Kunstphilosophie und Kunstpädagogik

Anna Nagy
(Westungarische Universität, Szombathely) [Bio]
Email: nagyannaszombathely@gmail.com

Die Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar” (vgl. Klee (1980). Der oft zitierte Satz des genialen Künstlers, Klees wie eine Art Gedankenkonzentrat trägt die aufregendste Erkenntnis der modernen Kunst, und eng damit im Zusammenhang der modernen Kunsttheorie in sich. Das Ziel des Vortrags ist weder die schon gekannten Interpretationen in Betracht zu ziehen, noch weniger sie zu beurteilen. Es wird versucht, darzustellen, was für ein Anschauungswechsel in dieser berühmt gewordenen Aussage steckt, was für Anknüpfungspunkte man zu theoretischen Einsichten eines vor knapp halbem Jahrhundert früher gelebten deutschen Kunsttheoretikers finden kann, und wie es sich in kunstpädagogischer Anschauungsweise von Klee widerspiegelt. Kurz wird auch vorgestellt, wie diese Gedanken in dem zeitgenössischen kunsttheoretischen Diskurs auftauchen.

Klee formuliert in seiner Aussage auf den ersten Blick die Erkenntnis, dass die Kunst nicht reproduziert, dass ihr Ziel nicht die Repräsentation ist, nicht die Wiedergabe des Sichtbaren und dessen Neuerkenntnis, sondern die Kunst sei eine aufschließende Arbeit, während der das Sichtbare zur Herkunft des Unsichtbaren zurückgeführt wird, das Unsichtbare in menschliche, d.h. sichtbare Form umgestaltet wird. Es wird etwas aufgeschlossen, was ohne diese aufschließende Arbeit versteckt bleiben würde, dessen Existenz aber unbestritten ist. Diese Aussage basiert auf einer Anschauung, nach der das schon in irgendeiner Form (im Modus der Unsichtbarkeit) existieren muss, was man sichtbar machen möchte. Vor der künstlichen Schaffung soll es schon vorher als eine Bedingung existieren, und dieses Vorhandene ist, was in der Schöpfung durch die Schaffung zum Vorschein kommt, sichtbar wird. Sollte es sich entweder um die geschaffene Natur, deren unsichtbare Ordnung, oder um die Inhalte der menschlichen Seele handeln.

Wir können aber mit gutem Grund annehmen, dass die berühmt gewordene Aussage nicht von den künstlerischen und theoretischen Absichten getrennt werden kann, die von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts manchmal verborgen, manchmal radikal (denken wir nur an Nietzsche) die Gedanken über die Kunst beeinflussten. Wenn wir das alles berücksichtigend Klees Aussage betrachten, wird so eine Sinnesbewegung sichtbar, anders gesagt, ein Anschauungswechsel, bei dem es keinen Sinn mehr hat weder über Re-produktion, noch über Re-präsentation zu sprechen, ja nach diesen Denkansätzen, gewinnt die Kunst nicht als Wiedergabe oder Hervorruf einer schon vorher gegebenen Natur einen Sinn, sondern als Schöpfung, Schaffung, als die kontinuierliche Gestaltung der so nie bestehenden Welt. Klee gibt den folgenden Rat Geist, dem bekannten Kunstpädagogen:

Führen Sie Ihre Lehrlinge zurück zur Natur, in die Natur, damit sie erleben, wie ein Äuglein sich entfaltet, wie ein Baum wächst, wie ein Schmetterling ihre Flügel öffnet, um so reich zu werden, wie die Natur ist, ebenso beweglich, und ebenso selbstherrlich. Etwas in Sicht zu bekommen ist die Offenbarung selbst, Einblick in das Atelier der Schöpfung. Dort steckt sich das Geheimnis (vgl. Haftmann (1988).

Die schöpfenden Muster, die gestaltenden Prozesse der Natur können aus einem künstlerischen Gesichtspunkt nur als Inspirationsquelle und Anregungskraft einen Sinn gewinnen.

Es geht also um Schaffung, obwohl dieser Begriff schon seit langem in der kunsttheoretischen Literatur benutzt wird, kommt ihm eine Bedeutung zu, durch die in der künstlerischen Tätigkeit nicht die Erlesenheit, sondern die Anregung und Entfaltung erwartende natürlichste Möglichkeit des menschlichen Daseins gesehen wird. Die schöpfende Tätigkeit bietet solches Potential, solche Freiheit und Spielraum für den Menschen, in dem die Entdeckung der Unendlichkeit des Möglichen (vgl. Blumenberg (1997) ohne Ende vorgehen kann.

Klee redet einmal dem Maler wie folgend zu:

Folgen Sie den natürlichen Wegen der Schaffung, der Entstehung der Formen und deren Funktionen. Das ist die beste Schule. Aus der Natur ausgehend kommt es vielleicht zu den eigenen Gestalten, und vielleicht werden Sie einen Tag zur Natur werden, und solche Formen gestalten werden, wie die Natur (vgl. Haftmann (1988).

Klee, wenn er Beispiele liefert, vergleicht, Quellen oder Muster erwähnt, spricht immer über die Natur, über die Natur, die kein abgeschlossenes Ganze ist, keine schon fertig erhaltene Gegebenheit, sondern ein sich in Bewegung befindendes, sich kontinuierlich gestaltendes, sich in Formen verwandelndes Dasein. Der Künstler muss also nicht die Gebilde der Natur zurückgeben, sondern er soll als Natur funktionieren. Er muss nicht nachbilden, idealisieren, heben oder entstellen, sondern er muss gestalten, eine Form geben. Das alles kann uns an den Gestalt des romantischen Genies erinnern, der als schöpfende Natur „Welten” schafft. Aber für Klee ist nicht selbst der Schöpfungsprozess, als Genese das Kunstprodukt, nicht der aus den Elementen der Natur durch die Transformation der Phantasie „entstandene” Kunstgegenstand wichtig. Sein Ziel ist nicht die Übertragung, die Nachahmung von sichtbaren oder unsichtbaren Inhalten, ja für ihn steckt sich die Formgestaltung als das Wesen elementarer schöpferischen Handlung nicht in der Nachahmung, sondern in der Schaffung.

Konrad Fiedler, der namhafte, und später bedeutenden geistlichen Einfluss ausübende Kunsttheoretiker des 19. Jahrhunderts beschreibt die künstlerische Tätigkeit ähnlich. In seiner Studie aus dem Jahre 1887 mit dem Titel Über die Herkunft der künstlerischen Tätigkeit macht er den Prozess des Sehens den Grund dieser Tätigkeit. Die des Sehens, da wird keine passive, abbildende Arbeit durchgeführt, sondern es wird auch selbst aktiv an der Schöpfung der sichtbaren Welt teilgenommen. Diese Fähigkeit ist keine Zauberkraft, sondern ein Potenzial, dessen Existenz wir nicht unbedingt bewusst sind, weil die Welt für uns eher ein Haufen von Gegebenheiten als einer der kontinuierlich entstandenen Sichtbarkeiten ist. Fiedler spricht über die sich im Sehen steckende Produktivität, und damit geht er den Psychologen, Kunsttheoretikern, Künstlern des 20. Jahrhunderts (denken wir hier an Rudolf Arnheim, Gibson, Ernst H. Gombrich, Moholy-Nagy László, Max Imdahl, Gottfried Boehm) richtig voran, die die für uns vorhandene Welt als eine durch unsere Mitwirkung gestaltete Welt beschrieben, in der die Wirklichkeit nicht etwas wie im voraus Vorhandenes, sondern wie eine sich durch die menschliche Aktivität kontinuierlich Gestaltende erscheint. Hier füge ich zu, dass die moderneren Sinnesempfindungsforschungen, beziehungsweise die medizinische Psychologie sich danach streben, die naturalistische Interpretierung des Sehens zu überwinden. Die Idee, das Auge nach Modell von camera obscura oder als eine lichtempfindliche Kamera zu bestimmen, hat schon Johannes Müller, der Physiologe aus dem 18. Jahrhundert überwunden. Er hat dem Auge eine spezielle sinnliche Energie untergelegt, und dadurch wurde es möglich, den Reizübertragungsprozess nicht mehr ausschließlich als mechanisch zu beschreiben, sondern die Sinneswahrnehmung als eine Tätigkeit zu verstehen. Die Rede über die Interpretation der visuellen Reize und die Analyse der Sinneswahrnehmung nach der Logik der aktiven Selektion lösen langsam den alten Gegensatz auf, da es um eine projektive Leistung des Gehirns geht, die die Datenmenge in visuelle Muster und Systeme umwandelt. Samir Zeki, der bekannte Neurobiologe, der Vertreter der sogenannten Neuroästhetik, schlägt ganz einfach vor, Kunstwerke in die Forschung der visuellen Gehirntätigkeit einzubeziehen.

Der Ausgangspunkt von Fiedler ist also, dass wir nicht verstehen, was der Maler macht, solange wir die unterschiedlichen Gebiete der Wirkung des Kunstwerkes untersuchen, und so lange wir das Sehen bloß als eine rezeptive Tätigkeit auffassen; wir verstehen den Körper nicht, wenn wir kontinuierlich über den Geist sprechen.

Es handelt sich für Ihn ja nicht mehr um das bloße Wahrnehmen eines sichtbar Vorhandenen, sondern um die Entwickelung und Bildung von Vorstellungen, in denen sich die Wirklichkeit allererst darstellt, sofern sie eine sichtbare Wirklichkeit sein kann. Er befindet sich dem gegenüber, was er Wirklichkeit zu nennen gewohnt ist, in einer sehr veränderten Stellung; alles körperlich Feste ist ihm entzogen, da es eben nichts Sichtbares ist und der alleinige Stoff, in dem sich sein Wirklichkeitsbewusststein gestalten kann, sind die Licht – und Farbenempfindungen, die er seinem Auge verdankt (Fiedler (1991).

Die Bedeutung des Sehens steckt also in der kontinuierlichen Produktivität, in der die Sinnesangaben durch den sehenden Sinn zu Auffassungen werden, die aber nur eine Form bekommen können, wenn sie durch die Tätigkeit der künstlerischen Hand stabilisiert werden.

Selbst in der den Augenblick ihrer Entstehung nicht überlebende Gebärde, in den elementarsten Versuchen einer bildnerisch darstellenden Tätigkeit tut die Hand nicht etwas, was die Auge schon getan hätte; es entsteht vielmehr etwas Neues, und die Hand nimmt die Weiterentwickelung dessen, was die Auge tut, gerade an dem Punkte auf und führt sie fort, wo das Auge selbst am Ende seines Tuns angelangt ist. …. In dem er (das Menschen) aber auch nur eine Linie zieht, ja indem er nur eine Gebärde macht, die etwas darstellen soll, was das Auge wahrgenommen hat, wird er, wenn er sich’s recht überlegt, einsehen, dass er damit für seine Gesichtsvorstellung etwas tut, wozu das Auge, das spezielle Organ des Gesichtssinnes, aus eigener Kraft unvermögend ist. Die Leistung der Hand mag ihm im Vergleich zu der wunderbaren Leistung des Auges mangelhaft erscheinen (Fiedler (1991).

Das Bild ist das Produkt und gleich das Manifest dieser Wahrnehmung, in dem es die Sichtbarkeit, wie ein kontinuierliches Zustandekommen sichtbar macht. Laut Fiedler

die Ausdrucksgebärde der Hand schenkt die Dauerhaftigkeit und Wiederholbarkeit dem leichtflüchtigen Blick. “Es ist ein und derselbe Vorgang, der mit Empfindungen und Wahrnehmungen beginnend, sich schließlich in Ausdrucksbewegungen entfaltet.”

Die zwei großen Prinzipien, das der Nachahmung und der Umwandlung der Wirklichkeit werden durch das Prinzip der Schaffung der Wirklichkeit ersetzt“ Fiedler, 1991). Mithilfe der künstlerischen Hand entsteht eine neue formelle Realität, die gleichzeitig auch die Erweiterung der menschlichen Erfahrung bedeutet. Fiedler teilt in einem seiner Lehrsprüche mit:  „Die bildende Kunst stellt die Sachen dar, nicht wie sie vorhanden sind, sondern wie sie sichtbar werden“ (Fiedler (1994).

Als ob wir nur Klee lesen würden.

Das im Jahre 1924 herausgegebene pädagogische Skizzenbuch von Klee basiert auch auf ähnlichen Einstellungen, inwieweit auch bei ihm diese gestaltende-formende Tätigkeit, diese durch die Handbewegung vorgehende Entfaltung und Aufbau der bildnerischen Elemente fähig ist, diese Wirklichkeit zu schaffen. Klee legte in den 11 im Bauhaus verbrachten Jahren einen großen Wert auf den theoretischen Unterricht, gab Vorträge über die elementaren bildnerischen Mittel, über die Genese der Formen und der Farben. Er hat seine Lehrlinge immer angeregt, das Sichtbare zu beobachten, aber er erwartete von ihnen nicht, es genauer abzubilden, erscheinen zu lassen, sondern sein Ziel war, dass die Lehrlinge „die Sachen erschöpfend” die gestaltenden Prozesse der Natur erkennen und sie in bildnerische Zeichen umsetzen.  

Die Lehrlinge arbeiteten an den gegebenen Aufgaben grundsätzlich zu Hause, dann besprachen sie einmal pro Woche ihre Arbeiten im Klees Atelier. Er stellte seinen Lehrlingen eine enorme Freiheit zur Verfügung, indem er sie aber furchtbar konsequent führte. Er hatte keine pädagogische Ausbildung, um unterrichten zu können, er musste für sich klar machen – was er bis dahin meistens unbewusst – durchführte. Für ihn war das eine außerordentlich produktive Zeitepoche. Er hat vor seinen Lehrlingen oft offenbart, dass eigentlich er die Studiengebühr bezahlen sollte, da er so viel von den eigenen Vorträgen lernt.

Sein Grundprinzip war, dass weder der Künstler, noch der Lehrling sich mit fertigen Formen beschäftigen kann, da die künstlerische Tätigkeit der vollständige Prozess der Entstehung ist. Ein Weg, den man immer wieder begehen muss. Die Bildschöpfung ist keine Form, sondern eine Gestaltung, es ist keine endgültige Erscheinung, sondern eine sich entstehende Form.

Im Zusammenhang mit einigen Aufgaben, zum Beispiel wenn man durch elementare Transformation rhythmische Gliederung zustande bringen musste, schickte er seine Lehrlinge mit der folgenden Bemerkung nach Hause: Man muss nicht an die Formen denken, sondern an die Gestaltung. Man muss sich von diesem Weg nicht abweichen (Haftmann (1988).

Man muss sich von der einfachsten Sache auf den Weg machen, und das ist nichts anderes als der Punkt. Der Punkt ist selbst die Entstehung. Schon bei Leonardo lautete: … weder in der Natur noch in dem menschlichen Sinne gibt es nichts, was statt dem Punkt der Anfang sein könnte (Leonardo (1967).

Bei Klee beginnt dieser Punkt sich zu bewegen, entsteht freilich davon eine Linie, ohne Ziel. Ein Spaziergang, nur um spazieren zu gehen. Der handelnde – ein sich in Gebärde setzender Punkt (Klee 1980).

Auch in dieser elementaren bildnerischen Operation kann man beobachten, dass der dynamische Charakter der Linie Bewegung, und dadurch Zeitdimension impliziert. Wie er es beschreibt:

Die Gebärde ist der Grund jeden Daseins. Bis es aus einem Punkt Bewegung und Linie entstehen, es braucht Zeit. Die aktive Linie ist aber fähig vom Punkt zum Punkt nach vorne zu gehen, und auf diesem Weg ist sie fähig sich selbst zu treffen und sich in ein Gebilde, in ein Viereck, in ein Dreieck, oder in einen Kreis umzuwandeln. Das Werk ist also die festgelegte Bewegung, die vor allem deswegen als Genese bezeichnet, nie als ein Produkt verstanden werden kann. Der Blick begeht diese für das Auge festgelegten Wege des Werkes, ja wie Klee formuliert: Innerhalb eines Kunstwerkes führen Wege zum dem der Gräser ähnlichen Blick des Sehenden (Haftmann (1988). Diese Wege, die Abbildungen der Entstehung werden auf den Bildern sichtbar, und wir können friedlich und lange an diesen Nahrungen der Kunst fletschern.

Literaturverzeichnis:

Blumenberg, Hans (1997): „A természet utánzása“ In: Kép-fenomén-valóság, Kijárat Kiadó, Budapest

da Vinci, Leonardo (1967): A festészetről. Budapest, Corvina Kiadó, 35.

Fiedler, Konrad(1914): Schriften über Kunst. München: Piper

Fiedler, Konrad (1991): Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeiten. In: Boehm, G. Konrad Fiedler (Hrsg.) (1991): Schriften zur Kunst. München, Wilhelm Fink Verlag, 153.

Fiedler, Konrad (1991): Moderner Naturalismus und künstlerischen Tätigkeit. In: Boehm, G. (Hrsg.): Konrad Fiedler: Schriften zur Kunst. München, Wilhelm Fink Verlag, 191.

Haftmann, Werner (1988): Paul Klee. Bp: Corvina, 92.

Klee, Paul (1980): Alkotói vallomás. Bp: Corvina, 5-6.p.