Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. November 2003
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Die Erfahrungen des Exils

Samuel M.Rapoport (Berlin)
[BIO]

 

Liebe Konferenzteilnehmer!

Ich möchte mich vorerst dafür entschuldigen, dass ich nicht bei Ihnen anwesend sein kann. Leider erlaubt es meine Gesundheit nicht.

Mein Name ist Mitja Rapoport. Der Name wird nicht allen geläufig sein. Aber es gibt Tausende dieses Namens. Er ist einer der häufigen jüdischen Namen.

Ich bin von Beruf Biochemiker - medizinischer Biochemiker - und habe eine langjährige Lehrerfahrung hinter mir. Ich bin über 90 Jahre alt. Und das ist schon ein Segen, wenn man das von sich sagen kann, dass man einigermaßen beieinander ist, wie man so sagt. Ich möchte Ihnen einiges vom Standpunkt des 90jährigen sagen zu Ihrer Konferenz. Ich wünsche Ihr - dieser Konferenz - alles erdenkliche an Erfolg. Allein ihr Zustandekommen ist schon ein großer Erfolg. Denn sie versammelt so viele verschiedene Erfahrungen, Gesichtspunkte. Ich möchte einiges aus meinen Erfahrungen erzählen. Da ist zunächst die Tatsache, dass ich im Grenzgebiet zwischen dem alten Kaiserreich Österreich-Ungarn und Russland geboren bin, dass ich dann in Odessa lebte, dass ich 1920 schon Exil erlebte, als wir flohen - nach Wien. In Wien lebte ich dann meine ganze Kindheit und Jugend bis im Jahre 1937 und wieder war die Existenz bedroht. Hitler war an der Pforte. Ich übernahm ein Stipendium in die USA und während des ersten Jahres, als ich es absolvierte, war mir mein Vaterland Österreich abhanden gekommen. Und wieder musste man sich neu anpassen, neu sich assimilieren. Und so war ich in den USA dabei, eine Wissenschafterkarriere mit Erfolg durchzuführen. Aber ich war ein nicht unterdrückbarer revolutionärer Geist. Ich war in Erinnerung groß geworden, in Erinnerung an das schöne rote Wien, an seine sozialen und kulturellen Errungenschaften. Es war durch Hitler zerstört. Ich bliebe bei dem Traum eines Sozialismus und dadurch geriet ich in das Visier des McCharty-Komitees und musste die USA auch verlassen. 1950, während eines der Kriege - des Korea-Krieges - mussten wir heimlich die USA verlassen, und nach einer Wartezeit in Wien bekam ich einen Ruf an die Berliner Humboldt-Universität. Und dort war ich 25 Jahre lang Inhaber einer Lehrkanzel.

Was habe ich alles gelernt? Das Erste, was ich gelernt habe, ist, wie wichtig es ist, Menschen kennen zulernen und zu ihnen vertrauensvoll Kontakt aufzunehmen. Das bringt mit sich Glück - sowohl in den Begegnungen als auch Glück im Leben. Das fängt natürlich auch schon an bei der Wahl einer Lebensgefährtin. Auch hier muß man dieses große Glück erleben. Zweitens habe ich gelernt, wie schön es ist, etwas Neues zu erleben, eine neue Kultur, die man nicht kannte, eine alte Kultur, die man nicht kannte - eine andere. Und so war mein Leben - diese vielen Exile - eine große Schule der Kultur, die es mir ermöglichte, einen weiten Horizont zu haben. Wie schön ist es, dass die Menschheit so viele verschiedene Blüten der Kultur trägt. Und wenn sie einem auch nicht alle gleich schmecken und angenehm sind. Man soll sich bemühen, ob es sich um Neuerungen oder Wiederentdeckungen von etwas Altem handelt.

Eine große Sorge habe ich. Und diese Sorge, auch wenn ich das wahrscheinlich nicht persönlich erleben werde, betrifft eine große Gefahr für die Menschheit. Die Menschheit ist in einem Umfang bedroht, wie man es sich kaum vorstellen kann. Die Bedrohung besteht einmal allein durch ihr Wachstum. Nicht etwa, dass es nicht genug zu essen gäbe, aber die Verteilung ist das Problem. Und außerdem werden irgendwann die Ressourcen nicht ausreichen. Die Menschheit ist bedroht durch die Müllhalden, die sie erzeugt. Sie ist bedroht vor allem durch eine permanente Kriegsgefahr. Wir lesen und hören heute von Bedrohungen, die angeblich von Nordkorea, dem Iran oder sonst wo ausgehen. Hier handelt es sich um einige wenige Atomwaffen, die erzeugt werden sollen. Und dabei wird übersehen, dass die größten Lager an Atomwaffen in den USA und Russland genügen, um die Erde zehntausendfach zu vernichten. Ich möchte Sie aufrufen, überall dort, wo Kultur gepflegt wird, mitzuhelfen Kultur zu verteidigen, überall das Gemeinsame der Menschen zu suchen. Und in diesem Sinne begrüße ich die Konferenz.

© Samuel M.Rapoport (Berlin)

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For quotation purposes:
Samuel M.Rapoport (Berlin): Die Erfahrungen des Exils. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003.
WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/plenum/rapoportl15DE.htm

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