Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 15. Nr. | März 2004 | |
9.2. Wirtschaft und Kulturen in
einer globalisierten Welt Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures |
Kurt Wallasch (Telfs, Österreich)
Touristische Nachhaltigkeit bedeutet: einen ökologischen, sozialen und ökonomischen Effekt zu erzielen, die Risiken für Umwelt, Menschen und Wirtschaft berücksichtigen und derart gestalten, dass sie ein "Leben" und nicht nur "Überleben" ermöglichen. Ein derartiger Effekt muss über einen längeren Zeitraum wirken und kann nicht von einem Tag auf den anderen "passieren".
Es gilt gerade bei Berggemeinden einen Tourismus zu "kreieren", der langfristig auf heutige und zukünftige Generationen, sozial gerecht, ökologisch und kulturell angepasst und wirtschaftlich sinnvoll ausgerichtet ist. Dabei ist von Bedeutung, dass man in den Überlegungen die Ängste der Bevölkerung vor Veränderungen berücksichtigt und versucht, bei der Umsetzung eines touristischen Projektes lokale und regionale Konflikte zu vermeiden - also die heimische Bevölkerung der Berggemeinde in Entscheidungsprozesse mit einbindet.
Ein Konzept zu entwickeln, das dann nicht von der örtlichen Bevölkerung getragen wird, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Das soziale Gefüge in einer Berggemeinde ist ein nicht zu unterschätzender Faktor, die eigentlich tragende Säule für einen ökologisch, ökonomisch, soziologisch orientierten "ehrlichen" Tourismus, der dann auch den Fortbestand dieses sozialen Gefüges gewährleistet oder gewährleisten soll.
Vielen Tourismusverantwortlichen ist nicht klar, dass der Tourismus eine soziale Verantwortung hat, dass sich die Bevölkerung mit dem Tourismus im Ort identifizieren muss (was ein sehr persönlicher und kollektiver Prozess ist), dass zwischen "zu viel" und "zu wenig" Tourismus sorgfältig abgewogen werden muss. Vielen Tourismusverantwortlichen ist auch nicht klar, dass für eine "nachhaltige" Entwicklung eines Ortes gemeinsame Interessen vor Eigeninteressen stehen sollten, zumindest in der Planungs-, Entwicklungs- und Umsetzungsphase. Eigeninteressen "gesund" vertreten ist nichts Nachteiliges, solange sie nicht dazu führen, positive Entwicklungen in eine von Kurzsichtigkeit geprägte, nicht korrigierbare negative Richtung zu lenken.
Es geht also darum, lokale Entscheidungsprozesse und Bewusstseinsbildung
im Hinblick auf Lebensqualität, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit,
Innovation, das Abdecken der Grundbedürfnisse wie z. B. die
Nahversorgung und auch die Pflege der eigenen Kultur herbeizuführen.
Aber es geht auch darum, die Naturlandschaft als Kulturlandschaft
zu nutzen, Investitionen dort zuzulassen, wo sie notwendig sind,
um eben dieses soziale Gefüge einer Berggemeinde mit ihrer
bäuerlichen und klein- sowie kleinstgewerblichen Struktur
zu erhalten.
Diese Überlegungen trafen auch auf die Berggemeinde Trins
im Tiroler Gschnitztal zu. Eine Gemeinde, die zu 90 % von Landwirtschaft
und Tourismus lebt. Eine Gemeinde mit funktionierender Sozialstrukturen,
aber mit der Tendenz und der Gefahr, diese Sozialstruktur Stück
für Stück zu verlieren.
Für die politisch und touristisch Verantwortlichen stellte
sich 1997 die Frage, welchen Weg man in Zukunft geht. Will man
"nur" Wohnqualität oder Lebensqualität.
Wir (ich war damals der Tourismusverantwortliche für Trins,
von 1997 bis 2002 der mehr oder weniger ehrenamtliche Leiter des
Tourismusverbandes) waren uns unter Miteinbeziehung der oben angeführten
Überlegungen einig, dass wir nicht einen nächtigungsabhängigen,
sondern einen wertschöpfungsorientierten Tourismus wollen.
Die Überlegung lautete also: "billige Gäste"
herzubekommen, auf jeden Trend "koste es was es wolle"
aufzuspringen oder mit neuen Ideen einen ökologisch, ökonomisch
und soziologisch orientierten qualtitätsvollen und eben nachhaltigen
Tourismus zu "produzieren". Also einen Tourismus, der
uns das Leben und nicht nur das Überleben sichert, einen
Tourismus, der die Gefühle der ländlichen Bevölkerung
berücksichtigt und nicht an ihnen vorbeigeht. Einen Tourismus,
der darauf ausgerichtet ist, die Sozialstrukturen im Ort zu erhalten
und das "Dorf" nachhaltig leben zu lassen.
Der Verkauf um jeden Preis bewirkt aufgrund mangelnder Wertschöpfung
den langsamen, aber sicheren Verfall der Infrastruktur eines Dorfes.
Jeder Betrieb wird zwangsläufig aufhören zu existieren,
wenn die Wertschöpfung nicht mehr vorhanden ist. Und man
kann keinem "Kind" z. B. zumuten, dass es den Betrieb
der Eltern übernimmt, wenn es mit ansehen muss, wie die Eltern
Tag und Nacht arbeiten und sich am Schluss ihres Arbeitslebens
nicht einmal einen gesicherten Ruhestand leisten können.
Und das wiederum bewirkt ein langsames Zusperren der Betriebe,
vor allem jener für die Nahversorgung. Und mit dem Verfall
der Infrastruktur bleiben dann die Gäste von selbst weg,
was wiederum bewirkt, dass keine neue Infrastruktur aufgebaut
werden kann (es fehlt ja dann die Einnahme aus dem Tourismus),
und somit kippt dann das Sozialgefüge des Dorfes.
Wir wussten, dass wir mit den "Großen" nicht mithalten konnten, kein Geld für Marketing hatten und nur mit einem so genannten "Nischenprodukt" eine Chance haben, anderen Tourismusorten Gäste abzuwerben oder besser gesagt, nach Trins "umzuleiten".
Unter Mitwirkung aller Tourismusverantwortlichen, der Gemeinde, der Vereine und interessierten Privatpersonen wurde dann ein Projekt mit dem Namen "Natur & Leben" entwickelt und "sofort" umgesetzt.
Eine journalistische Darstellung der Entwicklung von Trins von 1998 bis 2002:
Hirten und Sennen spielen in der öko-touristischen Erfolgsgeschichte des kleinen Ortes Trins im Gschnitztal eine bedeutende Rolle. Denn kaum eine Tiroler Veranstaltungsreihe der letzten Jahre hat über die Grenzen des Landes hinaus so viel mediales Echo erhalten wie das internationale Hirten- und Sennerforum (Teil des Projektes NATUR & LEBEN)!
Das originelle völkerverbindende Ereignis überraschte bereits im ersten Jahr mit einem gewaltigen Publikums- und Medieninteresse. Eingebettet in ein gesamt-ökologisches Tourismuskonzept, der sorgfältige, innovative Umgang mit der Natur und der Kultur und die Einbindung der heimischen Bevölkerung bei der Ausarbeitung und Umsetzung des Konzeptes war maßgebend für die Aufnahme von Trins in die Weltelite der ökologischen Tourismusgebiete.
Die Idee des internationalen Hirten- und Sennerforums beruht darauf, ein großes Treffen mit Festcharakter zu veranstalten, wobei Hirten und Sennen aus allen Teilen der Welt ihr kulturelles Erbe präsentieren, miteinander musizieren, kochen, tanzen und feiern, aber eben auch von ihren meist schwierigen Lebensbedingungen erzählen und ihre Arbeitstechniken vorstellen. Um die heimische Bevölkerung dabei so gut wie möglich einzubinden, führte man schon ein paar Monate vorher die Veranstaltungsreihe "Natur kreativ" ein, in deren Rahmen die Trinser zuerst einmal einen Erfahrungs- und Wissensaustausch untereinander pflegten und sich bei Vorträgen über die Besonderheiten ihrer Umwelt und deren schonende Nutzung informierten. Denn auch in einem traditionsbewussten Ort wie Trins geht im Laufe steter Modernisierung viel Wissen um die Zusammenhänge in der Natur verloren. Bis 1995 war der Trinser Tourismus noch in Schwung, der 1.200 Einwohner und 1.200 Gästebetten zählende Ort konnte mit jährlich ungefähr 100.000 Nächtigungen durchaus zufrieden sein. Im Jahr darauf allerdings gingen die Nächtigungen stark zurück und 1997 sanken sie dann auf ein Rekordminus.
Angesichts der touristischen Flaute nahmen sich die Trinser gleich selbst bei der Nase, aber die Analyse ergab, dass es an der Qualität des Angebots nicht liegen konnte. Vielmehr lagen die Ursachen des Rückganges im geänderten Gästeverhalten, in der Altersstruktur der Gäste, in der Globalisierung mit günstigen Flugpreisen, aber natürlich auch in der großen Konkurrenz durch andere Orte in Tirol und überhaupt im Alpenraum, die großteils mit wesentlich mehr Infrastruktur aufwarten konnten. In blinder Panik infrastrukturell aufzurüsten, um das Manko wett zu machen, lag weder im Sinne der Trinser Tourismuspolitik noch wäre das Geld dafür vorhanden gewesen. Obwohl der Hut brannte, war man sich einig, dass man nicht um jeden Preis den modischen Trends eines nächtigungsabhängigen Tourismus folgen, sondern vielmehr einen Wertschöpfungstourismus anpeilen wollte, ausgerichtet sowohl nach ökonomisch als auch ökologisch und soziologisch orientierten Richtlinien. Wie viele andere Tiroler Orte erstellten auch die Trinser ein Leitbild für Qualitätstourismus - man wollte sich als "Familiendorf" profilieren. Ziel war es unter anderem, dabei die Lebensqualität auch für die Trinser selbst zu erhalten und das bislang gut funktionierende Sozialgefüge mit gesicherter Nahversorgung nicht kurzsichtigen Marktstrategien zu opfern.
Aufbauend auf den - auch internationalen - Erfolg der Tourismusstrategie von Trins wurde "vorausgedacht". Die Nachhaltigkeit, also dieses sinnvolle Zusammenwirken verschiedener Infrastrukturen und Angebote, sollte weiter ausgebaut werden. Es wurde unter Mitwirkung des INST (www.inst.at) ein in Europa einzigartiges "Museum" - ein Bauernhaus mit Cyberspace - entwickelt. Dieses Projekt war darauf ausgerichtet die Nachhaltigkeit "wirken" zu lassen (Verankerung der eigenen Identität, Schaffung neuer Arbeitsplätze, Ganzjahrestourismus). Die Umsetzungsgespräche (Finanzierung, Rentabilität, kulturelle Bedeutung für die Region, das Land) mit der EU, dem Bund, dem Land und der Gemeinde waren positiv, die Finanzierung auf einem guten Weg zur Realisierung.
Eine Chance für ein kleines Dorf, eine Berggemeinde wie viele andere auch, im Konzert der erfolgreichen Tourismusorte mit einem etwas anderem, aber lautem Instrument mitzuspielen.
Aber selbst die beste Analyse der Verhältnisse einzelner Komponenten, die Entwicklung von Humanressourcen unter Berücksichtigung der Umwelt, der Natur und Kultur und des Menschen hat immer einen Risikofaktor: den Menschen selbst.
Die Angst vor dem Neuen, vor der Veränderung, vor der "eigenen" Verantwortung (auch gegenüber den nachkommenden Generationen), vor dem Verlassen eingefahrener Strukturen. Die Angst, dass man selber kreativ werden muss, dass man plötzlich im eigenen Bereich Veränderungen herbeiführen muss. Vielleicht auch die Sehnsucht, dass Vergangenes wiederkehrt, dass die Gäste wieder von selbst kommen. Die Sehnsucht, dass sich die "globale" Wirtschaft wieder so entwickelt, dass vielleicht doch noch jemand kommt, der die gesellschaftliche, wirtschaftliche, ökologische und soziologische "Strukturwandlungs-Uhr" wieder zurückgedreht. Zumindest soweit, dass sich der Ausspruch bewahrheitet: "Und hinter mir die Sintflut!".
Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Struktur (wer mehr hat, hat mehr zu sagen) in den Berggemeinden (aber wohl nicht nur dort) ist meist so, dass einzelne Personen in der Lage sind, geplante, begonnene, anstehende oder bereits laufende Entwicklungsprozesse - die von der Mehrheit der Bevölkerung befürwortet werden - zu behindern oder - noch viel schlimmer - zu "verhindern.
Diese nicht vorhersehbare Entwicklung hat leider auch in Trins seinen Lauf genommen. Es ist den politisch Verantwortlichen, aber insbesondere mir nicht gelungen, diese letzte, aber doch alles entscheidende Hürde für eine nachhaltige Entwicklung zu nehmen. Ich habe die Eigendynamik persönlicher Aversionen einzelner Personen (Gastwirte), also den so wichtigen Faktor Mensch unterschätzt, zu spät erkannt, dass kurzfristige Eigeninteressen vor mittel- und langfristigen Strategien von diesen - wirklich nur einzelnen Personen - gewünscht waren. Aber es waren eben jene Personen, die die geplante "nachhaltige" Entwicklung mitgestalten hätten müssen und wohl auch davon profitiert hätten.
Und so blieb von einer national und international anerkannten und von der Welttourismusorganisation ausgezeichneten Strategie und Umsetzung ein einzelner Satz als Mail an das INST " teilen wir Ihnen mit, dass wir das Projekt Bauernhaus mit Cyberspace nicht weiterverfolgen ." Und das, obwohl gerade diesen Personen (Touristikern) im Ort oder der Region fast keine Kosten entstanden wären.
Geblieben ist in rasender Geschwindigkeit ein Zurück zu den alten Strukturen ohne realistische Strategie für eine nachhaltige touristische Entwicklung.
Der Versuch, wieder mit "Billigangeboten" doch noch zu Gästen zu kommen. Das Angebot an die Gäste, ihnen zu einem Essen ein Glas Wasser "kostenlos" auf den Tisch zu stellen (?!), Stammgästetreffen und "hochprozentige" Rodelabende zu organisieren.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist diese Entwicklung aber ein Hin zum Verschwinden von der touristischen Landkarte, aber wohl auch der Weg zur Berggemeinde mit Wohnqualität, nicht aber Lebensqualität.
Die Stimme einer Berggemeinde im Konzert der erfolgreichen Tourismusorte geht unter, wenn sie kein lautes, ausgefallenes Instrument spielt. Die Maultrommel wird im SymphonieOrchester nicht gehört.
© Kurt Wallasch (Telfs, Österreich)
9.2. Wirtschaft und Kulturen in einer globalisierten Welt
Sektionsgruppen | Section Groups | Groupes de sections
Inhalt | Table of Contents | Contenu 15 Nr.
For quotation purposes:
Kurt Wallasch (Telfs, Österreich): Berggemeinden und ökologisch-nachhaltiger
Tourismus. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften.
No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/09_2/wallasch15.htm