Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16. Nr. Mai 2006
 

14.6. Die Rolle von Wissenschaft und Forschung bei der Herausbildung eines neuen Selbstbewußtseins in den jungen Demokratien in Europa
Herausgeberin | Editor | Éditeur: Penka Angelova (Rousse/Rustschuk)

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Die Rolle der wissenschaftlichen Zentren im Transformationsprozess in Bulgarien

Petya Dylgerova

 

Die Wende in Osteuropa war unerwartet, schlagartig und turbulent. Deswegen gab es auch keinen klaren Weg, wie der tiefgreifende Transformationsprozess verlaufen muss. Der Inhalt der postsozialistischen Transformation wird in der Implementierung, Anpassung und Neubildung von Institutionen des gesellschaftlichen Lebens nach dem Muster der westlichen modernen Gesellschaften gesehen (Vgl. Stojanov 2001). Dieser Umbruch findet auf allen Ebenen statt - der politischen, der wirtschaftlichen, der kulturellen und der sozialen. Die Betriebe und Unternehmen müssen sich als Organisationen den neuen Herausforderungen der Umwelt innovativ anpassen (Heferkemper/Dittrich 1994). Die Manager müssen sich an die neue Unternehmenskultur gewöhnen, damit die Betriebe erfolgreich die Restrukturierung während des Transformationsprozesses schaffen. Ihr Verhalten wurde nicht nur von ihren bisherigen Erfahrungen in einer wettbewerbslosen Umwelt und von ihrer durch ihre kulturelle, soziale und historische Erbschaft und ihre Wertvorstellungen bestimmte Mentalität festgelegt, sondern auch von den rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen der Regierung für die Durchführung der Restrukturierung.

Um die Transformation in Bulgarien auf Unternehmensebene richtig zu beschreiben, ist es nötig die Tätigkeit der staatssozialistischen Betriebsleiter und die entsprechende Umwelt, in der sie handelten, zu erklären. Da sie heutzutage immer noch viele Organisationen leiten, muss man für die Ziele dieser Forschung ihre Erfahrungen und die derzeitige Unternehmenskultur aufzeigen, weil diese ihren Entscheidungsprozess beeinflussen. Die alten kommunistischen Führungskräfte leben immer noch in finanziellem Wohlstand und entwickelten ein machtvolles Netzwerk, eigentlich ihre Seilschaftsformen (Kaser 2001), das einflussreiche und leitende Positionen besetzt (Michailova 1995a). Anderseits sind die bulgarischen Manager die Fachleute, welche die Unternehmen vorbereiten müssen, damit sie nach dem EU-Beitritt Bulgariens 2007 wettbewerbsfähig sind. Das könnten sie nur mit entsprechend gut qualifizierten jungen Fachkräften und jungen Einsteigern machen, die die Universitäten ihnen anbieten.

In der planwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung war der Staat der einzige Unternehmer. Die Rolle der Betriebe ist nicht passiv, weil sie Eigenständigkeit und Entscheidungskompetenzen hatten. Während dieser Periode gab es auch Anreize für Manager, aber diese waren auf die Optimierung des eigenen Wohlstands ausgerichtet. Das Ergebnis war eine Verhaltensweise, deren Ziel es war: "nimm möglichst viel und gehe weg", im Sinne von "schaffe möglichst viel für dich selbst zur Seite".

Die staatssozialistische Wirtschaft bedingte bestimmte Gesellschafts- und Arbeitsbeziehungen, die den politischen Behörden große Macht gab. Obwohl die westlichen Autoren die Planwirtschaft als Kommandowirtschaft beschreiben, wurde in den sozialistischen Betrieben sehr viel gehandelt und getrickst. Laut dieser Kommandowirtschaftsthese war die staatsozialistische Wirtschaftsordnung durch Befehle von oben und deren Vollzug nach unten definiert. Das war aber nur eine Seite des Doppelcharakters der Planwirtschaft. Es gab damals auch die so genannten Pakte auf der unteren Managementebene. Es waren informelle Pakte, und sie bewiesen die informelle Machtposition der Arbeiter auf die Manager. Die Betriebsleiter kontrollierten die Betriebe, aber sie hatten keine Eigentümerrechte. Sie bekamen und vollzogen Aufträge von den Beamten der sozialistischen Hierarchie (Vgl. Edwards/Lawrence 2000). Dazu aber konnten die Betriebsleiter von unten sehr viel mit den Plänen tricksen und dealen. Die wirtschaftliche Initiative und die Aufgaben wurden von oben geleitet, und die Realisation wurde von vielen Ämtern kontrolliert und beobachtet. Man konnte nur schwer die wirtschaftlichen Kriterien für die Korrelation der Kräfte in den Betrieben zwischen den Führungskräften einerseits und den Behörden, den Vertretern des besitzenden Staates, anderseits erkennen. Normalerweise existierten diese Verbindungen auf einer politischen Ebene. Die beruflichen Fähigkeiten und Kenntnisse waren wichtig, aber auch die Loyalität zur regierenden sozialistischen Partei war von entscheidender Bedeutung. Die Einstellung und die Kündigung der Führungskräfte geschahen auf einer politischen Basis, und nicht die wirtschaftliche Verantwortung, sondern nur die politische Loyalität spielte eine Rolle. Die Betriebsleiter und die entsprechenden Staatsbeamten besaßen Rechte, ohne Verantwortung für die staatlichen Ressourcen zu tragen. Mit der Zeit bekamen die betrieblichen Führungskräfte beim Entscheidungsprozess immer mehr Rechte. Dies wurde von den persönlichen Eigenschaften und Beziehungen der Betriebsführer bestimmt (Vgl. Peev 2002a). Also ein nächster Beweis für Seilschaftsformen. Die Fachkräfte der Betriebswirtschaft handelten nicht als Betriebswirtschaftsleute, sondern als autokratische Behörden. Die berufliche Weiterentwicklung und die Entwicklung der Karriere waren oft von persönlichen Beziehungen abhängig. Auf diese Weise entwickelte sich ein breites Netz von horizontalen und vertikalen Vitamin B-Beziehungen. Die persönlichen Seilschaftsformen (Kaser 2001) wurden ausgenutzt und als Werte akzeptiert, die Gewinn bringen (Vgl. Chavdarova 1999). Daher gab es keine Freiräume für persönliche Initiativen im Entscheidungsprozess.

Die politische Manipulation der Fachleute führte zu einem zunehmenden Wachstum der bürokratischen Strukturen, die keine eigene Tätigkeit erforderten (Todeva 1996). Die Seilschaftsformen sind mehr als die Geldkorruption verbreitet. Der bulgarische Betrieb im Sozialismus wurde nicht als Zusammenarbeit der Mitarbeiter begriffen, die einander helfen, um ein gemeinsames positives Resultat zu erreichen, sondern als unpersönliches System von Regeln und Handlungen, wo jeder seine Ruhe haben möchte und sich möglichst weit weg von Führungspersonen und von Kontakten mit Kollegen befindet (Vgl. Minkov 2002). Dazu kommt das vom Sozialismus verstärkte Gefühl der Straflosigkeit und der Privilegierung von Vorgesetzten, weshalb der gewöhnliche Mensch keine Kontrolle über sein Leben und den persönlichen Erfolg hat und keine eigene Initiative braucht. Diese autokratische Verhaltensweise war sehr weit verbreitet und wurde zusätzlich von den traditionellen kulturellen Werten verstärkt (Vgl. Edwards/Lawrence 2000). Die langjährige Regierung der kommunistischen Partei förderte passive, eigentumslose, für ihr Schicksal nicht verantwortliche Leute. Sie machen die große mittlere Klasse des Sozialismus aus, in der "jeder denkt, dass der Staat alles für ihn tun [soll] und doch in den Mund steckt" /Todor Jivkov/ (Vgl. Marcheva 2004).

Die alten Managementverhaltensweisen mussten bewältigt werden, um eine moderne, Markt orientierte und strategisch geplante Organisation aufzubauen, welche die Herausforderungen einer neuen Umwelt bzw. der EU schaffen kann. Deswegen spielt das gut qualifizierte Arbeitskräftepotential ohne kommunistische Erbschaft eine große Rolle bei der Transformation.

Der Transformationsprozess als grundlegender Änderungsprozess berührt alle Ebenen. Neben dem Wandel der Strukturen auf der gesellschaftlichen Ebene und dem Wandel im gesellschaftlichen Wertesystem schließt er die Restrukturierung von Organisationen, den Wandel von Organisations- und Unternehmenskulturen sowie die Veränderungen in den individuellen Wertorientierungen, Fähigkeiten und Kenntnissen ein und führt zugleich zu einer Re-Institutionalisierung, Re-Sozialisierung sowie einer Neuausrichtung individueller und kollektiver Handlungsmuster und -strategien (Lang 1995). Die Unternehmenskultur wird als ein wandlungsfähiges System von Grundannahmen verstanden, das sich in Werten, Normen und Symbolen konkretisiert. Den Transformationsprozess kann man als einen Schritt für Schritt ablaufenden Übergangsprozess innerhalb einer bestimmten Zeitperiode bezeichnen, der mit umfangreichen Umschulungen und Personalqualifikationen verbunden ist (Vgl. Trillenberg 1992). Der Hauptinhalt der postsozialistischen Transformation auf Unternehmensebene in Osteuropa und damit auch in Bulgarien ist ein wirtschaftlicher, politischer und kultureller Systemzusammenbruch, der zu einem Wandel der Unternehmenskultur führte.

Anfang der 90er Jahre schaffte auch der Transformationsprozess soziale Distanz, Anonymität und Organisationsapathie. Nach der Wende mussten sich die Betriebe in Bulgarien an eine neue Umwelt bzw. an Marktwirtschaft und Wettbewerb innovativ anpassen. Sie zwangen zu einem anderen Handlungsmuster im Management. Das radikal veränderte Umfeld führte zum sprunghaften Wandel der Unternehmenskultur. Die neue politische und wirtschaftliche Umwelt ist durch ein hohes Niveau an Unsicherheit charakterisiert. Viele Betriebe fühlen sich stark von den neuen Rahmenbedingungen der Umwelt unterdrückt, und das zwang diese Unternehmen zum Transformationsprozess (Vgl. Edwards/Lawrence 2000). Die Aktivitäten der alten staatssozialistischen Wirtschaftspraxis sollten schnellstmöglich ersetzt werden und durch Reformen eine erfolgreiche Gestaltung erreichen, weil die Restrukturierung zu einer Frage der Rettung der Organisation geworden war. Die Manager mussten kreatives Denkvermögen haben und innovative Entscheidungen treffen.

Ein paar Jahre später bewältigten sie diese Anfangsphase der Transformation und die Manager nahmen am Restrukturierungs- und Privatisierungsprozess sehr aktiv teil (Vgl. Michailova 2000b).

Das Schaffen der dezentralisierten Wirtschaftsstrukturen musste Bedingungen, erfolgreiche neue Unternehmensstrukturen entwickeln, durch welche man die Betriebe effizienter führen konnte. Die Manager bleiben weiterhin staatliche Beamte, weil die Umwelt, in der die Unternehmen handelten, sich nicht geändert hatte. Sie hatten wirtschaftliche Macht ohne Verantwortung und das ergab selbstverständlich Anreize für eine primitive Kapitalbildung (Peev 2002b).

Die Transformation folgt in Bulgarien keinen Empfehlungen aus einem Lehrbuch, das den Veränderungsprozess begleiten könnte und dessen Vorschläge man auf den Prozess anwenden könnte. Die Umgestaltung neuer Handlungsmuster folgt unter Berücksichtigung der eigenen spezifischen Gegebenheiten der Umwelt. Da die Vergangenheit die aktuelle Unternehmenskultur maßgeblich formt und eine wiederholte Reflexion dieser vergangenen Erfahrungen nötig ist, kann die Unternehmenskultur nicht als statischer Zustand, sondern eher als fließende Entwicklung betrachtet werden (Fiedler 1998). Aus diesem Grund konnte man sich nicht Erfahrungen zur endgültigen Problemlösung bedienen oder sie auf die konkrete Situation übertragen und somit das System von heute auf morgen verändern. Nach vielen Jahren von Versuchen die Transformation der Unternehmen zu schaffen, richten sich heutzutage immer mehr Betriebsleiter an die Karrierezentren der Universitäten, wo die Organisationen qualifizierte Fachkräfte finden können. Früher benutzten Manager ihre persönlichen Bekanntschaften mit wissenschaftlichen Zentren, um Spezialisten einzustellen, jetzt entwickeln sich Karrierezentren, Jobbörsen an den Universitäten, es werden Karrieretage organisiert, der Kontakt zwischen den Hochschulen und den Firmen wird aktiver. Die "gute Nachricht" ist, dass mehrere junge Leute sagen: "Ich habe meinen Arbeitsplatz ohne Vitamin B-Beziehungen bekommen."

© Petya Dylgerova


LITERATURVERZEICHNIS

  1. Stojanov, Christo (2001): Die Rebellion der Lebenswelt. In: Journal for East European Management Studies, Vol. 6, No. 2, 2001, S. 197 - 201

  2. Haferkemper, Michael/Ditrich, Eckhard J. (1994): Organisationsideologien im Wandel. In: Bieszcz-Kaiser/Lungwitz/Preusche (Hrsg.): Transformation - Privatisierung - Akteure. Wandel von Eigentum und Arbeit in Mittel- und Osteuropa. Reiner Hampp Verlag, Münster und Mering

  3. Kaser, Karl (2001): Euro-balkanische Herausforderungen. Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec

  4. Michailova, Snejina (1995a): The Approaching the Macro-Micro Interface in Transitional Societies: Evidence from Bulgaria. In: Journal for East European Management Studies, Vol. 1, No. 1, 1996, S. 43 - 70

  5. Michailova, Snejina (2000b): Bulgaria in the Process of Systematic Transformation - an Overview-Working paper. Center for East European Studies, 2000, Copenhagen

  6. Edwards, Vincent/Lawrence, Peter (2000): Management in Eastern Europe

  7. Peev, E. (2002a): Korporacijata v pazarnija swjat i korporatizacijata v Balgarija 1990-1994 (Korporation in der marktorientierten Welt und die Korporatization in Bulgarien 1990-1994). Akademitchno izdatelstvo "Prof. Marin Drinov", Sofia, 2002

  8. Peev, Evgeni (2002b): The Political Economy of Corporate Governance Change in Bulgaria: Washington consensus, Primitive Accumulation of capital, and Catching-Up in the 1990. Center for Economic Institutions Working Paper Series No. 2002-1. Institute of Economic Research Hitotsubashi University, Tokyo

  9. Chavdarova, Tanya (1999): Market developement in Bulgaria: the problem of trust. In: Wirtschaftsethik in Mittel- und Osteuropa, IV. Chemnitzer Osteforum. Reiner Hampp Verlag, Münster und Mering

  10. Minkov, M (2002): Zasto sme razlitchni - megdukulturni razlitchija v semeistvoto, obstestvoto i biznesa (Warum sind wir verschieden - interkulturelle Unterschiede in der Familie, Gesellschaft und Business). Klasika i stil, Sofia

  11. Todeva, Emanuela (1996): Dynamics of Management practices in Eastern Europe. In: Journal for East European Management Studies, Vol. 1, No. 4, 1996, S. 47 - 70

  12. Lang, Rainhart (1995): Wandel von Unternehmenskulturen in Ostdeutschland und Osteuropa - Offene Fragen und Problemfelder der Forschung. In: Lang, Rainhart (Hrsg.): Wandel von Unternehmenskulturen in Ostdeutschland und Osteuropa, Reiner Hampp Verlag, Münster und Mering

  13. Trillenberg, Wilfried (1992): Einige Aspekte der Transformationsspezifik Osteuropas. In: Fischer/Messner/ Wohlmuth (Hrsg.): Die Transformation der osteuropäischen Länder in die Marktwirtschaft. Lit (Osteuropa - Politik; 3), Münster Hamburg

  14. Fiedler, Jörg (1998): Strategie und Kultur im Transformationsprozess - Eine empirische Analyse am Beispiel des sächsischen Maschinenbaus. Reiner Hampp Verlag, Münster und Mering

  15. Marcheva, Ilijana (2004): Natschaloto na kraja na sozializma v Balgaria prez parvata polovina na 80-te godini (Der Anfang des Schlusses des Sozialismus in Bulgarien in der erste Hälfte der 80er Jahren). In: Istoritscheski pregled, No. 3-4, 2004, S. 89 -114


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Petya Dylgerova : Die Rolle der wissenschaftlichen Zentren im Transformationsprozess in Bulgarien. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 16/2005. WWW: http://www.inst.at/trans/16Nr/14_6/dylgerova16.htm

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