze, es geht insgesamt um die Kochorganisation, die Zubereitungen. Johann Lafer zur Gastroszene: Krise hausgemacht – Steirischer Starkoch rechnet mit Gastro-Szene ab | krone.at Hunderte Beiträge erscheinen in diesen Jahren zum Umbruch, der nicht nur aus gesundheitlichen, sondern auch aufgrund sozialer Notwendigkeiten unvermeidlich ist. Das Scheitern von Schuhbeck ist nach meiner Kenntnis paradigmatisch.

Andere Konzepte haben sich dagegen bewährt. Die Zeitschrift Frisch Gekocht, die seit 2000 erscheint, zeigte in diesen Jahren, welche Einflüsse wirksam sind. Sie ist Teil der Warenpropaganda von Billa bzw. heute auch Billa Plus. Medical Cuisine ist nicht ihr Prinzip, aber die Zeitschrift zeigt, dass deren Prinzipien auch für das Warenangebot nicht unbedeutend sind.

Zur Warenwirtschaft gehört auch die Berücksichtigung der Zielgruppen, deren Gesundheit unmittelbar mit dem Einkommen zusammenhängt. Wieder geht es seit einiger Zeit in Europa auch darum, wie sich arme Menschen ernähren können. 2005 erschien zum Beispiel das Buch „Haubenküche zum Beisl-Preis. 5-Euro-Rezepte von Österreichs besten Köchen“ (Wien: Hubert Krenn Verlagsgesmbh). Im Zuge der Euro Krise wurde diese Thema wieder einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Wissen gegen Hunger wurde publiziert. Die Zeitschrift Frisch Gekocht schlägt Speisen schon für einen Euro vor. Studien ergaben, dass Armut und früheres Sterben in einem Zusammenhang miteinander stehen. Ein Thema, dem sich der Bürgermeister von Wien persönlich widmet, aber die kulturellen Strukturen zur Veränderung werden nicht wirklich gefördert. Vom Bundeskanzler, Karl Nehammer, fehlt überhaupt der Ansatz zum Verständnis.

In Bezug auf Änderungen möchte ich auch auf die Lustigen Taschenbücher von Walt Disney als Beleg verweisen, dass sich gesamtgesellschaftlich die Sichtweisen verändern. 2011 erschien als Lustiges Taschenbuch Spezial, Bd. 43, der Band „Das lustige Kochbuch“. Traditionell spielen als Leckereien in den Lustigen Taschenbüchern Limo (s. Zucker), Burger, Pizza und vor allem Kuchen eine wichtige Rolle. 2020 werden sogar zu 15 Comics auch Rezepte vorgestellt (Lustiges Taschenbuch Kochbuch „Einfach Lecker!“. Egmonat Ehapa Media GmbH, Berlin). Im Zentrum stehen „Gourmets“, die einleitend von der Redaktion direkt angesprochen werden. In den vergangenen Jahren wird aber nun insbesondere die Biolandwirtschaft von Oma Duck immer wieder hervorgehoben. Es gibt auch kritische Reflexionen zur traditionellen Ernährung, dem traditionellen Kochen, dem Vertrieb des Essens.

Dazu kämen noch andere Themen, wie die Verwendung von Neuer Energie für das Kochen auf der Basis von Quantentechnologie etc.

Mein Artikel verweist vorläufig auf die Aktualität eines Forschungsgegenstandes, der im Rahmen des INST seit 1998 eine Rolle spielte. Damals ging es um das Weltprojekt der Berge, das auch durch eine Resolution der Generalversammlung der UNESCO von 2001 unterstützt wurde. Zwischenergebnisse wurden publiziert – darunter Erkenntnisse der Kulturexpedition auf den Kilimanjaro oder der Kulturexpedition in die Arktis.

In das File Book Umami werden auch diese Erkenntnisse einbezogen werden. Immerhin gab es neue Erkenntnisse im Zusammenhang mit Ernährung und Sauerstoff, Sauerstoff und Höhenkrankheiten, Ernährung und Bewegung, Ernährung um Temperaturen, die auch für das Leben in den Städten interessant sind. Aber die Publikation wird weit über den Rahmen des Weltprojektes der Berge, die Kulturexpeditionen hinausgehen. Mit diesem Weltprojekt kamen die Anstöße, sich über die Rezepte, die Technologien der Zubereitung, die Inter- und Transkulturalität hinaus grundsätzlichen Fragestellungen zu widmen.

Das Erscheinen ist für 2024 vorgesehen. In einem Jahr, das von Wahlkämpfen geprägt ist (Parlamentswahlen zum Beispiel in Österreich und der EU), worauf andere Publikationen und Projekte verweisen. Wir werden sehen, was möglich ist.

(1) Das Konzept „Medical Cuisine“ scheint auch der Österreichischen Gesundheitskasse einen Anstoß gegeben zu haben, gesundes Essen zu propagieren. Im Journal „Meine Gesundheit“ (Ausgabe 02/ Sommer 24, Wien) heißt es: „Österreichische Klassiker sind auf heimischen Tellern heiß begehrt. Allein: Hausmannskost ist zumeist wenig gesundheitsförderlich. Die Lösung? Dank kleiner Adaptierungen wird aus schweren Traditionsgerichten ein leichter(er) Genuss.“ (S.24.) Die ÖGK hat in Österreich 7,6 Millionen Versicherte. Zur Ausgabe schreiben die Obmänner: „Wir haben mithilfe der wichtigsten wissenschaftlichen Studien und der Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die „10 goldenen Tipps für eine gesunde Ernährung“ zusammengestellt.“ (S.3.) Nun ist Gold nicht wirklich gesundheitsföderlich, die Tipps strukturell gesehen aber durchaus geschäftsförderlich (wozu das Wort Gold durchaus passt). Was in dieser Ausgabe – wie bei den Büchern zur Medical Cuisine – fehlt, ist die Darstellung des Risikos, die mit diesen Tipps verbunden sind. – Wichtig für den Kontext: die Lebenserwartung in Gesundheit ist in Österreich kürzer als zum Beispiel in Skandinavien: Lebenserwartung in Gesundheit – STATISTIK AUSTRIA – Die Informationsmanager Der Vergleich: Warum die gesunden Lebensjahre so viel weniger sind als die tatsächlichen Jahre – Gesundheit – derStandard.de › Wissen und Gesellschaft

(2) In Österreich sind lebensmittelbedingte Krankheitsausbrüche im Zoonosengesetz von 2005 definiert. Freilich ist dies nur eine kleine Gruppe: Lebensmittelbedingte Krankheitsausbrüche – AGES. Tatsächlich dürften mehr oder weniger alle Menschen von Krankheiten betroffen sein,  die durch die Art der Ernährung bzw. die Konservierung der Nahrung hervorgerufen werden. Interessant in diesem Zusammenhang die Studien zur Verträglichkeit von Milch. Auf den direkten Zusammenhang zwischen Lebensdauer und gesunder Ernährung verweisen auch aktuelle Big Data Studien.

(3) Eine Beschränkung des Essens auf Vegetarisch oder Vegan bedeutet noch keine gesunde Ernäherung. Insofern sind Beschränkungen bei der Kochausbildung nicht hilfreich. Sicherlich entspricht das einem Trend, der aber ebenso den Marketing Prinzipien unterworfen ist. Eine derartige Kochausbildung wäre ebenso auf ihre Gesundheitsverträglich hin zu überprüfen.

(4) In Falle von Sepp Schellhorn verbinden sich Warenwirtschaft und Politik: Sepp, was machst du?: Ein richtig gutes Kochbuch. Profikoch und Social Media Phänomen @pepssch präsentiert seine besten 90 ReSEPPte : DK Verlag, Schellhorn, Sepp, Pertramer, Herr Ingo: Amazon.de: Bücher Seine Homepage ist ein Beispiel für derartige Partikularinteressen: Sepp Schellhorn | Abgeordneter zum Nationalrat Es waren zwar Elemente des Main Stream übernommen (Jamie Oliver: alle können kochen), aber sie zielen nicht auf gesellschaftliche Veränderungen/ Gesundheit, sondern auf Selbstpräsentation und Gewinn.

Erste Fassung: 30.5.2023
Weitere Fassung: 3., 26., 27.8., 10.9.2023, 28.1., 9.3., 31.5., 18.6., 12.8., 12.10., 31.10., 1., 14.11.2024, 2.1.2025