Internationale Kulturwissenschaften
International Cultural Studies
Etudes culturelles internationales

Sektion X: Mehrsprachigkeit: Regionen, "Nationen", Multikulturalität, Interkulturalität, Transkulturalität

Section X:
Multilingualism: Regions, "Nations", Multiculturalism, Interculturalism and Transculturalism

Section X:
Plurilinguisme: régions, "nations", multiculturalité, interculturalité, transculturalité


Birgit Lang (Wien)  *

Englisch 
Intersexions (1) -
Zur Konstruktion von Geschlecht/erdifferenz/en im deutschsprachigen Exilkabarett
(2) in Australien

 

"Die gesellschaftliche Artikulation von Differenz ist aus der Minderheitenperspektive ein komplexes, fortlaufendes Verhandeln, welches versucht, kulturelle Hybriditäten zu autorisieren, die in Augenblicken historischen Wandels aufkommen."(3), schreibt Homi Bhabha in seinem Aufsatz Verortungen der Kultur. Er betont dabei auch, daß diese Autorisierungen sowohl integrativ als auch antagonistisch sein können. Die Beispiele, die Bhabha in diesem Kontext verwendet (und dies gilt meiner Meinung nach auch für die Postcolonial Studies im Allgemeinen), beschränken sich meist auf einen spezifischen, oftmals britischen ausschließlich kolonialen Diskurs. Dabei wird Geschlecht als Kategorie in der Beschreibung der Hybridität der Subjekte nicht immer explizit gemacht.(4)

Anhand des deutschsprachigen Exilkabaretts in Australien soll nun ein Beispiel einer hybriden Äußerung im britisch-australischen Gefüge gegeben werden, das den kolonialen Diskurs, das koloniale Setting verflicht mit einer Konsequenz der rassistischen und antisemitischen Politik der Nationalsozialisten, der Vertreibung der deutschsprachigen als Juden und Jüdinnen Klassifizierten. Im Zentrum meiner Ausführungen steht dabei die Frage nach der Darstellung von Geschlecht/erdifferenz/en im Exilkabarett.

Doch zuerst eine kurze historische Rückblende: Die Annexion Österreichs durch das nationalsozialistische Deutschland und später das Pogrom vom 10. November 1938 stellten die australischen Behörden vor ein unerwartetes Problem. Drei Wochen nach dem Anschluß lagen rund zehntausend unbearbeitete Anträge zur Einreise nach Australien vor.(5) Die vom Nationalsozialismus Vertriebenen wandten sich in höchster Not an einen Staat "am Ende der Welt". Ich möchte nicht näher auf die verwickelte und durchaus antisemitische Flüchtlingspolitik Australiens eingehen(6), es sei nur festgehalten, daß sich bis zum Kriegsende rund 8500 als jüdisch klassifizierte Flüchtlinge in Australien aufhielten. Der Anteil der Österreicherinnen und Österreicher unter ihnen war beträchtlich, betrug ein gutes Viertel. Im Jahr 1948 sollten sich rund 4000 geflüchtete Österreicherinnen und Österreicher in Australien aufhalten(7).

Die Vertriebenen waren in einem Land angelangt, das ihrem eigenen Empfinden nach am Ende der Welt lag und mit den Flüchtlingen nur eines scheinbar teilte - den Blick nach Europa: im Falle Australiens den starren Blick auf Großbritannien, für die deutschsprachigen Flüchtlinge - zumindest in der Repräsentation des Exilkabaretts - den gebrochenen Blick auf Wien. Diese Blicke sollten sich niemals kreuzen. Australien, das sich als weißer britischer Ableger im Pazifik verstand, hieß allein britische Einwanderer willkommen. Alle anderen, dies waren in den Dreißigerjahren zuerst Italiener und dann die Flüchtlinge vor dem Nationalsozialismus, unterlagen einem extrem hohen Assimilationsdruck. Und ihnen wurde der Eintritt in eine (intellektuelle) Mittelschicht schlichtweg versperrt. Deutschsprachigen Rechtsanwälten, Ärzten und Kulturschaffenden war es unmöglich, an ihre früheren Karriere anzuschließen. Das lag nur sekundär an Sprachschwierigkeiten, vielmehr an bürokratischen, also politischen Hindernissen. Auch die Universität blieb den Vertriebenen verschlossen, da eine Ausbildung in Großbritannien Voraussetzung für jedwedes Fortkommen war.(8)

Vor diesem Hintergrund ist die Entstehung des "Kleinen Wiener Theaters" in Sydney zu betrachten, dessen jahrzehntelanger Erfolg auf den in Eigenproduktion verfaßten Kabarettaufführungen beruhte. Noch vor Kriegsende 1945 fand mit spezieller Erlaubnis der Behörden der erste Bunte Abend statt, 1973 wurde der elfte und letzte Bunte Abend aufgeführt. Über die Jahre lassen sich verschiedene Phasen in der Entwicklung unterscheiden, der Vergleich zwischen einem vergangenen Wien und einem gegenwärtigen Sydney bzw. Australien stand aber immer im Mittelpunkt des Kabaretts. Indem Karl Bittman und Alfred Baring, die Autoren der Bunten Abende, die Figur des innerlich zerrissenen Emigranten ins Zentrum der Kabarettstücke stellten, gelang ihnen ein geradezu genialer Coup. Die kulturelle/n Differenz/en zwischen Wien/Österreich und Sydney/Australien wurde/n durch die Figur des zerrissenen Emigranten verkörpert, der Vergleich zwischen den Kulturen wurde gleichsam in dessen Psyche, in sein Inneres verlegt. Quasi die Symptome der Zerrissenheit oder vielleicht besser die Repräsentationen dieser internalisierten und inszenierten kulturellen Differenz sind die Unterschiede in der Sprache, im Kulturleben, im Humor, in der Küche und in den weiblichen Geschlechterrollen. Dies passiert etwa in einer Traumsequenz des Bunten Abend "Eine Fahrt ins Blaue" aus dem Jahr 1952, in der sich der Hauptcharakter Hans Mantler in sein österreichisches und sein australisches Selbst spaltet. Hans, die Wiener Hälfte, bevorzugt die >süßen Mädeln< während John, sein australisches Gegenüber, >australische< Frauen bevorzugt. Eine vergleichbare Stelle, in der männliche Geschlechterrollen in Verhältnis zueinander gestellt werden, existiert nicht.

Nicht nur wenn es um einen Vergleich von Geschlechterrollen geht, rangieren Frauen an prominenter Stelle. Die Figur der Ehefrau nimmt in allen Bunten Abenden eine zentrale Rolle ein. Interessant dabei ist, daß in die Differenz zwischen den Ehepartnern, die sich ja für eine humoristische Bearbeitung hervorragend eignet, auch ein geschlechterdifferenter Zugang die eigene Migration betreffend eingeschrieben wird. Ein im Original gesungenes Textbeispiel aus dem Bunten Abend 1946 soll dies veranschaulichen:

Schoen:

Ach sagn's Herr Froehlich, koennten sie raten,
Mei Frau benimmt sich sonderbar.

Froehlich:

Kein Wunder, wenn - bei so an Gatten
Man seltsam wird oder ein Narr

Schoen:

Sie spricht nur Englisch, auch wenn wir zu Hause,
Und kocht mit Dripping
(9) ungeniert.

Froehlich:

Gehn's ladn's mich ein, das naechstemal zur Jause,
Ich haett sie gern analysiert!

Schoen:

Sie sperrt nicht zu die Wohnungstuer,
Und trinkt sich Tee von sechs bis vier,
Sie geht herum in einer Tour,
Mit rotem Hut und gruene Schuh,
Sie tragt sogar, auch wenn ich steig,
Die Ledertasch, die ich erzeug!
Das Geld mit Losen sie verliert,
Ich bitte sagn's mir, was passiert?

Froehlich:

Aber Herr Schoen, sie brauchen sich nicht zu sorgen,
Sie ist bloss naturalisiert!
(10)

Die Ehefrau des Herrn Schoen erscheint hier als angepaßt an den "Australian Way of Life", als assmiliert, zumindest als assimilierter als ihr Ehemann. Diese Zuschreibung hält sich über die Jahre: Ehefrauen scheinen weniger von Heimweh geplagt, nicht so innerlich zerrissen und vor allem nicht so sentimental gegenüber der Vergangenheit wie ihre Ehemänner. Ob dies einer Realität entsprach, ist zweifelhaft. Die Wahrnehmung und Repräsentation von Frauen und Männern als in verschiedenen Graden assimiliert, liegt wohl eher an der geschlechtsspezifischen Darstellung von Arbeit. Erwerbsarbeit wurde als rein männliche Domäne verstanden, Hausarbeit als rein weibliche. Man könnte also argumentieren, daß Frauen wie Männer eigentlich dasselbe machen: sie passen sich beide (zwangsläufig) der neuen Umgebung an, die Frauen im ihnen zugeschriebenen privaten / häuslichen Bereich, die Männer in ihrer Erwerbsarbeit: nur wird ersteres auf die Schippe genommen und zweiteres durchaus wehmütig betrachtet.

Was läßt sich also aus obig Gesagtem schließen? Im ersten Beispiel werden aus einer männlichen Perspektive national markierte weibliche Geschlechterrollen karrikierend miteinander verglichen, das >süße Mädel< versus die >australische Frau<. Zwar passiert hier eine einseitige Beschreibung - männliche Geschlechterrollen werden nicht diskutiert; aber selbst wenn die weiblichen Geschlechterrollen als fixiert imaginiert werden, werden sie doch zumindest durch den Vergleich miteinander relativiert.

Die Darstellung von Frauen im Exilkabarett konzentriert sich jedoch meistenteils nicht auf den Vergleich von kulturell / national markierten Differenzen innerhalb einer Geschlechterrolle, sondern bezieht sich auf Geschlechterdifferenz im herkömmlichen Sinne. Männern und Frauen - in unserem Fall Ehemännern und Ehefrauen - werden verschiedene Rollen zugeteilt, etwa wenn der Umgang mit Migration diskutiert wird. Hier müssen sich die männlichen Figuren in der Arbeit zwar an die australischen Verhältnisse anpassen, zu Hause soll es aber denn "heimatlicher" zugehen. Die weiblichen Figuren passen sich in dem ihnen zugeschriebenen Bereich ebenfalls den australischen Verhältnissen an - so wird der häusliche Bereich geschlechterdifferent verschieden konstruiert. Diese aufgebaute Differenz wiederum bildet die Grundlage für so manchen Witz im Kabarett, nur wird Frauen neben >dem Haus< kein anderer TextRaum zugestanden, in dem sie etwa ihre Beziehung zum Herkunftsland diskutieren könnten. Interessant ist hier auch, daß gerade bei der Beschreibung von Ehefrauen, nicht mehr klar wird, ob die verwendeten Modelle zur Beschreibung gesellschaftlicher Realitäten den Diskursen des Wien der Zwischenkriegszeit oder denen des zeitgenössischen Australiens entsprangen, ob also aus der Vergangenheit zitiert oder ob Zeitgenössisches beschrieben wurde.

Um auf das Anfangszitat von Homi Bhabha zurückzukommen: Das Exilkabarett kann als Versuch gelesen werden, kulturelle Hybriditäten zu autorisieren. Zwei Momente sind dabei hervorhebenswert. Wenn die Autoren der Bunten Abende kulturelle Differenzen besprechen, sobald also die Diskurse im Herkunftsland denen im Zufluchtsland widersprechen, hat das Kabarett durchaus befreiende / revolutionäre Züge. Entsprechen jedoch die Diskurse im Herkunftsland denen im Zufluchtsland, beispielsweise bei der Darstellung von Ehefrauen, verstärkt / verdoppelt sich die Normativität des Gesagten.

Das heiß aber auch, daß die hier beschriebene >Autorisierung< antagonistisch und integrativ, innovativ und konservativ zugleich ist.

 

ANMERKUNGEN

* Die Verfasserin des Artikels bezieht derzeit ein Dissertationsstipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
1 Intersexions ist der Titel zweier unabhängig voneinander erschienenen Bände:
Intersexions. Gender/class/culture/ethnicity. Ed. by Gill Bottomley, Marie de Lepervanche and Jeannie Martin. Sydney: Allen & Unwin 1991.
Intersexions. Feministische Anthropologie zu Geschlecht, Kultur und Sexualität. Hg. von Gerlinde Schein und Sabine Strasser. Wien: Milena 1997.
2 Exil meint hier Exil vor dem Nationalsozialismus.
3 Homi Bhabha: Verortungen der Kultur. In: Bronfen, Marius, Steffen (Hg): Hybride Kulturen. Beiträge zur anglo-amerikanischen Multikulturalismusdebatte. Tübingen: Stauffenberg 1997, S. 125. [Übersetzung von Introduction: Locations of Culture. London 1994]
4 Vgl. beispielsweise Ann McClintocks Kritik an Homi Bhaba in ihrem Buch Imperial Leather. Race, Gender and Sexuality in the Colonial Context. New York: Routledge 1995, insbesondere S. 61 ff.
5 Blakeney, Michael: Proposals for a Jewish Colony in Australia: 1938-1948. In: Jewish Social Studies P. 277.
6 Vgl. dazu Paul R. Bartrop: Australia and the Holocaust 1933-45. Melbourne: Australian Scholarly Publishing 1994.
7 Strauss to Matilda 1988, P. xiv.
8 Interview mit Alphons Silbermann am 1.9.1999.
9 Schafsfett. Bei den Australiern beliebtes Kochfett, das auch zum Frittieren und zur Herstellung von Fish & Chips verwendet wurde.
10 Karl Bittman: Bunter Abend 1946 [S. 6].
Die Schreibweise der Umlaut wurde aus dem Originalmanuskript übernommen. Da das Englische keine Umlaute kennt und die Originale auf einer Schreibmaschine mit englischer Tastatur geschrieben wurde, ging die "korrekte" Schreibweise verloren.



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