Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 16. Nr. | August 2006 | |
5.7. Theater und Fest - Ursprünge und Innovationen in Ost und West |
Uta Treder (Università degli Studi di Perugina)
Wie bekannt, geht die Stammvaterschaft des attischen Theaters auf Dionysos und die mit ihm verbundenen Kulte zurück. Der ägyptenkundige Herodot sieht hinter Dionysos den Gott Osiris, dessen Ermordung, Zerstückelung und Auferstehung im Mittelpunkt des wichtigsten ägyptischen Theater-Festes standen. Am Beginn waren also Kult und Theater eng miteinander verknüpft. In der Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik hat Nietzsche die theaterschaffende Kraft des Dionysischen hinreichend beschrieben. Schon Hölderlin hatte in seiner Antigone-Übersetzung(1) durch die Akzentuierung des Archaisch-Orientalischen(2) die Verknüpfung der Figur und Handlungsweise der thebanischen Königstochter mit dem Dionysischen wieder in den Vordergrund gerückt, die Verbindung allerdings zum Kult auch nicht wieder herstellen können. Damit traf er den Nerv, denn während im klassischen Theater der Rekurs auf die griechische Mythologie eine durchgehende Praxis ist - man denke nur an Goethes "Klassische Walpurgisnacht" oder an Kleists Amphitryon -, bleibt die Beziehung zum Kult, bzw. Fest unterbrochen. Das ist, so weit ich sehe, auch der Fall im modernen Theater, wo immer wieder Bearbeitungen des Mythos vorgenommen werden, wie George Steiner(3) in seinem grundlegenden Werk für den Antigone-Komplex festgestellt hat und wie es, allgemein gesprochen, die Aufsätze des Bandes Il mito nel teatro tedesco(4) darlegen, kaum aber je wieder ein Bezug zum Kult aufscheint.
Was ich in meinem Vortrag zeigen möchte, ist gerade das Gegenteil, dass sich nämlich, allem Anschein zum Trotz, auch im modernen Theater Beziehungen zum Fest auffinden lassen, bzw. neue geknüpft werden und zwar nicht nur zum heidnischen Kult, sondern auch zu den festlichen Grundpfeilern des Judentums und der christlichen Kirche. Drei Dramen stehen sozusagen emblematisch für die möglichen Demonstrationsobjekte dieser Hypothese: Frank Wedekinds Frühlings Erwachen (1890/91), Gabriele D’Annunzios La figlia di Iorio (1903), Else Lasker-Schülers Arthur Aronymus und seine Väter (1932)(5).
Im Mittelpunkt des letzten steht der Konflikt zwischen Juden und Christen in einem beunruhigenden Kontext von Antisemitismus und Hexenwahn. Handlungsort ist das westfälische Dorf Gäseke(6), "Hexengäseke", wie es in der gleichnamigen, 1925 entstandenen Erzählung noch unverblümt genannt wird. Dora, das achte von den dreiundzwanzig Kindern des jüdischen Gutsbesitzers Moritz Schüler und seiner Frau Henriette leidet an dem vom Volk als Veitstanz bezeichneten Übel und wird deswegen als Hexe angesehen und verfolgt. Dieser Hexenwahn einer ignoranten, abergläubischen katholischen Landbevölkerung repräsentiert aber nur eine Spielart des in Westfalen äußerst virulenten Antisemitismus. Im dritten Bild des in Bildern strukturierten zweiten Dramas Else Lasker-Schülers klagen die Juden dem Landesrabbiner von Westfalen Uriel ihr Leid. Auch Arthur Aronymus - eine mögliche Kontamination von Aron, dem Namen von Else Lasker-Schülers Vater, und Anonymus(7) -, der achtjährige Titelheld und siebzehnte Sohn der Schülers, hat sich heimlich zum Oberrabbiner, seinem Großvater mütterlicherseits, aufgemacht, um ihm zu berichten, dass die Leute von Gäsecke seine Schwester Dora für eine Hexe halten. Seinen Geschwistern und ihm wird außerdem der antisemitische Schmähruf Hepp! Hepp! hinterhergerufen. Der schelmische, aber treuherzige Junge glaubt der Erklärung des katholischen Kaplans, der ihm gesagt hat, hepp, hepp bedeute, dass für die Juden Jerusalem nicht verloren sei. In Wirklichkeit - wir wissen es leider nur zu gut - ist es umgekehrt, denn hepp, hepp ist die Abkürzung bei Verdoppelung des Endlauts des lateinischen "Hierosolyma est perdita".
Kern- und Angelpunkt des Stücks ist die Freundschaft des kleinen, stets zu Streichen aufgelegten Arthur Aronymus mit dem katholischen Kaplan Bernard Michalski. Die Versöhnung zwischen Juden und Christen, mit der das 1932 veröffentlichte und 1936 im Züricher Exil uraufgeführte Drama, das nach nur zwei Vorstellungen(8) vom Spielplan abgesetzt wurde, endet, ist sein Werk. Zwei Feste, Weihnachten und Pessah, das jüdische Osterfest, die jeweils frohsten Feste für Christen- und Judentum, bedeuten sie doch für die einen die Geburt des Heilands-Messias, für die anderen das Ende der ägyptischen Gefangenschaft und die Rückkehr ins Gelobte Land der Väter, spielen dabei eine hervorragende Rolle. Der Kaplan, ein redlicher, um die Versöhnung zwischen Christen und Juden bemühter junger Mann, lädt Arthur Aronymus zum Heiligabend zu sich ein, um ihn zusammen mit seinen beiden Nichten zu beschenken, wie es bei der Christenheit Deutschlands Brauch ist. Doch noch bevor ihm der Satz entfährt, der alles zerstören soll, noch bevor ein "Stein" gegen sein Wohnzimmerfenster geworfen und ein antisemitisches Schmählied gesungen wird, ist es für den aufmerksamen Leser/Zuschauer klar, dass sein Unterfangen zum Scheitern verurteilt ist. Die Antizipation des Misslingens ist der Sprache anvertraut. Eine Überbetonung von Christ - Christbaum, christliche Weihnacht, christliches Weihnachtslied etc. - ist das negative Signal für eine Toleranzvorstellung, die von der Priorität des Christentums ausgeht, die die ideologische Grundlage des Antisemitismus - nämlich die Juden als Mörder Christi anzusehen und zu verurteilen - derart verinnerlicht hat, dass ein Satz wie: "aber du willst doch wohl kein dreister Judenjunge werden"(9), dem Kaplan wie von selbst entschlüpft. Zu diesem Satz, den er, wie es in der gleichnamigen Erzählung sieben Jahre vorher heißt, sein Leben lang bereuen soll, lässt sich der Kaplan hinreißen, als er bemerkt, dass Arthur, auf Drängen einer seiner Nichten, heimlich eine Schaumkugel aus dem Tannenbaum stibitzt hat. Der kleine Junge ist über diese Bemerkung so tief erschrocken, dass er davonläuft und krank wird. Wie wild und außer kirchlicher Kontrolle geraten, sich der Judenhass gerade an Weihnachten gebärdet, bekommt die gesamte Familie Schüler am ersten Weihnachtstag zu spüren, als Leute aus dem Dorf in ihren Garten dringen und ein dreistimmiges Hexenlied singen:
Maria, Joseph, es läutet so heiss
Bommel la bammel,
Wasch in Jesu Blut deck weiss,
Bimmel la bammel,
zie ding Hexenschwänzchen ein
Und erleide Höllenpein, Höllenpein,
h, h, Höllenpein.
Der Refrain lautet: "Wir aber danken Herrn Jesu Christ, / Da durch ihn unsere Seele errettet ist(10)" Als sich die Feindlichkeiten noch mehr zuspitzen, weiß sich der Kaplan keinen anderen Rat, um den Antisemitismus seiner Gemeinde in Schach zu halten, als der Familie Schüler vorzuschlagen, dass eines ihrer dreiundzwanzig Kinder - und natürlich fällt die Wahl auf den kleinen Arthur Aronymus - sich zum Christentum, sprich Katholizismus bekehren soll, damit der Feindschaft der Gemeinde die Spitze genommen wird. Dieser Vorschlag, der einer Zwangstaufe gleichkommt, der den jüdischen Familien in der Vergangenheit nicht selten von wohlwollenden katholischen Priestern angetragen wurde, wird natürlich von der Familie Schüler mit Entsetzen abgelehnt.
Was das Fest der Geburt Christi, Weihnachten, nicht vermag, nämlich Versöhnung und Frieden zwischen Juden und Christen zu stiften, gelingt dem katholischen Bischof am jüdischen Pessahfest. Ihm, dem Seelenfreund des inzwischen verstorbenen Großvaters der Schüler-Familie, eignet ein Charaktermerkmal, das ihn mit dem Rabbi über dessen Tod hinaus verbindet und das in Else Lasker-Schülers Symbolik eine Vorrangstellung einnimmt: ein Kind zu sein, ein "Urkind", wie Rabbi Uriel gleich zu Anfang des Stückes genannt wird. Doch dieser erwachsene "homo ludens" bedarf der Vermittlung eines wirklichen Kindes. Als der Bischof zusammen mit dem Kaplan, seinem Neffen, der inzwischen Karriere gemacht hat, zum Pessahfest nach Gäsecke kommt, wo dem Antisemitismus immer noch kein Einhalt geboten worden ist, kommt Arthur Aronymus wiederum die Mittlerrolle zu. Ihm und seiner Freundschaft mit dem Kaplan ist es zu verdanken, wenn der Bischof die Einladung der überaus gastfreundlichen und, so oft es geht, Feste feiernden Schülers zum Pessahfest annimmt. Zuvor hat der Bischof den fanatischen Katholiken von Gäsecke von der Sünde der Judenverfolgung und davon, Dora als Hexe zu betrachten, gepredigt. Es ist der Sederabend, mit dem das Pessahfest zur Erinnerung an den Auszug aus Ägypten beginnt. Der Tisch ist festlich gedeckt. An ihm sitzen die dreiundzwanzig Kinder und Kindeskinder der Schüler. Das Theatermanuskript enthält ganz am Anfang eine von Else Lasker-Schüler selbst ausgearbeitete Sitzordnung(11). Wie es zum Brauch des Sederabends gehört, haben die Schüler auch sieben arme Juden eingeladen, die sie mit so großer Zuvorkommenheit behandeln, dass der Bischof ausruft: "Wir sind hier im Haus eines Fürsten"(12). Arthur Aronymus wird neben seinen Freund, den Kaplan, gesetzt, mit dem er Hand in Hand sitzt. Schon aus dieser Sitzordnung und der Geste des Kindes geht hervor, dass er der eigentliche Protagonist der Versöhnung ist. Der Bischof, ein "Urkind", wie sein verstorbener Freund, der Landesrabbiner von Westfalen, fühlt sich am Tische der Schüler sofort heimisch. Auch das ungesäuerte Brot, der Mittelpunkt des nach ritueller Vorschrift gedeckten Tisches, mundet ihm, in Moselwein getunkt, ganz vortrefflich. Der symbolische Versöhnungsakt, mit dem das Stück endet, sieht eine Vertauschung der Rituale vor: der Bischof spricht seinen jüdischen Segen über das Volk Israel und Mutter Schüler bricht christlich das Brot(13). Hinter dem Sederabend scheint ein anderes jüdisches Fest auf und verschmilzt förmlich mit ihm: Jom Kippur(14), "Schabbat Schabbaton", der heiligste aller Schabbattage, das große Versöhnungsfest am Anfang des jüdischen Jahres. Voraussetzung dafür, dass sich Jahwe mit den Gläubigen, d.h. mit seinem Volk, versöhnt, ist, dass sich jeder einzelne Gläubige mit allen seinen Mitmenschen aussöhnt. Das Gebet, mit dem Jom Kippur endet, ist das gleiche, mit dem auch der Sederabend beschlossen wird: "Nächstes Jahr in Jerusalem". Dass die Versöhnung von Juden und Christen unter dem Vorzeichen Jahwes eigentlich erst möglich wird, geht auch aus der Haggada-Lektüre hervor, die für den Sederabend obligatorisch ist und von Vater Schüler vorgelesen wird. Sie enthält, in synoptischer Form, die Geschichte der Genesis (1. Buch Mose) von der Schöpfungsgeschichte bis zum Auszug der Juden aus Ägypten.
Die "Judenjüngerin des Gottessohnes", als die Else Lasker-Schüler sich selbst definierte, vermag also Christus und Jahwe als gleichwertig nebeneinander zu stellen. Es braucht wohl nicht betont zu werden, wie anders die Wirklichkeit war, als das Stück der Exilantin 1936 unter der Regie von Leopold Lindtberg zum ersten Mal in Zürich aufgeführt wurde, denn auch das Exilland(15) vieler deutscher Juden, die Schweiz, war nicht das Land, in dem damals die Grundidee des Dramas hätte Fuß fassen können. Die Gründe für die Absetzung von Arthur Aronymus nach nur zwei Vorstellungen sind heute noch umstritten. Zeitgenössischen Quellen zufolge soll ein Streit zwischen Else Lasker-Schüler und der Frau des Theaterdirektors dafür verantwortlich sein. Aber in Anbetracht des denkbar ungünstigen Datums der Uraufführung - am 19. Dezember - und der Schwierigkeiten, die Else Lasker-Schüler in den Weg gelegt wurden, damit sie, ohne je die offizielle Aufenthaltsgenehmigung zu erlangen(16), in der Schweiz bleiben konnte, ist auch die sich hartnäckig haltende Stimme nicht von der Hand zu weisen, der zufolge die deutsche Botschaft Druck auf die Schweiz ausgeübt hat, auf dass dieses "skandalöse", entartete Stück einer Jüdin vom Spielplan abgesetzt würde(17).
Was Wedekinds Stück mit dem Else Lasker-Schülers verbindet, ist in erster Linie die Tatsache, dass Kinder Handlungsträger des Dramas sind, bezeichnete Wedekind doch sein Stück schon im Untertitel als "Kindertragödie". Der Gott jedoch, auf den hier angespielt wird, ist weder Jahwe noch Christus, sondern Dionysos. In Frühlings Erwachen lebt nämlich im Erwachen der jugendlichen Sexualität ein dionysisches Element wieder auf, das der tödlichen Starre der Erwachsenenwelt nicht gänzlich zum Opfer fällt. Im vermummten Herrn(18) der berühmten Friedhofsszene, der den Protagonisten vom Selbstmord abhält und ihn ins Leben zurückführt, könnte man den vom Christentum zerstückelten, im Zeichen des antibürgerlichen Vitalismus wieder auferstandenen Dionysos en travestie sehen.(19) In dieser Perspektive könnte Schelling, der den Namen Jahwes auslegt als "ich werde da sein, als der ich da sein werde"(20) und für identisch mit Dionysos als dem "kommenden Gott" hält, als göttlich-festlicher Brückenschläger zwischen Lasker-Schüler und Wedekind betrachtet werden. Allerdings handelt es sich bei dem vermummten Herrn der Friedhofsszene um einen Dionysos besonderer Art, der als knallharter Realist und Quasi-Zyniker wenig mit Schellings und Nietzsches "kommendem Gott" gemein hat, genau so wenig, vielleicht noch weniger als mit seinem hellenischen Vorfahren. Um Melchior vor dem Selbstmord zu retten, verspricht er ihm weder Ekstasen noch unkonventionelle Eskapaden, sondern rät ihm dringend zu einem "warmen Abendessen". Was er ihm zu bieten hat und was er den Verlockungen des Todes, der Melchior in Gestalt des toten Freundes Moritz auf dem Friedhof erscheint, entgegenzusetzen hat, ist mehr oder minder planes bürgerliches (Über)Leben. Diese erschreckend kühle, phantasielose Alternative spielt er gegen die "Erhabenheit" des Totseins aus, von der der Selbstmörder Moritz, den durchschossenen Kopf unter dem Arm, schwafelt. Bei der Entlarvung dieser Lüge, für die der "vermummte Herr" sorgt, fällt ein Wort, das uns ein beredtes Indiz seines Dionysos-Status’ liefert. Er nennt nämlich Moritz’ Gerede von der "Erhabenheit des Todes" "saure Trauben", eine ungewöhnliche Metapher für das Wort und den Sachverhalt Lüge. Mit dieser Metapher weist er sich als der Weingott in seiner Wedekindschen Spielart aus. Unvorbereitet kommt dieses Bild allerdings nicht, denn schon am Ende des zweiten Aktes bekennen zwei Knaben aus Melchiors Klasse einander ihre Liebe. Dies geschieht beim Winzerfest, dem Dionysischen Fest par excellence, bei dem die beiden als Traubenpflücker engagiert sind. Der Arbeit überdrüssig, haben sie beschlossen, dem berühmten Bachus Caravaggios ähnlich, die Trauben bäuchlings mit dem Mund zu pflücken. Es ist aber nicht nur das Winzerfest im Zusammenhang mit dem Mut zum Bekenntnis einer unkonventionellen Liebe, das die Gegenwart des Weingottes signalisiert, es ist in erster Linie das Frühlings Erwachen selbst, das Dionysos evoziert, macht es doch mit einem Schlag den Körper zum alleinigen Protagonisten. Wenngleich die Liebesszene zwischen Melchior und Wendla mehr einer Vergewaltigung gleicht, als einem aus freien Stücken gewählten Liebesakt, steht Wendla doch am Tag danach in der kürzesten Szene des Dramas so eindeutig im Bann ihrer Sinne, dass hier nur Dionysos der heimliche Drahtzieher sein kann. Die Szene - daran sei erinnert - spielt im Garten im Wonnemonat Mai.
In den Regieanweisungen lesen wir:
Der Weg ist wie ein Plüschteppich - kein Steinchen. Kein Dorn. - [...] Süße Veilchen!
Und Wendla, die auf diesem Plüschteppich schreitet, spricht aus der Fülle des Körperlichen, aus dem Wunder der Sexualität heraus zu sich selbst:
Ach Gott, wenn jemand käme, dem ich um den Hals fallen und erzählen könnte!(21)
Es ist aber D’Annunzios "pastorale Tragödie", wo das christliche Fest und die christlichen Symbole die offensichtlichste Folie für das archaisch-mythische Ambiente und Geschehen liefern. Die tragische Handlung setzt am Vorabend des Johannistages, also am 23. Juni ein, in dem unschwer das heidnische Erbe der Sonnenwende und der Anthesterien zu erkennen ist. Was mit Hochzeitsvorbereitungen beginnt, endet mit Vatermord und der Verbrennung von Iorios Tochter auf dem Scheiterhaufen. Über seine Figuren äußerte D’Annunzio:
La sostanza di queste figure è l’eterna sostanza umana: quella di oggi, quella di duemila anni fa. (Das Wesen dieser Figuren ist das ewig menschliche, das von heute, das von vor zweitausend Jahren.)
Nach einem Hinweis auf "etwas Homerisches", das einigen schmerzlich-tragischen Szenen seines Dramas eigen sei, weswegen das Weinen der Schafhirten an die Klagen des trojanischen Köngis Priamos erinnerten, beendet D’Annunzio seinenBrief vom 31. August 1903 an den befreundeten Maler F. P. Michetti(22) mit den Worten:
Bisogna assolutamente evitare ogni falsità teatrale; cercare utensili, robe, suppellettili che abbian l’impronta della vita vera, e nel tempo medesimo diffondere su la realtà dei quadri un velo di sogno antico" ("Jede theatralische Falschheit muss mit allen Mitteln verhindert werden. Wir müssen Gegenstände, Kostüme und Ziergerät finden, die den Stempel echten Lebens in sich tragen. Gleichzeitig aber müssen wir über die Wirklichkeit der Bilder den Schleier eines uralten Traumes werfen.)(23).
"Ein uralter Traum", deutlicher hätte es D’Annunzio nicht sagen können, selbst wenn der Vergleich mit Homer und den Klagen der Trojaner gefehlt hätten.
Schon im ersten Akt finden wir alle Zutaten der antiken Tragödie. Es ist der Tag vor dem Fest des Heiligen Johannes, und die Braut, eine merkwürdig und wohl auch gewollt blasse Figur, wird von den drei Schwestern des Bräutigams und seiner Mutter eingekleidet. Diese und die nach und nach eintreffenden weiblichen Verwandten versehen sie mit weisen Ratschlägen, in denen sich Aberglaube und Glaube, Christliches und Heidnisches unentwirrbar, aber dramaturgisch ausgeklügelt und antizipatorisch vermischen: kein Wort, keine Metapher, keine Anspielung ist ohne Folgen für das weitere Geschehen. Besonders hervorgehoben wird das Datum: der Vorabend des Johannistages(24) und die melancholische Stimmung des Bräutigams Aligi, des einzig männlichen Anwesenden am Beginn der Tragödie. Und hier tritt Dionysos zum ersten Mal indirekt auf den Plan. Seine Mutter fragt Aligi besorgt, ob für seine melancholische Stimmung vielleicht der auf den nüchternen Magen genossene Wein verantwortlich sei, der erwiesenermaßen schädlich ist, denn derjenige, der ihn trinkt, wird sogleich von großer Niedergeschlagenheit, vom "umor nero" der Melancholie erfasst.
In diese Anfangskonstellation, der bis auf den schwarzhumorigen Bräutigam die bukolischen Elemente durchaus nicht fehlen, bricht eine junge Frau ein. Sie wirkt wie gehetzt, weil sie - wie sie den Anwesenden berichtet - von etlichen Erntearbeitern verfolgt wird, die sie vergewaltigen wollen. Sie fleht die Frauen um Schutz an. Niemand weiß so recht, wer sie ist. Trotzdem möchten ihr fast alle den Schutz verwehren, weil sie ahnen, dass ihre Anwesenheit eine Gefahr für die zu vollziehende Hochzeit darstellt. Nur Ornella, eine der Schwestern des Bräutigams, ergreift instinktiv für die Verfolgte Partei und verriegelt Tür und Tor des Hochzeitshauses, gerade rechtzeitig, um die Titelheldin, Iorios Tochter, vor dem Ansturm der sexuell er- und überhitzten Erntearbeiter zu schützen. Die, von Wein und Sonne, von Dionysos und Helios, oder besser von Dionysos und Pan - denn um die "panische", um die Stunde, wo die Sonne im Zenith steht, handelt es sich - gleichermaßen außer Rand und Band Geratenen, fordern, dass die Tochter Iorios herausgegeben werde, denn - so sagen sie - als notorische Hure verdiene sie den Schutz ehrbarer Leute nicht. Durch die geschlossene Tür des Hochzeitshauses versichern sie die Insassen, dass sie das Hochzeitsfest nicht stören, sondern nur die Tochter Iorios in ihren Besitz bringen wollen, um sich mit ihr zu vergnügen, wie es vor ihnen viele getan haben und wie es ihnen ihrer Meinung nach zusteht. Indessen schwört die Tochter Iorios beredt ihre Unschuld und fleht um den Beistand der Frauen. Umsonst, denn diese sind im Gegenteil von ihrer liederlichen Lebensweise sehr bald überzeugt, ganz besonders, nachdem die Erntearbeiter ihnen mitgeteilt haben, dass Lazaro di Roio, der Brautvater, sich mit einem anderen Bauern wegen der Tochter Iorios gerauft habe und dabei verletzt worden sei. Außerdem ist die anfangs Fremde - "la straniera" wird sie anspielungsreich genannt - bald keine Fremde mehr, denn einer der anwesenden Frauen sind schlimme Gerüchte über sie und ihren Vater zu Ohren gekommen. Aligi, als einzigem Mann, kommt es zu, die Initiative zu ergreifen und die Tochter Iorios auf die Straße zu setzen, aber obwohl er von seiner Mutter und den anderen Frauen wiederholt aufgefordert wird, dem Begehren der Erntearbeiter stattzugeben, steht er eine zeitlang stumm und wie gelähmt. Erst als die Erntearbeiter die tätliche Auseinandersetzung seines Vaters mit einem anderen Bauern um das "liederliche" Frauenzimmer erwähnen, kommt plötzliches Leben in ihn und er will, von den Frauen angestachelt, die Tochter Iorios, die inzwischen im Bericht der Erntearbeiter und einiger im Hochzeitshaus anwesenden Frauen nicht nur zu einer notorischen Hure, sondern auch zur Tochter eines Zauberers - eben des Iorio des Dramentitels - avanciert ist, mit einer Hacke töten. Als dies, wiederum durch das beherzte Eingreifen der Schwester Ornella, der Türschließerin, verhindert wird, weicht Aligis plötzliche Wut genau so schnell, wie sie gekommen war, einer völligen, durch den Ruf ihres Vaters als Zauberer, schon angekündigten Betörung. Am Ende des ersten Aktes wird Aligis schwer verletzter Vater nach Hause gebracht, womit sich wenigstens ein Teil der üblen Nachrede der Erntearbeiter und der "comari" trotz aller gegenteiligen Beteuerungen der genau so verzweifelten wie redegewandten Tochter Iorios als wahr erweist. Aber zu diesem Zeitpunkt steht der Bräutigam schon im Bann der Titelheldin und aus der Ehe - wir ahnen es - wird wohl nichts Rechtes werden.
Dass Christus durch Dionysos ersetzt wird und durch die christlichen Feste die heidnischen durchscheinen, sich gar mit ihnen vermischen, geht nicht nur aus der Hervorhebung der Folgen des falschen Genusses von Wein hervor, der für den sexuell überhitzten Zustand der Erntearbeiter und die Melancholie des Bräutigams im ersten Akt verantwortlich gemacht wird, sondern auch aus einer expliziten Äußerung: "E fallito è quel sogno di Cristo"(25), sagt Aligi, der von Iorios Tochter betörte Bräutigam. ("Und jener Traum von Christus, er ist misslungen".) Schon im ersten Akt wird deutlich, dass am Festtag von Johannes dem Täufer, der die Ankunft Christi verkündete, nicht der Sohn des Christengottes, sondern die Allgegenwart von Dionysos gefeiert wird. Dass der dionysische Geist in unserer gegenwärtigen Welt erwacht ist und zwar nicht "allmählich", wie Nietzsche es wünschte(26), sondern plötzlich und in seiner ganzen, rasenden Zerstörungswut, zeigt der zweite Akt.
Hier finden wir Aligi und die Tochter Iorios in einer Höhle beisammen. Was wir nicht wussten, aber ahnten, ist eingetroffen: Aligi hat zwar seine Braut geheiratet, ist aber sofort nach der Hochzeit wieder zu seiner Herde in die Berge aufgebrochen, wo ihn das dionysische Schicksal ereilt. Ermüdet und mit wunden Füßen tritt ihm hier, und zwar schon am Tag nach der Hochzeit, also am Johannistag selbst, wiederum die Tochter Iorios entgegen, die aus dem Hochzeitshaus und vor den Erntearbeitern geflohen war. Wochen gemeinsamer Wanderschaft, aber sexueller Enthaltsamkeit sind vergangen, als Aligi sich aus der Höhle entfernt, woraufhin sofort sein Vater dort auftaucht. Lazaro di Roio ist zwar von seinen physischen Wunden, die ihm der Zweikampf um die Tochter Iorios einbrachte, nicht aber von seinem sexuellen Verlangen nach ihr geheilt. Ohne Umschweife erzählt er ihr sein Begehren: Er will sie mit Gewalt an sich reißen, um sich nach Belieben während der Weinernte mit ihr zu vergnügen. Dieses Vergnügen malt er dionysisch-orgiastisch aus(27). Und als zum Schluss Mila di Codra, die Tochter Iorios, die Schuld des Vatermords auf sich nimmt und sich selbst der bösen Zauberei bezichtigt, um Aligi zu entlasten, fällt dem Wein wiederum eine entscheidende Rolle zu. Sie will den "gastfreundlichen" Wein verfälscht und zum Zaubertrank des Hasses zwischen Vater und Sohn gemacht haben. ("Il vino ospitale falsai / non bevvi, adoprai per fattura"(28)). Und vor der aufgebahrten Leiche des Vaters lamentieren die Klageweiber: "Nero il vino del trapasso"(29) ("Schwarz der Wein des Todes").
Vermischten Wein darf die Mutter - und nur sie allein - ihrem des Vatermords angeklagten Sohn einflößen zum Trost für den Tod, der ihn erwartet.
Noch zu allerletzt, nachdem Iorios Tochter zum zweiten Mal dem ungläubigen Aligi in allen Einzelheiten ihre Schuld am Vatermord geschildert und diesen dazu gebracht hat, sie und die Stunde, in der sie sich begegneten, zu verfluchen, wird dem "vermischten" Wein das Wort gesprochen. Ornella, Aligis Schwester, die die Türen des Hauses verriegelte, um die Tochter Iorios vor der Gewalttätigkeit der Erntearbeiter zu schützen, spricht es aus:
Mila, Mila, è l’ebbrezza del vino
misturato, del beveraggio
ch’ebbe dalla madre a consòlo(30).(Mila, Mila, es ist des vermischten Weines
Trunkenheit, des Trunks, den die Mutter
ihm gab, um ihn zu trösten.)
Auch der Chor der weiblichen Verwandten fasst es in Worte, als nach Milas falschem Geständnis Aligi ohnmächtig in die Arme seiner Mutter sinkt:
Non isbigottite. E’ quel vino.
E’ la vertigine calda.(31)(Erschreckt nicht. Es ist jener Wein.
Er gab ihm heißen Schwindel.)
In D’Annunzios "Hirtentragödie" beherrscht also Dionysos die Szene, Nietzsches(32) "kommender Gott". Gleichzeitig aber werden das mit Aberglauben der schlimmsten Art versetzte Christentum, die patriarchalische Gesellschaft und die sich daraus herleitende Unfreiheit und Ignoranz der Frauen als für den Hexenwahn sozusagen endemisch anfällig dargestellt. Aus dieser Sicht ist Mila di Codra, die Tochter Iorios, eine erwachsene Dora, deren Hauptgefahr, ihre sexuelle Attraktivität, als hexenhaft dämonisiert und bestraft wird, denn es liegt auf der Hand, dass selbst ihre Todesart - durch Verbrennung auf dem Scheiterhaufen - die den Hexen in der Vergangenheit vorbehaltene Todesart ist.
Wenn wir D’Annunzios Tragödie allerdings vom Ende her interpretieren von Milas ekstatischem Flammentod - "la fiamma è bella! La fiamma è bella!"(33) "Schön sind die Flammen! Die Flammen sind schön!" lauten ihre letzten Worte - dann stellt sich eine andere Lesart ein. Der Feuertod ist ein Opfertod, und auf einen Opfertod erfolgt nicht erst im Christentum, sondern schon im griechischen Mythos, die Wiederauferstehung. Für diese Lesart, die, soweit ich informiert bin, von der Forschung bisher noch nicht gesehen wurde, ist es notwendig, noch einmal auf das Fest zurückzukommen, mit dem und an dem die Tragödie beginnt: am Vorbande des Johannistages, der, wie die Handlung zeigt, mit dem Erntefest zusammenfällt. Das Erntefest nämlich verweist auf die alten Fruchtbarkeitsfeste, bei denen Dionysos und besonders Demeter eine wichtige Rolle spielten(34). Es sieht ganz so aus, als habe D’Annunzio, hierin Nietzsche folgend, in der Überlappung der sakralen Elemente von Wein und Korn eine Vermischung der dionysischen mit den eleusinischen Orgien vorgenommen. Wenn diese Annahme richtig ist, dann steht Die Tochter Iorios in erster Linie für die eleusinischen Kulte, für Demeter. Demzufolge wären, um mit Nietzsche zu sprechen, Milas Zauberkräfte das Symbolon einer Natur, "in der die Riegel der Kultur noch unerbrochen sind"(35). Dieser Natur sich wieder zu bemächtigen, und zwar mit Gewalt und unter dem zerstörerischen Einfluss des dionysischen Getränks par excellence, des Weins, gilt das Trachten aller männlichen Figuren der Tragödie, Aligi ausgenommen. Unter dem Einfluss des Weins wollen sowohl die Erntearbeiter am Vorabend des Johannistages als auch Aligis Vater zur Zeit der Weinernte die Tochter Iorios mit Gewalt in ihren Besitz bringen. Besonders aufschlussreich ist das Verhalten von Lazaro di Roio, Aligis Vater. Zuerst droht und bedroht er die Tochter Iorios, dann bietet er ihr Geld, all sein Geld mitsamt seiner Frau und seiner Familie an - er will sie ihretwegen verlassen - wenn sie nur mit ihm kommt. Als Mila sich trotz alle dem weigert, ihm zu folgen, will er sie erneut mit Gewalt an sich bringen und wird deswegen von seinem Sohn getötet, der gerade in dem Augenblick zurückkommt, als sein Vater Mila vergewaltigen will. Ist also D’Annunzios Hirtentragödie die Darstellung des Kampfes der Geschlechter, der Entmächtigung des Matriarchats durch das Patriarchat? Dionysos versus Demeter? Wird folglich der dionysische gegen den eleusinischen Kult ausgespielt, dem aber, das ist der Wendepunkt und Witz, durch die Wiederauferstehung nach dem Flammentod, die Zukunft gehört? Es wäre denkbar.
Aber vielleicht ist es doch nicht ganz so, denn, was bleibt, sind Aligi, der zur Melancholie neigende, schwache Sohn, und Candia, die nicht gerade kraftvolle Muttergestalt. Fast könnte man also meinen, dass das zerstörerisch Dionysische und magisch Eleusinische - gefeiert im Ernte- und im Weinfest - gleichermaßen besiegt werden durch das "verbrürgerlichte" Paar von Mutter und Sohn als Grundkonstellation der modernen Gesellschaft. Sicher aber ist, dass D’Annunzio seine Dramen, und ganz besonders diese Tragödie als Kulthandlung,(36) aufgefasst sehen wollte, deren Kultstätte ein ihm schon zu Lebzeiten geweihtes Theater war, nämlich das berühmte "Vittoriale degli Italiani" am Garda-See.
© Uta Treder (Università degli Studi di Perugina)
ANMERKUNGEN
(1) Vgl. Friedrich Hölderlin, Antigonä und Anmerkungen zu Antigonä, in: F.H., Große Stuttgarter Ausgabe, hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart 1961, Bd. 5.
(2) Vgl. Uta Treder, Antigonä, in: Rita Svandrlik (Hg.), Il riso di Ondina. Immagini mitiche nella letteratura tedesca, Urbino 1992, S. 97-115.
(3) George Steiner, Antigones, Oxford 1984.
(4) Hermann Dorowin/Rita Svandrlik/Uta Treder (Hg.), Il mito nel teatro tedesco. Studi in onore di Maria Fancelli, Perugia 2004.
(5) Eine der jüngsten Interpretationen des Dramas findet sich bei Virginia Verrienti, Poesia della nosstalgia.. Else Lasker-Schüler tra Zurigo e Gerusalemme, Roma 2005, S. 7-10 und S., 22-28. Aus dem ein Jahr vor der Emigration entstandenen Drama las Else Lasker-Schüler am Ende der Weimarer-Republik das erste Bild, und zwar im Schubertsaal in Berlin am 30.11.1932. Neun Tage zuvor hatte sie den Kleist-Preis erhalten. Am 19. April 1933 flieht sie aus Nazi-Deutschland in die Schweiz.
(6) Else Lasker-Schüler nimmt dabei auf das Pogrom vom Mai 1844 im westfälischen Geseke (im Thratermanuskript "Gäsecke" geschrieben) Bezug. Den Anlass dazu bildeten die unter dem Einfluss eines katholischen Geistlichen erfolgte Konversion eines vierzehnjährigen Jungen und die Bemühungen der Eltern, ihren Sohn dem Katholizismus wieder zu entziehen. Eine ähnliche Episode steht im Zentrum der 1921 entstandenen Erzählung Der Wunderrabbiner von Barcelona.
(7) Es könnte sich bei dem Namen aber auch um eine Kontamination von Aron und Hieronymus handeln.
(8) Es wurde am 19. und 23. Dezember aufgeführt und dann nach Weihnachten nicht wieder auf den Spielplan gesetzt.
(9) Else Lasker-Schüler, Arthur Aronymus und seine Väter, Theatermanuskript, Berlin 1932, S. 57/58.
(10) A.a.O., S. 64.
(11) "Schneeweiss steht die Tafel gedeckt. Die grossen und kleinen Töchter tragen alle samtne Kleider und die kleinen Söhne samtne Jacken". (ELS, A.A., Theatermanuskrpt, S. 129).
(12) A.a.O., S. 131.
(13) Wie es bei der Feier des Abendmahls zur Erinnerung an den Kreuztod Christi geschieht.
(14) Nach mystischer Tradition wird am Tag der messianischen Erlösung ein globales Festmahl stattfinden.
(15) Über Else Lasker-Schülers im Schweizer und Jerusalemer Exil enstandenes Werk vgl. Claudia Vitale, "Mein blaues Klavier".Assonanze e dissonanze nell’ultima raccolta lirica di Else Lasker-Schüler, in: C.V., Assonanze e dissonanze. Saggi di letteratura tedesca, Perugia 2006.
(16) Damit die Aufenthaltsgenehmigung verlängert werden konnte, war sie am 5. November 1936 für einen Tag nach Mailand ausgereist, wo sie von Faschisten oder Nazi-Anhängern zusammengeschlagen wurde.
(17) Die in der "Neuen Zürcher Zeitung" erschienene Besprechung der Aufführung von Jakob Welti war nicht sehr positiv. Es hieß dort u.a.; "Das Bekenntnis Else Lasker-Schülers zur konfessionellen Toleranz in Ehren, aber so dick aufgetragen hätte sie es uns denn doch nicht zu demonstrieren brauchen; man kann uns Schweizern in solchen Dingen keine derartige Schwerhörigkeit nachsagen..." Zit. aus: "Marbacher Magazin", 71/1995, S.281.
(18) Friedhelm Roth, Frank Wedekind: "Frühlings Erwachen", in: Von Lessing bis Kroetz, Kronberg/Ts. 1976, S. 117 bezeichnet den vermummten Herrn als "entmythologisierten Deus ex machina". Lou Andreas-Salomé dagegen schreibt anlässlich der Uraufführung von Frühlings Erwachen, die am 20. November 1906 unter der Regie von Max Reinhardt in den Berliner Kammerspielen stattfand, "dass der vermummte Herr am Schluss ein wenig überraschend unter die Knaben gerät". Vier Kammerspiele, in "Die Schaubühne", 4, 1 (1908), S. 203.
(19) Vgl. Manfred Frank, Der kommende Gott, Frankfurt a.M. 1982. Über den "kommenden Gott" schreibt er u.a, dass in ihm "die vollkommenste Verschmelzung und Versöhnung des griechischen Tages und der hesperischen Nacht, zugleich aber der Antike und des Christentums stattfindet". S. 317.
(20) Manfred Frank, Gott im Exil. Vorlesungen über die Neue Mythologie, Frankfurt a. M. 1988, S. 312.
(21) Frank Wedekind: Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie, hrsg. von Joseph Kiermeier-Debre, München 1997 (Nachdruck der Erstausgabe), S. 75.
(22) Das Bild Michettis mit dem Titel "La figlia di Iorio", erste Inspirationsquelle D’Annunzios, befindet (befand?) sich in Berlin in der Sammlung von M. Geeger.
(23) Zu den Dionysien und ihrer Beziehung zum Theater vgl. W.F. Otto, Der Mythos und Kultus, Frankfurt a.M. 1996. F.W. Hamdorf (Hg.), Bachus. Kult und Wandlungen des Weingottes, München 1986. Richard Alewyn, Das große Welttheater, München 1959.
(24) Vgl. Tito Rosina, Mezzo secolo de "La figlia di Iorio", Milano 1955, S. 66-99 hebt hervor, wie sehr D’Annunzio in seinem Drama auf die volkstümliche Überlieferung Abuzzens rekurriert, u.a. auf Verse eines religiösen Volksdramas, das zum Johannistag aufgeführt wurde und einen Dialog zwischen der Mutter Christi und Johannes dem Täufer enthält.
(25) Gabriele D’Annunzio, La figlia di Iorio. Tragedia pastorale, Milano 1964, 8. Auflage, S. 53.
(26) Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik, in: F.N., Sämtliche Werke in drei Bänden, hrsg. von Karl Schlechta, München 1960, Bd. 1, S. 109:
(27) Vgl. Gabriele D’Annunzio, La figlia di Iorio, S.102. "Mila di Codra, vendemmia/vuol fare con te, quest’ottobre./Acconciate già sono le sue tina./L’uva vuol pigiare con te/Labaro e azzuffarsi col mosto" ("Mila di Codra, das Winzerfest/ will ich mit dir begehen in diesem Oktober../. Bereit sind schon die Fässer./ Zusammen mit dir die Trauben mit den Füßen pressen/ den Most trinken und uns damit bespritzen".
(28) A.a.O., S. 139. Schon im ersten Akt war der Wein von der Tochter Iorios verflucht und mit dem männlichen Lügen in Verbindung gebracht worden: "E’ maledetto il suo vino/che gli fa rigurgito in bocca./Se Dio l’ha udito, in sangue/nero glie lo converta e l’affoghi" ("Sein Wein sei verflucht/ auf dass er ihn aufstosse./ Wenn Gott dies hört, in Blut/ ihn verwandeln, dass er daran ersticke". A.a.O., S.43.
(29) A.a.O., S. 129.
(30) Gabriele D’Annunzio, La figlia di Iorio, S. 145.
(31) A.a.O.., S. 146.
(32) Dass D’Annunzio sich dezidiert mit Nietzsche beschäftigte, belegen die von der Kritik als "Trilogie des Übermenschen" bezeichneten Romane Il trionfo della morte (1894),Le vergini delle rocce (1895) und Il fuoco (1900). Da D’Annunzio kein Deutsch konnte, lernte er die Philosophie Nietzsches durch eine französische Anthologie kennen, deren Lektüre bald darauf ein intensives Studium der Einzelwerke Nietzsches auf französisch folgte.
(33) Gabriele D’Annunzio, La figlia di Iorio, S. 147.
(34) Vgl. Manfred Frank, Gott im Exil, S. 10.
(35) Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke in drei Bänden, hrsg. von Karl Schlechta, München 1960, Bd. I (Die Geburt der Tragödie), S. 49.
(36) Der Kult, den D’Annunzio mit sich selbst und seinen Werken trieb, wurde besonders in deutschsprachigen Kreisen aufs Schärfste kritisiert. So bezeichnete z.B. Alfred Polgar in seinem Nachruf vom 10.3.1938 D’Annunzio zwar als einen Dichter, bezichtigt ihn aber im selben Atemzug des "Schwulstes", "der sinnlichen Ekstatik", der "Wortüberzüchtung" und der "Künstlichkeit". In: Alfred Polgar, Kleine Schriften, Bd. IV, Literatur, hrsg. von Marcel Reich-Ranicki in Zusammenarbeit mit Ulrich Weinzierl, Reinbek b. Hamburg 1984, S. 30. Weitaus positiver beurteilte Brecht D’Annunzio, der sich am 18.7. 1942 in seinem Arbeitsjournal über La figlia di Iorio wie folgt äußerte: "er war ein scharlatan, aber dieser scharlatan schrieb hirtengedichte, die kaum untergehen werden". In: B.B., Arbeitsjournal. 1938-1942, Bd. I, hrsg. von Werner Hecht, Frankfurt a.M. 1973, S. 326.
5.7. Theater und Fest - Ursprünge und Innovationen in Ost und West
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