Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. September 2004
 

5.12. Narration in Literature and Writing History
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Gabriella Hima (Budapest)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Der Wein im Kulturkonflikt und Kulturkontakt in Ost-Mittel-Europa vom 17. bis zum 20. Jahrhundert

Zsigmond Csoma (Kalvinistische Universität - Budapest)

 

Die Wiege der Weinkultur fällt mit der Zivilisation des Menschen, mit den Gebieten der ersten großen menschlichen Kulturen zusammen. Die Wechselwirkung zwischen der sich berauschenden, von den irdischen Realitäten lossagenden göttlich-transzendenten Wirkung der Traube und des Weins beziehungsweise den künstlerischen Produkten ist unvermeidlich. Man brauchte Wein zu den menschlichen Werken, aber die menschliche Erfahrung und das Wissen der Generationen, das von Sohn zu Sohn überging, waren zum Weinbau auch nötig. Nicht jede Nation baute Wein, aber jede Weingegend erhielt weintrinkende Gemeinschaften.

In sumerischen Heldenepen gedachten die aller ersten schriftlichen Aufzeichnungen, die auf Tontafeln mit Keilschrift geschrieben wurden, der Traube und des Weins als göttliche Pflanze und göttliches Getränk von den armenischen, grusinischen (georgischen) und altertümlichen Zivilisationen bis heute. Diese schriftlichen Spuren und Erinnerungen besangen die Heiligkeit und Erhabenheit der Weinkultur, aber sie schwiegen über die verwüstenden Wirkungen des Wetters, der Feinde und der menschlichen Bosheit oder sie verschleierten einfach das Problem. Die Traube und der Wein wurden im allgemeinen mit menschlichen Eigenschaften bekleidet, die Pflanze wurde mit brennender Sorge gepflegt, man erwartete die große mystische Verwandlung, die Geburt des genießbaren Weins vom süßem Most zum Getränk mit Alkoholgehalt. Die Traube als Pflanze wurde das Symbol der Geburt und des Todes des Menschen, das Symbol der Jugend und des Alters durch den Wechsel der Jahreszeiten, den Anfang der Frühlingsvegetation und für den Winterschlaf - durch die Geburt und das Altern des Weins beziehungsweise durch den Weinkonsum. Es ist kein Zufall, dass die Kulturanthropologie darauf aufmerksam wurde, dass die Götter der Traube und des Weins schon bei den altertümlichen Völkern die sterbenden-auferstehenden Götter und Halbgötter der Fruchtbarkeit waren. Im Fall der Traube und des Weins sind wurden der Dionysos der Griechen, der Bacchus der Römer und der Jesus Christus des Christentums dank des Ehebundes einer göttlichen und menschlichen Liebe geboren. Die Ehre des Weins bedeutete eine Art Religion, die sowohl zu Kulturkonflikten als auch zu Kulturkontakten zwischen Völkern, Nationen und Generationen führte. Die oberflächliche Formulierung unterscheidet bier- und weintrinkende Völker, obwohl das keine Völker sind, sondern Hinweise auf die Eigentümlichkeit der Produktionskultur, die sich aus der ökologischen Gegebenheit ergibt. Nördlich von der nördlichen Grenze des Weinbaus, wo der Weinstock nicht leben kann, wurde im allgemeinen kein Wein gebaut, und in den früheren Jahrhunderten wurde kein Wein getrunken, nicht einmal trotz der Transportfähigkeit dieses Handelsartikels. Natürlich kamen solche abweichenden Fälle vor wie z.B. der Fall der Donauschwaben, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Basis der Anklage einer kollektiven Schuld nach dem Muster der Nationalitäten- und Minderheitenpolitik von Stalin in nördlich von Frankfurt liegende Dörfer und Städte deportiert wurden, die an ihre Jugend, Liebe und Heimat zurückdachten. Sie kauften Trauben auf dem Frankfurter Markt, und jetzt bauen sie auf ihren neuen deutschen Siedlungen Wein an, sie keltern die Trauben, seihen den Most, reifen das hervorragende, selbst gemachte Getränk, den von Trauben gemachten Wein. All das bewirkt ein Gebrauch- und Traditionssystem bzw. eine kulturelle Beziehung, die die kulturellen und ehemaligen politischen Konflikte überbrücken kann, und so ist dies strenger als ein augenblicklicher Zwang. Das Bestehen auf die Tradition, die Bestrebung nach dem Schönen und Guten, der Wunsch nach der einerleibten Vollheit besiegen die Konflikte dieser Art.

Der Wein, der für die Lieben und Freunde der Wirte und für geehrte Persönlichkeiten gebaut wurde und die persönliche Bewirtung bedeuteten die größte Gastfreundschaft und Annäherung von der Seite der Weinbauern. Damit prostet man der Mythe der Traube und des Weins im Zeichen der Beziehungen zu, der Gleichberechtigung und der Nächstenliebe, während man sich über die Konflikte erhebt. Das ist auch in Hinsicht der Mentalitätsgeschichte wichtig, und gleichzeitig ist es für die Kultur der Traube und der weinbauenden Völker und der national-ethnisch-religiösen Minderheiten signifikant. Die Vulgärgeschichtsschreibung hält die weinliebenden Völker für lustig, glücklich, von ruhiger Gemütsart - so stellt es eine Art Stereotypie dar. Jede Stereotypie enthält Wahrheiten und Halbwahrheiten, sogar unwissenschaftliche Feststellungen, wie diese auch. In Ost-Mittel-Europa, in Siebenbürgen, wo viele Nationen und Glaubensgemeinschaften, vielerlei Wurzeln und Kulturen bestehen, lebt auch heute noch das folgende Sprichwort mit stereotypem Charakter: "Der gute Wirt engagiert einen rumänischen Schäfer, einen ungarischen Winzer und einen deutschen Rechnungsführer." Aber wir kennen die zahlreichen Meisterwerke der balkanischen Literatur, wo die Serben von der schriftlichen, künstlerischen Erinnerung für ausgezeichnete Weinhauer und Weinbauer gehalten wurde. Im Karpatenbecken waren die deutschen Neubauern und Bauer auch ausgezeichnete Weinbauer, die ihre vom Weinbauen stammenden Einkommen mit Weinhandel ergänzten. Der ungarische Weinhandel kam im 18. Jahrhundert den jüdischen Händlern in die Hand. Also der Weinbau in Ost-Mittel-Europa bedeutete die Mischung von vielerlei Kulturen und den Nationalkulturen. Verschiedene Technologien, historische Schichten, regionale und geschichtliche Unterschiede charakterisierten die Weinkultur in Ost-Mittel-Europa. In diesen Fällen bestätigte nicht nur die Stereotypie, sondern auch die wissenschaftliche Forschung die oben genannten Feststellungen. Es wurde damit der volkstümlichen, der schriftlichen Tradition und den Festsetzungen der historischen und künstlerischen Schreibkunde recht gegeben. Obwohl die Schreibkundigen nicht ihre eigenen Erfahrungen niederschrieben, sondern sie die Lebenserfahrungen von vielen Generationen in ihren Schriften zusammen fassten, und so festigten sie die volkstümlichen Stereotypien und das reale Bild. Sie setzten auch damit ein Denkmal, auch wenn sie sie mit einer künstlerischen emotionellen Seite farbig machten und betonten.

"Das Wassergetränk schadet während des Essens.
Es kühlt den Magen, und nicht leicht verdaulich,
Wie du es schluckst, so kommt es raus.
Wenn du sogar bis zum Abend hart arbeitest.
Man soll deshalb lieber Wein trinken,
Nur den Tieren tut das Wasser gut.
Oder wenn es keinen Fluss gibt, lebe der Brunnen.
Es tut dem Menschen nicht gut, mit Wasser zu leben."

Dieser reimende gute Vorschlag kann im Lehrgedicht der vom Mittelalter blühenden Salernoer Medizinschule unter dem Titel "De conservanda bona valetudine" gelesen werden. Das Werk wurde dreihundert mal bis zum 18. Jahrhundert herausgegeben, im Jahr 1693 wurde es auch ins Ungarische übersetzt. Die Auffassung des Gedichts fand begeisterte Anhänger in ganzen Europa, so natürlich auch in Ungarn, sowohl auf den Weinbergen als auch in den Weinkellern. Im sich globalisierenden, vereinheitlichenden Europa machen die lokalen Traditionen und die für nationales Kulturerbe gehaltenen lokalen kulturellen Traditionen sowohl die Wochentage als auch die Feiertage und andere Elemente der sogenannten Hochkultur farbig. Aber diese Traditionen sind in Hinsicht der Identität, unseres gesunden Nationalstolzes nicht zu vernachlässigen, ich muss sogar sagen, dass diese individuellen aus der unterschiedlichen Entwicklung der historischen Vergangenheit stammenden Unterschiede in unserer sich homogenisierenden, vereinheitlichenden Welt aufgewertet werden und ihre Rolle nimmt heutzutage immer zu. Wenn ich es gedrängt, in einem Satz sagen möchte, müsste ich das folgende sagen: Die Tradition ist die Zukunft geworden. Also alle Kenntnisse, auf die unser Leben gebaut wird, die reiche und unerschöpfbare Quelle unseres Wissens, gewinnen ihre Nahrung aus der Vergangenheit. Obwohl diese Vergangenheit vielfältig ist, kann sie nicht verdrängt oder vernachlässigt werden, weil jedes Neue das Alte in sich trägt. Zwar wird das Alte überholt, ohne es bleibt aber die Neuheit schwankend und unsicher.

Die Gegenstände, Denkmäler, Ereignisse und die nationalen Kulturerben, die mit der Traube und dem Wein im Zusammenhang sind, geben eine günstige Gelegenheit, uns an die europäische, griechisch-römische und transkaukasische Trauben- und Weinkultur zu erinnern. An den bedeutsamen, im Dunkel der Geschichte sich verlierenden, einen organischen Teil der menschlichen Kultur bildenden Weinbau, an die Weinkultur, und alles, was damit zusammenhängt, alles, was Lustigkeit, Wohlstand und Verwüstung, Krieg und Frieden für die sich mit Weinbau beschäftigenden Millionen von Menschen bedeutete. Wie auf jedem Gebiet des Lebens, musste darin auch das entsprechende Verhältnis, das Maß gefunden werden. Wer seine Gesundheit und sein Vermögen vertrinkt, schreibt das immer dem Wein zu und niemals sich selbst. Wer aber dank des Weins und der Arbeit mit der Traube reich wurde, konnte seinen Fleiß und sein Schicksal segnen. Der kultivierte Weinkonsum war ein ebenso wichtiger Teil der Weinkultur wie die Musen für die Künste. Vor allem die Musen, die vielleicht eben unter dem Einfluss des guten Weins die Künstler mit ihren heißen Lippen auf die Stirn küssten. Die Traube und der Wein bedeuteten natürlich in den Gebieten von günstiger ökologischer Gegebenheit viel mehr, wo der Wein eine hervorragende Qualität hatte, und man durch die Weinlagerung mit berühmten Weinsorten handeln konnte. Hier wurde der Wein ein entscheidender Faktor des Lebens. So auch die Traube, die zwar eine vor Ort angebaute Pflanze war, und im allgemeinen in geschlossenen, unter dem Schutz des Gesetztes stehenden, isolierten Gebieten - in geschlossenen Weingegenden - gehütet wurde. Mit der Hilfe des Weinhandels konnten die Einwohner von weiten Regionen in den Genuß je einer berühmten Weingegend einbezogen werden. Es ist kein Zufall, dass der fremde, nicht lokale, der sogenannte "extraneus" Besitz in Ost-Mittel-Europa schon im Mittelalter sehr oft vorkam.

Wir können auf die unendlich große Ruhe, die ausgeglichene Lebensanschauung des auf den Weinberg hinaufschlendernden Weinbauern auch noch heute neidisch werden. Darin spiegelt sich die jahrhundertlange Erfahrung und die Anschauung, die die Kulturkonflikte der zusammenbindenden Kultur behandelt. Der Weinberg gab den Sinn der Hoffnung und der menschlichen Arbeit den auf ihren Wein immer stolz bleibenden Weinbauern. Trotz der regelmäßig vorkommenden Naturkatastrophen, der menschlichen Schwächen und Missbräuche, der Sorgen des alltäglichen Lebens, und der Sturmwinde der Geschichte verkünden die Weinberge und die Weinbauer den Glaube ans Leben und den Sinn der produktiv-schaffenden Arbeit auch noch heute.

© Zsigmond Csoma (Kalvinistische Universität - Budapest)

5.12. Narration in Literature and Writing History

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TRANS Nr. 15: Zsigmond Csoma (Kalvinistische Universität - Budapest): Der Wein im Kulturkonflikt und Kulturkontakt in Ost-Mittel-Europa vom 17. bis zum 20. Jahrhundert. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/05_12/csoma15.htm

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