Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 15. Nr. | September 2004 | |
11.2. "Schreiben für
den Frieden?" Buch: Das Verbindende der Kulturen | Book: The Unifying Aspects of Cultures | Livre: Les points communs des cultures |
Claudia Robitza (Wien)
Wie aus dem Titel hervorgeht, arbeite ich neben meiner unterrichtenden Tätigkeit auch als Erzieherin. Ich betreue Mädchen im Internat an der Theresianischen Akademie in Wien. Das Theresianum ist eine von Maria Theresia 1746 gegründete Bildungseinrichtung, die ihre Schülerinnen und Schüler im Geiste der Toleranz und Humanität erziehen will. Die Einheit von Internat und Schule hat in diesem Haus Tradition, wobei Mädchen hier erst vor ungefähr 15 Jahren eingezogen sind. Sowohl Mädchen wie auch Burschen sind im Internat gemäß ihrem Alter in jeweils drei Gruppen, die sogenannten Kameraten, geteilt. Mein Tätigkeitsbereich beschränkt sich auf die "Mädchenkamerate Mittelstufe" (MKMS), wo ich als Haupterzieherin agiere, das heißt an drei Tagen in der Woche die Zeit mit ihnen verbringe, was auch das Schlafen im Internat beinhaltet. Da ich also sehr viel Kontakt mit ihnen habe, bietet sich oft die Gelegenheit, Themen zu besprechen, die sie bewegen. Im letzten Schuljahr (2002/03) beherbergte die MKMS 13 Mädchen im Alter zwischen 14 und 16 Jahren verschiedenster Herkunft: Sie stammen aus Österreich, Bulgarien, der Slowakei, den USA, Brasilien, Spanien, der Türkei und China.
Im folgenden möchte ich berichten, wie diese Mädchen den Ausbruch des Irakkrieges empfanden, wie sie sich mit dem Thema Krieg auseinandergesetzt haben, welche Meinungen vorherrschten und woher sie ihre Informationen bezogen. Diese Ausführungen basieren auf keiner statistischen Erhebung, sondern müssen als rein empirischer Bericht gesehen werden, dessen Inhalt sich auf zahlreiche Gespräche mit den Mädchen stützt.
Einleitend möchte ich auf folgendes hinweisen: Nicht nur in der Gegenwart, sondern immer wieder im Verlauf der Geschichte haben sich die Bemühungen um das friedliche Zusammenleben und die Friedenssehnsucht der Menschen aus den verschiedensten Positionen heraus in schriftlicher Form konkretisiert. Nicht nur friedensbewegte Menschen, auch Staatsphilosophen wie Kant und Fichte haben sich mit dem Phänomen des Krieges befasst und Ansätze zu einer friedlichen Weltordnung geliefert. Heute müssen wir aber mit Bedauern feststellen, dass all diese ernsthaften Bemühungen gemessen an der Wirklichkeit schier erfolglos gewesen sind. Wenngleich wir heute Gott sei Dank keine Kriege im klassischen Sinn verzeichnen müssen, wie es die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts waren, steht andererseits doch fest, dass sich menschliches Leid, Vertreibung, Verfolgung und gewaltsamer Tod aufgrund von weltweit etwa. 50 bewaffneten Konflikten pro Jahr in einem dramatischen Ausmaß ereignen. Demnach ist das Prinzip von Clausewitz, wonach Krieg die Fortführung der Politik mit andern Mitteln ist, nur auf die Ebene von Klein- und Bürgerkriegen verlagert worden. Als Kriegsgründe gelten heute die Durchsetzung von Identität und Glaubensprinzipien, die Ressourcensicherung bis hin zu Argumenten des Sicherheitskalküls. Während die unmittelbar im Krieg Getöteten und Verwundeten früher hauptsächlich den Streitkräften angehörten, beläuft sich heute der Anteil von Zivilisten unter den Opfern auf bis zu 90%, darunter viele Greise, Frauen und insbesondere Kinder.
Die von den Massenmedien ins Haus gelieferten Berichte sensibilisieren besonders auch unsere Jugendlichen, weil diese die dramatischen Fotos und Filmberichte von verwundeten und verstümmelten Gleichaltrigen aus den Krisengebieten an sich selbst reflektieren. Ganz abgesehen von der ursächlichen Unfassbarkeit des so entstandenen menschlichen Leids, sind diese Erfahrungen als solche schon schwer zu verarbeiten.. Dies zeigt sich in den verschiedensten Äußerungen der von mir betreuten Mädchen im Alter zwischen14 und16 Jahren.
Knapp vor Ausbruch des Irakkrieges, in einer Zeit, wo die Mädchen auf Grund der Berichterstattung in den Medien natürlich sehr aufgewühlt waren, haben sie sich die Frage gestellt, ob man aus der Geschichte im Hinblick auf die Vermeidung von Kriegen etwas lernen kann, und sie schließlich mit einem klaren Nein beantwortet. Wie hätte es, argumentierten sie, sonst passieren können, dass nach dem Ersten Weltkrieg - noch dazu so bald - der Zweite folgte? Des Weiteren führten sie an, dass die Menschen die Greueltaten des Ersten Weltkriegs, etwa den Einsatz von Giftgas, sehr schnell vergaßen und im Zweiten Weltkrieg dann Atombomben gezündet wurden. Als weiteres Beispiel führten sie den Tschetschenienkrieg an, in dessen Verlauf die russische Armee mittels Giftgas viele Zivilisten getötet hat.
Sehr besorgt hinsichtlich des bevorstehenden Irakkrieges waren die Mädchen wegen des drohenden Einsatzes chemischer Waffen, aber auch aus Angst vor Terroranschlägen mittels Chemikalien, wie etwa dem Vergiften des Trinkwassers. In diesem Zusammenhang haben sie, vor allem wenn in den Medien biologische oder chemische Krankheitserreger wie Anthrax erwähnt wurden, mir des öfteren die Frage gestellt, auf welche Weise Bakterien überleben und Schaden anrichten können.
Die Mädchen waren auch der Meinung, dass die USA nicht aus der Geschichte lernen und nach Ablauf des Ultimatums den Irak angreifen würden, was ja dann auch der Fall war. Zwar war ihnen klar, dass das irakische Volk unter dem Diktator Saddam Hussein zu leiden hatte, doch sind sie der Meinung, dass Gewalt zu keiner Lösung führen kann. Gewalt erzeuge nur Gegengewalt, als Beispiel führte ein Mädchen die Auseinandersetzungen in Israel / Palästina an.
Weiters meinten viele Mädchen, für die Vereinigten Staaten sei als Kriegsgrund eher die Ressource Erdöl im Vordergrund gestanden als die Befreiung der geknechteten Bevölkerung. So ist ein Mädchen mit einem aus dem Internet geholten FAZ-Artikel vom 16.9.2002 erschienen, wo es unter dem Titel "Vereinigte Staaten: Kampf um Öl statt Krieg gegen Terror" heißt: "Irak als Zukunftsinvestition. Beim diskutierten Angriff auf den Irak geht es nicht nur um den Sturz eines Unrechtregimes, sondern auch um die Zukunft der amerikanischen Energieversorgung, munkeln Amerika-kritische Stimmen. Der Irak exportiert derzeit auf Grund internationaler Sanktionen seit dem Golfkrieg weniger als zwei Millionen Barrel pro Tag. Bagdad würde gerne sechs Millionen fördern. Nach einem Machtwechsel könnte der Irak wieder ungebremst Öl produzieren, das, so wird gemutmaßt, seinem Befreier Amerika zu Gute käme. Eine Investition in die Zukunft, schließlich verfügt das Land über die zweitgrößten Reserven der Welt. Dem halten die Experten entgegen, dass der Irak bereits jetzt an seiner Kapazitätsgrenze fördere. Seine Anlagen seien veraltet und es bedürfe hoher Investitionen, um sie wieder in Schuss zu bringen. Doch davor müsste Saddam Hussein erst einmal gestürzt und durch ein stabiles pro-amerikanisches Regime ersetzt werden."
Was die wirtschaftliche Seite betrifft, meinten die Schüler, würde neben der Erdöl- auch die Rüstungsindustrie im Falle eines Krieges profitieren. Die mittlerweile veralteten Waffen würden verbraucht werden und der Produktion neuer Waffen stünde nichts mehr im Weg. Zwei Mädchen meinten auch, dass der Irakkrieg von der schlechten wirtschaftlichen Lage in den USA ablenken und zugleich durch die Waffenproduktion die Wirtschaft wieder angekurbelt werden solle.
Ein anderes Mädchen führte im Zusammenhang mit den Verhandlungen der USA mit der Türkei, bezüglich der Stationierung von Truppen im letztgenannten Land, das Kurdenproblem an. Sie meinte, dass die Türkei ihr Land erweitern möchte und die Kurden nur noch mehr verfolgt werden würden. Des Weiteren äußerte sie die Meinung, dass Minderheiten in einem Land immer dann verstärkt verfolgt bzw. angegriffen würden, wenn die Wirtschaftslage angespannt sei.
Wie bereits erwähnt, waren die Mädchen entsetzt ob der schrecklichen Bilder von den Kriegsschauplätzen. In den ersten Wochen des Krieges haben wir gemeinsam die Nachrichtensendung "Zeit im Bild" angesehen, und einige Mädchen haben sich sogar die Hände vors Gesicht gehalten, um die Grausamkeiten nicht sehen zu müssen. Auch die Bilder in den Zeitungen haben Betroffenheit ausgelöst. Zwischen zwei Mädchen ist eine heftige Diskussion darüber entbrannt, ob man solche Bilder in der Berichterstattung einsetzen müsse, was das eine Mädchen bejahte, das andere aber als geschmack- und pietätlos bezeichnete. Sie meinte zwar, dass eine ausführliche Berichterstattung wichtig sei, nur sollte man sich in die Lage der Angehörigen versetzen.
Was nun die Frage betrifft, welche Medien zur Meinungsbildung herangezogen wurden, so ist in erster Linie das Fernsehen zu nennen. Interessanterweise haben sich einige Mädchen auch von der Meinung von Schauspielern beeinflussen lassen, beispielsweise von den amerikanischen Schauspielern George Clooney und Sean Penn, die sich, wie auch zahlreiche andere Berühmtheiten des Films und der Unterhaltungsbranche, gegen den Krieg ausgesprochen haben.
Neben dem Medium Fernsehen wurden Zeitungen wie der Kurier, die Kronen-Zeitung und der U-Bahn-Express zur Meinungsbildung herangezogen. Ein aus den USA stammendes Mädchen hat daneben auch den Falter, die Presse, den Standard und amerikanische Zeitungen via Internet zur Informationsbeschaffung benützt. Dieses Mädchen hat auch an den Protestmärschen gegen den Krieg teilgenommen und die Regenbogenfahne mit der Aufschrift "Peace" in ihrem Zimmer aufgehängt. Bemerkenswert ist, dass sich auch ihre in den USA lebenden Eltern vehement gegen den Krieg ausgesprochen haben. Ein anderes Mädchen wiederum, das ebenfalls aus den USA stammt, meinte zwar, dass Krieg keine Lösung für Probleme sei, man aus Patriotismus aber dennoch hinter George Bush stehen müsse.
Offenbar ist die Meinungsbildung der Mädchen, trotz der räumlichen Entfernung, stark von den Eltern beeinflusst worden. Bei den täglichen Telefonaten mit den Kindern, aber auch den Besuchen an den Wochenenden oder während der Ferien hat hinsichtlich dieses Themas ein intensiver Meinungsaustausch stattgefunden.
Was die Rolle der Lehrer in diesem Zusammenhang betrifft, so wurde der Irakkrieg auch im Unterricht behandelt. So setzten beispielsweise Fremdsprachenlehrer ausländische Zeitungen im Unterricht ein, aber auch in anderen Fächern gab es laut Auskunft der Mädchen ausführliche Diskussionen.
Zusammenfassend möchte ich festhalten, dass alle Mädchen dieser Gruppe der Ansicht sind, dass kriegerische Auseinandersetzungen nicht zur Lösung von Konflikten führen, sondern nur Gegengewalt erzeugen, was auch durch die aktuellen Ereignisse im Irak bis zum heutigen Tag bestätigt wird, sind doch bereits jetzt mehr amerikanische Soldaten in Folge von Anschlägen gestorben als im Krieg selbst.
Meine Aufgabe als Erzieherin sehe ich neben anderen darin, mit den mir anvertrauten Schülerinnen Themen zu diskutieren, die diese jungen Mädchen bewegen. Dass es dabei, wie eben jetzt im Falle des Irakkriegs, immer wieder auch um Kriege und andere bewaffnete Auseinandersetzungen geht, zeigt die dringende Notwendigkeit solcher Veranstaltungen wie der heute hier stattfindenden Konferenz.
© Claudia Robitza (Wien)
11.2. "Schreiben für den Frieden?"
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For quotation purposes:
Claudia Robitza (Wien): Erfahrungsbericht einer Erzieherin. Gespräche
mit einer Gruppe von 14- bis 16jährigen Mädchen zum
Thema Krieg. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften.
No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/11_2/robitza15.htm