ZERROUKI Dalila
Doctorante à l’Université d’Oran 2
Laboratoire de Traduction et Méthodologie (TRADTEC)
Abstrakt: Sprachliche Varietäten sind als sprachliche Eigenheiten zu verstehen, die für Sprecher bestimmter Regionen (/Dialekte), bestimmter Gruppen (/Gruppensprachen) oder bestimmter Gesprächssituationen (/Sprachstile) typisch sind.
Varietäten basieren auf dem Sprachgebrauch von Kleingruppen, auf dem direkten interpersonellen Kontakt, der durch das gruppenspezifische Wertverhalten geregelt wird. Die Varietätenlinguistik ist eine Teildisziplin der Soziolinguistik. Sie befasst sich mit den vielfältigen Formen bzw. Variationen innerhalb einer natürlichen Sprache. Sie versucht hierbei die unterschiedlichen Varietäten mit außersprachlichen Faktoren wie Alter, Gender oder sozialer Zugehörigkeit in Beziehung zu setzen und betrachtet auch den Wandel des Sprachgebrauchs, wie zum Beispiel Jugendsprache oder Genderlekt.
Schlüsselwörter: Sprachvarietät, Varietätenlinguistik, Jugendsprache, , Soziale Gruppe
Abstract: Language types should be understood as typical linguistic characteristics of speakers in specific regions.(Dialects), specific groups (group languages), or certain conversation situations (language patterns).
Classes depend on the language usage of small groups, on direct contact between people, which is regulated by the group’s value behavior. Varied linguistics is a branch of socio-linguistics. It deals with various forms within a natural language. It attempts to associate the different types with non-linguistic factors such as age, gender or social affiliation, as it examines changes in the use of language, such as the language of youth.or sex lectures.
Keywords: Diversity of languages, diverse linguistics, youth language, social group
Einleitung
Im folgenden Beitrag versuchen wir, es herauszugreifen, was für die Jugendsprache schlechthin relevant ist, sozusagen den handlungstheoretischen und semantischen Kern der Sprechweise Jugendlicher, der es erlaubt, die Vielfalt der oberflächenstrukturellen Einzelphänomene nicht nur zu registrieren, sondern in einen Erklärungszusammenhang zu bringen.
Einen ersten Ansatzpunkt für die approximative Aufarbeitung dieses Problems sehen wir in der Varietätenlinguistik, denn die Jugendsprache kann als eine sprachliche Varietät der deutschen Gegenwartssprache gekennzeichnet werden.
1. Sprachliche Varietäten
Nun wird der Begriff der Varietät aber in der einschlägigen Fachliteratur (zunächst ausschließlich von sprachlichen Phänomenen ausgehend) unterschiedlich gefasst. Weit verbreitet ist die Auffassung (im Anschluss an FISHMAN 1975, 52), dass sprachliche Varietäten als „sprachliche Eigenheiten“ zu verstehen sind, die für Sprecher bestimmter Regionen (/Dialekte), bestimmter Gruppen (/Gruppensprachen) oder bestimmter Gesprächssituationen (/Sprachstile) typisch sind. Und darauf aufbauend, wird dann die ‚Sprache‘ einer Sprachgemeinschaft (zu einem bestimmten Zeitpunkt) als heterogenes Gebilde verstanden, das unterschiedliche Varietäten umfasst, die als Subdiasysteme dem Diasystem langue hierarchisch zuzuordnen sind (HEGER, 1970).
Dass es zwischen den dort postulierten Grundansätzen – dem diatopischen, dem diastratischen und dem diaphasischen Diasystem – zahlreiche Überlappungen gibt, ist in der Fachliteratur wiederholt registriert worden. Das hängt damit zusammen, dass es im Grunde nur einen Ausgangspunkt für Varietäten gibt, den der Gruppensprachen, zu dem dann die anderen in Beziehung gesetzt werden können. Soziale Gruppen und ihr Sprachverhalten müssen daher auch Ausgangspunkt für die Kennzeichnung unterschiedlicher Varietäten in einer Sprache sein. Von dieser Grundhypothese ausgehend, sollen im Folgenden einige Wesensmerkmale sprachlicher Varietäten thesenhaft zusammengefasst werden.
Varietäten sind sprachlichen Ausdrucks Formen von Wertesystemen sozialer Gruppen. Ihr Wesensmerkmal sind spezifische Signalelemente, die eine Varietät als solche charakterisieren und einzelne Varietäten voneinander abheben. Signalelemente reduzieren sich nicht auf Wortschätze (obwohl sie die markanteste Ebene innerhalb einer Varietät darstellen), sondern umfassen auch spezifische Strukturelemente (Satzanfänge, Anreden…usw.)
Damit werden Varietäten modifizierbar. Da vorläufig noch eine in sich geschlossene Klassifikation sozialer Gruppen (mit den entsprechenden Wertesystemen) aussteht, kann auch eine parallele Varietätenklassifikation keineswegs Vollständigkeit beanspruchen. Das schließt ein, dass in einer natürlichen Sprache stets ein Spektrum von Varietäten existiert, das sich der Untersuchung entzieht (HESS-LÜTTICH 1986, S. 122 f. nennt als Beispiele: Alkoholiker, Motorrad-Freaks, Körperbehinderte, Golfclubs u. a.), während andere seit langem im Mittelpunkt des Interesses stehen (z. B. Fach- und Berufssprachen).
2. Zur Varietät Jugendsprache
Aus synchroner Sicht ist eine natürliche Sprache eine Menge von Varietäten, in die größtenteils vorgefundene sprachliche Teilsysteme eingehen, andere Teilsysteme dagegen umfunktioniert, modifiziert oder in Ansätzen sogar neu entwickelt werden.
Diachron gesehen sind damit auch Prozesse des Sprachwandels nachvollziehbar, wenn die Entwicklung einzelner Varietäten im Zusammenspiel mit anderen untersucht wird. Varietäten abstrahieren von konkreten Sprachprozessen. Sie stellen Prototypen dar, die als solche – wie Sprachen generell – nie real existieren, sondern immer nur in einer bestimmten potentiellen funktionalen Ausprägung.
Sie sind quasi ein Konzentrat der denkbaren und vorhandenen Varianten. Als Prototypen sind Varietäten daher auch nicht bis ins letzte beschreibbar. Varietäten als konzentrierte Abstraktionen (Prototypen) sind generell an Großgruppen bzw. Medialgruppen (nur dann, wenn in einer bestimmten sozialen Ordnung keine Großgruppen existieren) gebunden. Demzufolge ist der Prototyp ‚Jugendsprache‘ immer nur mit den Prototypen ‚jugendliche Gruppe‘ und ‚Jugendlicher‘ in Beziehung zu setzen. Mit Notwendigkeit muss es zu Fehlschlüssen kommen, wenn ein Individuum zu einer Varietät in direkte Beziehung gesetzt wird. Ein Individuum beherrscht nie die gesamte sprachliche Varietät, ein Mediziner nicht die Fachsprache der Medizin, ein Sportler nicht die Sprache des Sports…usw.
3. Sprachliche Varietäten und Gruppen
Varietäten basieren auf dem Sprachgebrauch von Kleingruppen, auf dem direkten interpersonellen Kontakt, der durch das gruppenspezifische Wertverhalten geregelt wird. So gesehen entstehen die Besonderheiten sprachlicher Varietäten in Kleingruppen, sie werden dort ausgeprägt und im sozialen Miteinander ständig verändert. Die Summe der für zahlreiche Kleingruppen charakteristischen Merkmale wird dann einer sozialen Großgruppe zugeschrieben und mit ihr identifiziert. Diese Identifikation hat nur bedingt präskriptiven Charakter, etwa in dem Sinne: Wenn man Mitglied dieser sozialen Gruppe ist und sich dazu bekennt bzw. als solches kenntlich ist, muss man sich auch sprachlich dementsprechend verhalten, da man sonst mit Sanktionen rechnen muss. Wörterbücher und andere Kodifizierungen haben hier nur Hilfsfunktion: Sie unterstützen entweder das Identifikationsstreben des Individuums, oder sie werden als Präskriptionshilfen von Institutionen gestützt. Das Identifikationsstreben der Mitglieder sozialer Gruppen („Wir-Gefühl“) ist typisch für die Konstanz sozialer Gruppen generell, in einzelnen Gruppen aber besonders ausgeprägt z. B. in bestimmten Arbeits- oder Freizeitgruppen, in Berufsgruppen mit hohem sozialen Wert.
Bestimmte Varietäten als Prototypen erwecken den Eindruck von Allgemeingültigkeit und gruppengebundener Angemessenheit. Damit wird wiederum das Sprachverhalten des Individuums nachhaltig beeinflusst, das sich der Varietät deutlich anpassen will (wenn nicht unter bestimmten Umständen ein Nicht-Anpassen dienlicher ist, das entspräche aber dem Verleugnen der Mitgliedschaft in einer bestimmten sozialen Gruppe).
Das Hauptproblem der Varietätenlinguistik ergibt sich aus der Mehrgruppenbindung der Individuen, die sowohl gleichzeitig wie nacheinander erfolgen kann. Daher ist das Individuum auch verschiedenen Varietäten verpflichtet. In einem Sprecher sind also Varietäten bündel (Register) vereint, die sich gegenseitig beeinflussen, die aber auch bestimmten Hierarchien unterliegen, je nach Festigkeit der Bindung an eine oder mehrere soziale Gruppen. Dabei gehen wir nicht (wie DONATH 1981, 108 ff.) davon aus, dass das Individuum grundsätzlich nur durch eine Primärgruppe („Grundgruppe“) geprägt wird, sondern nehmen an, dass mehrere Bezugsgruppen mit fortschreitendem Lebensalter und damit in Zusammenhang stehender sozialer Veränderung hierarchisch in ihrer Einflussnahme wechseln.
Gehen wir prinzipiell von der These aus, dass soziale Medial-und Großgruppen Varietäten ausbilden, dann ist das individuelle Sprachverhalten als ein Konglomerat verschiedener Varietäten zu begreifen. Diese vereinfachte Darstellung muss mit Notwendigkeit auf Widerspruch stoßen, wenn nicht weitere Modalitäten zur Kennzeichnung herangezogen werden:
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der Grad der sprachlichen Ausprägung einer Varietät: Nicht alle Varietäten haben einen so hohen Anteil an Signalelementen, dass sie als solche ohne weiteres zu identifizieren sind (bzw. dass ihre Varianten nicht markante Gruppenindikatoren sind).
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der Grad der Verbindlichkeit einer Varietät: Varietäten sind an soziale Gruppen gebunden, die wiederum nicht frei im Raum stehen, sondern Teile von gesellschaftlicher Ganzheit repräsentieren. Das Dominieren einer bestimmten Varietät ist daher vor allem sozial und situativ geprägt.
Die Substitution jugendsprachlicher Elemente durch andere erfolgt nicht für zahlreiche Elemente gleichzeitig, also in großen Schüben, sondern sukzessive mit erheblichen gruppenspezifischen Unterschieden. Auch innerhalb einer Clique gibt es unterschiedliche Präferenzen für die Verwendung einzelner jugendspezifischer Signale, doch sind dabei Ausgleichstendenzen unübersehbar. In der Regel wird dabei der Sprachgebrauch des in der Clique kommunikativ dominanten Individuums von den weniger aktiven Gruppenmitgliedern übernommen.
4. Fazit
Beziehen wir die dargelegten Prämissen auf die Varietät Jugendsprache, so kommen wir zu folgenden Ergebnissen: Jugendsprache ist eine Varietät unter vielen, die von Jugendlichen in Abstufungen beherrscht werden; Varietäten sind in ihrem Zentrum an soziale Gruppen gebunden. Innerhalb der sozialen Gruppe wird die Varietät aktiviert wie auch produziert, der adäquate Kommunikationspartner ist ein Mitglied derselben sozialen Gruppe. Bei Kommunikationspartnern, die außerhalb der entsprechenden Gruppe stehen, wird die Varietät nicht oder nur partiell verwendet.
Die soziale Gruppe für die Varietät Jugendsprache ist die informelle Freizeitgruppe, die Clique. Da aber den Jugendlichen auch in anderen halb oder ganz institutionalisierten Gruppen mit anderen Jugendlichen kommuniziert, verwendet er partiell die Varietät Jugendsprache auch in diesen Gruppen. Das geschieht vor allem bei Wertungen. Jugendsprache ist vorrangig eine Wertesprache, weil damit der Jugendliche eine der wenigen Gelegenheiten hat, sein individuelles und darüber hinaus gruppenspezifisches Wertesystem auszudrücken.
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