Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. Mai 2004
 

10.2. Cyberspace - die Verbundenheit der Differenz: Kommunikation ohne Grenzen
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Gerald Ganglbauer (Sydney)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Cyberspace internet - Irrgarten oder Labyrinth?

Siegfried Holzbauer (Rottenegg/Prag)

 

Die Welt als Labyrinth, das moderne Leben als Labyrinth: die Labyrinth-Metapher kommt wieder in Mode. Dabei wird Labyrinth meist als Irrgarten verstanden: viele Wege führen in Sackgassen, manche über Umwege in ein Zentrum. Wir meinen damit oft die Unüberschaubarkeit und Verworrenheit der Informationen, unserer Beziehungen, unseres Lebens.

Auch das Internet stellt sich uns in dieser Weise dar. Wir fühlen uns verloren im Cyberspace: auf der Suche nach Information, in Chaträumen auf der Suche nach Kontakten und neuen Beziehungen. Aus Listen, Foren und Weblogs steigen wir nach einiger Zeit wieder aus, weil das Interesse nachläßt und der Zeitaufwand nicht mehr lohnt.

Ein Labyrinth ist ursprünglich jedoch eine Orientierungsfigur. Ein einziger Weg führt, auf Umwegen zwar, die zum Abschreiten des gesamten Innenraums nötigen, aber ohne Sackgassen oder Wahlmöglichkeiten, ins Zentrum. Dieser Weg verlangt stete Bewegung und Richtungswechsel, pendelt zwischen Nähe und Entfernung vom Zentrum. Er bedingt aber auch den Weg zurück, aus dem Labyrinth heraus. Es ist ein Weg der Transformation.

Dies kommt auch im Theseus-Ariadne-Mythos zum Ausdruck. Jährlich werden junge Männer und Frauen in ein Labyrinth, in dessen Zentrum Minotaurus haust geschickt. Keiner kam je zurück, bis sich Theseus auf den Weg ins Labyrinth macht. Er geht mit dem Vorsatz, sich dem, was ihn erwartet zu stellen und heil wieder zurück zu kehren. Über den Faden des Wollknäuels, das ihm Ariadne mit gibt, bleibt er mit der Außenwelt in Verbindung und kommt, nach Überwindung des Minotaurus, wieder heil aus dem Labyrinth heraus.

Einwegige Labyrinthe sind seit der Antike bekannt und im Mittelmeer- und atlantischen Raum weit verbreitet. Sie dienten als Plätze für weltliche und religiöse Riten (z.B. Frühlingsfeste, Pilgerfahrtersatz). Sie sind aber auch als Symbole für die Weltsicht, die geistige Verfaßtheit der klassischen Antike bis zum Mittelalter zu sehen: eine geschlossene Gesellschaft mit einer allseits verbindlichen Moral, in der es nur einen richtigen, zu beschreitenden Weg gibt.

Das ändert sich mit der Neuzeit, der Zeit der ( geografischen ) Entdeckungen und der Reformation. Es führen nicht mehr alle Wege nach Rom. Es gibt nicht mehr eine verbindliche Lehre. Sich zu entscheiden und selbst zu denken ist gefordert, was aber Fehlentscheidungen und Irrtümer mit sich bringt. Folgerichtig wird in der Renaissance, einer Zeit der Wiedergeburt antiker Philosophie, der Irrgarten zur Mode in der Gartengestaltung. Er greift damit schon bei antiken Autoren vorhandene Konnotationen des Labyrinthbegriffs mit Räumen, in denen man sich verirren kann, auf.

Eine ähnliche Entwicklung nahm das Internet. Zunächst ein Einbahn-Medium in Form von E-mail und BBS (Bulletin Board System) / Mailboxsystemen. Eine BBS war ein geschlossenes, überschaubares System, in welches man sich telefonisch einwählte, seine Texte einsandte und die Texte der anderen Mitglieder der BBS abrufen konnte. Im Laufe der Zeit wurde es auch möglich, mit den in eine FirstClass BBS eingeloggten Teilnehmern ähnlich den heutigen Chatrooms zu kommunizieren. Die Einwahl und Auswahl ließ aber keine Irrwege zu. Dasselbe gilt für Newsgroups.

Mit der Entwicklung des World Wide Web (WWW) änderte sich dies jedoch schlagartig. Es entstand ein Netz von miteinander verbundenen quasi BBS, die nun Homepages und Websites hießen. Einmal über einen Provider eingewählt, gab es jetzt eine Vielzahl von Wahlmöglichkeiten, die immer mehr anstieg und weiterhin steigt.

Bei der wachsenden Fülle und Unüberschaubarkeit der Adressen (Domains) und des Contents kann schon das Gefühl des Sich-Verlierens in einem Irrgarten aufkommen.

Suchmaschinen schafften Abhilfe, indem sie es ermöglichen den Cyberspace zu strukturieren, Verbindungen und Wege herzustellen, ein Wegenetz der Information zu erstellen.

Der Browser wurde zum universellen Interface, der Schnittstelle, zum Cyberspace. Mit seiner Hilfe können wir uns im WWW fortbewegen.

Am Beispiel der Informationssuche möchte ich die Ähnlichkeit des Cyberspace mit einem Labyrinth in beiderlei Wortgebrauch aufzeigen und der Frage nachgehen, ob es sich dabei um einen Irrgarten oder um ein (Einweg)Labyrinth handelt. Oder, ob der Cyberspace nicht eine dritte Form ist: ein Labyrinth mit Wahlmöglichkeiten, aber ohne Sackgassen.

Für die Informationssuche gibt es zwei wesentliche Strategien. Zum einen als Ausgangspunkt ein Webportal oder eine Suchmaschine, zum anderen als Ausgangspunkt eine Website und deren Linkseite.

Ein Webportal bietet die Vernetzung von Websites und Webpages zu einem bestimmten Thema. Eine Suchmaschine durchsucht alle Webpages nach einem bestimmten Begriff oder Begriffcluster, welches man vorgibt. Man bekommt eine mehr oder weniger umfangreiche Sammlung von Links ( z.B. für "Wasseruhr" 832 von ungefähr 13400 ) , die nach der Reihe besucht werden können, bis die gewünschten Informationen gesammelt sind. Diese Art der Informationssuche läßt sich als Bewegen in einem eindimensionalen Raum, einer mit Informationen belegten Fläche darstellen. Ein "Verirren" gibt es praktisch nicht, da man immer zur Linksammlung, der Ergebnisseite, zurückkehrt. Auch wird keine Entscheidung verlangt, in die eine oder andere Richtung zu gehen. Man entscheidet sich bestenfalls Links nicht zu besuchen, da aufgrund der Linkbeschreibung nicht die gewünschte Information erwartet wird. Dies ist eine rein zeitökonomische Entscheidung. Das dem Zentrum des Labyrinths Entsprechende ist hier die spezielle gefundene Information, die Antwort, oder generell die Informationsmenge. Bei und durch das Informationen-Sammeln hat man durchaus eine Wandlung durchgemacht, vom "Unwissenden" zum "Wissenden". Man hat vielleicht sogar eine Erkenntnis gewonnen, die einen verändert.

Ist der Ausgangspunkt für die Informationssuche eine Website und deren Linkseite, so stellt sich die Suche anders dar. Auf der Ausgangs-Website ist selten die gesamte gewünschte Information vorhanden, sodass man über deren Linkseite zu den dort angeführten Websites surfen muss. Auch diese Websites bieten Links zu verwandten Websites an. So besteht schon vom Beginn der Suche eine Entscheidungssituation über den Weg, die einzuschlagenden Wege der Suche. Entweder, ähnlich wie bei der Ergebnisseite der Suchmaschinen, die Links der Reihe nach zu besuchen, dadurch aber eine eingeschränkte Informationsmenge zu erreichen. Oder nach dem Durchsuchen einer besuchten Website von deren Linksammlung aus weitere Websites zu besuchen. Dies führt von der Ausgangs-Website immer weiter weg. Nur durch "Zufall" wird man in einer Linksammlung dann wieder auf sie stoßen und vielleicht wieder zurückkehren. Zumeist ist es jedoch so, dass man, im Zentrum angekommen = die gewünschte Information gefunden, einfach aus dem WWW aussteigt. Wir sehen, dass diese Suchstrategie einem Labyrinth mit Wahlmöglichkeiten entspricht. Ein "Verirren" ist aber nicht zwingend vorgegeben.

Das Interface des Browsers bietet zwei Features, die das Labyrinth World Wide Web nicht zum Irrgarten werden lassen. Es ist dies der "Back"-Button und der Menüpunkt "History". Mit dem "Back"-Button läßt sich jederzeit, wie mit Ariadne´s Wollfaden, wieder zum Ausgangspunkt zurückkehren. Die "History", also der Surfverlauf, stellt eine Landkarte dar in der die Wege, die man gesurft ist, eingezeichnet sind. Ein Verlieren der Orientierung, ein Verirren ist dadurch eher ausgeschlossen.

Der Cyberspace in seiner Gesamtheit, in dem ich mich seit 1996 bewege, schien mir von beidem, Irrgarten und Labyrinth, etwas zu haben. In wirkliche Sackgassen bin ich aber nie geraten. Irgendwann, irgendwie wie ging es weiter, war es nur eine kürzere oder längere Unterbrechung.

Für mich ist der Cyberspace die Metapher für eine neue, dritte Form des Labyrinths: ein Labyrinth mit Wahlmöglichkeiten, aber ohne Sackgassen. Das Labyrinth hat damit eine neue Qualität bekommen.

Website: www.advancedpoetx.com

© Siegfried Holzbauer (Rottenegg/Prag)

10.2. Cyberspace - die Verbundenheit der Differenz: Kommunikation ohne Grenzen

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For quotation purposes:
Siegfried Holzbauer (Rottenegg/Prag): Cyberspace internet - Irrgarten oder Labyrinth? In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/10_2/holzbauer15.htm

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