Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 15. Nr. | November 2003 | |
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Christa Prets (Mitglied des Europäischen
Parlaments)
[BIO]
Der Verlust der kulturellen Vielfalt erhöht das Risiko von politischer und ökonomischer Instabilität ähnlich wie der Verlust von biologischer Vielfalt das Ökosystem bedroht. Die Notwendigkeit für die Erhaltung von kultureller Vielfalt ist vor allem im Kontext von Sicherung und Konflikten zu sehen und somit wird sie zu einem globalen Anliegen.
Um kulturelle Vielfalt in die vieldiskutierte Politik der nachhaltigen Entwicklung zu integrieren, habe ich für das Europäische Parlament die Initiative ergriffen, einen Maßnahmenkatalog für die nationale und europäische Kulturpolitik zu erstellen, um die Wahrung und in einem weiteren Schritt die Förderung von kultureller Vielfalt zu garantieren.
1. Forderung - Horizontaler Ansatz
Kultur und kulturelle Vielfalt sollte zum Kernanliegen des Europäischen Integrationsprojektes werden, wobei ein horizontaler Ansatz in alle Politikbereiche sowohl der Europäischen Union als auch der nationalen Regierungen eine Grundvoraussetzung ist. Der mit 1992 im Vertrag von Maastricht eingeführte Artikel 151 EGV zu Kultur muß auf europäischer Ebene unbedingt besser genutzt werden, d.h. v.a. Zusammenarbeit mit Drittländern, der Förderung von Austausch und Dialog und der Beachtung des kulturellen Aspekts in allen Tätigkeiten der Gemeinschaft.
2. Forderung - formale Definition
Es ist schwierig und auch riskant, kulturelle Vielfalt zu definieren. Kultur ist einem dynamischen Prozess unterworfen, der durch eine starre Definition nicht aufgehalten werden sollte. Um jedoch kulturelle Vielfalt in einem ersten Schritt schützen und auch fördern zu können, wird eine formale Definition für Kulturpolitik, Kulturgüter und -dienstleistungen und nicht zuletzt für kulturelle Vielfalt notwendig sein, vor allem im Zusammenhang von Abkommen in internationalen Organisationen wie der WTO oder für ein zukünftiges internationales Rechtsinstrument der kulturellen Vielfalt. (1)
3. Aufforderung -Vernetzen
In Anbetracht der globalen Modernisierung und Ökonomisierung und folglichen Liberalisierungstendenzen wird ein Vernetzen von lokalen, regionalen, nationalen Interessensgruppen immer wichtiger. Innerhalb der letzten drei Jahre wurden unzählige Deklarationen unterschiedlichster Organisationen und Netzwerke zur kulturellen Vielfalt gemacht. Der Europarat hat im Jahr 2000 die Erklärung des Ministerkomitees zur kulturellen Vielfalt verabschiedet. Sie lässt einen von Grund auf europäischen, interkulturellen Standpunkt zu dieser Frage erkennen. In der Erklärung wird die nachhaltige Entwicklung befürwortet , die Bedeutung der künstlerischen Freiheit , sowie der Aus- und Weiterbildung von Fachleuten und als auch des öffentlichen Rundfunks in einem Kontext der kulturellen Vielfalt betont, und es wird festgestellt, dass kulturelle und audiovisuelle Maßnahmen, die die kulturelle Vielfalt fördern und wahren, eine notwendige Ergänzung von handelspolitischen Maßnahmen sind.
Die UNESCO hat im Jahre 2001 die "Allgemeine Erklärung zur kulturellen Vielfalt" angenommen. Sie spielt bei den Überlegungen über die kulturelle Vielfalt, der Verstärkung der Bemühungen um die Sensibilisierung und der Leistung technischer Unterstützung für die Entwicklungsländer bei gleichzeitiger Förderung der Entwicklungszusammenarbeit eine wichtige Rolle. Weiters haben 250 Regionen von 28 Ländern - als die Versammlung der Regionen bekannt - im Oktober 2002 in Brixen ebenfalls eine Erklärung zur kulturellen Vielfalt und GATS abgegeben.
Europäische Entscheidungsträger, Europarat, UNESCO und die Versammlung der Regionen betonen neben vielen anderen Interessensvertretungen, dass Kulturgüter und Kulturdienstleistungen nicht durch die Gesetze des Marktes und des Wettbewerbs geregelt werden können. Artikel 8 der UNESCO-Erklärung bekräftigt, dass kulturelle Güter und Dienstleistungen "als Träger von Identitäten, Wertvorstellungen und Sinn nicht als einfache Waren oder Konsumgüter betrachtet werden können".
Durch eine verstärkte Zusammenarbeit der genannten internationalen Organisationen mit dem Europäischen Parlament, der Europäischen Kommission und den nationalen Regierungen soll der spezifische Charakter der Kultur vor allem im Rahmen der WTO betont werden.
4. Aufruf -Vigilanz bei den WTO Verhandlungen
Die 1995 gegründete Welthandelsorganisation (WTO) führt im Rahmen einer einzigen Struktur u.a. Handelsverhandlungen über Dienstleistungen (GATS) durch. Sie unterstützt das Ziel der Liberalisierung des Welthandels und entwickelt Initiativen zur Erreichung eines ehrgeizigen und ausgewogenen Ergebnisses.
Eine entschlossene Haltung der Europäischen Union in den multilateralen Handelsverhandlungen im Jahre 1993 hat jedoch zu einer Ablehnung der Liberalisierung im audiovisuellen Sektor geführt und es der EU ermöglicht, ihre nationalen und europäischen Politiken im Bereich der Sendequoten und der finanziellen Unterstützung, insbesondere zum Schutz der europäischen Filmindustrie, fortzusetzen.
Die Europäische Union kann als selbständige Einheit mit ihren Handelspartnern Verhandlungen führen. Gemäß Artikel 133 EGV wird diese Aufgabe von der Kommission wahrgenommen, und zwar auf der Grundlage spezifischer Mandate, die ihr vom Rat 1999 erteilt wurden: "Die Union wird während der nächsten WTO-Verhandlungen wie in der Uruguay-Runde dafür Sorge tragen, dass die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten weiterhin die Möglichkeit haben, ihre kulturellen und audiovisuellen Politiken zur Erhaltung ihrer kulturellen Vielfalt beizubehalten und weiterzuentwickeln."
Dieses Mandat, welches von den Mitgliedsländern der EU ausgesprochen wurde, sollte garantieren, dass auch während der Doha-Runde bis 2005 von Seiten der EU keine Angebote und Anfragen zur Liberalisierung von Kulturgütern und Dienstleistungen und Audiovisuelles gemacht werden. Im Bereich der Gesundheit, der Bildung und der audiovisuellen Medien hat es keine Liberalisierungsangebote gegeben, und das EP hat die Kommission aufgefordert, diese Position während der gesamten GATS-Verhandlungen beizubehalten.(2)
Unsere Forderung muß sein, dass die Mitgliedstaaten rechtlich so flexibel sein müssen, dass sie im Bereich der kulturellen und der audiovisuellen Politik alle notwendigen Maßnahmen treffen können, um die kulturelle Vielfalt zu bewahren und zu fördern.
Am Beispiel Neuseeland möchte ich eine Gefahr von Angeboten im Sektor Audiovisuelles aufzeigen. Neuseeland hat in der Uruguay Runde das Angebot gemacht, auf quantitative Begrenzungen im audiovisuellen Sektor zu verzichten. 2001 wollte die neuseeländische Regierung wiederum Quoten für lokale Radio- und Fernsehsendungen einführen, mit der Reaktion der US-Handelsbehörde für GATS, dass die Wiedereinführung von Quoten aufs Äußerste die bereits ausgesprochene GATS Verpflichtung verletzen würde. Spätere Studien haben ergeben, dass der Anteil von lokalen Sendungen im Verhältnis zur gesamten Sendezeit in Neuseeland seit 1995 stark gesunken ist und dass Neuseeland verglichen mit 10 anderen Länder, was das Angebot von regionalen Inhalten anbelangt, Schlusslicht ist.
Internationales Rechtsinstrument
Durch die aufgezeigten Gefahren der WTO-Verhandlungen hat vor allem Kanada - gemeinsam mit Frankreich, Deutschland, Griechenland, Mexiko, Monaco, Marokko und Senegal - die Initiative zu einem internationalen Rechtsinstrument für kulturelle Vielfalt ergriffen. Auf der Tagesordnung der UNESCO-Generalkonferenz (9. - 14. Oktober) wird die Möglichkeit über die technischen und rechtlichen Aspekte und die Zweckmäßigkeit eines solchen Instruments besprochen werden. Die Zustimmung für ein Instrument ist erforderlich und eine kurze Verhandlungsdauer wird notwendig sein angesichts der 2005 abzuschließenden Doha-Runde und den fortlaufenden Liberalisierungsverhandlungen. Als Instrument zur Bewusstseinsbildung und als möglicher Gegenpol zur WTO würde die Konvention zur kulturellen Vielfalt eine wichtige Funktion einnehmen. Der Übergang von einer reinen Erklärung zu einer rechtsverbindlichen Konvention ist hier notwendig.
Die UNESCO hat die Legitimität für ein solches Internationales Rechtsinstrument erhalten, Grundvoraussetzung für einen Erfolg ist jedoch erst der Konsens zwischen fast 190 Staaten. Hier sollten sich die Kulturträgern vernetzen, damit die Brisanz der Thematik über die europäischen Grenzen hinausgetragen wird. Die Europäische Kommission unterstützt ein internationales Rechtsinstrument, das Europäische Parlament wird Ende November meinen Bericht zu Sicherung und Wahrung der kulturellen Vielfalt im Plenum abstimmen. Die Europäischen Kulturminister haben sich schon in Thessaloniki im Mai 2003 dazu positiv geäußert.
Ein solches Instrument sollte als globales Ziel die Wahrung und Förderung der kulturellen Vielfalt haben, zum kulturellen Dialog beitragen und das gegenseitige Verständnis und den gegenseitigen Respekt fördern.
Konklusion
Das Bewahren des kulturellen Erbes, als gemeinsames Erbe der Menschheit, ist ein Anliegen unserer Zivilgesellschaft und die Erhaltung und Förderung der kulturellen Vielfalt ein Garant für Frieden, Sicherheit, Stabilität und Entwicklung. Heute und auch in Zukunft wird es immer unterschiedliche Sprachen und kulturelle Hintergründe in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union geben. Diese kulturelle Vielfalt, die als einer der einzigartigen Werte der Europäischen Union betrachtet werden kann, wird durchaus anerkannt und respektiert, sollte aber über regionale, nationale und internationale Mittel und Wege noch stärker gefördert werden. 0, 1% EU-Mittel für Kultur und Audiovisuelles ist zu wenig. Jährliche Kürzungen in den nationalen Haushalten im Kultur und Kunstbereich sind zu verurteilen. Kulturelle Vielfalt sollte als Querschnittsmaterie in jeden Politikbereich Einzug finden. Die Wahrung der Vielfalt darf zu keiner Abgrenzung führen. Die Sicherung der Vielfalt ist immer auch eine Förderung. Und nicht zuletzt: Um kulturelle Vielfalt als Prinzip der nachhaltigen Entwicklung zu erkennen, muß jeder Einzelne Zugang zu Kultur haben und daran auch teilnehmen können. Dann erst können Maßnahmen und Aktionen für den Erhalt und die Förderung greifen. Dann wird die Utopie zur Realität.
© Christa Prets (Mitglied des Europäischen Parlaments)
ANMERKUNGEN
(1) "Kulturelle Vielfalt als Unterstützung und Entwicklung der lokalen Kulturen, von Kulturpolitiken, als Öffnung für andere Kulturkreise und den Schutz von indigenen und nationalen Institutionen und Arbeiten. Kulturelle Vielfalt subsumiert aber vor allem die Vielfalt der Sprachen, Traditionen, Lebensweisen, Trends, der kulturelle Ausdrucksmöglichkeiten, des Medienpluralismus und auch der Vielfalt in den Bildungssystemen."
(2) Entschließung zu GATS im Rahmen der WTO und kulturelle Vielfalt, 12.3. 2003.
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For quotation purposes:
Christa Prets (Mitglied des Europäischen Parlaments): Wahrung
der Kulturellen Vielfalt - eine Utopie? In: TRANS. Internet-Zeitschrift
für Kulturwissenschaften. No. 15/2003.
WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/plenum/prets15EN.htm