Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. August 2004
 

5.8. Literatur versus Nation
HerausgeberInnen | Editors | Éditeurs: Alessandra Schininà/Giuseppe Dolei (Catania)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Zwischen Europa und Deutschland: der Fall Klaus Mann

Karin Spiller (Università di Catania)

 

 
"Ein Schriftsteller, der politische Gegenstände in sein künstlerisches Schaffen einbeziehen will, muß an der
Politik gelitten haben, ebenso tief und bitter, wie er
an der Liebe gelitten haben muß, um über sie zu
schreiben. Er muß furchtbar gelitten haben: Dies
ist der Preis, billiger kommt er nicht weg.".
Klaus Mann, Der Wendepunkt(1)

Bei Überlegungen zum Thema "Literatur versus Nation bei deutschsprachigen Künstlern des XIX und XX Jahrhunderts" kann wohl kaum eine andere Epoche spontaner in den Sinn kommen als die der 12jährigen Hitlerdiktatur, in der unzählige demokratische Schriftsteller, Intellektuelle und Künstler aus verschiedensten Gründen und auf unterschiedliche Weise sich gegen das Land zu stellen gezwungen sahen, das ihr Vaterland war. Stellungnahme wurde verlangt nicht nur von denen, die aus religiösen Gründen plötzlich nicht mehr als "gute Deutsche" betrachtet wurden, sondern vielmehr auch von denen, die aus moralisch-freiheitlichen Gründen unschwer tatenlos zuschauen konnten, wie ihr Vaterland, das seit dem Ende des Ersten Weltkrieges schon in genügend chaotische Zustände verwickelt war, nun direkt in eine nationalsozialistische Diktatur hineinlief.

Auch durch noch so ernstzunehmende, früh einsetzende Warnrufe von seiten einiger deutscher Intellektuellen und Schriftsteller konnte, wie wir alle wissen, nichts verhindert werden. Wir wissen auch, wie groß die Anzahl derer war, die unter schwierigsten Umständen das Exil wählen mußten und mit welchem Einsatz viele Schriftsteller von außen das Regime zu bekämpfen versuchten. Über die deutsche Exilliteratur ist in den letzten beiden Jahrzehnten viel gesprochen worden und die Forschung hat sich weitgehend mit dem Thema beschäftigt.

Vielleicht ist man aber noch immer nicht allen Schriftstellern, die sich damals voll und ganz einsetzten, gerecht geworden, oder aber sie sind einfach nur in Fachkreisen besser bekannt, und das große Publikum hat sie noch nicht wirklich entdeckt. Zu diesen gehört auch Klaus Mann, Sohn von Thomas und somit Neffe von Heinrich. Klaus Heinrich Thomas Mann ist in der Tat sein vollständiger Name (wobei Klaus auch der Name des Zwillingsbruders seiner Mutter Katia, geborene Pringsheim ist). Er gehört also zu der Familie, von der Marcel Reich-Ranicki sagt, daß es in Deutschland in diesem Jahrhundert keine bedeutendere, originellere und interessantere Familie gegeben habe als sie(2), aber für ihn war Klaus gleich dreimal geschlagen, wie er ohne Umschweife, fast als wolle er ihn abstempeln, bemerkt: "Er war homosexuell. Er war süchtig. Er war der Sohn Thomas Manns." (S. 202)

Klaus, das frühreife und hochbegabte Enfant terrible der Familie, fühlt sich sehr bald zum "Schreiben geboren"; schon als Kind drängt ihn sein "eingeborener Exhibitionismus"(3) dazu, Dramen und Balladen zu verfassen und diese mit der Schwester Erika und den Töchtern Wedekinds den Eltern und deren Freunden vorzutragen. Mit Leidenschaft verschreibt er sein Dasein der Literatur, und sein ganzes Leben lang wird er mit beunruhigender Geschwindigkeit immer wieder neue Schriften anfertigen. Derzeit liegen von ihm rund 9000 gedruckte Buchseiten vor. Es gibt also viel von ihm zu lesen, was allerdings nicht heißt, daß er tatsächlich vielgelesen ist.

Auch gehen die Beurteilungen seiner Werke weit auseinander. So können wir bei Reich-Ranicki lesen: "Nicht einer seiner Romane läßt sich von argen Geschmacksentgleisungen freisprechen, bisweilen geriet er auf die Ebene der Trivialliteratur" (MRR S. 214); an anderer Stelle spricht er sogar von "purer Hintertreppenliteratur" (S. 197). Vor allem: "Klaus Mann erzählte in den dreißiger Jahren, als habe es die moderne Prosa überhaupt nicht gegeben" (S.214) und weiter: "er war zu unruhig und zu ungeduldig, um an einem Absatz oder gar an einem einzigen Satz sorgfältig zu arbeiten: meist schrieb er die Worte hin, die er gerade zur Verfügung hatte. An anderen, besseren und genaueren, war ihm offenbar wenig gelegen: er hatte keine Lust, sie zu suchen. Ist es verwunderlich, daß dieser Schütze, der immer nervös und hastig zielte, häufig seine Objekte verfehlte? Eher sollte man sich wundern, daß es ihm mitunter gelang, ins Schwarze zu treffen."(S. 214) Ganz im Gegenteil: wie oft trifft er genau ins Schwarze. Sein klares Überschauen-Können der politischen Lage in Deutschland und Europa, gepaart mit seinem sicheren Instinkt lassen ihn früher als andere, fast mit seherischer Begabung, Dinge erkennen, die unweigerlich eintreten werden.

Und sein Stil? Zeugen die oft gleichsam journalistisch dahingeworfenen Bemerkungen nicht gerade von Lebendigkeit und Zeitnähe? Seine Tagebuchaufzeichnungen faszinieren oft durch die Fülle der Notizen, die auf knappem Raum gegeben werden, die seine immensen Literaturkenntnisse unter Beweis stellen, denn in vielen Situationen kann er Bezug auf große ihm Vorausgegangene nehmen. Man bleibt beeindruckt, wie er bei seinem hektischen Arbeitstempo immer noch Zeit findet, um zu lesen, ihm Bekanntes wiederzulesen, Neues zu erforschen. Seine so zahlreiche Korrespondenz mit allen bedeutenden Schriftstellern seiner Zeit und Vertretern der deutschen Kultur beeindruckt auch durch den Inhalt und hält noch ungeahnte Möglichkeiten der Forschung bereit.

An anderer Stelle gibt Reich-Ranicki allerdings zu, daß Klaus Mann von Literatur viel verstanden habe. Seine Aufsätze seien ein Beweis dafür. "Indes", führt er fort, "erinnert er an jene Essayisten und Kritiker, deren Geschmack und Qualitätssinn sich nur dann bewähren, wenn sie über die Arbeiten anderer urteilen." (S. 214) Schon anders sieht das Hans Mayer in seinem Artikel über Klaus Manns Tagebücher des Exils: "Er war ein deutscher Schriftsteller von Rang. Also nicht bloß ein Sohn von Thomas Mann, der "auch" schreibt. Als solchen Nachäffer hatten ihn in den Anfängen sowohl Tucholsky wie Brecht verstanden: wohl nicht ohne Grund. Doch der Sohn unternahm eine Riesenanstrengung, aus dem väterlichen Schatten zu treten. Das gelang. Am wenigsten mit den Romanen und Erzählungen. Vollkommen in der Essayistik und Literaturkritik. Hier hat Klaus Mann erstaunlich klar geurteilt: über die Anfänge von Ernst Bloch, von Horváth, über den frühen und früh bewunderten Gottfried Benn, viele andere noch. Er wäre einer unserer wichtigsten Kritiker geworden, wenn er sich das Weiterleben gestattet hätte. Vieles wäre dann verhindert worden"(4).

Wie dem jungen unbekannten Verehrer von Klaus Mann, der diesen wenige Wochen vor dem Selbstmord aufforderte, nach Deutschland zu kommen, "wo er so nötig gebraucht würde", so erscheint Klaus nicht nur für Marko Martin(5), sondern für viele der Leser seiner Briefe und Tagebücher, aber auch des Wendepunkts, noch heute als Zeitgenosse, dessen Tod zur Jahrhundertmitte eine gewaltige Lücke hinterlassen hat, der auch in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts durchaus etwas zu sagen gehabt hätte, "erst recht", wie Heribert Hoven zum 50. Todestag des Autors schrieb, "in den 60ern hat er gefehlt, als wir die Emigranten heimholten und mit den Vätern ins Gericht gingen, als eine idealistische Jugend erneut Tabubruch und Weltrevolution auf die Tagesordnung setzte, hätte er von seinen Erfahrungen berichten können."(6)

Möge es sich nun um positive oder negative Einschätzungen handeln, keiner der Kritiker oder Bewunderer von Klaus spricht diesem jedoch seinen scharfen Beobachtungsgeist und den klaren Blick ab, den er in politischer Hinsicht schon in den letzten Jahren der Weimarer Republik, d.h. also viel früher als so manch einer seiner illustren Schriftstellerkollegen bewiesen hat.

Im Hause Mann wurde nicht oft über Politik gesprochen und die Konversation, so erinnert sich Klaus im Wendepunkt (S. 119) drehte sich meist um kulturelle Dinge. Auch die Gäste schienen sich für Literatur und Musik mehr zu interessieren als für Wahlen oder Parteiprogramme. Das ästhetisch-literarische Interesse war somit weitaus größer bei dem Heranwachsenden als jeglicher Sinn für soziale oder politische Fragen.

Der Achtzehnjährige, der anonym der "Weltbühne" einige lyrisch-analytische Skizzen anbietet, aber als Sohn von Thomas Mann erkannt wird, begeht "den entscheidenden Fehler seiner jungen Karriere". (WP S.205) "Denn von nun an war ich in den Augen einer <literarischen Welt>, die in Deutschland noch etwas hämischer und eifersüchtiger ist als anderswo, der naseweise Sohn eines berühmten Vaters, der sich nicht entblödet, den Vorteil seiner Geburt geschäftstüchtig und reklamesüchtig auszunutzen." (WP S.205) Allerdings macht sich Klaus nicht immer genügend klar, daß er in seiner jugendlichen Exzentrizität dem Vater auch allerlei Peinlichkeiten bereitet.

Von nun an hat Klaus gegen das "problematische Glück" anzukämpfen, als Sohn des großen Thomas leben zu müssen und somit selten unvoreingenommene Leser für seine Veröffentlichungen zu finden. Alles, was er schreibt, wird instinktiv mit dem Werk des Vaters in Verbindung gebracht, und die "bitterste Problematik" seines Lebens bleibt die Anerkennung seines literarischen Schaffens durch den Vater, der ihm allgemein fremd und eiskalt gegenübersteht.

"Bis zum Jahre 1933", gesteht Klaus Mann im Wendepunkt, "glaubte ich, daß das Politische sich gleichsam mit der linken Hand erledigen ließe. Aber was immer man tut, womit man sich auch beschäftigt, es ist der volle Einsatz, der gefordert wird." (S.293) Zuvor hatte er sich jedoch schon auf der Suche nach einem Weg und ganz im Sinne der paneuropäischen Bewegungen der späten zwanziger Jahre ein eigenes politisches Glaubensbekenntnis und moralisch-geistiges Postulat aufgestellt, und dies hieß Europa! das zum Innbegriff des Schönen und Erstrebenswerten wurde. Dieses Europa ist für ihn Hellas, wo Epos und Tragödie entstehen, mit dem Traum vom vollkommenen Menschen, von der Freiheit, der Freude an der Diskussion, dem Willen zur Erkenntnis, dieses Hellas, das sich dann mit Rom verbindet. Das neue Gebilde, das solcherart entsteht, der römische Weltstaat griechischer Kultur, empfängt und trägt die Offenbarung des Christentums. Aus dieser Vermählung - hellenisches Freiheits- und Schönheitspathos, gestärkt durch römischen Ordnungssinn, erhellt durch die frohe Botschaft christlicher Nächstenliebe - ergibt sich das ewig gültige Gesetz, das Fundament okzidentaler Gesittung (vgl. WP S. 282). "Golgatha und die Akropolis sind die Garanten europäischer Zivilisation, europäischen Lebens. Dieser Kontinent setzt seine Würde, ja seine Existenz aufs Spiel, sobald er diese doppelte Basis und Verpflichtung - Hellas plus Christentum - verleugnet und vergißt." (WP S. 282)

"Das europäische Drama vollzieht sich in dialektischer Form", schreibt er weiter: "Jede Energie und Tendenz provoziert die eigene Opposition, auf jede These folgt die Antithese, und die scheinbare Synthese der Gegensätze ist nichts als ein neues Experiment, eine vorübergehende Konjunktion im Spiel der rivalisierenden Kräfte." (S. 283) "Das Machtzentrum des Kontinents war niemals lange stabil und die Etablierung einer neuen politischen Hegemonie bedeutete auch den zeitweiligen Triumpf eines bestimmten nationalen Lebensstils , einer Sprache, einer Philosophie. So hatte jede Schattierung im europäischen Kaleidoskop einmal ihre historisch bedingte Chance, die Färbung des gesamten Systems zu bestimmen, ohne aber von absoluter Art zu sein: Die anderen Elemente blieben unter der Oberfläche aktiv, immer bereit ihrerseits wieder führend zu werden." (S. 284) "Wehe dem Erdteil," sagt Klaus Mann vor mehr als 60 Jahren, "wehe der europäischen Kultur, wenn eine ihrer Komponenten sich jemals auf die Dauer die unbedingte Hegemonie über alle anderen anmaßen sollte! Permanente Vorherrschaft eines Bestandteiles wäre gleichbedeutend mit dem Zerfall, der Auflösung des Ganzen. Die Harmonie Europas beruht auf Dissonanzen. Das Gesetz, welches der Struktur, dem Wesen des europäischen Genies immanent ist, verbietet die totale Uniformierung, die Gleichschaltung des Kontinents. Europa gleichschalten, Europa auf einen Nenner bringen - sei er deutsch, russisch oder amerikanisch - heißt Europa töten." (WP S. 285)

Als hätte er geahnt, worüber sich das Europa im Jahre 2000 Gedanken machen muß, formuliert er ein doppeltes Postulat, welches Europa erfüllen muß, um nicht zugrunde zu gehen: "Das Bewußtsein europäischer Einheit ist zu bewahren, und zu vertiefen (Europa ist ein unteilbares Ganzes), gleichzeitig aber ist die Mannigfaltigkeit europäischer Stile und Traditionen lebendig zu erhalten."(WP S.285)

Die Weltreise, die er zwischen 1927 und 1928 mit seiner Schwester Erika unternimmt, bringt ihm zu Bewußtsein, daß Europa nicht die Welt ist, sondern nur ein Kulturzentrum unter anderen, und daß es seine Stellung in der Welt verlieren muß, wenn es sich weiter in Bruderzwist zerfleischt. Diese Überzeugung hat eine Annäherung an die damalige paneuropäische Bewegung zur Folge und ein Sich-Hinwenden zur französischen Kultur. Von nun an wird André Gide Vorbild für ihn sein und ein besonderes Interesse wird Jean Cocteau gelten, der in dieser Zeit zu "den Mythen der übernationalen Brüderschaft" gehörte. (WP S. 303) Seine Liebe zu Frankreich wird er übrigens immer wieder unterstreichen - wie dagegen auch oft seinen Abscheu gegen das faschistische Italien, das gemeinsam mit Deutschland die Flugzeuge für Guernica liefert.

Auch wenn bereits im Jahre 1931 im Hause Mann mit aufsteigendem Nationalsozialismus ernsthafte Gespräche über die Notwendigkeit, Deutschland zu verlassen geführt werden, weigerte er sich zunächst zu glauben, daß eine "Bande von Abenteuern und Fanatikern dazu imstande sein sollte, den gesamten Bestand abendländischer Werte und Traditionen in Frage zu stellen". (WP S.343) Klaus verstand die Deutschen nicht mehr; aber war er nicht selber einer? "Doch, ich war es wohl. Nicht nur der Sprache nach. Deutsche Kultur hatte mein Weltbild, mein geistiges Wesen geformt oder doch entscheidend beeinflußt. Ein Elternhaus wie das meine - und was daraus hervorgegangen ist, wußte nichts von Deutschtum? Eine Kindheit im Zeichen deutscher Lieder und Märchen, eine Jugend mit Novalis, Nietzsche, Hölderlin, George - und man wäre deutschem Geiste fremd?" (WP S. 356) Plötzlich fühlte er, der so "innig beheimatet in der Sphäre europäisch-universalem Deutschtums" (S. 356) war, sich als Fremder in der eigenen Heimat.

Die Familie Mann wurde den Nazis ein Dorn im Auge, allen voran natürlich Heinrich, der ihre Machenschaften längst durchschaut hatte und zur Volksfront aufrief, aber in zunehmenden Maße auch Klaus und Erika, die in Vorträgen, Artikeln und im politischen Kabarett "Die Pfeffermühle" ihre Haltung nicht mehr verheimlichten und von Nazi-Störtruppen "blasierte Lebejünglinge" geschimpft wurden. Der frivole, flatterhafte, ja fast unseriöse Klaus - vergessen wir dabei nicht, daß er erst Mitte zwanzig ist -, verwandelt sich immer mehr in einen engagierten Streiter, der bereits die furchtbare Einsamkeit fühlt, zu der ein europäisch-liberal gesinnter deutscher Intellektueller sich im Deutschland der sterbenden Republik verurteilt sieht. "Ein Entwurzelter?" fragt er sich im Wendepunkt. S. 367) "Niemals war ich es so sehr wie damals, in einem schon fremd gewordenen Vaterland, dessen vergiftete Atmosphäre meine Stimme erstickte, ihr jede Resonanz und Wirkung nahm." (S.367) "Ich fühlte mich dieser Nation nicht zugehörig, zumal ich auch den Begriff des Nationalstaates als überholt empfand und an die Notwendigkeit übernationalen Zusammenschlusses glaubte". (S. 356)

Am 13. März 1933 verläßt Klaus Mann Deutschland und geht zunächst nach Paris, später nach Amsterdam. Das Exil hat Klaus Manns Entwicklung entscheidend beeinflußt und das Jahr 1933 bildet die entscheidende Zäsur in seinem Leben. Aus dem spielerischen, weder sich noch die Welt allzu ernstnehmenden Jüngling wird eine politisch verantwortungsbewußte, selbstkritische Persönlichkeit, die höchste Forderungen an sich stellt und unter dem Druck der Verhältnisse zu einer kämpferischen Position gelangt. Aus dem eher unverbindlichen Appell an die soziale Verantwortung der jungen Intellektuellen, die er erstmals 1927 in dem Essay Heute und Morgen. Zur Situation des jungen geistigen Europas andeutet, wird nun ein "tätiges, oft kräfteverzehrendes Engagement für die politische Verantwortung für Europa und gegen jede Art von Faschismus. Klaus Mann wird zu einer der wichtigsten Figuren der Exilliteratur."(7)

Fast zum gleichen Zeitpunkt, d.h. im Frühjahr 1933, wird in Amsterdam auf Initiative des holländischen Verlegers Emanuel Querido, der mit Weitsicht erkannt hatte, daß ein wesenlicher Teil der deutschen Literatur nach der Berufung Hitlers zum Reichskanzler innerhalb des deutschen Reiches nicht mehr verlegt werden konnte, der Querido Verlag gegründet, der in den folgenden Jahren für die Autoren im Exil von immenser Bedeutung werden sollte. Hierzu aufschlußreich ist die Lektüre der Erinnerungen eines Verlegers von Fritz Landshoff, 1991 beim Aufbau-Verlag erschienen. Klaus Mann und Fritz Landshoff, der in den Tagebüchern immer nur als F. auftaucht, sollte auf Grund ihrer engen Zusammenarbeit eine aufrichtige Freundschaft verbinden, die für Landshoff "der größte menschliche Gewinn des Exils war."(8) Gemeinsam starteten sie den Versuch, eine Exilzeitschrift zu schaffen, die unter dem Namen "Die Sammlung" Sprachrohr sein sollte aller ins Ausland verbannten deutschen Schriftsteller - die weit davon entfernt waren, eine Einheit zu bilden -, aber auch internationale Beiträge akzeptieren sollte. Klaus als Herausgeber war es gelungen, André Gide, Aldous Huxley und Heinrich Mann als Protektoren der Zeitschrift zu gewinnen, drei Schriftsteller also, die weit über die Grenzen der Parteien hinaus eine Gesinnung verbürgten, die es sehr verschiedenartigen Kreisen ermöglichte, sich in diesem Exilorgan zu äußern. Annemarie Schwarzenbach hielt ihre Zusage, die Zeitschrift durch Stiftung der Autorenhonorare zu unterstützen. Verantwortungsbewußt und entschlossen setzt sich Klaus für die geplante Zeitschrift ein, die, wie er im Mai 1933 an Kesten schreibt, "ganz literarisch und nur auf würdige Weise oppositionell"(9) sein soll.

Ab Juni 1933 verbrachte Klaus die folgenden anderthalb Jahre vorwiegend in Amsterdam. Das erste Heft sollte im September 1933 herauskommen, und so stand seit der Entscheidung über das Erscheinen im Juni 1933 nur wenig Zeit für die Vorbereitungsarbeiten zur Verfügung. Mit "ungeheurem Fleiß und in unermüdlicher Arbeit, gelang es Mann, innerhalb von zwei Monaten Hunderte von Briefen zu schreiben und genug Material von den über zahlreiche Länder verstreuten deutschen Autoren und ihren ausländischen Gesinnungsgenossen zusammenzubringen." (Landshoff S. 60) Liest man die von Martin Gregor Dellin herausgegebenen Briefe und Antworten 1922-1949 von Klaus Mann, so fragt man sich, woher der Autor in dieser Zeit die Kraft nahm, in so einem schwindelerregenden Tempo zu arbeiten, im richtigen Ton auf die verschiedensten Charaktere einzugehen, auch bei deren Zweifeln und z. T. feigen Absagen noch verständnisvoll für die spezifische Lage des Einzelnen und zuvorkommend zu bleiben. (Ich denke dabei vor allem an die umfangreiche Korrespondenz mit Stefan Zweig, der immer wieder auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet, um sich nicht zu exponieren, und schließlich nie einen Beitrag leisten wird).

Nur ein paralleles Lesen dieser Briefe und der Tagebücher von Klaus Mann gibt die Antwort, denn trotz allen Einsatzes und guten Willens, sein Ziel durchzusetzen, ist die hektische Verwirklichung nur mit Hilfe von Aufputschmitteln möglich. Es wird somit eine Problematik aufgedeckt, die Werk und Leben des Autors tiefgreifend gekennzeichnet hat: Drogenkonsum und die Qualen der Abhängigkeit. Mit einem für damalige Zeit ungewöhnlichen Freimut behandelt Klaus übrigens seine Drogenabhängigkeit sowie auch seine Homosexualität. Zu beiden Neigungen bekennt er sich bedenkenlos und offen in seinen Diskussionen mit Freunden wie auch in seinen Briefen und Schriften (vgl. Landshoff S.123).

Immer wieder hebt er in den Briefen den literarischen Charakter der Monatsschrift Die Sammlung hervor, und in der Einleitung zum 1. Heft steht:

"Eine literarische Zeitschrift ist keine politische; die Chronik der Tagesereignisse, ihre Analyse oder die Voraussage der kommenden macht ihren Inhalt nicht aus. Trotzdem wird sie heute eine politische Sendung haben: Ihre Stellung muß eine eindeutige sein. Wer sich die Mühe machen wird, die Hefte unserer Zeitschrift zu verfolgen, soll nicht zweifeln dürfen, wo wir die Herausgeber, und wo unsere Mitarbeiter stehen. Von Anfang an wird es klar sein, wo wir hassen und wo wir hoffen lieben zu dürfen."(Landshoff S. 61)

Neben der Absicht, eine gemeinsame Plattform für alle "Antifascisten" zu finden (man beachte die Schreibweise in den dreißiger Jahren nach italienischer Herkunft), hatte Klaus den scharf durchdachten Ehrgeiz, die Talente der Emigration beim europäischen Publikum einzuführen, gleichzeitig aber die Emigranten mit den geistigen Strömungen in ihren Gastländern vertraut zu machen. So versteht sich sein Bemühen, neben den deutschen im Exil lebenden Dichtern und Literaten auch eine Reihe nicht-deutscher Autoren von internationalem Prestige für die Mitarbeit zu gewinnen, u.a. Romain Rolland, René Crevel, Jean Cocteau, Carlo Sforza und Benedetto Croce, Ernest Hemingway, Ilja Ehrenburg und Boris Pasternak.

"Die Sammlung war schöngeistig, dabei aber militant, eine Publikation von Niveau, aber nicht ohne Tendenz. Die Tendenz war gegen die Nazis." (WP S.413) Doch ein hochleidenschaftlicher Artikel in der ersten Nummer, ausgerechnet von Heinrich Mann, löste einen Skandal aus, der neben Thomas Mann auch andere Schriftsteller in Gefahr brachte, welche die Brücken mit Deutschland bzw. ihren deutschen Verlegern noch nicht vollkommen abgebrochen hatten und sich nun öffentlich von der Zeitschrift lossagen mußten. Nach zwei Jahren, also vierundzwanzig Einzelnummern, in denen mehr als dreihundert Autoren zu Wort gekommen waren, stellte Die Sammlung aus finanziellen Gründen ihr Erscheinen ein. Da der Verlag niemals eine Nummer der Zeitschrift oder ein einziges Buch des Verlages nach Deutschland zu schicken versuchte, war auch jegliche Möglichkeit einer direkten Wirkung innerhalb Deutschlands ausgeschlossen.

Klaus ist enttäuscht, aber gibt den Kampf gegen den Faschismus in Europa keineswegs auf. Eine Fülle von Schriften, Korrespondenzen, Vorträgen, Teilnahmen an Kongressen, Aufzeichnungen, der Roman Symphonie Pathétique, der Mephisto-Roman, Reisen solange er es nach der Ausbürgerung mit tschechoslowakischem Paß innerhalb Europas noch kann, zwischendurch zu Vortragsreisen nach Amerika, immer mit dem Ziel über den Faschismus aufzuklären und vor ihm zu warnen, machen sein atemloses Lebenstempo aus, - dann im September 1938 der endgültige Abschied von Europa und die Abreise ins USA-Exil.

Seine Hoffnung auf ein "europäisches Wunder", Hitler Einhalt zu gebieten, verlöscht. Der lang befürchtete Krieg bricht in unweigerlicher Konsequenz aus. Aber Klaus empfindet fast Erleichterung nun, da es zum offenen Kampf gekommen ist. Seine Überzeugung, daß Hitler Fehler begehen und als Verlierer aus diesem Krieg hervorgehen wird, vertritt er fest von Anfang an.

Die Krise seiner Zeit und die eigenen persönlichen Krisen sind nicht voneinander zu trennen. Der außergewöhnliche Zeitzeuge mit unersättlicher Neugier und großer Offenheit für Menschen und Situationen, mit der sicheren Beurteilung der politischen Lage, lebt verfolgt von ständiger Todes- und Drogensucht, von der er sich trotz mehrfacher Entziehungsversuche nicht befreien kann, mit häufigem Gefühl der Einsamkeit und fast immer mit Geldsorgen. Zuflucht sucht er immer wieder bei den beiden Menschen, denen seine Liebe galt: bei der Mutter, zärtlich Mielein genannt, und bei der Schwester Erika.

Und dennoch geht sein Einsatz immer weiter, heitere Momente, die ihm auch die Kraft zum Arbeiten geben, wie z. B. an seinem großen Emigrantenroman Der Vulkan oder seinem André Gide-Buch oder seiner Autobiograhie The Turning Point, werden immer wieder von Todesgedanken abgelöst. Inzwischen schreibt er in amerikanischer Sprache, denn wer sollte sonst seine Bücher lesen, wenn nicht die Amerikaner selbst? Auch seine Tagebuchaufzeichnungen sind ab 1942 in englischer Sprache abgefaßt, für ihn gleichzeitig ein Vergnügen und eine Qual; aus den Emigranten sind German-American-Writers geworden.

Noch einmal unternimmt er den Versuch einer deutsch-amerikanischen Literaturzeitschrift, Decision, diesmal auch vom Vater unterstützt und zunächst von amerikanischen Kreisen enthusiastisch aufgenommen. Aber nochmals scheitert es an finanziellen Schwierigkeiten.

Als Soldat der US-Army nimmt er am alliierten Feldzug in Italien teil und erlebt das Kriegsende in Europa. Sein Onkel Heinrich dankt ihm im Juni 44 für "die wohlgelaunten Grüße von der Reise. Eine Italienreise, wie wir keine kannten. Hoffentlich verläuft sie milde"(10). Am 5.Juni 1944 ziehen die Amerikaner in Rom ein, zwei Tage später ist auch Klaus mit seiner Einheit in der Ewigen Stadt. Die nächsten Monate verbringt er zwischen Rom und Florenz hin- und herpendelnd, mit der Teilnahme an Vernehmungen, dem Verfassen von Flugblättern und Artikeln für die Armee-Zeitung Stars and Stripes. Außerdem wird ihm der Auftrag erteilt, eine "Re-education of Germany" auszuarbeiten. Einer der schönsten Momente für ihn ist der, als er in sein Tagebuch schreiben kann: "Paris ist frei!"(11)

Ein Dringlichkeits-Status für eine Deutschlandreise ermöglicht ihm, schon in den ersten Maitagen 1945 die einstige Heimat, so auch München und sein zerstörtes Elternhaus, wiederzusehen. Erschüttert berichtet er aus den bombenzerstörten Städten und interviewt für die Amerikaner u.a. Göring, Richard Strauss, Emil Jannings und Karl Jaspers.

Im westlichen Teil Deutschlands findet er nicht die Aufnahme, die er vielleicht erhofft hatte. Es ist zu früh, seine Schriften unterzubringen, die er sich anschickt z.T. ins Deutsche zurück zu übersetzen. Sein Mephisto-Roman wird abgelehnt und bleibt bis 1981 verboten.

Das östliche Deutschland ist für ihn keine Alternative, denn dem kommunistischen Stalin-Regime steht er seit langem ebenso kritisch gegenüber wie dem Nazi-Regime.

In einem Interview in der "Welt am Sonntag" im Februar 1949 antwortet er auf die Frage, wie er seine Situation in den USA sähe wie folgt:

"Ein Schriftsteller europäischer Abkunft wird in Amerika nur dann Resonanz und Wirkung - nur dann eine "raison d'étre" haben, wenn er sich zugleich anpaßt und bewahrt. Wir müssen versuchen, unserem kulturellen Erbe die Treue zu halten und doch den amerikanischen Einfluß in uns aufzunehmen. Denn es ist die Rolle des "Mittlers", zu dem wir prädestiniert erscheinen. Wer zwischen zwei kulturellen Sphären zu vermitteln wünscht, sollte in beiden zuhause, in beiden verwurzelt sein - oder er wäre ein Entwurzelter, der verdorren müßte [...] Ich betrachte mich als amerikanischen Schriftsteller der deutsch-europäischen Tradition und weltbürgerlich-kosmopolitischer Gesinnung"(12).

Klaus Mann starb nach einer Überdosis Schlaftabletten am 21.Mai 1949 in Cannes. Thomas Manns Fazit lautet: "Er starb gewiss auf eigene Hand und nicht um als Opfer der Zeit zu posieren. Aber er war es in hohem Grade."(13)

© Karin Spiller (Università di Catania)


ANMERKUNGEN

(1) Klaus Mann, Der Wendepunkt, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1984, S. 293 (im Folgenden WP)

(2) vgl. Marcel Reich-Ranicki,Thomas Mann und die Seinen, Frankfurt a.M.1990 (im Folgenden MRR)

(3) Klaus Mann, Kind dieser Zeit, Berlin 1932, S.206

(4) Hans Mayer, Wendezeiten. Über Deutsche und Deutschland, Frankfurt a.M. 1993, S.108

(5) Marko Martin, Letzte Tage in Cannes, Klaus Mann - Erinnerungen an einen Zeitgenossen, in http://www.oeko-net.de/kommune/kommune5-97/KMANN.html Letzter Zugriff am 28.3.2004.

(6) Heribert Hoven, Ein Lebenskünstler mit dem Hang zum Tod. Klaus Mann zum 50. Todestag, in: Literaturkritik Nr.6, Juni 1999 http://www.Literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=243 . Letzter Zugriff am 28.3.2004.

(7) Hiltrud Häntzschel, Klaus Mann, in: Deutsche Dichter, Band 7, Vom Beginn bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, Reclam Stuttgart 1989, S.560.

(8) Fritz Landshoff, Erinnerungen eines Verlegers, Berlin 1991 ,S.47 (im folgenden Landshoff)

(9) Klaus Mann, Briefe und Antworten 1922-1949, Hrsg. Martin Gregor-Dellin, München 1987, S.94.

(10) Klaus Mann, Briefe und Antworten, S. 524

(11) Klaus Mann, Tagebücher 1944-1949, Reinbek 1995, S.45

(12) Klaus Mann, Briefe und Antworten, a.a.O. S.605 f.

(13) Thomas Mann, Reden und Aufsätze 3, Gesammelte Werke in dreizehn Bänden, Band XI, Frankfurt/M. 1974, S. 514.


5.8. Literatur versus Nation

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For quotation purposes:
Karin Spiller (Università di Catania): Zwischen Europa und Deutschland: der Fall Klaus Mann. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/05_08/spiller15.htm

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