Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 3. Nr. März 1998

Amerikanismen in der deutschen Sprache der Gegenwart

Gerlinde Ulm Sanford (New York)
[BIO]

Vielleicht fallen Ihnen zu diesem Thema gleich folgende englische Redewendungen ein. Wenn nämlich ein Streitpunkt oder ein Thema sowieso schon zu Tode diskutiert worden sind, so sagt man: "There is no use beating a dead horse" oder "It's a waste of time beating a dead dog." Tatsächlich sind zu dem Thema Amerikanisierung der deutschen Sprache in den letzten Jahren sehr viele Arbeiten erschienen, und das Thema wurde auf verschiedenster Ebene immer wieder diskutiert. Erst vor kurzem kam z. B. von dem Redakteur der Zeit Dieter E. Zimmer ein Buch heraus, in dem sich ein äußerst informativer Aufsatz befindet, der das von mir gewählte Thema sehr ausführlich behandelt und von dem zahlreiche Beispiele für diese Arbeit übernommen sind. Der Titel von Zimmers Aufsatz lautet: "Neuanglodeutsch. Über die Pidginisierung der Sprache."(1) Viele sind besorgt und sehen die deutsche Sprache in Gefahr. Trotz zahlreicher Diskussionen sind jedoch noch keinerlei Maßnahmen getroffen worden, die eine vielleicht ernstliche Gefährdung der deutschen Sprache verhindern helfen könnten. Darum ist das Thema noch immer aktuell.

Ich bin eine Auslandsgermanistin und lebe in den USA. Wenn ich mit meinen deutschen Kollegen oder Freunden in Amerika Deutsch spreche, so rutschen natürlich immer wieder englische Wörter in unser Gespräch. Das hat folgende Gründe: Ich habe z. B. erst in Amerika richtig Auto fahren gelernt, und also sind mir alle diesbezüglichen Ausdrücke auf Englisch viel geläufiger als auf Deutsch. Zwar weiß ich, daß "clutch" "Kupplung" heißt und "fender" ist "Kotfügel," und "windshield wiper" ist "Scheibenwischer," "muffler" ist "Auspufftopf." Aber wie sagt man für "under coating", für "air bag," für "cruise control"? Auch sonst gibt es so manche Ausdrücke, die es einfach nicht gab, als ich noch in Österreich lebte: z. B. "Drive-In-Window," "Touch-Tone-Telephone," "ATM" (=automatic teller machine), weiters alle Ausdrücke, die mit dem Computer zu tun haben. Kein Wunder also, daß wir in unseren Gesprächen solche Wörter einfach auf Englisch übernehmen. Umso erstaunter bin ich dann aber, wenn ich nach Österreich oder nach Deutschland komme und dann auch dort für diese neuen Dinge keine deutschen Wörter finde, sondern häufig die englischen nur einfach übernommen werden.

Mein hier vorgelegter Aufsatz ist zweiteilig. Erstens allgemein zum Thema beziehungsweise zum Problem der bedenklich wachsenden Anglisierung der deutschen Sprache und zweitens zu einem speziellen Abschnitt dieses Themas, nämlich zur Zuweisung des Genus beim Import von Substantiven.

In Bezug auf die deutsche Sprache lassen sich sowohl Xenophobie als auch Xenophilie feststellen (7 ff.). Dies begann schon zur Zeit der Entstehung der deutschen Sprache, als für viele neue Begriffe ein lateinisches Wort in das Gemanische Eingang fand. Zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges kam es dann zu Importen aus der französischen Sprache, was später z. B. zu Extremen führte, wie etwa, daß der deutsche König Friedrich der Große vorwiegend Französisch sprach und schrieb. Ein Gedicht aus dem Dreißigjährigen Krieg mag den Zustand der damaligen deutschen Sprache illustrieren:

Reverierte Dame,
Phönix meiner Ame,
gebt mir Audienz,
Eurer Gunst Meriten
machen zu Falliten
meine Patienz.(2)

In unserer Zeit sind Anglizismen bzw. Amerikanismen derartig stark in die deutsche Sprache eingedrungen, daß viele fürchten, das Bestehen der deutschen Sprache überhaupt sei in Gefahr, da - wie Zimmer formuliert - die Tiefenstruktur der Sprache gefährdet sei. Zimmer plädiert dennoch gegen einen "Einreisestopp für fremde Wörter" (85) und auch dagegen, daß alle Fremdwörter mit Gewalt eingedeutscht werden sollten. Er verlangt nur:

Es müßte in den von der Anglisierung betroffenen gemeinsprachlichen Bereichen nur die Menge und Tiefe der Codesprünge vermindert werden, so daß insgesamt der deutsche Code gefestigt würde und überall als unbezweifelte 'Folie sprachlicher Richtigkeit' bestehen bliebe. Hier eine Übersetzung, dort eine lautliche oder orthographische Anpassung, alles nur soweit und mit dem einzigen Ziel, die zugereisten Wörter in sämtlichen grammatischen Zusammenhängen frei gebrauchen zu können - schon das würde viel bewirken. (85)

Zimmers Aufsatz endet allerdings ganz pessimistisch, denn solche Maßnahmen würden den gemeinsamen Willen voraussetzen, das Deutsche an der deutschen Sprache zu erhalten. Dieser Wille aber sei "nicht vorhanden und würde, wenn er sich irgendwo regen sollte, sofort als Deutschtümelei ausgepfiffen" (85)

Also werden die, die später in unserem Land leben, eines Tages Engländer, Franzosen, Polen, Finnen und Spanier um ihren Eigensinn beneiden. Und die Klügsten werden ihre Kinder von Anfang an Englisch lernen lassen, damit diese später wenigstens eine der geschichtlichen europäischen Sprachen von Grund auf und richtig beherrschen. (85)

Broder Carstensen, einer der beiden verdienstvollen Verfasser des 1995 erschienenen Anglizismen Wörterbuchs, konnte 1965 noch zuversichtlich schreiben, daß die "Amerikanisierung" des Deutschen zwar wohl weiter fortgeschritten sei, als allgemein angenommen wird, aber es sei dennoch deutlich,

daß trotz der bedrohlichen Einbrüche in Morphologie und Syntax keine ernsthafte Gefährdung für die Struktur des Deutschen vorliegen kann.
[...]
daß wir das übernehmen, was unserer Sprache gemäß und fruchtbar ist, daß wir aber alles Entbehrliche, Unfruchtbare und nur durch sprachliche Großmannssucht Bedingte dort lassen, wo es herkam und gemäßer ist. Am Ende darf nicht Pidgin German oder eine westdeutsche newspeak stehen.(3)

Genau das aber ist teilweise schon eingetreten. Enno von Lowenstern, ein Mitarbeiter der deutschen Zeitung Die Welt hat mit Schrecken festgestellt, daß es heutzutage möglich ist, auf Deutsch zu schreiben, aber fast ohne deutsche Wörter auszukommen:

Unser Way of Life im Media Business ist hart, da muß man ein tougher Kerl sein. Morgens Warm-up und Stretching, dann ein Teller Corn Flakes und ein soft Drink oder Darjeeling Tea, dann in das Office--und schon Brunch mit Top-Leuten, Meeting zum Thema: Sollen wir die Zeitung pushen mit Snob Appeal oder auf Low Profile achten?

Ich habe den Managern ganz cool und businesslike mein Paper presentiert: Wir müssen News powern und erst dann den Akzent auf Layout und design legen, auf der Front Page die Headline mehr aufjazzen. Für jede Story brauchen wir ein starkes Lead. Das Editorial muß Glamor und Style haben, unsere Top Priority bleibt: Action und Service.(4)

Bernd Sucher von der Süddeutschen Zeitung behauptet in einem Artikel mit dem Titel "Ziemlich unziemlich":

Es ist wahr: Die Deutschen packt eine gefährliche Lust, mit englischsprachigen Wörtern zu spielen, zu jonglieren, zu protzen. Der Körper ist der body, das Gefühl ein feeling, das Wohlbefinden wellness; was einfach scheint, wird easy gemacht; und wer kräftig kämpft, fightet mit echter power. Trifft man sich, so hat man ein meeting. Die deutsche Lufthasa gibt sich gleich ganz trendy, wirbt für das Vielfliegerprogramm Miles&More damit, "ein flexibles Upgrade-Verfahren" einzuführen und erklärt die Vorteile: "Mit dem neuen Standby oneway Upgrade Voucher kann direkt beim Check-in das Ticket aufgewertet werden." ...

Bei den Franzosen wacht die Académie Française darüber, daß die französische Sprache nicht überwuchert wird vom Englischen. Ja, es gibt sogar ein gesetzliches Verbot, in der Öffentlichkeit bestimmte Anglizismen zu verwenden. Wer meint, diese staatlichen Eingriffe seien intolerant und chauvinistisch, irrt. Wenn Jugendliche, die schon jetzt locker formulieren, die future werde happy sein und es sei toll, mit dem handy stets online die coolsten connections zu haben, und hoffen, nie mit einem blackout in der last minute vom Lehrer nach specials gefragt zu werden, dann werden sie sehr bald Texte von Hebbel nicht mehr verstehen und sich fragen, was Goethe wohl meinte mit dem Ratschlag, daß erlaubt sei, was sich ziemt.

Kurz und vermessen: Es ziemt sich, ziemlich sparsam Fremdwörter zu benutzen. Und deshalb fordern wir, der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Kompetenzen einzuräumen, ähnlich denen der Académie Française. Wohl wissend, daß Sprache sich entwickelt, niemand sie rein, also clean halten kann (und will) und mit Verboten wenig auszurichten ist. Allein: Widerstand wäre zumindest ein geziemendes Zeichen.(5)

Der Düsseldorfer Anglist Dieter Stein sagte neulich, es sei amüsant zu beobachten, wie sich die Erziehung seit Jahrhunderten vergeblich bemühe, Sprachveränderungen zu verhindern. Während früher in vielen Sprachräumen Repräsentanten der Oberklasse neue Sprachtrends durchgesetzt hätten, stammten heute die meisten verbalen Neuerungen aus der Jugendsprache. Die dort geprägten Begriffe würden schnell von Werbetextern übernommen, weil gerade junge Verbraucher eine interessante Konsum-Macht repräsentierten. Über die Marketing-Sprache gelangten diese Begriffe dann mit den Medien in die Alltagssprache.

Sprachveränderungen entwickeln sich nach Ansicht Steins auch aus der durch den Tourismus geförderten dichter gewordenen Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Sprachen. Allerdings sei es dabei ein gesetzmäßiger Faktor, daß nur Sprachen mit Prestigecharakter auf andere Idiome abfärbten. Deswegen wimmele es zwar im Deutschen von Amerikanismen, seien aber trotz der Millionen türkischer Mitbürger in der Bundesrepublik bisher keinerlei Begriffe aus der Turksprache eingedeutscht worden. Deswegen habe man nach der Wiedervereinigung auch keine Wortschöpfungen der DDR gesamtdeutsch übernommen, sagte Stein.(6)

Auch folgender Bericht von Joachim Neander wirft ein bezeichnendes Licht auf unsere Situation:

Auszeichnung für ein Unwort
"Multimedia" wurde zum Wort des Jahres 1995 gewählt
Von JOACHIM NEANDER

Wiesbaden - Ein anglo-lateinisches Fremdwort hat die Gesellschaft für Deutsche Sprache diesmal zum "Wort des Jahres 1995" erwählt. Das Wort "Multimedia," so heißt es in der Begründung, spiegele in besonderem Maße wider, was in diesem Jahr den öffentlichen Sprachgebrauch geprägt habe. Auf den Plätzen folgen "Eurogeld" und "Kruzifixurteil."

Multimedia (viele Medien) ist zunächst einfach nur falsches Latein, weil hier das Maskulinum "multi" mit dem Neutrum "media" zwangsvereinigt wird. Da das Wort aber in alle Welt über das Englische gelangt ist, wo sich die antiken Sprachen bekanntlich manchmal aufs wundersamste verändern, wurde es mittlerweile in den meisten Sprachen zu einem Terminus, mit dem man eine künftige Welt vage zu beschreiben versucht, die man meist (noch) gar nicht versteht. "Multimedia ist das Leitwort für die Reise in die schöne neue Medienwelt," preist die Jury der Gesellschaft für Deutsche Sprache.

Dabei tauchte das Wort abwechselnd mit "Intermedia" oder "Mixed Media" schon in den sechziger Jahren auf, damals zunächst in der Bedeutung von "Medienverbund" im Unterricht, später auch als moderne Umschreibung einer Mixtur der Kunstgattungen wie etwa beim sogenannten Happening. Die Brockhaus-Enzyklopädie von 1971 definiert: "Alle Äußerungen der zeitgenössischen Kultur, deren Wirkungsformen sich nicht mehr auf die Gattungsgrenzen einer Disziplin oder eines Materials beschränken, sondern programmatisch auf Zusammenfassung oder Wirkungsintegration mehrerer Medien zielen." Käme jetzt noch die aktuellste Bedeutung von "Multimedia" als einer kombinierten Nutzung von Computer, Telefon, Telefax und Fernsehen hinzu, würde eine Definition zwangsläufig noch viel komplizierter.

"Eurogeld" und "Kruzifixurteil" wurden gewählt, weil sie eine charakteristische Reaktion auf kontroverse Debatten darstellen. Es folgen die "Reichstagsverhüllung," der "Kampfeinsatz," das "Anklicken" (mit dem Computer), die "virtuelle Realität" (künstlich hergestellte, scheinwirkliche Bilder in den Medien) und die "Datenautobahn." Einige der diesmal ausgezeichneten Wörter könnte man sich freilich auch als "Unwörter des Jahres" vorstellen.
[...]
Im Jahr 1994 war "Superwahljahr" zum "Wort des Jahres" gewählt worden. Die Gesellschaft für Deutsche Sprache will mit dieser Aktion nicht auf die schönsten, sondern auf die auffälligsten Veränderungen im Wortschatz der deutschen Bevölkerung aufmerksam machen. Einige der so "prämierten" Sprachkreationen waren allerdings schon im darauffolgenden Jahr fast wieder vergessen.(7)

Zimmer beginnt seinen Aufsatz mit interessanten Bemerkungen über Sprachreinigungsbestrebungen. Folgendes ist dabei festzustellen.

  1. Sprachreinigungsbestrebungen erwuchsen nicht in erster Linie aus negativen nationalistischen Tendenzen, sondern aus dem Wunsch, aus dem noch "ungefügen Deutsch" eine "anständige Literatursprache" zu schaffen. Die fremden Wörter konnten nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung richtig verstanden und gebraucht werden und sollten darum verständlich eingedeutscht werden.
  2. Daß es dabei zu seltsamen Gebilden kam, wie etwa "Jungfernzwinger" für "Kloster" oder "Gesichtserker" für "Nase," ist heute vielleicht mehr bekannt als daß auch Wörter wie "Zufall" (für lateinisch "accidens"), "Jahrhundert" (für lateinisch "saeculum"), "Gewissensbiß" (für lateinisch "conscientia"), "Geschmack" (für italienisch "gusto") etc. Eindeutschungen sind, die so gelungen sind, daß wir sie in keiner Weise als künstlich empfinden.
  3. Ob ein Eindeutschungsversuch von der Bevölkerung akzeptiert wird oder nicht, läßt sich nicht vorhersagen. Auch gelungene Eindeutschungen scheinen sich nicht immer durchsetzen zu können. Warum z. B. haben sich "Hochschule" und "Hochschüler" für "Universität" und "Student" durchgesetzt, nicht aber "Hochlehrer" für "Professor"?

In vielen Fällen behielt die Sprache beide Ausdrücke, die aber dann manchmal feine Bedeutungsunterschiede entwickeln. So spricht man z. B. heute von einer 'Technischen Hochschule," wogegen der ursprüngliche Ausdruck "Universität" den allgemeineren Begriff einer höheren Lerninstitution zu bezeichnen scheint.

Zimmer weist auch darauf hin, daß die Gleichung "Eindeutschung gleich Deutschtümelei gleich Nazidenken" keineswegs zutrifft (12). Wie schon erwähnt, fanden wichtige Sprachreinigungsbestrebungen schon lange vor der Nazizeit statt und zwar kaum aus deutschtümelnden oder rassischisten Gründen. Außerdem waren die Nazis selbst keineswegs so extrem, wie man vermuten möchte. Goebbels z. B. war der Propagandaminister und nicht der Werbeminister, Hitler schuf die deutsche Frakturschrift ab und äußerte in einem Erlaß: "Der Führer wünscht nicht derartige gewaltsame Eindeutschungen ..." (13).

Sehr interessant ist auch, daß im 19. Jahrhundert für französische Wortimporte z. B. auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens eine Reihe von erfolgreichen Verdeutschungen vorgeschlagen wurden, die aber in letzter Zeit wieder von englisch anmutenden Audrücken erzetzt wurden. Z. B.: Chemin de fer, waggon, perron, billet, controlleur, coupé wurden damals zu Eisenbahn, Wagen, Bahnsteig, Fahrkarte, Schaffner, Abteil.

Heute findet man bei der Eisenbahn eine Flut von neuen englischen oder englisch-deutschen Ausdrücken: Ticket, Service-Point, Ticket Counter, Autoshuttle, Park & Ride, PostGepäck Set, BahnCard, City NightLine und vor allem die Namen für die verschiedenen Zugarten. Hieß es früher D-Zug oder Schnellzug, Eilzug oder Personenzug, Schlafwagenzug, so heißt es nun InterCityExpress, InterCity, InterRegio, CityExpress oder RegionalExpress oder InterCityNight (13).

Wenn ein Wort vom Englischen ins Deutsche übernommen wird, so erfährt es häufig auch eine Bedeutungsveränderung oder wird irgendwie fehlerhaft übernommen. "So tragen Mädchen nun ein Body (statt ein "bodysuit" oder "tank") ... ein "cellular phone" [wird] zu einem Handy (als Substantiv gibt es das Wort im Englischen sowenig wie den Smoking) (35).

Auch die fehlerhafte Aussprache führt zu Veränderungen: spare ribs werden zu "Sperr-Rips," sweatshirt, was ja eigentlich Schweißhemd heißt, wird darum bei manchen wohl auch "purem Unglauben" wie Zimmer rät, zum "Swietschört," zum Süßhemd, was ja viel freundlicher klingt.

Auch die nahe Verwandtschaft zwischen Englisch und Deutsch führt teilweise zu Mißverständnissen. "Das englische "vital" ist eben nicht das gleiche wie das deutsche vital; jenes bedeutet "lebenswichtig," dieses "lebenskräftig" (37). Der Ausdruck "vitales Interesse" ist also eigentlich ein Unding. Oder engl. "familiar" ist nicht das gleiche wie deutsch "familiär," sondern bedeutet "vertraut". Englisch "fatal" ist nicht gleichbedeutend wie Deutsch "fatal". Deutsch "fatal" bedeutet mißlich, peinlich. Englisch "fatal" aber bedeutet "unbehebbar, tödlich." Der Sinn von Ausdrücken wie "ein fataler Fehler" oder "vitales Interesse" ist also sehr unklar. Haben "fatal" und "vital" in diesem oder jenem Kontext nun die deutsche oder die englische Bedeutung?

In etlichen Fällen wurden brauchbare deutsche Worte von gleich geschriebenen englischen überlagert und verdrängt: Wenn Goethe noch sagen konnte "Doch will sich's modeln"(8) in der Bedeutung von "doch will es sich formen", so wird das heute nur noch schwer richtig verstanden, denn "modeln" heißt heute für die meisten so viel wie "ein Model, also ein Modell vorführen".

Auf jeden Fall schleichen sich wegen der Nähe beider Sprachen neben den offenen Anglizismen reichlich heimliche ein und bringen die innere Anglisierung des Deutschen voran. Sie sehen aus wie alte deutsche Wörter und Wendungen, wurden aber nach englischem Vorbild entweder umgedeutet oder neugebildet. Sprachwissenschaftler nennen sie Lehnbedeutungen beziehungsweise Lehnfügungen (38).

Dazu etwa folgende Beispiele: "Früher konnte man nur einen Brief adressieren, heute auch ein Thema oder eine Speicherstelle im Computer, denn das Wort bedeutet nicht mehr nur "mit einer Adresse versehen," sondern auch "ansprechen" (38). Die Bedeutung von "Aktivität" war früher "Tatkraft," heute sind Aktivitäten unter dem Einfluß von englisch "activities" beliebige Beschäftigungen oder Handlungen. Eine "Destination" war früher die "Bestimmung," der "Endzweck", heute ist sie auch der "Zielort."

Auch in die Idiomatik schleicht sich das Englische ein: "Das ist kritisch für seine Arbeit," anstatt "entscheidend." "Nicht wirklich", von "not really", anstatt, "eigentlich nicht". "Für ein Jahr" anstatt "ein Jahr lang". "In Deutsch" statt "auf Deutsch". "In Schlaf fallen" von "to fall asleep" anstatt "einschlafen". "Claudia Schiffer sagt von sich Ich bin im öffentlichen Auge, wenn sie zum Ausdruck bringen will, daß sie im Blick der Öffentlichkeit steht" (41). Andere Beispiele sind "eine gute Zeit haben", "Sex haben", "Liebe machen", "wir sehen uns" und viele mehr.

Zimmer verdammt diese Ausdrücke nicht in Bausch und Bogen, sondern meint, der Wert jedes solchen Imports müßte sorgfältig erwogen werden. Die zu stellende Frage ist: Erweitert oder beschränkt ein solcher neuer Import die Ausdrucksgenauigkeit des Deutschen? In manchen Fällen kommt es durchaus zu einer Bedeutungserweiterung, eine Nuance wird hinzugefügt, in anderen Fällen aber findet nur eine Bedeutungsverschiebung statt. In jedem Fall aber werden "alternative idiomatische Wendungen das Lexikon einer Sprache zunächst einmal aufweichen: Man weiß nicht mehr genau, welches Wort an einer Sinnstelle eigentlich zu stehen hätte" (42). "Routine", bedeutet das jetzt noch wie früher "gewohnheitsmäßige Verrichtung" oder bedeutet das "Unterprozedur eines Computerprogramms"? "Backshop" bedeutet das jetzt "Hinterladen" oder "Backladen"?

Befinden sich in einer Sprache viele Wörter mit ungefestigter Bedeutung, so entsteht eine sprachliche Unsicherheit, es entsteht der Eindruck, daß es keinen richtigen Sprachgebrauch mehr gibt, daß alles so oder auch so akzptabel ist. "In Frankreich scheint weitgehender Konsens zu bestehen, daß die Sprache genauso bewahrenswert ist wie Kathedralen oder Käsesorten" (44). In Deutschland heißt so eine Haltung Kurturchauvinismus. Die sogenannte Loi Bas-Lauriol (von 1975) und die Loi Toubon werden in Deutschland oft mißverstanden. Sie schränken nämlich in ihrer revidierten Form (4. August 1994) keineswegs die Freiheit des Individuums im Gebrauch von Fremdwörtern ein, verlangen aber die Verwendung von französischen Wörtern bei Gebrauchsanweisungen, Garantieerklärungen, Verträgen, öffentlichen Dokumenten etc. Daß das moderne Französisch tatsächlich relativ wenig sogenanntes Franglais enthält ist allerdings vor allem auch ein Verdienst der Académie française und verschiedener vom Erziehungsministerium beauftragter Kommissionen, die sich bemühen, neue Fachwörter sofort ins Französische zu übersetzen.

"Wie viele fremde Wörter verträgt eine Sprache?", (51) fragt Zimmer. Eine klare Antwort darauf kann es nicht geben. Eine Sprache kann u. U. sehr, sehr viele Fremdwörter vertragen. Nur dann wird eine Sprache wirklich beschädigt, "wenn das höchst komplexe, einzigartige Regelsystem, das sie darstellt, in Frage gestellt ist und sich aufzulösen beginnt. Ist also das Regelgefüge des Deutschen durch den Zustrom fremder Wörter und Wendungen in diesem Sinne gefährdet?" (51)

Zimmer fürchtet, daß die Antwort auf diese Frage im Falle des Deutschen "ja" ist. Er unterscheidet fünf Ebenen, auf denen jede Sprache ganz bestimmte Regeln aufweist, die phonemische, die morphemische, die Ebene der Beziehungen zwischen Lauten und Buchstaben, die morphologische und schließlich die syntaktische Ebene.

Normalerweise heißen sie im Deutschen nicht so, aber hier sollen die Regeln dieser fünf Ebenen kurz als der "Code" einer Sprache bezeichnet werden - und da dieser Code keinem ihrer Sprecher je zur Gänze bewußt wird, daß er ihn ausformulieren könnte, da nur ein paar Sprachwissenschaftler mehr als eine Handvoll seiner Regeln angeben könnten, soll er hier ""Tiefencode"" heißen." (54)

Jede Sprache verfügt über einen ganz bestimmten stabilen Tiefencode, "an den sich ein unruhiges und veränderliches Lexikon heftet. In dem Maße, in dem sich ein fremdes Wort diesem Tiefencode einfügt, hört es auf, ein Fremdwort zu sein. Umgekehrt heißt das: ein fremdes Wort erhält seine Bewegungsfreiheit nur in dem Maße, wie es sich dem Tiefencode der Zielsprache anpaßt" (55).

Jedes fremde Wort muß z. B. "sprechbar" werden. Wegen der artikulatorischen Beschränkung des menschlichen Sprechapparates bedeutet dies meistens, daß sich die Aussprache dem Lautsystem des importierenden Landes anpassen wird. Dabei entstehen Unsicherheiten. Z. B. "Lifestyle-Debut-Plan": Wird das jetzt ganz englisch ausgesprochen, oder nur der erste Teil, der zweite vielleicht dann französisch und der dritte vielleicht dann deutsch?

Phonetisch eingebürgert wurden zum Beispiel Bulldozer, Bunker, Gully, Joker, Knickerbocker, Moderator, Poker, Puzzle, Reporter, Sport. Ihre Schriftgestalt ist unverändert geblieben, gesprochen werden sie mit Lauten ausschließlich aus dem deutschen Repertoire, mit der Folge, daß für sie weder die englischen noch die deutschen Laut-Buchstaben-Beziehungen gelten, sondern gar keine: Man kann nur Wort für Wort lernen, wie es zu lauten hat. Das Wort Jazz hat von Anfang an zwischen phonetischer Einbürgerung und Nichteinbürgerung geschwankt, zwischen "Jatz" und "Dshähs," und achtzig Jahre haben nicht gereicht, zu einer Entscheidung zu kommen - die Untentschiedenheit hat sogar noch eine dritte Variante hervorgebracht, "Schäss." Kein Mensch würde zum computer je "Komputer" sagen. Dem sponsor dagegen wurde schon bei der Einreise das phonetische Einbürgerungszertifikat überreicht, kein Mensch hat ihn je englisch ausgesprochen. So gesetzlos geht es zu in den interkulturellen Beziehungen. (57 f.)

Damit ein fremdes Wort in der deutschen Sprache verwendet werden kann, ohne Schaden anzurichten oder Unklarheiten zu schaffen, müßte es sich den deutschen Wortbildungsregeln fügen. Manchmal funktioniert das, manchmal nicht: z. B. zu der "User" kann das Deutsche auch eine "Userin" oder auch mehrere "Userinnen" bilden. Bei "Bodyguard" geht das z. B. nicht. Importierte Verben haben meist nicht die Fähigkeit vieler einheimischer Verben, durch ein Präfix erweitert zu werden: es gibt zwar "checken" und auch "einchecken," aber "sightseen" kann nicht zu "besightseen" werden, und "talken" nicht zu "vertalken". Adjektive müßten sich flektieren und auch steigern lassen. Es gibt zwar einen "coolen" Typ und vielleicht sogar einen "cooleren" Typ, aber das Leben ist zwar "easy", trotzdem aber kann man bis jetzt noch kein "easyes" Leben führen. Verben müßten konjugiert werden können. Alle importierten Verben werden schwach konjugiert. Da die meisten der importierten Verben auch im Englischen schwach sind, ist das nur relativ selten ein Problem. Bei manchen aber kann man es einfach nicht recht machen. Z. B. "sightseen": heißt es dann: sie "sightseete" oder sie "sightsaw" oder sie "sightsah"; oder: wer hat das "gelayoutet" oder "outgelayed" oder "outgelayt"? "Du hast das backuped? backupt? gebackupt? upgebackt? aufgebacken?" (60).

Aus all dem wird offensichtlich, daß das Deutsche seine Assimilationskraft schon weitgehend verloren hat. Es geschieht nur noch selten, daß fremdsprachliche Wörter und Wendungen wirkungsvoll übertragen werden oder daß sie sie den inländischen Sprachgesetzen genügend angepaßt werden. Nichtassimilierte fremde Wörter und Wendungen zwingen zu einem ständigen Wechsel des Tiefencodes. Will man die Überschrift Infocherche total im Onlinedienst für Homenutzer lesen, ausprechen und verstehen, so muß man "sechsmal zwischen drei Codes wechseln, dreimal mitten im Wort. Kein einziger dieser Wechsel kündigt sich an oder ist zu erwarten". (70) Um solche Texte lesen zu können, ist eine Bereitschaft und eine Fähigkeit zu dauernden und oft überraschenden Codesprüngen nötig. Dadurch werden sie nicht nur schwerer verständlich, sondern bleiben manchmal überhaupt ohne genau erfaßbare Bedeutung. Ist total in Infocherche total im Onlinedienst für Homenutzer deutsch oder englisch zu sprechen, ist es als Adjektiv oder ein Adverb gemeint?"

Bei solchen Ausdrücken ist nicht mehr klar, was richtig und was falsch wäre. Es ist zweifelhaft, ob der englische oder der deutsche Tiefencode gelten soll. Die Sprache ist nun tatsächlich beschädigt und es tritt das ein, was polemisch Pidginisierung der Sprache genannt wird.

Schon Goethe erkannte, wie wichtig es ist, daß fremde Sprachelemente assimiliert werden:

Die Gewalt einer Sprache ist nicht, daß sie das Fremde abweist, sondern daß sie es verschlingt. Ich verfluche allen negativen Purismus, daß man ein Wort nicht brauchen soll, in welchem eine andere Sprache Vieles oder Zarteres gefaßt hat. Meine Sache ist der affirmative Purismus, der produktiv ist und nur davon ausgeht: Wo müssen wir umschreiben, und der Nachbar hat ein entscheidendes Wort? Der pedantische Purismus ist ein absurdes Ablehnen weiterer Ausbreitung des Sinnes und Geistes.(9)

Goethe hat sich ganz eindeutig gegen diesen sogenannten "negativen Purismus" geäußert. Schon in einem Brief an Riemer vom 30. Juni 1813 deutet Goethe seine liberale Haltung an:

Bei meiner letzten Sendung, wertester Freund, habe ich Ihnen abermals völlige Macht und Gewalt gegeben, die fremden Worte aus der Handschrift zu tilgen, insofern dies möglich und rätlich sei, wie wir auch schon früher getan haben. Ich bin, wie Sie wissen, in diesem Punkte weder eigensinnig noch allzuleicht gesinnt, allein das muß ich Ihnen gegenwärtig vertrauen, daß ich im Leben und Umgang, seit ich von Ihnen entfernt bin, mehr als einmal die Erfahrung gemacht habe, daß es eigentlich geistlose Menschen sind, welche auf die Sprachreinigung mit so großem Eifer dringen." [...]
Eine fremde Sprache ist hauptsächlich dann zu beneiden, wenn sie mit Einem Worte ausdrücken kann, was die andere umschreiben muß, und hierin steht jede Sprache im Vorteil und Nachteil gegen die andere, wie man alsobald sehen kann, wenn man die gegenseitigen Wörterbücher durchläuft.(10)

Die Bedrohung verschiedener europäischer Sprachen besteht nicht nur darin, daß die Zahl der Fremdwörter heutzutage besonderns groß ist, sondern vor allem darin, daß die Sprache unfähig und unwillig scheint, diese Importe so zu assimilieren, daß diese so wie einheimische deutsche Wörter verschiedenen Regeln der deutschen Sprache unterworfen werden können. Nur eine Sprache, die noch die Kraft hat, fremde Elemente zu zu absorbieren, lebt und entwickelt sich.

Die deutsche Sprache ist eine der europäischen Kultursprachen. Deshalb sollte es nicht erlaubt sein, sie bedenkenlos zu verwahrlosen. Es wäre schade, wenn die jungen Leute von morgen, das Deutsch Goethes, Heines oder Nietzsches zwar vielleicht noch ungefähr verstehen könnten, wahrscheinlich aber kaum noch erkennen könnten, was daran gut war. Es wäre schade, "nicht weil die deutsche Sprache besser wäre als andere, sondern 'weil die deutsche Sprache ... so viele Schätze menschlicher Zivilisation in sich birgt' (der Amerikaner Mark Rilla)" (84).

Ich komme nun zum zweiten Teil dieser Arbeit, nämlich zur Zuweisung des Genus. Das Dudeninstitut und auch das Institut für Deutsche Sprache in Mannheim haben Grundsätze(11) aufgestellt, die zunächst ziemlich klar scheinen und nach denen das Genus zugewiesen wird. Bei näherer Betrachtung aber stellt sich heraus, daß die Zuweisung des Genus keineswegs immer eindeutig zu rechtfertigen ist, denn sie wird ja nicht von diesen Instituten durchgeführt, sondern vielmehr von den Leuten. Die aufgestellten Grundsätze sind eher beschreibend als richtungsweisend. Beispiele:

Für die Festlegung des Genus eines Fremdwortes im Deutschen gibt es keine feste Regel. Bestimmend sind vor allem zwei Faktoren:

1. Das Genus des deutschen Übersetzungswortes bww. eines sinnverwandten deutschen Wortes:
das chanson (franz. la chanson) nach das Lied; das Souvenir (franz. le souvenir) nach das Andenken; die High-society nach die Gesellschaft; der Star "Berühmtheit" nach der Stern.(12)

Bei dem Wort Chanson sieht man schon, daß die Dudenkategorien nicht immer funktionieren. Viele Leute sagen nämlich nicht das Chanson, sondern der Chanson, auch wenn im Duden das Chanson steht. Sie denken möglicherweise an viele Ableitungen auf -on, die im Deutschen Maskulinum sind, e. g. der Diakon, der Dämon, oder auch viele männliche Namen auf -on wie etwa Platon, Pluton, etc. Für die Leute, besonders für die ungebildeten, ist dabei unwichtig, daß diese Ableitungen auf -on verschiedenen etymologischen Ursprung haben.

2. Die Bildungsweise des Wortes. Es besteht die Tendenz, allen Wörtern mit derselben Endung auch das gleiche Genus zu geben:
-age: die Menage, Kartonage, Jumelage usw.; -ing: das Happening, Petting, Aquaplaning usw.; -ion: die Eskalation, Diversifikation, Frustration usw.

Bei einer Reihe von Fremdwörtern lassen sich für die Festlegung des Genus jedoch weder formale noch inhaltliche Kriterien ermitteln; daraus ergeben sich dann häufig Unsicherheiten im Artikelgebrauch (die/der [?] Couch, der/die/das [?] Yoghurt, der/die/das [?] Dschungel. Genusschwankungen treten auch dann auf, wenn es zwei sinnverwandte deutsche Wörter mit verschiedenem Genus gibt (z. B. der oder das Match, nach der Wettkampf oder das Wettspiel) oder wenn Zweifel bestehen, ob man das fremde Genus beibehalten oder das des entsprechenden deutschen Wortes wählen soll. So heißt es trotz des franz. Femininums la place neben die Place de la Concorde auch der Place [...] nach der Platz. Ähnlich die Banco di Credito nach die Bank neben der Banco [...] nach dem ital. Maskulinum il banco.(13)

In der Dudengrammatik finden sich Listen von Wörtern mit schwankendem Genus. Interessanterweise sind unter den angeführten importierten Worten nur relativ wenige Worte angeführt, die aus dem Englischen importiert wurden. Angeführt werden z. B. der oder das Biotop, der oder das Curry, das oder der Break, der oder das Twinset.

Tatsächlich aber wimmelt das heutige Deutsch nur so von englisch/amerikanischen Importen und damit auch von Worten mit schwankendem Genus: Brunch, der/das (einsilbig/das Frühstück); Job, der/das (einsilbig, ?); Limit, die/das (die Grenze, das ?); Look, der/das (einsilbig, das Aussehen); Lunch, der/das (einsilbig, das Mittagessen); Megaevent, der/das; Open-air, das/die; Pop, der/das (einsilbig); Slang, der/die; Speed (einsilbig, die Geschwindigkeit); Spray der/das (einsilbig, das Sprühmittel); Workshop der/das (shop, einsilbig, das Geschäft).

Suffixe scheinen im allgemeinen ziemlich bestimmt zu wirken, aber auch da gibt es Schwankungen, da gleichklingende Suffixe oft verschiedene etymologische Herleitungen haben vgl. Chanson (siehe oben), was von einigen Benutzern erkannt wird, von anderen nicht.

Beispiele: der Center -er, aber auch das Center (nach das Zentrum); die City (die Stadt); der Jockey; der Rucky; die Society (die Gesellschaft); das Handy (das Telephon); das Ticket (vielleicht nach das Billet, oder nach Amulett, Tablett etc. Warum aber nicht der Ticket nach der Fahrschein, oder die Ticket nach die Fahrkarte?); das/ die Open-air (nach franz. l'air, warum nicht nach die Luft?).

Es ist klar, daß es gerade bei Importen aus Sprachen mit nur männlichem und weiblichem Genus, wozu das Englische ja gehört, viel leichter zu Schwankungen kommen kann, als bei solchen aus Sprachen, die so wie das Deutsche männliches, weibliches und sächliches Genus aufweisen.

Auch das sehr gründliche und informationsreiche Anglizismen-Wörterbuch von Broder Carstensen und Ulrich Busse(14) gibt weder in der Einleitung noch bei den einzelnen Einträgen befriedigende Information zu der Begründung des zugewiesenen Genus. Ein anderer Nachteil dieses sonst so begrüßenswerten Wörterbuchs ist, daß es nur Wörter bringt, die nach 1945 ins Deutsche importiert wurden. Um also Auskunft über ein bestimmtes Wort zu finden, muß man oft in mehreren Wörterbüchern nachschlagen, da man ja von vorne herein nicht immer weiß, wann ein Wort ins Deutsche importiert wurde.

Folgende Fragen erscheinen mir wichtig:

1. Ist das Genus eine Folge der Endungen? (Beispiel: die Cola, fem. wegen Endung -a)
2. Ist das Genus eine Folge des Genus einer vergleichbaren Sache/ eines vergleichbaren Konzepts im Deutschen? (Beispiel: das Cola, wegen "das" Getränk; die Blue Jean, wegen "die" Hose, die City, wegen "die" Stadt)
3. Ist das Genus eine Folge von Analogie? Beispiel: der Streß in Analogie zu vielen einsilbigen maskulinen Nomen.

Weiters sollte festgestellt werden, ob das Duden Institut und andere Institutionen, welche Wörterbücher aufstellen, bei der Zuordnung des Genus vom Gebrauch in der Bevölkerung oder in Zeitungen etc. ausgehen, oder ob sie andere Grundsätze benutzen. Meine bisherigen Nachforschungen haben ergeben, daß das Dudeninstitut grundsätzlich nur deskriptiv, nicht aber normativ vorgeht.

Von Interesse ist dabei auch nicht nur das Genus, sondern ebenfalls die Aussprache solcher Importwörter. In Bezug auf die Aussprache sollte man dann nicht nur Nomen untersuchen, sondern z. B. auch andere Wortarten, etwa Partizipien wie "gefightet," "gesurft": In der Mitte das englische Wort in englischer Aussprache, vorne und hinten aber die deutsche Vor- und Nachsilbe und auch in deutscher Aussprache.

Für die Genuszuweisung von englischen Wörtern im Deutschen gibt es gemäß einer Anfrage beim Institut für Deutsche Sprache in Mannheim folgende Prinzipien:

  1. Das Prinzip der lexikalischen Ähnlichkeit: das Genus der englischen Wörter im Deutschen richtet sich nach dem Genus der ihnen semantisch am nächsten stehenden Wörter, vgl.:
    Maskulina: airport (der Flughafen), club (der Verein), fight (der Kampf), hit (der Schlager), start (der Anfang), stopp (der Halt), teddy (der Bär).
    Feminina: company (die Gesellschaft), city (die Innenstadt), crew (die Mannschaft), lobby (die Eingangshalle, die Interessengemeinschaft), pipeline (die Leitung), power (die Kraft), story (die Geschichte).
    Neutra: comeback (das Zurückkommen), business (das Geschäft), baby (das Kleinkind), hobby (das Steckenpferd).
  2. Das Prinzip der Gruppenanalogie: Das engl. Substantiv erhält dasjenige Genus, das dem deutschen Ausdruck zukommt, der den entsprechenden Oberbegriff bezeichnet, z.B. zu blues, swing, new wave, quickstep usw. das Maskulinum in Analogie zum Oberbegriff der Tanz oder whisky, brandy, cocktail, gin zum Oberbegriff der Alkohol.
  3. Das Prinzip des natürlichen Geschlechts: Das Genus der englischen Substantive, mit denen eine männliche oder weibliche Person bezeichnet wird, stimmt im allgemeinen mit dem natürlichen Geschlecht der bezeichneten Person überein: der boy, der gentleman, die lady, der daddy usw.
  4. Das Prinzip der Silbenzahl: Wörter, die einsilbig sind, zeigen eine starke Tendenz zum Maskulinum: beat, bob, boom, chip, clan, club, deal, drink, lift, flop, trend, smog, brunch, lunch, crash, slash usw. Dies entspricht der Tendenz deutscher Wörter: 87% der einsilbigen deutschen Substantive sind Maskulinum.
  5. Das Prinzip der morphologischen Analogie: bestimmte Suffixe sind ausschlaggebend für die Genuszuweisung:
    Das Suffix -er indiziert Maskulinum: dealer, killer, thriller, timer, printer, computer, oldtimer, kicker, ghostbuster usw. Die Suffixe -or, -ik, -ist indizieren Maskulinum: sponsor, traktor, transistor, economist, lobbyist usw. Das Suffix -ing indiziert Neutrum: doping, dumping, brainstorming, hearing, kidnapping usw. Das Suffix -ment indiziert Neutrum: appeasement, agreement, entertainment, investment, mangement usw. Das Suffix -ness indiziert Femininum (analog zu -heit/keit im Deutschen): fitness, fairness, happiness (Ausnahme: business, das nach dem ersten Prinzip funktioniert).
    Die Suffixe -ity und -ion indizieren Femininum: publicity, action, lotion, connection, public-relation usw.

Die aus dem Englischen übernommenen Verben werden im Deutschen alle schwach konjugiert! (gefightet, gecatcht, geshrinkt, gehamstringt, gestringt, geteacht, gesplittet, gespinnt, sublettet)

Punkt A nennt eines der wichtigsten Prinzipien bei der Zuweisung des Genus. Warum? Man könnte sich nämlich fragen, warum überhaupt wird ein englisches Wort gewählt, wenn es für den Begriff ja schon ein passendes deutsches Wort gibt? Allgemein sind laut Zimmer vielleicht folgende vier Punkte ausschlaggebend, warum das Englische, bzw. das amerikanische Englisch, bevorzugt wird:

Erstens: "die blanke Notwendigkeit" (27): Für die vielen neuen Erfindungen und Sachen unserer Zeit braucht man einfach neue Wörter.

Zweitens: "Die meist kurzen, knappen, relativ affixfreien nicht selten anschaulich wirkenden englischen Wörter sind oft weniger umständlich, sind zupackender als etwaige deutsche Entsprechungen. Streß ist kürzer als Anstrengung, Campus ist kürzer als Hochschulgelände. Das macht sie attraktiv, manchmal unwiderstehlich" (27).

Drittens: "Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist Amerika die Leitkultur, Punkt. [...] Als Leitkultur wirkt es modern, dynamisch, jung flott, vital, sexy, auch sein Wortschatz, und magisch teilen seine Wörter diese Qualitäten den Dingen mit, die sie bezeichnen. Amerikanische Wörter [...] haben Appeal und verleihen Appeal (ein Wort das keine genaue Entsprechung im Deutschen hat und darum von vorneherein willkommen sei). Man muß nur einmal ausprobieren, wie es sich anfühlt, eine Unterhose zu tragen oder einen Slip, und man fühlt den Appeal auf seiner Haut. Mehr als irgendeine Notwendigkeit oder Vorteilhaftigkeit englischer Bezeichnungen ist dies das Hauptmotiv hinter dem Sprachwandel hin zum Englischen, und genau darum ist er auch nicht zu bremsen" (27).
Wie langweilig klingt Leitartikel neben Editorial, Laden neben Shop, Bergrad neben Mountain Bike, Laufen neben Joggen, Hotline neben Telefonberatung. Zimmer unterstellt, daß viele dieser neuen Dinge oder Konzepte unter ihrem deutschen Namen nicht so erfolgreich gewesen wären.

Viertens: Seit dem Zweiten Weltkrieg befinden sich die Deutschen - und auch die Österreicher - in einer Art von "Identitätskrise" (30), was ebenfalls für die Bevorzugung fremder Wörter verantwortlich gemacht werden kann.

Der oben genannte Punkt D ist sehr interessant, da er im Widerspruch steht zu einer Tendenz zum Femininum, wie sie festgestellt wurde in Helga Wackers Buch Die Besonderheiten der deutschen Schriftsprache in den USA.(15) Helga Wacker begründet diese Tendenz zum Femininum folgendermaßen: Der englische Artikel the ist dem deutschen femininen Artikel die lautlich sehr nahe. Zudem sprechen viele sprachdeutsche Amerikaner das englische the als de aus, was die Ähnlichkeit noch erhöht. Außerdem wird das e in the vor Vokalen als i ausgeprochen. So ist es sehr naheliegend, daß der Schritt von the office - von den deutschen Ausgewanderten häufig als di 'ofis ausgesprochen - zu die Office nur sehr klein ist. Dazu kommt, daß in der englischen und noch mehr in der amerikanischen Umgangssprache vertraute Gegenstände als weiblich aufgefaßt werden, z. B. car.

Weitere Beispiele bei Helga Wacker: die Band, die Car, die College, die Court, die Fair, die Fenz (fence), die Jail, die Lake, die Lot, die Office, die Pasture, die Ranch, die Safe, die Ward, die Yard.

Die meisten von den bei Helga Wacker angeführten Amerkanismen finden sich nicht in dem Anglizismenwörterbuch, entweder weil sie schon vor 1945 ins Deutsche importiert und darum nicht aufgeführt wurden, oder weil sie überhaupt nur in den USA in das dort gesprochene Deutsch Eingang fanden, nicht aber in Deutschland. Z. B.: Lake, Fence, Pasture, Yard, Lot.

Car wird in dem Anglizismenwörterbuch als m. oder n. angeführt, nicht aber als w.; Band, f., wohl in Anlehnung an die Gruppe; Court (nur im Sinne von Tennisplatz) als m.; Office als n. (von das Büro); Ranch als f. (von die Farm); College (im Duden) als n.; Fenz (im Duden) als f.

Zu Punkt E wäre zu erwähnen, daß es auch Maskulina auf -ing gibt: Darling, Dumpling, Smoking. Ebenfalls gibt es Feminina: Holding (in Anlehnung an Gesellschaft, Firma), Pershing (die Rakete), Shaping (von die Shapingmaschine?), Reling (vielleicht von die Brüstung).

Zum Abschluß noch eine ungeordnete Liste von Amerikanismen mit Genusangabe, die mir Gymansialschüler in Österreich zusammenstellten: der Background, der Underground, die Headline, das Open-air, der Lifestyle, der/das Event, der/das Megaevent, das Festival, das Outdoor-Clothing, das Snowboard, der Boom, die Late-boomers, der Boycott, das Budget, der Buggy, der Boiler, der Bluff, die Box, die Boombox, die Farm, der Blow-up, der Blazer, das Center, das/die Performance, die Publicity, der Quiz, der Streß, der Toast, das Mountain-bike, das Handy, das Handycap, der Start, der Shop, der Smog, das Squash, die Aircondition, der Snack, der Trop-out, der Brunch, der Lunch, der Trip, der Walkman, Mehrzahl: die Walkmen, der Cyberspace, das Piercing, der Slapstick, der Slogan, der Jump, das Tennis-Racket, das Spotlight, die Halfpipe (Halbröhre zum Trickfahren für Rollerblades und Skateboards), der Backflip, die Pads (fast nur im Plural), Freestyle (in allen Kombinationen, wie z. B. Freestyle-Schifahren), das Happening.

Beispiele für Sätze mit Zeitwörtern: Der Markt boomt. Gehst du mit brunchen? Der jumpt ja herum. Der Mensch boxt sich durch. Gingst du mountenbiken? Der Typ ist ja völlig gestreßt. Toastest du mir das Brot? Wir gehen snowboarden.

Aus der besonders amerikanismenreichen Welt des Sports wurden folgende Beispiele angeführt: der Inline-Skater, der Raver oder Snowboarder, die Speed Skates, die Turns, für die Anzahl der in der Halfpipe gedrehten Runden. Verben: jump around für einen bestimmten Sprung: grinden für schleifen, rutschen; carving: für übersetzen in der Kurve. Erwähnt wurden auch "unkonventionelle Individualprägungen", die in bestimmten Gruppen üblich sind, etwa: Ich hab kein Money. Gib mir einen Strike.

Gerade kam mir aus der Süddeutschen ein kleiner Abschnitt aus dem Feuilleton vom 31. 1. 1998 zu, den ich hier abschließend erwähnen möchte, weil auch er zeigt, daß das Thema meines Aufsatzes trotz zahlreicher Diskussionen noch immer äußerst aktuell ist, weil der Import von Anglizismen nach wie vor floriert.

Professor Krämer aus Dortmund hat einen "Verein zur Wahrung der deutschen Sprache" gegründet. Von diesem Verein ging wegen rüder Mißhandlung der Muttersprache an die Hamburger Modeschöpferin Jil Sander der Titel "Sprachschuster des Jahres".

Krämers Verein will besonders die "Kolonisierung des Deutschen durch das Englische bekämpfen." Er wendet sich gegen Menschen und Medien, "die jede Sprachneuheit von jenseits des Atlantiks "cool" oder "in" finden. Jil Sander hat sich ihre Auszeichnung in einem Interview verdient. Darin bezeichnete sie ihr Leben als "eine giving-story". Sie habe verstanden, "daß man contemporary sein" und "das Future-Denken haben muß".(16)

Folgende Rettungsmaßnahmen werden vorgeschlagen:
Um Deutsch "als selbständige Kultursprache retten zu können", bedürfe es "wieder mehr muttersprachlichen Selbstbewußtseins". Statt Deutsch als "brotlose Kunst " hinzustellen, müsse im Ausland mehr für Deutsch als Studienfach geworben werden." Wir sollten versuchen, mit unserer industriellen Leistung zugleich unsere Kultur zu vermitteln."(17)

© Gerlinde Ulm Sanford (New York)

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Anmerkungen:

(1) Dieter E. Zimmer: Deutsch und anders. Die Sprache im Modernisierungsfieber. Rowohlt: Reinbeck bei Hamburg 1997. Die Zahlen in Klammern im weiteren Text beziehen sich auf den angegebenen Aufsatz aus diesem Buch.

(2) Aus: Ludwig Reiners Stilkunst, zitiert nach Dieter Zimmer, S.19.

(3) Broder Carstensen: Englische Einflüsse auf die deutsche Sprache. Carl Winter: Heidelberg 1965, S.271 f.

(4) Aus einer englischen Zeitung. ?

(5) "Ziemlich unziemlich," signiert cbs (=C. Bernd Sucher), in: Süddeutsche, 23. 1.1997.

(6)DIE WELT, 11.8.1997.

(7)DIE WELT, 21.12.1995.

(8) Faust II, Vers 10047.

(9) Hamburger Ausgabe, Beck: München 1981, Bd. 12, Maximen und Reflexionen, Nr. 1017-1019, S.508.

(10)  Münchner Ausgabe, Carl Hanser: München 1994, Bd. 11.2, S.881.

(11)  Z. B. in Richtiges und gutes Deutsch (Duden) Band, Mannheim, Wien, Zürich, 9, 3. Auflage 1985. oder Duden Grammatik 5. Auflage 1995

(12) Richtiges und gutes Deutsch (Duden) Band, Mannheim, Wien, Zürich, 9, 3.

(13) Richtiges und gutes Deutsch (Duden) Band, Mannheim, Wien, Zürich, 9, 3. Auflage 1985, S.263.

(14) Broder Carstensen und Ulrich Busse: Anglizismen-Wörterbuch: Der Einfluß des Englischen auf den deutschen Wortschatz nach 1945. 3 vols. , (Walter de Gruyter: Berlin 1993-1996.

(15) Helga Wacker: Die Besonderheiten der deutschen Schriftsprache in den USA. Duden-Beiträge, Heft 14, Mannheim 1964.

(16) Süddeutsche, Feuilleton, 31. 1. 1998: "Wider die Kolonisierung der Muttersprache."

(17)  Ebd. Bemerkungen des Erziehungswissenschaftlers Horst Hensel.


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