Einsatz der Musik

in Fatih Akıns Gegen die Wand[1]

Nigar Zahidli (Ludwig-Maximilians-Universität, München)
Email: nigar.zahidli@yahoo.com

 

Abstract:

Folgende Untersuchung beschäftigt sich mit dem Einsatz der Musik im Film Gegen die Wand von dem türkischstämmigen Regisseur Fatih Akin, der den ersten Teil der Trilogie bzw. Liebe bildet und eine Art der Migrantengeschichte darstellt, indem die Generationskonflikte im Vordergrund stehen. Die Auswahl der Themen Liebe, Musik und Migrantengeschichte stellen keine Zufallsprinzipien dar, sondern werden explizit für die Erinnerungszwecke ausgewählt, wie es exemplarisch dargestellt werden soll.

Schlüsselwörter:  Fatih Akin, Musikeinsatz im Film, Liebe, Migrantengeschichte

In Erinnerung an
Frau Prof. Dr. Gertrude Marie Durusoy

Der berühmte deutsch-türkische Regisseur Fatih Akın hat in seiner Trilogie Liebe, Tod und Teufel gesellschaftlich relevante Themen als Rohmaterial seiner ästhetischen Werke benutzt und seine Figuren um die zeitgenössischen Phänomene herum aufgebaut. Während die Themen seiner Filme auf die aktuellsten und brennendsten Themen der deutsch-türkischen Gesellschaft beruhen, übermittelt er in seiner eigenen Art und Weise mit Hilfe transnationalem Kino (vgl. El Hissy 2009: 178) Rezipienten nur eine zentrale Botschaft, die in allein heiligen Büchern und nicht heiligen, humanistischen Werken zentral ausgeprägt ist: Seit der griechischen Drama bis zum 21. Jahrhundert beschäftigen das homo sapiens immer wieder die gleichen Themen: Liebe, Tod und Teufel.

Er beschäftigt sich mit dem Einsatz der Musik im Film Gegen die Wand, der den ersten Teil der Trilogie bzw. Liebe bildet und eine Art der Migrantengeschichte darstellt, indem die Generationskonflikte im Vordergrund stehen (vgl. Neubauer 2011: 229). Der Auswahl der Themen Liebe, Musik und Migrantengeschichte stellen keine Geworfenheits- oder Zufallsprinzipien dar, sondern werden explizit für die Erinnerungszwecke ausgewählt.

Im Film Gegen die Wand bringt der Regisseur Fatih Akın etwa „40 Musikstücke“ zum Einsatz (Wienen/Twele 2004: 11). Die Musikgenres, u.a. Gothic Rock, Latin-Punk, türkischer Hip-Hop und Pop sind dabei vielfältig (vgl. Neubauer 2011: 228). Der Regisseur Fatih Akın drückt in einer Reportage aus, dass mit dem Einsatz abwechslungsreicher Musikgruppen aus westlichen und östlichen Kulturen er vor allem auf die existierende Verbindung zwischen orientalischen und okzidentalischen Musik anspielen möchte, bspw. auf die Verbindung zwischen einem Punk-Song und einem türkischen Volkslied, die sich zumindest auf Ebene von Songtexten befindet (Mitchell 2005):

Both are about how you can love somebody so much you go insane, you feel so much passion that you want to hurt yourself. Even with Depeche Mode or Nick Cave or Iggy Pop, I discovered a connection to the eastern world, so I wanted to bring that to the film. Also it was a way to break the Western, realistic look of the film with a kitschy postcard element. But those elements are connected to each other, and that’s me.

 

Musik spielt in vielen Szenen eine prognostizierende Rolle oder korrespondiert mit der Handlung: Wie der Regisseur in einer weiteren Reportage von Behrens/Töteberg (2011: 133) formuliert, leisten viele Musikstücke eine Hilfe bei der Vermittlung von „Emotionen“ im Film, z.B. bei „‚Life is What You Make It‘, de[m] Song von Talk Talk, ist die Moral von der Geschicht‘ [sic] und läuft deshalb über dem Anspann am Ende“. Eine Art der epischen Vorausdeutung kreiert Fatih Akın bspw. mit dem Einsatz des Liedes von Wendy Rene After Laughter, indem mit den Versen After laughter comes tears die nächste Szene prophezeit wird (Sequenz 8, 1:04:58-1:07:06): Die hiermit ihre Liebe zu Cahit anerkennende Sibel ist in der Sequenz 8 (1:05:51) während der Anspielung Wendy Renes Lied zum letzten Mal noch lachend zu sehen, wobei ihr Lachen, wie das Lied prophezeit, doesn’t last und verschwindet in der nächsten Szene, nachdem Nico von Cahit erschlagen wurde, weswegen er ins Gefängnis kommt (Sequenz 8, 1:06:52-1:06:55).

Cahits erste Aufnahme in seinem durcheinandergebrachten Zimmer, bei der die Kamera nicht zufällig ungefähr 20 Sekunden fixiert bleibt, handelt es sich um das Lied Ho Ho von The Birthday Party, deren Inhalt sich wie folgend darstellt und ebenso markante Zusammenhänge mit dem Plot aufweist (Sequenz 3, 00:17:06-0:17:27):

 

Worn and gnawn

A little hole

Just a small hole

Letting in a sick wind

In a small puffs

 

Bei diesem Text geht es um die Beschreibung von Cahits Wohnung, die heruntergekommen bzw. worn and gnawn ist und lediglich in seiner von sick wind oder small puffs schützenden Funktion eine Bedeutung hat, damit Cahit weiterüberleben kann. Das Wort hole ruft an dieser Stelle die Semantik eines Daches über dem Kopf hervor. Ebenso ist es kein Zufall, dass die das gleiche Wort enthaltende nächstfolgende Verse des Liedes Yo ho hole, yo ho hole genau mit der Filmsequenz gleichkommt, in der Cahit das Foto seiner verstorbenen Frau in seinen Händen hält, über deren Schicksal der Zuschauer noch nicht informiert ist (Sequenz 3, 00:17:33-00:17:37). In diesem Moment symbolisiert das gleiche Wort hole die Lücke, die seine verstorbene Frau in Cahits Seele und Leben hinterlassen hat.

Des Weiteren experimentiert Fatih Akın mit dem Einsatz der den linearen Zusammenhang der Geschichte aufbrechenden Musikgruppe zwischen den Filmeinheiten. Diese Musikgruppe von Selim Sesler übernimmt die Funktion des Chors in der griechischen Tragödie, beschreibt die Ereignisse und kommentiert den Inhalt der Handlung (Burgerova 2008: 96):

Das Drama wird vom Ensemble des Musikers Selim Sesler musikalisch umrahmt, das in Istanbul am Ufer des Bosporus, die Hagia Sofia im Rücken, auf schönen Teppichen platziert, spielt, als ob es uns eine traurige, märchenhafte Liebesgeschichte erzählen möchte, die sich im Sinne einer transgenerativen Transmission seit ewigen Zeiten immer wieder neu abspielt. So werden die Szenen von Gesang und Musik umwoben, als könnte das die Brisanz der Handlung mildern und die dabei sich entfesselnde Brutalität besänftigen.

Dadurch zielt Fatih Akın auf eine besondere Erzählungsästhetik ab, die laut dem Regisseur selbst in Anlehnung an Bertolt Effekt und das griechische Drama die Handlung in die fünf Akte teilt (vgl. Mitchell 2005) und auf diese Weise eine zu tiefe emotionale Verbundenheit mit den Filmfiguren vorbeugt.

Auch wenn sich auf Handlungsebenen viele Forscher nicht darüber einig sind, ob es bei Akıns Film aufgrund der binären Oppositionen und Angriffen auf Stereotypen um eine interkulturelle Bereicherung geht (u.a. Fincham 2008, Petek 2007), kann man seinem Film in Bezug auf Ästhetik und Musik transnationalen Charakter zuweisen. Und doch eines ist gewiss: Mit dem Einsatz der Musik erreicht Fatih Akin in seinem Film ein Medium, das alle homo sapiens um gemeinsame Noten herum einigt.

 

QUELLENNACHWEIS:

Behrens, Volker/Töteberg, Michael (Hg.) (2011): Fatih Akin. Im Clinch. Die Geschichte meiner Filme. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Burgerová, Jana (2008): Zum DPG-Kongress „Psychoanalyse und Globalisierung“ in München im Mai 2008. Gegen die Wand. In: Forum Psychoanal 24 (1), S. 96–103.

El Hissy, Maha (2009): Transnationaler Grenzverkehr in Fatih Akıns Gegen die Wand und Auf der      anderen Seite. In: Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik 69 (1), S. 169– 186.

Fincham, Victoria (2008): Violence, Sexuality and the Family: Identity ‘Within and Beyond     Turkish-German Parameters’ in Fatih Akın’s Gegen die Wand, Kutluğ Ataman’s Lola +    Bilidikid and Anno Saul’s Kebab Connection. In: German as a foreign language 1, 40–72.

Neubauer, Jochen (2011): Türkische Deutsche, Kanakster und Deutschländer. Identität und      Fremdwahrnehmung in Film und Literatur: Fatih Akin, Thomas Arslan, Emine Sevgi Özdamar, Zafer Şenocak und Feridun  Zaimoğlu. Würzburg: Königshausen & Neumann  (Epistemata : Reihe Literaturwissenschaft, 733).

Petek, Polona (2007): Enabling collisions: Re-thinking multiculturalism through Fatih Akin’s     Gegen die Wand/Head On. In: Studies in European Cinema 4 (3), S. 177–186.

Elektronische Quellen

Mitchell, Wendy (2005): Going to Extremes: Fatih Akin on His Turkish-German Love Story                  “Head-On”. In: Indie Wire. http://www.indiewire.com/2005/01/going-to-extremes-fatih-akin-on-his-turkish-german-love-story-head-on-78433/ [Stand: 25.05.2019]

Wienen, Andrea/Twele, Holger (2004): Gegen die Wand. Fatih Akin. Deutschland 2004. Filmheft von Andrea Wienen und Holger Twele. Bonn: Druckverlag. (Bundeszentrale für politische  Bildung). www.bpb.de/system/files/pdf/CDVFQZ.pdf [Stand: 25.05.2019]

[1] Stammt aus dem Manuskript der unveröffentlichten gleichnamigen Magisterarbeit, durchgeführt an der LMU-München, im Fachbereich für DaF.