Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. September 2004
 

10.1. Was bedeutet visuelle Evidenz?
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Wolfgang Coy (Berlin) / Sabine Helmers (Berlin)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Bildungsprozesse

Hendrik Wahl (Studiengang Animation, Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) "Konrad Wolf" Potsdam-Babelsberg)

 

#1

Der Blick in die Welt lässt in unserem Bewusstsein Abbilder unser Umgebung entstehen. In diesen, von unserem visuellen, spatialen System erzeugten Mustern, können wir unterschiedliche struktturelle Verdichtungen erkennen. Wenn diese Verdichtungen hinreichend klare Grenzen aufweisen, gehen wir daran, sie als Strukturen, als Dinge zu interpretieren. Wir erzeugen ein Ding quasi erst in dem Moment, in dem wir einem Muster einen sprachliche Entsprechung zuordnen. Erst der Name grenzt einen Gegenstand von anderen Dingen und von einem unscharfen Hintergrund ab.

Indem wir Begriffe und Begriffsklassen entwickeln, erzeugen wir Ordnungssysteme, mit denen wir den Phänomenen, mit denen wir konfrontiert werden, einen Ort in unsrem Denken zuweisen. Wir können nun die Wechselwirkungen zwischen den begrifflich repräsentierten Dingen beschreiben. Wir können Modellvorstellungen entwickeln, die mit dem Faktor Zeit operieren und so die Prozesshaftigkeit der Welt in unserem Denken eine Entsprechung geben.

Lange Zeit reichte es aus, mit sprachlich fixierten Begriffen zu operieren, um die Phänome, mit denen wir konfrontiert waren, hinreichend genau auf unser Denkmodell zu referenzieren.

Mit der zunehmenden Medialisierung unseres Alltags wird allerdings deutlich, daß gegenständliche Dinge immer mehr an Bedeutung verlieren. Nicht mehr das Objekt selbst sondern sein Abbild, seine mediale Präsenz, bestimmen sein. Sie entscheidet darüber, wie wir es wahrnehmen, welche Bedeutung wir ihm zuordnen.

Es kommt zuerst kaum merklich, letztlich aber zu einer drastischen Entdinglichung der Welt. Der Verlust an materiellen Dingen, den wir hinnehmen, wenn wir e-mails versenden und keine Briefe mehr schreiben, wenn wir Filme ansehen statt Bücher zu lesen, wenn wir Industrieroboter programmieren, anstelle selbst Hand anzulegen, zwingt uns immer mehr, in abstrakten Systemen zu denken.

Um nun aber mit komplexen, abstrakten Sachverhalten umgehen zu können, um effektiv in einer Welt aus "Informationen" agieren zu können, konditionieren wir das, was uns präsent wird, zu Bildern.

Wir verwenden Schalt- und Strukturpläne, wir operieren mit zu Zeichen verdichteten Bedeutungsclustern, wir imaginieren bildhafte Strukturen, wenn wir Texte lesen. Der Film, das Fernsehen als bewegte Inspiration für unsere Träume, zeigt, paradigmatisch, in welchem Maße unsere Welterfahrung von Bildern geprägt wird.

#2

Die informationsindustrielle Gesellschaft findet hier, im Prozess des Wandels von Mitteilung in Information, welcher sich für den Menschen als eine Wandel von Mustern in Bilder, in Sinnbilder darstellt, ihren Grund.

Auf allen Gebieten der Wissenschaft, der Wirtschaft, der Industrie, (auch und gerade der Unterhaltungsindustrie) ist man bestrebt, den Denkmodellen, die hier entwickelt werden, eine bildhafte Entsprechung zu geben, um deren Aussagen Stringents zu verleihen, um komplexe Sachverhalte sensitiv erfahrbar zu machen, um Dispositionen und für unser Denken und Fühlen zu schaffen.

Bilder, wohin man schaut. Verglichen mit jeder andere Epoche, stehen uns eine unübersehbare Fülle an in bildhaften Mitteilungen, codierten Erfahrungs- und Wissensvorräten zur Verfügung. Auf den bildgebenden Schnittflächen der medialen Systeme, entstehen und vergehen immer neue, immer komplexere Bilderwelten und virtuelle Beziehungsgeflechte in immer kürzeren Zeitintervallen.

Seltsamerweise finden wir trotz der immer weiter fortschreitenden medialen Verdichtung der Bildmitteilungen und trotz der physiologischen Grenzen unseres sensitiven Apparates Strategien, in diesem expadierenden Kosmos der Bilder immer wieder und scheinbar ohne Anstrengung Muster, die wir in Information, in Dispositive für unsere tägliche Auseinandersetzung mit der Welt wandeln können.

Der Grund hierfür liegt im Prozess begründet, mittels dessen wir uns bildhafte Mitteilungen erschließen. Bilder entwickeln ihre Botschaften, ihr Bildprogramm simultan. Sie erlauben es uns zuerst einen Überblick zu gewinnen und gleichzeitig ins Detail zu gehen. Assoziieren wir mit einem Text, dessen Sinngehalt in einer kontinuierlichen Reihung der Buchstaben codiert ist und der sich dem Leser auch nur in der Abarbeitung dieser linearen Funktion erschließt, die Figur eines Vektors, der einen bestimmten Betrag an Worten, an Sinn repräsentiert und welcher unsere Gedanken in eine bestimmte Richtung lenkt, so erlauben uns bildhaft organisierte Nachrichten den Fokus zu wechseln, strukturelle Verdichtungen hinsichtlich ihres Mitteilungsgehaltes zu interpretieren und dies in Beziehung zu anderen Regionen des auf einem Medium codieren Bildprogammes zu setzen.

#3

Wenn man über Bilder spricht, so scheint es auf den ersten Blick kaum ein Problem mit dem Verständnis, mit der Zuordnung von Bedeutung zur sprachfixierten Notation zu geben. In einer Reihe von Zusammenhängen kann der Begriff "Bild" hinreichend genau einen bestimmten Sachverhalt beschreiben und so eine konsistente Kommunikation zu den verschiedenen Aspekten von Bildlichkeit sicherstellen.

Allgemein werden zuerst die Produkte von Malern, Grafikern und Fotografen mit den Begriff "Bild" bezeichnet. Deren Reproduktionen ordnen wir ebenfalls in den allermeisten Fällen unter dem Bildbegriff ein, wenngleich hier schon ein Verlust von Authentizität, an Unmittelbarkeit oder zumindest eine Veränderung in der Qualität der Mitteilung spürbar wird. Diesen Verlust der "Aura", wie Walter Benjamin ihn beschreibt, zeigt ein Problem auf, welches die Beziehung Bild (Werk, Mitteilung) - Medium (Distributionskanal) - Rezipient (Empfänger) beschreibt. Es wird deutlich, wie stark der Kontext, in dem die Bildwahrnehmung stattfindet, die Beziehung, die wir mit Bildern eingehen, über Art und Weise entscheidet, wie wir Bilder interpretieren, wie Bilder Wirklichkeit erzeugen.

In der Regel gehen wir davon aus, daß eine endliche ebene Fläche, die durch einen Rand, einen Rahmen, eine Grenze vom Rest der Welt abgetrennt ist und welche Träger einer wie auch immer gearteten, unserem visuellen System zugänglichen Nachricht(1) ist, dem Sachverhalt eines Bildes entspricht, wobei die Auseinandersetzung mit dem Bildprogramm, mit der in die Oberfläche des Bildträgers, des Mediums eingeschriebenen Mitteilung das signifikante Merkmal der Bildrezeption darstellt.

Seltsamerweise können wir Bild und Bildprogramm (also "Hard"- und "Software") nicht simultan wahrnehmen. Wenn wir ein Bild sehen, sehen wir einen flachen, meist rechteckigen, an einer Wand aufgehängten, vielleicht mit einer spiegelnden Glasplatte überdeckten Gegenstand. Dieser hat bestimmte strukturelle Eigenschaften, kann mittels physikalischer Parameter beschrieben und so als diskreter Begriff in unserem Denken abgebildet werden.

Wenn wir das Bildprogramm betrachten, wenn wir uns mit dem Inhalt, mit dem in der Oberfläche codierten Botschaften beschäftigen, wechselt der Fokus unserer Aufmerksamkeit. Unbemerkt von den rationalen und reflexiven Routinen unseres Geistes verlassen wir die reale Welt. Wir bewegen uns nun in einer virtuellen Sphäre, die von unserer Einbildungskraft, von den bilderzeugenden Prozessen in unserem Kopf generiert wird.

Farbflecken, werden zu Feldern, grafische Strukturen verdichten sich zu Wäldern, blaue Flächen werden zu einem endlosen, die Landschaft überwölbenden Himmel. Aus Farbe wird Licht(2). Die ebene Fläche der Leinwand wird zum Fenster, welche den Blick in sich aufnimmt.

Dieser Blick hat nur noch wenig mit dem Sehen, dem Orientieren in einer tagtäglich zu beherrschenden Umwelt zu tun. Er ist stattdessen eher einer inneren Vision, einem Schauen der Seele vergleichbar, die unabhängig von den Konversionen der realen Welt auf eine Reise zu den im Bildprogramm abgelegten und auf unsere Erfahrungen projizierten Wahrheiten geht. Den Rahmen, die Ebenheit der Bildfläche, selbst Spiegelungen, die unseren Blick in die Tiefe des Bildes stören, nehmen wir nicht mehr wahr(3), wenn unsere Empfindungen mit den in der Bildebene gespeicherten Intensionen und Empfindungen des Malers Zwiesprache halten. Nun entsteht dieser Sog, der uns alles um uns herum vergessen lässt, wenn unser Blick in den Bildräumen auf Wanderschaft geht.

Dies geschieht nun sonderbarerweise nicht nur dann, wenn wir mit einem Bildprogramm konfrontiert werden, welche den Regeln der zentralperspektivischen Projektion folgt. Vielmehr ist jede Art von Mitteilung, welcher wir bildliche Qualitäten zuordnen, in der Lage, uns der realen Welt zu entrücken. Die Anordnung und Intensität von Farbflächen, grafischen Strukturen, ja selbst die Rapportationen Victor Vasarélys oder der Suprematismus Kasimir Malewitschs ermöglichen es unserem Wahrnehmungsapparat, Bilder entstehen zu lassen, die auf unsere visuellen Erfahrungen korreliert, Sinn, Wahrheit und Evidenz erzeugen.

Wir können also auch ein Bildprogramm sinnvoll decodieren, welches sich nicht auf die Erzeugung einer möglichst realistischen, auf die physiologische Struktur unserer visuellen Sensoren bezogenen perspektivischen Raumillusion bezieht.

Sonderbarerweise scheint es sogar so zu sein, daß eine abstraktere Darstellungsform eher dazu geeignet ist, eine mentale Auseinandersetzung, ein "Eintauchen" in das Bild, eine Zwiesprache mit dem Bildinhalt, einen Realitätsverlust zu initiieren.

#4

Ähnliches kann man auch an bewegten Bildprogarmmen erkennen. Film beruht grundsätzlich auf Sinnestäuschung. Wenn man ins Kino geht, so sitzt man die meiste Zeit im Dunkeln. Wir sind hier nicht nur mit 24 Bilder in der Sekunde sondern eben auch mit einer entsprechenden Anzahl von Bildpausen konfrontiert. Das, was uns hier an Bildprogammen präsent wird, ist im höchsten Maße surreal.

Der Prozess, in dem Filmbilder erzeugt werden, hat wenig mit der Imagination zu tun, die bei deren Rezeption entsteht. Die Sets, in denen die Vorlagen für unsere Träume erzeugt werden, haben heute, im Zeitalter der digitalen Bilderzeugung und -bearbeitung, kaum noch Ähnlichkeit mit dem, was letztlich bei der Aufführung sichtbar wird.

Immer öfter werden die Bilder, welche schließlich auf den Film belichtet werden, in räumlich und zeitlich getrennten Prozessen erzeugt. Die Sets werden mit blauen oder grünen Flächen ausgelegt, ja selbst die Menschen, die hier agieren, werden mit solchen Farben belegt, um alle für die Bilderzeugung nicht relevanten Facetten ihrer Persönlichkeit eliminieren zu können.

Mittlerweile erlauben es die digitalen Werkzeuge nicht nur alle Arten von synthetischen Welten sondern eben auch digitale Charaktere zu erzeugen. Was im Film "Final Fantasy"(4) noch seltsam unnatürlich anmutet, kann man in den letzten "Matrix" Produktionen mehr als CGI erkennen.

Wenn man den Prozess betrachtet, der zur Entstehung computergenerierter Bilder führt, so wird deutlich, daß hier eine riesige Anzahl von Parametern die Bildentstehung beeinflussen. Der digitale Prozess, der schließlich zu sensitiv wahrnehmbaren Bildern führt, stellt sich als das Erarbeiten einer Bildungsvorschrift dar.

Virtuelle Geometrien werden erzeugt und mit verschiedenen Attributen versehen. Diese werden mit Beleuchtungsmodellen in Beziehung gesetzt, um von einer virtuellen Kamera abgetastet zu werden. Sind alle Parameter eingestellt, die für die Entstehung des Bildes relevant sind, liegt eine Bildungsvorschrift, ein Protobild vor. Zu beliebiger Zeit und in beliebiger Menge können nun durch die Interpretation, durch das Ausführen der Bildungsvorschrift sensitiv wahrnehmbare Bilder erzeugt werden. Aber nicht nur die mit ungeheurem technischen Aufwand produzierten fiktionalen Erzählungen der Traumfabriken stellen sich uns als artifizielle Bilderwelten dar, auch dokumentarische Aufnahmen bilden nur einen Verweis auf Wirklichkeit, die sie abbilden. Allein schon im technischen Bildungsprozess wird deutlich, daß hier nur ein geometrischer Ausschnitt aus dem Raum abgebildet wird. Dinge, die sich außerhalb dieses Sektor befinden, der durch die Parameter des Objektivs beschrieben wird, werden ebensowenig auf dem Bildträger codiert wie Gegenstände, die sich außerhalb des abgetasteten Zeitintervalls befinden, welches durch Belichtungs- und Reaktionszeit des Mediums beschrieben wird.

Die imaginative Kraft der Filmbilder gründet sich aber nicht nur in der mechanischen, photorealistischen Abbildung einer Situation. Die Bewegung selbst ist es, die unsere Aufmerksamkeit fesselt. Besonders deutlich wird dies, wenn es um vollständig künstlich erzeugte bewegte Bilderwelten, um Animationen geht. Alles, was in der filmischen Bildungsvorschrift, in der Vorlage für die Illusion notiert werden soll, muss Bild für Bild erzeugt werden.

Jede Bewegung, die hier präsent werden soll, muss konzeptionell und schließlich technologisch erzeugt werden. Figuren im Animationsfilm bewegen sich höchst selten so wie dies reale Akteure tun würden. Um die Sinnestäuschung möglichst perfekt zu gestalten, werden die Bewegungen der sysnthetischen Charaktere, ob sie nun gezeichnet oder mit Computersystemen erzeugt werden, generell übertrieben dargestellt. Ein virtueller Charakter bezieht seine Wirkung in der Hauptsache nicht aus seiner möglichst realistischen Erscheinung sondern aus der Art und Weise, wie er sich bewegt. So werden zuerst die Hauptposen festgelegt. Sie bilden quasi ein Gerüst, welche die Bewegungen der hier agierenden Dinge und Figuren strukturieren. Bewegungen werden durch kaum merkliche Aktionen vorbereitet, über die Beschleunigung und das Abbremsen von Bewegung wird die Animation rhymisiert.

Alles, was hier geschieht, hat nur das eine Ziel, Bilder zu erzeugen, die dem Konzept der Bewegung entsprechen, welches wir aufgrund unsrer visuellen Erfahrungen verinnerlicht haben.

An Filmbildprogrammen werden die Wirkungsmechanismen bildhafter Mitteilungen besonders deutlich. Filme entwickeln ihre Imagination durch die Aufführung, durch einen Prozess, der sich als eine Funktion der Zeit darstellt.

Diese Funktion stellt sich technisch als eine lineare Bewegung dar. Es wird viel Mühe und technischer Aufwand betrieben, um Bildstand und Framerate möglichst konstant zu halten. Was wir aber erleben, wenn wir einen Film sehen, hat mit einer lineare Funktion nicht das geringste zu tun. Die Bildssequenzen werden durch Schnitte, durch die szenische Auflösung strukturiert. Es stellt für den Betrachter überhaupt kein Problem dar, wenn nach einer totalen Einstellung schlagartig eine Amerikanische oder ein Closeup auf der Leinwand erscheint. Auch eine räumliche Referenz ist im Bildprogramm nicht zwingend erforderlich. So kann einer Einstellung, die eine weite Himmel zeigt, eine Szene folgen, die sich durch eine hohe Bild- und Bewegungsdichte auszeichnet(5). Ja, in der Regel haben wir auch wenig Mühe damit parallele Handlungen und Zeitsprünge verfolgen.

Wenn es unserem Bewusstsein gelingt, die einzelnen Bildmomente, die Szenen zu einem Handlungsstrang zu verknüpfen, wenn wir immer wieder Punkte für eine Anschlusskommunikation finden, entfaltet das filmische Bildprogramm eine ungeheure Wirkung, die beim Betrachter zu einem nahezu völligen Realitätsverlust führt. Wir leiden mit völlig fremden, fiktiven Personen mit, wir verlieren uns in synthetischen Räumen welche uns Matepaintings suggerieren, wir erschrecken wenn das Alien, Sigourney Weave anfällt. Filme erzeugen in der Aufführung, in der Rezeption ihre eigene Wirklichkeit.

#5

Bilder entstehen im Kopf. Wenn wir eine Differenz, eine Grenze zwischen, im einfachsten Fall, zwei verschiedenen visuellen Qualitäten erkennen, ist die Grundbedingung Wahrnehmung gegeben.

Ebenso wie die physiologische Strukturen unseres visuellen Systems die Bilderzeugung beeinflussen, in dem sie uns, zum Beispiele nur einen bestimmten Teil des elektromagnetischen Spektrums verfügbar machen, spielen interpretatorische Prozesse eine entscheidende Rolle bei der Erzeugung der Bilder die wir sehen.

Neurologische- und psychologisch Studien haben gezeigt, das visuell Reize hochgradig dezentral verarbeitet werden und keineswegs instatan eine Bild in unsrem Bewusstsein führt. Erst durch die Zuordnung von Bedeutung, durch eine Korrelation der präsent werdenden Muster auf unsere Wissens- und Erfahrungsbestände können wir diese in Information, in Bilder wandeln.

Wenn wir Bilder sehen, wenn wir Mustern Bedeutung zuordnen, so hat dies sehr viel mit Erinnerung zu tun. Um einen eintreffenden Signal eine Bedeutung zuordnen zu können, um aus einer Mitteilung eine Information zu machen, bedarf es einer Referenz. Diese Referenz finden wir in unseren Erinnerungen. Der Inhalt dieser, in unseren Gedächtnis abgelegten Wissens- und Erfahrungsbestände ist uns nun keineswegs permanent präsent.

Wir organisieren unser Erinnerungen und Erfahrungen in strukturellen Verdichtungen, in Clustern. Diese Clustern verwalten wir mittels mentaler Landkarten. Die Koten, die Regionen höhere Dichte haben kein scharfen Grenzen, vielmehr nimmt ihre strukturelle Dichte von einem Zentrum, welches durch einen sprachlichen Begriffe bezeichnet sein kann zum Rand hin immer mehr ab. Eine Vielzahl solcher virtueller Knoten repräsentieren unseren Wissens- und Erfahrungsvorrat.

Werden uns visuelle Muster präsent beginnt unser Gehirn damit, ausgelöst durch die eintreffenden Reize sukzessive entsprechende Referenzen zu assoziieren und zu überprüfen welchem Knoten, welcher Bedeutungsverdichtung diese zuzuordnen sind. Durch eine Reihe von Abfragen nähert sich das was jetzt an Bedeutung entsteht an das präsent werden Muster an. Das Bild entsteht in einem iterativen Prozess.

Wenn man Bilder als Resultat eines "Bildungsprozesse" denkt, wenn man Bilder als, in Information gewandelte Mitteilung ansieht so kann man mit dieser Denkfigur einen Sachverhalt beschreiben der allen Bilden, allem was und bildhaft präsent wird gemein ist.

Egal ob wir den strukturellen Verdichtungen folgen die ein Maler auf einen Bildträger aufgebracht hat, oder ob wir aus der Bewegung im Film, der szenische Auflösung, dem Rhythmus der unterschiedlichen visuellen Intensitäten der medialen Bilderwelten Evidenz gewinnen, oder ob wir zufälligen Strukturen, Wolken zum Beispiel, eine bildhafte Entsprechung geben, immer stellt sich unser Blick in Welt als ein generischer Prozess des "Bilder Machens" dar.

© Hendrik Wahl (Studiengang Animation, Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) "Konrad Wolf" Potsdam-Babelsberg)


ANMERKUNGEN

(1) So sprechen wir auch vom Schrift- oder Satzbild, wenn wir Texte hinsichtlich ihres Layouts, der nach bildlichen Prämissen organisierten Grauwerte auf dem Papier beschreiben.

(2) wie eben bei der Erzeugung des Bildes aus Licht Farbe wurde.

(3) wir rechnen die Störungen quasi aus dem Nachrichtenstrom heraus, der unser Bewusstsein erreicht.

(4) Hironobu Sakaguchi (Columbia Pictures, 2001)

(5) Besonders deutlich wird dieses Phänomen, welches uns in der Regel kaum bewusst wird, wenn man einen Film ohne Ton oder in einer völlig fremden Sprache sieht.


10.1. Was bedeutet visuelle Evidenz?

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For quotation purposes:
Hendrik Wahl (Hochschule für Film und Fernsehen, Potsdam-Babelsberg): Bildungsprozesse. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/10_1/wahl15.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 9.9.2004     INST