Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 15. Nr. | September 2005 | |
3.7. In/visible communities
at and across borders Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures |
Vera Mayer (Institut für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien)
In diesem Beitrag geht es um die sich im Umland von Wien befindlichen Randzonen. Diese werden im Niederösterreichischen Raumordnungsprogramm als Planungsregion Wien-Umland zusammengefasst. Für die Charakterisierung der Randgebiete Wiens wird in Anlehnung an HÄUSSERMANN & SIEBEL (1992) hypothetisch davon ausgegangen, dass eine "handhabbare Definition" sehr schwierig ist, da die hier ablaufenden Prozesse widersprüchlich und widerständig sind, weil sie das Produkt gesellschaftlicher Prozesse und sozialer Bewegungen in einem bestimmten Raum und einer bestimmten Zeit repräsentieren, die ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten besitzen. Es ist weiters zu berücksichtigen, dass das Umland von Wien keine wirtschaftliche, politische, soziale und kulturelle Einheit darstellt, sondern dass es gerade umgekehrt ist. Auch das Stadtumland hat sich ausdifferenziert, es entstehen viele lokale Lebensräume und Lebenswelten, die nebeneinander, aber nicht miteinander existieren. Dabei sind auch die Entwicklungen innerhalb einer Stadtregion von unterschiedlicher Intensität und Qualität. Die Randgebiete zeichnen sich durch eine Vielschichtigkeit und Gegensätzlichkeit, durch ein gewisses Chaos und durch die Vermischung verschiedenster Funktionen sowie des Traditionellen und des Innovativen aus. Diese Attribute sind im Fall der optisch und ästhetisch erfassbaren Phänomene, wie der Kulturlandschaft und des Wohnbaus, besonders auffallend. Für die Bau- und Wohnformen ist typisch, dass sich hier städtische und ländliche Formen vermischen.
Die Siedlungsexpansion für Industrie-, Einkaufs-, Wohn- und Erholungszwecke in den vergangenen Jahrzehnten führte, neben vielen positiven Effekten (u.a. das Wirtschaftswachstum und die Erhöhung der Wohnqualität der Bevölkerung), vor allem im südlichen Wiener Umland - eine Kulturlandschaft mit traditionellen kleinstädtischen und dörflichen Strukturen - zu negativen Begleiterscheinungen, wie etwa einem anwachsenden motorisierten Individual- und Güterverkehr, einem dramatischen Anstieg des Flächenverbrauchs und einer Zersiedelung der Landschaft. Eine zunehmende Polarisierung zwischen den Wohn- und den Einkaufs- bzw. Industrievororten macht sich hier bemerkbar. Wenn es um neue Industrieansiedlungen in manchen landschaftlich besonders reizvollen Gegenden geht - wie z.B. entlang der B 17 zwischen Vösendorf und Guntramsdorf -, sind Konflikte zwischen Umweltschützern, diversen Bürgerinitiativen und Gemeinden vorprogrammiert. Einige der wiennahen Gemeinden befürchten, durch das Auspendeln der Arbeitskräfte, den Kaufkraftabfluss und die Abwanderung von jungen Menschen infolge der hohen Wohnungs- und Grundstückpreise von der Metropole absorbiert zu werden. In der Öffentlichkeit wurde vielfach argumentiert, dass es durch die Suburbanisierung der Umlandgemeinden zunehmend zu einer Verdrängung beziehungsweise Zerstörung traditioneller kleinstädtischer und ländlicher Siedlungsstrukturen kommt. Dabei verlaufen die Entwicklungen je nach Gebiet und Gemeinde unterschiedlich.
Die Region Wien ist bereits seit den 1960er Jahren mit starken Suburbanisierungstendenzen konfrontiert. Die in den 1960er und 1970er Jahren einsetzende Stadtflucht wird als die Reaktion der Menschen auf die Umweltbelastung, das Verkehrschaos und den Lärm, d.h. auf die Stadt als Ort der Aggression interpretiert (Push-Faktoren). Weitere Gründe für die Wohnsuburbanisierung sind der Wohlstand der kaufkräftigen Mittelschicht mit ihren erhöhten qualitativen und quantitativen Wohnraum- und Flächenansprüchen, die gestiegene Mobilität, neue Kommunikationstechnologien und nicht zuletzt die niedrigen Grundstückspreise im Umland (Pull-Faktoren) (BURDACK & HERFERT 1998). In den 1960er und 1970er Jahren erfasste die Euphorie des modernen Bauens nicht nur die Stadt Wien, sondern auch die Gemeinden im Umland der Bundeshauptstadt.
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Abbildung 1: Bevölkerungsentwicklung im Wiener Umland 1961-2001
Das Ziel der städtischen Expansion zu Wohnzwecken waren zunächst die landschaftlich reizvollen Gegenden in den Hanglagen des Wienerwaldes, die traditionellen Weinbauorte von Klosterneuburg bis Baden, die sich bereits im Biedermeier, verstärkt aber im Historismus und in der Zwischenkriegszeit, als begehrte Orte der Sommerfrische und Wohnorte im Nahbereich von Wien etablierten. Aber auch in der Ebene, in den Gemeinden entlang der B 17 und der Südbahn, in den Bezirkshauptstädten und regionalen Zentren entstanden in den 1960er und 1970er Jahren neue Wohnsiedlungen am Ortsrand, meist Rastersiedlungen mit Einfamilienhäusern in offener Bauweise. Auf dem Gemeindegebiet von Maria Enzersdorf wurde zwischen 1960 und 1976 die sogenannte Südstadt erbaut - mit diversen Wohnformen von Hoch- bis zu Atriumshäusern. Die Gemeinde Wiener Neudorf errichtete neben der B 17 Hochhäuser auf dem so genannten Reisenbauerring - so als ob sich die Gemeinde Wiener Neudorf nach einem städtischen Gepräge sehnen würde. Damals galt wohl das Städtische als fortschrittlich, das Ländliche als zurückgeblieben. In beinahe jeder größeren Gemeinde wurden damals mehrgeschossige Wohnhausanlagen errichtet.
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Abbildung 2: Neue Wohnbautätigkeit am Ortsrand
Quelle: Foto Vera Mayer
Während heute einige Gemeinden beinahe die Grenze des Siedlungswachstums erreicht haben, herrscht am Ortsrand vieler Umlandgemeinden rege Wohnbautätigkeit. Aufgrund der steigenden Grundstückspreise verschiebt sich die Bautätigkeit immer weiter in die äußeren Gebiete des Umlandes, wo die Grundstücke noch billiger sind als in der unmittelbaren Nähe der Großstadt. Auch im Norden und Osten des Wiener Umlandes, wo sich noch vor kurzem die Bauaktivitäten in Grenzen hielten, gewinnt die Bautätigkeit (Wohnhäuser, Baumärkte, diverse Handelsketten) in vielen Orten seit den 1990er Jahren an Intensität, begleitet von einer Bevölkerungszunahme von bis zu 10%. Es überrascht nicht, dass in unserer Befragung die meisten Bürgermeister im Umland von Wien auf die Frage, ob die weitere Wohnbautätigkeit im Umland von Wien forciert werden sollte, mit "nein" geantwortet haben (MAYER & DASTEL 2004). Die meisten Gemeinden, die für die Forcierung der Wohnbautätigkeit plädieren, befinden sich im nordöstlichen Teil des Wiener Umlandes. Es handelt sich häufig um jene Gemeinden, die zwischen 1961 und 2001 eine Bevölkerungsabnahme verzeichneten und die sich darüber hinaus aufgrund der EU-Erweiterung und im Zuge der neu entstehenden Infrastruktur eine demographische und ökonomische Belebung erwarten.
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Abbildung 3: Zukünftige Wohnbautätigkeit im Wiener Umland
Wo sich heute eine chaotisch wirkende Landschaft aus Wohn-, Gewerbe- und Industriebauten sowie Einkaufseinrichtungen erstreckt, lagen noch vor weniger als 100 Jahren Straßen- und Angerdörfer inmitten ausgedehnter Ackerflächen und Weingärten. Die geschlossene Bebauung zeichnete sich durch die für den Osten des Landes typischen Formen bäuerlicher Gehöfte, wie den Streckhof, den Haken- oder den Dreiseithof, aus. Im 19. Jahrhundert wurde bei den bäuerlichen Gehöften der Wandel von den Giebel- zu den Breitfassadenhäusern vollzogen. Die Weinhauerhäuser besitzen oft ein Stockwerk. In den kleinstädtischen Ortszentren befinden sich die zweistöckigen Bürgerhäuser der Renaissance und des Barocks, ergänzt um die Bauten des Historismus. Heute ist nicht die traditionelle geschlossene Bebauung im Stadtkern, sondern das Einfamilienhaus in einer Rastersiedlung am Ortsrand die prägende Bau- und Wohnform in den Umlandgemeinden. Die Ergebnisse der durch das ISR durchgeführten Bürgermeisterbefragung im Umland von Wien belegen, dass das Einfamilienhaus in 83 % der Gemeinden, die diese Frage geantwortet haben (n= 103), auch weiterhin die führende Hausform bleibt (MAYER & DASTEL 2004).
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Abbildung 4: Einfamilienhaus bleibt weiterhin führende Hausform in der Gemeinde
Auch für die junge Generation stellt das Einfamilienhaus im Grünen den Inbegriff des "Traumwohnens" dar (MAYER 2002b). Hierfür gibt es mehrere Erklärungsmöglichkeiten: historisch-kulturelle Vorbilder, die wir unbewusst reflektieren, Wohnleitbilder die wir durch die Werbung vermittelt bekommen und die dann schließlich unsere Wohnwünsche, Wohn- und Lebensstile beeinflussen (EBENDA).
Für das kulturgeschichtlich kodierte Einfamilienhaus existieren zahlreiche historische Vorbilder. Die architektonische Ausbildung des neuzeitlichen Villenideals im Italien des 16. Jahrhunderts wird von literarischen Ausdrucksformen begleitet, die auf der Grundlage des antiken Locus amoenus, christlicher Paradiesvorstellungen (die Identifikation der Villa als irdisches Paradies) und eines neuen gesellschaftlichen Ideals der Vita rustica basieren (BENTMANN & MÜLLER 1970: 74 f.). Anders als das Erlebnis der Natur bei Petrarca (das fast religiöse Züge annimmt, indem das ländliche Paradies als "Gottes freie Natur" begriffen wird, in die menschliche Eingriffe als störend bewertet werden), wird die Vereinnahmung der Natur im Sinne des neuen gesellschaftlichen Ideals der Vita rustica der großbürgerlichen Herrenschicht vollzogen (EBENDA: 73-89). "Die Villeggiatura ist zum sozialen Statussymbol, die Unterhaltung des Villenparadieses zur Demonstration gesellschaftlicher Macht und gesellschaftlichen Prestige geworden" (EBENDA: 82). Die Natur wird für den venezianischen Adel und Großbürger des 16. Jahrhunderts als ein heilsamer Gegensatz zur (städtischen) Gesellschaft betrachtet. Auch für die gesundheitsbezogenen und psychologischen Motivationen - das Haus im Grünen als Inbegriff des gesunden, naturnahen Wohnens - existieren also historische Vorbilder. Scamozzi, der folgsame Schüler von Palladio, fordert für die Villa kräftige, gesunde Luft, vorteilhaftes Klima als Garantie körperlicher Gesundheit und preist am Villenleben die Ruhe von Körper und Geist (EBENDA: 100). Die Forderung nach sportlicher Betätigung besitzt einen ideologischen Hintergrund: Die privilegierte Klasse identifiziert sich mit Sport. Ebenso wichtig wie die sportliche Betätigung ist aber auch die psychische Kräftigung.
Im Umland von Wien war es zunächst der Adel gewesen, der sich seit der Zeit der Renaissance und des Barock, vor allem aber seit Beginn des 18. Jahrhunderts den Luxus mehr oder weniger prächtiger Sommerwohnsitze im Grünen leistete. Das Bürgertum folgte später: Die zwischen 1797 und 1808 herausgegebene Heftreihe "Wanderungen und Spazierfahrten in den Gegenden von Wien" von Franz Anton de Paula Gaheis leitete, wie Felix CZEIKE (1982) vermutet, die bürgerliche Entdeckung der wiennahen Landschaften ein. Im Biedermeier entwickelten viele eine Vorliebe für das Landleben und eine neue romantisch-ästhetisierende Bewunderung der Natur, die nun nicht mehr als Plage und Bedrohung wahrgenommen wurde. Als schließlich die Bahn gebaut wurde, konnten immer mehr Menschen diese Erfahrung machen. Der Aufenthalt auf dem Land und die frische Luft wurden zum Inbegriff des gesunden Lebens im Gegensatz zur "kranken und schmutzigen Großstadt".
Die Kultur der Sommerfrische wurde sowohl von Adel und Bürgertum als auch von den Schriftstellern, Musikern, Schauspielern und Intellektuellen mit Begeisterung gepflegt. All das führte dazu, dass die Hanglagen der Weinbauorte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts intensiv bebaut wurden. Die gründerzeitlichen Villen, die hier entstanden, wurden um 1900 von Denkmalpflegern und Heimatschützern als Elemente der Verhüttelung der Landschaft, als Zeichen kapitalistischer Gewinnsucht und rücksichtsloser Besitznahme der Natur verstanden, "trotz der Behauptung vieler Traditionalisten, daß sich die alten Häuser angeblichgut in die Landschaft einpassen würden" (HAJÓS 1982: 15 f.). Gleichzeitig sind aber für HAJÓS (ebenda: 29) die zahlreichen kleinen Villen der Wiener Berge auch ein sichtbares Zeichen eines Selbständigkeitsdranges und der Flucht aus der erdrückenden Lebenswirklichkeit der Großstadt; das heutige Dilemma mehrgeschossiger Genossenschaftsbau versus Einfamilienhaus im Grünen fand im Historismus seine Entsprechung im Antagonismus von Villa versus Mietskaserne bzw. großstädtisches Zinshaus.
Auch das Faktum, dass die Häuser in Hanglage begehrter und teurer sind als jene in der Ebene, lässt sich kulturhistorisch erklären. Die Wohnlage bzw. die Situierung des Hauses in der Landschaft ist gewiss eine kulturhistorisch determinierte Kategorie. Für die Platzierung der Villa in einem erhöhten Terrain finden wir bereits in der Antike und in der Renaissance nicht nur ästhetische, sondern auch ideologische Gründe. Die ästhetischen Vorteile und Privilegien wurden damals bereits genauso geschätzt wie die hygienischen und klimatischen (BENTMANN & MÜLLER 1970: 101). Scamozzi spricht etwa in Verbindung mit dem Villenbau im Umland von Venedig im 16. Jahrhundert über "Campagna commune" (die proletarische Stadt in der Lagune) und die Würde der Höhenlage, da der von der Natur privilegierte Villensitz von vornherein die Teilhabe an allen "höheren Werten" garantiert (ebenda). Aber auch die mittelalterliche Burg demonstrierte den Herrschaftsanspruch ihres Besitzers sehr überzeugend.
Was den gegenwärtigen Diskurs zum Thema Einfamilienhaus anbelangt, so kann die Nation in zwei Gruppen - die Befürworter und die Gegner des Einfamilienhauses - eingeteilt werden. Angesichts etwa der Zersiedelung und des erhöhten Verkehrsaufkommens stellen die Gegner die Frage, ob ein Einfamilienhaus überhaupt noch moralisch und der nächsten Generation gegenüber zu verantworten sei. Die Befürworter stellen die Gegenfrage, ob überhaupt jemand das moralischen Recht besäße, der Mittelschicht, die zum Nutznießer des Wohnens in den städtischen Randzonen in den Nachkriegsjahren geworden ist, das erträumte und hart erarbeitete Einfamilienhaus zu verbieten?
Wo liegt also das Problem? Das Problem liegt, wie fast immer, in uns. Die Mittelschicht hat einen hohen materiellen Wohlstand erreicht, eine hohe Lebens- und Wohnqualität. Sie kann ihre Wohnträume verwirklichen. Seitens der Bauwirtschaft wird um diese potentiellen Kunden so intensiv geworben wie noch nie zuvor. Durch die Wohnleitbilder - u.a. auch die politischen Wohnleitvorstellungen und Förderungsmaßnahmen auf der Ebene der Länder und Gemeinden, durch die Werbung, Messen, Filme usw. und durch ein breites Angebot an Häusern und Wohnungen, vermittelt durch die Wohnbauträger und die Immobilienbranche, sowie mit Hilfe zahlreicher Finanzierungsangebote diverser Kreditinstitute, die selbstverständlich in der Lage sind, unsere "Wohnträume" verwirklichen zu können - wird der Wunsch nach einem eigenen Haus im Grünen noch zusätzlich stimuliert.
Wir werden überhäuft mit instrumentalisierten Botschaften in der Form von Prospekten, Wohnzeitschriften, Plakaten, Fernsehwerbung usw., die uns diktieren, wie wir zu leben und zu wohnen haben. Es wird mit unseren Sehnsüchten und Wünschen gearbeitet (MAYER 2002b). Unsere Wohnträume können laut Werbung leicht erfüllt werden. Leistbares Wohnen, d.h. Kostenminimierung, ist der Werbeslogan der Fertigteilhausfirmen: Die Bungalows heißen jetzt Einfamilienvillen, man wohnt im Landhausstil oder ganz präzise im französischen Landhausstil, falls die Häuser Mansardendächer haben. Es fehlt natürlich vielen schwer, diesen Verlockungen, unsere Wohnträume erfüllen zu können, zu widerstehen (ebenda). Für die Freizeitgesellschaft, die das "Naturerlebnis" sucht, werden inszenierte Lebens- und Wohnwelten an einem Feuchtbiotop (Schwimmteich), womöglich mit einem Golfplatz in der Nähe, angeboten. "Wohnen wie im Urlaub" in diesen Seeparks bzw. Residenzen wird uns versprochen. Wer "umwelt- und kostenbewusst" ist, entscheidet sich für die von diversen Developern angepriesene "sinnvolle Bebauung mit Einfamilien-, Doppel- und Reihenhäusern, die die Kosten für Ihr Eigenheim erheblich reduzieren kann". Und "eine leichte Erreichbarkeit der City mit dem Auto" wird selbstverständlich auch garantiert. Ohne Auto geht selbstverständlich nichts in diesen neuen Wohnparadiesen.
In der Postsuburbia geht es nicht um die Bewunderung der Natur, sondern um ihre Stilisierung. Man könnte sich hier fragen, wieviel Kultur veträgt die Natur? Die so oft gepriesene Landruhe im Gegensatz zum Lärm der Stadt ist längst zu einem Mythos geworden. Das Wohnen im Grünen wird durch ein regelmäßiges "Rasenmäher-Concerto-grosso" untermalt, das von der Musik der überfliegenden Jets und vom Autobahnlärm als Hintergrundmusik begleitet wird. Ist das letzte Unkraut beseitigt, so kommen die Thujen an der Grundstücksgrenze dran. Sie werden - mit der Motorsäge geformt - zu einer strengen Hecke, die in einer Linie mit der oberen Kante des Zauns verläuft. Ein kleines "Schönbrunn zu Hause". Falls man in der glücklichen Lage ist, einen langen Garten ohne einen dritten Nachbarn zu besitzen, so bietet sich der Fluchtweg nach hinten an. Doch auch hier ist keine Spur von einem ungestörten Aufenthalt in der Natur. Der Nachbar links grillt gerade seine Steaks und der rechte verbrennt in stiller Abschiedenheit die abgeschnittenen Baumäste. Die letzte Möglichkeit bietet die Flucht in den angrenzenden Weingarten. Das Murmeln des Traktors des Weinbauern hört sich dann beinahe idyllisch an. Die Idylle ist aber beinahe wieder vorbei, wenn man auf dem so genannten Promenadenweg in Hundekot tritt.
Das individuelle Eigenheim vermittelt uns nicht nur ein Gefühl der Freiheit und Unabhängigkeit, sondern es bietet auch mehr Wohnkomfort und mehr Raum für diverse Hobbys. Das Eigenhaus kann aber auch als ein Teil der Inszenierung der eigenen Persönlichkeit, als ein Identifikationsobjekt, in dem man seine eigene Kreativität und seine Ambitionen verwirklichen kann, interpretiert werden. So entflammt heute z.B. eine neue Welle des "Gardenings" und die Gartenfachgeschäfte prosperieren wie noch nie zuvor. Viele entdecken die Gartenarbeit als eine Art Entspannung vom Arbeitsstress. Neben dem gemähten Rasen in der Mitte der Gartenfläche (das Gartenideal der 1960er und 1970er Jahre) sind es heute exotische und mediterrane Einflüsse (Asien, v.a. Feng-Shui, Provence, Toskana) sowie die Biowelle, welche die Gestaltung des modernen Gartens prägen. Ein Biotop ist heute fast ein Muss. Bei vielen Wohlhabenden handelt es sich dabei nicht mehr um ein Hobby, das mit einer unmittelbaren Gartenarbeit im traditionellen Sinne verbunden ist, sondern Gartenentwurf und -pflege werden den Professionisten überlassen. So war das früher bei Aristokratie und Großbürgertum der Fall. Das Haus und der Garten werden zum Objekt der Inszenierung, der Erholung und des Genusses. Das Einfamilienhaus war und ist gleichzeitig ein Prestigeobjekt, ein Statussymbol für die sozioökonomisch aufstrebenden Schichten.
Welche sind aber die Alternativen zum Einfamilienhaus im Wiener Umland? Ist das Umland in der Lage oder überhaupt bereit, wie es Walter PRIGGE (1998) vorschlägt, die "neue Urbanität" hier zu vermitteln? Im Süden von Wien plante ursprünglich 1957 Roland Rainer eine "Stadt der Zukunft" für 10.000 Einwohner als Beitrag zur Entwicklung der so genannten Bandstadt (eine Siedlungskette zwischen Wien und Wiener Neustadt). Das von Rainer entworfene Atriumhaus stellt eine wirtschaftlich und städtebaulich für die große Masse realisierbare Hausform dar und erfüllt den Wunsch der Bevölkerung nach einem Einfamilienhaus. Realisiert wurde in der Südstadt aber schließlich zwischen 1960 und 1976 ein Konzept mit mehrgeschossigen Scheibenhäusern in Kombination mit verdichtetem Flachbau.
Der mehrgeschossige Wohnbau (ausgenommen die Arbeiterhäuser, wie z.B. die der Wienerberger Ziegelarbeiter sowie die Arbeitersiedlungen in Guntramsdorf aus der Zwischenkriegszeit) gehört gewiss nicht zur baulichen Tradition des Wiener Umlandes. Ein verstärkter Einzug des mehrgeschossigen Wohnhauses in diesen Raum wurde erst in den 1950er Jahren verzeichnet. Es handelte sich zunächst um die aus dem Wiener Gemeindewohnbau der 1950er Jahre bekannten Häusertypen. In den 1960er und 1970er Jahren war der Einzug des mehrgeschossigen Wohnhauses in das Wiener Umland nicht mehr zu bremsen. Eine Bauperiode, in der man sowohl in der Stadt als auch im Umland ohne Rücksicht auf die vorhandene Bausubstanz und bereits existente Siedlungsstrukturen in die Höhe baute.
Heute sind die Randgebiete nicht mehr nur durch das Einfamilienhaus geprägt, es werden immer mehr Siedlungsanlagen mit mehrgeschossigen Wohnhausanlagen errichtet. Die städtischen Bau- und Wohnformen breiten sich am Rand der Umlandsiedlungen aus. Aufgrund der steigenden Grundstückspreise verschiebt sich die Bautätigkeit immer weiter in die äußeren Gebiete des Umlandes, wo die Grundstücke billiger sind als in unmittelbarer Nähe der Großstadt.
Auch am Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich nichts an der Tatsache geändert, dass auch im Umland von Wien nur ganz wenige Einfamilienhäuser unter Miteinbeziehung eines Architekten errichtet werden (MAYER & DASTEL 2004). Den Architekten bieten allerdings die Randgebiete eine außerordentliche Gestaltungsfreiheit. Hier kann der Architekt Ideen verwirklichen, die im engen städtischen Raum kaum möglich wären. Es gibt viele Facetten des neuen Bauens im Umland von Wien, viele Architekten und Projekte wurden in diversen Veröffentlichungen gewürdigt (ZSCHOKKE 1997; ISWB 2004). Wenn es um Konzepte und Wohnformen geht, so heißen die Schlagworte: das Einfamilienhaus, das Reihenhaus, der verdichtete Flachbau und die Gruppenwohnprojekte. Betreffend die Bautechnologien stehen das kostengünstige Bauen und kostensparende Systeme, etwa die Modulbauweise, im Vordergrund. Das Ziel ist die Leistbarkeit der neuen Häuser, die sich sowohl formal als auch in Bezug auf ihre Konstruktion an optimalen ökologischen und baubiologischen Kriterien orientieren. Bei den energetischen Konzepten geht es um die erhöhte Energieeffizienz und erneuerbare Energieträger (solare Niedrigenergiebauweise und das Passivhaus).
Standen die architektonischen Konzepte aus den 1980er Jahren unter dem Einfluss der Baubiologie und des kritischen Regionalismus, so handelt es sich bei den Bauwerken der 1990er Jahre um eine Neuinterpretation der Zwischenkriegszeitmoderne, d.h. die Idee der Nützlichkeit und die Verbesserung stehen im Vordergrund. Nach der postmodernen Rückbesinnung auf die Tradition in den 1980er Jahren kommen wieder die Technologie, Form und Funktion, eine internationale bzw. globalisierte Architektur, die nach einem harmonischen Gleichgewicht zwischen dem Haus und der Landschaft, räumlicher Großzügigkeit sowie Weite, Transparenz und Klarheit sucht. Die regionale Kodierung steht nicht mehr zur Diskussion, vielmehr Energieersparnis, Umweltverträglichkeit und bessere Bauqualität, eine Architektur, die überall in vergleichbaren Landschaften errichtet werden kann. Garten und Schwimmbad weisen auf die Bedeutung der Freizeit hin. Es gibt aber weiterhin ein Allzuwenig an visionären Haus- und Wohnformen. Das zeitgenössische Bauen in den Randgebieten der Städte ist nicht in der Lage, die neue Identität dieser Gebiete zu prägen und fördern.
Die folgenden Thesen sollen als Grundlage bzw. Anregung für eine weitere Diskussion zu diesem Thema dienen:
Der Unterschied zwischen elitärer Architektur und Massenwohnbau wird in den Randzonen weiterhin bestehen.
Durch die teilweise Verlagerung des Arbeitens in den Wohnbereich wird das Interesse für das Wohnen im Umland von Wien weiterhin ansteigen.
Durch die neuen Lebensstile, Wohnansprüche und demographischen Entwicklungen werden sich die Sehnsucht der Menschen nach dem Wohnen im Grünen, die Tendenz zum höheren Wohnflächenbedarf und der hohe Motorisierungsgrad weiter verstärken.
Angesichts der sich bereits abzeichnenden gesellschaftlichen Trends und der Pluralität der Lebensstile wird auch in den Randgebieten eine größere Variabilität der Wohnformen entstehen.
"Trotz der weltweiten Verbreitung der Zwischenstadt stehen ihr als eine Gestaltungsaufgabe bis jetzt noch alle Kulturen ziemlich ratlos und ohne Konzept gegenüber. ... Die Aufgabe ist mit den herkömmlichen Mitteln des Städtebaus und der Architektur nicht mehr lösbar, es müßten neue Wege beschritten werden, die aber noch unklar sind" (SIEVERTS 1999: 23).
Die Stadterweiterungsprozesse werden sich in das Landesinnere weiter fortsetzen. Das Problem der Zersiedelung in den Randgebieten bleibt damit bestehen. Eine generelle Tendenz zur dezentralen Konzentration, d.h. die Stärkung kleinerer regionaler Zentren, wäre im Wiener Umland daher wünschenswert. Dies hängt natürlich mit der räumlichen Entwicklung des Verkehrs zusammen. Die Erhöhung der Attraktivität städtischer Wohnformen und leistbare Wohnungen in der Stadt bedürften als Maßnahmen gegen die Stadtflucht verstärkter Forcierung.
Die Probleme des Umlandes erfordern ein komplexes Denken. Ein komplexes Denken erfordert jedoch eine Vernetzung des Wissens. Ein transdisziplinärer Ansatz ist hier unumgänglich.
In Übereinstimmung mit Sieverts: Einer der neuen Wege könnte der Aufbruch zu einem neuen regionalen Bewusstsein sein. Die Entwicklungen und Probleme der Stadt und des Umlandes kann man nicht mehr trennen. Es muss ein lebendiges regionales Bewusstsein in Form einer Zusammenarbeit entstehen.
Das städtische Umland muss aber zuerst als ein Raumkörper mit einer eigenständigen Identität begriffen werden. Wir müssen lernen, die städtischen Randzonen nicht nur aus der einseitigen Perspektive der Stadt zu sehen. Wir müssen uns fragen: "Welche sind die kulturellen, ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Werte der Randgebiete? Wie kann die Stadt vom Umland lernen? Es müssen verborgene Qualitäten und Zusammenhänge sichtbar gemacht werden. Es geht dabei nicht nur um die ökonomisch-funktionalen Qualitäten der Randgebiete. Die Lebens- und Wohnqualität sowie die intakte Kulturlandschaft und die Erhaltung der Natur spielen schließlich nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für die Beurteilung des Wirtschaftsstandortes eine wichtige Rolle.
© Vera Mayer (Wien)
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