Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. Spetember 2004
 

4.9. Transkulturelle Stereotype in den Kunst- und Literaturwerken
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Tamara Fessenko (Tambov/Russland)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Metapher als Verbindende von Sprachkulturen

Ekaterina Ryabykh (Tambover Staatliche Dershavin-Universität, Tambov, Rußland)

 

Auf der modernen Entwicklungsetappe der Sprachwissenschaft gilt die Metapher als ein kompliziertes und bedeutendes Sprachphänomen, weil sie dem Spiegel ähnlich ist, in dem sich bildlich die Umwelt spiegelt. Es ist unbestritten, daß diese Wirklichkeit nicht nur einfach kopiert, sondern in bedeutendem Grade im Bewußtsein des Volkes wegen der nationalen Weltanschauung verändert wird. Aber ein bestimmter Teil dieser Wirklichkeit wird von Vertretern der verschiedenen Sprachkulturen fast identisch wahrgenommen. Meistens hängt es damit zusammen, daß die Menschen unbewußt die Nationalgrenzen zu verlassen versuchen und nach dem universalen, einheitlichen "Durchlesen" der Welt streben.

Die Metapher leistet einen Beitrag sowohl zur Feststellung von "Nationalbedeutungen" und also zur Aussonderung der Besonderheiten von verschiedenen Mentalitäten als auch zum Nachweis von "standfesten Universalbedeutungen", die für vielen Sprachen charakteristisch sind und sie unmittelbar verbinden könnten. Das ist teilweise möglich dank ihrer wesentlichen Rolle in dem Konzeptualisationsprozeß. Unter der Konzeptualisierung verstehen wir nach N.N. Boldyrev mentale Verarbeitung der erhaltenden Information, die zur Herausbildung von Vorstellungen über die Welt in der Form von Konzepten und anderen mentalen Strukturen führt (Boldyrev 2000: 22). Vor allem verwirklicht die Metapher ihre konzeptuale Rolle durch die Bezeichnung von Gegenständen der virtualen Welt. Dabei bildet sie und bringt zum Ausdruck ein Konzept durch das andere oder seinen Namen, hilft ihm sich im Bewußtsein zu offenbaren und weiter zu verbalisieren. Oft wird sie auch zur Erweiterung von Vorstellungen über zahlreiche Gegenstände herangezogen, die wirklich vorhanden sind und visuell von allen wahrgenommen werden.

In diesem Zusammenhang kann die Analyse von Konzepten aus verschiedenen Sprachkulturen in metaphorischer Widerspiegelung zur Aussonderung von Gebieten der Koinzidenz und Divergenz beitragen. Die Gebiete der Koinzidenz gewährleisten dabei gegenseitiges Verständnis von Gesprächspartnern, wie T.A. Fessenko gezeigt hat (Fessenko 2002: 183).

Auf diese Weise kann man einerseits über die sogennanten Kulturkonzepte sprechen, die spezifische Lebenserfahrung des Volkes ausdrücken und andererseits - über die Transkulturkonzepte, die universal für die Menschheit im großen und ganzen trotz ihrer in verschiedenen Sprachen unterschiedlichen "verbalen Kleidung" sind. Die Aussonderung von Transkulturkonzepten ermöglicht viele Kommunikationshindernisse wegzuschaffen und die Verständlichkeit der verschiedenen Kulturträger zu erleichtern. Da die Metapher in der Aussonderung von Transkulturkonzepten eine große Rolle spielt, übt sie kulturverbindende Funktion aus.

Versuchen wir das am Beispiel der Gegenüberstellung der metaphorischen Widerspiegelung des Konzeptes "die Luna / der Mond" in den Ausgangs- und Zieltexten der russischen und deutschen Sprachen zu beweisen, das von uns als ein Transkulturkonzept verstanden wird. Zuerst betonen wir aber, daß in der russichen Sprache neben dem Wort "LUNA" ("die Luna") auch das Wort "MES'AC" ("der Mond") sehr gebräuchlich ist. In der deutschen Sprache entspricht diesen beiden russischen Wörtern nur ein Wort - "der Mond" ("MES'AC") (z.B.: der zunehmende Mond 'molodoj mes'ac', der abnehmende Mond 'mes'ac na uscerbe', der Vollmond 'polnyj mes'ac', der Halbmond 'polumes'ac', der Neumond 'novolunje', die Scheibe des Mondes 'disk luny', die Sichel des Mondes 'serp luny' und so weiter. Das Wort "die Luna" findet breite Anwendung in poetischen Texten, doch in der Umgangssprache ist nicht so üblich.

Es wurde nach der Analyse festgestellt, daß metaphorische Widerspiegelung des Konzeptes "die Luna / der Mond" in den Ausgangs- und Zieltexten der russischen und deutschen Sprachkulturen im großen und ganzen übereinstimmen. Da braucht man sich nicht zu wundern, weil diese Völker, wie man sagt, von einer Wiege abgestammt sind. Sie haben aus den gleichen Höhlen identische Bilder beobachtet, in engen Verbindungen miteiander gestanden und endlich stehen sie auf den nahen Entwicklungsstufen (Snisarenko 1989: 103). Außerdem ist das auch mit der gemeinsamen Bestimmung dieses fundamentalen Gegenstandes der sichtbaren Welt für Vertreter der russischen und deutschen Sprachkulturen verbunden. Wäre dieses Fundament, nach der Meinung von A. Weshbitskaja in jedem Fall engspezifisch, dann würden Vertreter von verschiedenen Sprachkulturen zu den verschiedenen Dimensionen, Welten gehören. Kaum könnten sie einander verstehen, was in Widerspruch mit der Menschenheitserfahrung steht (Vezbickaja 1999: 17).

Die durchgeführte Analyse ermöglicht festzustellen, daß in beiden Sprachen besonders produktiv die anthropomorphische Metapher ist. Das hängt mit der angeborenen Neigung des Menschen die neu erhaltende Information unter dem Gesichtspunkt seines "Ich" zu betrachten. Unter diesem Typ prevalieren verbale Formen. Das zeugt davon, daß in beiden Sprachkulturen die Menschenhandlungen und nicht ihr Äusseres aktualisiert werden.

So "sieht" z.B. "die Luna / der Mond" dem Menschen ähnlich - Ticho smotrit mes'ac jasnyj / V kolybel' tvoju (Ruhig blickt der Mond ins Stübchen) (Lermontov M., «Kazacja kolybel'naja pesn'a», s. 190 / Lermontow M., «Wiegenlied einer Kosakenmutter», s. 191 (übers. von Andreas Ascharin); "wandelt" - Aber des Nachts, / Am Himmel, wandelt Luna (A nocju / Po nebu brodit luna) (Heine H., «Sonnenuntergang», s. 170 / Gejne G., «Zakat solnca», ñ. 88 (übers. von M. Michajlov); "liebt" - Liebt sie (die Luna) noch immer / den schönen Gemahl (Vs'o jesco l'ubit luna / Krasavca muza) (Heine H., «Sonnenuntergang», s. 171 / Gejne G., «Zakat solnca», ñ. 89 (übers. von M. Michajlov); "lacht, lächelt" - Sonne, Mond und Sterne lachen (Solnce, mes'ac - vse smejuts'a) (Heine H., «Wer zum ersten Male liebt», s. 127 / Gejne G., «Kto vpervyje v zizni l'ubit», s. 71 (übers. von V. Levik); "spricht" - Und mit heller Stimme spricht er (der Mond): «...» (Molvit mes'ac im v otvet: «...») (Heine H., «An dem stillen Meeresstrand», s. 226 / Gejne G., «Na pustynnyj bereg mor'a», s. 126 (übers. von V. Levik); "hört" - I mes'ac, i zv'ozdy, i tuci tolpoj / Vnimali toj pesne sv'atoj (Und Sterne und Mond und die Wolken all, / Sie lauschten dem heiligen Hall) (Lermontov M., «Angel», s. 60 / Lermontow M., «Der Engel», s. 61 (übers. von Uwe Gruening); "singt" - Es singt den Wolkenschafen / Der Mond ein Lied (I tuci sp'at, kak deti, - / Luna pojot) (Brentano Cl., «Nun, gute Nacht, mein Leben», s. 48 / Brentano Kl., «Na Rejne noc' nastala», s. 203 (übers. von V. Toporov).

Es muß darauf hingewiesen werden, daß es in der Reihe von angeführten Beispielen sehr schwer ist, die Grenzen der anthropomorphischen und zoomorphischen Metapher festzulegen, weil viele Verben aktuell für die Bezeichnung der Handlungen von jedem lebendigen Wesen sind. Nur auf Grund davon, daß viele von diesen Handlungen qualitativ sind, schreiben wir sie dem Menschen zu.

Infolge der mentalen Verarbeitung von den konzeptualen Metaphern gewinnt "die Luna" eine Gestalt der Göttin und der sorgsamen aber armen Mutter, der weichen, milden und zarten Frau, die immer noch ihren schönen Gemahl liebt. Führen wir ein Beispiel dazu an:

Aber des Nachts,
Am Himmel, wandelt Luna,
Die Arme Mutter,
Mit ihren verwaisten Sternenkindern.

A nocju
Po nebu brodit luna,
Bednaja mat'
So svoimi sirotkami-zv'ozdami.

(Heine H., «Sonnenuntergang», s. 171 / Gejne G., «Zakat solnca», ñ. 89 (übers. von M. Michajlov).

"Der Mond" wird von Vertretern der beiden Sprachkulturen meistens identisch aufgefasst. Er ist ein lustiger Kerl, der in schwerer Situation jemandem mit Rat und Tat zur Seite stehen kann; ein alter Vertrauter, auf den man sich verlassen kann. Z.B.:

Der Mond ist mein Begleiter,
Er leuchtet mir freundlich vor;
Da bin ich an ihrem Hause,
Und freundig ruf ich empor;
«Ich danke dir, alter Vertrauter,...»

Moj provozatyj - mes'ac -
Mne ozar'ajet t'mu;
Dovel do dveri miloj,
I ja govor'u jemu:
«Spasibo, staryj tovarisc, ...»

(Heine H., «Wie dunkle Traeume stehen », s. 132/ Gejne G., «Kak temnyj r'ad videnij», s. 89 (übers. von V. Gippius).

Außerdem ist er auch Hirt. In grauer Vorzeit glaubte man daran, daß er sagenhafte Himmelsherden leitete, aber nach Verlust des bewußten Verhältnisses zur altertümlichen Vorstellung wurde ihm zugeschrieben, übliche Erdherden unter Schutz zu nehmen (Slav'anskaja mifologija 1998: 22). Dieses Motiv wird sowohl in dem Ausganstext (AT) als auch in dem Zieltext (ZT) geoffenbart. Z.B.:

Mond, der Hirt, lenkt seine Herde
Einsam über Wald herauf,
Unten auf der stillen Erde
Wacht verschwiegne Liebe auf...

Pastyr' - mes'ac gonit smelo
V nebesach stada svoi.
Prosypat's'a, znat', prispelo
Pritaivsejs'a l'ubvi...

(Eichendorff J. von., «Der stille Freier», s. 355 / Ejchendorf J., «Tichij zenich», s. 193 (übers. von Poel' Karp).

Es ist zu betonen, daß im Gedächtnis des AT-Autors noch die sagenhafte Gestalt des Mondes lebendig ist, der die Himmelsherden leitet, während der ZT-Autor der Meinung ist, daß der Mond die Erdherden beschützt.

Zusammenfassend ist es festzustellen, daß auf Grund der Metapher das Vorhandensein von identischen Gestalten im Bewußtsein der Vertreter von beiden Sprachkulturen zu konstatieren ist. Das hängt mit der wesentlichen Ähnlichkeit der Lebenserfahrung von Vertretern der russischen und deutschen Sprachkulturen, mit ihren gemeinsamen Kulturfonds zusammen. Man kann wohl behaupten, daß die Metapher universale, für alle Sprachen kennzeichnende Besonderheiten feststellt, die von Universalkultureinheiten zeugen. Die Konzepte "die Luna / der Mond" gehören zu den Transkulturkonzepten, weil sie fundamental für beide Sprachkulturen sind und fast identische Züge sowohl in verbalen als auch in mentalen Gestalten zeigen. Da die Metapher in der Aussonderung von Transkulturkonzepten eine große Rolle spielt, übt sie kulturverbindende Funktion aus. Die Anerkennung dieser Tatsache ist in der Globalisationsperiode sehr wichtig.

© Ekaterina Ryabykh (Tambover Staatliche Dershavin-Universität, Tambov, Rußland)


LITERATURVERZEICHNIS

1. Boldyrev N.N. Kognitivnaja semantika: Kurs lekcij po anglijskoj filologii. Tambov: Izd-vo Tamb. un-ta, 2000. - 123 s.

2. Vezbickaja A. Semanticeskije universalii i opisanije jazykov. - M.: «Jazyki russkoj kultury», 1999. - 780 s.

3. Slav'anskaja mifologija. Slovar'-spravocnik / Sost. L.M. Vagurina. - M.: Linor & Soversenstvo, 1998. - 320 s.

4. Snisarenko A.B. Tretij pojas mudrosti: Blesk jazyceskoj Evropy. - Lenizdat, 1989. - 286 s.

5. Fessenko T.A. Specifika nacionalnogo kulturnogo prostranstva v zerkale perevoda: Ucebnoje posobije. - Tambov: Izd-vo TGU im. G.R. Derzavina, 2002. - 228 s.


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Ekaterina Ryabykh (Tambov, Rußland): Metapher als Verbindende von Sprachkulturen. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/04_09/ryabykh15.htm

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