Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 15. Nr. | April 2004 | |
5.14. "Den Kunstbegriff
gilt es auf Punktgröße zu verändern." Kunst
als Raum der Kommunikation Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures |
Raič Božo (Kroatien / Linz / Graz)
Sehr oft setzen die einfachen Lebensumstände das künstlerische
Potential in Bewegung. So entstehen künstlerische Ansätze
bei Menschen, die nicht unbedingt (nach den aristotelischen Leitkategorien)
zu den Poeten gehören. Auch viele Künstler der modernen
und postmodernen Kunstszene wehren sich gegen den Mythos des ausschließlichen
Schöpfertums des Künstlers und erkennen jedem ,Sterblichen"
das wahrnehmende Schöpfertum im Sinne von
(Aristoteles und Baumgarten) zu.
Der Weg von der Empirie bis zu abbildenden Ausdrucksformen ist auf das Verhältnis zwischen inspirierten Subjekten und wahrgenommenen Objekten angewiesen. Diese spannende Neugier trieb auch eine kleine MigrantInnen-Gruppe dahin, Dolmetscher einer sinnlichen Wahrnehmung zu werden. Sie haben sich entschlossen ein Projekt ,den Buchstaben auf das Bild" zu machen, wodurch eine mehrschichtige Kommunikation entstehen sollte. Die Homogenität der Gruppe lag in gemeinsamen sozialen und kulturpolitischen Einschränkungen. Diese könnte zu einer gesellschaftlichen Destruktion führen. Sie besaßen nicht das, was die Leute in einer konsumästhetisierten Gesellschaft attraktiv macht. In der neuen Umgebung galten sie als isolierte Subjekte, deren Bewegungsfreiheit zeitlich und räumlich begrenzt ist. Diese ,Nicht-Verstehens-Situation" machte die Jugendlichen zu Künstlern der Bewältigung von Grenzensituationen. Und mit diesem Schaffenswillen, der den ganzen Prozess intonierte, wurde der schöpferische Akt von Werten des eigenen kulturellen Milieus beeinflusst. Ein Kreativvermögen, das nicht von ästhetischen Fragen gefesselt war.
Im Keller eines Gebäudes, wo viele Gegenstände chaotisch zusammengesetzt sind, wo paradoxer Weise die jungen Leute über die neue gesellschaftliche Ordnung belehrt werden sollten, reifte diese abenteuerliche Idee. Keine/r dieser Jugendlichen hat dieses kryptische Chaos als trockene Limitation erlebt. Sie haben diesen Keller als einen Spielort der unbegrenzten Möglichkeiten verstanden, als einen Ort, wo man den Anderen in seinem wahren ,Menschenbild" begegnen kann. Die Worte Goethes ,mehr Licht", die in den letzten Unterrichtstunden thematisiert worden sind, halfen den Jugendlichen sich der Führung des Intuitiven zu überlassen. In diesem Kontext konnten sie den Puls der kreativen Empirik auf die Probe stellen.
Auf dem Tisch lagen die Fotos die aus den Herkunftsländern der Jugendlichen stammen. So begann, wie immer, das Gespräch über Freunde, Verwandte, Heimat und Heimatlosigkeit. Da zeigte sich eine individuelle Perzeptionsvielfalt und die Fähigkeit des Vermittelns des Gesehenen. Diese biographischen Notizen waren die verbindenden Elemente für ein weiteres korrespondierendes Schaffen. Die Bilder vermischten sich mit den tröstenden afghanischen- und den gefühlsbetonten lateinamerikanischen Musikelementen. Der Sprechgesang der Hip-Hop-Musiker war ein verbindender Faktor von allen, man konnte genauso gut afghanisch und spanisch wie akanisch rapen. Diese Zeit nutzten die Jugendlichen für die Abstrahierung des konkret Gestalthaften. Die skizzierten Umrisse der menschlichen Gestalten sind nach den realen Fotografien gemacht. Was einmal zur Fotografie gehörte, wird in einer neuen medialen Kommunikation bearbeitet. Das Bildhafte wird mit der Dynamik von verschiedenen Schriften erweitert. Die spanischen, persischen und akanischen Schriftarten bereicherten den Habitus der konturierten Gestalten. Die piktographischen Umrisse und die verschiedenen Schriftarten stehen in einem ergänzenden Wechselverhältnis zueinander. Dort wo die Sprache aufhört, beginnt eine rhythmisierende piktographische Darstellung. Und dort, wo die Piktogramme ,sprachlos" sind, befähigt die Schrift die ganze Abbildung zum Dialog. Die einfachen wörtlichen Kombinationen, gedanklichen Assoziationen, Erinnerungen, Gedichte und scharfsinnigen Lebenssprüche sind die Partituren einer Lebensmelodie, die sich nach einer kreativen gesellschaftlichen Partizipation sehnen.
Der Text von Richard lautet übersetzt:
Mohammad dichtet über das ländlich-idyllische Leben seiner Heimat.
Bismarck thematisiert die gesellschaftlichen Verhältnisse unter den Leuten.
Millicent und Benjamin bieten einen existentiell-religiösen Ratgeber.
Ellania berichtet über die Kultur und die einfache Lebensart ihrer Heimat.
Karola dialogisiert über das Poesiehafte mit einem anonymen Dichter.
Das Wissen der Jugendlichen ist intuitiv und basiert wenig auf begrifflicher Reflexion. Ihre ,intuitio" ist selbstbewusst und fähig, die eigenen Positionen zu reflektieren und weiter zu entwickeln. Die Dynamik der linguistischen Korrespondenz mit den Rezipienten liegt zunächst in der visuellen Dimension; die inhaltliche Metaphorik hat ihre Bedeutung für den je individuellen Jugendlichen.
Am Ende dieser Katharsis schienen die Bilder wie verstreute Gedanken auf dem Papier. Eine letzte Hand verband mit wuchtigem Duktus die schriftartigen Elemente des Mosaiks.
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(Kroatien / Linz / Graz)
5.14. "Den Kunstbegriff gilt es auf Punktgröße zu verändern." Kunst als Raum der Kommunikation
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