Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 14. Nr. Dezember 2002

Bericht zum Workshop "Transdifferenz"

Iris Gruber (Universität Erlangen)

 

Wir haben uns im Rahmen der Konferenz am Freitag, den 6. Dezember 2002 zusammengefunden, um gemeinsam den Workshop "Transdifferenz" durchzuführen. Wir, das waren Britta Kalscheuer, Lars Allolio-Näcke, Henning Schäfer, Iris Gruber und Doris Schwarzwald, sowie zunächst nicht mehr als zwei ZuhörerInnen, die sich aber nach der Pause dann doch noch zu einer angenehmen Diskussionsrunde vervielfachen sollten.

Angenehm war es freilich auch davor, denn eine kleine Gruppe, auch wenn wir mit einer solchen gar nicht gerechnet hatten, schafft immer gleich eine sehr persönliche Atmosphäre und erleichtert die Kommunikation um diverse Formalia, weil auf sie einfach verzichtet werden kann. So hatten wir etwa Zeit, neben den Vortragenden auch über die Arbeit der Zuhörenden zu sprechen, nicht nur ein Gesicht, sondern auch Namen und Tätigkeiten kennen zu lernen.

Um so intensiver gestalteten sich die Diskussionen, und da wir uns - vier Vorträge sind ja nicht allzu viel - auch nicht ganz streng an die Regel 20 Minuten Redezeit, 10 Minuten Diskussion halten mussten, war es möglich, auf kritische Punkte und Fragen, auf Uneinigkeiten und Anschauungen genauer einzugehen.

Folgendes wurde besprochen: Die Transdifferenz ist ja noch nicht in aller Munde, sondern ein concept in progress, an dem sich das Graduiertenkolleg "Kulturhermeneutik im Zeichen von Differenz und Transdifferenz" der Universität Erlangen abarbeitet. Im Augenblick existiert - neben einigen Vorstellungen und Berichten von StipendiatInnen sei für genauere Informationen auf die Homepage(1) des Graduiertenkollegs verwiesen - lediglich eine Publikation von den "Erfindern" des Wortes: Helmbrecht Breinig und Klaus Lösch, die gemeinsam mit Jürgen Gebhardt den Band "Multiculturalism in Contemporary Societies. Perspectives on Difference and Transdifference"(2) herausgegeben haben.

So berichteten Britta Kalscheuer und Lars Allolio-Näcke zunächst über den Forschungsstand, versuchte und verworfene Definitionen, die nahezu kriminologische Vorgehensweise, die die Erfassung der Transdifferenz bisher gefordert hat, freilich ohne dass sie "geschnappt" worden wäre, denn "die Schwierigkeiten beginnen ja schon mit der Verortung des Status von Transdifferenz: Handelt es sich um einen Begriff, ein Konzept, eine Metapher oder gar um ein Phänomen?"(3)

Die Frage blieb zunächst unbeantwortet, beziehungsweise wurde sie als solche schlussendlich überhaupt wieder verworfen, denn auf diese Weise lassen sich Prozesse nicht erfassen. Wir erfuhren, dass die Transdifferenz eigentlich unmöglich festgeschrieben werden kann, ohne sie dabei dessen zu berauben, was sie auszeichnet (und auch dafür müssen wir uns wiederum fixierender, verallgemeinernder Begriffe bedienen): nämlich das, dass sie sich ergibt, dass sie Differenzmarkierungen als oszillierend wahrnehmbar macht, in Zonen der Unbestimmtheit entsteht und Differenzen nur temporär durchbricht, denn: "Transdifferenz intendiert lediglich eine Relativierung, nicht aber eine radikale Dekonstruktion von Differenz [], Transdifferenz ergibt sich, sie ist nicht verfügbar"(4) etc.

Aber hier ist nicht der Ort, an dem dies alles noch einmal wiederholt werden soll, sondern viel eher jener, an dem ich mitteilen kann, dass das Konzept "Transdifferenz" aufgrund seiner "betonten Temporalität und Genauigkeit", so der Tenor, wenigstens die beiden Zuhörenden durchaus angesprochen zu haben scheint, und wer sich nun durch diese Andeutungen inspiriert, noch weiter dafür interessiert, der möge selbst an anderer Stelle genauer nachlesen.

Mit den grundlegenden Informationen im Hintergrund machten wir uns im Folgenden auf den Weg, die Funktionalität von Transdifferenz zu verorten, ihre Sinnhaftigkeit für den wissenschaftlichen Betrieb unter die Lupe zu nehmen.

Dies erfolgte zunächst - mit durchaus kritischen Untertönen versehen - im Vortrag von Henning Schäfer: Transdifferenz und Postkolonialismus - Einige Gedanken zu Hybridität, Synkretismus, Artikulation und "Responsible Criticism", in dem er Genanntes vor der Folie der Transdifferenz als möglicher Überbegriff für Konzepte der kulturellen Vermischung, Überlagerung und Interdependenz genauer untersuchte. Weder Schaden noch Nutzen wurde in der Conclusio, von mir hier vereinfacht dargelegt, der Transdifferenz-Idee zugesprochen, die anschließende Diskussion gestaltete sich dementsprechend polarisiert und lief an der Stelle, an dem sie dann doch aus Gründen des Zeitmangels abgebrochen wurde, gerade Gefahr, ein wenig ins allzu Allgemeine abzugleiten, wo es um die Frage ging, ob Wissenschaft und politisches Engagement, wie es die Postcolonial Studies fordern, vereinbar seien oder nicht.

Dem folgte - gerade noch rechtzeitig vor der Kaffeepause - dann mein eigener Vortrag Transdifferenzphänomene am Beispiel der littérature migrante in Québec, in welchem ich versuchte, das Transdifferente in der Literatur, genauer: der littérature migrante als einer Strömung der zeitgenössischen Literatur aus Québec, Kanada darzustellen, damit auch Wege und Möglichkeiten, zu zeigen, wo dieses sich im genannten Sinne eventuell ergeben könnte und zwar textimmanent ebenso wie textextern.

Diskutiert wurde dies dann eher in der privaten Kaffeepause als danach im öffentlichen Bereich, zumal sich unser kleiner Raum OEU 542 im Folgenden ganz unvorhergesehen mit - wie schon erwähnt - mehreren Interessierten zu füllen begann. Dies nimmt nicht Wunder, ging es im letzten Beitrag von Doris Schwarzwald auch nicht mehr um die ungekannte Transdifferenz, sondern um "hybride identitäten und kulturen", am Beispiel von Mittel- und Lateinamerika, nach der Theorie von Hernando Ortíz. Wie sich herausstellen sollte, war den Begriffen und ihren Verwendungen auch hier freilich keinerlei Eindeutigkeit zu Eigen, wurde im Gegenteil sowohl nach dem ganz Neuen, dem ganz Speziellen als auch der binären Opposition (die wir doch zuvor, Hélas!, schon verabschiedet hatten) zu dem, das "das Hybride" bedeute, gefragt und Welt- wie Wissenschaftsanschauungen verschiedenster Art einander gegenübergestellt. Vom Modell des Baumes und seinen mythischen Wurzeln über die Metaphorik in den Texten von Gioconda Belli, der Symbolik in der Ornamentalik des mexikanischen Barock über Zwischenrufe aus dem Bereich der jüdischen Identität in Ungarn und den kanadischen Ureinwohnern kamen wir bis zu der Frage nach dem hybriden Wiener/ der hybriden Wienerin sowie der Frage nach der Frage, die wir uns eigentlich stellen, und im Bewusstsein, dass wir diese, den Göttinnen sei Dank, nicht alle gleich beantworten, also nicht alle im wissenschaftlichen Einheitsbrei rühren, konnten wir dann, mit dem guten Gefühl, einige konstruktive und lebendig-kommunikative Stunden verbracht zu haben, auch wieder auseinander gehen.

© Iris Gruber (Universität Erlangen)

TRANSINST       Inhalt / Table of Contents / Contenu: No.14


ANMERKUNGEN

(1) Siehe: http://www.kulturhermeneutik.uni-erlangen.de/

(2) Breinig, Helmbrecht; Lösch, Klaus: "Introduction: Difference and Transdifference". In: Breinig, Helmbrecht, Gebhardt, Jürgen, Lösch, Klaus: Multiculturalism in contemporary societies: Perspectives on Difference and Transdifference. Erlanger Forschungen Reihe A Geisteswissenschaften: Univ.-Bund Erlangen-Nürnberg, 2002, 11-36.

(3) Lars Allolio-Näcke; Britta Kalscheuer: Zwei Jahre Transdifferenz - Eine Zwischenbilanz. Vortragstext für den Workshop "Transdifferenz" im Rahmen der Konferenz "Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen"; Wien: 6.-8. Dezember 2002.

(4) Ebda.


For quotation purposes - Zitierempfehlung:
Iris Gruber (Universität Erlangen): Bericht zum Workshop "Transdifferenz". In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 14/2002.
WWW: http://www.inst.at/trans/14Nr/gruber14.htm.

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