Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. April 2004
 

5.14. "Den Kunstbegriff gilt es auf Punktgröße zu verändern." Kunst als Raum der Kommunikation
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Monika Leisch-Kiesl (Linz)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Literatur und Migration. Kulturpolitische Überlegungen aus der Perspektive von Migrantinnen

Rubia Salgado (Literaturwissenschafterin und Kulturarbeiterin, Brasilien / Linz)

 

Ich spreche hier nicht als Literaturwissenschafterin, sondern als Migrantin, die als Kulturarbeiterin in einer Migrantinnenorganisation tätig ist. Parallel zur Realisierung verschiedener Projekte im Kunst- und Kulturbereich, versuchen wir in maiz und in Dialog mit anderen Vereinen von MigrantInnen anhand von einer Auseinandersetzung mit den Partizipationsmöglichkeiten von MigrantInnen in diesem Bereich auch auf der Ebene der Kulturpolitik mitzuwirken. Hier beschäftigen wir uns vor allem mit Strategien zum Abbau von Ausgrenzungsmechanismen, die auf MigrantInnen sowohl auf der Ebene der Kulturvermittlung als auch der kulturellen Produktion sowie auf der Ebene des Zuganges als Publikum einwirken.

Auch im Bereich Literatur versuchen wir im Rahmen unserer Kulturarbeit Raum für SchriftstellerInnen mit Migrationshintergrund, die auf Deutsch schreiben, zu eröffnen.

Ich beschäftige mich in diesem Text mit Notwendigkeiten und Forderungen aus der Perspektiven der MigrantInnen, die im Kulturbereich und im speziellen im Literaturbereich tätig sind. Ich erhebe hier keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sehe mich auf keinen Fall als Repräsentantin der MigrantInnen. Die Positionen, die hier vertreten werden, spiegeln Erfahrungen, die im Rahmen unserer Tätigkeiten als politisch organisierte Migrantinnen im Bereich der freien Kulturarbeit gesammelt wurden und werden. Hier spreche ich also aus der Perspektive von Migrantinnen, die als Kulturarbeiterinnen und nicht prinzipiell als Kulturschaffend tätig sind. Komplementär zu diesen Positionen und Forderungen werde ich mich dann auch auf Positionen von SchriftstellerInnen mit Migrationshintergrund beziehen.

Die Frage nach der Angemessenheit der Bezeichnung MigrantInnenliteratur klammere ich hier aus. Statt dessen werfe ich einen Blick auf das Feld der kulturellen Produktion, insbesondere im Literaturbereich und versuche, sowohl die Implikationen die daraus resultieren, wenn literarische Produktion von MigrantInnen als solche ausgesondert werden, als auch die politischen Dimensionen, die impliziert sind, wenn sie als solche produziert und rezipiert werden, zu beobachten.

 

Der Topos meiner Beobachtung

 

Aus der Höhe unseres Viertels
können wir sehr gut sehen
was bei euch an der Küste passiert
wir mögen alles, wir wollen doch mehr
von der Höhe bis zum Hafen
mehr als eine gute Farbe
wollen wir da sein, wo ihr seid
wir wollen einen Platz am Strand
wir werden euer Dorf schütteln.

Jetzt werden wir euren Strand besetzen.

 

Das Zitat ist Teil eines brasilianischen Liedes, dessen Titel dem letzten hier zitierten Satz gleich ist: wir werden euren Strand besetzen. Der Strand, ein Raum, der zum tatsächlichen Ort der Ausgrenzung in der brasilianischen Gesellschaft geworden ist, fungiert hier als Allegorie für alle durch systembedingte Strukturen gewordene Ausgrenzungsorte. Unausweichlich erinnere ich mich an ein anderes Lied, diesmal an ein auch (Mehrheits-) ÖsterreicherInnen sehr bekanntes Lied, kitschig, einen Ohrwurm, wie ihr es zu bezeichnen pflegt: vamos a la playa!, ja, sagten wir damals: vamos a la playa! Und somit entschieden wir uns an verschiedenen Symposien und Konferenzen teilzunehmen, an dieser Konferenz und an vielen anderen, zu welchen wir als Vertreterinnen von maiz - Autonomes Zentrum von & für Migrantinnen - eingeladen werden. Also: zwei Lieder: eines als Entscheidung, das zweite als notwendige Fortsetzung: wir wollen eueren Strand besetzen und ihn mit euch teilen. Entsprechend dieser Entscheidung entwickeln wir seit 10 Jahre eine kontinuierliche und immer wachsende Arbeit; und wir nutzen Gelegenheiten, die durch diese Arbeit entstehen, wie die bereits erwähnten Einladungen, um zum Strand zu gehen.

Als Migrantinnen haben wir uns zuerst auf der Ebene des Sozialen organisiert, weil es um den Kampf, um unsere primären Rechte geht. Folge der Organisation und des Zusammenseins war und ist die Auseinandersetzung mit unserer Rolle in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, darunter besonders im Kulturbereich. Es ist uns bewusst, dass auch dieser ein bereits eingeteiltes Territorium ist. Unser Bewegungsraum wird im Einklang mit Regeln und Bestimmungen, die innerhalb der Dominanzkultur entstehen, markiert: Grenzen. Orte. Formen.

Wir haben in den letzten Jahren zahlreiche Projekte durchgeführt, die sich in dem Grenzraum zwischen dem sozialen Feld und dem Kulturbereich bewegen und entfalten. Projekte, die uns eine Betätigung jenseits der Aufforderung, als Botschafterinnen exotischer Kulturen zu fungieren, ermöglichen. Wir führen Projekte im Kunst- und Kulturbereich durch (wie zum Beispiel beim Festival der Regionen in Oberösterreich oder bei Ars Electronica in Linz). Es ist ein wichtiger Schritt. Ein Schritt, der uns "den Nachweis" über den Boden, über das Territorium unserer Bewegungen gibt . Auch die Zusammenarbeit mit Künstlerinnen, wie z.B. die kontinuierliche Arbeit die wir mit den Künstlerinnen von Klub Zwei entwickeln(1). Auch die verschiedenen Einladungen für das Projekt Kartografische Eingriffe(2), das im Rahmen dieser Konferenz präsentiert wurde. Auch Projekte im Bereich der literarischen Produktion von Migrantinnen. Und wir nehmen immer mehr Platz in Anspruch. Wir bewegen uns und versuchen Veränderungen in Bewegung zu setzen. Zwischen Vernunft und einer anthropofagischen lachenden Haltung schaffen wir uns Räume der Bewegung und des Widerstandes.

Im Zusammenhang mit unseren Tätigkeiten im Kulturbereich bemühen wir uns um eine Mitwirkung auf der Ebene der Kulturpolitik. Ein wichtiges Anliegen hier ist die Problematisierung bezüglich Partizipationsmöglichkeiten von MigrantInnen im Kulturbereich.

 

MigrantInnen und die Literatur: Ausgrenzungen, Positionen und Forderungen

MigrantInnen, die eine Arbeit im Kultur- und Kunstbereich leisten oder leisten wollen, werden oft mit der Problematik der Reduzierung ihrer Betätigungsfelder und auch der Themen, mit welchen sie sich beschäftigen "sollen/dürfen", konfrontiert. Die Ausgrenzung durch die Einschränkung als ausschließlich "BotschafterInnen fremder Kulturen" oder "VertreterInnen von Gruppen die sich entwurzelt fühlen oder zwischen zwei Kulturen stehen" macht es MigrantInnen fast unmöglich am kulturellen Geschehen als gleichberechtigte ProtagonistInnen teilzunehmen.

In Bezug auf die Tendenz zur Konstruktion einer homogenen Gruppe der MigrantInnen, zur Konstruktion eines Wir, möchte ich einige Passagen aus einer Diskussion zwischen AutorInnen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, zitieren. Die Diskussion fand im Rahmen der 1. Mainzer Migranten Litera-Tour im Dezember 1996 statt. Interessant finde ich die Differenzierung zwischen einem politischen und einem literarischen Wir.

José F.A. Oliver(3) positioniert sich auf einer Seite sehr kritisch (und auch selbstkritisch) gegenüber der Wahrnehmung von AutorInnen mit Migrationshintergrund als eine konstruierte Gruppe:

"Was die ästhetische Frage betrifft, so ist es sehr gewagt, über einen Autor und sein Gesamtwerk zu sprechen. Ein Autor kann stärkere und schwächere Werke haben. Im Grunde genommen sollten wir daher über Werke sprechen, über einzelne Werke. Aber wir sind noch nicht einmal an den Punkt gelangt, daß wir über einzelne Autoren sprechen. Wir sprechen über Autoren noch immer als eine völlig undefinierbare und aus der Situation heraus konstruierte Gruppe. Daran finde ich uns selber auch nicht unschuldig. Über all die Jahre hinweg - und es sind ja bereits etwa 15 Jahre, seitdem über diese Literatur diskutiert wird - haben wir es uns einfach zu leicht gemacht. Wir haben nicht genügend die Frage gestellt, wie sie wahrgenommen wird und was man dagegen tun kann. Wie kann man diese Wahrnehmungsebenen thematisieren?"(4)

Andererseits betont er die Existenz eines politischen Wir:

"Ich trage also diese politische Dimension in mir und setze mich damit in dieser Gesellschaft auseinander. Ob das gewünscht wird oder nicht und je nachdem von welcher Ecke aus, das ist wiederum ein Thema, das ganz bewußt und nicht nur unbedingt jetzt als Autor, sondern auch als Dichter, der zu Menschen in diesem Land in einer politischen Verbundenheit steht, die immer stärker ausgegrenzt oder einfach totgeschwiegen wird."(5)

Der Autor Bahman Nirumand(6) vertritt ebenfalls diese Position:

"Es gibt ein 'Wir'. Es gibt eine spürbare Grenze für jeden Nichtdeutschen, der in diesem Land lebt und schreibt. All diejenigen, die auf derselben Seite der Grenze stehen, bilden dieses 'Wir', und zwischen ihnen existiert ein Zugehörigkeitsgefühl. Das schließt nicht aus, daß man die Menschen differenziert als Individuum betrachten muß, die sich zum Teil gravierend von einander unterscheiden. Wir - und da sage ich ganz bewußt 'Wir' - sollten schon etwas dafür tun, damit diese Grenzen überwunden werden. Gut schreiben allein reicht nicht, es reicht auch nicht, daß wir nicht nur Migrationsthemen wählen. Aber selbst mit gynäkologischen Themen würden wir diese Grenzen nicht überwinden können."(7)

Zafer Senocak(8) betont in der Diskussion, dass dieses politische Wir kein literarisches ist:

"Ich bin nicht ganz Josés Meinung, weil für mich dieses politische 'Wir' noch lange kein literarisches ist. Ich habe das Gefühl, daß das ständig vermischt wird. Es ist einfach ein sehr unangenehmes Gefühl, das dabei entsteht; und ein sehr unaufrichtiges dazu. Ich finde auch nicht, daß wir das 'Wir' jetzt einfach aufgeben sollten, indem wir es ironisch abtun. Weil wir ständig mit ihm konfrontiert sind, ist es ein so wichtiges Thema, daß wir über dieses 'Wir' wirklich diskutieren sollten und hinterfragen müßten, was es eigentlich bedeutet und wie es benutzt wird."(9)

Auch die Thematik der Identität spielt in dieser Reflexion eine zentrale Rolle. Unter den SchriftstellerInnen mit Migrationshintergrund gibt es zahlreichen Stimmen, die sich gegen einengenden Zuschreibungen - besonders im Zusammenhang mit der Frage der Identität als Fremden oder MigrantInnen - positionieren. Hier möchte ich mich noch einmal auf eine Aussage von José Oliver beziehen:

"Meine Identität ist diejenige des Dichters. Und Dichter sein ist für mich meine Seinsform. Es ist für mich eine Lebensform. Ich bin Dichter, auch wenn ich frühstücke, wenn ich schlafe, wenn ich zärtlich bin, wenn ich schreie oder wenn ich demonstriere. Die Ausgrenzungsmechanismen, das ist ein Thema für sich. Es sollte unter dem streitbaren Titel [dieser Diskussion] Wir sprechen ihre Sprache, doch sie hören uns nicht diskutiert werden. Aber es bleibt die Frage, welche Sprache der Dichter spricht. Darüber müßte mehr diskutiert werden. Aber von der Identität her, um es noch einmal ganz klar zu sagen, bin ich José Oliver, und ich bin Dichter. Ich habe sowohl eine andalusische als auch eine alemannische Vergangenheit und eine Gegenwart in diesen beiden Kulturkreisen. Daher bin ich als Mensch eine Herausforderung in der Auseinandersetzung mit nationalen Denkstrukturen, die zum Beispiel solche Begriffe wie 'deutsch' oder 'spanisch' brauchen."(10)

Zur Problematik der Themenauswahl und im Zusammenhang mit der Konstruktion einer Wir-Gruppe meint z.B. der Autor Zafer Senocak:

"Es muß einfach einen Weg innerhalb der Literatur und auch dieser Literatur gefunden werden, um aus diesem 'Wir' zum 'Ich' zu kommen. Jeder, der Josés und meine Texte kennt, wird feststellen, daß wir völlig andere Dinge schreiben. Wir haben ohne Zweifel ähnliche Hintergründe und Ansätze, aber das ist etwas, was aus meiner Sicht nicht in die Literatur hineinragt, sondern etwas, das mit unserer Herkunft, mit unserem Ausgegrenzt-Sein, unserer Verbindung zu bestimmten Bevölkerungsgruppen usw. zusammenhängt. Wenn wir das diskutieren wollen, dann sollten wir die Literatur draußen lassen, das fände ich ehrlicher. (...) Es gibt hunderte von trivialsten Texten, die in den 80er Jahren auf dieser Gastarbeiter-Identität basierend ausgebreitet wurden. Ich kann mir vorstellen, daß ein Kritiker, der solch einen Text einmal in die Hand bekommen hat, für die nächsten zehn Jahre erst einmal genug hat. Das könnte ich gut verstehen, da wir in diesem 'Wir' stehen und da wir uns einfach nicht daraus herausentwickelt haben,"(11)

Adel Karasholi(12) bezieht im Rahmen der Diskussion ebenfalls eine Position zu diesem Thema:

"Ich werde die Politik nicht aus der Dichtung verbannen. Ich kann José völlig verstehen und dem zustimmen, was er sagt. Ja, eigentlich kann fast alles Gegenstand der Literatur sein. Nur muß Literatur eben Literatur bleiben. Soziologische Erörterungen oder politische Pamphlete allein schaffen noch lange keine Literatur, so wichtig sie auch sein mögen."(13)

Anhand dieser zitierten Passagen wird deutlich, dass es keine Einigkeit unter den AutorInnen in der Diskussion um die Definition dieser Literatur gibt. Es gibt sie nicht, diese Einigkeit, und sie soll auch nicht existieren! Dennoch sollen die oben erwähnten Klischees und Einschränkungen, womit sich die AutorInnen mit Migrationshintergrund konfrontiert sehen, auch seitens der KulturvermittlerInnen kritisch reflektiert werden. Denn trotz der "guten Absichten" tragen MigrantInnen und MehrheitsösterreicherInnen, die sich in Sinn von Sichtbarmachung und Abbau von Ausgrenzungsmechanismen im Kulturbereich engagieren, oft zu Verstärkung dieser Ausgrenzung bei. Auch im Literaturbereich. Hier ein Beispiel: der Verein exil in Wien engagiert sich für die Förderung der kulturellen Produktion von MigrantInnen und verleiht jährlich den Literaturpreis "Schreiben zwischen den Kulturen".

Auf der Homepage des Vereins können wir lesen:

"Seit 1997 gibt es auf Initiative des Vereins den Literaturpreis 'Schreiben zwischen den Kulturen' bei dem inzwischen einmal jährlich von einer jährlich wechselnden Jury Preisgelder in Höhe von EUR 11.000,- an AutorInnen vergeben werden, die nach Österreich zugewandert sind oder einer ethnischen Minderheit angehören. Ein Sonderpreis in Höhe von EUR 750,- geht an eine/n muttersprachlich österreichischen Autor/in, die/der sich mit der Thematik des 'Lebens zwischen Kulturen' auseinandersetzt."(14)

Auch ein eigener Verlag wurde gegründet:

"Die edition exil, gegründet 1997, versteht sich als Kleinverlag, der vor allem AutorInnen, die nach Wien zugewandert sind, oder einer ethnischen Minderheit angehören, Möglichkeit zur Veröffentlichung ihrer Texte bietet. Migrations- und Emigrationserfahrungen, Exil und Rückkehr, Leben zwischen Kulturen sowie aktuelle Themen im interkulturellen Kontext sind Schwerpunktthemen des Verlages.

Einmal im Jahr gibt die edition exil eine Anthologie mit den Texten der PreisträgerInnen des Literaturpreises 'Schreiben zwischen den Kulturen', einem vom Verein exil iniziierten Projekt, heraus. Dazu präsentiert die edition exil einen neuen Schwerpunkt: ausgewählte literarische Texte und Experimente ohne thematische Festlegung."(15)

Ähnlich wie im Fall der Arbeit von maiz im Kulturbereich soll man sich hier mit einer Frage beschäftigen: Wird durch die Schaffung von Räumen zur Sichtbarmachung von literarischen Produktionen von MigrantInnen und Minderheiten ein extra-Territorium geschaffen, das wiederum die Logik der Ausgrenzung verstärkt und bestätigt? Ich würde für die bewusste Vermittlung dieser Räume an die Öffentlichkeit (darunter auch an die Politik und Verwaltung) als temporäre Instanzen plädieren und auf die Notwendigkeit einer kulturpolitischen Arbeit hinweisen, die parallel zu dieser Tätigkeit durchgeführt werden soll. Diese kulturpolitische Arbeit soll die Veränderung von Strukturen bewirken, damit die Notwendigkeit der Existenz von solchen Räumen als fast ausschließlich einzige Möglichkeit der kulturellen Betätigung für Migrantinnen nicht mehr vorhanden ist.

Eine weitere Frage die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist die bezüglich der Vermittlung und folglich der Rezeption von literarischen Texten von MigrantInnen. Eine Anthologie von Texten von MigrantInnen, das Hervorheben des literarischen Charakters dieser Texte und die Entscheidung, auch Texte, die von SchülerInnen im Rahmen von interkulturellen Schulprojekten durchgeführt wurden, in der Anthologie zu veröffentlichen, erscheint mir als Zeichen einer Nicht-Beachtung von Kriterien, die angewendet werden könnten/sollten, um den literarischen Wert der präsentierten Texte zu garantieren/bestätigen(16). Die Kriterien, die hier angewendet werden, beziehen sich ausdrücklich auf außerliterarische Aspekte wie Herkunft und Erfahrung mit Interkulturalität. Und auch wenn unter den in den Anthologien veröffentlichen Texten welche stehen, die doch als literarisch zu rezipieren wären, besteht hier durch die Auswahlkriterien die Gefahr einer Verschiebung: da stehen nicht mehr die literarischen Aspekte im Vordergrund, sondern die Tatsache, dass der Text von einem/er Migrant/in geschrieben wurde, die außerdem "zwischen den Kulturen schreibt"!

Ich beabsichtige hiermit keine zerstörerische Kritik an den Verein exil zu richten. Diese Arbeit ist sehr wichtig und leider noch sehr notwendig! Meine Absicht ist zu betonen - und der zitierte Verein ist hier nicht der einzige Adressat - dass unsere Handlung als KulturarbeiterInnen und oder KulturvermittllerInnen, die beabsichtigen, die kulturelle Produktion von MigrantInnen zu unterstützen und fördern, reflektiert werden soll. Denn die Abwesenheit von einem strategischen Vorgehen auf der kultur- und allgemeinen gesellschaftlichpolitischen Ebene kann die Verschärfung der Ausgrenzungssituation bewirken. Dieses übergreifende politische Handeln sollte sich im Sinn einer Bewegung gegen hegemoniale Strukturen artikulieren, sich der Forderung nach Gleichheit, der beim politischen Antirassismus zentral ist, anschließen und sich

positionieren(17)

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© Rubia Salgado (Literaturwissenschafterin und Kulturarbeiterin, Brasilien / Linz)


ANMERKUNGEN

(1) Ein interessantes Beispiel bildet hier die gemeinsame Produktion von großen Plakaten, die bereits in verschieden Städten im öffentlichen Raum präsentiert werden.

(2) Im Rahmen eines Workshops machen Migrantinnen Interventionen in die Stadtpläne der Städte, in denen sie wohnen. Hier geht es um eine Auseinandersetzung mit der Thematik Anwesenheit und Bewegungsmöglichkeiten von Migrantinnen im öffentlichen Raum. Das Projekt Kartografische Eingriffe wurde bereits in Linz und in Innsbruck durchgeführt. Die bearbeiteten Stadtpläne wurden in Galerien präsentiert. Vgl. den Beitrag von Erika Doucette.

(3) José F.A. Oliver, 1961 in Hausach im Kinzigtal als Sohn spanischer Gastarbeiter geboren; Studium der Romanistik, Germanistik, Philosophie in Freiburg; seit 1986 Lyriker und Übersetzer.

(4) Amirsedghi, Nasrin /Bleicher, Thomas (Hg.), Literatur der Migration. Verlag Donata Kinzelbach, Mainz 1997, S. 122.

(5) Amirsedghi/ Bleicher, Op.cit., S. 126

(6) Bahman Nirumand, 1936 in Teheran geboren, Studium der Germanistik, Philosophie und Iranistik in München, Tübingen und Berlin; Schriftsteller, zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften.

(7) Amirsedghi/ Bleicher, Op.cit., S. 130

(8) Zafer Senocak, 1961 in Ankara geboren, Studium der Germanistik, Politik und Geschichte in München; seit 1970 in Deutschland, lebt in Berlin als freier Schriftsteller, Lyriker und Übersetzer.

(9) Amirsedghi/ Bleicher, Op.cit., S. 126

(10) Amirsedghi/ Bleicher, Op.cit., S. 120-121

(11) Amirsedghi/ Bleicher, Op.cit., S. 126

(12) Adel Karasholi, 1936 in Damaskus geboren; seit 1961 in Deutschland; Studium der Literartur- und Theaterwissenschaft in Leipzig; zweisprachiger Lyriker, Essayist und Übersetzer.

(13) Amirsedghi/ Bleicher. Op.cit., S. 127

(14) Aus: http://www.amerlinghaus.at/exil.htm

(15) Aus: http://www.amerlinghaus.at/exil.htm

(16) Siehe u.a. : Stippinger, Christa (Hg.), weltzwischenwelten, edition exil, Wien1998; oder Kulturbrüche. Das Buch zum Literaturpreis schreiben zwischen den Kulturen. edition exil, Wien 2002.

(17) Siehe auch: 10 Punkte zur "Migranten-Literatur", in: Amirsedghi, Nasrin /Bleicher, Thomas (Hg.), Literatur der Migration. Verlag Donata Kinzelbach, Mainz 1997, S. 187-188.


5.14. "Den Kunstbegriff gilt es auf Punktgröße zu verändern." Kunst als Raum der Kommunikation

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For quotation purposes:
Rubia Salgado (Literaturwissenschafterin und Kulturarbeiterin, Brasilien / Linz): Literatur und Migration. Kulturpolitische Überlegungen aus der Perspektive von Migrantinnen. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/05_14/salgado15.htm.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 2.4.2004     INST