Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 14. Nr. Februar 2003

Traditionen, Modernisierungen, Zeiten

Herbert Arlt (Wien)
[BIO]

 

Inhalt
1. Wiederholbarkeit als Erfahrung
2. Von der Chronologie zur Konstruktion
3. Die Herausbildung des modernen Zeitgefühls
4. Die Realität der Gleichzeitigkeit
5. Das Gleiche in anderer Gestalt
6. Schlussbemerkungen

 

In der Gegenwart scheinen sich Traditionen und Modernisierungen(1), Kultur und Innovation(2) gegenüber zu stehen. Sie sind es, die die Spaltung der Wissenschaften zu repräsentieren, die "Epochenbegriffe"("Zeiten") zu prägen scheinen. (3)

Die Zeitbegriffe, die Zeit als Maße basieren aber auf menschlichen Erfahrungen und sind Konstrukte nicht ohne Kontexte. Als solche bestimmen sie das kulturelle Leben der Menschen und sind zugleich Ausdruck dieses kulturellen Lebens.

In diesem Sinne ist Zeit keine objektive Größe und die Naturwissenschaften nur eine derzeitige Hüterin ihrer gesellschaftlichen Bedeutung. Eine einseitige Entwicklung, deren Geschichte der institutionelle Veränderungen in den Zeiten der Modernisierungen von Stephen Hawkings in seinem Weltbestseller "Eine kurze Geschichte der Zeit" in folgende Worte gefasst wurde: "Im 18. Jahrhundert betrachteten die Philosophen den gesamten Bereich menschlicher Erkenntnis, einschließlich der Naturwissenschaften, als ihr angestammtes Gebiet und erörterten auch Fragen wie etwa die nach dem Anfang des Universums. Im 19. und 20. Jahrhundert jedoch wurde die Naturwissenschaft zu fachlich und mathematisch für Laien, zu denen nun auch die Philosophen gehörten. Sie engten den Horizont ihrer Fragen immer weiter ein, bis schließlich Wittgenstein, einer der bekanntesten Philosophen unseres Jahrhunderts, erklärte: "Alle Philosophie ist <Sprachkritik> ... [ihr] Zweck ist die logische Klärung von Gedanken.' Was für ein Niedergang für die große philosophische Tradition von Aristoteles bis Kant!"(4)

Diese Darstellung wäre nicht weiter bedeutend, wenn sie nicht ihre Entsprechung in der realen Stellung der Geistes-, Human- bzw. Kulturwissenschaften an den Universitäten und in der Forschung weltweit wäre(5), obwohl zugleich das genannte Buch von Hawkings auch nichts anderes beinhaltet als eine "logische Klärung von Gedanken". Und in seinen Schlussbemerkungen wird deutlich, daß die modernen Naturwissenschaften nichts anderes sind als Kulturwissenschaften: "Wir leben, so stellen wir fest, in einer befremdlichen Welt. Wir möchten verstehen, was wir um uns wahrnehmen und fragen: Wie ist das Universum beschaffen? Welchen Platz nehmen wir in ihm ein, woher kommt es, und woher kommen wir? Warum ist es so und nicht anders? Indem wir versuchen, diese Fragen zu beantworten, machen wir uns ein "Weltbild' zu eigen."(6) Und dieses Weltbild ist Teil der menschlichen Kultur - gerade in ihren Regelmäßigkeiten und Gesetzen: "Zunächst zeigten sich diese Regelmäßigkeiten und Gesetze nur in der Astronomie und einigen wenigen anderen Situationen. Doch mit fortschreitender Entwicklung der menschlichen Kultur wurden immer mehr Regelmäßigkeiten und Gesetze entdeckt - vor allem in den letzten dreihundert Jahren."(7)

Doch gerade in der Ausblendung des kulturellen Charakters der Naturerkenntnisse liegt die Schwäche gegenwärtiger Wissenschaft und Forschung, die nicht beliebig überbrückbar ist.(8) Und das Splitting zwischen Naturerkenntnis und Kulturerkenntnis bestimmt auch im wesentlichen das Verhältnis von Traditionen und Modernisierungen, von Geschichte, gegenwärtigen Auseinandersetzungen und Zukunftsentwürfen.(9) Es entsteht eine weitgehend unreflektierte Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, deren wesentlichster Ausdruck die Vernachlässigung des Menschen - seiner Erfahrungen, und Tätigkeiten - als Gegenstand der Forschung ist. Ich versuche diese These anhand folgender Bereiche zu erläutern und verstehe diesen Beitrag als einen Vorschlag, den Menschen wieder mehr zum Ausgangspunkt von innovativer Erkenntnisgewinnung zu machen:

1. Wiederholbarkeit als Erfahrungen

Wenn Hawkings die Erkenntnis der Wiederholbarkeit mit der Entwicklung der menschlichen Kultur verbindet(10), so sollte zunächst festgestellt werden, daß dies sowohl eine Hierarchisierung darstellt als auch ein Ausdruck des "Zeitgeistes" ist. Denn die Wiederholung (in ihrer Beschleunigung) ist der Ausdruck der Produktionsweise der Moderne (der Manufakturen und Industrien). Und er berücksichtigt nur einen Teil der realen heutigen Zeiten. Daher soll hier zunächst auf einige Rahmenbedingungen verwiesen werden, die bei der Bestimmung der Zeit wesentlich sind und waren:

1.1. Zeit als Tradition

In unserer Gegenwart "wächst" die Menschheitsgeschichte um weitere und weitere Millionen Jahre(11). Aber sie ist eine Geschichte, von der weitgehend unbekannt ist, welche Bedeutung Zeit für die Menschen hatte. Zeit in ihrer erkennbaren Bedeutung für Menschen (in vielfältigen Formen) ist gebunden an Formen der Tradierung, die Schrift, Aufbewahrung (im weiten Sinne: Archive) voraussetzt. Zeit in diesem Sinne ist von gesellschaftlicher (kultureller) Erinnerung nicht zu trennen. Und diese gesellschaftliche Erinnerung reicht nur einige Tausend Jahre zurück.(12)

1.2. Zeit als Wiederholung

Zeit ist aber auch eine Maßeinheit, die Wiederholung ausdrückt. Dass Zeit und Raum eng im Denken miteinander verbunden sind, beruht darauf, daß es Bewegungen im Raum waren, die als Wiederholungen durch Zeit festgehalten wurden.(13) Zeit ist daher ein Maß der Wiederholungen, und die Machbarkeit der Wiederholung ist der Maßstab für die "Wahrheit" der Theorie, die Wiederholungen voraussagt.

1.3. Alter der Welt

Die Geschichte der Festlegung einer Zeit, die an Wiederholungen gebunden ist, die Beobachtungen der Natur unterliegen, nimmt auch Elemente in ihre theoretischen Problemstellungen auf, die diesen Erfahrungen entsprechen. Das betrifft insbesondere die oft wiederholte Fragestellung nach einem Anfang der Welt, die der menschlichen Erfahrung von Anfang und Ende entspricht. Hier haben sich die Dimensionen in der Moderne quantitativ gewaltig verschoben. Nicht mehr die Erinnerung der Menschheit, die nur auf etliche Tausend Jahre zurückgeht, ist das Maß, sondern es sind zumindest Milliarden von Jahren. Und nach wie vor ist das, was von Menschen trotz aller technischer Innovationen beobachtet werden kann, sehr gering. (14) Es ist daher keineswegs müßig über Sprache und Tradierungsformen nachzudenken, wenn es darum geht, die Reichweite von heutigen Hypothesen und Thesen einzugrenzen und Alternativen einzubeziehen. Denn die Beobachtung der Art des Wiederholten entspricht durchaus kulturellen Erfahrungen (nicht nur dann, wenn "Erkenntnisse" von Dogmen abgeleitet werden).

2. Von der Chronologie(15) zur Konstruktion(16)

In die Zeit der Moderne fällt in Europa ein denkwürdiger Wechsel(17) von der Chronologie/Chronik zur Geschichtsschreibung(18), von der Reihung (zum Teil erfundener) Daten zur Konstruktion der Geschichte bei gleichzeitiger Entwicklung von Methoden, die eine größere Objektivität absichern sollten.(19) Dies ist zugleich auch eine Ablösung der individuellen Konstruktion, wie sie im Roman "Baudolino" von Umberto Eco dargestellt wird(20), durch eine Konstruktion für Massen. Das Individuum ist hier nicht mehr bloß der Herrscher, sondern es sind die Menschen in ihrer Vielzahl.(21)

2.1. Chronologie

Die Chroniken/Chronologien, die wir vom Mittelalter zu Herrschergeschichten bis hin zur ersten Darstellung einer Literatur in Österreich durch Gottsched(22) kennen, zeichnen sich bei aller Vielfalt der Gegenstände (von regionalen Prozessen bis zu Weltchroniken(23) durch Reihung aus. Elemente wie Linien, Spiralen usw. aus der Geometrie (oder der immer bedeutender werdenden Kartographie) spielen noch keine Rolle.(24)

2.2. Linearität

Mit der Modernisierung und den Konstruktionen kommen "Bilder" auf. Diese Bilder entsprechen den Tableaus, den Kirchengemälden usw., auf denen die Hierarchisierungen der Welt festgehalten werden. Und in diesem Falle aber nicht nur die Hierarchien der weltlichen und geistlichen Macht, sondern auch die Hierarchie der Völker. Es werden Kriterien entwickelt, die "Überlegenheit" anhand "objektiver" Kriterien argumentierbar machen sollen.(25) Und diese neuen Geschichtsbilder sind abstrakt, haben keine Gestalten mehr wie die Allegorien auf den Kirchendecken. Das Gewand ihrer "Objektivität" ist die Geometrie und Mathematik, die - wie die Zeit - vom Leben nicht berührt zu sein scheinen.(26)

2.3. Epochen

Dagegen sind die Epochen(27), die "großen Erzählungen" usw. deutlicher mit Inhalten verbunden. Sie sind charakterisiert durch Kanon und Negation der Widersprüchlichkeiten, indem ein Hauptmoment eine Epoche in der Darstellung prägt.(28) Da wird dann vernachlässigt, daß in einer "Industriegesellschaft" durchaus die Mehrheit der Bevölkerung sich von Landwirtschaft ernährt oder im "Kapitalismus" die Verwaltung von Adeligen dominiert wird. Das reicht soweit, daß die Arbeiter der ersten, zweiten Generation, die eigentlich aus einer bäuerlichen Gesellschaft kommen, als Kernschichten der Arbeiterklasse angesehen werden, wenn rechte Populisten Wahlen gewinnen. Kurz: Epochen-Konstruktionen werden durch diejenigen bestimmt, die die Veränderungen bringen.

2.4. Die Zukunft als Vergangenheit

In dieser konstruierten Geschichtsschreibung tritt selbst die Zukunft als Vergangenheit auf, wenn die Vergangenheit zur Legitimation von Gegenwart (Territorium, Privilegien usw.) herangezogen wird. Aber in der Französischen Revolution war es auch umgekehrt: die Revolutionäre trugen die Gewänder des alten Rom als ein Zeichen dafür, daß sie den Widersprüchen nicht gewachsen waren.

2.5. Die neue Zeit

Sowohl in der Religion als auch in profanen Bewegungen spielt der Begriff der "neuen Zeit" eine wesentliche Rolle und kann es sogar bis zum Titel von Zeitschriften und Tageszeitungen bringen.(29) In beiden Fällen ("Zukunft als Vergangenheit" und "neue Zeit") ist das wesentlichste Merkmal die Konstruktion, die unterschiedliche Elemente der Vergangenheit und Gegenwart einbezieht - und sogar manchmal die Möglichkeit. So heißt es etwa im Lied "Wir sind das Bauvolk", einem Lied aus der Aufbruchzeit der Arbeiterbewegung in Österreich:

Wir sind das Bauvolk der kommenden Welt,
wir sind der Sämann, die Saat und des Feld.

Das könnte noch als Ausdruck von Bündnispolitik, der Gemeinsamkeit von Arbeitern und Bauern verstanden werden. Doch bereits die Einheit von Sämann, Saat und Feld verweist auf die Metaphorik, die mit den nachfolgenden Zeilen abgerundet wird:

Wir sind die Schnitter der kommenden Mahd,
wir sind die Zukunft und wir sind die Tat.
(30)

Die Zukunft ist hier unmittelbar mit der "Vergangenheit" verbunden, die Fabriken mit der landwirtschaftlichen Produktion. Doch die Fabriken sind die Fesseln, die Zukunft der Arbeiterschaft liegt in der landwirtschaftlichen Metaphorik:

Herrn der Fabriken, Ihr Herren der Welt,
endlich wird eure Herrschaft gefällt.
Wir, die Armee, die die Zukunft erschafft,
sprengen die Fesseln der engende Haft.
(31)

2.6. Die relative Zeit

Mit Einsteins Theorien wird die Mechanik der Zeit transformiert.(32) Auch hier sind Raum und Zeit in einem engen Verhältnis (z.B. "Zeitbrücken"). Obwohl ein Großteil der Einsteinschen Theorien nicht durch Experimente verifiziert werden kann, sind es also dennoch Beobachtungen, die nach wie vor die Struktur der Theorien prägen.

3. Die Herausbildung des modernen Zeitgefühls

In der modernen Kunst ist Zeit durchaus ein Thema. Und die moderne Kunst reflektiert auch die Erkenntnisse der Wissenschaften wie Psychologie und Physik. Dazu einige Beispiele:

3.1. Die Interpretation

Umberto Eco hat sich in seinen Romanen immer wieder auch mit technologischen Entwicklungen auseinandergesetzt.(33) Er hat aber stets gezeigt, wie wichtig die Interpretation bleibt.(34) Noch im Roman "Der Namen der Rose" steht ein großer "Interpret" im Mittelpunkt.(35) In anderen Romanen sind es aber erste und zweite Natur, mit denen sich der Leser mehr auseinandersetzen kann. Titel wie "Das Foucaultsche Pendel"(36) und "Die Insel des vorigen Tages"(37) verweisen deutlich auf den scheinbaren Gegenstand. Zeit bleibt aber in allen Fällen ein überblickbarer Ablauf. Sie ist ein Gegenstand der Interpretation. Und die Interpretation und deren Grundlagen stehen bei Eco im Mittelpunkt.(38)

3.2. Zeit als Erinnerung(39)

Hans Robert Jauß eröffnet seine umfassende Analyse von "A la recherche du temps perdu" mit dem Satz: "Die Zeit steht in einem eigentümlichen Verhältnis zur Erzählkunst, das der allgemein auf Wesen und Formen der Gattung gerichteten Poetik offenkundig schien, in seiner besonderen Problematik jedoch erst durch die jüngste Entwicklung des Romans hervorgekehrt worden ist." (40) Und er zitiert weiters einleitend die Überlegungen des Erzählers im Roman "Zauberberg" von Thomas Mann (hier wie bei Jauß kursiv): "Alle Erzählung bedarf, wie auch die Musik, der Zeit zu ihrer Erscheinung, weil sie nur als ein Nacheinander, nicht anders denn als ein Ablaufendes sich zu geben weiß. Die Erzählung hat also mit der Musik gemeinsam, daß die Zeit ihr Element ist (erster Schritt der Reflexion).(41) Sie unterscheidet sich aber von ihr darin, daß ihr Zeitelement nicht nur eines ist. Die Erzählung hat zweierlei Zeit, ihre eigene erstens, die musikalisch-reale, die ihren Ablauf, ihre Erscheinung bedingt, zweitens aber die ihres Inhalts, die perspektivisch ist, und zwar in so verschiedenem Maße, daß die imaginäre Zeit der Erzählung fast, ja völlig mit ihrer musikalischen zusammenfallen, sich aber auch sternenweit von ihrer entfernen kann."(42)

Auch hier ist eine enge Bindung zwischen Raum und Zeit festzustellen, wenn zum Beispiel die Differenz zwischen Zeiten durch ein Raummaß ("sternenweit") bestimmt wird. Und auch die Beschränkung auf zwei Zeiten wird eher Denkfiguren, denn den Romanen gerecht, vor allem, wenn eine räumliche Sichtweise ("perspektivisch") als Charakteristikum für eine Erzählzeit angesehen wird.(43) Dies entspricht aber nicht den Erinnerungsprozessen in Marcel Prousts "A la recherche du temps perdu", die durch Inhalte bestimmt werden, die durchaus ihre jeweils eigene Zeit haben können. Aber sie entspricht zum Beispiel dem Bild von Salvador Dali(44), in dem sich die Uhren verformen (auch hier die Verkoppelung von Zeit und Raum - in der Perspektive).

3.3. Cyberzeit

Diese Koppelung reicht bis zur Erforschung des Cyberspace. So schreibt Manfred Faßler "Auf der Suche nach möglichen Kulturen": "Ort, Lokalität, Spur der Anwesenheit, Platz für die digitale Figurine, Avatar genannt: all dies weist auf Speicherplatz und Oberfläche, die zum Raum gemacht werden müssen, um Kommunikation glaubwürdig zu ermöglichen. Die Suche nach möglicher Kultur, wie ich diesen Eröffnungstext betitelte, ist die Suche nach der räumlichen Einbettung der digitalen Artefakte, ganz gleich, ob sie intentional durch den Menschen oder befehlsförmig als veränderter Schaltzustand des Computers entsteht. Raum, dynamisch rekursiver Raum ist mithin keine Fälschung, keine irrende Illusion, sondern eine kognitive Fiktion." (45) Und in einer noch engeren Verbindung, in der Zeit als Raum verfügbar wird: "'Kultur' meint exakt dies: Zeitliches, Gegenständliches, Ungegenständliches, Imaginatives, Fiktionales als assoziierbare Felder und Räume verfügbar zu halten." (46) Und dies obwohl die "Identität" des Gespeicherten nicht durch den schnell und leicht wechselbaren Speicherort hergestellt wird, sondern durch die Zeit (was zum Beispiel gerade der sogenannte "Milleniumbug" belegte) und den Kontext (die notwendige Software).

3.4. Die poetische Zeit

Im Stück "Der Weltuntergang" wird mit den physikalischen Theorien, die in den 30er Jahren allgemein bekannt zu sein schienen, gespielt:

SONNE: [...] Ich habe jemanden herzitiert, der um die Erde genau Bescheid weiß.
MARS: Wen denn?
SONNE: Den Erdmond.
MARS: Wie haben Sie denn das gemacht?
SONNE: Ich hab ein Bündel Gravitation nach ihm ausgeworfen und ihn damit der Anziehungskraft der Erde entzogen.
SATURN: Verzeihn, aber das ist der größte Blödsinn, den ich seit 200 Millionen Jahren gehört habe. Sie haben ein Bündel Gravitation??? Das schlägt doch allen physikalischen Gesetzen ins Gesicht!
SONNE wegwerfend: Pah! Die physikalischen Gesetze! Entspricht es vielleicht den physikalischen Gesetzen, daß ihr jetzt alle stillsteht wie die angemalten Fixsterne? (47)

Aber zugleich spielt im Soyferschen Stück auch ein anderes Element eine Rolle: die Realität, daß Herrscher ihre eigenen Kalender verfassen ließen, die sich nicht unbedingt an den Planeten orientierten, sondern mehr nach ihrem eigenen Aufgang (und mit ihrem Untergang demgemäß auch wieder in Vergessenheit gerieten). In diesem Sinne hat das Spiel durchaus Realitätsbezug - bei aller Phantastik der Rahmenhandlung.

Auch viele andere Soyferschen Texte sind durch Reflexionen über die Zeit geprägt und prägen die Strukturen seiner Texte. Vor allem interessant ist in unserem Zusammenhang das Stück "Vineta".(48) Wie bei Jauß gibt es den Ablauf (Johnny erzählt die Geschichte, wie er in Vineta war) und die "Perspektive" (der Stillstand der Zeit). Das Gegenbild zum Stillstand, zur Erstarrung wird durch das Leben (Natur und Gefühle) bestimmt:

JONNY: [...] Es gibt eine Welt, die anders ist (als Vineta - H.A.). Dort wechseln Tag und Nacht, und es wird Frühling und Winter und wieder Frühling; Stürme ziehen, Sonne scheint; Korn wird gesät, geerntet und neu gesät - ohne Ende. Menschen werden geboren, wachsen wie das Korn. Weil sie ein unruhiges Herz mitgekriegt haben, müssen sie lieben und hassen, solange sie da sind, und sie werden alt und sterben. Und neue Menschen werden geboren zum Hassen, zum Lieben, zum Altwerden, zum Sterben - ohne Ende. Und dies alles hat keinen anderen Sinn als sich selbst. Aber dies ist ein großer Sinn, denn er heißt: Leben." (49)

Es ist ein Prozeß der Erinnerung, der dramatisch dargestellt wird. Die versunkene Welt ist eine Stadt.(50)

3.5. Die Virtualität

Peter Horn betont in seinem Beitrag zur Eröffnung des "World Poetry Reading" in Kuala Lumpur im Oktober 2002 die Nicht-Identität von Poesie mit Kommunikation (Tratsch, Nachrichten, Informationen).(51) Es ist eine eigene Welt, die bei den Griechen bereits virtuelle Welt hieß, lange bevor Computer gebaut wurden.(52) Der "Kontinent" mit dem Namen "Cyberspace" (53) existiert also schon lange, auch wenn der Name neu ist. Aber die Virtualität ist kein Raum, sondern ein Inhalt. Virtualität wird nicht durch Zeit und Raum bestimmt, sondern durch Bedeutung, die eventuell Bewegung in Zeit und Raum veranlassen kann. Aber sie ist nicht messbar mit Zeit und Raummaß.

4. Die Realität der Gleichzeitigkeit

Wie wir gesehen haben, ist die Virtualität durch eine Vielfalt an Zeiten bestimmt, deren Maßeinheit die Bedeutung ist. Aber auch die Zeit der Nicht-Virtualität hat ihre Vielfalt. Zu beiden erlaube ich mir Beispiele zu geben:

4.1. Kalender

Die Verwendung von Kalendern, Flugzeugen, Internet usw. gibt uns das Gefühl in einer Zeit zu leben. Doch bereits das Buch von Hermann Grotefend zur Zeitrechnung zeigt, welche Vielfalt vom Mittelalter bis zur Neuzeit zu berücksichtigen war. Als Grundlage wurde auch hier in der Eröffnung ("Grundlagen der Zeitrechnung") die Planeten-Beobachtung hervorgehoben: "Die Zeitrechnung des deutschen Mittelalters beruht auf dem Sonnenjahre (annus solaris), das ist der Zeitraum, in dem die Erde ihren Lauf um die Sonne vollendet." (54) Doch die Kalender, die Grotefend anführt sind auch durch die Macht geprägt (zum Beispiel Kalender nach Herrschern oder der Französischen Revolution). Noch nicht berücksichtigt ist in dieser Darstellung die Vielfalt der Kalender in Europa, ganz zu schweigen von den Kalendern der Welt.(55) Es sind also enge Bereiche, in denen - ebenso wie bei der sprachlichen Kommunikation - die Zeitrechnung ihr Verbindendes hat. Und sie unterliegt der gleichen Beobachtung.(56)

4.2. Gewalt und Zeit

Die "neue Zeit" wurde aber keineswegs nur durch Überzeugung durchgesetzt. Der Abwendung von der Zeit, die durch landwirtschaftliche Produktion bestimmt war hin zur Zeit im Takt der Maschinen war weltweit auch durchaus mit ökonomischer und physischer Gewalt verbunden. Und die Bereiche, in denen andere Zeiten herrschten (z.B. Landwirtschaft, Universitäten) wurden "industrialisiert". Die "neue Zeit" wurde durchgesetzt - und das durchaus nicht zur allgemeinen Freude.(57)

Es ist daher kein Wunder, daß nicht zwischenmenschliches wie bei Ibsen ein Gespenst hervorruft(58), sondern die neuen Produktionsverhältnisse. Im Stück "Der Lechner Edi" ist es der Motor Pepi, der die Bühne betritt. Er hat Rede und Antwort zu stehen und verschwindet erst wieder als "Gespenst", als der Mensch sein Schicksal in die eigene Hand nimmt. Eine Zeitreise (durch die Geschichte) hat dies ermöglicht.(59)

4.3. Die erstarrte Zeit

Die Durchsetzung der Modernisierung bedeutete aber nicht überall neben der Gewalt auch eine Beschleunigung oder Ermöglichung. Im Werk von Gabriel García Márquez gibt es auch den Stillstand der Zeit ganz wie in Soyfers "Vineta". Und wie bei Soyfer bleibt unklar, wie die Erstarrung aufgehoben wird: "Während des Wochenendes fielen die Aasgeier über die Balkone des Präsidentenpalastes her, zerrissen mit Schnabelhieben die Drahtmaschen der Fenster und rührten mit ihren Flügeln die innen erstarrte Zeit auf, und im Morgengrauen des Montags erwachte die Stadt aus ihrer Lethargie von Jahrhunderten in der lauen, sanften Brise eines großen Toten und einer vermoderten Größe." (60) Selbst die Toten in den literarischen Werken der beiden Autoren entsprechen sich. Und ebenso die Chancen zum Aufbruch: "[...] weil wir wussten, wer wir waren, während er es nie und nimmer erfahren hatte mitsamt dem sanften Pfeifen seines Hodenbruchs eines vom Knüppelschlag des Todes an der Wurzel geknickten Alten, der durch das dunkle Geraschel der letzten eisigen Blätter seines Herbstes dem finsteren Vaterland der Wahrheit des Vergessens entgegenflog, angstvoll an die zerfaserten Moderfetzen des Todestalars geklammert und taub gegenüber dem Geschrei der rasenden Menschenmenge, die auf die Straßen rannte und Jubelhymnen über die Jubelnachricht von seinem Tode sang, für immer taub gegen die Befreiungsmusik und das Freudenfeuerwerk und die Ruhmesglocken, die der Welt die frohe Botschaft verkündeten, daß die unzählbare Zeit der Ewigkeit endlich zu Ende sei." (61)

Diese "Epoche" stürzt in sich zusammen. Der "Überlebende"(62) ist nicht nur im physischen Sinne tot, sondern indem die Zeit aus ihrer Erstarrung befreit wird, versinkt er selbst ins Vergessen. Und dies ist der Schlimmste der Tode, da er doch - im Gegensatz zur Diktatur - ewig dauern wird.

4.4. Tauwetter

Wie bei der "erstarrten Zeit" spielt auch beim Aufbruch in der "Moderne" die Wettermetaphorik eine Rolle. Mit ihr werden zwei Seiten eines Zustandes bezeichnet. "Tauwetter" ist der Titel eines Romans von Ilja Ehrenburg(63), der einen Aufbruch in der Sowjetära charakterisiert und seither als Metapher immer wieder gebraucht wurde - sowohl für die Zeit danach (nicht umsonst: "Prager Frühling"), als auch für die Zeit davor (die Regierungsjahre Josephs II. in Wien).(64)

Mit diesen Wettermetaphern werden also Aufbrüche in der Moderne in sehr unterschiedlichen Konstellationen bezeichnet. Damit charakterisieren die Wettermetaphern, die mit der Landwirtschaft verbunden sind (ebenso wie eine Reihe von Utopien), die Gewalt eines Menschen, eines Herrschaftssystems bzw. die gesellschaftlichen Möglichkeiten, die sich durch Veränderungen eröffnen.

Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen drückt sich auch hier im unterschiedlichen Aufeinandertreffen von Landwirtschaft und Moderne aus und zeigt, daß das Empfinden der Menschen sich keineswegs mit der Abfolge von Gesellschaftsmodellen verbindet, wie dies jene Epochen-Geschichtsschreibung immer wieder suggeriert hatte, für die es nur eine Zeit gibt.

5. Das Gleiche in anderer Gestalt

Peter Horn betonte, daß Realität und Poesie in den Zeiten der Gewalt auseinanderfallen, zugleich aber dadurch die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen kein Nebeneinander bedeutet.(65) Die Poesie (hier immer wieder als Metapher verwendet) kann genauso Teil des Lebens sein, es wie bei Marcel Proust oder Jura Soyfer zu ermöglichen, die Zeit zu "erinnern", sich dadurch einer anderen Zeit bewusst zu werden.

5.1. Die menschliche Bedeutung der Zeit

In beiden Fällen - der "poetischen" Zeit und der "planetarischen" Zeit - spielen Realitäten eine Rolle. Die Verkennung dieser Zeitrealitäten schränkt daher nur den Erkenntnishorizont ein. Und es ist daher nicht zufällig, daß in Einsteins Theorien nicht nur Mathematik und formale Logik eine Rolle spielen, sondern "Beobachter" auftreten. Beobachter für die die selbe Zeit im Sinne der Naturgesetze gilt. Aber auch Beobachter, die einer normierten Wahrnehmung unterliegen, die so im Leben nicht zu beobachten ist (eine Reduktion, die bei physikalischen Experimenten auch im Zusammenhang mit Naturprozessen Standard ist).

5.2. Zeit als Einheit und Ausdruck des Unterschieds

Die "planetarische" Zeit ist also den Menschen gemeinsam. Aber auch die poetische Zeit kennt bei allen Differenzen und bei aller Vielfalt eine wesentliche Gemeinsamkeit. Sie wird von der subjektiven (menschlichen) Bedeutsamkeit bestimmt, die nicht individuell gesteuert werden kann. Wesentlich sind also keineswegs die umgebende Natur, die Herrscher usw., sondern daß diese unter gleichen und ähnlichen Umständen unabhängig voneinander zum Ausgangspunkt für Zeitbestimmungen gewählt wurden.

Hervorgebracht werden kann die poetische Zeit sowohl durch Glück als auch durch Schmerz. Im Roman "So starb eine Partei" von Jura Soyfer, der nur als Fragment erhalten ist, ist es der Gepeinigte Blum im Jahre 1934, der für sich unter Folter zum (gleichnamigen) Revolutionär Blum des Jahres 1848 wird. Die erzwungene "Erinnerung" führt zur Erfindung einer Figur, die als Realität wahrgenommen wird.(66)

Aber ebenso sind zahlreiche Beispiele in der Liebeslyrik zu finden oder auch den Sprichwörtern zu finden, die eine Differenz zwischen der "Uhrzeit" und der inneren Zeit aufweisen.(67)

6. Schlussbemerkungen

Diese ist keine kurze Geschichte der Zeit. Und der Beitrag stellt auch keineswegs den Anspruch, alle wesentlichen Aspekte gegenwärtiger Prozesse erfasst zu haben. Vielmehr wird versucht zu zeigen, daß es in den heutigen Prozessen nicht ausreicht, die Diversität zu konstatieren. Es ist aber auch keineswegs sinnvoll, die Tradition als Waffe gegen die Modernisierung einzusetzen oder Modernisierungen mit Gewalt umzusetzen, wenn der Mensch als Maß der Entwicklung gesehen wird. Es zeigt sich vielmehr, daß es notwendig ist, die Zeit in ihrem Inhalt als Ausdruck menschlicher Erfahrungen zu erkennen und diese Erfahrungen in ihrer Vielfalt zu berücksichtigen. Und diese besagen zunächst einmal, daß einerseits diese Vielfalt ein Reichtum ist, der in sich keine Hierarchie kennt. Hierarchien konstruieren zu wollen, bedeutet die Vorbereitung dazu zu treffen, anderen eine Lebensweise aufzuzwingen, die sich noch in jedem Fall als widersprüchlich erwiesen hat.

Die Bestimmung der Zeit und der Versuch, Übereinkünfte zu treffen, beruht damit aber nicht auf einer willkürlichen Basis. Die Geschichtlichkeit der Zeit ist klar erkennbar.(68) Erkennbar sind die Grenzen unserer Erkenntnis, die in der Geschichte wesentlich für das Zeitgefühl bzw. den Zeitbegriff waren. Doch grade deshalb, weil sie an reale Tätigkeiten und Erfahrungen gebunden ist, nicht nur die Vielfalt, sondern auch das Verbindende mit wesentlichen Vorteilen verbunden ist, stellt sich die Zeit als etwas dar, das durchaus sehr gut geeignet war und ist, unsere Konferenz mit dem Titel "Das Verbindende der Kulturen"(69) im Jahre 2003 vorzubereiten. Nicht als eine Konferenz, die Vorbereitungen für Vereinheitlichungen trifft, sondern als eine Konferenz, die sowohl transnationales Leben in seiner Realität als Wiederholung von Gelebtem zur Kenntnis nimmt (und da gehört die Zeit unbedingt dazu), als auch die Bedeutung der von Künsten, Wissenschaften und Forschungen als fortdauernde Innovation in einem modernen Leben erkennt - als Möglichkeit einer anderen Zeit, die derzeit unter anderem den Namen "Wissensgesellschaft" trägt, unter dem - auch in diesem Falle - unterschiedliches verstanden wird.(70)

© Herbert Arlt (Wien)

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ANMERKUNGEN

(1) Vgl. z.B.: Elungu P.E.A.: Tradition africaine et

rationalité moderne. Editions L'Harmattan: Paris 1987.

(2) David Simo: Kultur und "Entsprechungen" in der Sprache ghom'ala . In: Enzyklopädie vielsprachiger Kulturwissenschaften. Im WWW: http://www.inst.at/ausstellung/enzy/kultur/ghomala_simo.htm In diesem wichtigen Beitrag wird gezeigt, wie zwischen Tradition und Innovation sprachlich in einer Sprache unterschieden werden kann. Diese und alle anderen WWW-Abfragen in diesem Beitrag sind vom 19. Februar 2003.

(3) Wenn hier von Modernisierungen gesprochen wird und die Postmoderne keine Erwähnung findet, denn liegt dies nicht zuletzt daran, daß ein kultureller Wandel eben nicht glaubhaft gemacht werden konnte, der durch diesen Begriff erfasst würde. Siehe zum Beispiel: Andreas Huyssen (Hrsg.): Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels. Rowohlt: Reinbek bei Hamburg 1997. 5.Aufl., Orig.-Ausgabe.

(4) Stephen Hawking: Eine kurze Geschichte der Zeit. Deutscher Taschenbuchverlag: München 2001, S.237.

(5) So titelt Euroabstracts, Vol.41-3/2002, herausgegeben von der Europäischen Kommission: "European governance: rebuilding trust in science".

(6) Hawking, Anmerkung 4, S.233.

(7) Ebd., S.234.

(8) Im Jahre 2001 fand zum Beispiel in Budapest eine Weltkonferenz der Wissenschaften statt, zu der nur NaturwissenschafterInnen geladen waren.

(9) Vgl. u.a.: Ruth und Dieter Groh: Weltbild und Naturaneignung. Zur Kulturgeschichte der Natur. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1996, 2. Auflage.

(10) Siehe Anmerkung 7.

(11) Zu den Daten siehe: Herbert Arlt: Culture, Civilisation and Human Society. In: KNOWLEDGE FOR SUSTAINABLE DEVELOPMENT . An Insight into the ENCYCLOPEDIA OF LIFE SUPPORT SYSTEMS. Zum Buch im WWW: http://www.eolss.net/eolss/eolss_order.asp

(12) Siehe zu diesen Formen der Erinnerung auch die Dokumentation der 2. Memminger Gespräche über Kunst und Kultur mit dem Titel "Mythos oder Realität - Was verbindet uns?" In: "Jura Soyfer. Internationale Zeitschrift für Kulturwissenschaften", 11.Jg., Nr.1/2002 (Wien). Das Inhaltsverzeichnis im WWW: http://www.soyfer.at/zs/02_1.htm Als Filmkassette erhältlich beim Bayrischen Rundfunk. Sendung: Denkzeit vom 8.6.2002, 22:30, 141 Minuten.

(13) Bachyt Spikbajeva (Der Begriff der Zeit bei den Kasachen) zeigt in ihrem Beitrag, daß es einen engen Zusammenhang zwischen dem Leben der Menschen und den Benennungen der Zeit gibt. In: TRANS 14. Im WWW: http://www.inst.at/trans/14Nr/spikbajeva14.htm

Aber auch in anderen Sprachen stehen die Wörter im Zusammenhang mit der Natur. Im Englischen geht das Wort Zeit zum Beispiel auf "tide" (Flut) zurück. In: Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch. Walter de Gruyter: Berlin, New York 1975, S.878. Dagegen geht das französische "temps" auf das lateinische "tempus" zurück. Le petit Larousse illustré. Larousse: Paris 2002. Im Lateinischen ist der Zeitbegriff auf den Lebensabschnitt bezogen. Langenscheidts Großes Schulwörterbuch Lateinisch-Deutsch. Völlige Neubearbeitung. Langenscheidt: Berlin und München 2001, S.1224.

(14) Die Darstellungen von Stephen Hawking (Kurze Geschichte der Zeit, Deutscher Taschenbuchverlag: München 2001) beruhen weitgehend auf mathematischen Konstruktionen und sind nicht durch Experimente bewiesen. Sie geben aber zugleich einen Eindruck von den ungeheueren räumlichen und zeitlichen Dimensionen, die es zu erforschen gelte.

(15) Chrono-logie: Zeitrechnung. Nach: Latein und Griechisch im deutschen Wortschatz. VMA-Verlag: Wiesbaden 2001. Hat heute als Wissenschaftsdisziplin vor allem eine Bedeutung zur Datierung in der Natur- und Kulturgeschichte, die durch keine Überlieferungen bestimmt werden können. Einen großen Aufschwung erfuhr sie durch neue naturwissenschaftliche Verfahren.

(16) Das Wort "Konstruktion" wird einerseits im Kontext von Bau, Architektur verwendet. Vgl. z.B. Rainer Graefe, Peter Alford Andrews: Zur Geschichte des Konstruierens. Fourier: Wiesbaden 1997. Im Zusammenhang mit der Zeit gibt es Überschneidungen zur Technologie: Hans Löschner: Über Sonnenuhren. Beiträge zu ihrer Geschichte und Konstruktion nebst Aufstellung einer Fehlertheorie. Leuschner&Lubensky: Graz 1905. Aber das Substantiv Konstruktion wird auch in unmittelbarem Zusammenhang mit Kultur und Zeit verwendet: Jan Assmann (Hrsg.): Kult, Kalender und Geschichte. Zur kulturellen Konstruktion der Zeit. Literatur-Verlag: Münster 1997. Und das entspricht einer Vielzahl unterschiedlicher Schriften wie: Matthias Dümpelmann: Zeitordnung. Aufklärung, Geschichte und die Konstruktion nationaler Semantik in Deutschland 1770-1815. Duncker&Humbolt: Berlin 1997. Oder: Dorothee Kimmich: Wirklichkeit als Konstruktion. Studien zur Geschichte und Geschichtlichkeit bei Heine, Büchner, Immermann, Stendhal, Keller und Flaubert. Fink: München 2002.

(17) Doch auch unabhängig von der Chronologie als Fachwissenschaft, die sich auf naturwissenschaftliche Verfahren stützt, gibt es in der Gegenwart Tausende von Chronologien. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen gilt demnach auch für die Reflexion und Darstellung.

(18) Vgl. Richard Fritz Stern (Hrsg.): Geschichte und Geschichtsschreibung. Piper: München 1966. Texte von Voltaire bis zur Gegenwart.

(19) Vgl. für die Literaturgeschichtsschreibung: Herbert Arlt: Österreichische Literatur: "Strukturen", Transformationen, Widerspruchsfelder. Röhrig Universitätsverlag: St. Ingbert 2000, S.17ff.

(20) Umberto Eco: Baudolino. Carl Hanser Verlag: München, Wien 2001.

(21) Vgl. dazu auch den Beitrag von Penka Angelova: Die Konstruierbarkeit der Welt. Reflexionen über Umberto Eco, Hermann Hesse und die konstruktiven Ansätze der Jahrtausendwende. In: Arlt/Daviau/Durusoy/Rosenauer: TRANS. Dokumentation eines kulturwissenschaftlichen Polylogversuchs im WWW (1997-2002). Röhrig Universitätsverlag: St. Ingbert 2002. Und: Elias Canetti: Masse und Macht. Fischer Taschenbuchverlag: Frankfurt am Main 1994.

(22) Vgl. dazu: Homi K. Bhabha (ed.): Nation and Narration. Routledge: London, New York 1990. Oder: Eric Hobsbawm, Terence Ranger (Ed.): The Invention of Tradition. Cambridge University Press 1983.

(23) Z.B.: Chronologie der Weltgeschichte. Time-Life: Amsterdam 1987.

(24) Vgl. z.B.: Pierre Duval: Diverses cartes et tables pour la géographie ancienne, pour la chronologie et pour les itinéraires et voyages modernes. Paris 1655.

(25) Vgl.: Edward W. Said: Orientalism. Western Conceptions of the Orient. Penguin Books: London 1995. With a new Afterword.

(26) Ein Beispiel dafür ist die Ästhetik von Hegel.

(27) Obwohl - wie wir gesehen haben - Erzählkunst, Erfindung mit der Konstruktion der Epochen verbunden sind, so wird dieser Begriff doch sowohl in der Astronomie als auch in der Geschichtsschreibung verwendet.

(28) Siehe dazu auch: Hans-Joachim Müller: Aspekte einer didaktischen Literaturgeschichtsschreibung jenseits der Einteilung in Jahrhunderte. In: TRANS 1. Im WWW: http://www.inst.at/trans/1Nr/mueller.htm

(29) Es gab nicht nur die "Neue Zeit", Graz, Organ der Sozialistischen Partei der Steiermark, sondern eine Vielzahl weiterer Zeitschriften und Zeitungen. Eine kleine Auswahl zitiert nach Aleph (im WWW: http://magnum.bibvb.ac.at/ALEPH/2IDY684RTH5INYXQ8JB439475N7R2EVE91PUTGBK7I5MIIRELH-05366/file/start-0): "Die Neue Zeit", Leipzig, Blätter aus der Gegenwart 1846/47; "Die Neue Zeit", Praha/Prag, freie Hefte für vereinte Höherbildung der Wissenschaften und des Lebens, 1870-1875; "Die Neue Zeit", Berlin, Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie, 1907/1908, "Die Neue Zeit", Wien, radikales Organ des deutsch-freisinningen Bürgertums, 1907; "Die Neue Zeit", Villach, unabhängiges und unparteiisches Volksblatt zum Schutze der Allgemeinheit, 1928/29; "Die Neue Zeit", Linz, Blatt für alle Berufsstände (zuerst Heimatschutz, später nationalsozialistisch), 1935-1937; "Neue Zeit", Berlin, Zentralorgan der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands, 1945-1951.

(30) Unser Lied. Liederbuch der sozialistischen Bewegung. Wien o.J., S.132.

(31) Ebd., S.133.

(32) Albert Einstein/Marcel Grossmann: Entwurf einer verallgemeinerten Relativitätstheorie und einer Theorie der Gravitation. Teubner: Leipzig 1913. Vgl. auch: Jorge Bauer/Alfredo Bauer: Technologie und Zeit. In: TRANS 14. Im WWW: http://www.inst.at/trans/14Nr/bauer14.htm

(33) Das reicht im Roman "Das Foucaultsche Pendel" von Erkenntnissen der Anfänge moderner Physik bis zum Umgang mit dem Computer. Umberto Eco: Das Foucaultsche Pendel". Deutscher Taschenbuchverlag: München 1992.

(34) Ders.: Die Grenzen der Interpretation. Carl Hanser Verlag: München, Wien 1992.

(35) Ders.: Der Namen der Rose. Deutscher Taschenbuch Verlag: München 1986.

(36) Ders.: Das Foucaultsche Pendel". Deutscher Taschenbuchverlag: München 1992.

(37) Ders.: Die Insel des vorigen Tages. Carl Hanser Verlag: München, Wien 1995.

(38) Vgl. insbesondere: Umberto Eco: Im Labyrinth der Vernunft. Texte über Kunst und Zeichen. Reclam Verlag: Leipzig 1989. Und: ders.: Kant und das Schnabeltier. Carl Hanser Verlag: München, Wien 2000.

(39) Vgl. dazu: Herbert Arlt (Hrsg.): Erinnern und Vergessen als Denkprinzipien. Röhrig Universitätsverlag: St. Ingbert 2002. Und zwar insbesondere folgende Beiträge: Tamás Lichtmann: Vergessen als Flucht - Erinnern als Erschaffung und/oder Veränderung der Wirklichkeit in Soyfers Dramen; Naoji Kimura: Die japanische Geschichte im Gedächtnis der Götter; Han-Soon Yim: Geschichtsschreibung und Literatur in Korea im Spannungsfeld von Erinnern und Vergessen. Am Beispiel der Annalen des Chosun-Reichs und des modernen historischen Romans. Dies sind Beiträge sowohl zur Ästhetik als auch anderen Formen der Geschichtsschreibung in einem anderen kulturellen Kontext.

(40) Hans Robert Jauß: Zeit und Erinnerung in Marcel Prousts >A la recherche du temps perdu<. Ein Beitrag zur Theorie des Romans. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1986, S.9.

(41) In diesem Zusammenhang gibt es auch ganz andere kulturwissenschaftliche Zugänge. Vgl. z.B.: Albert Breier: Die Zeit des Sehens und der Raum des Hörens. Ein Versuch über chinesische Malerei und europäische Musik. Verlag J.B. Metzler: Stuttgart 2002.

(42) Jauß, a.a.O., S.9.

(43) Es gibt bei Jauß aber auch strukturelle Differenzierungen: a.a.O., S.19.

(44) Salvador Dali: Persistence of Memory. Im WWW: http://www.seven7.demon.co.uk/dali/gallery2.htm

(45) Manfred Faßler: Auf der Suche nach möglichen Kulturen. In: Manfred Faßler/Ursula Hentschläger/Zelko Wiener: WEBFICTIONS. Zerstreute Anwesenheiten in elektronischen Netzen. Springer-Verlag: Wien, New York 2003, S.12.

(46) Ebd., S.13.

(47) Jura Soyfer: Auf uns kommt's an! Szenen&Stücke. Werkausgabe, Band II. Deuticke: Wien 2002, S.62/63.

(48) Ebd., S.187ff.

(49) Ebd., S.211.

(50) Die neueste Darstellung zu Vineta: Klaus Goldmann/Günter Wermusch: Vineta. Die Wiederentdeckung einer versunkenen Stadt. Gustav Lübbe Verlag: Bergisch Gladbach 1999.

(51) Peter Horn: Poetry in our lives. In: TRANS 0. Im WWW: http://www.inst.at/trans/0Nr/phorn.htm

(52) Vgl.: Virtualität. Versuch einer terminologischen Verdichtung. In: Enzyklopädie vielsprachiger Kulturwissenschaften. Im WWW: http://www.inst.at/ausstellung/enzy/reflexions/mersmann_birgit.htm

(53) Manfred Faßler: Auf der Suche nach möglichen Kulturen. In: Manfred Faßler/Ursula Hentschläger/Zelko Wiener: WEBFICTIONS. Zerstreute Anwesenheiten in elektronischen Netzen. Springer-Verlag: Wien, New York 2003, S.12.

(54) Hermann Grotefend: Taschenbuch der Zeitrechung. Hahnsche Buchhandlung: Hannover 1991, 13. Auflage. Einige Beispiele zum engen Zusammenhang von Astronomie und Chronologie: Adolph Drechsler: Illustriertes Lexikon der Astronomie und der Chronologie. Reprint-Verlag: Leipzig 2000. [Originalausgabe: Leipzig 1881.]; Walter F. Wislicenus: Astronomische Chronologie. Ein Hülfsbuch für Historiker, Archäologen und Astronomen. Teubner: Leipzig 1895; P.V. Neugebauer: Tafeln zur astronomischen Chronologie zum Gebrauch für Historiker, Philologen und Astronomen. Hinrichs: Leipzig 1922; Marcus Gossler: Begriffswörterbuch der Chronologie und ihrer astronomischen Grundlagen mit einer Bibliographie. Graz 1981.

(55) Zu Kalendern vgl.: August Mommsen: Chronologie. Untersuchungen über das Kalenderwesen der Griechen, insonderheit der Athener. Teubner: Leipzig 1883; Karl Friedrich Ginzel: Handbuch der mathematischen und technischen Chronologie. 1. Band: Zeitrechnung der Babylonier, Ägypter, Mohammedaner, Perser, Inder, Südostasiaten, Chinesen, Japaner und Zentralamerikaner (1906); 2. Band: Zeitrechnung der Juden, der Naturvölker, der Römer und Griechen sowie Nachträge zum 1. Bande (1911); 3. Zeitrechnung der Makedonier, Kleinasier und Syrer, der Germanen und Kelten, des Mittelalters, der Byzantiner (und Russen), Armenier, Kopten, Abessinier, Zeitrechnung der neuen Zeit, sowie Nachträge zu den drei Bänden (1914); Heinz Zemanek: Kalender und Chronologie. Bekanntes & Unbekanntes aus der Kalenderwissenschaft. Oldenbourg: München, Wien 1984. 3., erg. Auflage.

(56) Vgl. auch Anmerkung 13.

(57) Aber es gibt auch nicht einfach die Polarität Müßiggang/Arbeit. Im Lied "Time" von Pink Floyd ist die Zeit die Lebenszeit, die mit Orientierungslosigkeit beginnt und in Ratlosigkeit endet: "Every year is getting shorter, never seem to find the time/ Plans that either come to naught or half a page of scribbled lines/ Hanging on in quiet desperation is the English way/ The time is gone the song is over, thought I'd something more to say". Pink Floyd: The Dark Side of the Moon. Emi Records. Lyrics by Roger Waters.

(58) Henrik Ibsen: Gespenster. Ein Familiendrama in 3 Akten. Reclam: 1998.

(59) Jura Soyfer, a.a.O., S.132.

(60) Gabriel García Márquez: Der Herbst des Patriarchen. Deutscher Taschenbuchverlag: München 1996, S.5

(61) Ebd., S.276.

(62) Vgl.: Elias Canetti: Masse und Macht. Fischer Taschenbuchverlag: Frankfurt am Main 1994, S.249ff.

(63) Ilja Ehrenburg: Tauwetter. Verlag Kultur und Fortschritt: Berlin 1957.

(64) Leslie Bodi: Tauwetter in Wien. Zur Prosa der österreichischen Aufklärung 1781-1795. S. Fischer Verlag: Frankfurt am Main 1977.

(65) Siehe Anmerkung 51.

(66) Jura Soyfer: So starb eine Partei. Werkausgabe, Band III. Deuticke: Wien 2002, S.254ff.

(67) Z.B.: "Dem Glücklichen schlägt keine Stunde."

(68) Wobei die Geschichtsschreibung eben nicht einfach Daten wiedergibt. In diesem Sinne spricht Eric Hobsbawm zum Beispiel vom 20. Jahrhundert als einem "Short Century": "In other words, singling out a particular date is convention and not something that historians are ready to fight for. There is only one clear indicator for the end of the end of the Short Century: we know since 1973 the world economy has entered a new phase. And if you believe, as I still do, in Kondratev's theory of long waves, that period was destined to end some times in the ninties, but exactly when is not so clear." In: The new century. Eric Hobsbawm in conversation with Antonio Polito. Abacus: London 2000.

(69) Das Projekt im WWW: http://www.inst.at/kulturen/

(70) Vgl. zum Begriff "Wissensgesellschaft": Herbert Arlt (Hrsg.): Kulturwissenschaft - transdisziplinär, transnational, online. Röhrig Universitätsverlag: St. Ingbert 2001. 2.Auflage, S.26ff.


For quotation purposes - Zitierempfehlung:
Herbert Arlt (Wien): Traditionen, Modernisierungen, Zeiten. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 14/2002. WWW: http://www.inst.at/trans/14Nr/arlt14.htm.

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