Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. Juni 2004
 

5.12. Narration in Literature and Writing History
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Gabriella Hima (Budapest)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Griechisches und Ägyptisches in dem Eljaschib-Archiv

Miklós Köszeghy (Károli Reformierte Universität Budapest)

 

I. Zum Geleit

Unser Thema ist das Phänomen der Kultur als verbindendes Element zwischen verschiedenen Zivilisationen. In meinem kleinen Beitrag möchte ich mich an das alte Archiv von Eljaschib, dem Befehlshaber der judäischen Festung Arad wenden, um innerhalb dieser Textsammlung das Phänomen des kulturellen Tausches etwas näher untersuchen zu können.

Wenn man an den Begriff des kulturellen Austausches denkt, tauchen sofort vor unseren geistigen Augen großzügige Bilder auf. Mächtige Völkerströme die zusammenstießen, wie etwa am Ende der Geschichte des Römischen Reiches(1), oder am Ende der Spätbronzezeit im Levante, während der Wanderungen der sog. Seevölker(2). Diese Katastrophen würden dann als Rahmen der kulturellen Begegnungen dienen. Oder denkt man an große Feldzüge, wie etwa den von Alexander dem Großen(3), nach denen ganz neue ethnische und politische Konstellationen zustande kamen, die auch für den kulturellen Tausch eine völlig neue Perspektive eröffneten. Man könnte etwa an die zweisprachigen (griechisch und aramäisch) Inschriften des indischen Königs Aschoka denken, in denen er die Ideen des Buddhismus propagierte und die in der Nähe von Kandahar in Afghanistan, also an einem äußersten Posten der hellenistischen Kultur gefunden wurden. Ich möchte in diesem Beitrag aufzeigen, dass es im Altertum andere Möglichkeiten der kulturellen Beziehungen, andere Kanäle der kulturellen Begegnungen gab. Ich möchte schon im Voraus betonen, dass man zum Tausch auch, oder vielleicht vor allem die alltäglichen Möglichkeiten ausnutzen konnte.

Das alltägliche Leben funktionierte als ein Schmelztiegel. Die alltäglichen Begegnungen haben die ethnischen Grenzen oft relativiert, die verschiedenen Sprachen haben aufeinander gewirkt, verschiedene Gruppen begannen neue Sprachen zu benützen, frische gemischte Ehepaare führten ein gemeinsames neues Leben. Aber, obwohl es vielleicht merkwürdig oder sogar verblüffend klingt, nicht nur die zivilen Feste und nicht nur die persönlichen Begegnungen dienten als Rahmen des kulturellen Tausches. Die Kultur als verbindendes Element konnte auch in ganz ungewöhnlichen Situationen wirken. In einer Armee zum Beispiel. Eine Armee konnte als Schauplatz der kulturellen Begegnungen funktionieren. Die Frage ist nur: wo, wann und inwieweit?

 

II. Der Ort: Tel-Arad

Tel Arad ist eine der wichtigsten Ortschaften der nördlichen Region der Negeb-Wüste, ungefähr 60 Kilometer südlich von Jerusalem und 20 Kilometer westlich vom Ufer des Toten Meeres. Die Stadt selbst ist uralt, stammt aus der Frühbronzezeit, also aus der ersten Hälfte des III. Jt. v. Chr.(4) Das Niveau der frühbronzezeitlichen Stadt zeigt u.a. die 2-6 m dicke Stadtmauer, die aus Lehmziegeln auf Steinfundament errichtet und fast 800 Meter lang ausgegraben wurde. Aus dieser Mauer sprangen halbrunde Türme vor. Leider können wir die Bevölkerung, die diese beachtliche Verteidigungsanlage aufbauen konnte zur Zeit noch nicht näher bestimmen. Man kann nicht einmal behaupten, dass sie, wie die spätere Bevölkerung der Region bis heute, Semiten waren. Aber Arad war auch schon während dieser frühen Periode ein Begegnungsplatz verschiedener Kulturen. In der Stadt wurde das Serekh (eine stilisierte Darstellung der Fassade des Palastes des Königs von Ägypten) mit dem Namen von Pharao Narmer (ca. 3000 v. Chr.) gefunden.

Nach dem Zusammenbruch der frühbronzezeitlichen Stadt blieb die Ortschaft lange unbesiedelt. Erst im 10. Jhd. v. Chr. haben hier die Könige von Juda (Salomo oder eventuell sein Nachfolger Rehabeam) eine Festung gebaut.(5) Diese Festung hatte mehrere Aufgaben. Einerseits musste sie stets die Nomaden kontrollieren, die auf dem Grenzgebiet von der judäischen Kulturlandschaft und der Negev-Wüste wohnten. Diese Aufgabe war natürlich sehr wichtig, aber gleichzeitig sehr kompliziert und schwierig. Die Nomaden waren dem Königreich der Sesshaften gegenüber immer (und oft nicht unbegründet) misstraurisch, deshalb versuchten sie (oft mit Erfolg) die Kontrollversuche der Festung Arad zu scheitern. Andererseits sollte die Festung den Weg von Jerusalem nach Ezjon-Geber (die salomonische Hafenstadt in der Nähe des heutigen Kurortes Eilat am Roten Meer) bewachen. Schließlich, vor allem nach der Mitte des 7. Jhd. v. Chr., sollten die Soldaten unter der Führung des Kommandanten Eljaschib ständig die Truppenbewegungen des südöstlichen Nachbarstaates von Juda (während dieser Periode Edom genannt) beobachten.(6)

Die Festung blieb bis zum Zerfall des Staates Juda, also bis zu dem sogenannten babylonischen Exil im Dienst. Am Ende des 6. Jhd. v. Chr. ließen die persischen Behörden die Festung wieder aufbauen, und die Zitadelle von Arad war noch während der byzantinischen Periode ein wichtiger Bestandteil des Verteidigungssystems des Oströmischen Reiches in dieser Region. Der viereckige Turm aus der hellenistischen Periode, der mit seinem tiefen Fundament die früheren Schichten der Zitadelle schwer geschädigt hat, zeigt die Wichtigkeit von Tel-Arad während der Nachexil-Zeit.

Die Stücke des Eljaschib-Archivs wurden an verschiedenen Stellen der Festung gefunden.(7) Die Mehrheit der Ostraka wurde in dem sog. "Haus von Eljaschib" entdeckt.

 

III. Das Eljaschib-Archiv

Das Archiv des Kommandanten Eljaschib ist in mehrerfacher Hinsicht sehr bedeutsam. Aus dem westsemitischen Sprachraum während dieser Periode ist außer diesem Archiv nur ein anderes, das von Jausch, dem Kommandanten der Festung Lakisch (ebenfalls im Königreich Juda aus der gleichen Periode) bekannt. Die Texte sind allein deswegen außerordentlich wichtig. Anderseits möchte ich betonen, dass es im Alten Testament keinen Text gibt, aus dem man solche militärgeschichtlichen Informationen gewinnen könnte wie aus diesen Archive. Aufgrund dieser Ostraka ist es langsam, wenn auch nur skizzenhaft, möglich, die Militärgeschichte Judas am Vorabend des babylonischen Exils darzustellen.

Die Texte wurden mit Tinte auf Tonscherben (Ostraka) geschrieben. Es ist durchaus vorstellbar, dass diese Texte nur Kopien sind und die eigentlichen Briefe auf Papyrus geschrieben wurden. Die Papyri wären dann verlorengegangen. Zur Zeit haben wir nur die Kopien der damaligen Briefe. Ob die Kopien eine verkürzte Form oder eine wortwörtliche Wiederholung der Originalbriefe sind, weiß man zur Zeit nicht.

Der Umfang des Archives von Eljaschib ist beachtlich: es handelt sich um mehr als 60 Ostraka.(8) Das Archiv wurde in der Schicht VI., also in der letzten vorexilischen Schicht der Festung gefunden. Der so gewonnene archäologische Kontext stimmt mit dem Resultat der paläographischen Datierung überein. Das Archiv von Eljaschib stammt höchstwahrscheinlich aus dem ersten Jahzehnt des 6. Jhd. v. Chr. Diese Periode war für den judäischen Staat eine äußerst schwierige. Nach dem Zusammenbruch des neuassyrischen Reiches(9) begann der Kampf der saitischen Dynastie von Ägypten und des neubabylonischen Reiches um die Hegemonie über der syrisch-palästinischen Landesbrücke.(10) Juda als selbständiger Staat stand vor einer praktisch unlösbaren Aufgabe. Babylon und Ägypten, die damaligen Supermächte waren für den winzigen judäischen Staat unbesiegbar. Deshalb musste die judäische Politik rechtzeitig erkennen, wer gewinnen wird: Babylon oder Ägypten. Die politische Elite von Juda konnte diese Aufgabe nicht lösen, der Staat hörte auf zu existieren, und die Bevölkerung musste die Deportation nach Babylonien erleiden. Die Bedeutung der Armee, und damit auch die Bedeutung von Arad war am Vorabend des babylonischen Exils sehr gross. Die Texte des Eljaschib-Archives sind natürlich dementsprechend sehr wichtig für die Erforschung der letzten Tage Judas.

 

IV. Griechische Söldner in Arad

Ein sehr umfangreicher Teil der Ostraka des Archives von Eljaschib beschäftigt sich mit den Problemen der Versorgung der Truppen in Arad. Oder besser gesagt: die Texte regeln die Versorgung des wichtigsten Teils der Truppen in Arad. Diese Truppen werden in den Texten "ktm" genannt. Dieser Ausdruck weist ganz eindeutig auf griechischen Söldner hin. Diese waren schwerbewaffnete Soldaten, üblicherweise als Hopliten bezeichnet. Diese waren während dieser Periode im Alten Orient nicht nur bekannt, sondern schon beliebt. Sie bildeten einen wesentlichen Teil der Infanterie der verschiedensten altorientalischen Grossmächte. Soweit man es heute wissen kann, waren sie im Alten Orient am frühesten in der ägyptischen Armee angestellt. Der saitische Pharao Psammetich II. (595-589 v. Chr.) führte 593 einen Feldzug nach Süden gegen das Königtum Napata (auf dem Gebiet des heutigen Sudan). Während dieses Feldzuges spielte das Kontingent der griechischen Hopliten eine bedeutsame Rolle. Laut der Angaben der ägyptischen Quellen kämpften sie unter ihrem eigenen, vermutlich ebenfalls griechischen Oberkommando. Einige dieser Söldner haben ihre Namen auf die Füße der kolossalen Statuen von Ramses II. in Abu-Simbel eingekratzt, so dass man diese Namen auch heute noch lesen kann. Etwa 20 Jahre später hat das griechische Söldnerkontingent eine sehr wichtige, vielleicht sogar entscheidende Rolle im Bürgerkrieg zwischen den Pharaonen Hopra/Apries (589-570 v. Chr.) und Amasis (570-526 v. Chr.) gespielt. Zwei Jahrhunderte nach der Entstehungszeit des Eljaschib-Archives brauchte man nur noch ein wenig Abenteuerlust, wie der junge Xenophon, um dann im Herz des persischen Großreiches, in Mesopotamien zu kämpfen.

Die schwerbewaffnete Infanterie war im Alten Orient also sehr erfolgreich und dementsprechend auch sehr beliebt. Aufgrund der Daten des Eljaschib-Archives können wir behaupten, dass die Hopliten außer in Ägypten sehr früh auch in Juda angestellt und verwendet wurden. Was nichts anderes bedeutet, als dass es eine kulturelle Verbindung zwischen dem Königreich Juda und der griechischen Welt gegeben hat.

Und noch etwas zu diesem Fragenkreis. Bei der Versorgung hat weder der Befehlshaber der Zitadelle noch das Oberkommando der judäischen Armee in Jerusalem die besonderen Gewohnheiten der griechischen Soldaten vergessen. Laut der Angaben des Ostrakon 1 wissen wir, dass Eljaschib die Griechen mit speziellen Krügen zum Mischen des Weines mit Wasser (das sind die sog. aganoth-Krüge) versorgen soll. Das Wort aganoth ist grammatikalisch ein hebräisch gebildeter Femininum-Plural mit der wt-Endung, das Wort selbst ist aber nicht einmal semitisch! Wieder ein Aspekt der kulturellen Verbindungen!

 

V. Das ägyptische Zahlzeichen

Das Ostrakon 24 ist vielleicht das interessanteste Stück des ganzen Archivs von Eljaschib. In diesem Text bekommt Eljaschib einen Befehl. Er soll eine gewisse Umgruppierung der Truppen in der Umgebung von Arad organisieren. Es handelt sich um die Verstärkung der Festung von Ramat-Negev, unweit südlich von Arad. Eljaschib selbst soll 5 oder 50 Männer dorthin schicken, um eine vermutliche Attacke aus dem von Juda südlich gelegenen Königtum Edom zu verhindern.

Das Zahlzeichen ist nur teilweise übriggeblieben, sein oberer Teil ist wahrscheinlich verlorengegangen. Deshalb können wir nicht entscheiden, ob es sich um 5 oder 50 Soldaten handelt. Kriegsgeschcihtlich gesehen wäre es sehr wichtig, zwischen 5 und 50 die richtige Entscheidung treffen zu können. Aber bezüglich unserer Fragestellung ist allein das Vorhandensein eines hieratischen Zahlzeichens aus Ägypten äußerordentlich wichtig. Versuchen wir die Lage etwas detaillierter zu beschreiben: In einer judäischen Festung sind griechische Hopliten stationiert, die ihre Trinkgewohnheiten aus Hellas mitgebracht haben. Der Schreiber des Jerusalemer Oberkommandos zählt die griechischen Söldner der judäischen Armee, und in seinem Brief an Eljaschib verwendet er ein hieratisches Zahlzeichen aus Ägypten. Ein schöneres Beispiel des kulturellen Tausches kann man sich kaum wünschen.

 

V. Palästina als Landbrücke

Man weiß aus Quellen der langen und wechselvollen Geschichte Palästinas, dass diese Region immer eine gewisse Brücke zwischen den großen Zivilisationen bildete. Das Heer der Pharaonen, wenn der Großkönig mit den Hethitern kämpfen wollte, marschierte durch diese Landschaft. Die Könige von Assyrien, Babylon und sogar die persischen Großkönige von Kambyses bis Dareios benutzten Palästina als Weg nach Ägypten. Palästina hat unter diesen geopolitischen Umstände mehr als genug gelitten.

Das Bild, welches das alltägliche Leben vermittelt ist trotz allem nicht so düster. Die geopolitische und geographische Lage Palästinas war sehr günstig zum Ausbau eines Systems des kulturellen Tausches, nicht nur in der Hauptstadt, nicht nur im Umfeld der Könige, sondern auch in einer Garnison am Ende der Welt.

© Miklós Köszeghy (Károli Reformierte Universität Budapest)


ANMERKUNGEN

(1)  Dazu siehe u.a.: W. Dahlheim 1989

(2) Dazu sene neuerdings grundlegend: Oren, E. ed. 2000

(3) Dazu siehe grundlegend immer noch: Georg J. 1940

(4) Dazu siehe grundlegend: Amiran, R. 1978.

(5) Zur Geschichte der Festung: Mazar, A. 1990, 496-498.

(6) Vgl.: Herzog, Z. 1984, 8-12.

(7) Die Mehrheit der Ostraka wurde im Stratum VI. und im Locus 637 gefunden.

(8) Es ist schwierig den genauen Zahl der Ostraka anzugeben, weil wir mehrere Stücke aus demselben Locus ohne dem Namen Eljaschib.

(9) Spätestens also nach dem Schlacht von Karkemisch, 605. v. Chr.

(10) Die Details siehe in: Labat, R. 1967, 93-100, bzw. Kuhrt, A. 1995, 540-546.


BIBLIOGRAPHIE

- Amiran, R. 1978: Early Arad: The Calcholithic Settlement and Early Bronze Age City I: First-Fifth Seasons of Excavations 1962-1968, Jerusalem

- Dahlheim, W. 1989: Geschichte der Römischen Kaiserzeit, München

- Georg, J. 1940: Alexander der Grosse, München

- Herzog, Z. 1984: The Israelite Fortresses at Arad, BASOR 254, 1-34.

- Kuhrt, A. 11995: The Ancient Near East c. 3000-330 BC, London

- Labat, R.: Assyrien und seine Nachbarländer (Babylonien, Elam, Iran) von 1000 bis 617 v. Chr. / Das neubabylonische Reich bis 539 v. Chr., in: Fischer Weltgeschichte 4, Frankfurt am Main.

- Mazar, A. 1990: Archaeology of the Land of the Bible, Doubleday, New York, Garden Citiy

- Oren, E (ed.) 2000: The Sea Peoples and Their World: A Reassesment, University of Pennsylvania, Philadelphia


5.12. Narration in Literature and Writing History

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For quotation purposes:
Miklós Köszeghy (Károli Reformierte Universität Budapest): Griechisches und Ägyptisches in dem Eljaschib-Archiv. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/05_12/koeszegi15.htm

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