Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. März 2004
 

5.4. Europa / Afrika Das Fremde als das andere Eigene
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Walter Weyers (Landestheater Schwaben, Memmingen)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Das Fremde als das andere Eigene. Einige Gedanken über Identität

Walter Weyers (Landestheater Schwaben, Memmingen)
[BIO]

 

Der Mensch rebelliert sein Leben lang.

Es ist das Sein selbst, gegen das er sich wendet. Er ist das gegen sich selbst gerichtete Sein. - Das fraglos hingeworfene Sein, das sich findet. -

Der Mensch ist da ganz Mensch, wo ihm sein Nicht-Sein in Erscheinung tritt. Als Ungeheuerlichkeit des unfassbar Gegebenen, gleichwohl nicht Verbürgten. Als pures, gefräßiges Da. - Das sich verflüchtigende Sein ist nicht messbar an den Dingen. Des Raums in solcher Reflexion enthoben sind wir nicht Gefesselte in der realen Welt, sondern Ausgesetzte in der inneren.

  • Was ist von der Art, uns den Selbstwiderspruch schmackhaft zu machen? Den sich selbst verbrennenden Blick?
  • Es ist der Schmerz. Er ist inniger, verlässlicher und letzter Ausdruck unserer Existenz. Ich leide, also bin ich. Und der Zweifel noch daran vergrößert nur den Schmerz…

    Auch was wir bergen und horten - ohne es übrigens zu leben. Ungelebtes.

    Alles was wir sind, ist Ausschluss dessen, was wir nicht sind. Alles, was uns definiert (und wir sind nichts als dieses Alles) schränkt den Horizont absoluter Freiheit ein. Die wahre Freiheit ist das Nichts. Nur die nicht genützte Freiheit schützt den offenen Blick auf das Ganze.

    Da hilft es nicht, zu sagen, dies sei eine leere Freiheit, die nicht nach Entschluss und Tat und Selbstbestimmung verlange. Auch Selbstbestimmung ist Bestimmung, in der sich das Selbst, fremd bestimmt durch Vererbung und Sozialisation, seinen eigenen Begriff zunichte macht.

    Selbstbestimmung ist Selbstleugnung. -

    So ist auch der vollständige Begriff von allem noch Ungelebten bei genauem Hinsehen nichts anderes als eine gedachte Erweiterung unseres Nicht-Seins. Und im sogenannten "Unbewussten" der Psychologie wird nur ein weiterer Raum gedacht, aus dem es kein Entrinnen gibt. Die Flucht in diesen Raum, ins Erkennen des als ungelebt und traumatisierend Gedachten, des Unbewältigten, Hervorzuholenden unter Maßgabe des Gesundens, führt nur in die nächste Beschränkung.

    Mag sein, es geht mir besser nach dem Blick in die Dunkelheit, es geht besser mit mir. Es geht jetzt. Es nimmt einen erträglicheren Verlauf mit mir. - Es.-

    Nicht das Ich aber findet sich. Denn das findet sich nur als reine Vorstellung, selbst vom eigenen Begriff noch befreit. - Also am ehesten in dem, was wir als das Nichts bezeichnen. Das, was es nicht gibt. Also das konkrete Hinaus auf das, was wir wollen, nämlich das von uns zu Unterscheidende, dessen stumme Gegenwart der Schmerz spiegelt und das unserer Anwesenheit wohl nicht bedarf.

    So ist der Mensch danach ausgerichtet, nicht das zu sein, was ihm seine Begriffe hergeben. Die Konstruktion des Ich leitet sich aus Autonomie her. Diese bedarf der Freiheit. Die aber ist nur als Nicht-Freiheit (als Gegebenes, das sich als nicht gegeben setzt) in Sicht. Ich ist demnach der Begriff von etwas, das es nicht gibt. Etwas, das nicht ist, ist der Bezugspunkt der Wahrnehmungen. -

    Demnach sind wir in ganzer Tragweite Differenz. Wir sind uns selbst gegebene Differenz.

    - Anders gesagt:

    Wir sind das sich selbst übereignete Fremde.

    Wollen wir uns ausmachen, müssen wir nach dem Fremden greifen.

    Denn nur das eignet uns. -

    Warum aber? Welche Verheißung gibt uns Anlass?

    Zum Einen: Folgen wir der Richtung des Wurfs, erleiden wir keinen Widerstand.

    Zum Zweiten: In der Begegnung mit den anderen Fremden (also sich selber Fremden) sehen wir jene Fremdheit, die wir nur von innen kennen, nun von außen. Wir entdecken die Stille hinter den Vielen, die sich da sammeln. Sie wird uns zum Zeichen für das Nichts, das wir nicht sind. Dämmerung hinter dem Spiegel, Trost.

    Gelassenheit übrigens im Erblicken all dessen, was jene jeweils leben, des Menschen-möglichen. Gefangene sind wir alle im uns zu Teil Gewordenen.

    Ermuntert auch können wir uns austauschen. Zwar wird es den kalten, hellen Schmerz in uns nicht trüben, den kein Mittel heilt. Doch mögen wir auf Besseres sinnen. Eine gerechtere Welt, in der unsere Bestimmungen vorteilhafter aufeinander abgestimmt, unsere Bedrängnisse durch Einsicht gemindert werden.

    Hier aber ist die Rede von der Undurchdringlichkeit der Mauern. -

    Und von Trost. Der das Gegebene nicht wendet, aber unsere Qualen lindert. - Die Differenz ist einsam. Genauer: sie ist das nackte Eine, das sich dem Nichts gegenübersieht. In blinder Be - stürzung oder erkennend nach innen gewandt, dem Grauen konfrontiert.

    Tauchen am Horizont der Differenz, die wir sind, andere auf, ebensolche Differenzen, so teilen wir die Einsamkeit. Wir teilen den Schmerz, nicht da zu sein, wo wir hinaus denken. - Haut an Haut mögen wir stehen, Wärme austauschend. Versammelt im Heraus-Starren des Nicht-Seins aus dem dunklen Schlund des Universums.

    Nein, ich gleiche nicht mir, aber ich gleiche allen, die sich nicht gleichen.

    Das ist der Trost der Einsamen. Sich zu gleichen. In der Fremde.

    Nur wer das Fremde willkommen heißt, findet zu sich.

    © Walter Weyers (Landestheater Schwaben, Memmingen)

    5.4. Europa / Afrika Das Fremde als das andere Eigene

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    For quotation purposes:
    Walter Weyers (Landestheater Schwaben, Memmingen): Das Fremde als das andere Eigene. Einige Gedanken über Identität. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/05_04/weyers15.htm

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