Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Nr. November 2003
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Die Rolle der Kultur im Europarat

Walter Schwimmer (Generalsekretär des Europarats)
[BIO]

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde

Europa ist einzigartig. Die kulturelle Vielfalt unseres Kontinents ist unverzichtbarer Bestandteil unserer politischen Identität. Unsere Unterschiedlichkeit ist unsere Stärke, durchaus auch im Sinne von gegenseitiger VERstärkung.

Die Werte, denen wir uns als Europarat verpflichtet fühlen, resultieren aus dem jahrhundertelangen Austausch und der gegenseitigen Befruchtung der Kulturen und Religionen in Europa. Kulturzusammenarbeit ist daher ein zentrales Thema unserer Organisation.

Respekt für den Rechtsstaat, für Pluralismus und die Menschenrechte sind gleichzeitig Ergebnis dieses Austausches und Voraussetzung für eine nachhaltige demokratische Entwicklung unseres Kontinents.

Erfahrungsgemäß leben Menschen dann in Frieden, Wohlstand und Fortschritt miteinander, wenn sie einander kennen, keine Berührungsangst haben, Anderssein akzeptieren können. Wo Menschen einander nicht kennen bauen sie Mauern der Ignoranz und des Schweigens, Mauern die dann oft gewaltsam eingerissen werden.

Es ist kein Zufall, dass Kulturarbeit besonders wichtig ist und im Vordergrund steht, wo Versöhnung stattfindet. Im kulturellen Bereich können Annäherungen möglich sein, die im Bereich der "offiziellen Politik" nicht machbar sind. "Kultur" ist hier natürlich im allerweitesten Sinne zu verstehen, sowie wir das auch im Europarat tun.

Nicht umsonst hat etwa das deutsch-französische Jugendwerk es hunderttausenden jungen Menschen ermöglicht, den "feindlichen" Nachbarn kennen und schätzen zu lernen, die jeweils andere Sprache und die gemeinsame Geschichte zu erforschen und zu erlernen. Die deutsch-französischen Beziehungen, in die beide Länder politisch und finanziell unglaublich viel investiert haben, tragen politisch und wirtschaftlich auch reiche Frucht.

Gerade dieses Beispiel zeigt auch, dass von alleine gar nichts passiert. Ein starker politischer Wille und ein gewisse programmatische, auch finanzielle Hilfestellung sind unbedingt erforderlich.

Genau das bieten wir im Rahmen der Kulturzusammenarbeit des Europarates an. Die Europäische Kulturkonvention bietet einen flexiblen Rahmen für multilaterale Kulturpolitik und -aktion. Das hat den Vorteil, dass Kulturzusammenarbeit auch mit europäischen Nichtmitgliedsländern möglich ist, selbst wenn auf politischer Ebene Schwierigkeiten bestehen.

Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme in Mittel- und Osteuropa war für die neuen demokratischen Staaten die Ratifizierung der Kulturkonvention der erste wichtige Schritt zur Zusammenarbeit mit der europäischen demokratischen Staatengemeinschaft.

Durch Kulturzusammenarbeit haben die "neuen" und die "alten" Mitgliedsländer einander auf gleicher Ebene begegnen und entdecken können. Das war und ist eine unabdingbare Begleitung und manchmal Voraussetzung für die Zusammenarbeit im politischen und rechtlichen Bereich, die parallel stattfindet.

De Kulturkonvention interpretiert "Kulturzusammenarbeit" sehr weit, und deckt einen Bereich ab, der von "Kultur pur" zu Bildung, Jugend und Sport reicht. In jedem Fall sehen wir unsere Aufgabe auf zwei Ebenen: einerseits durch die Schaffung rechtlicher Grundlagen, und andererseits darin, kulturpolitische Richtlinien zu entwerfen und in die Praxis umzusetzen.

Die Rechtsgrundlagen sind notwendig, um Regierungen positives Handeln zu ermöglichen, etwa im Bereich des Denkmal- und Landschaftsschutzes oder der gegenseitigen Anerkennung von Diplomen.

Die kulturpolitischen Richtlinien sind von den folgenden Prinzipien definiert:

Umgesetzt wird dies durch eine Reihe von multilateralen Programmen. Europäische Kulturpolitik muss angreifbar sein, nachvollzogen und erlebt werden können, sozusagen "Europa-hautnah".

Zwei Beispiele erläutern das Konzept: die Kunstausstellungen des Europarates und das Europäische Kulturwegeprogramm.

In den Kunstausstellungen stellen die größten Museen Europas ihre Kunstschätze miteinander in thematischen Wanderausstellungen aus, um unser gemeinsames europäisches Kulturerbe Menschen in verschiedenen Staaten zugänglich machen. Die Ausstellungen betonen geschichtliche und kulturelle Vernetzungen und ihren Einfluss auf Kunst und Künstler. In Wien wurde zuletzt die vielbeachtete Biedermeierausstellung, "Der Traum vom Glück" gezeigt (1996).

Kulturwege sind eine weitere sehr konkrete Umsetzung von theoretischen Prinzipien in eine spannende und erbauliche Praxis: sie verbinden Höhepunkte unseres architektonischen und natürlichen Erbes unter thematischen Gesichtspunkten, und machen so die Interaktion zwischen verschiedenen Kulturkreisen, die ja immer stattgefunden hat, deutlich.

Aber nicht nur das: Kulturwege fordern grenzüberschreitende Zusammenarbeit, geben traditionellen Berufen und Handwerken Aufschwung, fördern den Tourismus, und können damit sogar zu wirtschaftlichem Fortschritt beitragen. Der bekannteste solche "Kulturweg" ist der alte Pilgerpfad nach Santiago de Compostella, andere folgen den alten Hansewegen oder dem Weinbau. Wir sind dabei, dieses Programm weiter auszubauen, und einen neuen Rahmen dafür zu finden.

Kurz sei auch hingewiesen auf unsere Modellprogramme zur regionalen Kulturzusammenarbeit, etwa in Südosteuropa und im Südkaukasus.

Für uns ist es ganz besonders wichtig, den interkulturellen Dialog innerhalb Europas und darüber hinaus zu fördern. Vor ein paar Jahren haben alle vom "Clash of civilisations" gesprochen - daran glaube ich nicht. Es gibt nur einen "clash of ignorance". Dagegen müssen wir ankämpfen, auch und gerade im Bereich der kulturellen Zusammenarbeit. Die europäischen Kulturminister haben daher gerade erst vor zwei Wochen eine Erklärung zum Thema "Interkultureller Dialog und Konfliktvermeidung" beschlossen.

Die Minister definieren ihre Rolle neu als Betreiber einer Kulturpolitik, die aktiv den Dialog sucht, Konflikte früh erkennt und durch besseres Kennenlernen und gemeinsame Aktionen im Rahmen sogenannter "safe and shared places for dialogue" zu ihrer Lösung beiträgt. Solche "safe places" können zum Beispiel Schulen, Kultureinrichtungen oder die Medien sein. Die Idee ist anspruchsvoll, aber ihre Umsetzung hängt keineswegs in der Luft, sondern wird durch eine Reihe von konkreten Projekten realisiert, die bereits im kommende Jahr von den Ministern ausgewertet werden sollen.

Wir suchen den interkulturellen Dialog auch über Europa hinaus und stehen in ständigem Austausch etwa mit der Liga der Arabischen Staaten und ihrer Kultur- und Bildungsorganisation, ALECSO. Dieser Dialog wird sowohl auf höchster politischer Ebene geführt als auch auf der operationellen, praxis-orientierten.

Meine Damen und Herren,

Alle Mitgliedsländer der Europäischen Union sind auch Mitglied des Europarats und somit der Europäischen Kulturkonvention. Wie Sie ja wissen hat die EU selbst kaum direkte "Kultur"kompetenzen. Da auch innerhalb besonders der erweiterten Europäischen Union, Kulturzusammenarbeit zunehmend an Bedeutung gewinnen wird, lade ich die Union ein, der Europäischen Kulturkonvention des Europarats beizutreten. Dies würde Grundlagen für ein intensiveres Engagement der EU in diesem Bereich inklusive einer gezielten Förderungspolitik bieten.

Um die Kulturkonvention noch attraktiver zu machen, arbeiten die 45 Mitgliedsländer des Europarats derzeit an einem Zusatzprotokoll zur Konvention, das sie in manchen Bereichen konkreter machen wird, etwa wenn es um "Europa und die Welt" geht, um kulturelle Vielfalt, um neue Technologien. Dieses Zusatzprotokoll wird rechtzeitig zum 50. Jahrestag der Konvention im Dezember 2004 fertig sein.

Der Beitritt der Europäischen Union zur Kulturkonvention wäre ein wichtiger Beitrag zur neuen Europäischen Architektur, der zeigt, wie die beiden Organisationen einander ergänzen und verstärken können: der Europarat hat den breiteren Rahmen, die Europäische Union verfügt über die praktischen Umsetzungsmöglichkeiten.

© Walter Schwimmer (Generalsekretär des Europarats)

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For quotation purposes:
Walter Schwimmer (Generalsekretär des Europarats): Die Rolle der Kultur im Europarat. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003.
WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/plenum/schwimmer15DE.htm

Webmeister: Peter R. Horn     last change: 19.11.2003     INST