Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 15. Nr. | Juli 2004 | |
1.2. Signs, Texts, Cultures.
Conviviality from a Semiotic Point of View / Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures |
Michael Glawar (Wien)
Zusammenfassung: Ausgehend von Wittgensteins Aufforderung, daß die Betrachtung um unser eigentliches Bedürfnis gedreht werden müsse, wird ein Bezug hergestellt zwischen dem Anschein tiefer Rätselhaftigkeit von Selbstverständlichkeiten des Sprachgebrauchs in philosophischen Zusammenhängen und der philosophischen Anschauungsweise selber, in der dementsprechend sprachlicher Leerlauf als Lösung solcher Rätselhaftigkeit angenommen wird. Da Cavells Begriff der Natürlichkeit der Projektion sprachlicher Ausdrücke eine Lesart besagter Selbstverständlichkeit darstellt, sollen in Abgrenzung davon die formalen Eigenheiten der grammatischen Sprachverwendung ausgefaltet werden, sodaß sich letztendlich Selbstverständlichkeit als ein Aspekt unseres Begriffs von Sprache charakterisieren läßt.
Im Zentrum der folgenden Ausführungen steht eine grammatische Klärung des Status von Wittgensteins grammatischen Bemerkungen in Auseinandersetzung mit einer diesbezüglichen Vorstellung, die Cavell sich davon gemacht hat. Die daran anschließende Darlegung dessen, was mit Bildern der Verständigung, die uns gefangennehmen, gemeint sein kann, soll zu einigen Gedanken über Gebrauchsmöglichkeiten solcher Bilder bei Verständigungsversuchen mit Angehörigen fremder Kulturen hinführen.
Der Ausgangspunkt ist dabei Wittgensteins Aufforderung, daß die Betrachtung gedreht werden müsse, aber um unser eigentliches Bedürfnis als Angelpunkt (Wittgenstein 1984: §108), die er im Zusammenhang mit der Frage, inwiefern die Logik etwas Sublimes sei, tätigt, um solcherart die grammatische Untersuchung von einem Begriff der logischen Analyse abzuheben, die das Wesen der Sprache in Form der apriorischen Regeln des logischen Satzbaus hervorzugraben vermeint (ibid. §§89ff.). Interessanter als das Ergebnis ist jedoch der Beginn dieses Unterfangens, an dem der Satz etwas Außerordentliches, ja Paradoxes zu leisten scheint, das man folgendermaßen beschreiben könnte: "Wenn wir sagen, meinen, daß es sich so und so verhält, so halten wir mit dem, was wir meinen, nicht irgendwo vor der Tatsache: sondern meinen, daß das und das - so und so ist" (Wittgenstein 1984: §95). Denken und Sprache geben sich als sowohl von der Welt verschieden als auch mit ihr identisch, sodaß die Frage nach der Übereinstimmung von Satz und Welt, die sich dem sprachlichen Subjekt in dieser Lage stellt, ein Bedürfnis nach Erklärung manifestiert, das in der apriorischen Ordnung der Möglichkeiten, die Satz und Welt gemeinsam sein muß, seine Befriedigung erhält. Andererseits freilich hat das genannte Paradox die Form einer Selbstverständlichkeit, bei der man sich fragen könnte, ob sie überhaupt etwas sagt. Wittgenstein begründet die tiefe Rätselhaftigkeit des Selbstverständlichen mit dem Umstand, daß wir die Grammatik unserer Sprache mißverstehen (ibid. §111), sodaß auch Antworten auf die Frage nach besagter Übereinstimmung in diesem Mißverständnis gegeben werden. Außerhalb des Mißverständnisses könnten einem solche Erklärungen des Selbstverständlichen wiederum rätselhaft vorkommen, weil sie nicht gebraucht werden. Was demnach die eingangs erwähnte Drehung der Betrachtung anlangt, so ist anzunehmen, daß Wittgenstein keine weitere Lösung des Rätsels anbietet, sondern vielmehr den Aufweis der Rätselhaftigkeit dessen, daß der Satz rätselhaft erscheint. Das heißt, der Metaphysiker wird über die Darstellung der grammatischen Lage, in der das uneigentliche Bedürfnis auftritt, zur Einsicht gebracht, daß er nicht in ihr ist und dort auch keine Befriedigung zu erwarten hat. Wittgenstein geht also vor das metaphysische Rätsel in die Sprache, zeigt den metaphysischen Ort als Ort in einem Bild der Sprache, an dem das sprachliche Subjekt nicht ist, und erlaubt so eine Distanzierung, nach der das Scheinbedürfnis verschwindet und die leere Redeweise fallengelassen werden kann.
In seiner Auseinandersetzung mit dem Konflikt zwischen traditioneller Epistemologie und Formen der ordinary language philosophy bemüht sich Cavell um ein Verständnis von Wittgensteins Methode, um die seiner Meinung nach einer Berufung auf die normale Sprache zugrundeliegende Sprachkonzeption (Wittgenstein's vision of language) vorstellig zu machen (Cavell 1982: 168ff.): Meinen und Verstehen sprachlicher Ausdrücke beruhen demnach nicht auf Universalien, Propositionen oder Regeln, sondern auf einer die Menschen in gemeinsamer Lebensform durchherrschendes natural attunement, welches sich in der Erarbeitung der grammatischen Kriterien des Gebrauchs von Wörtern als Übereinstimmung in den Antworten auf die Frage "Was würden wir hier sagen?" manifestiert. Da in dieser Konzeption sprachliche Ausdrücke in eine indefinite Anzahl unterschiedlicher Kontexte projiziert werden können, kommt besagter Natürlichkeit die Aufgabe zu, Verstehbarkeit zu gewährleisten. D.h. die Natürlichkeit trägt die Sprache insofern, als auf ihrer Grundlage Erklärungen und Übersetzungen möglich sind, und wird daher als zugrundeliegende Übereinstimmung der menschlichen Lebensform angesprochen. Da es freilich Menschen geben kann, die trotz aller Bemühungen nicht entsprechend zu folgen imstande sind, gilt die Natürlichkeit der Reaktionen nicht absolut, sondern allein von normalen Menschen.
Um im folgenden eine Schwierigkeit in Cavells Verwendung der Begriffe "natürlich / nicht natürlich" heraus zu arbeiten, möchte ich damit beginnen, daß in seiner Darstellung Bilder bzw. Vorstellungen des Wortgebrauchs Sprachkenntnis repräsentieren und die Natürlichkeit solcher Vorstellungen unseren bzw. den eigenen Sprachgebrauch auszeichnet im Gegensatz zur Nicht-Natürlichkeit, die entsprechend einer nicht-eigenen oder fremden Reaktionsweise zukommt. Dies bedeutet, daß A's Reaktion "4,5,6" auf "1,2,3" in so einer Vorstellung eine natürliche Fortführung von "1,2,3" als Fortführung der Reihe der natürlichen Zahlen darstellte, während "5,8,12" unter den gleichen Umständen eine nichtnatürliche Reaktion wäre. So gesehen, bezeichnet die Natürlichkeit den Zusammenhang von "1,2,3" und "4,5,6" als Teile der Reihe der natürlichen Zahlen bzw. meint die Tatsache, daß A in der Vorstellung diese Reihe fortführt im Unterschied zu A, der anscheinend das Gleiche tut, aber in Wirklichkeit - wie man hier wohl sagen müßte - einen Irrtum begeht oder gar nicht schreiben kann. Damit jedoch befindet sich Cavell in einer Darstellungsform, in der das Bedürfnis nach dem Zusammenhang mit Bezug auf seine Verwendung des Ausdrucks "natürliche Fortführung von ,1,2,3'" wieder auftritt, die selber natürlich sein muß, um das zu meinen, was sie meinen soll. Wir benötigen also zur Bestimmung von "1,2,3" - "4,5,6" als Reihe der natürlichen Zahlen den Begriff "natürliche Verwendung von ,natürliche Fortführung von 1,2,3'" und so weiter ad infinitum. Daher erfüllt Cavells Begriff "natürlich" seine Funktion nicht, kann als leerlaufendes Rad eingeschätzt werden und darüber hinaus zeigt sich, daß Vorstellungen von Wortgebräuchen nicht Repräsentationen von Ausdrücken in bestimmter Bedeutung sind, weil sie Ausdrücke in unterschiedlichen Bedeutungen bzw. überhaupt keine Ausdrücke gleichzeitig darstellen können.
Zur Klärung der Frage, woher Cavells Bedürfnis nach Herstellung des Zusammenhangs stammt, möchte ich ein Sprachspiel heranziehen, in dem B A gegenüber den Befehl "Nimm den roten Gegenstand!" äußert und A den roten Gegenstand (aus einer Gruppe roter, blauer, grüner und gelber Gegenstände) nimmt, wobei die Frage, woher A weiß, welchen Gegenstand er nehmen soll, eine externe Sichtweise der Beziehung zwischen Befehl und Ausführung manifestiert, deren Beantwortung durch "Er erkennt, daß der Gegenstand rot ist" A's Vorgehen als Ausführung identifiziert, die sonst lediglich eine mit der Ausführung zufällig übereinstimmende Handlung wäre. Um zu zeigen, daß das Erkennen-Können, welches dies ("A nimmt den roten Gegenstand") zur Ausführung machen soll, ein Beschreibungsartefakt darstellt, soll ein Vergleich mit dem Würfelschema dienen, das Wittgenstein im Rahmen des Begriffs des Aspektsehens behandelt (Wittgenstein 1984: 518ff.). Zwei Aspekte sind bemerkbar, das Würfelschema und eine geometrische Zeichnung bestehend aus einem Quadrat und zwei Parallelogrammen, die als Wahrnehmung interner Relationen zwischen zwei Objekten charakterisiert werden im Unterschied zur Wahrnehmung von Eigenschaften eines Objekts (ibid. 549), sodaß wir die Figur jeweils als das Objekt sehen, das sie darstellen kann und dementsprechend etwa von der "Vorderseite" sprechen. Da es hier eine Analogie zum Wortbedeutungserleben gibt (ibid. 553), in dem wir das Wort als ganz mit seiner Bedeutung ausgefüllt erleben, in der wir es dann meinen und verstehen können, Wittgenstein in diesem Zusammenhang den Ausdruck sekundäre Verwendung der Wörter "Bedeutung, Meinen und Verstehen" einführt (ibid. 557) und damit dem Unterschied zu ihrem primären Gebrauch, in dem beispielsweise eine Erklärung die Bedeutung eines Wortes erklärt, Rechnung trägt, halte ich es für hilfreich, vom sekundären Sehen eines Würfels als Wahrnehmung der Bedeutung dieser Figur, die sie in einem Sprachspiel haben kann, zu sprechen, um so die Verwendung von "Vorderseite" im Aspektsehen als sekundären Wahrnehmungsausdruck von seiner primären Verwendung bei Würfeln abzugrenzen. Eine Eigenheit der sekundären Verwendung ist für unseren Kontext von besonderer Relevanz: Im Aspektwechsel, in der die Wahrnehmungen zweier interner Relationen geäußert werden, ist gleichsam von zwei unterschiedlichen Gegenständen die Rede, sodaß die Frage, was dies hier wirklich sei, ein Würfelschema oder ein Quadrat und zwei Parallelogramme, auf einer Verwechslung von sekundärem Wahrnehmungsausdruck und primärem Prädikatengebrauch aufruht.
Wenden wir uns nun wieder "A nimmt den roten Gegenstand" zu, so ist zu bemerken, daß sich die Frage "Woher weiß A, welchen Gegenstand er nehmen soll?" auf etwas bezieht, das in der bekannten Form sekundär gesehen wird, d.h. wir verstehen die Form sekundär in einer Bedeutung, die sie in einem Beobachtungssprachspiel haben kann, das jedoch kein Befehlsspiel ist, sodaß das Bedürfnis nach einem Prädikat, das die notwendig gewordene Identifizierung ermöglicht und sich auf A bezieht, ein primäres Selbstverständnis manifestiert, das die Aspekte als Möglichkeiten eines solcherart entstandenen Objekts behandelt, wobei das eingeführte "Erkennen-Können" offenbar kein Prädikat ist, das eine Handlung von einer anderen unterscheidet, sondern die sekundäre Ausfaltung eines Aspekts der Bedeutung von "A nimmt den roten Gegenstand" als Befehlsausführung. D.h. wir haben es bei der Erklärung mit einer verkleideten grammatischen Bemerkung zu einem Gebrauch des Satzes zu tun, in der wir dem Umstand Rechnung tragen, daß wir von Menschen, die solche Befehlen befolgen können, gewöhnlich sagen, daß sie erkennen, welche Farben die Gegenstände haben.
Was nach all dem den Status von grammatischen Sätzen anlangt, so meine ich, daß ihre Charakterisierung als sekundäre Ausfaltungen von bekannten Formen des Sprachgebrauchs, die Aspekte der Bedeutung unserer Begriffe gleichsam in die Wahrnehmung heben, etwas Licht auf den philosophischen Sprachgebrauch Wittgensteins werfen kann. Sie sind demnach keine prädikativen Mitteilungen über die Sprache in Vorstellungen und auch keine primären Erklärungen von Wortbedeutungen, die Mißverständnisse in Sprachspielen beseitigen, sondern erfüllen ihren Zweck in der metaphysischen Problematik, indem sie durch Nachzeichnen geeigneter Züge der Physiognomie der philosophischen Verwendung als Erinnerung an die Sprachkenntnis die in Operation befindlichen Darstellungsformen sekundär hervorheben, um auf diese Weise zu klären, wie das philosophische Bedürfnis entsteht, sodaß ein Verschwinden des Bedürfnisses durch Änderung der Darstellungsform selber möglich erscheint.
Was schließlich Cavells Begriff der Natürlichkeit betrifft, so denke ich, daß es sich dabei um eine prädikative Lesart von Wittgensteins Begriff der Selbstverständlichkeit handelt, welcher einen Aspekt der Bedeutung unseres Begriffs des Sprachgebrauchs darstellt und ihn in diesem Sinne grammatisch charakterisiert. Das heißt, als sekundäre Äußerung der Wahrnehmung einer internen Beziehung der Form zu der durch sie bezeichneten Technik, die in deren primären Verwendungen hergestellt ist, konstituiert er die Form selber im grammatischen Ausdruck als bestimmte.
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß Bilder der Verständigung bzw. der Sprache als prädikative Mitteilungen über die Formen der Sprache bestimmt werden können und, um beim Beispiel Cavells zu bleiben, die Selbstgefangennahme des sprachlichen Subjekts dadurch zustandekommt, daß ein grammatischer Aspekt in der prädikativen Darstellungsform zum Überbegriff wird, der auch die philosophische Verwendung selber tragen soll und daher Cavell als sprachliches Subjekt zu einem Teil seines eigenen Bildes zu machen scheint. Rechnen wir damit, daß Menschen in derartigen Bildern denken und handeln, und ziehen dabei in Betracht, daß es bei Cavell - überspitzt formuliert - so aussieht, als sei jede menschliche Sprache und Erziehung zur Sprache allein im Rahmen der Natürlichkeit der menschlichen Form möglich, weil u.a. die Übergabe kultivierter Verhaltensweisen an Kinder deren natürliche Fähigkeit zur Übernahme voraussetzt (Cavell 1982: 178), so ist eine Folge, daß es auf dieser Ebene der natürlichen Übereinstimmung keine Fremdheit als andere Sprache geben kann. Im Zusammenhang von Verständigungsversuchen mit Angehörigen fremder Kulturen ergäbe dies nachstehende Einschätzungen:
i) Da ein Verständigungsabbruch unter den genannten Voraussetzungen immer eine Sache der Entscheidung darstellt, kann jemand in diesem Bild ein Motiv haben, länger und mit mehr Aufwand an der Herstellung von Übereinstimmung zu arbeiten als jemand ohne das Bild - möglicherweise ungeachtet der Konsequenzen, die die Tätigkeit für die Beteiligten hat.
ii) Alternative Formen des Umgangs miteinander kommen als nicht befriedigende weniger oder gar nicht in Betracht, weil der Weg der Verständigung immer offen ist.
iii) Daß es in dem Bild auch eine Negation mit Bezug auf die natürliche Übereinstimmung als die menschliche Lebensform gibt, könnte die Vorstellung davon, was die Verständigungsunternehmung repräsentiert, insofern leiten, als diese als Erziehung des Anderen zu seinem menschlichen Selbst gesehen wird und dadurch Legitimität erhält.
© Michael Glawar (Wien)
LITERATUR
Cavell, Stanley (1982). The Claim of Reason. Wittgenstein, Scepticism, Morality and Tragedy. New York-Oxford: Oxord University Press
Wittgenstein, Ludwig (1984). Werkausgabe. Band 1. Tractatus logico-philosophicus. Tagebücher 1914-1916. Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/M.: Suhrkamp
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