Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. Juni 2004
 

6.1. Standardvariationen und Sprachauffassungen in verschiedenen Sprachkulturen | Standard Variations and Conceptions of Language in Various Language Cultures
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Rudolf Muhr (Universität Graz)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Die Sprachauffassung in der auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland

Wolfgang Braune-Steininger (Technische Universität Berlin, Deutschland)

 

Von einer auswärtigen Kulturpolitik spricht man in deutscher Geschichte seit Ende des 19. Jahrhunderts, als deutsche Schulen im Ausland gegründet wurden. Institutionalisiert wurde die auswärtige Kulturpolitik vor allem im Außenministerium, was auch ihre Bezeichnung als Kulturdiplomatie rechtfertigt. Ihre Aktionsfelder waren neben dem Auslandsschulwesen die Förderung des Wissenschaftleraustausches und die Unterstützung der "auslandsdeutschen" Kulturarbeit(1). Von der frühen Theoriebildung ist die Rede des Wirtschaftshistorikers Karl Lamprecht Über auswärtige Kulturpolitik von 1912 hervorzuheben, die noch heute relevante interkulturelle Theoreme wie die Endosmose beinhaltet(2).

Zu den progressiv agierenden Politikern der Weimarer Republik gehört der preußische Kultusminister Carl Heinrich Becker, der die dialogischen Komponenten in der Kulturpolitik erkannte und die Kulturdiplomatie weniger als Exportmaßnahme, sondern als Möglichkeit des Austauschs(3) auffasste.

Die nationalsozialistische Diktatur brachte auch die mit auswärtiger Kulturarbeit beauftragten Organisationen unter ihre Kontrolle, und das Ministerium von Joseph Goebbels für Volksaufklärung und Propaganda(4) sollte auch die Außendarstellung dominieren. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Bundesrepublik in ihren kulturpolitischen Aktivitäten zunächst um die Restitution des verloren gegangenen Ansehens von Deutschland bemüht. Die auswärtige Kulturpolitik begann institutionell bereits im Herbst 1949 mit der Schaffung eines Kulturreferats in der Verbindungsstelle des Bundeskanzleramts zur Alliierten Hohen Kommission. Der Einrichtung des Auswärtigen Amts am 15. März 1951 sollte bald die Wiedereinrichtung seiner Kulturabteilung folgen. Der DAAD (1950), das Institut für Auslandsbeziehungen - vormals Deutsches Auslands-Institut - (1950), das Goethe-Institut (1951) und die Humboldt-Stiftung (1953) wurden wiedergegründet und mit Inter Nationes (1953) und dem Auslandsrundfunk Deutsche Welle (1953)(5) neue außenkulturpolitische Institutionen ins Leben gerufen. Diese Vielzahl der Mittlerorganisationen deutscher auswärtiger Kulturpolitik und die außenkulturpolitischen Aufgabenbereiche von mehr als zehn Ministerien trugen oft zu einem Kompetenzenwirrwarr in der bundesdeutschen Kulturdiplomatie bei. Im Vergleich dazu splittern sich, wie Rudolf Muhr festgestellt hat, die auslandskulturpolitischen Kompetenzen Österreichs auf drei Ministerien auf, was allerdings auch schon kontraproduktiv wirkt.(6) Als weiterer Problembereich erweist sich die Kulturhoheit der Bundesländer, die kulturdiplomatische Kooperationen mit dem Bund oft erschwert. So kann etwa im "Europa der Regionen" jedes Bundesland Kulturwerbung in eigener Sache machen und damit in einen Wettbewerb mit den anderen Bundesländern treten. In ihrer Geschichte befand sich die Bundesrepublik auch kulturpolitisch in Konkurrenz zur DDR, die sich selbstbewusst als "sozialistische deutsche Nation" nach innen und nach außen präsentierte und kulturdiplomatische Annäherungen oft als vorbereitende Maßnahmen zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen einsetzte(7). Sprachenpolitisch war das Herder-Institut in Leipzig ihre wichtigste Mittlerorganisation. Die Förderung der deutschen Sprache als ein Teilbereich der auswärtigen Kulturpolitik hatte in deren Geschichte eine unterschiedlich hohe Bedeutung. Durch die propagandistische Konkurrenzsituation im Kalten Krieg mussten vor allem die landeskundlichen Inhalte in den Programmen der Mittlerorganisationen zeigen, dass sich Meinungsvielfalt und auch Selbstkritik in der Demokratie der Bundesrepublik etabliert haben, ganz im Gegensatz zum Totalitarismus der DDR. So konnte die deutsche Sprache auch gar nicht die Hauptrolle in der bundesrepublikanischen Kulturdiplomatie spielen. Erst 1967 legte die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag einen Bericht über Die Situation der deutschen Sprache in der Welt vor, in dem sie zum ersten Mal umfassend die Sprachpolitik thematisierte. Darin wird der schwindende Einfluss des Deutschen, bedingt durch die beiden Weltkriege, konstatiert. Es sei nur noch begrenzt Weltsprache, habe aber als Bildungssprache überlebt(8):

Die Bedeutung der deutschen Sprache von heute ruht weder auf dem Ausmaß ihrer Verbreitung in der Welt noch auf großem, machtpolitischem Glacis, sie liegt vielmehr in ihrer Rolle als Sprache der Wissenschaft, Technik und Schule. Deutsch ist neben dem Englischen und Französischen die dritte "klassische" Bildungssprache. Ihre weitere Stellung als Sprache der Wissenschaft und Technik wird aber in Zukunft von dem Grad der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wissenschaft und Technik wesentlich mitbestimmt.

Auffällig ist die Interdependenz von Sprache, Wissenschaft und Technik, wobei die Wirtschaft, insbesondere Exportmöglichkeiten, als weitere Hauptkomponente mit zu bedenken ist. Weltfremder Ästhetizismus ist der bundesdeutschen Kultur-, insbesondere der Sprachpolitik, gewiss nicht vorzuwerfen. In der Regierungszeit der Großen Koalition von CDU und SPD und in der nachfolgenden sozialliberalen Koalition von SPD und FDP gewann die auswärtige Kulturpolitik erheblich an Bedeutung. Willy Brandt prägte als Außenminister die im kulturdiplomatischen Diskurs mittlerweile zum Topos gewordene Definition der auswärtigen Kulturpolitik als die dritte Säule der Außenpolitik neben der Außenwirtschaftspolitik und der klassischen Diplomatie. Im auswärtigen Amt dynamisierten der damalige Parlamentarische Staatssekretär Ralf Dahrendorf und die seinerzeitige Staatsministerin Hildegard Hamm-Brücher die kulturdiplomatische Theoriebildung, indem sie den sozialpolitisch fundierten erweiterten Kulturbegriff propagierten(9). Die Popularisierung der deutschen Sprache im Ausland war nicht das Hauptziel der kulturdiplomatischen Aktivitäten. In Dahrendorfs 10 Leitsätzen zur auswärtigen Kulturpolitik von 1970 ist zu lesen(10):

Die deutsche Sprache ist Träger, nicht Ziel unseres Wirkens im Ausland. Es gibt traditionelle deutsche Sprachgebiete, in denen die Förderung des Deutschen verstärkt werden kann, in anderen Teilen der Welt dürfte es für die Ziele des Austausches zweckmäßiger sein, sich der jeweils gebräuchlichsten Sprache als Kommunikationsmittel zu bedienen.

Mit der auswärtigen Kulturpolitik befasste sich auch der Bundestag intensiver, der ebenfalls 1970 zu ihrer Bestimmung und Zielsetzung eine Enquete-Kommission berief, die ihre Arbeitsergebnisse am 7. Oktober 1975 vorlegte. Es war dies überhaupt die erste Einsetzung einer Enquete-Kommission in der bundesdeutschen Parlamentsgeschichte. Zur Bedeutung der Sprache wird zunächst selbstbewusst vermerkt(11):

Die Rolle der deutschen Sprache wird nicht dadurch problematisch oder gemindert, daß sie keine Weltsprache ist. Das war sie nie. Aber sie ist die am weitesten verbreitete in Europa.

Der Bericht konstatiert auch die Millionen Arbeitsmigranten in der Bundesrepublik, die "Gastarbeiter", in ihrem sprachpolitischen Potenzial als Deutschlerner und die nach wie vor bestehende Stellung des Deutschen als lingua franca in Mittel- und Osteuropa. Dennoch kommen die Experten in §106 des Berichts, der Deutsch als Bildungs- und Wissenschaftssprache thematisiert, zu der Einsicht:(12)

Der internationale Rang der deutschen Sprache, wie er sich im 19. Jahr- hundert entwickelt hat, beruhte auf den Wirkungen der deutschen Philosophie, auf dem Ansehen der deutschen Literatur, sowie auf dem Niveau der deutschen Technik, der Industrie und der Wissenschaft. Die deutschen Universitäten hatten seit der Humboldtschen Universitäts- reform für das Ausland große Anziehungskraft. Heute ist die internationale wissenschaftliche und technologische Entwicklung nicht mehr in dem- selben Maße mit der deutschen Sprache verbunden.

Mit Zweckoptimismus und dem Appell an die Wirtschaft zur kulturpolitischen Kooperation endet dieser Paragraf:(13)

Aber noch immer ist die Position der deutschen Industrie und Wirtschaft ein wichtiger Grund, Deutsch zu lernen. Es liegt auch im Interesse der deutschen Wirtschaft, dem Rechnung zu tragen.

Helmut Schmidt, der von der Geschichtswissenschaft als Pragmatiker typisiert wird, war in seinem kulturdiplomatischen Verständnis nicht auf die Verbreitung der deutschen Sprache fokussiert. In seinem Beitrag zum Symposium 80, der ersten internationalen Konferenz über auswärtige Kulturpolitik (1980 in Bonn), antizipierte er Wolf Lepenies' Mitte der neunziger Jahre aufgestellte Forderung(14) nach der Wandlung von einer 15 Lehr- zu einer Lernkultur:(15)

Die beste auswärtige Kulturpolitik ist nicht jene, die eigene Kulturleistung vorstellt, sondern jene, die fremde Kulturleistung fördert und im eigenen Lande bekanntmacht.

Auch Hans-Dietrich Genscher als dienstältester Außenminister der Bundesrepublik setzte in seinen kulturdiplomatischen Aktivitäten keineswegs die Priorität auf die Sprachpolitik. In seiner Rede anlässlich des Wechsels im Amt des Präsidenten des Goethe-Instituts von Hans Heigert zu Hilmar Hoffmann am 2. Mai 1989 in München verwahrte er sich gegen Polemiken gegen progressive Inhalte in der Programmarbeit. Bemerkenswert seine These, die die Kultur als conditio sine qua non der Identitätsbildung von Politik begreift:

"Die Politik braucht die Kultur, weil sie nur zu sich selber findet, wenn sie sich selbst als Ausdruck der Kultur begreift."(16) Genscher war zu diesem Zeitpunkt Mitglied der christlich-liberalen Regierungskoalition, die 1985 dem Bundestag den Bericht über Die Stellung der deutschen Sprache in der Welt vorgelegt hatte. Darin wird, nach einem historischen Überblick über die bundesdeutsche auswärtige Kulturpolitik, aus der Regierungserklärung Helmut Kohls vom 4. Mai 1983 zitiert, in der vermehrte Anstrengungen zur Verbreitung der deutschen Sprache im Ausland versprochen werden.(17) Diese Maxime wurde dann nach der deutschen Wiedervereinigung und dem Fall der Regime in Osteuropa zur Leitlinie der Kulturarbeit im Ausland. Lothar Wittmann, der unter Kohl Leiter der Kulturabteilung im Auswärtigen Amt geworden war, setzte den Schwerpunkt Mittel- und Osteuropa und legte für den Zeitraum von 1993 bis 1995 ein Sonderprogramm zur Förderung der deutschen Sprache auf.(18) Der aus der Bamberger Schule um Helmut Glück kommende Axel Schneider, der die für Osteuropa bestimmten Förderprogramme der Kohl-Regierung von 1982 bis 1995 untersucht hat, belegt diese Tatsache mit anschaulichem statistischen Material.(19)

Während der Präsidentschaft Hilmar Hoffmanns im Goethe-Institut wurden dessen Friktionen mit konservativen Politikern deutlich geringer. Helmut Kohl hielt am 1. Dezember 1995 anlässlich eines Festakts im Goethe-Institut in Mannheim, bei dem der 750.000. Teilnehmer an einem Sprachkurs begrüßt wurde, seine Rede Auswärtige Kulturpolitik im Dienst des Friedens und der Verständigung, in der er seine Vorstellungen von Kulturdiplomatie äußerte. Nach der Betonung der Kontinuität auswärtiger Kulturpolitik und ihrer Verortung "an der Nahtstelle von Innen-, Europa- und Außenpolitik"(20) spricht er offen den Zusammenhang mit ökonomischen Faktoren aus: "Das Deutschlandbild beeinflusst auch unsere Chancen auf den internationalen Märkten."(21) Kohl, dem "die Sprachförderung ein zentrales Anliegen der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik ist"(22), postuliert geradezu emphatisch eine offensive Sprachpolitik(23):

Meine Damen und Herren, wenn wir in anderen Ländern einen Begriff von Deutschland und den Deutschen vermitteln wollen, müssen wir natürlich bei der Sprache beginnen. Sie ist wesentlicher Teil und Medium deutscher Kultur. Wenn wir etwa in der Europäischen Union dafür eintreten, daß unsere Sprache weniger stiefmütterlich behandelt wird, wie das gelegentlich der Fall ist, hat das nichts mit deutschem Sprachimperialismus zu tun. Ich meine, es ist schon berechtigt, daß wir - wie andere auch - zu unserer eigenen Sprache stehen. Wilhelm von Humboldt hat gesagt: "Die Sprache ist gleichsam die äußere Erscheinung des Geistes der Völker."

Von allen Bundeskanzlern der Bundesrepublik ist Kohl derjenige, der der deutschen Sprache das größte kulturpolitische Potenzial zuschreibt. Unter den Präsidenten äußerte sich neben Theodor Heuss vor allem Roman Herzog pointiert zu Fragen der Kulturpolitik. In seinen Reden wendet er sich gegen die von Samuel P. Huntington heraufbeschworene Gefahr vom internationalen Kampf der Kulturen (Clash of Civilizations)(24) und nennt eine dialogisch konzipierte kulturelle Außenpolitik "die umfassendste vertrauensbildende Maßnahme, die man sich denken kann"(25). Besonders hohen Aussagewert hat seine Rede Kultur lebt vom Dialog, die er am 9. Oktober 1996 im Bonner Haus der Geschichte anlässlich der von Inter Nationes veranstalteten Tagung Deutschland im internationalen Kulturdialog hielt. Dabei gibt er sich hinsichtlich der außenkulturpolitischen Funktionalisierbarkeit der deutschen Sprache und deren Erfolgsaussichten keinen Illusionen hin:(26)

Wirklich erfolgreich wird Sprachförderung aber nur dann sein, wenn wir die Inhalte, die in der deutschen Sprache vermittelt werden, von der Wissenschaft bis zur Poesie, so gestalten, daß sie weltweit auf Interesse stoßen. Wenn das der Fall ist, wird die Verbreitung der Sprache "selbsttragend". Wenn es nicht der Fall ist, nützt selbst das aufwendigste Förderprogramm nichts. Vielleicht sollte ich es, um mich ganz verständlich zu machen, in den Worten der Wirtschaft ausdrücken: "Die beste Exportförderung nutzt nichts, wenn das Produkt nichts taugt."

Wenig später erweitert Herzog seine These, indem er auch die Säulen-Metapher verwendet(27):

Die Ergebnisse unserer Kulturpolitik im Ausland können nicht besser sein als die Kultur, deren Verbreitung sie fördert. Mit Wissenschaft und Technologie ist es ähnlich. Die Attraktivität und Sprache eines Landes spiegelt das Interesse an diesem Land in allen Aspekten wider, in wirtschaftlicher, kultureller und technologischer Hinsicht. Deshalb sind unsere Wirtschaft, Politik und Wissenschaft auch Säulen unserer Sprachpolitik im Ausland. Eine kluge Politik, eine reiche Kultur und eine innovative Wissenschaft tragen entscheidend dazu bei, daß Deutsch auch als Fremdsprache auf Interesse stößt.

Klaus Kinkel, der Amtsnachfolger Genschers, sprach von allen Außenministern wohl am deutlichsten die Qualität von Kulturpolitik als Imagefaktor für ökonomische Interessen aus. Er berief eine Botschafterkonferenz ins Auswärtige Amt (10./11. März 1997), in der er seine Zehn Thesen zur Auswärtigen Kulturpolitik vorstellte. In der sechsten These äußert er sich zu sektoralen Schwerpunkten, wo er den "Erhalt und Ausbau des Auslandsschulnetzes, auch als Infrastrukturleistung für die deutsche Exportwirtschaft"(28) und "Sprachförderung mit regional differenzierten Konzepten"(29) fordert. Die siebte These formuliert ganz offen die intendierte Verzahnung von Politik, Wirtschaft und Kultur(30):

Staat und Wirtschaft müssen im Interesse einer aktiven Standortsicherung in der Auswärtigen Kulturpolitik enger und koordinierter zusammenarbeiten. Voraussetzung hierfür ist die Verbesserung der gegenseitigen Information auf allen außenkulturpolitisch relevanten Ebenen in Deutschland und in unseren Zielländern. Wir müssen staatliche und wirtschaftliche Kräfte bündeln und finanzielle Beteiligungen der Außenwirtschaft an integrierten Programmen der Auswärtigen Kulturpolitik möglich machen und fördern.

Mit der Forderung nach der Institutionalisierung eines Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) gelang der SPD eine Akzentsetzung im Bundestagswahlkampf 1998. Nach dem Wahlsieg von Rot-Grün konnten die Amtsinhaber Michael Naumann, Julian Nida-Rümelin und Christina Weiss zwar breitere Aufmerksamkeit für die Belange der Kultur, besonders in der Filmförderung, erlangen - die Kernkompetenzen in der auswärtigen Kulturpolitik, etwa die Kooperation mit den Mittlerorganisationen, konnten sie nicht an sich ziehen. Nach wie vor bleibt das Außenministerium die dominierende Größe für die Kulturdiplomatie. Nach dem Regierungswechsel 1998 strebte der neue Außenminister Joschka Fischer eine Neuprofilierung der auswärtigen Kulturpolitik an. So wurde die Konzeption 2000 entworfen, die die Basis für das am 4. Juli 2000 im Auswärtigen Amt stattfindende Forum Zukunft der Auswärtigen Kulturpolitik war, welches Fischer mit einer richtungsweisenden Rede einleitete. Darin postuliert er die Menschenrechte als wichtigste Komponente der unter seiner Ägide stehenden Kulturdiplomatie(31):

"Die Herrschaft des Rechts als Schlüssel zu einer menschlichen und friedlichen Globalisierung ist das Zukunftsthema der kommenden 31 Jahre."

Die neue "Berliner Republik" müsse sich enormen Erwartungen des Auslands hinsichtlich ihrer "Bereitschaft zu einer gestaltenden Rolle"(32) stellen. Dabei spielt die deutsche Sprache nicht die Hauptrolle. Zur Sprachförderung äußert sich Fischer in auffallender Weise:(33)

Ein Wort zur Förderung der deutschen Sprache: Sie liegt mir sehr am Herzen, wie Sie bemerkt haben. Sie bleibt auch in Zukunft ein Schwerpunkt der auswärtigen Kulturpolitik. Ihre Kenntnis eröffnet den umfassendsten Zugang zu unserer Kultur und Lebenswirklichkeit. Insbesondere in Mittel- und Osteuropa ist das Interesse an der deutschen Sprache nach wie vor groß. Wir sollten uns aber nicht in falsch verstandene Konkurrenzen verrennen. Vor allem sollten wir uns die Frage stellen, warum das Interesse an Deutsch nachlässt. Ich meine nicht die funktionale Ebene. Ich frage einmal umgekehrt: Macht gegenwärtig deutsche Literatur neugierig auf deutsche Sprache? Macht die kulturelle Darstellung unseres Landes, macht das, was wir an Kultur bieten, wie wir es darstellen, neugierig auf Deutschland und damit auf die deutsche Sprache? Spracherwerb setzt Neugierde voraus. Oder aber ein funktionales Interesse. Aber das funktionale Interesse ist heute ein anderes als früher. Heute ist die lingua franca der Globalisierung uns allemal überlegen. Niemand verspürt so schmerzhaft wie die "grande nation" Frankreich den Durchbruch zur Einsprachigkeit im internationalen Raum, nämlich zum Englischen. Deshalb wird der andere Ansatz: wie kreativ ist eine Kultur, wie neugierig macht eine Kultur , ganz entscheidend für die Positionierung der deutschen Sprache sein. Wir sollten, statt in einen fruchtlosen Wettbewerb mit der lingua franca Englisch einzutreten, unsere Ressourcen besser in die Stärkung des Deutschen als zweiter Fremdsprache investieren.

Mit dieser Sprachauffassung befindet sich Fischer in Konsens mit Roman Herzog, der der Sprache allein keinen großen Werbewert nach außen beimaß. Überhaupt lassen sich kaum parteipolitisch fixierbare Positionen in der auswärtigen Kulturpolitik ausmachen. Ein von Regierung und Opposition gleichsam erkanntes Problemfeld ist die intensive Zunahme an Anglizismen im deutschen Wortschatz. Hier verwahrt sich die Schröder-Regierung gegen die Forderung nach restriktiven sprachpolitischen Maßnahmen. Auf der Internetseite der Regierung findet sich unter dem Hauptthema Literatur als dritter Unterpunkt (nach Pflege und Bewahrung des literarischen Erbes und Förderung der zeitgenössischen Literatur) die Rubrik Förderung der deutschen Sprache, wo zunächst auf die Bereitstellung finanzieller Mittel zur Sprachpflege hingewiesen wird und sich schließlich die Ausführungen finden:(34)

Die Erhaltung der deutschen Sprache beinhaltet jedoch ausdrücklich nicht den Erlass eines Sprachschutzgesetzes - wie in letzter Zeit aufgrund der Zunahme der Anglizismen in der deutschen Umgangssprache vielfach gefordert. Die deutsche Sprache war nie eine "reine" Sprache, sondern hat im Lauf ihrer Geschichte Wörter aus zahlreichen Sprachen übernommen; vor allem aus dem Lateinischen, Griechischen, Französischen und in letzter Zeit verstärkt aus dem Englischen. Sie hat sich - wie jede andere Sprache - stets gewandelt, und sie muss auch wandlungsfähig bleiben, um sich der stetig ändernden Wirklichkeit anpassen zu können. Überdies hat der Bund nach dem Grundgesetz für den Bereich der Sprache, abgesehen von Teilbereichen wie der Gesetzes- und Verwaltungssprache des Bundes, keine Gesetzgebungskompetenz.

Vom Auswärtigen Amt oder von den Mittlerorganisationen ist keine gegenteilige Stellungnahme publiziert worden, so dass diese Sprachauffassung generell für die gegenwärtige auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik anzunehmen ist. Insgesamt wäre aber von Bund und Ländern noch ein größeres Vertrauen in die Sprache zu wünschen. So bezuschusst zwar der DAAD im Rahmen des Programms "Export deutscher Studienangebote" die German University in Cairo (GUC), die von dem ehemaligen DAAD-Stipendiaten Prof. Ashraf Mansour, der an der Universität Ulm promoviert und habilitiert hatte, gegründet wurde. Zur festlichen Einweihung am 5. Oktober 2002 kamen die beiden Regierungschefs Gerhard Schröder und Hosni Mubarak in Kairo zusammen. Kooperationspartner der GUC sind die baden-württembergischen Universitäten Ulm, Stuttgart, Tübingen und Mannheim. Der Unterricht in Kairo wird aber in Englisch gehalten, denn nach Auffassung des DAAD würde ein Studium auf Deutsch zu wenig Bewerber anlocken. Dennoch hat der DAAD ein German Center (!) an der GUC eingerichtet, um die Studierenden mit der deutschen Sprache und Kultur vertraut zu machen.(35)

Hier wäre tatsächlich mehr sprachliches Selbstbewusstsein notwendig gewesen. Besonders gefordert wird die Kulturdiplomatie - nicht nur der Bundesrepublik - wenn der Europäischen Union im Jahr 2004 zehn neue Mitgliedstaaten beitreten und neue Fragen der sprachpolitischen Korrelationen aufgeworfen werden. Hilfreich wären sicherlich eine zentraler angelegte Struktur der auswärtigen Kulturpolitik, eine wirksamere Kooperation von Bund und Ländern und ein intensiverer Austausch mit kulturpolitischen Institutionen der Nachbarstaaten.

© Wolfgang Braune-Steininger (Technische Universität Berlin, Deutschland)


ANMERKUNGEN

(1) Zur Struktur der auswärtigen Kulturpolitik in Deutschland sei auf die Broschüre vom Auswärtigen Amt (2002) verwiesen.

(2) Lamprecht (1913), bes. S. 9.

(3) Vgl. Witte (1989), S. 69.

(4) Vgl. bes. Abelein (1968), S. 133.

(5) Vgl. Witte (1989), S. 72.

(6) Muhr (1997), S. 102.

(7) Vgl. Peisert/Kuppe (1983), S. 374.

(8) Bundesregierung (1967), S. 8.

(9) Vgl. bes. Schneider (2000), S. 64 - 81.

(10) Auswärtiges Amt (1972), S. 784.

(11) Deutscher Bundestag (1975), S. 12.

(12) Ebd., S. 23.

(13) Ebd.

(14) Lepenies (1995).

(15) Zit. nach Wierlacher (Hrsg.) (1987), S. 370.

(16) Genscher (1990), S. 296.

(17) Zit. nach Wierlacher (Hrsg.) (1987), S. 383.

(18) Wittmann (1994), S. 489.

(19) Schneider (2000), bes. S. 175ff.

(20) Kohl (1996), S. 77.

(21) Ebd., S. 78.

(22) Ebd., S. 80f.

(23) Ebd., S. 80f.

(24) Huntington (1996).

(25) Herzog (1996), S. 890.

(26) Ebd., S. 893.

(27) Ebd.

(28) Kinkel (1997), S. 271.

(29) Ebd.

(30) Ebd.

(31) Fischer (2000), S. 6

(32) Ebd.

(33) Ebd., S. 8.

(34) www.bundesregierung.de: Ausdruck vom 1.4.2003.

(35) Newsletter Kulturportal Deutschland 41/2003 (10.10.2003).


LITERATUR

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Lamprecht, Karl (1913): Über auswärtige Kulturpolitik. Stuttgart: Kohlhammer. Lepenies, Wolf (1995): Das Ende der Überheblichkeit. Wir brauchen eine neue auswärtige Kulturpolitik. Statt fremde Gesellschaften zu belehren, müssen wir bereit sein, von ihnen zu lernen. In: Die Zeit vom 24.11.1995, S. 62.

Muhr, Rudolf (1997): Die Auslandskulturpolitik Österreichs und Deutschlands - ein Vergleich. In: Institut für Auslandsbeziehungen (Hrsg.): Sprachenpolitik in Europa - Sprachenpolitik für Europa. Stuttgart.

Peisert, H./Kuppe, J. (1983): Artikel Kulturpolitik, auswärtige. In: Langenbucher/ Rytlewski, Ralf/Weyergraf, Bernd (Hrsg.): Kulturpolitisches Wörterbuch Bundesrepublik Deutschland/Deutsche Demokratische Republik im Vergleich. Stuttgart: Metzler.

Schneider, Axel (2000): Die auswärtige Sprachpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Bamberg: Collibri.

Wierlacher, Alois (Hrsg.) (1987): Auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland 1976 - 1986. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 13/1987. S. 362 - 402.

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Wittmann, Lothar (1994): Perspektiven der Auswärtigen Kulturpolitik. In: Zeitschrift für Kulturaustausch 44/1994. S. 485 - 491.


6.1. Standardvariationen und Sprachauffassungen in verschiedenen Sprachkulturen | Standard Variations and Conceptions of Language in Various Language Cultures

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Wolfgang Braune-Steininger (Technische Universität Berlin, Deutschland): Die Sprachauffassung in der auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/06_1/braune15.htm

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