Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 15. Nr. | August 2004 | |
7.2. Translation and Culture Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures |
Veronika Pólay
(Dániel Berzsenyi Hochschule, Szombathely, Ungarn)
[BIO]
Bei der Suche nach der richtigen Antwort, ob die Übersetzung von Kultur mit der Übersetzung von Literatur gleichzusetzen ist, müssen wir zuerst den Begriff "Kultur" definieren. Dieses Wort wird tagtäglich von allen benutzt, aber wenn wir jemanden nach einer Definition fragen würden, könnten wir kaum eine ausreichende bekommen. Auch die Lexika helfen uns nicht ausreichend. Kultur ist die Gesamtheit der materiellen und geistigen Werte, die die Menschheit während ihrer geschichtlichen Entwicklung zustandegebracht hat(1) - erklärt eines von ihnen.
In keinem der von mir konsultierten Nachschlagewerke habe ich eine Aufzählung gefunden, was konkret zu der Kultur einer Sprachgemeinschaft gezählt werden kann oder sollte. (Darum Sprachgemeinschaft, weil wir von Übersetzung sprechen, und zwar von Übersetzung im engen Sinne, also zwischen Sprachen und nicht Sprachvariäteten.) Das Problem ist das gleiche, wenn wir das Wort Literatur präzisieren möchten. Literatur ist immer Teil der Kultur, damit sind wahrscheinlich alle einverstanden. Welche Art der Bücher Kultur genannt wird, kann im engen und im weiten Sinne bestimmt werden. Im engen Sinne vielleicht so, dass jene Werke und Autoren, die in den entsprechenden Lexika zu finden sind, gehören zur "großen", d.h. klassischen Literatur. Sie besitzen einen kulturellen Wert in der Kultur dieser Sprachgemeinschaft. Aber alle Bücher, alle Werke, die gedruckt, gekauft und gelesen werden, und damit das Weltbild, die Auffassung der Menschen mitbestimmen, müssen zur Kultur gerechnet werden. Ausdrücke, Wörter, Denkweisen werden angeeignet und benutzt, so sind sie auch Teil der Kultur, auch wenn nicht der der Literatur. Malinowski schlägt vor, alle geerbten Produkte, Güter, technische Prozesse, Gewohnheiten und Werte zur Kultur zu rechnen, obwohl es eine ungewöhnliche Definition ist.(2)
Wenn man ein literarisches Werk liest, macht man sich im Allgemeinen keine Gedanken darüber, wie weit die Übersetzung dem Original nahekommt. Man liest es einfach, und man hat einen Eindruck. So kann auch vorkommen, dass Generationen etwas über einen Schriftsteller oder Dichter glauben, was er in der Wirklichkeit nicht war, oder nicht getan oder geschrieben hat. Das war nämlich der Übersetzer. "Übersetzung ist - in einem weiteren Sinne - immer Kulturarbeit, in einem engeren Sinne Spracharbeit: Arbeit mit der anderen und an der eigenen Kultur, Arbeit mit und an der eigenen Sprache. Die Übersetzungsaufgabe ist eine kommunikative Herausforderung, die unter zwei Aspekten gesehen werden muss: dem Aspekt des Kulturkontakts und dem Aspekt des Sprachkontakts."(3) Nur sehr neugierige, und etwas "verkehrte" Menschen überlegen, wenn sie etwas merkwürdiges lesen, dass es vielleicht vom Übersetzer und nicht vom Originalautor begangen wurde. Sie versuchen dann die ausgangssprachliche Variante aufzutreiben, und beginnen die beiden Werke miteinander zu vergleichen. Nach dem ersten Lesen hat man dann wieder einen Eindruck, man kann aber noch nicht sagen, warum man die Übersetzung für gut oder für nicht so gut gelungen hält. Man kann nicht die Verluste und Gewinne aufzählen, dazu braucht man gründliche Analyse und linguistisches Können.
1.1. Unter den literarischen Werken gibt es solche, die eine fiktive Welt, mit fiktiven Orten und Figuren darstellen und solche, die eine reale Welt abbilden. Natürlich handeln die meisten Werke von fiktiven Figuren, weil sie nicht Biographen oder wirkliche Geschichten sind. Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen solchen Werken, die an die wirkliche Welt gebunden sind, und zwischen solchen, die nicht. Damit dieser Unterschied klar wird, sollten wir an die Harry Potter-Serie denken, die uns allen - auch wenn nicht aus persönlichen Erfahrungen - bekannt ist. Alle, die sich mit Übersetzung beschäftigen, sollten die Übersetzung von einem Harry Potter-Buch und die eines beliebigen klassischen literarischen Werkes unter die Lupe nehmen. Zwar ist die Übersetzung von solchen "Utopien" auch eine schwierige und sehr viel Kreativität erfordernde Arbeit, aber durchaus möglich. Dann muss man sich nämlich in die Gefühlswelt nur einer Person einsetzen, nicht in die einer Sprachgemeinschaft. Und eine Person kennenzulernen ist immer einfacher, als eine ganze Gesellschaft/Sprachgemeinschaft.
1.2. Meine Hypothese lautet: An konkrete Zeiten und Orten einer Sprachgemeinschaft gebundene literarische Werke zu übersetzen und zu adaptieren ist eine sehr schwierige, in manchen Fällen sogar unmögliche übersetzerische Aufgabe. Unter unmöglich verstehe ich, dass während des Übersetzungsprozesses so viele Verluste entstehen, dass die Übersetzung kaum mehr mit dem Original zu vergleichen ist.
In diesen Fällen wäre eigentlich nur eine Variante mit vielen Fußnoten die Lösung, oder auch die Verfilmung des Werkes. Diese spezielle Art der Übersetzung, nämlich die Übersetzung zu einem zielsprachlichen Drehbuch ermöglicht, jene Komponenten des Werkes zu erklären, die nur mit einer "normalen" Übersetzung nicht zu erklären wären. In einem Film sind viele visuelle und akustische Informationen, die die Atmosphäre einer Geschichte ohne zusätzliche Wörter schildern können. Realien müssen nicht explizit erklärt werden, wie ein Gericht, ein Kleidungsstück. Aussprache, Intonation müssen zwar adaptiert aber nicht extra erklärt werden.
2.1. Als Beispiel habe ich ein ungarisches Werk, und dessen deutsche Übersetzung. Das Buch heißt: Die Jungen der Paulstraße, und wurde 1928 ins Deutsche übersetzt. Wahrscheinlich ist es nicht die erste und einzige deutsche Variante des Buches. Der Autor, Ferenc Molnár hat das Buch 1907 geschrieben, also um die Jahrhundertwende. Seine Figuren sind Kinder im Alter von 10-12 Jahren, in den 1850-er Jahren in Budapest. Der Ort ist ein Bezirk, namens Josefstadt, was dem deutschsprachigen Publikum nicht viel sagt, alle aber in Ungarn wissen, was sie mit diesem Namen zu tun haben. (Dieses Bezirk von Budapest ist heute noch eine sehr arme Gegend, mit alten, vierstöckigen Mietshäusern.) Die Geschichte handelt von dem Krieg zwischen zwei Banden der Knaben, deren Welt einzig dieser Kampf und das Spiel auf dem sog. "Grund" ausmacht. Das Buch ist Pflichtlektüre in den ungarischen Grundschulen, und ist einer der wichtigsten Jugendromane der ungarischen Literatur. Mit ihm wurde nicht nur eine Epoche der ungarischen Geschichte verewigt, sondern ein solches Werk geschaffen, was auch die heutigen Kinder gespannt und gerne lesen. Das Buch wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt, zählt auch in Italien zu den Pflichtlektüren und wurde mehrmals verfilmt.
2.2. Wenn wir das Buch genau analysieren möchten, müssen wir auch soziolinguistische Aspekte berücksichtigen. Sie können aber auch die verschiedenen Arten der Konnotation genannt werden, wie bei Koller(4). Dort heißen nämlich die Konnotationen 1.der Sprachschicht, 2.des sozial bedingten Sprachbegrauchs, 3.der geographischen Zuordnung oder Herkunft, 4.des Mediums, 5.der stilistischen Wirkung, 6.der Frequenz, 7.des Anwendungsbereichs, 8.der Bewertung. Die Sprache und der Stil eines Buches setzt sich nicht nur aus dem Stil und den Ausdrucksmitteln des Autors zusammen. In diesem Buch finden wir die Realien der damaligen ungarischen Kultur, geographische Namen, Straßen, Süßigkeiten, usw. Diese Realien müssen wir von den verbalen Realien der damaligen ungarischen Sprache trennen. Verbale Realien nenne ich, wenn etwas damals einen anderen Namen hatte, andere Ausdrücke, eine andere Grammatik benutzt wurden. Dann haben wir noch als Gruppensprache die der Kinder, und als Fachsprache die Ausdrücke des Krieges. Natürlich werden hier keine modernen Waffen eingesetzt, aber vor allem die Erklärung der Strategie erfolgt immer sehr präzise.
2.3. Untersuchen wir jetzt die Aufgaben des Übersetzers in diesem konkreten Fall. Wie immer, muss er das Werk sehr gründlich analysieren, untersuchen, er muss Nachforschungen unternehmen, welches Wort was genau meint, was der Autor mit verschiedenen Mitteln erreichen wollte, usw. Er muss sich in die Welt des Buches einleben, er muss die Geschichte praktisch miterleben und natürlich verstehen. Wie es bei Reiß/Vermeer heißt, "Translation setzt Verstehen eines Textes, damit Interpretation des Gegenstandes "Text" in einer Situation voraus."(5) Welche Verfahren er während seiner Arbeit unternehmen muss, wird auch von dem übersetzerischen Auftrag bestimmt. In diesem Fall legt der Auftrag - praktisch ein Verlag - die Person des Übersetzers fest, weil er das Können dieser Person kennt, das Zielpublikum, und auch das, ob die Sprache zuerst modernisiert werden soll oder nicht. Einige Züge des Werkes wurden verändert, also, die ersten Verluste sind schon entstanden. Theoretisch wäre auch vorstellbar, dass der Roman so übersetzt wird, dass die deutsche Sprache der Jahrhundertwende zurückgegeben wird. So könnte die ursprüngliche Atmosphäre des Buches aufbewahrt bleiben.
Das Zielpublikum ist die deutschsprachige Jugend, d.h. die Jugend einer anderen Kultur und einer anderen Sprache. So ist "Translation ein transkulturelles Handeln."(6) Das bedeutet auch, dass ein Text jeweils in anderer Situation rezipiert und interpretiert wird.(7)
3.1. Aus welchen der oben genannten Komponenten wird ein Problem für den Übersetzer? Es ist immer ein zu lösendes Problem, wenn der Rezipient des Textes einer anderen Kultur mit einer anderen Sprache hingehört. "In dem Masse, wie die Wirklichkeitsinterpretationen kulturbedingt, d.h. historisch-gesellschaftlich bedingt sind, sind auch die Weisen, über diese Wirklichkeitsinterpretationen zu sprechen, historisch-gesellschaftlich bedingt. In der Sprache schlagen sich die Wirklichkeitsinterpretationen nieder und mit der Sprache werden sie zugleich vermittelt."(8) Auch wenn der Übersetzer in jeder Hinsicht ist ein bester Kenner der ausgangssprachlichen Situation, kann es wegen des kulturellen Abstandes überhaupt keine Situationskonstant geben. So bleibt auch die Botschaft nicht unverändert.(9) "Der Translator formuliert vielmehr eine neue "andere" Botschaft für seine Zielrezipienten."(10)
3.1. "Übersetzen ist nicht Kulturvergleich, sondern es ist ein Überbrücken vergleichend festgestellter Unterschiede."(11)
Untersuchen wir, welche von Stolze erwähnten interkulturellen Unterschieden in diesem Werk zu finden sind.
- 1. reale Inkongruenz durch unbekannte Kulturspezifika
- 2. formale Inkongruenz durch kulturspezifische Textbaupläne
- 3. semantische Inkongruenz durch kulturspezifische Assoziationen bestimmter Wörter
Mit dem ersten Punkt werden wohl die kulturellen Realien des Werkes gemeint, die schon erwähnt wurden: Institutionen, Straßen, geographische Namen. Die Übersetzbarkeit ist vom Abstand der kommunikativen Zusammenhänge von AS und ZS abhängig.(12)
In unserem Zeitalter können wir aber fast nicht mehr über unbekannte Kulturspezifika sprechen. In einer Informationsgesellschaft, im Zeitalter des Internets, und in Bezug auf so nahe und verwandte Kulturen wie die deutsche und die ungarische kann man über unbekannte Realien nicht mehr sprechen. Wir lernen auch ganz ferne und versteckte Völker kennen, ihre Traditionen, exotischen Tänze und Gerichte, auch wenn wir nie die Möglichkeit haben werden, sie auch zu besuchen. Aber in einer Entfernung, wie Ungarn-Österreich/Deutschland kann es nicht der Fall sein. Das Problem dabei kann nur sein, dass da um solche Realien geht, die jetzt nicht mehr unbedingt existent sind, oder nicht mit dem gleichen Namen bezeichnet werden. Die Atmosphäre einer Periode der Geschichte setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen, und man kann sie nur schwierig nennen oder voneinander trennen. "Eine Sprache sprechen bzw. sich eine Sprache aneignen heißt zunächst einmal, den in der Sprache konservierten Wirklichkeitsauffassungen ausgesetzt sein. Hineingewachsen in eine Sprache und eine Kultur heißt die Wirklichkeitsauffassungen und die Sprache, in der diese Kultur tradiert wird, übernehmen.(13) Jene Werke, die auf konkrete Orte, Zeiten, Personen Bezug nehmen, haben ihre eigenen, existenten, objektiven Realien, die man einerseits einfacher, andererseits schwieriger übersetzen kann. Leichter, denn sie sind schon mit großer Wahrscheinlichkeit übersetzt worden, es gibt eine angenommene Variante. Schwieriger, denn man muss nach dieser Variante suchen. Wenn nämlich eine andere Variante geschaffen wird, wird sie auf Unverständnis stoßen. "Das grundsätzliche Problem besteht darin, dass die Übersetzung eine andere Lebens-, und Alltagswelt, eine andere als die uns bekannte Wirklichkeit vermitteln sollte. Die "fremde" Wirklichkeit ist aber mit den Mitteln der ZS nur ungenau erfassbar und mitteilbar."(14)
Mit dem zweiten Punkt werden die anderen Textsortenkonventionen der jeweiligen Kulturen gemeint. In diesem Falle, wo es um einen Jugendroman geht, können wir nicht über große und wichtige Abweichungen sprechen.
Der dritte Punkt nennt schon solche Unterschiede, die wirklich ein wahres Problem darstellen. Diese Probleme, die auch pragmatische Probleme(15) genannt werden, stellen ein solches Bereich dar, die von den Übersetzern oft vernachlässigt oder kaum berücksichtigt werden. Auch wenn der Übersetzer einen ausgeprägten Sinn für die Pragmatik hat, hat er oft nicht die Möglichkeit, diese kulturellen Unterschiede zu adaptieren oder zu kompensieren. Der Übersetzer muss seine Mitteilung auf das Wissen seiner Adressaten abstellen und sich entsprechend mehr oder weniger explizit ausdrücken.(16) "Da die Wissensbasis der Leser verschieden ist, werden auch die Ergebnisse ihrer Verknüpfung unterschiedlich sein. Jedes Verstehen ist subjektiv und der Sinn nur eine Annäherung an das Gemeinte."(17) Hierher kann gezählt werden, dass ein Mann slowakischer Herkunft, mit der alten ungarischen Bezeichnung ein "tót" in der Geschichte vorkommt, der die ungarische Sprache natürlich nicht ganz beherrscht. Im ungarischen Werk kommen deutsche Wörter vor, die natürlich einen speziellen Stil verkörpern. "Die Übersetzungswissenschaft hat die Aufgabe, die konnotativen Dimensionen und Werte in den Einzelsprachen zu charakterisieren, ihre Merkmale und Strukturelemente herauszuarbeiten und diese in Beziehung zu den Konnotationsdimensionen der jeweiligen Zielsprachen zu setzen."(18) Die Herstellung konnotativer Äquivalenz gehört zu den meist nur annäherungsweise lösbaren Problemen des Übersetzers(19).
"Der Stil eines Textes ergibt sich aus dem spezifischen Vorkommen, der Frequenz, Distribution und Kombination von konnotativ wertigen sprachlichen Einheiten auf Wort-, Syntagma-, Satz-, und satzübergreifender Ebene."(20) "Die stilistische Übersetzbarkeitsproblematik resultiert daraus, dass sich die Systeme der stilprägenden konnotativen Werte in den verschiedenen Sprachen nicht eins-zu-eins decken." (21) Der Übersetzer soll optimale konnotative Entsprechungen suchen Vigotszkij sagt, dass im Hintergrund der Kommunikation von allen geteilte Kenntnisse und Glauben stehen, mit denen sich alle identifizieren können, und solches emotionelles Einfühlvermögen, das den ausgearbeiteten verbalen Ausdruck überflüssig macht.(22)
3.2. Wie werden diese Probleme gelöst? Da der eigene Stil des Autors von den oben erwähnten anderen sprachlichen Komponenten schwer zu trennen ist, werde ich ihn nicht analysieren. Die ungarische Sprache der Jahrhundertwende geht völlig verloren, so auch ein großer Teil der Atmosphäre. Die Straßennamen und geographischen Namen werden einfach in der ursprünglichen Form zurückgegeben oder, wenn sie eine deutsche Variante haben, dann damit. (Fraglich ist nur, wer die Budaer Berge mit dem alten Namen kennt.) Merkwürdig ist, dass die Personennamen ins Deutsche übersetzt werden. In keiner ungarischen Übersetzung der deutschen Klassiker sind die Personennamen übersetzt, mit gutem Grund: sie können so identifiziert werden, unabhängig davon, ob das Werk in deutscher, ungarischer, japanischer Fassung gelesen wurde. Warum Ferenc Franz heißen soll, und welche Überlegungen dazu der Übersetzer hatte, werden wir wohl nie erfahren. Es weicht von der Praxis ab.
Der Übersetzer hatte die kleinsten Probleme mit der Jugendsprache und der Fachsprache. Die Sprache einer bestimmten Gruppe kann man in eine andere Sprache nie übersetzen, nur adaptieren. Wie erfolgreich dieser Prozess wird, hängt davon ab, ob diese Gruppe in der zielsprachlichen Gesellschaft existiert oder nicht. Wenn die Rede von einer Gruppensprache ist, kann es eine bestimmte Altersgruppe sein, eine Berufsgruppe, eine Geschlechtsgruppe, wenn wir die Dialekte nicht hierher zählen. Wenn es um eine Altersgruppe geht, ist es sicher, dass sie in der gegebenen Gesellschaft aufzufinden ist. Auch bei einer Geschlechtsgruppe hat man keine Schwierigkeiten, natürlich kann es bestimmte Abweichungen geben, abhängig von der jeweiligen Kultur. Wir wissen, dass bei bestimmten, isolierten Völkern die zwei Geschlechter nur in bestimmten Situationen miteinander kommunizieren, sonst leben sie getrennt, und haben demgemäß ganz andere Sprachen. Bei zwei voneinander nicht sehr fernen Kulturen - nah im konkret physischen und im übertragenen Sinne - kann diese Frage keine übersetzerischen Probleme bereiten.
Bei den Berufsgruppen kann es schon größere Unterschiede geben. In unserem Buch kommt die Fachsprache des Kampfes vor. Da leider dieser Fachwortschatz in beiden Kulturen bekannt ist, war das vielleicht die Komponente bei dem Übersetzen, was am leichtesten zu übersetzen war.
4.1. Wie kann also die Arbeit des Übersetzers beurteilt werden? Nach dem Lesen - natürlich nur dann, wenn man das Original kennt - hat man einen ersten Eindruck. Bei diesem Werk hat man den Eindruck, nicht das gleiche Werk auf Deutsch gelesen zu haben, wie auf Ungarisch. Vieles ging während des Übersetzens verloren, eigentlich all das, was das Werk dazu macht, was es ist.
Natürlich taucht die Frage auf, ob es ein unvermeindlicher Verlust war, oder ob es von der Person des Übersetzers abhängt. Wahscheinlich hängt nur das Maß des Verlustes von dem Übersetzer ab, aber bestimmte Verluste sind schon unausweichlich.
Alles, was Ausdruck der ausgangssprachlichen Kultur ist, und kein konkretes Objekt, lässt sich schwer übersetzen, wie etwa Konnotationen, Präsuppositionen, Gesprächsimplikatur, Anspielungen, Intertextualität, und natürlich die unterschiedlichen Hintergrundkenntnisse. Aber natürlich kann es auch bei konkreten Gegenständen zu Schwierigkeiten kommen, wenn sie in der zielsprachlichen Kultur nicht bekannt sind.
Unser Übersetzer hat folgendes unübersetzt, unübertragen, unadaptiert und unkompensiert gelassen oder im Gegensatz (ein Beispiel) übersetzt:
- 1. die ungarische Sprache um die Jahrhundertwende (1907)
- 2. die Sprache des Slowaken
- 3. die deutschen Wörter im Original (z: B. a grund - der Grund)
- 4. die Eigennamen hat er übersetzt
4.2. Die Übersetzung wurde 1928 angefertigt. Es ist merkwürdig, warum der Übersetzer, der keine große Zeitentfernung zum Original hatte, zu einem so lückenhaften Endergebnis gekommen ist. Wenn er gewollt hätte, hätte er auch den Autor konsultieren können und Ungarn oder die Schauplätze des Buches kennen lernen können.
So kann die Hypothese im Falle dieses Buches verifiziert betrachtet werden, aber wenn wir die einzelnen Probleme und Kompensationsmöglichkeiten genau unter die Lupe nehmen, werden wir auch bei anderen Werken zu einem ähnlichen Ergebnis kommen. Bei der Übersetzung eines solchen literarischen Werkes, das in der ausgangssprachlichen Kultur einen kulturellen Wert besitzt, trägt der Übersetzer eine größere Verantwortung, als er es sich vorstellt. Er kann durch seine Arbeit ein Werk, einen Schriftsteller, eine Kultur, eine Periode vergrößern oder auch bedeutungslos für eine andere Kultur machen. Wir können nicht sagen, dass bei der Übersetzung eines Buches nur die darin explizit enthaltenen kulturellen Realien zu übertragen seien. Also nicht nur Anspielungen auf die Geschichte, Personen, Institutionen, Traditionen, usw. eines Volkes. Bei der Übersetzung eines literarischen Buches muss auch darauf geachtet werden, dass es schon selbst Vertreter und Verkörperung der ausgangssprachlichen Kultur ist, wie die litararischen Werke und andere Kunstwerke. Bei der Betrachtung eines Gebäudes oder eines Gemäldes können wir auch nicht nur den Rahmen, den Hintergrund oder nur eine Seite besichtigen. Daraus folgt, daß bei der Übersetzung eines Buches alles berücksichtigt werden und bei dem Übersetzungsprozess in Betracht gezogen werden muß. Der Stil des Autors, die Atmosphäre der historischen Epoche, der geschichtliche Hintergrund, alles, was das Werk dazu macht, was es ist: Kultur.
5. Kehren wir zurück zum Titel der Konferenz: Das Verbindende der Kulturen. Das Verbindende ist und war bei allen Völkern dieser Erde, dass sie neugierig waren. Sie haben sich bemüht, so viel wie möglich von den anderen zu lernen, oder, wenn es nicht anders ging, zu stehlen. Der Mensch ist ein neugieriges Lebewesen, wir möchten wissen, warum die anderen Völker traurig oder lustig sind, welche Helden und Götter sie haben, wie sie ihre Feier feiern, was sie essen, welche Ratschläge sie ihren Kindern geben, welche Sprüche sie äußern, usw. Literatur gehört zu den Gebieten, die die Menschen immer fasziniert haben, und mit der Neugierde zusammen hat es uns schon immer dazu veranlasst, zu übersetzen, oder übersetzen zu lassen. Schon Cicero hat übersetzt, und seine Methoden begründet. Wir sollten nie vergessen, dass wir auf diesem kleinen Planeten aufeinander angewiesen sind. So sollten wir unsere Schätze nicht voreinander verstecken oder geheimhalten, sondern teilen. Zum erfolgreichen Teilen gehört auch der Übersetzungsprozess, und zwar so, dass er die Geheimnisse der einen Kultur der anderen Kultur nahebringt, vorstellt, und wenn nötig, sogar erklärt.
© Veronika Pólay (Dániel Berzsenyi Hochschule, Szombathely, Ungarn)
ANMERKUNGEN
(1) vgl. Új Magyar Lexikon (1961) :278.S. Übersetzung von der Autorin
(2) vgl. Lawton (1974): S.16. Übersetzung von der Autorin
(3) Koller (1992): S.59.
(4) Koller (1992): S.243-246
(5) vgl. Reiß/Vermeer (1984): S.58.
(6) vgl. Stolze (2001):208.S.
(7) vgl. Stolze (2001): 200
(8) Koller (1992): S.162.
(9) vgl. ebenda
(10) Stolze (2001): 200.S.
(11) Stolze (2001):S.244.
(12) vgl. Koller (1992): S.166.
(13) Koller (1992): S.163.
(14) Koller (1992): S.239.
(15) vgl. Stolze (2001): S.214.
(16) vgl. Stolze (2001):S.223.
(17) ebenda
(18) Koller(1992):S.241.
(19) vgl. ebenda
(20) Koller (1192): S.242.
(21) Stolze (2001): S.104.
(22) "a kommunikáció hátterében mindenki által osztott azonosulások vannak, és olyan érzelmi beleélés, ami szükségtelenné teszi a kidolgozott verbális kifejezést" Lawton(1974):S.107. Übersetzung von der Autorin
LITERATUR
Molnár Ferenc: A Pál utcai fiúk (1983): Bp: Móra
Ferenc Molnár: Die Jungen der Paulstrasse (2002): Bp: Corvina
Koller, Werner (1992): Einführung in die Übersetzungswissenschaft. 4. Auflage.Wiesbaden, Heidelberg: Quelle § Meyer
Kurz, Ingrid (1986): Dolmetschen im alten Rom. In: Babel 1986/4, 215-221
Denis Lawton(1974): Társadalmi osztály, nyelv és oktatás. Bp: Gondolat
Katharina Reiss/Hans J. Vermeer (1984): Grundlegung einer allgemeinen Translationstheorie. Tübingen
Reiss, Katharina (1983): Quality in Translation oder Wann ist eine Übersetzung gut? In: Babel 1983/4, 198-209
Hans J. Vermeer (1986): "Übersetzen als kultuerller Transfer" In: Übersetzungswissenschaft. Eine Neuorientierung. Hsrg. V. M. Snell-Hornby. Tübingen, 1986, S. 30-53.
Új Magyar Lexikon (1961) : Bp.: Akadémiai Kiadó, 278.S.
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