Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 16. Nr. | August 2006 | |
5.8. Popsängerinnen in Europa. Weibliche Rollenzuschreibungen auf der künstlerischen Ebene und Auswirkungen auf weibliche Rollenzuschreibungen auf der gesellschaftlichen Ebene |
Eine empirische Forschung
Sonja Rauchenberger (Wien)
[BIO]
In der Popmusik existieren Darstellungsarten für KünstlerInnen, die die Vermarktung ihrer Musik erleichtern sollen. Marketingstrategien von Plattenfirmen konzentrieren sich darauf, Typen zu kreieren, die für das Publikum nachvollziehbar sind und somit einen größeren Absatz von Tonträgern garantieren. Inwiefern diese Typen der Darstellung von Weiblichkeit in der Popmusik das gängige Frauenbild in der Gesellschaft beeinflussen, soll das Thema dieses Artikels sein. Er soll einen Einblick in die Arbeit "Frauenbild und Popkultur. Darstellung von Weiblichkeit in der Popmusikszene (mit Beispielen aus Österreich") (Rauchenberger 2006) gewähren, die den Anstoß für die Sektion "Popsängerinnen in Europa" im Rahmen der IRICS- Konferenz Dezember 05 in Wien gegeben hat. Das Thema der Darstellung von Weiblichkeit in der Populären Musik -
die hier alle Arten von Musik, die seit den 1950er Jahren als Massenware produziert wurden, einschließt (Shuker 1994) - ist für Frauen insofern von großer Relevanz, als nach wie vor beim Publikum, sowie den Künstlerinnen selbst die Meinung vorherrscht, Frauen müssten sich gewissen medial genormten Richtlinien fügen, um Erfolg zu haben. Das Ziel dieser Arbeit war es, einerseits die Darstellung von Weiblichkeit in der Popmusik mithilfe kulturanthropologischer Theorien zu beleuchten und andererseits Künstlerinnen selbst zu diesem Thema zu Wort kommen zu lassen, um einen aktuellen Einblick in die dargestellte Problematik bekommen zu können. Die Auswahlkriterien, nach denen die Interviewpartnerinnen ausgesucht wurden, bezogen sich auf das Tätigkeitsfeld Österreich und unterschiedliche Grade der Bekanntheit. In diesem Artikel soll vor allem auf die empirische Forschung und in weiterer Folge auf die Dichotomie von Jungfrau und Hure in der Darstellungsart von Popsängerinnen eingegangen werden, die schon in den Ursprüngen der populären Musik in den 1950er Jahren von Bedeutung ist und bis heute kaum an Relevanz verloren hat.
In den Interviews, die im Rahmen dieser Studie geführt wurden, stand vor allem die Darstellung von Weiblichkeit und die Kreation eines für Plattenfirmen lukrativen Frauenbildes im Zentrum. Fünf Frauen, die als Popsängerinnen in Österreich tätig sind, wurden zu den Themen Darstellung, Rezeption und Vermarktung von Weiblichkeit in der Popmusikszene befragt. Danach wurden die Interviews ausgewertet und Kategorien definiert, die immer wiederkehrende relevante Aspekte des Popmusikalltags beleuchteten. In diesem Artikel sollen die Kategorien "Androgyn versus Weiblich Erotisch", "Verantwortung" und "Look" Eingang finden, da sie aus einer verstärkten Beschäftigung der Sängerinnen mit diesen Themen hervorgegangen sind.
Die Mehrheit der interviewten Sängerinnen meinte, dass die Plattenfirmen ihnen nahe legten, eine leicht vermarktbare Präsentation von Weiblichkeit anzunehmen, wie das folgende Zitat zeigt:
"Also entweder sie müssen Männer nachahmen, also sehr maskulin sein, sogar androgyn ... die Christina (Stürmer) ist für mich androgyn. ... Das nette Mädel von nebenan. Nicht Mann, nicht Frau, aber auch kein Kind mehr. Also irgendwie so etwas dazwischen, sie wird als Jugendliche verkauft, obwohl sie eigentlich keine mehr ist. Also dieses Verschieben von Realitäten, irgendwie. Oder man macht’s so, dass man einfach die Titten raushängen lässt. Das ist auch eine Möglichkeit (...) so Jessica Simpson. Wenn man sich das jetzt anschaut, die Frau ist ja nur mehr schön. Das ist ja eigentlich zum Speiben. Aber es funktioniert! Oder zum Beispiel Tamee Harrison ist das in Österreich, die einfach sehr schön ist und sehr glatt. Also wir sind ja dafür da, Träume zu erfüllen und entweder man will der Kumpel der Männer oder die ‚Femme Fatale’ sein. Also dazwischen gibt’s nimmer viel" (S4: 50).
Das Thema, das sie hier anspricht (" entweder man will der Kumpel der Männer oder die ‚Femme Fatale’ sein") zeigt, dass es auch auf das Urteil der Männer ankommt, ob Mädchen und junge Frauen Popsängerinnen bewundern. Da sie sich mit den Popsängerinnen identifizieren, ist es für Frauen nicht unwesentlich, wie ihre Vorbilder auf Männer wirken. Die Plattenfirmen versuchen mit der Vermarktung eines gewissen, schon erfolgreich verkauften Images den Erfolg des neuen Produktes zu sichern. Ob eine Sängerin diese Art der Darstellung annimmt oder nicht, bleibt ihr selbst überlassen:
"Mir ist einmal nahe gelegt worden, ob ich mir nicht lieber hellere Haare zulegen will ... oder ich sollte Dekolltée haben. ... Also es gibt bestimmte Richtlinien, ob man sich da fügt oder nicht ist die eigene Entscheidung" (S4: 65).(1)
In Bezug auf ihre musikalische Performance sagt S4 zu einem anderen Zeitpunkt im Interview:
"Ich hab auch am Anfang ein paar Diskussionen gehabt, dass ich nicht so singen soll wie ich sing, sondern dass ich vielleicht doch ein bissl braver und vielleicht doch ein bissl deutsch und das verkauft sich halt viel besser" (S4: 55).
Dass dieses Frauenbild aber nicht wertfrei, sondern mit vielen verschiedenen Bedeutungen behaftet ist, soll das folgende Zitat der Sängerinnen von S5 zeigen:
"Oft wird Frauen vorgeworfen: ‚Ja, die arbeitet mit ihrem Körper oder mit ihrem Busen’, aber das ist ein Gesamtkunstwerk, in Wirklichkeit, das macht in Wirklichkeit ein ... Leonard Cohen oder ein Bruce Springsteen ja auch (...) Aber es wird nur bei den Frauen irgendwie, da wird die Optik so, naja, so als wär’s billig oder cheap oder sie setzt das ein oder so, dabei ist es ja für Männer genau das gleiche. ... Nur dass es Frauen immer ein bisschen schlechter ausgelegt wird, also immer so, als würden sie das notwendig haben, oder nötig haben, als wäre man sonst eine schlechtere Künstlerin" (S5: 70).
Bei allem Bemühen, den "richtigen" Typ und die richtige Darstellungsart zu kreieren, bleibt aber dennoch die Tatsache, dass Produktionen, die nicht authentisch wirken, auch keinen Erfolg mit sich bringen:
"Ich glaube, es gibt nur ein Gesetz, um Erfolg zu haben, das ist: Sei du selbst. Das heißt, wenn du Bock hast, wie die Britney Spears auf sexy zu machen, dann mach es und mach es nicht, weil dir jemand sagt, du sollst es nicht. Wenn du keine Lust drauf hast, dann mach es nicht, und mach es nicht, weil dir jemand sagt, du sollst es machen. Es gibt nur diese eine goldene Regel, was immer du in deinem Herzen trägst, was immer du machen willst, was immer du für richtig hältst, das ist das richtige. Es gibt kein Rezept für den Erfolg, das ist so" (S5: 72).
Trotz der Tatsache, dass Popmusik ohne Zweifel ein lukratives Geschäft sein kann, bleibt der Wunsch der Plattenfirmen, die hohen Produktionskosten auf irgendeine Art und Weise gesichert zu sehen. Die Schwierigkeit dies in die Tat umzusetzen, lässt den Kampf um die lukrativste Darstellungsart und die damit verbundene Limitierung auf lediglich zwei Arten von Frauenbildern ständig neu entfachen. Es scheint sehr schwer für die Sängerinnen zu sein, das Gleichgewicht zwischen "eigener Persönlichkeit" und "gespielter Rolle" zu halten. Denn selbst die "gespielte Rolle" muss authentisch wirken.
Eine Kategorie in der Analyse der Interviews bildete die "Verantwortung". Popsängerinnen verspüren ihren Fans gegenüber eine Verantwortung, die sie versuchen in der Art, wie sie sich präsentieren zu berücksichtigen. Fans von Popsängerinnen sind meist Jugendliche, die das Auftreten ihrer Idole bewundern und dadurch stark beeinflusst werden können. Sie ahmen oft Kleidungsstile und andere geschmackliche Präferenzen "ihrer" Stars nach, was zu dem Schluss führt, dass Künstlerinnen sich dessen bewusst sein müssen, dass sie für andere ein Vorbild darstellen. Wenngleich dies für viele Sängerinnen eine Ehre bedeutet, kann dies auch zu einer Eingrenzung der künstlerischen Freiheit führen, da sie oft genau überlegen müssen, wie sie sich besonders vorbildhaft präsentieren können. Weiters nimmt die Freiheit, sich künstlerisch entfalten zu können mit steigenedem Bekanntheitsgrad ab. Da Popsängerinnen kaum die Möglichkeit haben, Einfluss darauf zu nehmen, für welche Charaktereigenschaft oder welches Schönheitsmerkmal sie zum Vorbild genommen werden, stellt sich das Bemühen Verantwortung dafür zu übernehmen als äußerst schwierig dar. Fans suchen sich selbst aus, ob sie Stimme, Auftreten, Haare oder Tanzstil ihrer Lieblingssängerin als vorbildhaft empfinden. Was an ihnen bewundert wird, können Popsängerinnen nur durch den Austausch mit ihren Fans herausfinden. Als Beispiel meint S5 die sich durch ihre jahrelange Bühnenerfahrung und die große Reichweite ihrer Musik, ihrer Vorbildwirkung als Popsängerin bewusst ist:
"Natürlich in dem Moment hast du auch eine gewisse Verantwortung und du musst aufpassen, was du sagst, wie du dich benimmst, du kannst jetzt nicht irgendwie nur du selbst sein, ja? ... Wenn du auf der Bühne stehst, wirst du auch sehr mit deinen Botschaften identifiziert, also: was hast du an, was sagst du, wie benimmst du dich, bist du freundlich, unfreundlich, wie schaust du drein? Also es wird alles sehr unter die Lupe genommen, vielleicht mehr, als jetzt bei einem normalen Job, also wenn jetzt bei einer Bankangestellten" (S5: 66).
Die Sängerin meint, dass sie nicht als Privatperson auf der Bühne steht. Die Person, die sie auf der Bühne verkörpert, stellt eine Projektionsfläche für die Wünsche ihres Publikums dar, die mit ihren eigenen Botschaften identifiziert wird. Dies hat scheinbar zur Folge, dass sie sich genau überlegen muss, was sie auf der Bühne tut. Sie führt weiter aus:
"...aber man kann es sich ja nicht aussuchen. Du kannst dir nicht aussuchen, was jemand an dir vorbildhaft findet. Man kann nur hoffen, dass diejenige sich das richtige aussucht" (S5: 82).
S3 meint, dass sie in dem Moment, wo sie in der Öffentlichkeit agiert, nicht mehr die Freiheit besitzt, die sie als Privatperson hatte. Ihre Band verfügt zwar zum Zeitpunkt des Interviews noch über keinen großen Bekanntheitsgrad, aber aus den Reaktionen ihres Publikums bei Live-Konzerten weiss sie, wie beeinflussbar Jugendliche sind:
"Man muss auch immer aufpassen, was man macht, weil für Jugendliche ist das ja viel extremer und man kriegt das glaub ich schon gar nicht mehr mit, wenn man ein gewisses Alter hat, was man tut, wie man halt so ist. Das muss man dann noch einmal durchleuchten" (S3: 42).
Das folgende Kommentar von S3 ist vor allem dahingehend interessant, als die Sängerin meint, sie könne beeinflussen, ob sie von ihren Fans zum Vorbild genommen wird oder nicht. Sie möchte zwar berühmt sein, aber gleichzeitig wirkt es, als wollte sie kein Vorbild für Jugendliche darstellen, wenn sie sagt:
"Ich bin eher so ein Mensch, ich will nicht so viel anrichten, deshalb bin ich in den Texten immer recht vorsichtig. Ich will zwar schon extreme Musik machen, aber ich versuch immer sehr, dass es von der Definition her im Rahmen bleibt... aber ich kann das auch nicht so gut sagen, ich glaub, das seh ich erst später, wenn der Erfolg größer ist, jetzt bin ich in irgend so einem Zwischenstadium" (S3: 41).
S4 findet es wichtig, dass sich Popsängerinnen ihrer Vorbildwirkung bewusst sind. Sie findet es fragwürdig, wenn Kolleginnen, die ein junges Publikum ansprechen, in der Öffentlichkeit ihre negativen Seiten zeigen, um für ein älteres Publikum interessant zu sein. Sie kritisiert in diesem Zusammenhang eine Kollegin, die plötzlich angefangen hat in der Öffentlichkeit zu trinken und zu rauchen, um zu zeigen, dass sie erwachsen und frei ist, das zu tun, was sie will:
"Also die Vorbildwirkung die du da hast, ob das jetzt gegenüber Älteren oder Jüngeren ist, ist scheißegal, aber du hast eine Funktion für die Leute, deswegen unterstützen sie dich auch und wollen dich haben und du hast einfach eine Vorbildfunktion, das kannst nicht bringen! Das kannst du einfach nicht bringen! Das hat nichts mit Scheinheiligkeit zu tun oder mit Heile Welt vorspielen" (S4: 58 ff.).
Ein Grund, warum S4 diese Sängerin so scharf kritisiert, ist, dass sie selbst auch durch bestimmte Vorbilder beeinflusst wurde und daher weiß, wie prägend ein schlechtes Vorbild für Jugendliche sein kann:
"Wenn ich denke wie mich das beeinflusst hat mit der Janis Joplin. Das hab ich gelesen wie ich in der Volksschule war und ich hab mit 7 meine erste Tschick geraucht und mit 11 kettengeraucht und auch schon gesoffen, weil das einfach schick war. Das hat mir einfach total imponiert wie arm die Frau war. Janis Joplin war eine irrsinnig arme und zurückgestoßene Frau und wie sie trotzdem durch das ihren Weg beschritten hat, das hat mir total getaugt. Und deswegen hab ich das ja auch getan nachher. ... Das hat mir imponiert und deswegen muss man total aufpassen, was man nach außen hin gibt. Weil du siehst das, ich war damals ein Kind und ich hab das glorifiziert" (S4: 59).
Die Analyse der Interviews zeigt, dass Verantwortung für die künstlerische Präsentation zu übernehmen ein vielschichtiges Problem ist, das nicht vollends gelöst werden kann. Einerseits möchten die interviewten Sängerinnen Vorbilder für Jugendliche sein, andererseits möchten sie nicht in ihrer künstlerischen Freiheit beschnitten werden. Alice Schwarzer (2003) meint, dass es eine typisch weibliche Eigenschaft ist, kein Vorbild sein zu wollen. Männer hätten ihrer Meinung nach weitaus weniger Probleme für andere ein Vorbild darstellen zu wollen, als Frauen. Schwarzer verbindet diesen Umstand mit einer über Jahrhunderte anerzogenen Bescheidenheit. Sie schreibt (2003: 9):
"Traditionell gibt es ein regelrechtes Verbot für Frauen, sich als Vorbild zu begreifen und zu vermitteln. Denn das hieße ja, dass sie der Auffassung ist sie habe Beispielhaftes geleistet. Das hieße ja, dass sie glaubt sie sei prägend für den Lauf der Dinge und für nach ihr Kommende. Kurzum, es hieße, dass sie sich erkühnt, aus der ersten Reihe vorzutreten - statt sich in der zweiten zu verstecken".
Schwarzer meint weiters, dass Frauen nicht nur von Männern daran gehindert werden würden, zu Vorbildern zu werden. Sie meint, dass Frauen sich selbst gegenüber eine gewisse Selbstverachtung verspüren, die es für sie nicht möglich macht sich als Vorbild zu begreifen. Da Vorbild zu sein mit Macht verbunden ist, ist es nach Schwarzer (2003) für Frauen schwierig, in den Vordergrund zu treten. Frauen hätten, ihrer Meinung nach, verinnerlicht, dass sie im Gegensatz zu Männern keine Macht haben, da dies als unweiblich gelte:
"Wie alles bei Frauen ist auch die Machtfrage sexualisiert und der Wert oder Unwert einer Frau als Objekt davon betroffen. Mächtige Männer sind männlich, mächtige Frauen sind unweiblich. Mächtige Männer gelten als erotisch, mächtige Frauen als abtörnend. Männer können sich ihrer Macht brüsten, Frauen müssen sich für Macht entschuldigen. Frauen müssen sich also entscheiden: Wollen sie Macht haben - oder wollen sie begehrt/geliebt werden? Da der Wert einer Frau traditionell von ihrem Begehrtwerden abhängig ist, lautet die Entscheidung einer Frau gemeinhin: Lieber machtlos sein und begehrt werden" (Schwarzer 2003: 13).
Für manche Popsängerinnen ist die Vorbildwirkung jedoch insofern wichtig, als sie meinen, jungen Frauen zeigen zu können, dass auch sie die Möglichkeit haben erfolgreich zu sein. Sie wollen Mädchen und jungen Frauen Mut machen ihren eigenen Weg zu gehen. Problematisch ist die Vorbildwirkung für diese Sängerinnen dann, wenn sie von ihren Fans so sehr idealisiert werden, dass dieses Idealbild nichts mehr mit der Realität zu tun hat. Jacke (2004) meint, dass das Problem hierbei darin liegt, dass die medial dargestellte Person als "real" wahrgenommen wird. Ihre Eigenschaften, die vom Publikum erkannt und interpretiert werden, entwickeln sich zu Stützen einer individuellen Konstruktion des entsprechenden menschlichen Phantasiebilds, das den eigenen Wünschen und Vorstellungen entspricht (vgl. Jacke 2004: 279). Popstars, die von ihren Fans als Leitbilder übernommen werden, lösen Gefühlsbindungen und Identifikationen aus, die dann einen regelrechten "Starkult" in Erscheinung treten lassen. Da vielen Sängerinnen dieser Kult um die eigene Person unangenehm ist, ziehen sie es vor, die traditionelle Rolle der Frau zu wahren. Das bedeutet, dass sie meist ihren Erfolg schmälern oder sich in den Schatten eines Mannes stellen (Produzent, Plattenboss, Songschreiber, Musiker, etc.). Für Popsängerinnen ist es laut Pavletich wichtig, einem gewissen Image zu entsprechen:
"Each genre of popular music has a different ideal of womanhood which is part of the mystique of this girl singer who is wife, lover, mother. She is the fallen angel of country, the glamorous femme fatale of pop, the sassy fox of R&B, the sister of folk. She’s tramp, bitch and goddess, funky mama, sweetheart, the woman left lonely, the hapless victim of her man" (Pavletich 1980: 14)
Um diesem "Idealbild der Frau" (idealhood of womanhood) zu entsprechen wird von Plattenfirmen in diesem Zusammenhang ein bestimmter "Look" kreiert, mit dessen Hilfe die Sängerinnen besser vermarktbar sind. Diesem Thema soll sich der nächste Abschnitt widmen.
Die interviewten Sängerinnen waren sich einig, dass man als Popsängerin einem gewissen Schönheitsideal entsprechen muss. Dass dieser "Look" aber authentisch sein muss und keine Kopie eines schon erfolgreichen Looks darstellen darf, wird ebenfalls betont. Die Popsängerinnen stehen dadurch vor dem Zwiespalt, sich einerseits anpassen, aber andererseits auch in ihrem Auftreten authentisch bleiben zu müssen.
Die interviewten Sängerinnen waren der Meinung, dass ein bestimmter Look das Vorankommen nicht nur erleichtert, sondern grundlegend bestimmt und durch alle Erfolgsstadien hindurch für Frauen niemals an Relevanz verliert. Unter Umständen kann es für eine Frau mit dem richtigen Look sogar einfacher sein, als für Männer, wie S3 annimmt:
"Das ist ein heikles Thema, aber wenn Du eine gute Frau bist, oder halt einen gewissen Look hast, dann ist es glaub ich einfacher, als Männer, die gleichgut sind, sag ich jetzt einmal. ... Wenn Du nicht gut ausschaust, hast du ein Problem und das ist natürlich total scheiße und diskriminierend und es gibt einige, die sich da wahrscheinlich schwer tun, aber das ist überhaupt das Schicksal der Frauen, das hat jetzt nichts mit Musik oder sonst was zu tun. Das liegt eigentlich in der Natur der Sache glaub ich [acht]" (S3: 34).
Sie selbst, Leadsängerin einer Band, entspricht dem richtigen Look, was für sie zwar von Vorteil ist, aber von ihr trotzdem im Allgemeinen als diskriminierend angesehen wird. Sie sagt zu einem späteren Zeitpunkt im Interview:
"Also das Frauenbild, das in den Medien im Moment vermittelt wird, find ich total zum Kotzen, eigentlich. Also, wen ich wirklich cool finde, ist die Firma DOVE, weil die nicht nur für die Anti-Cellulite-Creme, sondern auch für Haarshampoo Frauen nehmen, die ganz normal ausschauen, wie Frauen halt einfach sind überall auf der Welt. Und ich find das ganz furchtbar diese ganze Perfektionismus-Scheiße, die da irgendwie abläuft...(aber) durch einen gewissen Look kannst du dir ein gewisses Gehör verschaffen und ich find’s ganz wichtig, dass man dann, wenn man einmal eine Position erreicht hat, dass man dann die ausnutzt und zwar positiv ausnutzt" (S3: 41).
Die Aussage von S3 ist deshalb interessant, weil es ihr Plan ist, sich einem gewissen Schönheitsideal zu beugen, um dann etwas verändern zu können. Sie ist nicht einverstanden damit, dass ein gewisses Frauenbild vorgesetzt wird, mit dem man erfolgreich sein kann. Deshalb findet sie auch die Aktion der Kosmetikfirma DOVE gut, in ihren Werbespots "ganz normale" Frauen zu zeigen, da diese Firma ihre Position nutzt, um etwas am Frauenbild, das in den Medien gezeigt wird, zu ändern.
Wenn sie einem gewissen Look entsprechen, ist jedoch die Chance größer, Erfolg zu haben und somit der Plattenfirma zu höheren Absätzen ihres Produkts zu verhelfen, wie eine andere Sängerin weiß. Entsprechen sie nicht dem vorgegebenen Look, stellen sie für Plattenfirmen ein zu großes finanzielles Risiko dar. Mit welcher Begründung gewisse Richtlinien aufgestellt werden, ist den Sängerinnen jedoch nicht immer klar, wie das folgende Zitat zeigt:
"Ich bin 27, das hab ich ja nie wirklich sagen sollen. Weil mit 27 bin ich schon zu alt, obwohl ich glaub Männer haben das Problem nicht so. Da verschwimmt das eher. Frauen...also da sollt ich mit 27 eher an Kinder denken, als an eine Karriere. Weiß nicht, das empfinde ich so...Ich weiß nicht, ich bin nur viel darauf angeredet worden, wie’s mir jetzt geht in diesem Alter jetzt in diese Szene einzusteigen. Und entweder ich werde als Oma bezeichnet oder als Kücken. ... Also entweder ich bin zu alt oder zu jung, oder zu dick zum Beispiel auch. Das ist definitiv so, dass man nur eine gewisse Anzahl von Kilos haben sollte. Also die Plattenfirma steigt dir jetzt nicht hinten rein, aber es wär halt besser, wenn man plakativ ist, wenn man gut ausschaut. Und das ist halt schwierig, sich darin zu bewegen" (S4: 50).
Warum sie mit 27 schon zu alt ist, kann S4 nicht wirklich erklären. Die Vermutung, dass Männer kein Problem mit ihrem Alter haben, ist ebenfalls nicht bestätigt. Es führt jedoch zu dem Schluss, dass KünstlerInnen nicht frei sind, ihre eigene Persönlichkeit auszuleben. S4 hält es für schwierig, sich in dem von der Musikindustrie vorgegebenen Rahmen zu bewegen, da die Erwartungen und die damit verbundenen Richtlinien nur darauf abzielen, möglichst erfolgreich zu sein. Da viele der Ratschläge seitens der Plattenfirma nicht nachvollziehbar sind, obliegt es letztlich der eigenen Entscheidung, ob man sie annimmt oder nicht:
S1 hatte Probleme mit den Ratschlägen, die ihr erteilt wurden, da sie lieber selbst entscheidet, welche Musik sie macht und wie sie aussehen möchte. Doch die Ratschläge haben ihr auch geholfen, ihre Ziele genauer zu definieren, wie sie am Schluss des folgenden Zitats bemerkt. Sie weiß auch aufgrund ihrer Erfahrungen, dass es notwendig ist, sich an die vorgegebenen Richtlinien zu halten, wenn man Erfolg haben will:
"There was of course times when people said ‘Yeah, you know you should...you gotta look more like this...or...do it more like, you gotta sound like... or ...look like...’, is the big thing, ‘this person’. But I really had a tough time with being branded and put into a box like that and it’s really okay, but I just don’t like it. I understand why it has to happen and there isn’t necessarily anything wrong with it, but at the time, I guess what it made clear for me was that I wasn’t clear enough in myself, in who my real personality is and my own identity in my songs and in my music (...) And so it’s been good, because it’s made me think much more about what my songs are about and how the whole package fits together in terms of Name of the project, name of the album, the themes that you’re writing about" (S1: 16).
Hier zeigt sich, dass die Frage nach Authentizität, nach den eigenen Zielen und der eigenen Identität eine wichtige Rolle spielt. Wenn sich eine Künstlerin nicht selbst bewusst ist, welche Person sie darstellen möchte, wird ihr unter Umständen ein bestimmtes Image einfach zugeteilt.
Ich habe versucht zu erläutern, inwiefern die Darstellungsweisen von Popsängerinnen Einfluss auf das Frauenbild in der Gesellschaft ausüben können und welche Aspekte bei der Erforschung dieses Themas von Relevanz sind. In Bezug auf die Vorbildwirkung hat sich gezeigt, dass Popsängerinnen Jugendlichen eine Orientierung auf der Suche nach Identität bieten. Im Hinblick auf das Frauenbild ist dies ein besonders wichtiger Aspekt, da Mädchen und junge Frauen ihre Idole nachahmen und so auch ein gewisses Bild der Frau imitieren. Popstars nehmen nach Haberer (1993) dadurch eine sehr wichtige Rolle im Leben von Jugendlichen ein, wie auch das Zitat von S4 zeigt:
"Man sieht das auf der Strasse, ist das jetzt ein Britney- oder ein Pink-Typ, mag die die Christina Stürmer oder die Tamee Harrison. Das sieht man. Das ist eine Identifikation, das ist wie ein Stempel. Man hat dann den gleichen Look wie der (die) oder der (die)" (S4: 55).
Für die interviewten Sängerinnen scheint es schwer, mit dieser Rolle umzugehen. Da Fans ihre eigenen Wünsche in ihr Idol hineininterpretieren, wird unter Umständen ein Star geschaffen, der nicht mehr der Privatperson der Künstlerin entspricht. Die Sängerinnen befürchten, dass von ihren Fans Wünsche in sie hineininterpretiert werden, die letztlich nichts mehr mit ihrer eigenen Person zu tun haben. Sich auf diese "Fehlinterpretation" einzulassen, würde bedeuten nicht mehr authentisch sein und eine Rolle spielen zu müssen, um weiterhin bei ihren Fans gut anzukommen. Durch diesen Zwiespalt zwischen "gespielter Rolle" und "eigener Persönlichkeit" werden Sängerinnen in ihrer künstlerischen Freiheit eingeschränkt.
© Sonja Rauchenberger (Wien)
ANMERKUNG
(1) Die Sängerinnen werden in den Zitaten als S1-S5 bezeichnet.
... Bei der Transkription bezeichnen drei Punkte eine Auslassung von Gesagtem.
(...) Drei Punkte in einer Klammer bedeuten eine Pause im Sprachfluss der Interviewpartnerin.
(sie) Worte in Klammer sind Ergänzungen meinerseits, die den Sinn eines Satzes verständlich machen sollen.
[lacht] Worte in eckiger Klammer drücken Regungen abseits des Gesprochenen aus.
LITERATUR
Angerer, Marie-Luise; Dorer Johanna (1994): Gender und Medien. Braumüller: Wien.
Augustin, C.; Bardel D. (2004): Die neue Girl-Power. Frauen in der heimischen Musikszene. In: News 12/04.
Bayton, Mavis (1988): How women become Rock Musicians. In: Frith, Simon; Goodwin, A. (Hg.): On Record: Rock, Pop and the Written Word. Routledge: London.
Bechdolf, Ute (2000): Nur scharfe Girlies und knackige Boy s ? In: testcard.Beiträge zur Popgeschichte 8: Gender-Geschlechterverhältnisse im Pop: 30-37.
Chambers, Ian (1985): Urban Rhythms. Pop Music and Popular Culture. Macmillan: London
Haberer, Johanna (1993): Die verborgene Botschaft. Fernseh-Mythen - Fernseh-Religion. In: Siegfried von Kortzfleisch, Peter Cornehl (Hg.): Medienkult - Medienkultur. Reimer: Berlin und Hamburg: 121-137.
Jacke, Christoph (2004): Medien(sub)kultur. Geschichten - Diskurse - Entwürfe . Transcript-Verlag: Bielefeld.
Schwarzer, Alice (2003): Alice Schwarzer portraitiert Vorbilder und Idole. Kiepenheuer&Witsch: Köln.
Shuker, Roy (1994): Understanding Popular Music. Routledge: London.
Whiteley, Sheila (2000): Women and Popular Music. Sexuality, Identity and Subjectivity. Routledge: London.
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