Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. April 2004
  5.14. "Den Kunstbegriff gilt es auf Punktgröße zu verändern." Kunst als Raum der Kommunikation
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Monika Leisch-Kiesl (Linz)

Schrift - Zeichen - Codes. Zur Ästhetik islamischer Kalligraphie

Sabine Sobotka (Kunsthistorikerin, Linz)

 

"Schrift ist eine der wesentlichsten Kulturleistungen der Menschheit. Sie bedarf eines Trägers, der als zeitüberdauernder Beschreibstoff der Kommunikation dient, Wissen und Erfahrung tradiert und so zum kulturellen Gedächtnis der Menschheit wird."(1)

"Was der Besucher in der Ausstellung das 'Siegel des Sultans' zu sehen bekommt, ist oberflächlich gesehen jedoch nichts weiter als eine Abfolge von Bögen und Strichen, mit feiner Tusche auf gebleichtes und koloriertes Papier aufgetragen und mit Spiralranken, Hasten und Schleifen verziert. Zwar weiß man, dass diese Linien Ausdruck eines komplexen Codes sind, doch für den nicht-arabischsprechenden Besucher verweisen diese Zeichen auf nichts als sich selbst."(2)

Die Rolle der Sprache ist in der arabischen Kultur einzigartig. Nichtsdestotrotz war Schrift etwas Bekanntes im vorislamischen Arabien. Der Handel war ein wesentlicher Bestandteil des Lebens. Papyrus und Pergament waren die am häufigst verwendeten Materialien. Eine sehr interessante Besonderheit bilden die arabischen Holzstäbchen, denn sie geben einen großartigen Einblick in das Alltagsleben (Abbildung 1).

Abbildung 1:
Altsüdarabische Holzstäbchen
Jemen, 7. Jahrhundert v. Chr. Bis 3. Jahrhundert n. Chr.
L 14,9 und 7,9
Bayerische Staatsbibliothek, Mon. Script. Sab. 12 und 48

Diese Holzstäbchen stammen aus dem Gebiet des heutigen Jemen, wo sie zwischen 600 vor Chr. und 200 n. Chr. Verwendung fanden. Sie zeigen eine altsüdarabische Minuskel - oder Kursivschrift, eine Schrift, die für Inschriften auf Stein nicht verwendet werden konnte, weil sie die Weichheit des Materials bedingt. Einige tausend solcher Stäbchen wurden bis jetzt gefunden und nur 16 davon vollständig entziffert. Es handelt sich um Dokumente aus dem Alltagsleben, Warenbestellungen, Empfehlungsschreiben, private Mitteilungen und Personenlisten. Die Stäbchen zeugen von der weit verbreiteten Lese - und Schreibfähigkeit der Bevölkerung des antike Südarabiens.

Ein sehr frühes Beispiel ist eine Koranhandschrift, die ins 8. Jahrhundert datiert wird (Abbildung 2). Die hochformatige Handschrift hat die Maße 30 x 20 cm. Es handelt sich hier um eine schräg angelegte Kursivschrift. Die Seite wirkt auf den ersten Blick unruhig. Man weiß, dass im Arabischen von rechts nach links geschrieben wird und das Auge versucht, diesem Duktus auch zu folgen. Doch letztendlich steht man vor dem Problem, dass das Auge nirgends Halt findet. Wenn man des Arabischen nicht mächtig ist, wird man durch das Lesen nicht an die Zeilen gebunden. Somit beginnt man, die Seite als Ganzes zu betrachten. Der Blick springt umher und wird eigentlich nur von den in ihrer Vertikalität im wahrsten Sinne des Wortes herausragenden Buchstaben aufgehalten. Da diese vertikalen Buchstaben naturgemäß in unregelmäßigen Abständen wiederkehren, ergibt sich eine rhythmisch wenig ausgeglichene Bildfläche.

Abbildung 2:
Doppelseite aus einer Koranhandschrift des 8. Jahrhunderts
London, British Library

Im hell unterlegten Feld findet sich folgende Buchstabenkombination:
" (wa:w) (alif) Kombination: (alif) la:m", darunter, vielleicht leichter zu erkennen: " alif (la:m), (la:m) (ha:) für "Allah".

Würde es nur darum gehen, die Buchstaben alif und la:m zu kombinieren, bestünde, wie das Beispiel 'Allah' zeigt, kein Problem. Doch es besteht scheinbar beim Künstler der Wunsch, die beiden Zeichen zu verbinden; würde er sie nun übereinander zeichnen, könnte man das alif nicht mehr vom la:m unterscheiden. Der Buchstabe darf sein Gesicht nicht verlieren. Also 'erfindet' der Künstler eine neue Form. Ihre Begründung liegt alleine in einem ästhetischen Anspruch.

Dieser scheinbare Drang zur Ästhetisierung der Buchseiten wird nun zum Prinzip, wie einige wenige Beispiele zeigen sollen (Abbildung 3):

Abbildung 3
Cod. arab. 2569, München, Bayerische Staatsbibliothek
Pergament, 24 x 32 cm, Kufi, 15 Zeilen
Blatt 159r, Sure 22,78-23,8
Syrien (?), 9. Jahrhundert

An dieser etwas später entstandenen Handschrift aus Syrien kann man schon wesentliche Änderungen sehr gut sehen. Was sofort auffällt, ist, dass man vom Hochformat zum Querformat gewechselt hat. Der Grund für das Querformat ist einleuchtend. Die vertikalen Buchstabenschäfte treten in unregelmäßigen Abständen auf und dem versucht man entgegenzuwirken, indem man die Horizontale stärker betont. Wirkt die ältere Handschrift noch sehr eng und gedrängt, kann man hier zwischen den einzelnen Wörtern Luft holen!

Man dehnte einige Buchstaben erheblich und streckte, um ein Gegengewicht zu diesen "Hasten" genannten Formen zu erhalten, die Schwingungen unter der Zeile. Manchmal artete diese Neigung so soweit aus, dass man die Schäfte ganz nivelliert und so zum 'schleichenden' Kufi gelangte.

Überdies werden nun besonders hervorzuhebende Zeilen in reinem Gold geschrieben. Die hier verwendete Schrift ist das eckig wirkenden Kufi, ursprünglich eine Monumentalschrift die in der Architektur und auf Steinmetzarbeiten verwendet wurde und bis ins 10. Jahrhundert für Pergamentkorane in Gebrauch blieb.

Wie in der älteren Handschrift wurde auch dieser Koran mit schwarzer Tinte geschrieben. Die Surenüberschriften, die im gleichen Duktus gehalten sind, werden in Goldtinte hervorgehoben und mit feinen Linien konturiert. Als Verszähler dienen Goldrosetten. Der tropfenförmige Buchstabe 'ha', dem im arabischen Alphabet der Zahlenwert 'fünf' entspricht, markiert je fünf, ein quadratisches Ornament je zehn Verse. Da der Koran laut gelesen, sind die Pausen wichtig, um Luft zu holen. Zur Bezeichnung der in der arabischen Schrift nicht zum Ausdruck gebrachten Kurzvokale a, u und i sind rote und grüne Punkte, gelegentlich auch grüne Schrägstriche hinter die ihnen vorausgehenden Konsonanten gesetzt. Erst in späterer Zeit wurden diakritische Zeichen zur Unterscheidung gleichförmiger Konsonanten nachgetragen. Kufi war für die späteren Generationen schwer zu lesen und man hat sie auf Grund der leichteren Identifizierung nachträglich eingesetzt.

Abbildung 4
Seite aus einem Koran, Chester Beatty Library, Dublin
Pergament, 18,5 x 26 cm, Kufi, 6 Zeilen, Sure 18
9. oder 10. Jahrhundert

Diese Seite (Abbildung 4) aus der Chester Beatty Library in Dublin geht nun einen wesentlichen Schritt weiter. Die einzelnen Wörter rücken auseinander. Wir haben viel Platz, der aber nicht unangenehm wirkt. Zusätzlich passiert nun etwas, was für die Zukunft der islamischen Buchmalerei nicht unerheblich ist. Die in der vorigen Handschrift noch im gleichen Duktus gehaltenen Surenüberschrift - ihre einzige Kennzeichnung war die Verwendung der Goldschrift - wird uns nun in einer ornamental sehr elaborierten Form präsentiert. Es besteht augenscheinlich der Wunsch, die unterschiedlichen Höhen der Buchstaben auszugleichen; die dadurch entstehenden freien Flächen werden konturiert und mit herzförmigen Motiven, Palmetten und Flechtbändern gefüllt. So erhalten wir ein ornamentales Rechteck, das nun abermals von einem geschlossenen Flechtband umgeben wird. So entsteht eine gewisse Abgeschlossenheit der Schrift. Sie wird sozusagen ins Ornament eingebettet. Diese doch nun etwas monumental anmutende Form wird durch das aufgesetzte Bäumchen rechts aufgelöst, das symmetrisch in filigranen Zweigen herauswächst und in einem wunderschönen Palmettenblatt endet.

Folgende Handschrift (Abbildung 5) befindet sich in der Wiener Nationalbibliothek und wird um 850 - 900 datiert. Ich habe in den frühen Handschriften keine Beispiele gefunden, in welchen der gesamte Text einer Buchseite auf einem ähnlich ornamental ausformulierten Untergrund aufliegt. Wie aber schon die Seite aus der Handschrift aus Dublin gezeigt hat, ist es durchaus üblich, einzelne Textstellen hervorzuheben.

Abbildung 5
Cod. mixt. 814, Fol. VIb, Nationalbibliothek Wien
Fragment eines Korans, Einzelblatt
Sure 9, 99
Nahost, um 850-900

Diese Zierseite dient dazu, im fortlaufenden Surentext den allerheiligsten Namen Gottes ('in allah') hervorzuheben. Diese beiden Worte sind in das rechteckige Mittelstück des Ornamentfeldes eingeschrieben. Sie liegen jedoch nicht auf dem Ornamentfeld auf, sondern es bleibt dafür ein weißer Hintergrund ausgespart. Der ornamentale Schmuck wurde vor der Schrift angebracht, denn sehr schwungvoll setzt die Schrift sich über die ihr gesetzten Grenzen hinweg.

Der Schmuck selbst besteht aus Palmettenblüten und aus mehreren fünfblättrigen Kelchpalmetten und einzelnen geschwungenen Blättern. Das Feld wirkt unruhig, auch wegen der fehlenden Symmetrie. Um das Mittelfeld herum finden sich drei Rahmenleisten. Zunächst ein engmaschiges, aus vier Strängen gebildetes helles Flechtband mit Zwischenräumen. Darauf ein weiteres doppelt geführtes Flechtband, das zwischen seinen Strängen ein enges Mäanderband zeigt. Ganz außen eine zierliche Wellenranke mit großen und kleinen Blättern. Die Ansa - Palmette auf den rechten Rand besteht aus zwei paar Binden oder Flatterbändern, die von einem granatapfelblütenartigen Mittelstück bzw. von einer Herz-Palmetten-Komposition ausgehen. Darüber finden sich symmetrisch angeordnete Ranken mit spitz zulaufenden Blättern sowie zwei Halbpalmetten, die ein hell ausgespartes dreiblättriges Motiv umfassen.

In dem Bereich unterhalb des Ornamentfeldes wurde sowohl in arabischen als auch in lateinischen Buchstaben 'in allah' später noch einmal geschrieben. Übersetzt würde es 'das Allah' heißen und ergibt nicht wirklich Sinn. Zugunsten der Form wird die Funktion aufgehoben.

Aus ihrer unmittelbaren Beziehung zum göttlichen Wort wurde die arabische Kalligrafie eine der wichtigsten, ja sogar die wichtigste Kunst des Islam(3). Doch der Erfolg der Kalligrafie lässt sich nicht allein durch ihre Rolle in der Religion erklären. Das, was ich großteils im Rahmen dieser Arbeit getan habe, war nichts anderes, als Bilder zu beschreiben. Dies ist möglich, weil der Text als Bild aufgefasst wird, auch von arabisch sprechenden Personen. Mochsen Shata(4) bestätigte mir dies, indem er auf das Problem der Übersetzungsmöglichkeiten der Texte hinwies. Die Schwierigkeit, den Text zu übersetzen, besteht darin, dass der Betrachter zuerst ein Bild sieht, das er dann mühsam dechiffrieren muss. Überdies besitzt die arabische Kalligrafie ästhetische Eigenschaften, die unabhängig vom Sinn sind. Das beweist die Tatsache, dass man sie aus rein dekorativen Gründen durchaus in byzantinischen Bildwerken und auf gotischen Kirchenfassaden wiederfindet.

Gerade das zeigt das Gefühl der Künstler für die Formschönheit der arabischen Kalligrafie. Selbst in den islamischen Werken haben die Inschriften manchmal keinen Sinn. Sie sind Pseudo-Inschriften zu rein ornamentalem Zweck. Die Kalligrafie hört hier auf, Mittel zu sein und findet ihr Ziel in sich. "Die Schrift, die nach der üblichen Definition nur ein System von an sich bedeutungslosen Zeichen und ein Kommunikationsmittel ist, wird zur autonomen Kunst, zur reinen Form."(5)

 

© Sabine Sobotka (Kunsthistorikerin, Linz)


ANMERKUNGEN

(1) Leskien, Hermann: Ausstellungskatalog, München 2000. Seite 9.

(2) Hanselle, Ralf: Die Feder des Kopisten. In: Freitag: Die Ost-West-Wochenzeitung, 16.03.2001. Internetausgabe: http://www.freitag.de/2001/12/01121501.htm Rezension der Ausstellung 'Siegel des Sultans - Osmanische Kalligrafie aus dem Sakip Sabanci Museum' die im Berliner Guggenheimmuseum 2001 gezeigt wurde.

(3) Papadopoulo, Alexandre: Islamische Kunst, Freiburg 1977, Seite 171ff.

(4) Fotograf, stammt aus Ägypten und lebt seit 25 Jahren in Österreich.

(5) Papadopoulo, Alexandre: Islamische Kunst, Freiburg 1977, Seite 172.


5.14. "Den Kunstbegriff gilt es auf Punktgröße zu verändern." Kunst als Raum der Kommunikation

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For quotation purposes:
Sabine Sobotka (Kunsthistorikerin, Linz): Schrift - Zeichen - Codes. Zur Ästhetik islamischer Kalligraphie. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/05_14/sobotka15.htm

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