Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 15. Nr. | Juli 2004 | |
1.2. Signs, Texts, Cultures.
Conviviality from a Semiotic Point of View / Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures |
Christine Rödlach (Wien)
Zusammenfassung: "Die Mehrsprachigkeit des Menschen ist nie ein endgültiger Zustand, sondern ein ständiger Vorgang." Dieses Zitat Mario Wandruszkas charakterisiert in anschaulicher Weise die Sprachenproblematik in der sich ständig erweiternden Europäischen Union und ist Metapher für den kulturellen Veränderungsprozeß, der mit der Sprachgeschichte einhergeht. Die Auseinandersetzung mit den sprachgeschichtlichen Wurzeln der europäischen Länder, deren Nationenbildung sowie die schriftsprachliche und kulturelle Weiterentwicklung bis in die Gegenwart hinein sind Voraussetzung für ein Verständnis der Multikulturalität und des geistigen Erbes Europas. Dabei gilt das Interesse dem Zusammenwachsen der Staaten: die Sprachenvielfalt als Stolperstein im Zuge des Integrationsprozesses. Damit die Zusammenhänge und die Entwicklung der Sprachen bis zu ihrer Funktion als Amtssprachen für das gegenwärtige Verständnis deutlicher werden, sollen daher exemplarisch Bezüge zu sozialgeschichtlich relevanten Daten hergestellt werden. Der Status quo ist folglich als Resultat der Geschichte zu verstehen.
Dieser Überblick über einige Aspekte europäischer Sprachpolitik soll verdeutlichen, inwiefern sich die Kulturen Europas und ihre Sprachenlandschaft durch den europäischen Integrationsprozeß angenähert haben. Dazu gehe ich anfangs auf die sprachgeschichtlichen Weichenstellungen der größeren europäischen Standardsprachen ein und skizziere kurz deren Entwicklung hin bis zum heutigen Status quo als Gemeinschaftssprachen der Europäischen Union. Diese Prämissen sind Voraussetzung, um zu verstehen, wie das heutige Sprachengefüge funktioniert, auf welchen Werten es aufbaut und inwiefern sich das "Verbindende der Kulturen" im europäischen Kontext auf sprachpolitischer Ebene widerspiegelt.
Es geht folglich um die Rolle der Sprachen in der Europäischen Union, inwiefern sich der Status und das Prestige bestimmter europäischer Großsprachen sprachgeschichtlich und sprachpolitisch entwickelt haben, sich national sowie supranational veränderten und inwiefern diese in Verbindung und Konkurrenz zueinander stehen. Ein wichtiger Teil ist dem Sprachengefüge - den Amtssprachen - in der europäischen Landschaft gewidmet: Einerseits, wie sich allgemein die Sprachenvielfalt im Laufe der europäischen Einigung bis zu ihrem jetzigen Gefüge entwickelte, welche Rolle Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch dabei einnehmen und inwieweit das Problem der Vielsprachigkeit bewußt als politischer Faktor auf den verschiedenen Ebenen und Institutionen der EU wahrgenommen wird. Schließlich ist Sprache eines der wichtigsten Identifikationsmerkmale von Kulturen, Völkern und Nationen und kann sowohl verbindenden als auch trennenden Charakter entwickeln.
Die Mehrsprachigkeit des
Menschen ist nie ein endgültiger Zustand,
sondern ein ständiger Vorgang.
Mario Wandruszka
Die gemeinsame Sprache - nicht nur als nationenbildendes Element - wurde und wird in Europa im Laufe seiner Geschichte immer wieder mehr oder weniger als Vehikel zur Umsetzung politischer Interessen verwendet. Ist es nun die Rechtfertigung der Machtansprüche in der Zeit der Französischen Revolution oder die Verbreitung politischer Inhalte in der Romantik. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert wird Sprache als eines der wesentlichen Merkmale von "Nation" verstanden.
Versteht man unter Sprachenpolitik
jede öffentliche Beeinflussung des Kommunikationsradius von Sprachen [...], die Summe jener politischen Initiativen "von unten" und "von oben", durch die eine bestimmte Sprache oder bestimmte Sprachen in ihrer öffentlichen Geltung, in ihrer Funktionstüchtigkeit und in ihrer Verbreitung gestützt werden. Sie ist wie alle Politik konfliktanfällig und muß in ständiger Diskussion, in ständiger Auseinandersetzung immer neu geregelt werden (Christ 1991: 55),
dann stellt Sprache auch heute noch ein wichtiges Instrument zur Verbreitung politischer Inhalte dar. Sprache stiftet Gemeinschaft, ist jedoch nicht alleinige Voraussetzung dafür. Dies schlägt sich einerseits in den Diskussionen von Sprachpflegern nieder, wie jene durch den auf die Accademia della Crusca zurückgehenden Verein Deutscher Sprache oder das Goethe-Institut - von ihrer Grundidee her sprachsäubernde Organe -, andererseits durch sprachregulierende Maßnahmen von Regierungen. Sprachpolitik kommt weder rein national, noch Sprachenpolitik nur international zum Tragen, es erfolgt spätestens mit dem Fortschreiten der Europäischen Integration eine kontinuierliche Interessensverflechtung. In welcher Weise nun sprachpolitisch gehandelt wird, hängt von der vertretenen sprachpolitischen Ideologie ab. Setzt die repressive assimilatorische Ideologie auf die Assimilierung aller Sprachgruppen an die Nationalsprache, so erkennt die aufgeklärte pluralistisch-emanzipatorische mehrere Sprachgemeinschaften an.
Ausgehende vom Konzept des Zoon politikon ist die Bildung und Agitation des Menschen nicht nur auf persönliche Interessen zurückzuführen, es ist vielmehr eine der Bedingungen für die Möglichkeit menschlicher und individueller Existenz. Obwohl die Herausbildung von Einzelgemeinschaften auch auf anderen Gemeinsamkeiten beruhen kann, ist die gemeinsame Sprache dennoch eines der wesentlichen Kriterien, die dazu führt. Unter den Gesichtspunkten Rasse, Religion, Kultur, Sprache usw. ist es die Sprache, die als verbindendes Kommunikationselement fungiert und erst die erfolgreiche Interaktion von Gemeinschaften ermöglicht. Im Laufe der Geschichte wird sie dadurch zu einem immer bedeutenderen gruppenidentifizierenden Element und ist dadurch schließlich Vehikel bei der Bildung von Sprachnationen. Diese wird aufgrund gemeinsamer Sprache (Sprachvolk) und Kultur als eigener Staat oder ähnliches rechtlich-politisches Wesen angestrebt.
Betrachtet man Sprache als Voraussetzung und Medium der kulturellen Entwicklung, muß der Wandel sprachlicher Phänomene im soziokulturellen, kunsthistorischen und philosophisch-anthropologischen Kontext berücksichtigt werden.
Die Kulturnation hat bis ins 19. Jahrhundert noch relativ vegetativen Charakter und von sich aus wenig Drang, eine Staatsnation zu werden. Gemeint sind mit Kulturnation in diesem Zusammenhang die Angehörigen eines Sprachvolkes, die sich unabhängig von ihrer staatlichen Zugehörigkeit als eine Wesens-, Kultur- und im außenpolitischen Sinn als eine Gemeinschaft empfinden (cf. Kloss in Ammon 1987: 103f.).
Das Bindeglied zwischen Kultur und Sprache bildet die (soziale) Identität, wobei sich die Sprachgesellschaft durch die gemeinsame Sprache als Gruppe identifiziert und nach außen abgrenzt. Kulturgemeinschaften tun dies wiederum durch die gemeinsame Kultur, wobei dies nicht zwingend durch eine Sprache erfolgen muß und umgekehrt die Sprachgemeinschaft auch über kulturelle Wechsel hinweg als Einheit betrachtet werden kann (cf. Vorwort in Gardt 1999: 8f.).
2.1 Nationenbildung und sprachpolitische Einflußnahme
Im Normalfall ist die Sprache das Fundament für Identität und Zusammengehörigkeit und das Weltwissen über Sprache abrufbar. Menschliche Interaktion beruht auf Kommunikation, die wiederum über die gemeinsame Sprache abläuft bzw. erleichtert vonstatten geht. Eine andere Sprache bedeutet nicht nur ein anderes Begriffsystem, sondern unter Umständen auch eine andere Vorstellung von einer politischen, kulturellen oder sozialen Welt. In einem ausgeprägten Gesellschaftssystem fungiert die Sprache als Vermittler von Kultur, Normen und Werten, über die sich die Individuen identifizieren und wird als prägendes - vielleicht sogar determinierendes - Element zur Herrschaftsausübung instrumentalisiert. Es wird für den Erhalt der eigenen Sprache gekämpft und Sprachverlust als Bedrohung angesehen, denn dieser bedeutet Übernahme neuer Normen durch die neue Herrschaftssprache.
Ein historischer Präzedenzfall von Sprachpolitik waren die Jakobiner in der Zeit der französischen Revolution, da sie massiv zur Verbreitung der Nationalsprache beitrugen. Seit dieser Zeit zählt die Bürgerschicht zu den direkten Agenten von Sprachpolitik.
Im europäischen Mittelalter fungiert Latein als internationale Sprache. Es genügt in Zeiten fehlender Mobilität, daß die Sprache der Klöster und der Kirche, damit auch der Bildung und Politik, von wenigen beherrscht wird. Seit der Renaissance ist Europa offiziell vielsprachig, aus den Dialekten des Mittelalters etablieren sich Nationalsprachen wie Italienisch, Französisch, Englisch, Portugiesisch und Spanisch. Mit Luthers Bibelübersetzung wird die Reformation eingeläutet. Die sprachenpolitischen Grundsätze aus Renaissance und Reformation werden im Zuge der Kolonialisierung auch außerhalb Europas verbreitet.
Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert bilden die Nationalsprachen in den europäischen Ländern eine Schriftlichkeit als Symbol nationaler Identität heraus. Die Romantiker formulieren modellartig die erstarkenden sprachnationalen Gedanken, die als Emanzipationsbewegung der Kleinstaaten zutage treten. Sie denken an die Zusammengehörigkeit von Sprache, Volk und Kultur und träumen von einem auf diesen Merkmalen beruhenden Staat. Die Bestrebungen, vor allem in Italien und Deutschland, eigene Staaten zu gründen, die auf der sprachlichen Gemeinsamkeit beruhen, erfolgen aber auch aus machtpolitischen Gründen.
Damit ist die Nationenentwicklung nicht nur die Folge der Industrialisierung und Anpassung an neue gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Erfordernisse, sondern auch die Antwort auf die dominierenden Monarchien der Osmanen, Habsburger und Romanows.
Im 19. Jahrhundert wird Sprache zum Vehikel für staatspolitische Interessen und als einendes Moment für "junge" Nationen verwendet, was im 20. Jahrhundert im Sprachnationalismus seinen Höhepunkt erreicht. Mit der Begründung, daß eine Sprachgemeinschaft eine Volksgemeinschaft sei, soll es zur Lösung der Nationalitätenfrage über das Prinzip cuius regio, eius lingua kommen. Die Übereinstimmung von Sprach- und Staatsgrenzen ist auch heute gerade in Europa nicht der Regelfall, was die Sprachminderheiten in fast allen europäischen Staaten beweisen. Auch die inzwischen zerfallene Donaumonarchie ist ein aussagekräftiges Beispiel dafür, daß Staatsnation und Sprachnation nicht deckungsgleich sein müssen und die Vielsprachigkeit die beste Voraussetzung für Sprachkontakt ist.
In den Anfängen der europäischen Einigung wird nun der additive Ansatz angewendet, damit die Mitgliedsstaaten ihre kulturelle und sprachliche Eigenheit bewahren können. Die Zeit ist noch nicht reif und der Europagedanke erst in den Kinderschuhen, weshalb es noch der vollen Souveränitäten bedarf. Erst mit der zunehmenden Erweiterung, genauer dem Vertrag von Maastricht, sind die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die Zusammenarbeit im Bereich Inneres und Justiz sowie eine Flut an Verträgen in allen Bereichen Beweis für die zunehmende Souveränitätsverlagerung nach Brüssel. Nationalstaatliche Charakteristika sollen zwar erhalten bleiben, der Pulverstoff für weitere Konflikte wird jedoch durch die Verlagerung der Entscheidungen an "unabhängige" Institutionen zunehmend entschärft und damit der europäische Friede gewahrt.
2.2 Zur sprachgeschichtlichen Entwicklung
Wenn die Gesellschaft Bedarf an einer großräumigen, allgemein verständlichen, schriftlich festgelegten Norm einer Sprache hat, dann entsteht eine Standardsprache.
Es kommt zur Herausbildung einer Leitvarietät, die meist überregional verständlich und mit hohem Prestige versehen ist, jedoch andere soziale Varianten in den Hintergrund drängt - wenn nicht sogar sanktioniert. Seit den Humanisten gibt es in Deutschland Ansätze eines Sprachgeschichtsbewußtseins, es mangelt jedoch aufgrund der fehlenden staatlichen Einheit und der kulturellen Vormachtstellung von Latein und Französisch an einem kollektiven Nationalbewußtsein.
Sprachpolitischen Maßnahmen zeichnen massiv für den Status einer Sprache verantwortlich. Wenn unter dem Status einer Sprache der Eigenwert, das Eigen- und Fremdprestige verstanden wird, dann kann durch und mit diesem Politik gemacht werden. Ist in einem Staat mit mehreren Sprachgemeinschaften eine davon mit hohem Prestige versehen, eine andere hingegen mit niedrigem, dann kann erstere durch sprachpolitische Bestrebungen und Maßnahmen zur Amtssprache werden oder sogar die andere Sprache zu einer Minderheitensprache zurückdrängen.
2.3 Entwicklungsaspekte europäischer Großsprachen
Der deutschsprachige Raum
Das Deutsche ist eine indoeuropäische Sprache und gehört mit dem Englischen, dem Friesischen, dem Jiddischen sowie dem Niederländischen und dem Afrikaans zu den Westgermanischen Sprachen. Grundsätzlich muß davon ausgegangen werden, daß es diametrale Entwicklungen der Standardsprache im Deutschen Reich und dem Habsburgerreich gab. Nach dem Zerfall des Staufer-Reiches setzt sich ab dem 13. Jahrhundert in den Territorialstaaten allmählich die deutsche Schriftsprache gegenüber dem Latein der Kirche und Schreibstuben durch. Während die deutschen Gebiete stark zersplittert und die schweizerischen Kantone in Bildung befindlich sind, übt das geeinte Habsburgerreich mit einheitlicher oberdeutscher Schreibung große Wirkung auf benachbarte und östliche Gebiete aus.
Erst die Bibelübersetzung Luthers fungiert dann ab dem 16. Jahrhundert als einendes Moment zwischen dem Nieder- und Oberdeutschen. Er bedient sich in der 1523 erschienenen Bibel der sächsischen, ostmitteldeutsch-ostoberdeutschen Kanzleisprache, die für die meisten verständlich ist. Damit sind die Weichen für eine gemeinsame Weiterentwicklung zum Neuhochdeutschen gestellt, das von drei verschiedenen Kulturnationen getragen wird. Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Lutherübersetzung als solche im katholischen Habsburgerreich weniger Verbreitung findet.
Im 18. Jahrhundert ist der Ausgleichsprozeß insofern abgeschlossen, als die Buchproduktion standardisiert ist und ausgehend von den Messestädten Frankfurt und Leipzig das gesamte Deutsche Reich beliefert wird. Ab dieser Zeit erstarkt die auf einer Literatursprache basierende gemeinsame National- und Kultursprache.
Während in den benachbarten Ländern Sprachnationalismus erstarkt, werden im Vielvölkerstaat Österreich die Sprachprobleme immer größer. Einerseits als Schutz, andererseits als "Vielvölkerkerker" empfunden, erfolgt 1867 der Ausgleich mit Ungarn, der jedoch die Konflikte mit den anderen Erbländern nicht mildert. In der vielsprachigen Doppelmonarchie steht das Deutsche in ständigem Kontakt mit anderen Sprachen und fungiert als lingua franca. Bereits in dieser Zeit sind österreichische Literaten vom größeren deutschen Büchermarkt und den im "reichsdeutschen" Sprachverständnis korrigierenden Faktoren abhängig. Dies und das Fehlen einer kontinuierlichen österreichischen Literaturgeschichte, die eine Übernahme des deutschen Deutsch bewirkt, sowie die Dominanz dialektaler Varianten - Österreich hat nach dem ersten Weltkrieg bis auf Wien keine großen Ballungsräume mehr - trägt wesentlich zum Minderwertigkeitsgefühl gegenüber der deutschen Variante der deutschen Sprache bei, was sich bis zum Anschluß 1938 nicht ändert.
Auf nationaler Ebene hat das Deutsche heute alleinigen amtsprachlichen Status in Deutschland, Österreich und Liechtenstein, und fungiert als Amtssprache neben anderen in Luxemburg und der Schweiz. Ferner ist es regionale Amtssprache der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien sowie der autonomen Provinz Trentino-Südtirol in Italien. In Europa gibt es darüber hinaus deutsche Minderheiten in Dänemark, Frankreich, Polen, Rumänien, Rußland, Tschechien, der Ukraine und Ungarn und in Übersee in Kanada, den USA, in Süd- und Mittelamerika, Namibia, Südafrika, Israel und Australien.
Während in Osteuropa nach dem zweiten Weltkrieg gewaltsame Zwangumsiedelungen stattfanden und sprachliche Minderheiten weitgehend unterdrückt wurden, kann Westeuropa auf einer relativ gleichmäßigen gesellschaftlichen Entwicklung aufbauen. Dank der Wirtschaftskraft konnten soziale Spannungen in den westlichen Gesellschaften nicht zu bedrohlichen Minderheitenkonflikten entfachen, was speziell für die ehemaligen Kolonialmächte Großbritannien und die Niederlande ein Problem hätte werden können. Es ist auch das Verdienst der Europäischen Integration, daß sich die Situation für Minderheiten vor allem in Grenzregionen verbessert.
Das Englische
Die Sprachenvielfalt bei der Eroberung Irlands im 12. Jahrhundert führt zu ersten Sprachgesetzen, durch die sich das Englische gegenüber Irisch, Französisch und Latein durchsetzt. Engländer sollen sich Englisch ausdrücken, um das Ansehen als Volkssprache zu steigern und dadurch den Weg für die Identifikation über die gemeinsame Sprache zu ebnen. Während diese sich im 15. Jahrhundert in London herausbildet, spaltet sich die schottische Schriftsprache ab, wird aber im 18. Jahrhundert wieder von einer lokalen englischen Norm ersetzt. In diesem Zeitraum findet auch die Kodifikation des British English statt. 1755 erscheint das Dictionary of the English Language, Ende des 19. Jahrhunderts das Oxford English Dictionary. Obwohl kein rigide Sprachpolitik wie etwa in Frankreich verfolgt wird, sind besonders die mit der Industrialisierung entstandenen städtische Dialekte (urban dialects) negativ besetzt und nicht standardfähig. Für das British English ist die soziale Differenzierung des Sprachgebrauchs immer noch Kennzeichen unterschiedlicher gesellschaftlicher Stellung.
Aufgrund mangelnder soziolinguistischer Grundlage und des niedrig besetzten Prestiges des distinktiven Irish English kommt es trotz der Unabhängigkeit Irlands 1922 zu keiner eigenständigen Kodifizierung. Es besteht lediglich eine eigenständige Norm in der Aussprache, die von den Medien ausgehend Vorbildfunktion erreicht. Das Irish English richtet sich nach wie vor nach dem British English, da das zur Nationalsprache erhobene Gälisch bereits die nationenstiftende Funktion erfüllt.
In den USA übernimmt das Englische gegenüber Französisch, Deutsch, Spanisch und Niederländisch ab dem 18. Jahrhundert die Vorherrschaft unter den Auswanderervarietäten. Ist das Englisch der Siedler anfangs noch stark vom Minderwertigkeitsgefühl gegenüber dem British English geprägt, unterliegt die amerikanische Form zunehmend verschiedenen Einflüssen und bildet sich ab 1800 als eigenständige Norm heraus. Ab 1906 sind Englischkenntnisse zur Einbürgerung in die USA nötig. Durch die Siegerposition nach den Weltkriegen und die wirtschaftliche Hegemonie der USA gewinnt das American English nach den 68ern auch an gesellschaftlichem Einfluß: Amerikanische Modetrends, Shoppingcenter, "In"-Sportarten und die Hamburgerkultur halten besonders bei der jungen Generation in Europa Einzug. Dieser Trend macht auch nicht vor dem British English halt und ruft Sprachpfleger auf den Plan. Daneben gilt das Englische seit der Kolonialisierungszeit nicht nur als Muttersprache in Kanada, Südafrika, Australien und Neuseeland, sondern auch als Zweitsprache im Commonwealth und als Fremdsprache in Europa.
Erst im 20. Jahrhundert setzt sich Englisch als die am weitesten verbreitete Welthilfssprache sowie internationale Verkehrssprache durch und läuft damit der Jahrhunderte langen Vormachstellung des Spanischen, Deutschen und vor allem dem Französischen den Rang im internationalen Verkehr ab.
Das Französische
Als eines der Länder mit den intensivsten sprachpolitischen Bemühungen stellt Frankreich gleichsam den Vorreiter im Normierungs- und Sprachplanungsbereich dar. Ausgehend von den französischen Maßnahmen und Entwicklungen kann die diesbezügliche Ausstrahlungskraft auf Europa nachgezeichnet und zum Teil auf die anderen Sprachen umgelegt werden.
Der geographisch zentrale Dialekt der Ile-de-France kristallisiert sich ab dem Mittelalter als sprachliches Standardisierungsmodell heraus, als das Französische die Schriftsprache des Zentrums wird. Paris gewinnt durch den Hof, das Kloster Saint-Denis und die Sorbonne zunehmend an weltlicher und geistlicher Macht. Zur Stärkung des Königshauses erfolgt die Straffung der Verwaltung, die auch die Vereinheitlichung der Sprachen bzw. Dialekte betrifft und das Latein durch das Französische ersetzen soll.
Die ersten sprachpolitischen Maßnahmen äußern sich im Spracherlaß Louis XI (1461-1483), der wünscht, daß sein Reich eine Sprache spreche. Mit dem Aufkommen des bon usage und der Faszination für das Französische im 17. und 18. Jahrhundert wird die regionale Varietät der Ile-de-France zum Standard erhoben. Es besteht bereits ein Kanon, der daher Literaturfähigkeit besitzt und ebenso zum Nationalbewußtsein beiträgt wie der Status des Französischen als Diplomatensprache. In den Schulen werden Minderheitensprachen als patois degradiert. Die Gründung der Académie Française wird zur Durchsetzung der Nationalsprache ins Leben gerufen, da diese bis zur Französischen Revolution nur von einem Drittel der Bevölkerung gesprochen wird. Mit der Revolution werden schließlich politische mit ideologischen Ansichten zur Sprache und deren Verwendung verbunden, die dem Sprachimperialismus des Absolutismus weitertreiben.
Zum endgültigen Durchbruch der Französischen Nationalsprache tragen sowohl die überregionale Presse als auch die Alphabetisierung und flächendeckende Bildung durch die Schulen bei, was auf die Gesetze der Jahre 1881 bis 1886 zurück geht. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wird Französisch als offizielle Schul- und Nationalsprache eingeführt.
Dialekte sind im 20. Jahrhundert weitgehend durch die Nationalsprache ersetzt und diese als solche stabil installiert. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß der mündliche Sprachgebrauch und die von den gebildeten Schichten postulierte schriftliche Sprachnorm sich diglossisch auseinander entwickeln, was seit den 30ern des 20. Jahrhunderts als la crise du français bezeichnet wird.
Laut Sprachgesetz vom 15.6.1995 ist das Französische die einzige offizielle Sprache in Frankreich. Die Francophonie, eine politisch aktive Kultureinheit, zählt an die 75 bis 270 Millionen Sprechende, wobei diese Zahlen schwanken.
Das Italienische
Bereits im 13. Jahrhundert ist der auf der sprachlichen Nation beruhende Grundgedanke Dantes wegbereitend für das Festhalten an der toskanischen schriftsprachlichen Standardvarietät. Über Sprache soll die Kulturnation geschaffen werden, um die Vielvölkergemeinschaft zu einen. Jedoch erst durch die repressiven Methoden des Faschismus werden die Bürger endgültig zu Italienisch-Sprechern erzogen. Seit dem 16. Jahrhundert gibt es vor allem durch die Accademia della Crusca Bestrebungen, sprachplanend einzugreifen, dennoch kommt es zu keiner einheitlichen Entwicklung. Einige dieser Schwierigkeiten, durch die das seit 1861 vereinigte Italien geprägt ist, wirken bis zur Gegenwart und zeigen sich in der Existenz großer schriftsprachlicher Varietäten in einer rückwärtsblickenden Traditionslinie. Bis in die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts spielen die Dialekte bzw. regionaler Varietäten noch eine starke Rolle, was sich auch in statistischen Erhebungen spiegelt: 1989 sprachen noch 10-20% der Bevölkerung nur Dialekt (cf. Ernst 1998: 197ff.).
Österreich
Durch die Konfrontation und die Niederlage Hitler-Deutschlands und die tiefgreifenden Erfahrungen aus der Zwischenkriegszeit wächst das Österreichbewußtsein, das Voraussetzung für die Erfolge im politischen, sozialen und ökonomischen Bereich ist. Die auf dem Staatsvertrag und der Neutralitätserklärung aufbauende Unabhängigkeit sowie das Engagement in der Politik bis zum Ende der Ära Kreisky sind maßgeblich dafür verantwortlich. Die Entwicklung des offeneren, demokratischen Österreichs mündet 1995 in den Beitritt zur Europäischen Union, die weitere Anforderungen, sowohl das gesamte Politsystem als auch die Sprachenfrage betreffend, stellt.
Österreich betreibt nur implizite Sprachpolitik, legt jedoch Deutsch als offizielle Amtssprache im Art. 8 der Bundesverfassung fest: "Die deutsche Sprache ist, unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte, die Staatssprache der Republik."
Abgesehen von dieser verfassungsmäßigen Verpflichtung manifestiert sich Sprachplanung sowohl im Art. 7 des Staatsvertrags, in dem Kroatisch und Slowenisch zumindest in gewissen Gebieten Minderheitenrechte zugesprochen werden, als auch durch die Verbreitung des Deutschen in Nachbargebieten und in der Schirmherrschaft des Deutschen in Südtirol durch Österreich. Da sich die Österreicher mit und durch ihre nationale Varietät des deutschen Standards identifizieren, wurden spezielle Charakteristika und Schibboleths durch das Österreichische Wörterbuch kodifiziert und gingen als diese ins Allgemeinbewußtsein ein. Die Pflege der Nationalvarietät ist ein besonderes Charakteristikum des sich erst spät als Nation identifizierenden Alpenstaates. Es ist ein Irrtum anzunehmen, daß es einer einheitlichen Standardsprache bedarf, um im internationalen Kontext bestehen zu können. Beispiele aus anderen plurizentrischen Sprachen, wie Englisch, beweisen dies. Dafür muß in bezug auf Kodifizierung und Normierung Interaktion zwischen den verschiedenen Zentren stattfinden, um die allgemeine Identifikation weiter zu gewährleisten.
Mit der Europäisierung der Mitgliedsstaaten der EU werden sprachplanerische und sprachnormierende Fragen zunehmend international behandelt, nicht zuletzt, um den regionalen Sprachnationalisten beizukommen.
3.1 Das Werden der Europäischen Union
In der Zeit des Wiederaufbau Europas nach den Verheerungen des Zweiten Weltkrieges beschlossen die entscheidungstragenden Köpfe Deutschlands, Frankreichs, Italiens und der Beneluxstaaten, allen voran Jean Monnet und Robert Schuman, die Entscheidungsgewalt über die Produktion von für Kriegsmaterial wichtigen Rohstoffen, nämlich Kohle und Stahl, in eine unabhängige dritte Hand zu geben. Am 18. April 1951 wurde der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl in Paris unterzeichnet und 1957 mit den Römischen Verträgen um die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Europäische Atomgemeinschaft erweitert. Seit dem am 8. April 1965 in Brüssel besiegelten Fusionsvertrag haben die EGKS, die EWG und die Euratom als Europäische Gemeinschaften gemeinsame Organe.
Mit Inkrafttreten des Vertrags über die Europäische Union am 1. November 1993 werden die Gründungsverträge nicht nur erneuert, sondern dergestalt erweitert und ergänzt, daß die EU nunmehr als 3-Säulen-Modell verstanden wird. Zwischen der Gründung in den 50ern und heute sind die ursprünglichen sechs Mitgliedsstaaten 1973 um Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich, 1981 um Griechenland, 1986 um Spanien und Portugal sowie 1995 um Österreich, Finnland und Schweden erweitert worden. Dazu kommen mit 2004 bei positiver Abstimmung durch die jeweilige Bevölkerung die zehn Beitrittskandidaten, was die bisher größte Erweiterungsrunde darstellt.
3.2 Allgemeines zur Sprachensituation
Die auf sozialer, wirtschaftlicher und politischer Integration beruhende Idee der Europäischen Gemeinschaft klammert die Sprachenfrage in den Römischen Verträgen 1957 vorerst aus. Es wird lediglich festgelegt, welches die Amtssprachen sind und daß die Sprachenfrage aufgrund der jeweiligen Geschäfts- und Verfahrensordnungen geregelt wird, was gewisse Spielräume läßt.
Die Regelung der Sprachenfrage für die Organe der Gemeinschaft wird unbeschadet der Verfahrensordnung des Gerichtshofes vom Rat einstimmig getroffen. (Artikel 217, Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft / EWG-Vertrag 1957)
Dieser Vertrag ist in einer Urschrift in deutscher, französischer, italienischer und niederländischer Sprache abgefaßt, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist. (Artikel 248, ebd.)
Auch mit dem Vertrag über die Gründung der Europäischen Union von 1993 ändert sich nur so viel, als die Amtssprachen um die der Beitrittsländer erweitert werden. Dabei muß sich der jeweilige Staat auf eine (Amts-)Sprache festlegen.
Nach den Beitrittsverträgen ist der Wortlaut dieses Vertrages auch in dänischer, englischer, finnischer, griechischer, irischer, portugiesischer, schwedischer und spanischer Sprache verbindlich. (Artikel 314 - Ergänzung zu Ex-Artikel 248)
Jeder Unionsbürger kann sich schriftlich in einer der in Artikel 314 genannten Sprachen an jedes Organ oder an jede Einrichtung wenden, die in dem vorliegenden Artikel oder in Artikel 7 genannt sind, und eine Antwort in derselben Sprache erhalten. (Artikel 22 - Ergänzung zu Ex-Artikel 8e)
Seit 1995 gibt es nun 15 Mitgliedsstaaten und 11 offizielle Amtssprachen, wobei alle relevanten Entscheidungen und Rechtsakte in diese übertragen werden.
Eine andere Situation besteht für die Verkehrs- und Umgangssprachen. Abhängig von der Institution werden mehr oder weniger Sprachen im täglichen Verkehr angewendet.
So werden zur Zeit beispielsweise noch alle Verhandlungen im Plenum des Europäischen Parlaments, in den Ausschüssen und Delegationen in diese 11 Sprachen simultan übersetzt, jedenfalls soweit Angehörige der einzelnen Mitgliedsstaaten an den Beratungen beteiligt sind. Daß jeder in seiner Sprache sprechen und hören kann, entspricht dem demokratischen Prinzip des Parlaments. Außerdem sollen keinem Abgeordneten aufgrund seiner Sprache Nachteile erwachsen, die sich etwa darin äußern können, daß aufgrund mangelnder Fremdsprachenkenntnisse die Zusammenhänge nicht in vollem Umfang erfaßt werden oder jemand nicht verstanden wird.
Dasselbe gilt für den Europäischen Rat und den Ministerrat. Damit alle Staats- und Ministerpräsidenten sowie die jeweils tagenden Minister ihre Interessen vor den anderen vertreten können, wird in alle Sprachen gedolmetscht, zumindest was die offiziellen Akte betrifft. Wie die Agenten außerhalb des offiziellen Rahmens miteinander kommunizieren, ist jedoch eine andere, nicht unwesentliche Frage. Wenngleich schwerer zu erforschen, gewinnt dieser Aspekt an Bedeutung, da Besprechungen zunehmend auf den informellen Kreis verlagert werden, um zum Beispiel bei einem Mittagessen in aller Ruhe und ohne -zig Dolmetscher, Assistenten, Technik und Kabinenlandschaften zu verhandeln.
Die Europäische Kommission arbeitet zur Verringerung des Verwaltungsaufwands hingegen mit drei Arbeitssprachen, nämlich Englisch, Französisch und Deutsch. Abhängig vom Kommissar ist zudem eine Amtssprache in der betreffenden Direktion bevorzugt. Grundsätzlich kann jeder Unionsbürger in seiner Sprache Anfragen stellen, es dauert nur abhängig von der "Gängigkeit" seiner Sprache dementsprechend lange, bis Antwort erteilt wird.
Anders sieht die Situation im Europäischen Gerichtshof aus. Dessen interne Hausordnung legt sich lediglich auf zwei Arbeitssprachen fest, nämlich Französisch und Englisch. Im täglichen und inoffiziellen Gebrauch wurde die Zahl der benutzten Arbeitssprachen jedoch auch in den anderen Institutionen de facto ebenfalls reduziert: auf Englisch, Französisch und Deutsch, in einigen Institutionen zusätzlich auf Italienisch und Spanisch (Bruha 1998: 33).
Es läßt sich hier bereits deutlich erkennen, daß es eine deutliche Präferenz hin zu den Großsprachen gibt und Deutsch nicht die Europäische Sprache schlechthin ist, wenngleich die zahlenmäßige Sprecherzahl dies vermuten lassen könnte.
3.3 Probleme, Alternativen, Hilfestellungen
Die mit der Sprachenvielfalt einhergehenden Schwierigkeiten liegen nicht bei der Sprachverwendung der 40 000 Bürokraten, 10 000 Europa-Lobbyisten und ca. 600 Abgeordneten in Brüssel sondern vielmehr im Allgemeinen europäischen Diskurs der europäischen Öffentlichkeit. Natürlich ist auch die Sprachenfrage innerhalb der Institutionen interessant, besonders wenn es um den Übersetzungsdienst im Parlament und im Rat geht. Auf dieser Ebene stellt sich der Integrationsprozeß nur von der instrumentellen Seite dar, ist eine Kopfgeburt und muß als diese erst von den EU-Bürgern akzeptiert und übernommen werden. Abstimmungen bekunden zwar die prinzipielle Bejahung des Zusammenwachsens, was die Einigung jedoch für jeden einzelnen bedeutet, ist von weitaus größerer Tragweite. Ein Aspekt, der wesentlich zur europäischen Identifikation beiträgt, sind eben die Sprachen und deren Verwendung.
In einer Union, in der ca. 90 Mio. Europäer Deutsch, 60 Mio. Englisch, 60 Mio. Französisch, 58 Mio. Italienisch und 40 Mio. Spanisch als Muttersprache haben - um nur die größeren Gruppen zu nennen -, ergeben sich allein schon aufgrund der geschichtlichen Entwicklung unausgetragene Konkurrenzkämpfe, die sich auch auf sprachlicher Ebene widerspiegeln.
Als auch weltweit am weitesten verbreitete (Fremd-)Sprache erlangt Englisch ohne viel Zutun von Seiten sprachplanerischer Institutionen den Status als die Sprache, die jeder versteht und jeder spricht. Besonders seit der Erweiterung um die nördlichen Mitgliedsstaaten, in denen Englisch weitere Verbreitung findet als Französisch, erfährt es eine große Aufwertung. Englisch sei vergleichsweise leichter zu erlernen als andere, es werde von 60% in Europa ohnehin bereits zumindest minimal beherrscht usw. sind Allgemeinplätze, die für die Durchsetzung des Englischen als EU-Sprache sprechen. Ganz ohne Unterstützung geht es aber auch nicht, was folgendes Beispiel zeigt: Interessanterweise kommen von ca. 1500 Stages, die halbjährlichen ihr Praktikum antreten, um die 600 aus dem Vereinigten Königreich, weil der Staat eben so viele finanziert. Stimmen werden laut, die nicht nur den wettbewerbsmäßigen Vorteil von englischen Muttersprachlern, sondern auch deren sprichwörtliche Fremdsprachenlernfaulheit anprangern. Vor allem der "alte" Feind, die Franzosen, wehren sich vehement gegen den Siegeszug des Englischen. Wie sich aufgrund der geschichtlichen Entwicklung gezeigt hat, betreiben die Franzosen eine exzessive Sprachpolitik zur Verbreitung und Erhaltung ihrer Sprache. Französisch war lange Zeit die Diplomatensprache, wird aber nun zunehmend vom Englischen in allen Bereichen ersetzt.
Es wird versucht, dieser Entwicklung mit allen Mitteln entgegenzuwirken: Die vierteljährlich vonstatten gehende Wanderbewegung des Parlaments nach Straßburg und wieder zurück nach Brüssel ist nicht zuletzt das Verdienst Frankreichs, das am zweiten Standort beharrt. Es gab bereits den Vorschlag, Straßburg als zweiten Sitz aufzugeben, wenn im Gegenzug dazu Deutsch als dritte Arbeitssprache in der Kommission aufgegeben würde.
Italienisch, das von fast ebensovielen gesprochen wird wie das Französische, wird zwar aufgrund der wirtschaftlichen Stärke des Landes nicht untergehen, aber auch keine wichtige internationale Rolle spielen. Seit der Gründung erhob Italien keine sprachpolitischen Machtansprüche, stellte sich im europäischen Kontext nicht in den Vordergrund, forcierte den Gebrauch der Sprache nicht.
Seit dem Beitritt Österreichs und der Einigung Deutschlands erstarkt das Bewußtsein für das Deutsche. Es tritt somit als Konkurrenz neben die beiden vorherrschenden Sprachen und stellt Verwendungsansprüche. Italienisch und Spanisch treten weiter in den Hintergrund. Die Demutshaltung der Deutschen nach dem zweiten Weltkrieg zeigt sich auch darin, daß hinsichtlich der Sprachenverwendung keine Ansprüche gestellt und den anderen Ländern ständig entgegengekommen wurde. Erst mit dem Beitritt Österreichs und der anstehenden Osterweiterung erstarkt das Bewußtsein für das Deutsche. Es kommen nun weitere zehn neue Sprachen hinzu, in denen Deutsch noch häufig als lingua franca fungiert und als erste Fremdsprache gelernt wird. Doch auch hier hält Englisch Einzug und die Franzosen forcieren - wie zu erwarten - den Gebrauch ihrer Sprache.
Was die Erweiterung in ihrem Umfang nun allein für den Übersetzungsdienst bedeutet, braucht wohl nicht näher erläutert zu werden. Nur soviel: auf bestimmten Ebenen müssen alle Dokumente in alle Amtssprachen übersetzt und in gewissen Sitzungen alles gedolmetscht werden. Aus diesem Grund wird oft vom weltweit größten Übersetzungsdienst gesprochen, der einen wesentlichen Beitrag für die Erhaltung der europäischen Sprachenvielfalt leistet.
Das EU-Gesamtbudget (Verwaltung plus sämtliche Programme und Förderungen) für 2000 betrug rund 89 Milliarden Euro. Sämtliche Übersetzungs- und Dolmetschleistungen schlugen damit mit weniger als 1% der Gesamtausgaben zu Buche. Relativ gesehen kostet die Erhaltung der Vielsprachigkeit die Union derzeit nicht einmal 2 Euro pro Kopf pro Jahr (Mitteilung Dr. Ulrike Einspieler, Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich, 8.3.2002). Es liegt nun im Ermessen der Interpretation, dies als positiv oder negativ zu werten. Abhängig davon, wieviel einem die friedenserhaltende Mehrsprachigkeit jeweils wert ist.
Um diese teilweise schon bizarre Situation nicht als Konfliktpotential und somit Gefährdung der europäischen Idee stark werden zu lassen, wurde das Thema Sprachen in der EU-Politik bislang ausgeklammert, sollte im Rat der EU in Kopenhagen thematisiert werden und wurde wieder einmal vertagt. "Es liegt im Interesse der Zentralorgane und der Regierungen, um des Überlebens willen die Sprachenfrage für diese Generation noch auszuklammern" (Coulmas 1991: 4).
Alternativen
Der geistige Reichtum und das kulturelle Erbe Europas finden in der Vielsprachigkeit ihren Ausdruck. Schon die Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa 1975 in Helsinki ebnet den Weg ab vom sprachpolitischen Zentralismus, indem die Schutzwürdigkeit der "kleineren" Europäischen Sprachen als autonome Kulturträger betont wurde.
Die sich spätestens mit der nächsten EU-Erweiterungsrunde ergebende Zahl an möglichen Amts- und Arbeitssprachen läßt nicht nur den Übersetzungsapparat explodieren, sondern macht auch eine effiziente Verwaltung schier unmöglich. Kämen zu den Sprachkombinationen die Minderheitensprachen dazu, wäre das wohl der endgültige Kollaps des Übersetzungsdienstes. Obwohl es von offizieller Seite her keine Ansätze in Richtung eines Lösungsvorschlags gibt, zeichnen sich bereits einige Tendenzen ab.
Nachdem der Vorschlag, Latein als supranationale Sprache wieder einzuführen, kaum ernstzunehmende Resonanz gefunden hatte, wurden auch Esperanto oder eine Pidginsprache als eventuelle Alternativen in Erwägung gezogen. Als Verschnitt der bedeutsamen Sprachen des 19. Jahrhunderts benachteiligt Esperanto jedoch nichtromanische und nichtgermanische Sprachen. Aus Angst vor selektiven Folgen und Behinderung der Effizienz des Apparates sah man aber bald wieder davon ab. Der effektive Gebrauch zeigt, daß sich ein Modell einer oder mehrerer linguae francae abzeichnet. "Ohne eine sprachliche Regelung läuft die Entwicklung zwangsläufig auf das Englische als einzige Verkehrssprache Europas hinaus" (Bruha 1998: 33).
Auch inoffizielle Angaben (persönliches Gespräch) bestätigen, daß die Tendenz eindeutig Richtung Englisch als lingua franca geht, da in informellen Situationen nur mehr Englisch gesprochen werde. Dem internationalen Kontext und der Zahl der Fremdsprachenlernenden zufolge ist unbestritten Englisch für die westlichen Länder, Französisch weiterhin als Bürokratie- und Diplomatensprache sowie nun zunehmend Deutsch für die östlichen Länder als lingua franca anzusehen. Inwiefern der derzeitige Spanisch-Boom anhalten wird und ob dieser Einfluß auf die Stellung des Spanischen im EU-Raum haben wird, bleibt abzuwarten. Da das Italienische weder in internationalen Organisationen wie z.B. der UNO, der WTO oder ähnlichen Amtssprache ist, noch auf Verbreitungsgebiete in Übersee bauen kann, geht es in diesem Kontext wie die meisten der kleineren Sprachen unter.
Es wäre theoretisch naheliegend und die einfachste Lösung, Englisch als lingua franca einzusetzen, wenn manche nicht einen Nachteil darin sehen würden. Eine andere Alternative stellt die Beibehaltung der Sprachenvielfalt dar, indem die Übersetzungskosten als Preis für das in Europa einzigartige Kulturerbe gesehen werden.
Die Gemeinschaft leistet einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes. (Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft: Art. 128)
Art. F des Unionsvertrages bestimmt weiter, daß die Union die nationale Identität der Mitgliedsstaaten schützt. Damit wird neben der mit dem EU-Vertrag eingeführten Unionsbürgerschaft die zweite, nationale Bürgerschaft gewährleistet. Als identitätsstiftender Bestandteil kann damit auch die Vielsprachigkeit als garantiert verstanden werden.
Ein Lösungsvorschlag ist es nun, daß die Staaten einen großen Teil der entstehenden Kosten im Übersetzungsbereich selber finanzieren sowie bildungspolitische Eingriffe erfolgen - wenn auch vorerst noch auf subsidiärer Basis. Ein wichtiger Ansatz liegt in der Fremdsprachenlehre. Nur wenige Sprachbegeisterte werden alle Amtsprachen beherrschen, es können aber von bildungspolitischer Seite her Maßnahmen ergriffen werden, um dem Leitsprachenmodell für Europa entgegenzuwirken.
Die Idee des lebenslangen Fremdsprachenerwerbs mit Berücksichtigung kleinerer oder Minderheitensprachen, Sprachunterricht ab den ersten Schuljahren, der Ausbau verschiedener Fremdsprachenlernmodellen, die Verzahnung von Schul- und Erwachsenenfortbildung sowie gezielte Lehrerfortbildung treten hier auf den Plan. Diversifizierter Fremdsprachenunterricht wird hier das Mittel zur Erhaltung der kulturellen Vielfalt.
Es wäre auch denkbar, die Schweizer Proporzlösung heranzuziehen; wie es sich hier bewährt hat, wird bei der Zusammensetzung der Regierung der freiwillige Sprachenproporz berücksichtigt, in Chefpositionen das Tandemprinzip angewendet, daher der Vize aus einer anderen Sprache als der Chef besetzt, und nach dem Rotationsprinzip verfahren, das etwa in den Spitzenpositionen der Schweizerischen Rundfunkgesellschaft zur Anwendung kommt.
Diese Lösung ist freilich mit vier Sprachen bereits äußerst schwierig, ob ein ähnliches Modell auf die EU mit elf Sprachen und mehr übertragbar wäre, ist fraglich.
3.4 Die Minderheitensprachen
Die Beschreibung "kulturelle Vielfalt" impliziert schon per se, daß es sich im europäischen Kontext um keine homogene Sprachenlandschaft handelt. Im gesamten europäischen Raum gibt es genügend Beispiele für ambivalente Verhältnisse zwischen Staats- und Minderheitensprachen: Bis auf Portugal gibt es keinen Mitgliedsstaat, der nicht in irgendeiner Form sprachliche Minderheiten beheimatet.
Seit den 80ern befassen sich die Institutionen der EU nun intensiver mit den autochthonen Minderheitensprachgemeinschaften. Es wurden verschiedene Institutionen und Projekte initiiert, die sozusagen Licht in die Sache bringen sollten. Was nun unter Regional- oder Minderheitensprache verstanden wird, versucht die vom Europarat überwachte European Charter for Regional or Minority Languages (Europäische Charta für Regional- oder Minderheitensprachen) zu definieren. Dem Artikel 22 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (<http://db.consilium.eu.int/df/default.asp?lang=de>) folgend, achtet die Union die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen und unterstützt finanziell Aktivitäten von Sprachenminderheiten, des Europäischen Büros für Sprachminderheiten, des Ploteus- (<http://www.ploteus.net>) und des MERCATOR-Netzwerks sowie einige Projekte aus dem Jahr 2000. Diese Förderungen kommen autochthonen Sprachgemeinschaften im EU-Raum zugute, nicht jedoch Zugewanderten oder Dialektgruppen von Amtssprachen (cf. <http://europa.eu.int/comm/education/langmin_de.html>).
Die insgesamt über 60 bekannten autochthonen Regional- oder Minderheitensprachgemeinschaften werden als solche anerkannt, wenn diese eine Sprache verwenden, deren Sprecherzahl kleiner ist als die der übrigen Bevölkerung und wenn sie sich von der (den) Amtssprache(n) dieses Staates unterscheidet.
Minderheitensprachen werden in der EU unterteilt in die Nationalsprachen zweier kleiner Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die keine offiziellen Amtssprachen der Union sind: Irisch und Luxemburgisch. Weiters in die Sprachen von Gemeinschaften in einem einzigen Mitgliedsstaat, beispielsweise das Bretonische in Frankreich, das Friaulische und das Sardische in Italien, das Walisische in Großbritannien; die Sprachen von Gemeinschaften in zwei oder mehreren Mitgliedstaaten der EU, beispielsweise das Baskische in Frankreich und Spanien, das Okzitanische in Frankreich, Italien und Spanien, das Lappische (Sami) in Finnland und Schweden; dann die Sprachen von Gemeinschaften, die in einem Staat eine Minderheit, in einem anderen jedoch eine Mehrheit darstellen, beispielsweise Deutsch in Belgien, Dänisch in Deutschland, Französisch und Griechisch in Italien, Finnisch in Schweden und Schwedisch in Finnland; und zuletzt in die nicht territorial gebundenen Sprachen, die traditionsgemäß in einem oder mehreren Staaten gesprochen, jedoch nicht einem bestimmten Gebiet zugewiesen werden können, zum Beispiel die Sprachen der Zigeuner und der Juden (Romani, Jiddisch, Judenspanisch). Wenn sie im Nachbarland als Amtssprache gelten, werden Minderheitensprachen weitaus mehr protegiert und sind mit besserem sozialem Prestige versehen. Indem das Mutterland eine Dachsprache bietet, sind diese Gemeinschaften selten bedroht.
Im weitesten Sinne können auch die in ganz Europa verbreiteten Sprachen der Roma und Sinti sowie Jiddisch zu denn Minderheitengruppen gezählt werden. Irisch und Luxemburgisch nehmen dabei auch eine Sonderposition ein. Als Amtssprachen genießen sie offiziellen Status, sind de facto jedoch aufgrund zurückgehender Verwendung und einiger Charakteristika Zweit- oder Minderheitensprachen sehr ähnlich.
Sprachminderheitenfördernde Programme
Die von der Kommission geförderten Projekte umfassen beispielsweise in Österreich die Kodifizierung einer burgenländisch-kroatischen Schriftsprache durch das Wissenschaftliche Institut der Burgenländischen Kroaten, die Finanzierung des Zweisprachigen Minderheitenradios für Slowenisch, Kroatisch, Sorbisch, Friaulisch, Ladinisch, Walisisch und Friesisch durch die Agora-Arbeitsgemeinschaft Offenes Radio sowie Theatergruppen. In Deutschland organisieren das Sorbische Institut und die Ostfriesische Landschaft Projekte für Sorbisch, Friesisch, Slowenisch, Niederdeutsch und Friaulisch beispielsweise indem der Austausch und die Zusammenarbeit zwischen mehreren sprachlichen Minderheiten im Vor- und Grundschulbereich intensiviert und die Erstellung eines interaktiven deutsch-niederdeutschen Internetwörterbuchs ermöglicht wird. Ähnliche Programme und Institutionen gibt es in allen Mitgliedsländern(1).
Neben diesen Projekten gibt es weitere Netzwerke im Dienste der Minderheitensprachen, die sich wegen der partiellen Verlagerung der Entscheidungsfindung nach Brüssel vor Ort zu Lobbyorganisationen etabliert haben.
Angehörige und Vertreter von Minderheitensprachgruppen versuchen mit und an den Schnittstellen der Europapolitik Einfluß auf die Sprachenpolitik zu gewinnen und dadurch auf die Situation aufmerksam zu machen. In diesem Sinne vertritt das Europäische Büro für Sprachminderheiten (EBLUL) die Sprachminderheiten und kann erst langsam erfolgsähnliche Schritte verbuchen.
1982 als NGO durch den Europarat und die Europäische Kommission ins Leben gerufen, vertritt es als unabhängige Plattform die Anliegen der ca. 40 Millionen Europäer, die eine andere als die dominierende(n) Staatssprache(n) sprechen. Derzeit hat EBLUL nur beratende Funktion (cf. <http://www.eblul.org>). Die Hauptaktivitäten liegen darin, nicht nur durch internationale Vernetzung, Präsenz in den europäischen Gremien und Lobbying mitzuwirken, sondern auch zu informieren und die Interessen der Minderheitensprachen und -sprecher zu vertreten. Auf ähnliche Weise arbeitet MERCATOR (cf. <http://www.mercator-education.org/>), ein auf drei Forschungszentren basierendes Informationsnetzwerk. Es wurde 1987 durch das Europäische Parlament ins Leben gerufen, sammelt Daten und forscht im Interesse der Regional- oder Sprachminderheiten. Ein Schwerpunkt liegt in der Lehre von Minderheitensprachen. Das Forschungsprojekt Euromosaic bietet neben der Informations- und Netzwerkarbeit durch die bereits besprochenen Organisationen eine wichtige aufklärende Funktion. Nicht zuletzt aufgrund dieser sich besonders auf wirtschaftliche und demographische Faktoren stützenden Studie erfuhren die Primärträger von Sprachproduktion und Sprachreproduktion (Familie, Schule, Gemeinschaft) eine enorme Aufwertung (cf. Euromosaic 1996: 6ff.).
Als eine der reichsten und wirtschaftlich erfolgreichsten Gegenden der Welt stehen auch in Europa zunehmend Zuwanderungs- und Migrationsbewegungen auf der Tagesordnung. Obwohl die innereuropäische Migration gefördert werden soll, ist hier die bildungsmäßige gemeint, denn "Ausländer" im klassischen Sinne haben es nach wie vor nicht leicht. Hier gelangt das Europadenken an seine nationalstaatlichen Grenzen. Der nationalstaatliche Gedanke ist immer noch so stark präsent, daß in jedem Mitgliedsstaat von Ausländerquoten, Gastarbeitern und Migranten gesprochen wird. Es gibt auf der einen Seite die Kleinsprachen im Vergleich zu den "großen" Sprachen wie Englisch, Deutsch und Französisch. Auf der anderen Seite stehen die Amtssprachen in nationalem Konflikt und Austauschbewegung: Dominante Europasprachen, die auf kleinere Sprachgemeinschaften einwirken und Minderheitensprachen, die in Austausch mit den Amtssprachen stehen.
Generell zeichnet sich insgesamt national sowie international eine Assimilierungstendenz ab. Es wird nun versucht, durch integrativen Sprachunterricht die Kluft zwischen den Staatsprachen und der zunehmenden Zahl an Anderssprachigen zu verringern. Durch die Unterzeichnung der Europäischen Grundrechtscharta im Dezember 2000 wurde erstmals ein für alle Staaten verbindlicher rechtlicher Schritt in bezug auf Sprachregelung im europäischen Kontext getroffen.
Minderheitensprachen stellen ein diffiziles und weitgefächertes Gebiet dar, das nun von Seiten der EU gefördert wird. Wie nun die einzelnen Mitgliedsstaaten mit den eigenen Minderheiten umgehen, diese sozial und rechtlich anerkennen oder ignorieren, hängt weiterhin von der Sprachenpolitik des Landes ab, da es sich bei der Charta und den Vorschlägen des Rates um nicht einklagbare Rechte handelt.
Fazit: Wenn Sprache ein wesentlicher Bestandteil der Vielfalt und die Vielfalt ein Grundstein der innovativen Entwicklung ist, dann muß der Erhaltung der in der Union vorhandenen Vielfalt größte Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Umsetzung der rechtlichen Vorgaben bleibt zwar den Staaten überlassen, es wird jedoch besonders durch die internationale Vernetzung das Vorgehen beobachtet, dokumentiert und gegebenenfalls sanktioniert.
3.5 Bildung und Erziehung
Bildungseinrichtungen sind neben den Medien die vom Staat getragenen ideologisierenden Sozialisierungsinstanzen. Seit der Französischen Revolution spielt Schule eine große Rolle in der Sprachpolitik und steht den sprachplanerischen Instanzen gleichrangig gegenüber. Mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht erfolgt die Alphabetisierung der breiten Bevölkerung in einer Nationalsprache. Sowohl unter Maria Theresia und Joseph II. im Habsburgerreich als auch zur Zeit der Stein-Hardenbergschen Reformen in Preußen finden sprachliche Standardnormen Verbreitung. Ziel ist es, die Kinder nach der Primärsozialisation durch die Familie zu mündigen Bürgern des Staates zu erziehen und ihnen adäquate sprachliche Ausdrucksmittel in allen Varianten beizubringen. Seit der Aufklärung nimmt aus diesem Grund die Pädagogik eine zentrale Rolle ein.
Eingriffe in den Bildungssektor stellen das effektivste Mittel zur Änderung der Geisteshaltung dar. Aus diesem Grund erging erst mit dem Weißbuch zur allgemeinen und beruflichen Bildung von 1995 eine für alle Mitgliedsstaaten gleichermaßen verbindliche Richtlinie. Es geht primär darum, daß die Politik der allgemeinen und beruflichen Bildung einen Beitrag dazu leistet, Europa auf den Weg zur kognitiven Gesellschaft zu führen, die auf dem Erwerb von Wissen basiert und in der lebenslang gelehrt und gelernt wird.
Da hinsichtlich des Sprachenproblems - wie oben bereits erwähnt - noch kein definitives Lösungsmodell in Aussicht steht, ist es seit und mit dem Weißbuch erklärtermaßen oberstes Ziel, daß jeder europäische Bürger drei der europäischen Gemeinschaftssprachen beherrscht. Das Beherrschen von mindestens zwei weiteren als die Muttersprache soll über den Bildungsweg ermöglicht, zum Erlernen der Sprachen der Nachbarn angeregt und die Einführung des Europäischen Sprachen-Portfolios gefördert werden. Dabei ist nicht mehr die absolute Korrektheit in einer (Fremd-)Sprache vorrangig, sondern die Erreichung von Teilkompetenzen in mehreren Sprachen.
Die Ergebnisse des Ratsbeschlusses vom 14. Februar 2002 On promotion of linguistic diversity and language learning in the framework of the implementation of the objectives of the European Year of Languages 2001 sollen festgestellt und dokumentiert werden und zusammen mit der Charta on Regional- or Minorityrights durch die Unterzeichnung der Europäischen Grundrechtscharta auf nationale Ebene übergehen.
Förderprogramme der EU
Die bestehenden Bildungsprogramme basieren auf den Artikeln 149 und 150 des EU-Vertrags, welche die Rolle der Gemeinschaft im Bildungssektor definieren. Obwohl die Mitgliedsländer selbst für Inhalt und Organisation verantwortlich sind, soll die intensive Zusammenarbeit durch gemeinsame Aktionen gefördert werden.
Die konkrete Realisierung ist also abhängig von der jeweiligen Bildungspolitik der Mitgliedsstaaten und daran, inwieweit diese Richtlinien und Empfehlungen von den Mitgliedsstaaten übernommen werden: Solange der Bildungssektor nationalstaatliche Souveränität ist, bleibt es in erster Linie den Regierungen überlassen, inwiefern diese international kooperieren und zur Umsetzung der gemeinsamen Beschlüsse bereit sind. Die Gemeinschaftsprogramme im Bereich Erziehung, Bildung und Jugend begannen in den 70ern und wurden in den 80ern und 90ern durch die Programme Erasmus, Comett, Jugend für Europa, Lingua, Petra, Force und Eurotecnet erweitert. 1995 wurden diese zu den drei großen Projekten Socrates, Leonardo da Vinci und Youth for Europe restrukturiert zusammengefaßt. Dabei spielte das unter das Motto des lebenslangen Lernens (<http://europa.eu.int/comm/education/lll_en.html>) gestellte Jahr 1996 eine wesentliche Sensibilisierungsrolle für die gemeinsame Zusammenarbeit in den Bereichen Bildung und Erziehung durch die Mitgliedsstaaten. Der Europäische Rat von Lissabon trieb die europäische Integration im Bildungsbereich voran. Die Staats- und Regierungschefs legten neue strategische Ziele für die nächste Dekade bis 2010 fest.
Aufbauend auf den in Lissabon gesetzten Zielen wurden beim Europäischen Rat 2001 in Stockholm Zukunftspläne für den Bildungsbereich definiert und ein Arbeitsprogramm beschlossen. In der konkreten Realisierung sollen die Mitgliedsstaaten durch intensivere Kooperation gemeinsam an der Umsetzung der beschlossenen Punkte arbeiten,
[t]o become the most competitive and dynamic knowledge-based economy in the world capable of sustained economic growth with more and better jobs and greater social cohesion. (Lisbon Presidency Conclusions paragraph 5 COM(2001)59 and COM(2001)501)
Die Bildungssysteme sollen bis 2010 ein Weltqualitätsmodell werden, wobei an den länderspezifischen Indikatoren und Benchmarks dafür noch gearbeitet wird. Im Planungsprozeß involviert sind auch die EU-Beitrittskandidatenländer, deren Perspektiven ebenso einbezogen werden. Dasselbe gilt für das lebenslange Lernen (cf. <http://europa.eu.int/comm/education/languages_en.html>, <http://europa.eu.int/comm/education/leonardo_en.html>, <http://europa.eu.int/comm/education/socrates.html>, <http://europatest/comm/education/tempus/index.html>, <http://europa.eu.int/comm/elearning>), dessen Realisierung die Kommission von den Mitgliedsstaaten auf regionaler und nationaler Ebene fordert.
Der Bologna-Prozeß, unter dem das Treffen der Europäischen BildungsministerInnen in Bologna 1999 bekannt wurde, steht für die Gründung eines Europäischen Raums für höhere Bildung, der damals beschlossen wurde. Konkret bedeutet das, daß es ein einheitlich anrechenbares System von akademischen Titeln und Abschlüssen geben wird, bei dem das Mindeststudium des Bachelors mit dreijähriger Ausbildung und einem darauf aufbauenden Master eingeführt werden soll. Darüber hinaus bilden Mobilität, erleichterter Credit Transfer durch ECTS und gesicherte Qualitätsstandards die Grundlage für ein attraktives Ausbildungsmodell. In Zusammenhang damit stehen eEurope und eLearning, deren Ziel es ist, Europa online zu machen sowie Erasmus World, eine Erweiterung des Sokrates-Programms um Drittländer.
Bei all diesen Aktionen ist es vorrangiges Ziel der EU, einen gemeinsamen Europäischen Bildungsrahmen zu schaffen, der die Umsetzung der gemeinsam erarbeiteten Strategien ermöglicht. Über den Bildungssektor soll eine künftige Europageneration herangebildet werden, die durch internationale Erfahrungen, Austauschprogramme, vernetzte Ressourcen, bewußte Anerkennung kultureller Feinheiten, Informationsaustausch, Qualitätsstandards und einheitliche Ausbildungsniveaus offen für ein Miteinander im multikulturellen Europa ist und Basis für eine gemeinsame Wirtschaftsdynamik darstellt.
Nur wenn diese strategischen Ziele erfolgreich umgesetzt werden, kann der interkulturelle Dialog, die persönliche Erfüllung, eine geglückte Sozialisation, eine aktive BürgerInnenschaft und Beschäftigung ermöglicht/gewährleistet werden.
Damit sind diese Programme, von Sokrates über das White Paper im Jugendbereich bis zum lebenslangen Lernen wichtige Bausteine und Weichenstellungen für die Aktivitäten der nächsten Generation.
Dieser kurze Einblick in die Sprachenproblematik in der EU sowie die daraus gewonnenen Erkenntnisse verdeutlichen, inwiefern Sprache, Nationenbildung und kulturelles Verständnis zusammenhängen. Aufgrund des identitätsstiftenden Charakters fungiert Sprache aber auch als Instrument zur Verbreitung politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Inhalte. Als Spielball der Mächte wird sie dazu verwendet, einen Staat zu gründen, Kriege zu führen oder eine bestimmte Gesellschaftsschicht zu privilegieren. Als einendes Merkmal versuchen sich Gemeinschaften durch die ihnen eigene Sprache von anderen abzugrenzen oder sich mit Sprechern derselben zusammenzuschließen, was mitunter zu heftigen Konflikten führt. Inwiefern Staaten Sprachpolitik betreiben, hängt sowohl von den meinungsbildenden Eliten ab als auch von national(istisch)en Gruppen, die gerade an der Macht sind. War Sprache und Politik bis vor 50 Jahren durchwegs national geprägte Souveränität, so öffnet sich durch die europäische Integration die Agitationsweise. Es sind nicht mehr allein innerstaatliche Machthaber und meinungsbildende Eliten, die eine Sprachenpolitik bestimmen. Damit befinden wir uns in einer neuen Epoche der Sprachgeschichtsschreibung, einer einmaligen Umbruchsphase, die von neuen Elementen bestimmt wird.
Die Frage nach einer Lösung für das Sprachenproblem wird die Union wohl noch weiter beschäftigen: Wurden bislang Handelshemmnisse abgebaut und Grenzen nicht nur am Papier überwunden, so bleibt die Frage nach den Sprachen noch offen. Eine einheitliche, also lingua-franca-Lösung wäre kostengünstig und relativ gesehen einfach. Daß dies jedoch nicht des Pudels Kern sein kann, läßt sich allein schon aus der Geschichte Europas ablesen: von jeher durch eine derartige Vielfalt gekennzeichnet, kann die zum amerikanischen Unitarismusmodell analoge Variante nicht funktionieren, ohne das Grundsystem der Europäischen Union ins Wanken zu bringen. Dabei ist hier nicht einmal der nationale Sprachstolz gewisser Länder das Kriterium. Wenn die Idee hinter dem "Experiment Europa" der Friede und Wohlstand ist, die Wahrung und der Respekt der kulturellen Vielfalt ein wichtiger Baustein dafür ist, dann liegt genau darin die wichtige Aufgabe: in die Diversität zu investieren, ungeachtet aller damit verbundenen Probleme und Kosten, in ideeller und materieller Hinsicht. Ob Europa bereit ist, den Preis dafür zu zahlen, bleibt offen.
© Christine Rödlach (Wien)
ANMERKUNG
(1) Die Liste der kofinanzierten Projekte von Seiten der Kommission für 2000 befindet sich auf der Homepage der Generaldirektion Erziehung, i.e. auf der Sprachenseite <http://europa.eu.int/comm/education/langmin_de.html>
LITERATUR
Bruha, Thomas & Hans-Joachim Seeler (Hg.)(1998). Die Europäische Union und ihre Sprachen. Interdisziplinäres Symposium zur Vielsprachigkeit als Herausforderung und Problematik des europäischen Einigungsprozesses (=Schriftenreihe des Europa-Kollegs Hamburg zur Integrationsforschung 19). Baden-Baden: Nomos
Christ, Herbert (1991). Fremdsprachenunterricht für das Jahr 2000. Sprachenpolitische Betrachtungen zum Lehren und Lernen fremder Sprachen. Tübingen: Gunter Narr
Coulmas, Florian (Hg.)(1991). A Language Policy for the European Community. Prospects and Quandaries. Berlin: Mouton de Gruyter
Ernst, Gerhard (1998). "Sprachensituation in Italien". In: Greule, Albrecht & Franz Lebsanft (Hg.). Europäische Sprachkultur und Sprachpflege. Tübingen: Gunter Narr
Euromosaic (1996). Produktion und Reproduktion der Minderheitensprachgemeinschaften in der Europäischen Union. Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften
Kloss, Heinz (1987). "Nation". In: Ammon, Ulrich; Dittmar, Norbert & Klaus J. Mattheier. (Hg.). Soziolinguistik. Ein internationales Handbuch zur Wissenschaft von Sprache und Gesellschaft. Erster Halbband. Berlin: De Gruyter
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For quotation purposes:
Christine Rödlach (Wien): Sprach(en)politik in der EU als
kulturgeschichtlicher Integrationsprozeß. In: TRANS. Internet-Zeitschrift
für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/01_2roedlach15.htm