Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 15. Nr. | September 2004 | |
9.2. Wirtschaft und Kulturen in
einer globalisierten Welt Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures |
Gulsada Beksultanowa (Kirgisische Nationale Universität, Bischkek)
Der Begriff interkulturell ist heutzutage in aller Munde. Von großer Bedeutung ist das interkulturelle Lernen im internationalen Austausch. Durch interkulturelles Lernen wird Wissen über eine fremde Kultur aufgebaut und es werden neue, ungewohnte Verhaltensweisen und Fertigkeiten, die für das Handeln in der Gastkultur nötig sind, angeeignet (Thomas, 1993).
Unter interkultureller Kommunikation verstehe ich, in erster Linie, die Kommunikation unter Beteiligten aus unterschiedlichen Kulturen, wobei die Kultur eine große Rolle spielt.
Treffen Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund und ohne Erfahrung mit der jeweils fremden Kultur aufeinander, wird jede Person versuchen, Handlungen, Ideen, Werte auf der Grundlage ihres, eigenen Orientierungssystems zu deuten und dementsprechend zu handeln.
Die Wirtschaftskommunikation wird durch nationalkulturelle Unterschiede beeinflusst. Alle Nutzer sind individuell in einer speziellen Kultur sozialisiert worden, sie haben die kulturspezifischen Orientierungssysteme internalisiert, die Kultur verleiht ihrem Tun auf allen Ebenen des Denkens, Empfindens und Handelns Sinn und Bedeutung. Die Kultur schafft für sie Handlungsmöglichkeiten und Handlungsanreize sowie Handlungsgrenzen. (Thomas, 1996)
In der Begegnung von Menschen verschiedener Kulturen in verschiedensten Lebensbereichen unserer Welt, insbesondere durch Kultur- und Sprachkontakte ist ein fremdkulturelles Wissen ein unabdingbarer Bestandteil unserer Handlungskompetenz. Der Ruf nach der sogenannten interkulturellen Handlungskompetenz wird immer lauter. Die Kommunikationskompetenz jedes Unternehmensangehörigen hilft, das Überleben und Prosperieren eines Unternehmens zu sichern. Sie stellt neben der Fach- und Methodenkompetenz deshalb eine Schlüsselqualifikation dar, die bei der Einstellung von Mitarbeitern erfasst und später gefördert werden. (Stangel- Mesecke, 1994) Zurzeit befindet sich Kirgisistan in einem Umwandlungsprozess. Die marktwirtschaftliche Entwicklung und gesellschaftliche Umwandlung haben auch Veränderungen der Wertesysteme und Denkmuster ausgelöst. Wie sich diese soziale Umwandlung auf die Sprachverwendung auswirkt, ist noch nicht bekannt.
In Bezug auf die Höflichkeit sind einige interessante Tendenzen zu beobachten. Gegenstand der Diskussionen über Höflichkeit ist vor allem die Frage nach den neuen Umgangsformen im gesellschaftlichen und insbesondere im wirtschaftlichen Leben. Es wird behauptet, dass die Höflichkeit auch im Geschäftsleben als kommunikatives Mittel sehr dienlich sei, weil sie direkt oder indirekt Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg, auf Gewinn oder Verlust nehmen könne. (Liang, 1996) In den letzten Jahren ist es auffällig, dass z.B in einem Privatkaufhaus Kirgisistans die gerade eintretenden Kunden von einer Gruppe schön gekleideter junger Verkäuferinnen mit folgenden Höflichkeitsformeln begrüßt werden:
- Herzlich willkommen. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Einkaufen in unserem.Kaufhaus.
Die Kunden werden dann dort auch auf Schritt und Tritt von der Höflichkeitssprache begleitet:
- Junger Mann (Frau) herzlich willkommen, bitte sagen sie mir, was möchten Sie kaufen...Vielen Dank für Ihr Erscheinen.
Auch beim Verlassen des Kaufhauses bekommen die Kunden ähnliche Höflichkeitsformeln zu hören:
- Vielen Dank! Sie sind uns herzlich willkommen, wenn Sie unser...-Kaufhaus beim nächsten Mal beehren.
Auf die Frage, woher Sie diese Höflichkeitssprache kennt, antwortete die Verkäuferin, dass
"das von der Geschäftsführung des Kaufhauses angeordnet ist".
Verhaltensweisen in Verkäufer- Kunden - Dialogen, die in der sozialistischen Planwirtschaft immer wieder als eine der häufigsten Quellen von Unhöflichkeit beklagt wurden, scheinen durch völlig neue Höflichkeitsformen geprägt zu sein, die man noch vor wenigen Jahren nicht kannte.
Zurzeit gilt die Verwendung von Höflichkeitssprache oder das "schöne Lächeln" in vielen Kaufhäusern in Kirgisistan als Vorschrift für das höfliche Verhalten der VerkäuferInnen.
Auch in einigen modernen Restaurants ist die Höflichkeitssprache heute sehr gebräuchlich. Sobald ein Kunde das Restaurant betritt, wird sofort, oft von KellnerInnen die Standformel ausgerufen:
- Guten Tag (Abend) herzlich willkommen!
Wenn der Kunde die Speisen bestellt hat, wird er höflich gebeten:
- Bitte warten Sie einen kleinen Moment!
Nachdem das Essen serviert worden ist, sagt der/ die Kellnern höflich:
- Ihre Speisen sind alle da! Guten Appetit!
Sobald ein Kunde mit dem Essen fertig ist und aufsteht, wird von KellnerInnen ausgerufen:
- Vielen Dank! Kommen Sie bitte noch einmal!
Es ist kaum möglich, dass die Verwendung der Höflichkeitssprache von den Gästen erwidert wird. In diesem Fall, ist die Verwendung der Höflichkeitssprache eine aufgezwungene, die zur neuen Unternehmenskultur vor allem in den Dienstleistungsbranchen gehört.
Der Höflichkeitsbegriff und was darunter verstanden werden muss, ist bei manchen Kulturen unterschiedlich. Denn was ein Kirgise für zu direkt bzw. verletzend direkt und deshalb für ein unhöfliches Verhalten hält, kann für einen Deutschen durchaus im Rahmen des "Normalen" bzw. "Erwartbaren" liegen.
"Höflichkeit ist ein Teil der Kultur, der im Kommunikationsstil zum Ausdruck kommt und kann den gesamten Ablauf eines Gesprächs beeinflussen und bestimmen" (Liang, 1996)
So ist für Deutsche typisch im Gespräch direkt, offen und sachlich zu sein, d.h. sie sagen alles direkter, offener im Vergleich zu Kirgisen, die um etwas Wichtiges zu sagen, eine gute Atmosphäre schaffen müssen, dann können sie das sagen, was sie beabsichtigen.
Im Umgang mit Ausländern bemühen sich Kirgisen, sie entsprechend den kirgisischen Höflichkeitsregeln zu empfangen. Dabei ist aber oft zu beobachten, dass je mehr sie sich bemühen sich im Umgang mit Ausländern "höflich" zu verhalten, desto größer die Gefahr wird, nicht genügend verstanden zu werden oder in eine unangenehme oder sogar peinliche Situation zu geraten. Die Beobachtungen, dass Kirgisen Ihre Ablehnung nicht offen und direkt aussprechen oder ein Angebot zunächst mit einem "Nein" ablehnen, obwohl sie es gerne annehmen würden, sind gerade im Umgang mit Fremden besonders häufig zu beobachten. Diese Verhaltensweisen der Kirgisen werden von ihren deutschen Interaktionspartnern oft als "übertrieben höflich" interpretiert oder als etwas, was aus deutscher Sicht mit Höflichkeit nicht im Widerspruch stehen müsste, von ihren kirgisischen Partnern aber oft als "unhöflich" empfunden und interpretiert wird.
Dazu ein Beispiel: Die kirgisische Gastfreundschaft ist den Ausländern bekannt, die Kirgisistan besucht haben. In der kirgisischen Kultur darf man nicht fragen, ob jemand essen möchte oder nicht. Man deckt einfach den Tisch, wenn jemand kommt. Dazu zitiere ich, was eine Deutsche über diese Gastfreundschaft sagt: "... Kirgisische Gastfreundschaft rührt manchmal an die Grenzen körperlicher Nötigung. Seit ich dieses Land betreten habe, bin ich Opfer einer Serie von Zwangsernährungen..." ("Zeit", 1998)
Sie meinte damit, dass in allen Gebieten Kirgisistans, die sie besucht hatte für sie eine Ziege oder ein Hammel geschlachtet wurde. Für Deutsche lässt sich der Ausdruck derartiger Gastfreundlichkeit nicht mit ihren Vorstellungen von Höflichkeit vereinbaren.
In verschiedenen Kulturen gibt es unterschiedliche semantische Strukturierungen von "Ja" und "Nein". (Oksaar, 1996)
Es ist bekannt, dass die Höflichkeit eine Harmonie zwischen den Menschen schafft. Ein direktes "Nein" wird in asiatischen Ländern als unhöflich empfunden, die angestrebte Harmonie in interpersonellen Beziehungen verbietet es deswegen., weil . Bei Kirgisen sagt man nicht gleich und direkt seine Meinung über etwas, die Deutschen hingegen, die eine klare Antwort auf ihre Frage erwarten, haben hier Verständigungsprobleme.
Eine schroffe Absage ist bei Kirgisen unangebracht, sie wird
gemildert durch Ausdrücke des Bedauerns u.a: "ich
kann leider nicht kommen" - ,
"das ist leider nicht möglich"-
.
Bei Geschäftsgesprächen verwenden die Kirgisen Ausdrücke
wie: "ich versuche zu kommen"- ,
" mal sehen"-
,
im Sinne einer Absage. Einer Absage gleich kommt z.B. bei Kirgisen
auch das Versprechen "ich versuche zu kommen", obwohl
man das überhaupt nicht beabsichtigt. Die Übertragung
dieses Behaviorems in den deutschen Bereich würde den Sprecher
als eine äußerst unhöfliche Person darstellen,
da sie wegbleibt, ohne abzusagen. Denn bei "ich versuche
zu kommen" wird allgemein mit einem positiven Resultat gerechnet,
wenn keine zusätzliche Aussage gemacht wird. Aber die Kirgisen
meinen dies ganz im Gegenteil.
Was die Annahme oder Absage eines Angebots, einer Einladung betrifft, gibt es wesentliche Unterschiede zwischen den Kulturen, die in Kontaktsituationen zu Unverständnis aufgrund des Verhaltens führen können, auch, wenn die Sprache keine Schwierigkeiten verursacht. (Oksaar, 1998)
Bei Kirgisen z.B. ist ein "Nein" der erste notwendige Schritt, auch wenn man eine Einladung gerne annehmen möchte. Es gilt als grober Verstoß gegen die Höflichkeitsregeln, eine Einladung gleich und mit einem Ausdruck der Freude oder des Dankes anzunehmen. Zur Höflichkeit gehört die mehrmalige Zurückweisung der Einladung, aber auch der Einladende muss ebenso höflich sein und die Einladung mehrmals wiederholen.
Auszug aus meiner Umfrage: "Ich weiß nie, ob die Menschen z.B. wirklich nichts essen wollen oder nur aus Höflichkeit ablehnen, aber eigentlich doch Hunger haben. In Deutschland meint man wirklich "Nein", wenn man es sagt. Darum bin ich vom kirgisischen "Nein" oft verunsichert und weiß nicht, wie ich mich verhalten soll".
In der deutschen Kultur ist "Nein" zu sagen eine Kunst. Wir haben schon festgestellt, das "Nein" in der deutschen Kultur wirklich "Nein" bedeutet. Aber es gibt auch andere Situationen, wo "Nein" zu sagen schwierig ist. Die Kunst im richtigen Moment "Nein" zu sagen, lässt sich aber erlernen. Die Körpersprache zum Beispiel spielt eine entscheidende Rolle. Ein selbstbewusster Auftritt signalisiert Stärke und Entschlossenheit. Der Partner muss zweifellos wissen, dass es einem mit dem "Nein" absolut ernst ist.
Viele Menschen, die in deutschen Büro arbeiten, können nicht direkt "Nein" sagen. Einerseits, haben sie Angst dass "Nein" zu sagen und das führt zum Leistungsabfall. ("Markt", 1999)
Es ist bekannt, dass Kulturen nach der Art und Quantität des Redens und Schweigens in Rede- und Schweigekulturen eingeteilt werden. Wenn Angehörige einer Schweigekultur, Gesprächspartner aus einer Redekultur haben, können bei der Interaktion bestimmte Probleme entstehen. Die Kirgisen gehören dieser Klassifikation nach zur Schweigekultur. Sie zeigen nicht gerne ihre Gefühle in der Öffentlichkeit, im Gegensatz zu Deutschen, die ihre Gefühle offen zeigen können.
Die Mitglieder der Schweigekultur reden meistens nur dann, wenn man der Ansicht ist, dass man etwas Wichtiges zu sagen hat. Entsprechend findet man da auch eine im Vergleich mit der anderen Kultur erheblich größere Schweigetoleranz (Oksaar, 1998).
Das Schweigen der Kirgisen kann von Deutschen als Distanzmaßnahme aufgefasst werden, für die Kirgisen hingegen ist es unhöflich sehr viel zu sprechen. Aufgrund ihrer Wortkargheit und ihres langsamen Sprechtempos werden Kirgisen nicht nurals schüchtern angesehen, sondern auch als unfähig zum geselligen Gespräch. Umgekehrt empfinden wieder Mitglieder der Schweigekultur, in diesem Fall, die Kirgisen die langen Ausführungen z.B. der Deutschen im Gespräch als ermüdend und übertrieben.
Ein Behaviorem bei vielen Menschen der Schweigekultur das in Kontaktsituationen Verunsicherung verursachen kann ist: Keine Reaktion heißt noch lange nicht eine Zustimmung. Beim Gespräch können die Kirgisen alles schweigend anhören, sie werden sogar mit dem Kopf nicken, aber damit zeigen Sie nicht immer ihre Zustimmung. Ein Kopfnicken, bedeutet in diesem Fall, dass sie alles gehört und verstanden haben, aber sie bleiben bei ihrer eigenen Meinung. Es wird als unhöflich empfunden, wenn man sofort dazu seine eigene Meinung sagt.
In jeder Nation gibt es verschiedene Situationsnormen, die im Umgang mit Fremden zu interkulturellen Verständigungsproblemen führen z.B. kennt jeder das Gefühl, warten zu müssen, jeder hat es schon selbst erlebt. Es kann Nervosität, Ärger bis Wut, Angst oder Sorge erregen. Wer lange warten muss, wird unter Umständen die ganze Bandbreite von Gelassenheit bis Panik durchleben. Ein altes Sprichwort lautet: "Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige".
Aber die Kirgisen zeichnen sich nicht durch ihre Pünktlichkeit aus. Eine Verspätung ist für sie normal, es ist kulturell bedingt. Wenn die Kirgisen einander zu Gast bitten, können sie ein wenig später kommen. Wenn der Mensch pünktlich kommt, gilt es als nicht typisch.
Die Deutschen gelten im Vergleich zu den Kirgisen als pünktliche Menschen und soviel ich weiß, gilt bei ihnen Verspätung als Unhöflichkeit, Desinteresse oder Gleichgültigkeit. Die Geschäftsleute haben in diesem Fall auch Probleme.
Erfolgreiche interkulturelle Kommunikation setzt voraus, dass man mit den Wertvorstellungen des fremdkulturellen Partners bekannt und mit den Normen und Konventionen der Interaktion sprachlich und behavioral vertraut ist. (Oksaar, 1998)
Man kann nicht sagen, ob sich die Grundregeln der Höflichkeit bei den Kirgisen verändert haben und verändern, oder ob die eigene Kulturtradition im Prozess der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung der Gesellschaft im zwischenmenschlichen Umgang der Menschen miteinander wirksam bleiben wird. Es ist bekannt, dass diese Veränderungen der Kirgisen im Umgang mit Ausländern stark beeinflussen können.
Die Kenntnisse über kulturbedingte Verhaltensweisen Angehöriger
fremder Kulturen bzw. Fremdheitswissen helfen uns Missverständnisse
in der interkulturellen Kommunikation zu vermeiden und schaffen
eine günstige Atmosphäre für die Weiterentwicklung
unserer kulturellen, politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen
Kontakte.
© Gulsada Beksultanowa (Kirgisische Nationale Universität, Bischkek)
LITERATURVERZEICHNIS
Liang. J: Kulturthema Kommunikation. Höflichkeit als xenologisches Thema der interkulturellen Kommunikation. 1990-2000.
Liang. J: Höflichkeit: Fremdheitserfahrung und interkulturelle Handlungskompetenz. In: A. Wierlacher/ G. Stötzel (Hg) Blickwinkel.
Stangel- Mesecke: In: Kulturthema Kommunikation. 1990 - 2000
Oksaar. E: Sprach- und Kulturkontakt als Problembereich in Interkultureller Kommunikation. Modellzentrierte und empirische Betrachtungen. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache Band 24 (1998), Hamburg
Zeitung "Zeit" 1998
Zeitung "Markt" 1999
9.2. Wirtschaft
und Kulturen in einer globalisierten Welt
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For quotation purposes:
Gulsada Beksultanowa (Kirgisische Nationale Universität,
Bischkek): Kategorie der Höflichkeit in der interkulturellen
wirtschaftlichen Kommunikation. In: TRANS. Internet-Zeitschrift
für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/09_2/beksultanowa15.htm