Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. August 2004
 

10.7. Kreative Kontexte
HerausgeberIn | Editor | Éditeur: Simone Griesmayr (Linz)

Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures


Einleitung

Simone Griesmayr (Linz)

 

Die Sektionsbeiträge, die Sie im Folgenden lesen können, umfassen ein weites Spektrum, von Kunst zu Politik, von Wissenschaft zu Wirtschaft. Leider konnten nicht alle, die an der Konferenz teilgenommen haben, einen schriftlichen Beitrag leisten. So entfällt, was ich besonders bedauere, der interessante Beitrag von Mag. Otto Tremetzberger, MAS , der von seinen Erfahrungen als Leiter des Radiosenders FRO(1) und seinen Recherchen über Freie Kulturradios berichtete. Das Thema "Kreative Kontexte" brachte, wie Sie entdecken werden, viele unterschiedliche Bereiche und vor allem Personen zusammen.

Aber was könnten die hier zusammengefassten Beiträge wie "Ökonomische Theoriebildung" und "Freie Radios" gemein haben? Auf den ersten Blick wahrscheinlich nicht allzu viel. Beide jedoch sind kreative und zu einem Gutteil kulturelle Prozesse. Kultur, so wird vielfach angenommen, trägt viel zur Funktionsweise von Milieus oder Netzwerken bei, beeinflusst daher auch Innovationsprozesse maßgeblich, aber ist schwierig operationalisierbar. Um dieses diffuse "Etwas" Kultur, das sich der Rekonstruktion zu verweigern scheint, zu deklarieren, werden häufig Begriffe wie "gemeinsame Werte", "Synergien", "das über seine Einzelteile hinausgehende Ganze", oder "Superorganismus Kultur" und ähnliches eingefügt.

Das Gemeinsame an der Verwendung der Variablen "Kultur" besteht in den unterschiedlichen Theorien mehr in der Syntax, als in der Semantik des Begriffes. Die Bandbreite an Interpretationsmöglichkeiten und darin subsumierbarer Phänomene wirkt sich dabei negativ auf Trennschärfe, sowie Prägnanz des Begriffes und die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Konzepte oder Studien aus. Kultur und Kulturwissenschaften sind so weitläufig, dass fast jeder Aspekt des Daseins auch ein kultureller ist. Symbole zum Beispiel, als Kommunikationsmedien und damit kulturell geprägte Prozesse, umfassen (bestimmten Begriffsdefinitionen folgend) das gesamte Wahrnehmungsspektrum.

Daher sollten Sie auch bei der Durchsicht dieser Beiträge bedenken, dass jedes Erklärungsmodell jeweils an bestimmten Aufgaben orientierte Kulturbegriffe benutzt, meist abgestimmt auf den jeweiligen Betrachtungsausschnitt. Oftmals leider wird zuwenig berücksichtigt, dass Kultur selbst dynamisch ist, sich verändert und verändert wird, sowohl eine individuelle als auch eine inter- und superpersonale Dimension aufweist. Wird daher "Kultur" mit gemeinsamen Werten oder Synergien gleichgesetzt, wirft dies nicht nur epistemologische Fragen auf, sondern auch kulturtheoretische Ungereimtheiten, die mit der beschriebenen terminologischen Besonderheit zusammenhängen.

Um die Frage, welche Rolle Kultur und damit einhergehend Kreativität in Innovationsprozessen oder Wandel ausüben, zu bearbeiten, scheint ein Vergleich unterschiedlicher Erklärungsmodelle daher einerseits extrem schwierig (aus oben genannten Gründen), andererseits als zu ausufernd sollte das umfangreiche Bedeutungsspektrum des Begriffes Berücksichtigung finden. Die eingangs gestellte Frage sollte daher eher lauten: "Was trennen "Ökonomische Theoriebildung" und "Freie Radios"?

Bourdieu betrachtet Kultur und Wissenschaft als getrennte Felder in denen die Akkumulierung verschiedener Kapitalsorten zur Distinktion beitragen. Distinktion bildet das wesentliche Kriterium im Kampf um Anerkennung, Prestige oder auch ökonomischen Erfolg. Was distinktiv ist, unterscheidet sich von Feld zu Feld (Felder sind Politik, Wissenschaft, Kunst...), und wechselt auch über die Zeit (vgl. Fröhlich 1997). Distinktion meint nicht nur sich von einer Masse abzuheben, sondern dies auch strategisch einsetzten zu können. Dies ist aber nur zu einem gewissen Grad individuell zu steuern. Bourdieu unterscheidet zwischen vier Kapitalsorten, deren Akkumulierung zum Grad der Distinktion beiträgt.

Über die aktuelle Bedeutung Bourdieus werden sie hier den Beitrag von Alexander Vojvoda und Sebastian Lasinger finden. Sie werden ausführen, welche Konsequenzen die oben Dargestellten Funktionen von Kapital und Distinktion auf moderne Gesellschaften ausüben. Wesentlich scheint mir dabei, dass nicht nur die Akkumulation, sondern besonders die Kombination verschiedener Kapitalien zur Distinktion, bzw. zur Dominanz in den einzelnen Feldern führt. So führen Lasinger/Vojvoda aus, wie neoliberaler Diskurs nicht nur eine feldspezifische, sondern eine gesamtgesellschaftliche Dominanz erreicht hat, und in dieser Form zu einer Art hegemonialer Kultur - überparteiliche, bereichsübergreifend und international - geworden ist.

Die Betonung von Differenzen bei Geertz zum Beispiel, oder Distinktion bei Bourdieu weisen auf ein Medium Kultur hin, das weniger den Anschein eines allumgebenden Cocons hat, eines allgegenwärtigen "roten Fadens", oder eines Geflechts, Netzes das "alles" umhüllt. Gemeinsame Werte, Synergien usw. werden in den Bereich der Sonntagsreden verwiesen und stellen lediglich eine oberflächliche Verwobenheit dar. Das Agieren in diesem Medium ist geprägt durch ein Manövrieren zwischen Gegensätzen, feindlichen Lagern, strategischem Einsatz von Ressourcen / Kapitalia, und dem Knüpfen von (Zweck-)Allianzen. Rivalität und Opposition sind dabei nicht nur individuell, sondern beziehen sich auf gegensätzliche Lager, konkurrierende Schulen usw. (Collins 1998, S. 6) oder Interessens- und Lobby Gruppen.

Diesem Ansatz folgend, versuchten die TeilnehmerInnen der Sektion diese Gegensätze und Fronten aufzuspüren. Diese verlaufen aber nicht - wie dies bei Bourdieu dargestellt wird - zwischen den Feldern, sondern durch diese hindurch und verbinden dadurch oftmals unterschiedlichste. "Das wissenschaftliche Feld", als Beispiel, wird keineswegs durch gemeinsame Werte oder Normen gekennzeichnet. Was Ökonomie, Betriebswirtschaftslehre und Soziologie verbinden soll, beschreibt eher die oben dargestellte "Sonntagsredenidylle" als wissenschaftlichen Alltag.

Christian Schwarz und Markus Kapl lieferten hierzu einen nahezu beispielhaften Beitrag über die Soziologie trennende Methoden. Diese Gräben, zwischen quantitativer und qualitativer Forschung sind bis heute nicht überwunden und liefern weiterhin "Sprengstoff" für Auseinandersetzungen. Kapl/Schwarz untersuchten diesen Methodenstreit anhand ihres aufschlussreichen Beispiels zweier allseits beliebter "Wahrheitssucher", den beiden Detektiven Inspektor Columbo und Sherlock Holmes.

Ebenso verhält es sich mit dem künstlerischen und kulturellen Feld. Konkurrenten und Komplizen, Ressourcen oder Interessensgruppen sind nicht auf unterschiedliche Felder aufgeteilt, sondern agieren - so hat es den Anschein - entlang stabiler Gräben, die vielleicht als kulturelle Differenz bezeichnet, eine transzendente Ordnung aufrechterhalten. Clifford Geertz hat dies folgendermaßen beschrieben:

" [...] es ist nicht die tiefgreifende Einmütigkeit über tiefgreifende Angelegenheiten. Eher ist es so etwas wie die Wiederkehr vertrauter Unterscheidungen, die Hartnäckigkeit von Auseinandersetzungen und die bleibende Präsenz von Bedrohungen - die Überzeugung, dass, was immer passieren mag, die Ordnung der Differenzen aufrechterhalten bleiben muss" (Fröhlich/Mörth, S. 17).

Die Arbeit in der Sektion "Kreative Kontexte" erarbeitete zu dieser Problemstellung Kristallisationspunkte, die sich auf eine Betrachtung kultureller Barrieren und deren Überschreitung und Veränderung (sowohl konzeptuell als auch aus praktischer Perspektive), der Grenzen der Konzeptualisierbarkeit und kultureller Blockaden zwischen scheinbar homogenen Modellen konzentrierten. Dabei wären ethische Problemstellungen und die Verbindung mit wissenschaftlicher Praxis bzw. Theoriebildung oder das Spannungsfeld Partizipation und Kontrolle als Hauptthemen der Diskussion zu erwähnen.

Michael G. Kraft arbeitete diese Grenzen der Konzeptualisierbarkeit im Bereich der ökonomischen Theoriebildung aus. Das lange Ringen der Ökonomie, sich der kulturellen Einflussgröße zu entziehen, stellt Kraft eindrucksvoll anhand prägenden Forscher in diesem Gebiet wie, Walras, J. N. Keynes, Knight und Friedman dar.

Luis Garcia Moron beteiligte sich an der Sektion mit praktischen Vorschlägen, um die diese Gräben, Konflikte und Differenzen nutzbar oder zumindest überwindbar machen sollen. Sein Konzept der Ehrlichkeit bezieht sich vor allem auf betriebswissenschaftliche Themen, doch sollte auch in anderen Bereichen anwendbar sein.

Ein besonderer Dank gilt auch den beteiligten künstlerischen Beiträgen. Frau Paula P. Keller aus der Schweiz beteiligte sich mit einer eindrucksvollen Projektion ihrer digitalen Bilder. Leider verlieren sie hier im Text etwas an Dynamik, weshalb ich sie auf die angegebne Web-Site verweisen möchte, wo sie über ihr Schaffen und Werk informiert. Christo Christo, Videokünstler aus Linz, beschäftigte sich mit den Wechselwirkungen von Bildaufbau und Information. Hier werden einige Snapshots aus seinem gezeigten Video gezeigt, in denen er vermeintlich bekannte Informationskonvolute reorganisiert. Bitte besuchen Sie auch hier die angegebene Homepage des Künstlers, dort sind seine Videoprojekte online.

© Simone Griesmayr (Linz)


ANMERKUNG

(1) www.fro.at


LITERATUR

Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft; Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1997.

Collins, Randall: The Sociology of Philosophies. A Global Theory of Intellectual Change; The Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge 1998.

Fröhlich (a), Gerhard: Optimale Informationsvorenthaltung als Strategem wissenschaftlicher Kommunikation. In: Zimmermann/Schramm (Hg.): Knowledge Management und Kommunikationssysteme; UVK Universitaetsverlag, Konstanz 1998; Onlinequelle: http://www.agmb.de/mbi/8/mb8.pdf

Fröhlich (b), Gerhard; Mörth, Ingo: geertz@symbolische-anthropologie.moderne. Auf Spurensuche nach der "informellen Logik tatsächlichen Lebens". In: Fröhlich/Mörth: Symbolische Anthropologie der Moderne. Kulturanalysen nach Clifford Geertz. Campus, Frankfurt a. M. 1998.

Geertz, Clifford: Welt in Stücken. Kultur und Politik am Ende des 20. Jahrhundert; Passagen Verlag, Wien 1996.


10.7. Kreative Kontexte

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For quotation purposes:
Simone Griesmayr (Linz): Einleitung. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/10_7/griesmayr_einleitung15.htm

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